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Gemeinsamer Ministerrat, 6. 12. 1911

I. Das gemeinsame Budget für das Jahr 1912

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z26.pdf.

414 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

   Nachdem noch der Marinekommandant die gewünschte schriftli¬
che Mitteilung in Aussicht stellt und das Communique über die Sitzung verein¬
bart wird, erfolgt der Schluß derselben um 7 Uhr abends.2

                                                                                           Aehrenthal

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien am 1. Juni 1912. Franz Joseph.

    Nr. 25a Bemerkungen früherer Protokolle zum Marinebudget

   In der Sitzung vom 6. Oktober 1910 sagte Freiherr v. Bienerth, eine eventuelle
frühere Inangriffnahme, wie dies auch mit den Schlachtschiffen geschehen, sei ja
keinesfalls ausgeschlossen. Die effektiven Kosten werden ja ohnehin höher sein
als die präliminierten. Wenn es tatsächlich nötig sein wird, könne man mit dem
Baue früher beginnen, es handle sich hauptsächlich um die spätere Bezahlung.
Für die österreichische Regierung sei der springende Punkt die Verteilung der
Kredite auf mehrere Jahre. Und GrafAehrenthal war in derselben Sitzung in der
Lage, ohne aufWiderspruch zu stoßen, zu konstatieren, daß die Marine die Mög¬
lichkeit besitze, rascher zu bauen.

   In der Sitzung vom 20. November v. J. sagte Dr. v. Bilinski wörtlich: ,,Was die
vom Marinekommando zu zahlenden Verzugszinsen anbelangt, so stimmen beide
Regierungen zu, diese auf sich zu nehmen, wodurch keine Verkürzung der Mari¬
neforderung eintreten werde."

   Auch damals wiederholte Baron Bienerth, daß man sich mit der Bezahlung
von Verzugszinsen abgefunden habe, da, so bedauerlich dies vom staatsfinanziel¬
len Gesichtspunkte sei, es aber gerade wegen der Geldbeschaffung nicht anders
ginge und müßten sich die Bestellungen nicht mit den formellen Bewilligungen
decken. Denselben Standpunkt nahm auch der kgl. ung. Ministerpräsident ein.

       Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. Dezember 1911

     RS. (und RK.)
     Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. Kriegsmi¬
nister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. k. Finanzminister Ritter v. Zaleski, der kgl. ung. Finanzmi¬
nister Dr. v. Lukäcs, der k. u. k. Marinekommandant und Chef des Kriegsministeriums, Marinesek¬
tion, Admiral Graf Montecuccoli. [Teilweise publiziert in: Österreich-Ungarns Aussenpolitik,
Band 3, Nr. 3057.]
     Protokollführer: Hof- und Ministerialrat v. Günther.
     Gegenstand: Das gemeinsame Budget für das Jahr 1912.

         Fortsetzung über das Budgetfür 1912 in GMR. v. 6. 12. 1911, GMKPZ. 490.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  415

   KZ. 88 - GMKPZ. 490

   Protokoll des zu Wien am 6. Dezember 1911 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬
sters des Äußern Grafen Aehrenthal.&quot;

   Der Vorsitzende eröffnet die Konferenz um 11 Uhr vormittags und hält
zunächst ein Expose über die politischen Ereignisse der letzten Monate.1 Graf
Aehrenthal weist hiebei darauf hin, daß er im Laufe seiner Schilderung gewisse
Fragen sehr vertraulicher Natur berühren werde, weshalb er im voraus bitten müs¬
se, die bezüglichen Mitteilungen als streng geheime betrachten zu wollen. Was
den italo-türkischen Krieg und die Stellungnahme der Monarchie zu demselben
betreffe, so hatten Österreich-Ungarn und Deutschland bei Ausbruch keine freie
Hand. Deutschland war durch eine Bestimmung des Dreibundvertrages, Öster¬
reich-Ungarn durch eine im Jahre 1902 abgegebene Note verpflichtet, bei Eintritt
gewisser Eventualitäten im türkischen Reiche einer italienischen Expansion in
Nordafrika nicht hindernd in den Weg zu treten.2 Obwohl im vorigen Herbst keine
solche Situation vorlag, welche sich mit der eben erwähnten Eventualität vollkom¬
men deckte, war doch keine Veranlassung, gegen den Bundesgenossen bei seiner
Aktion in Tripolis und der Cyrenaika Stellung zu nehmen beziehungsweise Italien
davon abzureden. Die Politik des Gewährenlassens empfahl sich schon aus dem
Grunde, weil nach unseren Informationen der König Viktor Emmanuel und seine
Regierung für die Erneuerung des Dreibundes günstig gestimmt sind.3 Eine ande¬
re Haltung hätte bloß die Pläne der Westmächte gefordert, welche, wie schon aus
der Lektüre der öffentlichen Blätter ziemlich unverhüllt ersehen werden kann, die
tripolitanische Verwicklung benützen möchten, um unser Verhältnis zu Italien zu
trüben und dasselbe aus dem Dreibunde herauszudrängen.

   Unsere weitere Stellungnahme in diesem Kriege war aus den von beiden Mi¬
nisterpräsidenten auf Grund der Mitteilungen des Ministeriums des Äußern am
24. Oktober 1. J. in beiden Parlamenten abgegebenen Erklärungen zu ersehen.4 Im
besonderen verweist der Vorsitzende auf die von der italienischen Regierung ge-

Einfiigung Enthält auf Blatt 14 eine Ah. Randbemerkung.

Fortsetzung des GMR. v. 29. 10. 1911, GMKPZ. 489.
Mit Schreiben v. 1. 7. 1902 teilte der österreichisch-ungarische Botschafter in Rom
Goluchowski mit, die Deklaration Österreich-Ungams bezüglich Tripolis der italienischen
Regierung übergeben zu haben. Die Deklaration befindet sich in der Beilage; HHStA., PA.
I, Geheime Akten, Liasse XXXIV b, Erneuerung des Dreibundvertrages 1902, Nr. 192.
Zum italienischen Wunsch, den Dreibundvertrag zu erneuern siehe das Schreiben Aehren-
thals an den Staatssekretär des deutschen Auswärtigen Amtes Kinderlen v. 10. 8. 1911, publi¬
ziert in Grosse Politik, Bd. 30/2, Nr. 11218.
Die Erklärung Gautsch &#39; im Abgeordnetenhaus des Reichsrates zum italienisch-türkischen
Krieg v. 24.10. 1911, Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, XXI. Session,
19. Sitzung v. 24. 10. 1911 1121 f.
<pb/>416 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

machte Zusage, die kriegerischen Operationen nicht auf das adriatische und nicht
auf das ionische Meer auszudehnen. Einem Sondierungsversuche gegenüber, der
eine Erweiterung des Kriegsschauplatzes auf das ägäische Meer zum Gegenstän¬
de hatte, nahm Österreich-Ungarn eine sehr reservierte und eher abmahnende
Haltung ein.5 Wir stellten uns auf den Standpunkt, daß der Dreibund, nebst dem
großen Prinzipe der Friedenserhaltung sowie des Schutzes und der Verteidigung
der gegenseitigen Territorien, die Erhaltung der Integrität der Türkei und des Sta¬
tus quo auf dem Balkan bezwecke, und lenkten die Aufmerksamkeit Italiens dar¬
auf, daß eine solche erweiterte Aktion gegen diese Prinzipien verstoßen würde.
Auch andere Kabinette haben Italien von der geplanten Aktion in vorsichtiger
Weise abgeraten.

   In der letzten Woche habe man auch viel von einer russischen Initiative zu
hören bekommen, die dahin ziele zu verhindern, daß der freie Handelsverkehr in
den Meerengen gestört werde. In Rußland sei man für eine solche Eventualität
wegen des großen Exportes von Getreide, Zucker usw. sehr besorgt gewesen und
wünschte die Unterstützung der anderen Kabinette für eine Erklärung, die dahin
ginge, daß den beiden kriegführenden Mächten bekanntgegeben werde, daß eine
italienische Blockade der Meerengen oder eine türkischerseits erfolgende Sper¬
rung der Dardanellen gegen den Artikel 3 des Londoner Protokolles vom Jahre
1841 verstoße.6 Die Sache hatte aber bisher keinen Fortgang, weil die italienische
Regierung in Petersburg vorstellig wurde und unter Betonung, daß es derzeit kei¬
ne Blockade beabsichtige, darauf hinwies, daß ein Schritt Rußlands und der an¬
deren Mächte in Rom als unfreundliche Haltung aufgefaßt werden würde.

   Was die Aktion Rußlands, betreffend die Öffnung der Dardanellen für seine
Kriegsschiffe, anbelangt, so möchte diese Macht die schwierige Lage der Türkei
benützen, um ein Ziel zu erreichen, das sie seit so langer Zeit anstrebt. Die Frage
ist eine sehr heikle und wichtige.7 Unsere Haltung ist vorläufig eine zuwartende;
wir haben aber ein starkes Interesse an der Erhaltung des jetzigen Rechtszustan¬
des. Wiewohl eine eventuelle Friedensvermittlung noch in weiter Feme zu liegen
scheint, glaubte Redner, im Hinblicke auf die gereizte Stimmung zwischen Eng¬
land und Deutschland, es für nicht ungefährlich zu halten, wenn die betreffende
Aktion von einer Macht oder von einer Gruppe von Mächten ausgehen würde,
weil ein solcher Vorgang leicht als Schachzug der einen Gruppe gegen die andere
aufgefaßt werden könnte. Er habe daher Ende Oktober vorgeschlagen, daß alle

         Zu diesem Sondierungsversuch siehe das Schreiben Kinderlens an Tschirschky v. 24. 11.
         1911, die Antwort Tschirschkys an Bethmann Hollweg v. 27. 11. 1911 und das Schreiben
        Aehrenthals an Szögyeny v. 29. 11. 1911, alle publiziert in Grosse Politik, Bd. 30/1, Nr.
         10961, 10964 und 10965.
         Dardanellenvertrag v. 13. 7. 1841 (2. Londoner Konvention).
         Zu den Überlegungen dieser russischen Forderungen siehe das Schreiben des deutschen
         Botschafters in Konstantinopel an Bethmann Hollweg v. 30. 11. 1911, publiziert in Grosse
         Politik, Bd. 30/1, Nr. 10982.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  417

Mächte sorgfältig die Ereignisse beobachten und in stetem Kontakte bleiben und
bei einer Vermittlungsaktion nicht einzeln oder gruppenweise, sondern vereint
wirken sollten.8 Seine Anregung fand allgemeine Zustimmung. Er gebe sich al¬
lerdings keiner Illusion hin, denn auch nach Annahme seines Vorschlages könne
eine geschlossene Aktion Europas infolge der bestehenden großen Rivalitäten
wesentlich beeinträchtigt werden.

    Die lange Dauer des Krieges sei eine Folge des Umstandes, daß die zwei Geg¬
ner sich nicht recht fassen können. Italien habe sich durch seine voreilige Anne¬
xionserklärung verrannt. Die Türkei kann nicht Frieden schließen beziehungs¬
weise die Annexion anerkennen. Wenn sich auch eine Partei fände, die zu
erkaufen wäre, so dürfe man nicht übersehen, daß eigentlich die Araber den Krieg
fuhren, die bekanntlich sehr unbotmäßig sind und zwar dieselben Araber, die der
Türkei im Jemen die größten Schwierigkeiten bereiteten, wo Tausende von regu¬
lären Soldaten durch das tückische Klima zugrunde gingen. Ein weiterer Vorteil
für die Türkei liege darin, daß ihr der Krieg verhältnismäßig wenig Geld koste.
Zufolge von Äußerungen des M. Revoil, des Generaldirektors der Ottomanbank,
der kürzlich Wien passiert habe, würde die Geldfrage für die Türkei keine Rolle
spielen und in absehbarer Zeit nicht auf den Abschluß des Friedens wirken kön¬
nen. Wir werden, konstatierte der Vorsitzende, unsere Aufmerksamkeit den Er¬
eignissen weiter zuwenden, jede Chance der Beendigung des Konfliktes ausnüt¬
zen und mit den übrigen Kabinetten in Fühlung bleiben, damit schließlich im
Sinne des österreichisch-ungarischen Antrages eine geschlossene Aktion der neu¬
tralen Mächte vor sich gehen könne.

   GrafAehrenthal fuhrt weiter aus, daß, wenn seine Annahme der längeren Dau¬
er des Krieges richtig sei, es sich darum handle, ob er bis zum nächsten Frühjah¬
re noch fortbestehe, wo dann das Verhalten der Balkanstaaten in Frage komme.
Montenegro intrigiere fortwährend, Albanien sei unbotmäßig wie im Vorjahre
und auch in Mazedonien sehe es nicht gut aus. Trotzdem hoffe er darauf, daß die
Ruhe auf dem Balkan erhalten bleibe. Die Mächte und speziell Rußland werden
für den Status quo eintreten. Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und
Rußland befinden sich in einer günstigen Entwicklung. Sollten wider Erwarten
und trotz Bemühungen der Mächte Verwicklungen am Balkan eintreten, so wür¬
den wir trachten, den Konflikt zu isolieren, vorerst nicht einzugreifen und das
Ergebnis abzuwarten, uns vorbehaltend, auf die Gestaltung der Endsituation un¬
seren maßgebenden Einfluß auszuüben.

   Die Politik des Zuwartens empfiehlt sich schon aus dem Grunde, weil eine
andere schwere Krise herannaht, die deutsch-englische. Trotz des Marokko-Ab-

Siehe dazu Schreiben Aehrenthals an Szögyeny v. 20. 10. 1911 und Telegramm Aehrenthals
an die österreichisch-ungarischen Botschafter in Berlin, St. Petersburg, London, Paris, Rom
und Konstantinopel v. 26. 10. 1911, publiziert in Österreich-Ungarns Aussenpoutk, Bd. 3,
Nr. 2789 und 2m.
<pb/>418 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

kommens zwischen Frankreich und Deutschland9 habe sich die Stimmung zwi¬
schen letzterem und England nicht gebessert und wir müssen ernsten Ereignissen
entgegensehen. Die Politik Kaiser Wilhelms sei, wie er oft bewiesen, eine fried¬
liche, er wird den Konflikt daher hinausziehen, solange es geht. Er liebt England,
Land und Volk und schließlich kommt auch fiir ihn in Betracht, daß er Zeit ge¬
winnen will. Man wird gewiß versuchen, zu einem Ausgleiche in Betreff des
Flottenprogramms zu kommen, aber vieles hänge vom Ausgange der im nächsten
Januar stattfindenden Reichsratswahlen10 ab. GrafAehrenthal glaubt, daß sich die
Dinge nicht überstürzen dürften, aber aufhalten lasse sich die natürliche Entwick¬
lung nicht, hiemit müsse gerechnet werden. Die Krise wird in 3,4, vielleicht in 5
Jahren zu gewärtigen sein. Dieser ernste Ausblick auf die Zukunft zwingt uns,
vorbereitet zu sein und die beste Vorbereitung ist die rasche Erledigung der Wehr¬
vorlagen in Wien und in Budapest. Die beiden Regierungen sind in der Lage, auf
die ernste Situation vor unseren Türen hinzuweisen, in die wir trotz unserer fried¬
lichen und reservierten Haltung hineingezogen werden können. Der Antagonis¬
mus zwischen Deutschland und England komme immer mehr in ein ernsteres
Stadium und es sei nicht ausgeschlossen, daß wir als treue Bundesgenossen
Deutschlands den Kampf Schulter an Schulter auszukämpfen haben werden. Sol¬
che Argumente werden gewiß dazu beitragen, den jetzigen Zustand, der uns von
einer Krise in die andere brachte, zu beseitigen, um endlich das Wehrgesetz -
nicht ein Provisorium - zu schaffen. Der Eindruck auf das Ausland, den die An¬
nahme des Wehrgesetzes hervorriefe, sei nicht zu unterschätzen, weil man sehen
würde, wie sich unsere Verhältnisse trotz aller Schwierigkeiten konsolidieren.
Redner könne andererseits nicht verhehlen, daß eine weitere Hinausschiebung
die Führung der auswärtigen Politik schwierig gestalte, weil man uns leicht als
quantite negligeable betrachten und über uns zur Tagesordnung gehen könnte.
Mit der dringenden Bitte, das Wehrgesetz tunlichst schnell der Erledigung zuzu¬
führen, schließe er seine Ausführungen und halte sich zur Verfügung, wenn einer
der Konferenzteilnehmer eine konkrete Frage an ihn stellen wolle.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident dankt dem Vorsitzenden für
dessen Auseinandersetzung, die einen vollen Einblick in die äußere Situation ge¬
geben. Für ihn sei von besonderer Wichtigkeit die Erhaltung des Friedens und die
Tatsache der Aufrechterhaltung der bisherigen Basis unserer Politik, das ist des
Dreibundes, was er als Chef der ungarischen Regierung nur billigen könne. Ein
zweites erfreuliches Moment sei eine gewisse Fühlungnahme mit Rußland in der
orientalischen Politik.

    Was den Appell des Ministers des Äußern betreffe, so teile er selbstverständ¬
lich dessen Anschauungen betreffend die rasche Verabschiedung der Wehrvorla¬
gen. Man kämpfe lange, er hoffe aber, im Jänner die Verhandlungen zu beschleu¬
nigen und zum Ziele zu gelangen, nur könne er nicht verschweigen, daß

         Marokko-Kongo-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich v. 4. 11. 1911.
         Gemeint ist die deutsche Reichstagswahl, die am 12. 1. 1912 stattfand.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911              419

Vorkommnisse wie die der letzten Zeit die Sache sehr erschweren. Er sei guten
Mutes, weil ja alle das Gefühl besitzen, zur Erhaltung der Position der Monarchie
beizutragen und wir die Gewähr haben müssen, zur rechten Zeit und am richtigen
Punkte am Platze zu sein. Es sei unmöglich, daß die 30 Mann der Opposition den
Willen der Nation aufhalten und von jedem Standpunkte, vom finanziellen, poli¬
tischen und militärischen aus betrachtet, weiter hindernd wirken, wenn sie nicht
gerade vor kurzem von einer Seite Sukkurs erhielten, von der man es am wenig¬
sten erwartet hätte.

   Der k. k. Ministerpräsident schließt sich dem Danke an den
Vorsitzenden an. Er bringe der Tätigkeit desselben volles Verständnis entgegen
und fänden insbesondere dessen Ausführungen betreffend das Wehrgesetz, seine
Anerkennung und Würdigung. Was die spezielle Situation im österreichischen
Parlamente anbelangt, so sei er erst seit sehr kurzer Zeit im Amte und habe die
Schwierigkeiten, welche der Durchführung des Wehrgesetzes entgegenstehen,
übernommen. Er weise dabei zunächst auf die Auflösung des Hauses, die kurze
Sommersession, die nur die Einbringung der Vorlage gestattete, und die Einberu¬
fung im Herbsttermine hin. Soweit er konstatieren konnte, bestünde bei den ma߬
gebenden Parteien keine prinzipielle Gegnerschaft gegen das Wehrgesetz, ande¬
rerseits bilden gewisse Ungewißheiten ein Hindernis. Wenn, wie Graf Khuen
sagte, im Jänner in Ungarn eine Klärung der Situation eintreten werde, so werde
auch er sich bemühen, die Parteien von der Aktualität der Frage zu überzeugen
und werde er gewiß alles tun, um die Sache zu beschleunigen. Er hoffe, daß im
österreichischen Parlamente bald positive Arbeit möglich sein werde.

   Der Kriegsminister schließt sich gleichfalls dem Danke an Graf
Aehrenthal an, dessen Ausführungen seine Aufgabe erleichtern.

   Der letzte Appell sei doch immer der an die Wehrmacht und so hoffe er, daß
seinen Darlegungen, wenn auch keine Sympathie, so doch Verständnis und Wür¬
digung entgegengebracht werden. Er wolle sein in der letzten Konferenz gehalte¬
nes Expose nicht wiederholen,&quot; sondern nur kurz anführen, daß sich sein Budget
voll in dem Rahmen der zweijährigen Dienstzeit halte. Auch für ihn sei nichts
dringlicher als die Erledigung der Wehrvorlagen, denn man könne heute in der
Armee eigentlich nur mehr von Cadres sprechen. Das sei eine deplorable Situati¬
on und daher der Wunsch begreiflich, daß derselben durch Votierung der Wehr¬
vorlagen, an denen er allerdings persönlich nicht mitgearbeitet, ein Ende bereitet
werde. So wie er das letzte Mal geschlossen, so müsse er heute beginnen, indem
er betone, daß sich die Armee außer der Standesmisere auch materiell in recht
trister Situation befinde. Wohl sei er an die bekannten Punkte gebunden und wer¬
de ihm der Pakt weiter auferlegt, so bleibe er dabei. Er würde aber entgegen sei¬
ner großen Verantwortlichkeit handeln, wenn er nicht auf gewisse große Schwie¬
rigkeiten hinwiese. Speziell in drei Richtungen sind große Rückständigkeiten
vorhanden. Zuerst in der Ausgestaltung und Bewaffnung der Artillerie. Diesbe-

Ausführimgen Auffenbergs in GMR. v. 29. 10. 1911, GMKPZ. 489.
<pb/>420 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

züglich sei ihm schon von seinem Vorgänger ein Memorandum übergeben wor¬
den.12

   Zweitens in der Befestigung. Redner zeigt an der Hand von Karten unser Ver¬
hältnis zu den fortifikatorischen Maßnahmen Italiens, schildert ausführlich des¬
sen vermutliche Offensive in einem eventuellen Knege und erörtert die Notwen¬
digkeit, unsererseits eine auf Befestigungen gestützte Offensive im Falle eines
Krieges gegen zwei Fronten zu ergreifen. Er habe die einschlägigen Forderungen
des Generalstabes auf das äußerste reduziert und gegenüber dem ursprünglichen
155 Millionenbetrage möchte er sowohl für die fortifikatorische Ausgestaltung
als die artilleristische Um- und Neubewaffhung, zusammen also im ganzen für
die nächsten zwei Jahre 40 Millionen in Anspruch nehmen. Man müsse auch
nicht gleich bezahlen, sondern solle ihn nur zu den Bestellungen autorisieren. Die
Ausführung werde ohnehin eine gewisse Zeit beanspruchen.

   Als dritte Rückständigkeit bezeichne er die auf dem Gebiete der Aviatik. Wir
besäßen ein wohl kleines, aber ausgezeichnetes Pilotenkorps, aber keine bezie¬
hungsweise fast keine Maschinen. Unter Anführung der statistischen Zahlen über
die Verhältnisse in den anderen Staaten beziffert der Kriegsminister seine Anfor¬
derung für fünfzig Flugmaschinen mit 2 Vi Millionen, für Fourgons mit 800 000
K als einmalige und ferner 1 Million als fortlaufende Auslagen.

    Es handle sich somit um drei Kredite: für die Artillerie, die Befestigungen und
die aviatischen Erfordernisse. So dringend die beiden ersteren sind, so werde
man, wenn es durchaus nicht anders gehe, darauf verzichten müssen. Die Verant¬
wortung treffe ihn dann aber nicht, der wirklich nur das bescheidenste Ausmaß
verlange. Was aber die Aviatik betreffe, so müsse Wandel geschaffen werden,
weil man da nicht Zurückbleiben dürfe.

    Der Vorsitzende befragt nun die Konferenz, in welcher Reihenfolge
die Beschlüsse gefaßt werden sollen. Über Anregung des k. k. Minister¬
präsidenten wird zunächst über das vom Kriegsminister vorgelegte Hee¬
resbudget pro 1912 verhandelt und dasselbe angenommen.

    Hierauf ergreift Graf Montecuccoli das Wort zur Begründung des
Marinebudgets. Dasselbe sei um 3 Millionen höher als der Marine zugestanden,
 aber so wie er im Vorjahre gesagt habe und es auch eingetroffen sei, konnte er pro
 1911 nicht mit einer Erhöhung von 1 &#39;A Millionen auskommen und könne es auch
 im Jahre 1912 nicht. Auch für das laufende Jahr, 1911, habe er eine Überschrei¬
 tung von 3 Millionen. Er habe schon öfters auseinandergesetzt, weshalb er mehr
 brauche. Bei jeder einmaligen Ausgabe im Extraordinarium erfahren die Ausla¬
 gen im Ordinarium eine Steigerung, die je nach der Größe des gebauten Schiffes

         Zu dem Memorandum Schönaichs und seinen Forderungenfür die Artillerie schrieb Auffen-
          berg Das Schriftstück meines Vorgängers war eigentlich kein Memorandum, sondern nur ein
          Kalkül über die zur Sanierung der Artillerieausrüstung sowie zur Munitionsbeschaffung er¬
          forderlichen Summe. Innerhalb dieser fungierten 24 Millionen für die Anschaffung der 30,5
          cm-Mörser. Nur von dieser war in der Ministerkonferenz vom 6. Dezember die Rede. Auf-
          fenberg, Österreichs Höhe und Niedergang 506 f., Anm. 1.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  421

zwischen 6 und 8 % variiert. Graf Montecuccoli erklärt die Kosten der Schiffe in
Ausrüstung und sagt, daß man die Fixierung seines Budgets immer nach abwärts
vornehme. Von 1907 auf 1908 habe die Steigerung zirka 11 Millionen betragen,
sei dann sukzessive bis auf 1 Vi Millionen im Jahre 1911 gesunken. Das, was er
verlange, sei das Minimum. Seine ursprüngliche Forderung pro 1911 sei 6 Vi
Millionen gewesen, er hätte sich schließlich auf4 Vi geeinigt, dann sei unbegreif¬
licherweise noch eine Kommission zusammengetreten und er hätte nur 1 V2 Mil¬
lionen bekommen. Da müsse man die neuen Schiffe ins Arsenal stellen und was
das bedeute, brauche er wohl nicht auseinanderzusetzen. Er bitte, ihm diese 3
Millionen zu bewilligen oder den Kriegsminister zu bestimmen, die von seinem
Vorgänger übernommene und nicht gehaltene Verpflichtung auszuführen, dann
könne das Marinebudget durch fünf Jahre weiter bestehen.

   Der k. k. Finanzminister erklärt, die Steigerung um 3 Millionen
sei eine Erhöhung der zugestandenen Summe. Es sei außerordentlich schwer, von
einer Vereinbarung abzukommen, die den Delegationen bekanntgegeben. Auf die
Frage der Verteilung der in Aussicht genommenen Beträge zwischen Heer und
Marine könne man keinen Einfluß ausüben und habe das von allem Anfänge an
nicht gewollt. Wenn der Kriegsminister diese 3 Millionen nicht aus seinem Bud¬
get hergebe, dann müssen sie aus dem Marinebudget herausgenommen, eventuell
Verhandlungen zwischen dem Kriegsminister und dem Marinekommandanten
eingeleitet werden.

   Die vom Marinekommandanten erwähnte Kommission habe nur die Vorschlä¬
ge der Kriegsverwaltung pflichtgemäß geprüft, die Entscheidung sei aber nicht
dieser Kommission zugefallen, sondern in dem Ministerrate vom 6. Jänner 1911
erfolgt und zwar mit voller Zustimmung des Kriegsministers.

   Der kgl. ung. Finanzminister stimmt diesen Ausführungen
vollinhaltlich zu.

   Der k. k. Ministerpräsident möchte die Ausführungen des k. k.
Finanzministers noch vom politischen Standpunkte ergänzen. Mögen die An¬
sprüche der Kriegsmarine auch gerechtfertigt sein, auch in historischer Bezie-
hung, so handle es sich doch um ein Geschäft in sich, auf das beide Regierungen
keinen Einfluß ausübten. Vom politischen Standpunkte sei die Aufrechterhaltung
des aus elf Punkten bestehenden Faktums wichtig. Es könnten ja Ereignisse ein-
treten, die ein Abweichen rechtfertigen, allein solange die Verhältnisse ihre nor¬
male Entwicklung nehmen, werden die Delegationen die Einhaltung des Faktums
als selbstverständlich betrachten. Das Gegenteil würde Beunruhigung hervorru-
fen, was aus politischen Gründen, im Interesse eines klaglosen Verlaufes der De¬
legationen und der Politik des Grafen Aehrenthal vermieden werden müsse.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident weist auf die staatsrechtli¬
che Seite der Frage hin. Wir haben überhaupt nur ein Kriegsministerium, dessen
Teil die Marinesektion sei. Konstitutionell sei der Kriegsminister der verantwort¬
liche Faktor, in dessen Budget die Marine eine allerdings bedeutende Rolle spielt.
Die Verantwortung falle ausschließlich dem Kriegsminister zu, ihm werden die
<pb/>422 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

Summen votiert. Die Verteilung des kontingentierten Betrages nach Heer und
Marine sei seine Aufgabe, er hafte auch für dieses Gesamtbudget. Anders wäre
es, wenn ein Marineministerium bestünde, ein solches gibt es aber nicht, daher
auch nur ein Kriegsbudget und sei es Sache des Kriegsministers, wie er die An¬
gelegenheit in Ordnung bringe.

   Der Kriegsminister stimmt dem kgl. ung. Ministerpräsidenten in der
Theorie zu, die Praxis sei aber anders. Auf den Bau der Schiffe usw. besitze er gar
keine Ingerenz. Er wisse nicht, wie er anders vergehen solle. Von seiner Voran¬
schlagssumme könne er nichts abtreten.

   Der Vorsitzende konstatiert, daß die Situation von den maßgebenden
Faktoren ganz klar gekennzeichnet sei; die Verteilung der Summen sei eine inter¬
ne Sache des Kriegsministeriums, zu welcher die beiden Regierungen nicht Stel¬
lung zu nehmen wünschen. Er schlage daher der Konferenz vor, den Kriegsmini¬
ster zu ersuchen, mit dem Marinekommandanten zu vereinbaren, in welcher
Weise ein Ausgleich zur Deckung der sehr notwendigen und wichtigen Mari¬
neauslagen möglich wäre.

   Der Marinekommandant macht aufmerksam, daß er seine Stellung
nicht behalten könnte, wenn man seine Forderungen zurückweise und Allerhöch¬
sten Ortes um die Enthebung vom Amte au. ansuchen müßte.

   Der Kriegsminister möchte keine Komplikationen hervormfen und
gerne mitwirken, daß die Sache keine unangenehme Wendung nimmt. Nur wisse er
nicht, was er tun solle. Die 3 Millionen betreffen das Ordinarium und belasten nicht
nur das Jahr 1912. Er müßte einen Truppenkörper auflösen, um das Geld zu finden.

   Der Vorsitzende macht darauf aufinerksam, daß das Kriegsministeri¬
um die Situation seit Jahr und Tag kannte und bei Aufstellung seines Budgets
darauf Rücksicht hätte nehmen sollen. Es müßte doch möglich sein, im Heeres¬
budget gewisse Ersparungen vorzunehmen und auf diese Weise in der Lage zu
sein, dem Marinebudget die unumgänglich nötige Erhöhung zukommen zu las¬
sen.

   Auf eine Anregung des Kriegsministers, eventuell die Sanierungs¬
aktion etwas hinauszuschieben, weist der kgl. ung. Finanzmini¬
ster daraufhin, daß diese einen Punkt der den Delegationen bekannten Bedin¬
gungen bilde und daher nicht verschoben werden könne.

   Der k. k. Finanzminister gibt seiner Meinung dahin Ausdruck,
daß die seinerzeit festgelegten jährlichen Steigerungen doch nicht willkürliche
waren, sondern auf Grund von Vorschlägen der Kriegsverwaltung beziehungs¬
weise von Vereinbarungen zustande kamen, wobei alle in Betracht kommenden
Verhältnisse erwogen wurden. Die Festsetzung, daß das Kriegsministerium pro
1912 20,2 Millionen für das Heer und 1 `/z Millionen für die Marine einstelle, sei
nicht von den beiden Regierungen ausgegangen, stehe auch nicht im Pakte, son¬
dern gehöre in die Kompetenz der Kriegsverwaltung, da nur die Gesamterhöhung
beider Budgets, nicht aber die Aufteilung zwischen denselben fixiert wurde. Es
müsse daher wohl dem Kriegsministerium möglich sein, aus der Sache herauszu-
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  423

kommen. Er fasse die Angelegenheit so auf, daß die beiden Regierungen nicht in
der Lage sind - angesichts der im Vorjahre getroffenen und der Legislative be¬
kanntgegebenen Vereinbarungen - eine Erhöhung des Erfordernisses der Kriegs¬
verwaltung vor den Delegationen zu vertreten.

   Auch der kgl. ung. Finanzminister erklärt, sich auf keine an¬
dere Basis stellen zu können.

   Es bleibt somit bei dem Beschlüsse, daß das Budget der Marine nur unter der
Voraussetzung angenommen wird, daß das Heeresbudget um 5 Millionen gekürzt
werde, andernfalls müsse die Kürzung bei der Marine vorgenommen werden.13

   Es wird nun zur Frage der vom Marinekommandanten aufgenommenen Beträ¬
ge geschritten und ergreift hiezu der kgl. ung. Finanzminister das Wort. Seine
Stellungnahme habe er schon in der letzten Konferenz gekennzeichnet. Die Be¬
stellungen seien ohne Wissen und Zustimmung der beiden Regierungen und zwar
in solchen Dimensionen vorgenommen worden, daß sie unter normalen Verhält¬
nissen mit normalen Mitteln nicht bedeckt werden können. Das Programm der
Marineinvestitionen sei den Delegationen und den Parlamenten bekannt, ebenso
die Bedingungen. Es würde kolossale Aufregung hervorrufen, wenn bekannt
würde, daß soviele Millionen ohne Genehmigung verausgabt wurden. Ungarn sei
nicht in der Lage, diese Beträge gegenwärtig beizustellen. Sie könnten erst ge¬
zahlt werden, wenn sie nach den Vereinbarungen fällig sind, bis dahin müssen
sich die Banken und Institute gedulden.

   Nach einer längeren Diskussion, an welcher sich Dr. v. Lukäcs, der Vorsitzen¬
de und Freiherr v. Buriän beteiligen, führt letzterer detailliert aus,
was die Banken verlangen, nämlich eine Zinsen- nicht eine Kapitalsgarantie.
Denn in letzterer Beziehung können ihnen die Rückzahlungstermine bekanntge¬
geben werden. Man werde vielleicht im Jahre 1916, nach einem Vorschläge des
k. k. Finanzministers, das Passivsaldo an Zinsen, das 3,3 Millionen
betragen dürfte, unter diesem Titel als Nachtragskredit anmelden können. Der
gemeinsame Finanzminister übernimmt es, die Klarstellung in
dieser Sache durch Einvernehmen mit dem Marinekommandanten und den bei¬
den Finanzministem in die Wege zu leiten. Es obliegt ferner dem Marinekom¬
mandanten, keine neuen Verpflichtungen zu übernehmen und sich strictissime an
die Vereinbarungen zu halten. Wenn er glaube, mit den ihm zur Verfügung ste¬
henden Summen nicht das Auslangen zu finden, hätte er den Grafen Aehrenthal
in Kenntnis zu setzen, welcher eine Konferenz einbemfen würde, die Beschluß
zu fassen hätte.

   Zu den Mehrforderungen des Kriegsministers, die nunmehr behandelt werden,
stellt sich der kgl. ung. Finanzminister auf den Standpunkt, daß

Mit Schreiben v. 9. 1. 1912 teilte Auffenberg Aehrenthal mit, daß aufKosten des Heeresvor¬
anschlages der Marinevoranschlag gegenüber dem Budget des Vorjahres statt um 1,5 um 3,5
Millionen Kronen erhöht werde, HHStA., PA. I, CdM. III/17, Fasz. Voranschlag pro 1912,
Karton 626, Z. 21/1912.
<pb/>424 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

er sich in militärische Fragen nicht einmischen könne. Er möchte sich nur auf die
Bemerkung beschränken, daß - wenn sich die Mehranforderungen auf die Even¬
tualität eines Krieges mit Italien basieren - diese heutzutage keine Aktualität be¬
sitzt. Die Vereinbarungen dürfen aus politischen und aus finanziellen Gründen
nicht erschüttert werden. Ungarns Finanzen befinden sich in einer sehr schweren
Lage, die Ausgaben mehren sich in jeder Beziehung, sehr wichtigen Anforderun¬
gen könne man nicht gerecht werden. Die Gesundheitspflege, das Armenwesen
seien rückständig, die Eisenbahnen leistungsunfähig - wie man gerade jetzt den
Zeitungen entnehmen könne - die Wege nicht ausgeführt usw. Mit kolossalen
Anstrengungen und Opfern werden die für militärische Zwecke erforderlichen
Mehrauslagen, Hunderte von Millionen, aufgebracht und man höre fortwährend
den Vorwurf, solche Lasten übernommen zu haben. Es sei - wie GrafAehrenthal
gesagt - äußerst wichtig, die Wehrreform durchzuführen, bei neuen Forderungen
wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit. b(In fünf Jahren kann die Heeresverwal¬
tung ihre Forderungen stellen, in diesem Momente dürfen wir damit nicht kom¬
men.)13 Der k. k. Ministerpräsident verkennt nicht, daß an den
Vereinbarungen nicht zu rütteln sei. Die finanzielle Seite ist auch für Österreich
eine sehr schwierige. Eine Mehranforderung bedürfte der Bekräftigung durch den
berufenen Führer der auswärtigen Politik. Es handle sich daher darum, ob diese
Forderungen auch vom Standpunkte der auswärtigen Politik für unerläßlich ge¬
halten werden. Eine normale Inanspruchnahme sei aber auch dann jetzt ausge¬
schlossen, weil die Forderungen der Kriegsverwaltung einen bestimmten Cha¬
rakter tragen und auf die Situation selbst Einfluß nähmen. In Voraussetzung der
nicht bloß vom militärischen, sondern auch vom politischen Gesichtspunkte be¬
gründeten Notwendigkeit müßten die Ausgaben gegen nachträgliche Genehmi¬
gung durch die gesetzgebenden Körperschaften erfolgen. Andernfalls nehme er
den Standpunkt ein, daß es sich zwar um sehr dringende, sehr notwendige Dinge
handle, deren Erwägung aber erst nach fünf Jahren möglich sei, wo man neuer¬
dings über die Ausgestaltung der Armee usw. verhandeln könne.

    Der Kriegsminister erwidert, daß, wenn er auch die nachgesuchte
Ermächtigung erhielte und selbst bei schleunigster Bestellung mindestens ein
Jahr verginge, bevor letztere effektuiert werden könnte. Zieht man die Sache aber
noch hinaus, dann könnte der Moment eintreten, wo es zu spät sei. Als Soldat
treibe er keine Politik, doch könne er die Augen nicht verschließen und über die
Truppenmassierung in Oberitalien und den pathologischen Zustand des italieni¬
schen Volkes nicht so einfach hinausgehen. Er erbitte sich daher nochmals die
prinzipielle Zustimmung, die Bestellungen machen zu dürfen, die Zahlung bezie¬
hungsweise die budgetmäßige Deckung könne ja später erfolgen.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident möchte sich in gewisser Be¬
ziehung den Ausführungen seines österreichischen Kollegen anschließen. Man
könne nicht ein halbes Jahr nach abgeschlossenem Faktum mit neuen Forderun-

 b-b Klammem wurden eingefügt.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  425

gen kommen. Nach seiner Ansicht habe sich nichts Überraschendes ereignet. Das,
was in Italien vorgeht, geschieht seit Jahren und es kam doch zu keinem Kriege
und, wenn diese Dinge dort auch fortgesetzt werden, wird es doch zu keinem Krie¬
ge kommen. Man müsse alles vermeiden, das den Glauben erwecken könnte, daß
wir den Krieg wünschen. Wenn es aber wirklich unerläßlich wäre, diesen Neuan¬
forderungen nachzukommen, dann müßte man damit offen hervortreten, denn ver¬
bergen lasse sich so etwas nicht. Er glaube aber, daß gerade im jetzigen Momente,
wo derartige Erscheinungen zutage treten, wie er sie vorhin angedeutet, alles zu
vermeiden sei, was dahin ausgelegt werden könnte, als ob wir den Krieg mit Itali¬
en haben wollten. Er müsse sich auf das entschiedenste dagegen aussprechen, daß
man eine Ermächtigung erteile und die Bedeckung erst später suche. Man muß
sich nach der Decke strecken und fest an den vereinbarten Beschlüssen halten.

   Der Vorsitzende hebt hervor, daß zu den außerordentlichen Vorschlä¬
gen des Kriegsministers beide Ministerpräsidenten und der ungarische Finanzmi¬
nister das Wort ergriffen und ihren Standpunkt sehr klar zum Ausdrucke gebracht
haben, der im ganzen und großen ablehnend sei. Beide Regierungen würden
selbstverständlich mit der Bewilligung nicht zögern, wenn der verantwortliche
Leiter der auswärtigen Politik einen Krieg für imminent hielte. Seine Pflicht sei
es daher, zu dieser Frage in präziser Weise Stellung zu nehmen. Indem er dies tue,
müsse er - übereinstimmend mit Graf Khuen - erklären, daß er keinen Grund
sehe, weshalb die Kriegsgefahr jetzt größer sein sollte, wie vor einem Jahre. Der
Redner kommt auf sein heutiges Expose zurück, wo er auf das Allianzverhältnis
mit Italien und darauf hingewiesen habe, daß wir aus verschiedenen Gründen,
namentlich um nicht das Spiel der Westmächte zu begünstigen, von unserem
Standpunkte einer freundschaftlichen Neutralität nicht abweichen wollen. Wenn
die Monarchie auch kein besonderes Vertrauen zu ihrem italienischen Bundesge¬
nossen haben könne und dieses Verhältnis nicht so intim werden würde, wie das¬
jenige, was uns mit dem Deutschen Reiche verbindet, so fehlt doch andererseits
ein unmittelbarer Anlaß zu einem offenen Mißtrauen. Der Minister des Äußern
müsse deshalb an dem Wunsche festhalten, tunlichst alles zu vermeiden, was
geeignet wäre, in Italien den Glauben hervorzurufen, als ob wir von Italien eine
verräterische Aktion zu gewärtigen hätten. Wenn man mm, wie gesagt, bei den
Beratungen über das fünijährige Kriegs- und Marineetat keine Besorgnisse vor
einem Kriege hatte, weshalb sollte man sie jetzt hegen, wo Italien mit drei Korps
in Tripolis engagiert sei! Selbst bei einem stark entwickelten Pessimismus könne
die Eventualität eines Krieges mit Italien nur für den Fall angenommen werden,
daß sich im nächsten Jahre Komplikationen auf dem Balkan ergeben und wir
nebst Italien dort eine Politik verfolgen sollten, die mit unseren bisherigen Prin¬
zipien nicht vereinbar wäre. GrafAehrenthal glaubt also nicht an die Gefahr einer
baldigen Komplikation, aber wenn es auch dazu komme, wäre es zur Ausführung
der Pläne des Kriegsministers zu spät, weil ein solcher Krieg dann aller Wahr¬
scheinlichkeit nach schon im Laufe des nächsten Jahres zum Austragen käme. Ist
die Tripolisaffaire vorüber, müßten wir unsere Aufmerksamkeit mehr denn je den
<pb/>426 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

deutsch-englischen Beziehungen zuwenden und beobachten, was in der Nordsee
vorgeht. Kommt es dort wirklich zu einem Bruche, wird sich die Frage ergeben,
ob ein casus foederis vorliegt, ob wir verpflichtet sind, an der Seite Deutschlands
zu kämpfen und letzteres gegen Rußland zu schützen. In einem solchen Falle
würden uns die Festungen und Mörser im Süden nichts nützen. Sollte sich die
Situation bezüglich Italiens verschlechtern, werde es selbstverständlich seine
Pflicht sein, Sr. Majestät Meldung zu erstatten und die beiden Regierungen zu
informieren. Bei richtiger Führung der auswärtigen Politik und ohne überflüssi¬
ges zur Schau getragenes Mißtrauen Italien gegenüber können wir mit letzterem
leidlich auskommen. Italien als einwandfreien Freund zu betrachten, gehe wohl
nicht an, aber es sei im Interesse der Monarchie gelegen, diesen Staat bis auf
weiteres als Bundesgenossen an der Seite zu behalten.

   Der Kriegsminister nimmt zur Kenntnis, daß die Sache eine res ju-
dicata sei. Er wolle sich daher darauf beschränken zu wiederholen, daß, wenn
doch irgendwelche Komplikationen einträten, die Beschaffungen nicht in kurzer
Zeit vor sich gehen können. Unsere brave Artillerie werde hoffentlich durch ihre
außerordentliche Pflichterfüllung und innere Tüchtigkeit teilweise das ersetzen
können, was an materiellen Mitteln abgängig bleibe. Bezüglich der Flugtechnik
müsse aber unbedingt etwas geschehen. Es sind auf diesem Gebiete seit den Ver¬
einbarungen neue Verhältnisse geschaffen, alle Staaten treffen diesbezüglich gro¬
ße Vorbereitungen ohne spezielle Kriegsidee. GdI. v. Auffenberg bespricht die
bezüglichen Steigerungen in den fremden Budgets, denen gegenüber unsere Po¬
sitionen geradezu verschwindende sind.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident gibt zu, daß hier nicht alle
Argumente zutreffen, wie bei den anderen Forderungen, namentlich seien auch
die Summen nicht so bedeutende; immerhin könne man auch in diesem Belange
von der Marschroute nicht abweichen. Vielleicht könnte sich da ein Ausweg fin¬
den, indem die Sache in den Delegationen besprochen werde, was den Regieran¬
gen erleichtern würde, zur Frage Stellung zu nehmen. Die Sache sei durch ihre
Neuheit und das allgemeine Interesse, das man ihr entgegenbringe, populär und
da werde man am ehesten etwas erreichen.

   Der k. k. Finanzminister begrüßt diese Idee und betont den gu¬
ten Eindruck, den es machen würde, wenn der Kriegsminister die Sache gelegent¬
lich in den Delegationen bespräche und erklärte, daß er trotz Anerkennung der
Notwendigkeit hinsichtlich der Beschaffung von Flugmaschinen u. dgl. nichts in
den Voranschlag einstellte, weil er sich unter allen Umständen an die Vereinba¬
rungen halten wollte. Wahrscheinlich werde man sogar dieses Vorgehen wenn
auch in wohlwollendster Weise kritisieren und von selbst die Handhabe zu einer
solchen Mehrausgabe bieten.

   Der k. k. Ministerpräsident gibt seiner Meinung dahin Aus¬
druck, daß Graf Khuen entschieden den richtigen Weg gewiesen. Er konnte die
Herren mit Namen nennen, die eine bezügliche Resolution beantragen werden.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  427

Der Kriegsminister werde auf diese Weise die nötigen Beträge erhalten, nur pro
1912 dürfen sie noch nicht eingestellt werden.

   Bevor nun zur Beschlußfassung über die übrigen Voranschläge geschritten
wird, erbittet sich der kgl. ung. Ministerpräsident das Wort. Er
müsse, sagt er eingangs seiner Rede, so ungeme er es tue, eine Frage aufwerfen,
die im Zusammenhänge mit den Erscheinungen der letzten Woche stehe, einer¬
seits weil sich die Presse derselben bemächtigt habe, andererseits aber deshalb,
weil sie nicht nur keinen fördernden Einfluß auf das harmonische Zusammenwir¬
ken der drei Regierungen ausübe, sondern bedauerlicherweise das gerade Gegen¬
teil hervorrufe. Er wolle ganz offen sprechen. Im Kriegsministerium sei ein Preß-
bureau errichtet worden,14 dessen Enunziationen nicht sehr glücklich sind und in
Ungarn höchst nachteilig auf die öffentliche Meinung wirken, wo doch gerade
alles geschehen sollte, um die Störung der Harmonie zu vermeiden. So könne
man nicht regieren. Die Position aller Regierungen werde durch ein derartiges
Vorgehen erschüttert, eine Konsequenz von der die Leute keine Ahnung haben.
Die Errichtung eines separaten Preßbureaus im Kriegsministerium sei nicht vor¬
teilhaft und auch nicht notwendig. Begreiflich sei es, daß jedes Ministerium ein
Interesse habe, von den Publikationen der Presse Kenntnis zu erhalten, eventuell
selbst Informationen zu erteilen. Dazu genüge aber ein Preßbureau, im vorliegen¬
den Falle jenes des Ministeriums des Äußern, das wohlorganisiert sei und aus
Fachleuten bestünde, die wissen, wie man sich mit den Journalisten zu stellen
habe. Durch dieses müsse der Kontakt des Kriegsministeriums mit der Presse
erfolgen. Er gestehe ganz aufrichtig, daß er ein zweites Preßbureau d. h. ein eige¬
nes eines Ministeriums außer dem seinigen nicht dulden würde. Solange ein sol¬
ches besteht, wird man immer Gefahr laufen, daß derartige Konsequenzen her¬
vorgerufen werden. Es wäre daher sehr wünschenswert, daß die Ursache dieser
bösen Erscheinung baldigst wieder verschwinde. Das Communique über den
Rücktritt des Chefs des Generalstabes15 habe die ungarische Presse so völlig au¬
ßer Rand und Band gebracht, daß sie nicht zu bändigen war und ist. Die ganze
Sache wäre ohne diese Enunziation sehr ruhig verlaufen. Natürlich setze er vor¬
aus, daß diese Verlautbarungen tatsächlich von diesem Preßbureau stammen, wie
es in der Presse behauptet und nicht dementiert wurde.

   Die Harmonie zwischen den Regierungen und den Ministem ist unbedingt nö¬
tig, denn sonst ließe sich nicht regieren, wie er bereits ausgefiihrt habe.

Ende Oktober 1911 wurde die Gruppe für Preßangelegenheiten durch die Errichtung einer
Literarischen Gruppe zum Preßbureau erweitert. Siehe dazu das Schreiben Krobatins an
die Preßgruppe v. 30. 10. 1911, mit dem diese über die Zuweisung von Räumlichkeiten
für die Literarische Gruppe informiert wurde, KA., KM., Präs., Preßgruppe, Karton 2720,
399/PG./1911. Siehe auch Auffenberg, Österreichs Höhe und Niedergang 163.
Es handelte sich vermutlich um das Kommunique der Militärkanzlei Franz Ferdinands, für
das aber Auffenberg zur Schonung des Thronfolgers die Verantwortung übernahm, Auffen¬
berg, Österreichs Höhe und Niedergang 172. Zu den Auswirkungen des Kommuniques in den
ungarischen Zeitungen siehe Ka., KM., Präs., Preßgruppe, Karton 2720, 448/I/PG./1911.
<pb/>428 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

   Der Kriegsminister erwidert hierauf, daß sein Preßbureau eigentlich
ein literarisches Bureau sei. Zu einem Preßbureau gehöre ein Preßfonds, den habe
wohl das Ministerium des Äußern, er aber nicht. Daß sein Bureau Politik mache,
sei ausgeschlossen. Es habe zwei Aufgaben, erstens die Tagesereignisse zu regi¬
strieren, so weit sie die in den Blättern enthaltenen militärischen Dinge betreffen
und zweitens Verlautbarungen innerhalb der Armee vorzunehmen, um gewisse
Erläuterungen zu geben. Mehr zu tun, sei es gar nicht in der Lage. Er gebe zu, daß
das erste Communique, welches vollkommen harmlos gewesen sei, von ihm be¬
einflußt wurde, weil die plötzliche Zurückstellung des Chefs des Generalstabes in
der Armee den peinlichsten Eindruck hervorrief. Er wollte nur kalmierend wir¬
ken, sonst aber keinen Einfluß nehmen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident entgegnet hierauf, er be¬
greife wohl, daß man die Erscheinungen in der Presse verfolgen und gewisse
Aufklärungen geben müsse, aber man dürfe keine Kritik üben. Daß die erwähn¬
ten Emanationen nicht sehr glücklich waren, beweise der Umschwung in der
Presse. Eine Diskussion sei angegangen und werde nicht aufhören, weil diese
Frage große Beunruhigung hervorgerufen. Es hätte sich kein Mensch den Kopf
darüber zerbrochen und jeder hätte es begreiflich gefunden, daß Baron Conrad
sich jetzt ein anderes Feld der Tätigkeit suche. So aber stehen wir vor langatmi¬
gen Auseinandersetzungen über die von ihm vertretenen Ansichten, derentwegen
er zurücktrat, was wirklich sehr unangenehm sei. Der Vorsitzende be¬
spricht die Stellungnahme des Grafen Khuen in der Frage der jüngsten Preßenun-
ziationen, für die er ihm überaus dankbar sei und welcher er unbedingt beipflich¬
te. Er sei gleichfalls der Meinung, daß das ein unmöglicher Zustand ist, wenn von
einem gemeinsamen Minister ein Communique ohne Wissen der anderen Mini¬
ster, speziell ohne jenes des Ministers des kaiserlichen und königlichen Hauses
und des Äußern lanciert werde.

    Sofort wie er gehört habe, daß Se. Majestät den Baron Conrad seiner Stelle
enthoben habe, besprach er die Sache mit beiden Regierungen wegen eventueller
Erlassung einer orientierenden Verlautbarung, es sei aber zu spät gewesen. Das
erste, was er von seinem Kollegen dem Kriegsminister erwartete und erwarten
mußte, war, daß er sich an ihn wende. Das ist aber nicht geschehen. Er wäre ihm
selbstverständlich in konziliantester Weise entgegengekommen.

   Er wäre nicht in der Lage, an der Spitze der kaiserlichen und königlichen Re¬
gierung zu bleiben, wenn es weiter möglich sein sollte, daß Communiques eines
gemeinsamen Ministers ohne seine vorherige Zustimmung erscheinen. In dieser
Beziehung verweise er auf das harmonische Zusammengehen der kaiserlichen
und königlichen Regierung mit den beiden Regierungen, das in solchem Belange
geradezu selbstverständlich sei.

    Er werde sich bezüglich des weiteren Vorgehens mit dem Kriegsminister ins
Benehmen setzen, möchte aber noch bemerken, daß es entschieden besser wäre,
wenn die militärischen Kreise weniger mit der Feder tätig sind.0

         Randbemeskung Franz Josephs sehr wahr.
<pb/>Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911  429

   Der Kriegsminister führt aus, daß er um 11 Uhr vormittags von der
Enthebung verständigt wurde mit der Weisung, die Sache in keiner Weise zu er¬
wähnen, weil Se. Majestät wünsche, daß dieselbe noch ein bis zwei Tage hinaus¬
gezogen werde. Er habe tatsächlich mit niemanden, nicht einmal mit seinem Prä¬
sidialchef davon gesprochen. Zu seinem Erstaunen brachten schon die nächsten
Morgenblätter die Sache. Da habe er es für notwendig erachtet, wegen der Stim¬
mung in der Armee eine Mitteilung an die Presse gelangen zu lassen. Er werde
sich übrigens dem geäußerten Wunsche akkommodieren und möchte nur hinzufu¬
gen, daß, was sonst noch in den Zeitungen stand, nicht von ihm oder seinem Preß-
bureau stamme. Es wurde auch das Ausgeben eines Dementis eingehend erwogen,
jedoch aus dem Grunde unterlassen, weil er der vermutlich richtigen Anschauung
wäre, daß jegliche weitere Enunziation, die teilweise fingierte Erregung der Presse
steigern würde, da schließlich das korrekteste Dementi noch immer Gelegenheit
zu Nörgeleien geben kann, für denjenigen, der solche hervorrufen will.

   Der Kriegsminister bezieht sich auf verschiedene Artikel, die angeblich von
einem hohen General herrühren, bedauert, daß er als kriegslustig bezeichnet wer¬
de, wo er doch behaupte, daß wir nicht kriegsbereit seien. Allen diesen Artikeln
stehe er fremd gegenüber.

   Der Vorsitzende und Graf Khuen bemängeln nochmals, daß
kein Dementi darüber erfolgte, daß die weiteren Verlautbarungen aus dem Kriegs¬
ministerium stammen, wobei ersterer [Aehrenthal] wiederholt als einziges Mittel
zur Verhütung derartiger Vorkommnisse das Einvernehmen bezeichnet, das ein
gemeinsamer Minister mit den anderen beziehungsweise mit dem Minister des
Äußern pflegen muß, während letzterer [Khuen-Hederväry] betont, daß, wie er
schon erwähnt habe, ein Preßbureau aus Fachleuten bestehen müsse, welche die
Art und Weise der Behandlung solcher Dinge verstehen, was man von Offizieren
nicht verlangen könne. Daher sei das Preßbureau des Kriegsministeriums über¬
flüssig, jenes des Ministeriums des Äußern genüge. Man sei, wenn man sich in
solchen Dingen nicht auskenne, ä la merci von Leuten, die uns allen zusammen
nicht Wohlwollen. Er danke dem Kriegsminister für seine Aufklärung. Wenn ein
Mißverständnis vorlag, lag es darin, daß kein Dementi erfolgte über Publikatio¬
nen, die als vom Kriegsministerium ausgehend bezeichnet wurden und Differen¬
zen zwischen zwei gemeinsamen Ministem an die große Glocke brachten.16

   Es wird hierauf das Budget des Ministeriums des Äußern samt den Nachtrags¬
krediten angenommen, wobei - über Wunsch des kgl. ung. Finanzministers -
Graf Aehrenthal die Versicherung abgibt, daß Nachtragskredite nur
dann angesprochen werden, wenn die bezüglichen Ausgaben nicht vorauszuse¬
hen sind. Alle anderen Posten würden, so wie dies schon bisher geübt, im Voran¬
schläge erscheinen.

   Der Vorsitzende ersucht mm, ihm den Bedeckungsmodus für die zum Ankäufe
des Missionspalais in Bukarest benötigte Summe, zu deren Beausgabung er schon

16 Siehe dazu den Immediatvortrag Aehrenthals v. 20.12.1911, HHSxA., PA. I, CdM. XI/60, Z.
       550/1911.
<pb/> 430 Nr. 26 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 12. 1911

in der Konferenz vom 20. November 191017 ermächtigt wurde, bekanntzugeben. Es
wird beschlossen, die Bedeckungsffage im schriftlichen Wege zwischen dem Mini¬
sterium des Äußern und beiden Finanzministerien zum Abschlüsse zu bringen.

    Es erfolgt nunmehr die Annahme der Budgets des gemeinsamen Finanzmini¬
steriums und des gemeinsamen Obersten Rechnungshofes.

    Der Vorsitzende wird ermächtigt, Sr. Majestät über den Verlauf der Konferenz
Bericht zu erstatten und rechtzeitig den 28. Dezember als Tag der Einberufung
der Delegationen an Ah. Stelle in Antrag zu bringen. Den Delegationen wird ein
viermonatliches Budgetprovisorium, nicht aber die Vorlagen übermittelt werden.
Für die Vorsession im Dezember sind zwei bis drei Tage in Aussicht genommen.
Da der Empfang der Delegationen kein staatsrechtlicher Akt sei, sondern nur ei¬
nen Huldigungsakt darstelle, kann derselbe auch zu Beginn der ordentlichen Ses¬
sion stattfinden. Der Frage des Zeitpunktes dieser letzteren wird im Jänner näher¬
getreten werden. Der Vorsitzende bezeichnet es als wünschenswert, daß
gegenwärtig mitten in so aufgeregter Zeit die schwierigen politischen Fragen
nicht oder wenigstens nicht ausführlich berührt werden.

   Der k. k. Ministerpräsident regt noch an, daß bei dem Umstan¬
de, als das österreichische Parlament die Auffassung des neuen Kriegsministers
nicht kenne, dieser in den Delegationen seinen Standpunkt zum Wehrgesetze im
Interesse der glatten Votierung desselben zum Ausdrucke bringe, was G d I.
von Auffenberg mit dem Hinweise auf seine in dieser Sitzung schon
abgegebene Erklärung, wie dringlich er die Erledigung der in den Parlamenten
eingebrachten Wehrvorlagen halte, zusagt.18

   Nach Annahme des über die Konferenz zu publizierenden Communiques wird
die Sitzung um !4 4 Uhr geschlossen.

                                                                                           Aehrenthal

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 7. Jänner 1912. Franz Joseph.

17 GMCPZ. 483.
18 Über Vortrag Aehrenthals v. 8. 12. 1911 wurden mit den Handschreiben v. 10. 12. 1911 an

        Aehrenthal, Khuen-Hederväry und Stürgkh die Delegationenfür den 28. 12. 1911 nach Wien
        einberufen, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 3517/1911. Mit Vortrag des gemeinsamen Ministe¬
        riums v. 15. 12. 1911 wurde die Einbringung des gemeinsamen Budgetprovisoriumsfür die
        ersten drei Monate des Jahres 1912 in die Delegationen erbeten, resolviert mit Ah. E. v. 18.
        12. 1911, ebd. 3583/1911. Nach der Annahme des Budgetprovisoriums durch die Delegatio¬
        nen wurde dieser über Vortrag Aehrenthals v. 30. 12. 1911 mit Ah. E. v. 30. 12. 1911 sanktio¬
        niert, ebd. 3692!\9\\. Auf Vortrag des gemeinsamen Ministeriums v. 27. 2. 1912 wurde mit
       Ah. E. v. 10. 3. 1912 sowohl das gemeinsame Budgetprovisoriumfür die Zeit v. 1. 4. bis 31.
        10.1912, als auch der Voranschlagfür das Jahr 1912 resolviert, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ.
        539/1912.Der Voranschlag des gemeinsamen Ministeriumsfür die Delegation des Reichsra¬
        tes in Ka., MKSM., Karton 1086, Fasz. Voranschlag pro 1912. Fortsetzung über das Budget
       für 1912 in GMR. v. 14. 4. 1912, GMKPZ. 492.
<pb/>