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Gemeinsamer Ministerrat, 3. 10. 1912

I. Außerordentliche Nachtragsforderungen für Heer und Marine

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z32.pdf.

Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912                     491

   Beide Ministerpräsidenten geben der Hoffnung Raum, daß es
zu keinem Kriege kommen werde, der riesige Opfer kosten würde und wobei,
wie Dr. v. Lukäcs hinzufugt, nichts zu gewinnen sei.

   Der Vorsitzende schließt hierauf um !/2 6 Uhr die Sitzung.

                                                                                            Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 3. Oktober 1912. Franz Joseph.

        Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. Oktober 1912

   RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident v.
Lukäcs, der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. u. k. gemeinsame Finanzmini¬
ster Dr. Ritter v. Bilinski (21. 10.), der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v. Zaleski, der kgl. ung.
Finanzminister Dr. Teleszky, der k. u. k. Marinekommandant Admiral Graf Montecuccoli (31. 10.).
   Protokollführer: Legationsrat Graf Hoyos.
   Gegenstand: Außerordentliche Nachtragsforderungen für Heer und Marine.

   KZ. 58 - GMKPZ. 496
   Protokoll des zu Wien am 3. Oktober 1912 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k. u. k.
Hauses und des Äußern Grafen Berchtold.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, er habe den
Ministerrat einberufen, um darüber zu beraten, inwiefeme es möglich wäre, die
im Juli d. J. im gemeinsamen Ministerrat zurückgestellten Forderungen der Hee¬
res- und Marineverwaltung angesichts der veränderten politischen Situation
schon jetzt in Beratung zu ziehen und dieselben den jetzt tagenden Delegationen
noch vorzulegen.1 Die politische Lage sei eine sehr ernste. Obwohl derzeit nicht
vorauszusehen sei, daß sie Komplikationen auf internationalem Gebiete in naher
Zukunft zur Folge haben werde, so müsse die Monarchie für alle Fälle gesichert
sein.

   Bei Ausbruch des türkisch-italienischen Krieges habe man hoffen können, daß
derselbe nicht von langer Dauer sein werde. Diese Hofthung habe sich als trüge¬
risch erwiesen, der Krieg, der noch nicht beendet sei, habe vielmehr weitere Krei¬
se um sich gezogen und eine bedrohliche Komplikation am Balkan gezeitigt.

Zu den vom gemeinsamen Ministerrat abgelehnten Kreditforderungen von Heer und Marine
siehe GMR. v. 8. und 9. 7. 1912, GMKPZ. 494.
<pb/>492 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912

   Die Forderungen, welche die Kriegsverwaltung stelle, seien keine neuen, sie
bilden seit Jahren eine unbedingt erforderliche, schon vom Kriegsminister Schö¬
naich angesprochene Sanierung der Materialverhältnisse unseres stehenden Hee¬
res. Im Ministerrat vom 8. Juli 1. J. habe der kgl. ung. Ministerpräsident aus poli¬
tischen Gründen für deren Vertagung plädiert. Angesichts der veränderten
Sachlage würde aber ein weiterer Aufschub tatsächliche Gefahren in sich bergen,
für welche man keine Verantwortung übernehmen könne. Die Monarchie werde
wenn möglich bei ihrer Friedenspolitik verharren. In der Zukunft könnten aber
doch Situationen eintreten, bei welchen sie ihre vitalen Interessen würde wahren
müssen. Es sei dies eine Möglichkeit, der man sich trotz aller Friedensliebe nicht
verschließen dürfte.

   Er bitte vor allen den kgl. ung. Ministerpräsidenten sich darüber zu äußern, in-
wiefeme dieser mit Rücksicht auf die innerpolitische Lage in Ungarn in der Lage
wäre, die vorstehenden schwerwiegenden Ausführungen zu berücksichtigen und
seinen früheren Standpunkt hinsichtlich der Rüstungskredite zu modifizieren.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident betont vor allem, er könne
vorläufig nur persönlich im Vereine mit dem anwesenden kgl. ung. Finanzmini-
ster zu diesen Fragen Stellung nehmen. Vor einer definitiven Entscheidung müsse
er seine Ministerkollegen in Budapest befragen. Die heutige Situation sei tatsäch¬
lich eine andere als jene im Juli 1. J. Er habe damals im ungarischen Parlamente
erklärt, daß die ungarische Regierung keinerlei Verpflichtungen übernommen
habe, der Armee und Marine über das Maß des sogenannten Schönaichschen
Paktes hinausgehende Mehrforderungen zu bewilligen.

   Angesichts der vorliegenden Verhältnisse wäre es allerdings motiviert, daß die
kgl. ung. Regierung jetzt ihren Standpunkt ändere. Bevor er auf die weiteren Mo¬
dalitäten eingehe, würde er aber Wert darauf legen, nochmals vom Kriegsmini¬
ster und vom Marinekommandanten über das Ausmaß ihrer Forderungen genau
informiert zu werden und bitte die beiden Herren, sich nochmals in diesem Sinne
äußern zu wollen.

   Graf Stürgkh stimmt diesem Wunsche bei.
   Der k. u. k. Kriegsminister betont, daß die jetzt von der Kriegs¬
verwaltung gestellten Anforderungen genau in denselben Ausmaße gehalten sind,
wie jene, welche sein Amtsvorgänger vor Jahren und er im Ministerrat vom No¬
vember v. J. und vom Juli d. J. als unbedingt notwendige Ergänzung der Ausrü¬
stung des Heeres angesprochen habe. Es handle sich in erster Linie um Neuan¬
schaffungen für die Artillerie, welche der Zahl nach und zum Teil auch der
Qualität nach anderen Mächten gegenüber inferior sei. Die notwendigen An¬
schaffungen könnten nicht von heute auf morgen bewerkstelligt werden, daher
sei es dringend geboten, daß ihm die Kredite mit möglichster Beschleunigung zur
Verfügung gestellt werden. Ferner müßten neue Befestigungen gebaut und andere
in raschem Tempo vollendet werden. Endlich müßte ein Flugzeugpark geschaffen
werden, eine unbedingte Notwendigkeit, da die Monarchie, was Flugzeuge anbe¬
lange, gegen andere Staaten sehr stark im Rückstände geblieben sei. Bevor er auf
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912  493

die Kostenfrage übergehe, glaube er noch einige Betrachtungen allgemeiner Na¬
tur voranschicken zu sollen. Nach dem Willen Sr. k. u. k. apost. Majestät, nach
dem Wunsche der beiden Regierungen und des überwiegenden Teiles der Bevöl¬
kerung müsse die Monarchie eine Abstinenzpolitik verfolgen und jede Aggressi¬
on vermeiden. Es liege aber in der Natur der Dinge, daß ein Staat, welcher unbe¬
dingte Friedenspolitik treibe und dabei von kriegslustigen Nachbarn umgeben
sei, eine größere Kriegsbereitschaft erhalten müsse als jene Staaten, welche, wie
beispielsweise Japan, selbst keine Aggression zu furchten brauchen und den Zeit¬
punkt für ihre aggressiven Pläne nach Belieben wählen können. Eine Friedenspo¬
litik, wie wir sie führen müssen, sei nur dann möglich, wenn das Heer dauernd
schlagfertig auf der Höhe moderner Anschauungen erhalten bleibe. Durch Jahre
hätten wir unter den Mängeln zu kleiner Friedensstände gelitten. Dieser Übel¬
stand werde jetzt durch die neuen Wehrvorlagen in zwei bis drei Jahren behoben
sein. Dafür fehle es der Armee in materieller Hinsicht noch an dem allemotwen-
digsten und er könnte die Verantwortung für deren Schlagfertigkeit nicht auf sich
nehmen, wenn seine Forderungen nicht bewilligt würden. In Globalsummen aus¬
gedrückt brauche er für Artillerie 170 Millionen, für die Befestigungen samt Ar¬
mierung, Munition, Telegraphenleitungen und so weiter 55 Millionen und für die
Luftflotte 25 Millionen, also insgesamt 250 Millionen.

   Der kgl. ung. Finanzminister bittet um eine Auskunft darüber,
wie die für die Artillerie bestimmten 170 Millionen verteilt werden sollen, ebenso
auch die für Befestigungen vorgesehenen 55 Millionen.

   Ritter v. Auffenberg erwidert hierauf, daß es ihm nicht möglich
sei, genaue Details über die Verwendung der Summen schon jetzt zu geben. Er
beanspruche den Kredit für einen Zeitraum von sechs Jahren. In zwei bis drei
Jahren könne sich die Situation verschieben und er würde genötigt sein, Wid¬
mungsänderungen vorzunehmen, welche das ganze Tableau verändern würden.

   Der kgl. ung. Finanzminister verweist darauf, daß Widmungs¬
änderungen mit Zustimmung der Regierung immer möglich seien. Um aber diese
hohen Kreditforderungen vor den Delegationen vertreten zu können, müsse man
doch eine Idee haben, wozu die Kredite auch in Einzelnheiten Verwendung fin¬
den sollen und auch sich ein Bild darüber machen können, inwiefeme die Schlag¬
fertigkeit unserer Armee durch die Neuanschaffungen eine Erhöhung erfahre. Er
müsse daher den k. u. k. Kriegsminister doch bitten, dem Ministerrate detaillierte
Voranschläge zur Verfügung zu stellen.

   Nachdem alle Anwesenden dieser Auffassung des kgl. ung. Finanzministers
beigepflichtet haben, erklärt sich Ritter von Auffenberg bereit,
dem am Dienstag, den 8. d. M. zusammentretenden Ministerrat eine neue detail¬
lierte Aufstellung vorzulegen, in welcher 1. die Artilleriekredite geteilt würden in
Kredite für a) Feldhaubitzen, b) schwere Haubitzen, c) Gebirgskanonen, d)
schwere Mörser und Munition, 2. einen Detailvorschlag für die Befestigungen
samt Armierung und Munition und 3. eine detaillierte Aufstellung betreffend den
Flugzeugpark. Außerdem wird Ritter v. Auffenberg zur Orientierung der Regie-
<pb/>494 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912

rungen seiner Aufstellung Erläuterungen über die Verwendung des neuen Artille¬
riematerials und über die Befestigungen beilegen. Dieselben wären aber streng
vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Gesamtsumme von 250
Millionen werde unbedingt nicht überschritten werden.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erkundigt sich, ob diese
Kredite auf sechs Jahre aufgeteilt werden sollen. Er betont, daß man die finanzi¬
elle Lage berücksichtigen müsse und er persönlich nicht wisse, wie man das Geld
in den nächsten Jahren werde beschaffen können. Die Volkswirtschaft in beiden
Ländern der Monarchie leide durch die Entziehung der bedeutenden Barmittel,
welche durch das Kreditbedürfhis der Regierungen gebunden würden. Trotz des
steigenden Aufschwunges unserer Volkswirtschaft seien wir noch nicht in der
Lage, in finanzieller Hinsicht mit anderen Großmächten zu konkurrieren.

   Hierauf ergreift der Marinekommandant das Wort, Graf Monte-
cuccoli betont, er habe im Ministerrate vom 8. Juli 1. J. im ordentlichen Budget
die 1. Rate für ein Schlachtschiffals Ersatz für ein veraltetes Schiffder ,,Monarch&quot;-
Klasse angesprochen. Dieser Posten sei ihm gestrichen worden. Nachdem es sich
jetzt nicht mehr um einen Ersatzbau im Rahmen des normalen Budgets handle,
sondern jetzt eine Kreditoperation ins Auge gefaßt werde, sei er der Ansicht, daß
es aus finanziellen und politischen Gründen angezeigt wäre, sogleich den Kredit
für zwei neue Schlachtschiffe als Ersatz für zwei veraltete Schiffe der ,,Monarch&quot;-
Klasse anzusprechen. Der erste Punkt seines Programmes betreffe daher zwei
moderne Schlachtschiffe vonje 24--25 000 Tonnen mit 35 cm-Geschützen in zwei
Triple- und zwei Double-Türmen. Der Preis wäre für jedes 72 Millionen Kronen,
also zusammen 144 Millionen Kronen. Das eine Schlachtschiff würde in Öster¬
reich, das andere in Ungarn gebaut werden.

   In dem ihm im Jahre 1910 zur Verfügung gestellten Rüstungskredit von 312
Millionen Kronen seien für Unterseeboote nur 10 Millionen Kronen eingestellt
worden. Seither sei die Größe und auch der Preis dieser Boote gestiegen, so daß
er zur Anschaffimg dieser 6 Boote noch 6,5 Millionen Kronen benötige.

   Drittens habe er in seinem Budget für das Jahr 1913 um die Bewilligung eines
Kredites zur Anschafftmg eines Trockendockes mit 40 000 Tonnen Hebekraft
angesucht. Derzeit verfüge die Marine über ein Dock von nur 25 000 Tonnen
Hebekraft. Er habe in seinem jetzigen Programm auf Grund eines Angebotes der
Howaltwerfte in Kiel den Preis dieses Docks mit 8,48 Millionen Kronen einge¬
stellt. Das Stabilimento tecnico habe keine Offerte machen wollen, Danubius in
Fiume habe 11,3 Millionen Kronen für das Dock verlangt und sei außerdem nicht
in der Lage, dasselbe gleich herzustellen, daher würde er das Material bei Howalt
bestellen und das Dock in Pola zusammensetzen lassen.

   Viertens: Im 312-Millionenkredit seien ihm keine Donaumonitore bewilligt
worden, obwohl sie für die Verstärkung unserer Donauflotille dringend notwen¬
dig wären. Er habe jetzt zwei Monitore zum Preise von je 2 Millionen Kronen,
also zusammen 4 Millionen Kronen und zwei Patrouillenboote im Gesamtpreise
von 620 000 Kronen eingestellt.
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912  495

   Fünftens: Als Ersatz für sechs ganz veraltete Torpedoboote sechs neue Boote
im Gesamtpreis von 5,9 Millionen und endlich für Flugwesen eine halbe Million
Kronen.

   Insgesamt beansprucht er einen Kredit von 170 Millionen Kronen, welche er
auf drei Jahre vorteilt sehen möchte.

   Bevor er seine Ausführungen schließe, glaube er darauf hinweisen zu müssen,
daß die Stapel, auf welchen unsere Schiffe gebaut werden, fast durchwegs an un¬
geschützten Rheden liegen, so daß unsere Schiffbauetablissements in Triest und
Fiume bei einer kriegerischen Verwicklung mit einer bedeutend stärkeren mariti¬
men Macht samt den am Stapel befindlichen Schiffen zerstört werden könnten. Er
halte es für seine Pflicht, auf diesen Übelstand aufmerksam zu machen, obwohl er,
um seine Forderungen nicht noch mehr erhöhen zu müssen, vorderhand die Kon¬
klusionen aus dieser unerquicklichen Lage nicht habe ziehen wollen.

   Der k. k. Ministerpräsident ergreift hierauf das Wort, um zu
betonen, daß die k. k. Regierung nach wie vor auf dem im Ministerrate vom Juli
1. J. eingenommenen Standpunkte verharre und daß sie trotz der schwierigen fi¬
nanziellen Lage mit Rücksicht auf die von dem Minister des Äußern und dem
Kriegsminister geltend gemachten Gründe die Forderungen des Kriegsministeri¬
ums akzeptieren würde. Etwas anderes sei ihre Stellungnahme gegenüber dem
heute zum erstenmale formulierten Programm des Marinekommandanten. In die¬
ser Beziehung müsse auch er sich Vorbehalten, mit seinen Ministerkollegen
Rücksprache zu pflegen. In politischer Hinsicht halte er es für dringend geboten,
daß die Armee und die Marine für alle Eventualitäten gerüstet sei. Allerdings
würden die jetzt angesprochenen Kredite der Schlaffertigkeit der Armee erst in
zwei bis drei Jahren zugute kommen. Es sei aber berechtigte Hoffnung vorhan¬
den, daß es gelingen werde, im primären Stadium des wohl unvermeidlichen
Konfliktes am Balkan eine zuwartende Haltung einzunehmen. Erst in der weite¬
ren Folge der Ereignisse würde der Moment möglicherweise kommen, wo die
Monarchie auf einer Konferenz oder anderswie das Schwergewicht ihrer militä¬
rischen Kräfte in die Wagschale würde werfen müsse. In diesem Augenblick wer¬
de es von größter Bedeutung sein, daß nicht nur in der Monarchie selbst, sondern
auch in ganz Europa mit unserer Schlagfertigkeit gerechnet werde. Die jetzt be¬
gonnenen Rüstungen würden jedenfalls auch im Auslande bekannt werden und
unser politisches Prestige erhöhen. Abgesehen von diesen Erwägungen halte er
auch den jetzigen Moment vom Standpunkte der politischen Taktik und der Psy¬
chologie der Parlamente für den geeignetsten, um unserer Heeres- und Marine¬
verwaltung die seit Jahren dringend benötigten Ergänzungskredite zu sichern.
Angesichts der bedrohlichen Situation am Balkan sei die Stimmung der reichsrät-
lichen Delegation eine solche, daß sie jede auf eine Stärkung unserer Wehrmacht
ausgehende Kreditforderung bewilligen würde. Er glaube nicht zu weit zu gehen,
wenn er sage, daß man von den Regierungen eine diesbezügliche Anregung er¬
warte und daß ihr von manchen Seiten ein Vorwurf daraus gemacht werden wür¬
de, wenn sie nicht mit Rüstungskrediten hervortreten sollte. Werm man auch ein-
<pb/>496 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912

wenden könne, daß diese Kredite der Armee keine sofortige Stärkung bringen
würden, so sei es doch ein Gebot der politischen Klugheit, den einzig günstigen
psychologischen Zeitpunkt wahrzunehmen, um die Erfordernisse des Kriegsmi¬
nisteriums und der Marineverwaltung zu befriedigen. Auch er sehe ein, daß die
Kreditbeschaffung große Schwierigkeiten verursachen werde. In zwei bis drei
Jahren würden aber vielleicht noch viel größere Schwierigkeiten vorliegen, daher
könne er sich von einer Verschiebung keinen Nutzen versprechen.

   Der k. k. Finanzminister bemerkt, daß der Marinekommandant
in seinem dem Ministerräte vom 8. Juli vorgelegten Budget nur die erste Rate
eines Schlachtschiffes eingestellt habe, wogegen er jetzt zwei Schiffe beanspru¬
che und hiezu noch Donaumonitore, Torpedoboote und ein Dock, so daß seine
Forderungen, selbst wenn man sie auf drei Jahre verteile, mehr als das Doppelte
dessen ausmachen, was ihm im Juli gestrichen worden sei.

   Auch der kgl. ung. Ministerpräsident und F i n a n z mi¬
ni s t e r verweisen darauf, daß sie das Programm des Grafen Montecuccoli ei¬
ner eingehenden Prüfung würden unterziehen müssen.

   Graf Montecuccoli erwidert hierauf, er habe allerdings im ordentli¬
chen Budget für das Jahr 1913 die erste Rate nur eines Schlachtschiffes einge¬
stellt, im nächsten Jahre hätte er aber doch ein zweites anfordem müssen. Jetzt
wo eine Kreditoperation ins Auge gefaßt sei, wäre es in jeder Hinsicht prakti¬
scher, auch schon mit Rücksicht darauf, daß er ein Schiff in Österreich und ein
anderes in Ungarn in Bau geben könnte, wenn beide Schiffe gleichzeitig in Bau
genommen werden würden.

   Auf eine Anfrage des k. k. Ministerpräsidenten erwiderte er, daß unsere Werf¬
ten sofort in der Lage wären, den Bau der beiden Schiffe zu beginnen.

    Der kgl. ung. Finanzminister möchte nun in formaler Hin¬
sicht eine Aufklärung darüber erhalten, ob die angesprochenen Kredite bezie¬
hungsweise der erste Teil derselben schon im Budget des laufenden Jahres oder
in dem Voranschläge für das Jahr 1913 figurieren sollen.

    Hierauf erwidert Graf Stürgkh, daß er aus praktischen Gründen den
größten Wert darauf legen müßte, daß ein kleiner Bruchteil der Kredite schon in
dem diesjährigen Budget Aufnahme finde.

    Man einigt sich hierauf dahin, daß eine unbedeutende Summe als erste Rate
der Rüstungskredite im Wege eines außerordentlichen Kredites für Heer und Ma¬
rine von den jetzt tagenden Delegationen angesprochen werde. Der Rest werde
dann auf eine Reihe von Jahren aufgeteilt werden.

    Auf die Bemerkung des Vorsitzenden, daß ein Zeitraum von sechs Jahren ihm
sehr lang erschiene, da Komplikationen schon früher eintreten könnten, bemerkt
der k. u. k. gemeinsame Finanzminister, daß es vielleicht
möglich sein würde, den ganzen von Heer und Marine beanspruchten Kredit im
Gesamtbeträge von 420 Millionen Kronen auf die nächsten vier Jahre zu vertei¬
len.
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912  497

   Der kgl. ung. Ministerpräsident glaubt, daß es sich empfeh¬
len würde, in der weiteren Folge, wenn sich die Notwendigkeit hiezu ergeben
sollte und die Finanzlage eine bessere wäre, auch größere Raten einzustellen. Im
übrigen dürfe man nicht vergessen, daß die Monarchie möglicherweise schon in
der allernächsten Zeit zu schwerwiegenden Entschlüssen gedrängt werden könn¬
te, etwa zu einer partiellen Mobilisierung ihrer Streitkräfte, welche den beiden
Ländern nicht zu übersehende finanzielle Lasten auferlegen würde.

   Es entspinnt sich nun eine längere Diskussion der beiden Finanzminister über
die finanzielle Lage der Monarchie im allgemeinen, wobei der k . k. Fi¬
nanzminister darauf hinweist, daß im Auslande kein Geld zu beschaffen
sei und daß man, wenn man den Staatskredit über Gebühr in Anspruch nehme, die
Volkswirtschaft in der empfindlichsten Weise schädige. Nach dem nunmehr vor¬
liegenden Programme des Herrn Kriegsministers und Marinekommandanten
würden bei Beibehaltung des sechsjährigen Termins für die Forderungen des
Kriegsministers und eines dreijährigen Termins für die Durchführung des Mari¬
neprogrammes über das Maß der schon früher bewilligten Kredite im Jahre 1913
110 Millionen, 1914 106 Millionen, 1915 77 Millionen und dann noch für weite¬
re 3 Jahre für das Kriegsministerium 41 `A Millionen pro Jahr benötigt werden. Er
könne nicht voraussehen, woher man diese Summe beschaffen werde.

   Der kgl. ung. Finanzminister weist auf die Übelstände hin,
welche in der leichten Kreditbeschaffung für die Volkswirtschaft daraus erwach¬
sen, daß die Heeres- und Marineverwaltung in den letzten Jahren so hohe passive
Kontokorrente bei den Banken offen halten. Die Banken hätten einen großen Teil
ihrer verfügbaren Kapitalien auf diese Weise nicht mehr disponibel.

   Der k. u. k. Kriegsminister erwidert hierauf, er habe sich schon
einen Plan zurechtgelegt, nach welchem er innerhalb des sechsjährigen Termines
die ihm zur Verfügung gestellten Kredite nicht zu überschreiten brauche und doch
in der Lage wäre, die Rüstungen schneller durchzuführen, falls sich die Notwen¬
digkeit hiezu ergeben sollte. Er würde nämlich zuerst die Geschütze bestellen und
die Anschaffung der hiezu notwendigen Munition auf die letzten Jahre verschie¬
ben. Sei es notwendig, könne die Munition sehr rasch erzeugt werden, so daß
dieser Aufschub keine Gefahr in sich berge.

   Der k. u. k. Kriegsminister erwähnt nunmehr, daß er angesichts der kritischen
Lage die Absicht habe, die Erlassung eines Pferdeausführverbotes gegen Rumä¬
nien, Serbien, Montenegro und die Türkei zu beantragen. Rumänien gegenüber
würde man fallweise Ausfuhrbewilligungen zulassen. Diese Maßnahme sei be¬
sonders für Ungarn und Bosnien von großer Wichtigkeit, da man dort jedenfalls
versuchen würde, größere Pferdemengen für den Balkan anzukaufen, so daß un¬
sere Pferdemobilisierung hiedurch gestört werden würde.

   Nachdem die Anwesenden dieser Anregung zugestimmt haben, wird verein¬
bart, daß der k. u. k. Kriegsminister wegen Erlassung dieses Verbotes mit den
beiden Regierungen und dem k. u. k. gemeinsamen Finanzministerium sofort das
Einvernehmen pflegen wird.
<pb/>498 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912

   Der Vorsitzende teilt den Anwesenden hierauf mit, daß der Landes¬
chef von Bosnien und Herzegowina General Potiorek eine namhafte Erhöhung
der Stände in den annektierten Ländern und in Dalmatien in Antrag gebracht
habe. Ein begründender Bericht hierüber solle morgen früh hier eintreffen.2 Er
könne natürlich, bevor er diesen gelesen, keine Ansicht darüber aussprechen, in-
wiefeme die Anregung des Landeschefs durch die Verhältnisse begründet sei,
würde aber schon jetzt Wert darauf legen von dem Herrn gemeinsamen Finanz¬
minister und den beiden Ministerpräsidenten Aufklärung darüber zu erhalten, ob
nach den ihnen zukommenden Informationen mit Rücksicht auf die Stimmung
der Bevölkerung in diesen Ländern weitgehende Maßnahmen notwendig seien.
Den Herrn kgl. ung. Ministerpräsidenten bitte er insbesondere, sich darüber zu
äußern, ob die Stimmung der öffentlichen Meinung in Kroatien-Slawonien und
den an Serbien angrenzenden ungarischen Komitaten besondere militärische Vor¬
kehrungen daselbst notwendig erscheinen lasse.

   Herr v. Bilihski ist überzeugt davon, daß die serbische Bevölkerung
in den beiden annektierten Ländern bis auf einige kleine radikale Gruppen kaiser¬
treu und patriotisch gesinnt ist und daß daher eine solche Maßregel wegen der
Stimmung in der einheimischen Bevölkerung in keiner Weise gerechtfertigt wäre.
Andererseits seien ihm sehr zahlreiche Konfidentenmeldungen zugekommen, wo¬
nach an unseren Grenzen große Aufregung herrsche. So sehr er auch von der Loya¬
lität der Serben in Bosnien und der Herzegowina überzeugt sei, so sehe er doch ein,
daß es kaum möglich sein werde, die sehr unerquicklichen Konfidentenmeldungen
ganz zu ignorieren und jede militärische Vorsichtsmaßregel abzulehnen.

    Herr v. Lukäcshat keine Nachrichten über irgend welche beunruhi¬
gende Symptome in Kroatien und Slawonien oder in den an der serbischen Gren¬
ze liegenden Komitaten erhalten. Der Delegierte Baron Talliän habe allerdings
der ungarischen Delegation mitgeteilt, daß in seinem Gutsbezirk die serbische
Bevölkerung sehr beunruhigt sei. Er werde noch Informationen einholen und sich
dann mit dem Kriegsministerium in Verbindung setzen, falls dies notwendig sei.

    Der k. u. k. Kriegsminister sagt, daß er schon mit Rücksicht
auf unsere diplomatische Lage einsehe, daß alles vermieden werden müsse, was
im Ausland Beunruhigung hervorrufen könnte. Sein Bestreben gehe daher auch
dahin, die militärischen Vorkehrungen auf das allemotwendigste zu beschränken
und deren Durchführung auch nach Tunlichkeit hin aufzuschieben. Er müsse aber
darauf aufmerksam machen, daß die Standesverhältnisse im 7. und 13. Korps
gegenwärtig sehr ungünstige seien. Einige Kompanien könnten höchstens über
30 ausgebildete Soldaten verfugen. Bei normalen Friedensständen würde er gar

         Telegramm (Abschrift) Potioreks an Auffenberg v. 3. 10. 1912, Ka., MKSM. 65-5/1/1912.
         Der ausführliche Bericht Potioreks konnte in den Beständen des Ka., KM., Präs, und Ka.,
         MKSM. nicht gefunden werden. Zur Position Potioreks siehe B.-H.: Auffassung des Armee-
         Inspektors in Sarajewo über die Lage, Ka., KM., Präs. 81-7/4/1912 und Je&amp;äbek Rudolf,
         Potiorek 60 ff.
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 10. 1912                     499

keine Vorkehrungen für notwendig halten. Unter den gegebenen Umständen müs¬
se er aber doch eine gewisse Ergänzung der Stände in diesen zwei Korpsberei¬
chen durch Einberufung der beurlaubten Mannschaften ins Auge fassen. Für die
annektierten Länder und Dalmatien würde er die Einberufung der Urlauber, des
ersten Reservejahrganges und von drei Jahrgängen der Ersatzreserve auf Grund
des Gesetzes vom Jahre 18883 beantragen, wodurch das 15. und 16. Korps eine
Verstärkung von etwa 20 000 Mann erhalten würde.

   Graf Stürgkh habe keine Berichte aus Dalmatien über diese Angele¬
genheit erhalten. Er will sich aber informieren und ist auch der Ansicht, daß eine
gewisse Verstärkung der Friedenßstände nicht zu vermeiden sein wird. Der
Vorsitzende legt Wert darauf zu betonen, daß alle militärischen Vorkeh¬
rungen in möglichst unauffälliger Weise durchgeführt werden sollen und daß al¬
les vermieden werden muß, was im Auslande als eine Provokation angesehen
werden könnte. In Rußland würde man Truppenverschiebungen an unserer süd¬
östlichen Grenze gleich als eine Herausforderung ansehen und an aggressive Ab¬
sichten unsererseits glauben.4

   Es wird hierauf der Beschluß gefaßt, daß am Dienstag den 8.1. M. ein neuerli¬
cher Ministerrat wegen definitiver Beschlußfassung über die außerordentlichen
Erfordernisse für Heer und Marine zusammentreten solle. Die diesbezüglichen
Kreditvorlagen würden dann in beiden Delegationen am Donnerstag den 10.1. M.
in einer Plenarsitzung vorzulegen sein, worauf der Heeresausschuß und Marine¬
ausschuß wieder zusammentreten müsse.5

   Nachdem noch ein in der Presse zu veröffentlichendes Kommunike über den
abgehaltenen Ministerrat vereinbart wurde, erklärt der Vorsitzende die Sitzung
für aufgehoben.

                                                                                            Berchtold

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 2. November 1912. Franz Joseph.

Für Cisleithanien Gesetz v. 31. 5. 1888, betreffend die ausnahmsweise Beiziehnug von Re-
servemännem und Ersatzveservisten zur aktiven Dienstleistung im Frieden, RGBL. Nr.
77/1888für Ungarn GA. XVIII/1888.
Mit Vortrag Auffenbergs v. 4. 10. 1912 wurde eine Erhöhung der Friedensstände in Bosnien-
Herzegowina und Dalmatien, sowie im Bereich des VII. und XIII. Korps beantragt, jedoch
keine Erhöhung aufKriegsstärke, wie Potiorek gewollt hatte, Ka., MKSM. 69-5/26/1912,
fol. \-A.MitAh.E. v. 5. 10.1912behieltsichFranz Joseph die Entscheidung bis aufweiteres
vor und beauftragte Auffenberg, die Zustimmung der k. k. und der ungarischen Regierung
einzuholen, Schreiben (K.) Bolfras&#39;an Aujfenberg v. 5. 10. 1912 ebd., MKSM. 69-5/3/1912.
Fortsetzung über den außerordentlichen Heeres- und Marineforderungen und über das Bud¬
getpro 1912 sowie über die Vorkehrungen an der serbischen Grenze in GMR. v. 8. und 9. 10.
1912, GMKPZ. 497.
<pb/>