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Gemeinsamer Ministerrat, 13. 6. 1911

I. Einigung über den Text des Entwurfes eines neuen Wehrgesetzes für Bosnien und die Herzegowina

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z23.pdf.

Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 6. 1911              391

tenden Charakter auf, dem wir auch bei Ergreifung außerordentlicher militäri¬
scher Maßnahmen Rechnung tragen müssen. Wenn wir nunmehr einen neuen
Rüstungskredit anfordem würden, würde man uns aggressive Absichten zuschrei¬
ben, was dem von Sr. Majestät hinsichtlich der Führung der äußeren Politik der
Monarchie erhaltenem Aufträge diametral entgegengesetzt wäre. Überdies wür¬
den wir durch die rasch aufeinander folgende Einstellung solcher Summen unse¬
re Nachbarn noch zur Steigerung ihrer Rüstungen ermuntern. Auch möchte er
noch hervorheben, daß aus den lichtvollen Darstellungen des Herrn Chefs des
Generalstabes zu entnehmen sei, daß bereits heute eine wesentliche Steigerung
unserer Kriegsbereitschaft konstatiert werden könne, daß aber die Kriegsverwal¬
tung sich darauf beschränkt habe, dasjenige zu beanspruchen, was sie für das
dringendste und notwendigste gehalten habe. Übrigens stehe es der Heeresleitung
frei, dort, wo dies erforderlich erscheine, ein Virement eintreten zu lassen. Zum
Schlüsse wolle er dem k. u. k. Chef des Generalstabes im Namen aller Anwesen¬
den den Dank für seine so eingehenden und interessanten Darlegungen ausspre¬
chen. Die Teilnehmer an der heutigen Beratung seien überzeugt, daß Seine Exzel¬
lenz es für seine Pflicht gehalten hat, die maßgebenden Faktoren auf jene
Erfordernisse aufmerksam zu machen, welche nach seinem Dafürhalten unum¬
gänglich notwendig sind, doch seien den Regierungen, wie erwähnt, durch die
finanzielle Leistungsfähigkeit unüberschreitbare Grenzen gezogen.

   Der k. u. k. Chef des Generalstabes bemerkt noch, daß
der Unterschied seiner Stellung gegenüber jener der anderen maßgebenden Fak¬
toren darin bestehe, daß ihn die volle Verantwortung bei Ausbruch eines Krieges
treffe, während jetzt die Forderungen des Friedens im Vordergründe stehen. Seine
Anforderungen besäßen nicht die gleiche Aktualität, wodurch er sich in der Nach¬
hand befinde. Trotzdem sei es seine Pflicht, sich stets die Eventualitäten des Krie¬
ges vor Augen zu halten und alles geltend zu machen, was für diese in Betracht
komme.

   Der Vorsitzende erklärt nunmehr die Sitzung für geschlossen.

                                                               Aehrenthal

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Bad Ischl am 24. August 1911. Franz Joseph.

         Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. Juni 1911

   RS. (und RK.)
   Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. gemeinsa¬
me Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich.
   Protokollführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
   Gegenstand: Einigung über den Text des Entwurfes eines neuen Wehrgesetzes für Bosnien und
die Herzegowina.
<pb/>392 Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 6. 1911

   KZ. 41-GMKPZ. 487
   Protokoll des zu Wien am 13. Juni 1911 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬
sters des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Beratung mit der Konstatierung, daß die
Referentenbesprechungen eine volle Übereinstimmung bezüglich des Entwurfes
eines Wehrgesetzes für Bosnien und die Herzegowina ergeben haben und daß nur
eine Frage, betreffend den Wortlaut der diesem Gesetze etwa anzufiügenden Voll¬
zugsklausel offen geblieben sei.1 Er habe sich diesbezüglich dem Standpunkte
des Herrn Kriegsministers angeschlossen, welcher nunmehr folgende Fassung
für die in Rede stehende Vollzugsklausel in Vorschlag gebracht habe:2

   ,,Mit dem Vollzüge dieses Gesetzes wird Mein Kriegsminister betraut, der die
zur Durchführung dieses Gesetzes notwendigen Verfügungen im Einverständnis
mit den übrigen gemeinsamen Ministem im Wege des mit der Leitung der bos-
nisch-herzegowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Ministers treffen
wird.&quot; Der Vorsitzende erklärt nunmehr diesen Vorschlag als zur Diskussion ste¬
hend und ersucht den gemeinsamen Finanzminister, seine Ansicht über denselben
darzulegen.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister erklärt, diesen
Vorschlag nicht akzeptieren zu können. Er verliest die vom k. u. k. gemeinsamen
Kriegsminister zur Begründung der vorliegenden Formulierung in einer Note zu¬
sammengefaßten Motive und weist zunächst daraufhin, daß im Sinne des § 1 der
bosnisch-herzegowinischen Landesverfassung, welcher in seinen Augen keiner¬
lei Restriktion unterliege, zweifellos die Landesregierung in Sarajewo zur Voll¬
ziehung und Handhabung dieses Gesetzes bemfen sei. Es sei höchst mißlich, in
den annektierten Ländern die Empfindung zu erwecken, daß eine Bestimmung
des Landesstatuts restringiert worden sei. Auch sei es sehr die Frage, ob die Re¬
gierungen der beiden Staaten der Monarchie sich mit diesem Vorgänge einver¬
standen erklären würden.

   Nach Besprechung einiger weiterer vom Kriegsminister erhobenen Einwände
erklärt Baron Buriän, er halte an den im Laufe der bisherigen Verhandlungen
gestellten Vermittlungsanträgen fest und proponiere eine Fassung, in welcher
nicht ein Wort vorkomme, das nicht schon in den Vermittlungsanträgen des
Kriegsministeriums enthalten gewesen wäre. Speziell greife er auf den Antrag

        Zur Referentenbesprechung v. 23., 24. und 26. 5. 1911 siehe den Amtsbericht des Vertreters
        der Ministeriums des Äußern v. 27. 5.1911, HHSxA., PA. XL, Liasse LIX, Karton 245, Fasz.
        Bosnisch-herzegow. Wehrgesetz, Z. 31522/1911.
        Diese Vollzugsklausel, die in den verschiedenen Auflagen des Wehrgesetzentwurfes nicht vor¬
        kommt, teilte Schönaich mit Schreiben an Aehrenthal v. 2. 6. 1911 mit, FHStA., PA. XL,
        Liasse LIX, Karton 245, Fasz. Bosnisch-herzegow. Wehrgesetz, Z. 35051/1911.
<pb/>Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 6. 1911  393

des Kriegsministeriums von 11. Mai 1911 zurück, nur habe er die beiden Alineas
desselben umgestellt.3 Die Fassung laute:

   ,,Die Vollziehung und Handhabung dieses Gesetzes obliegt der Landesregie-
rung in Sarajewo.

   Der Kriegsminister übt seine auf den Vollzug und auf die Durchführung dieses
Gesetzes notwendige Einflußnahme im Wege des mit der Leitung der bosnisch-
herzegowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Ministers und im Einver¬
nehmen mit demselben aus.&quot;

   Für das zweite Alinea dieser Fassung stelle er der Konferenz anheim, falls sie
es vorziehen sollte, eventuell folgende Formulierung zu akzeptieren:

   ,,Der Kriegsminister trifft seine auf den Vollzug und auf die Durchführung
dieses Gesetzes bezüglichen Verfügungen im Einvernehmen mit dem mit der Lei¬
tung der bosnisch-herzegowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Mini¬
ster und durch Vermittlung desselben.&quot;

   Die beiden Varianten weisen nur den Unterschied auf, daß in der zweiten die
Ingerenz des Kriegsministers statt mit dem Ausdrucke ,,Einflußnahme&quot; mit dem
Ausdrucke ,,Verfügungen&quot; bezeichnet sei, wogegen er schließlich auch nichts
einzuwenden habe. Er empfiehlt seinen Antrag zur Erwägung, damit 1. der § 1
des bosnisch-herzegowinischen Landesstatuts respektiert werde, 2. damit kein
unnötiger Eingriff in die bosnisch-herzegowinische Verwaltung erfolge und 3.
damit die bisher klaglose Tätigkeit dieser Verwaltung auf militärischem Gebiete
nicht erschwert werde. Er bittet, von der am Beginne der Beratung zur Diskussi¬
on gestellten Formulierung abzusehen.

   Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister ist der Ansicht,
daß in diesem Falle das Kriegsministerium die Stelle des Landesverteidigungs¬
ministeriums vertritt, weshalb ersteres mit dem Vollzüge des Gesetzes betraut
werden könne.

   Nach einer längeren Darlegung seiner Auffassung über das Verhältnis der ge¬
meinsamen Ministerien zueinander erklärt Baron Buriän, er spreche
sich, falls keine Übereinstimmung erzielt werden könne, für die gänzliche Weg¬
lassung der Vollzugsklausel aus.

   An letztere Erklärung des gemeinsamen Finanzministers anknüpfend, schlägt
der Vorsitzende vor, auch bezüglich des vorliegenden Gesetzentwurfes
an dem bisherigen Gebrauche festzuhalten und von der Anbringung einer Voll¬
zugsklausel, welche auch in den anderen bosnisch-herzegowinischen Gesetzen
nicht enthalten sei, abzusehen. Einer besonderen Feststellung der Verantwortlich¬
keiten und einer speziellen Einigung über den Vollzug bedürfe es wohl nicht, da

Siehe hierzu das vermutlich analoge Schreiben Schönaichs anAehrenthal v. 11. 5. 1911, mit
dem Entwurf eines Wehrgesetzes für Bosnien und die Hercegovina. Die hier aufgenommene
Vollzugsklausel ist eine ähnliche, wenn auch nicht wörtlich gleiche, wie die hier vom gemein¬
samen Finanzminister vorgeschlagene, HHStA., PA. XL, Interna, Liasse LIX b: Bosnisch-
hercegov. Wehrgesetz, Karton 245, Z. 35051/1911.
<pb/>394 Ni: 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. 10. 1911

sich die bezüglichen Vorgänge in derselben Weise abspielen werden wie bisher.
Das Ministerium des Äußern erwarte aber, daß es in prinzipiellen Fragen und
Angelegenheiten von ressortmäßigem Interesse entsprechend herangezogen wer¬
den wird.

   Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister akzeptiert die¬
sen Vorschlag mit dem Bemerken, daß der Vollzug der militärischen Agenden in
Bosnien immer glatt vor sich gegangen sei und daß somit von einer neuen Verein¬
barung zwischen den beteiligten Ministerien abgesehen werden könne.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister erklärt, an sei¬
nem eben kundgegebenen Standpunkte festzuhalten, falls die beiden Regieran¬
gen auf der Anfügung einer Vollzugsklausel bestehen sollten.

   Der Vorsitzende enunziert nunmehr den Beschluß der Konferenz, daß
von der Anfügung einer Vollzugsklausel abzusehen und sohin der Gesetzentwurf
ohne eine solche an die beiden Regierungen zu leiten sei und erklärt die Beratung
für geschlossen.4

                                                                                           Aehrenthal

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Lainz, am 1. Juli 1911. Franz Joseph.

  Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. und 29. Oktober 1911

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Dr. Freiherr v. Gautsch (30.11.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Burian, der
k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. AufFenberg,1 der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der k. k.
Finanzminister Dr. Meyer, der kgl. ung. Handelsminister v. Beöthy, der Leiter des k. k. Handelsmi¬
nisteriums Dr. Mataja, der Leiter des k. k. Eisenbahnministeriums Dr. Ritter v. Röll, der Chef der
Landesregierung für Bosnien und die Herzegowina FZM. Potiorek.
    Protokollführer: Generalkonsul Freiherr v. Ferstel.
    Gegenstand: Ausgestaltung des bosnisch-herzegowinischen Bahnnetzes.

        Mit Schreiben (K.) v. 20. 6. 1912 teilte Auffenberg beiden Ministerpräsidenten den endgülti¬
        gen Text des Wehrgesetzesfür Bosnien-Herzegowina mit, Ka., KM., Präs. 26-6/15/1912. Der
        Gesetzentwurf wurde ohne Vollzugsklausel mit Vortrag Bilihskis v. 8. 8. 1912 Franz Joseph
        vorgelegt und mit Ah. E. v. 11. 8. 1912 resolviert, Ka., MKSM. 97-1/2/1912, publiziert als
        Gesetz v. 11. 8. 1912, Gesetz- und Verordnungsblatt für Bosnien und die Hercegovina Nr.
        59/1912.

        Zur Enthebung Schönaichs und der Ernennung Auffenbergs als Kriegsminister und dem Zu¬
        sammenhang zur Entlassung Conrads vom Posten des Chefs des Generalstabes siehe Brett-
        ner-Messler, Die Balkanpolitik Conrad v. Hötzendorfs 4-13 und Hetzer, Franz v. Schönaich
        177-190.
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