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Gemeinsamer Ministerrat, 5. 3. 1911

I. Darlegungen des Chefs des Generalstabes betreffend die Notwendigkeit weiterer Kredite zur Ausgestaltung der Wehrmacht

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z22.pdf.

380 Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911

   Der Vorsitzende der Kommission bemerkt hierauf, daß laut Note des kgl. ung.
Handelsministeriums vom 4. März 1. J. Z. 1953/eln. diese Angelegenheit nicht als
Gegenstand der heutigen Konferenz bezeichnet ist, worauf in eine weitere Dis¬
kussion dieser Frage nicht eingegangen wurde.

   Dieses Protokoll wurde in drei gleichlautenden Parien ausgefertigt, wovon je
1 Exemplar den Vertretern der eingangs genannten Ministerien ausgefolgt wurde.

   Geschlossen, gelesen, gefertigt.
   Horowitz m.p., Ressig m.p., Müller m.p., Wessnitzer m.p., Kalmann m.p., Karl
Schnack m.p., Agazzi m.p.

       Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. März 1911

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Freiherr v. Bienerth, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
Reichskriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Minister für Landesverteidigung FML. v.
Georgi, der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Hazai, der k. u. k. Chef des Generalstabes
GdI. Freiherr Conrad v. Hötzendorf. [Auszugsweise publiziert in: Conrad Freiherr v. Hötzendorf
Franz, Aus meiner Dienstzeit 1906-1918, Band 2: 1910-1912 134--139]
    Protokollführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
    Gegenstand: Darlegungen des Chefs des Generalstabes betreffend die Notwendigkeit weiterer
Kredite zur Ausgestaltung der Wehrmacht.

   KZ. 57 - GMKPZ. 486
   Protokoll des zu Budapest am 5. März 1911 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hau¬
ses und des Äußern Grafen Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Konferenz, indem er einleitend bemerkt,
er habe dieselbe in Entsprechung eines Allerhöchsten Auftrages einberufen, laut
welchem dem k. u. k. Chef des Generalstabes Gelegenheit zu bieten sei, seine
Anschauungen betreffend jene noch über den Rahmen der eben von den Delega¬
tionen bewilligten Kreditforderungen hinausgehenden militärischen Maßnahmen
darzulegen, welche nach seiner Auffassung für die Wehrfähigkeit der Monarchie
notwendig seien.1 Er fügt hinzu, daß die heutigen Beratungen aufAllerhöchsten

        Fortsetzung des GMR. v. 6. 1. 1911, GMKPZ. 484. Den Vortrag v. 13. 2. 1911, mit dem Con¬
        rad um die Annahme des von ihm als notwendig bezeichneten Wehrkredites oder um die
        Enthebung von seinem Posten bat, resolvierte Franz Joseph mit Ah. E. v. 15. 2. 1911, indem
        er weder dem Kredit zustimmte, noch den Rücktritt annahm. Er gabjedoch Conrad die Mög¬
        lichkeit, seine Forderungen in einem gemeinsamen Ministerrat vorzutragen, Ka., General¬
        stab, Operationsbüro, Karton 739, Gstb. Res. Nr. 510/1911. Zur Vorgeschichte dieses Mini¬
        sterrates aus Sicht Conrads siehe Conrad, Aus meiner Dienstzeit, Band 2: 1910-1912
        111-134.
<pb/>Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911  381

Wunsch auf das strengste geheimzuhalten und nach außen als Besprechung über
einzelne mit der Wehrreform im Zusammenhänge stehende Fragen zu bezeichnen
seien. Er ladet somit den k. u. k. Chef des Generalstabes ein, das Wort zu ergrei¬
fen.

  Der k. u. k. Chef des Generalstabes beginnt seine Darle¬
gungen mit den einleitenden Worten, er wisse, daß seine heutigen Ausführungen
einen Schlag ins Wasser bedeuten, da dieselben post festum kommen. Se. Maje¬
stät habe aber Allerhöchst verfugt, daß er seine Anträge vor den kompetenten
staatlichen Funktionären des näheren darzulegen habe und er komme hiemit die¬
sem Allerhöchsten Befehle nach.

  Der k. u. k. Chef des Generalstabes hebt gleich einleitend besonders hervor,
daß die jetzt bewilligten und auf 5 Jahre verteilten 200 Millionen Kronen für die
Deckung selbst der dringendsten Maßnahmen weitaus nicht hinreichen, daß viel¬
mehr der Betrag von weiteren 250 Millionen Kronen als das Minimum bezeich¬
net werden muß, um den unabweislichsten Forderungen für den Ausbau des Hee¬
res und für die Reichsbefestigung gerecht werden zu können. Er bespricht sodann
kurz die Stellung und Pflichten des Chefs des Generalstabes; dieser ist im Kriege
das erste Organ des Armeeoberkommandanten, daraus ergibt sich seine Verant¬
wortung gegenüber Sr. Majestät und dem Armeeoberkommandanten. Dem Chef
des Generalstabes obliegen die konkreten Kriegsvorbereitungen, hiebei kommt
es nicht auf die Kriegswahrscheinlichkeit, sondern nur darauf an, ob ein bestimm¬
ter Krieg möglich oder nicht möglich ist. Ist er möglich, dann muß hiefür alles
vorgesehen werden. Dies obliegt aber bei der geographischen Lage der Monar¬
chie flir mehrere Kriegsfälle und ist sehr schwer, weil je nach dem Charakter des
Kriegsschauplatzes verschiedene Verhältnisse in Betracht kommen. Es liegt auf
der Hand, daß das russische Flachland, die italienische Tiefebene mit ihren Kul¬
turen, der Karst im Südosten, das Hochgebirge Tirols verschiedene Forderungen
stellen. Bei der Bearbeitung der konkreten Kriegsvorbereitungen, also der Fra¬
gen, wo und wie die Armee versammelt wird, wie sie operativ verwendet werden
soll, wie der Verlauf der Operationen möglicherweise werden kann, kommt man
darauf, was beschafft werden muß und zwar was im Frieden schon beschafft wer¬
den muß, was während der Mobilisierung beschafft werden kann und was even¬
tuell während des Krieges noch beschafft werden könnte. Der Chef des General¬
stabes leitet aus diesen Arbeiten die Forderungen - zum Beispiel bezüglich
Munition, schwerer Artillerie, Befestigungen, Eisenbahnen, Kriegsbrückenequi¬
pagen, Gebirgs-, Sanitäts-, Trainausrüstung etc. - ab, kann aber seine Forderun¬
gen nirgends persönlich vertreten, wie etwa der Marinekommandant als Experter
im Ministerrat oder vor den Delegationen. Entweder vertraue man dem Chef des
Generalstabes oder man müsse ihn seine Anträge eingehend motivieren lassen.
Letzteres fand nicht statt, sondern wurde nunmehr nachträglich verfügt. Die Mo¬
tivierung der Anträge bedinge die Berührung operativer Fragen, also der streng¬
sten Geheimnisse.
<pb/>382 Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911

    Der Chef des Generalstabes trägt hierauf die Genesis der Lage seit dem Antritt
seiner Stellung im Herbst 1906 vor und erklärt, er werde jene Mehrforderungen
detaillieren und begründen, welche er mindestens für nötig erachtet. Er führt aus,
daß im Herbst 1906 großenteils infolge innerpolitischer Zustände, besonders der
Verhältnisse in Ungarn, die Heeresentwicklung sich in Stagnation befand, große
Rückständigkeiten aufwies und weit hinter den Nachbarstaaten zurückgeblieben
war. Um nicht gänzlich zurückzubleiben und um die schreiendsten Rückständig¬
keiten und Mängel zu beheben, mußte zu Notbehelfen geschritten werden, dies
aber auf Kosten der ohnehin unzureichenden Stände der Infanterie. Nur die k. k.
Landwehr erhielt 1908 eine Erhöhung um 4200 Rekruten, dies für Gebirgstrup-
pen und Landwehrhaubitzdivisionen.

    Die konkreten Kriegsvorbereitungsstudien für die verschiedenen möglichen
Kriegsfälle führten im Frühjahr 1908 zu Anträgen des k. u. k. Chefs des General¬
stabes für die dringendsten Forderungen des Heeres und der beiden Landwehren.2
Hiezu waren erforderlich: personell: Neuaufstellungen (Maschinengewehrabtei¬
lungen, Gebirgsartillerie etc.), aber auf Kosten der Infanterie; finanziell: ein be¬
sonderer Rüstungskredit. Unter dem Eindrücke der Annexion erfolgte die Zuwei¬
sung eines Rüstungskredites von 180 Millionen Kronen; damit wurden vom
Sommer 1908 bis zum Frühjahr 1909 die allerdringendsten Mängel gedeckt und
zwar wurden die Schnellfeuerkanonen beschleunigt ausgegeben, die Maschinen¬
gewehrabteilungen vermehrt, die dringendsten Gebirgsartillerieformationen ge¬
schaffen, die Munitions-Vorräte teilweise vermehrt, die technische Ausrüstung
teilweise vermehrt, die Gebirgsausrüstungsvorsorgen erhöht, die bedrohten fe¬
sten Plätze dringenst ausgestaltet und etwa 41 % Millionen gingen auf Bereitstel¬
lung (Kriegsstände) im Annexionsgebiete auf. Letztere militärische Maßnahme
sicherte zwar den politischen Erfolg und das Prestige, es erübrigten aber nur mehr
138 !4 Millionen Kronen (180-41 %).

   Die Realisierung obiger Maßnahmen nahm die Zeit vom Herbst 1908 bis Früh¬
jahr 1909 in Anspruch; dies war aber mm den so wenig kriegsbereiten Gegnern
vis-ä-vis möglich und kann auf eine solche Situation nie wieder gerechnet wer¬
den. Alle möglichen Gegner arbeiten seither rüstig, bei uns dagegen mußte auf
weitere Notbehelfe gegriffen werden. Zum Beispiel mußten die 4. Bataillone der
Infanterieregimenter verminderten Stand annehmen (der Antrag des Chefs des
Generalstabes, Tamboure abzuschaffen, wurde nicht angenommen).

   Ebenso rückständig wie das Heer war die Marine. Während aber der Marine¬
kommandant zur Tat schritt, erfolgte für das Heer die Feststellung des Notwendi¬
gen in drei Richtungen, 1. personell: Schaffung des neuen Wehrgesetzes, 2. be¬
züglich der Reichsbefestigung, 3. bezüglich der materiellen (technischen)

        Siehe dazu die Darstellung des Bedarfes an personellen und materiellen Mitteln für den Aus¬
        bau des Heeres und der Kriegsmarine, sowie Geldmittel für die Ausrüstung des ersteren und
        die Ausgestaltung der Reichsbefestigung Ende 1907 oder Anfang 1908, Ka., Generalstab,
        Operationsbüro, Karton 742, fol. 264-276, ohne Nummer.
<pb/>Nr 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911  383

Ausgestaltung und zwar wurden bezüglich des ersten Punktes zwei Entwürfe des
Reichskriegsministeriums vorbereitet: auf Grund des neuen Wehrgesetzes mit
zweijähriger Dienstzeit und auf Grund einer Variante mit erhöhtem Kontingent
bei dreijähriger Dienstzeit mit dem Ziele der intensiveren Entwicklung der Wehr¬
macht. Diese sollte erreicht werden durch die Standessanierung, den Ausbau der
Landwehr durch Artillerie, eine geringe Vermehrung der Festungsartillerie, eine
geringe Vermehrung der schweren Feldartillerie, eine geringe Vermehrung der
Gebirgsartillerie, die Vermehrung der Verkehrstruppen und dazu bei zweijähriger
Dienstzeit die Vermehrung der Unteroffiziere und Ausbildungsmittel.

   Die Kosten dieser Maßnahmen berechneten sich folgendermaßen: 1. personell
(auf 10 Jahre verteilt)

   a) bei 2 jähriger Dienstzeit überhaupt Bauten etc.
   fortlaufende 67, 52 %, Summe 119 3/4 rund 120
   einmalige 81 Vi, 118 !4 Summe 199 % rund 200 Millionen.
   b) bei 3 jähriger Dienstzeit überhaupt Bauten etc.
   fortlaufende 51, 39, Summe 90 Millionen
  einmalige 50 Vi, 39 Vi, Summe 90 Millionen
   2. für die Reichsbefestigung laut Minimalprogramm des Chefs des Generalsta¬
bes: 155 Millionen (auf 10 Jahre verteilt), 3. für die dringende materielle Ausge¬
staltung und dringendste Befestigungen laut Antrag des Chefs des Generalstabes
vom November 1910 an das Reichskriegsministerium und beide Landesverteidi¬
gungsministerien 260 Millionen, worunter 36 Millionen für die Reichsbefesti¬
gung und 124 Millionen für sonstige Anschaffungen; dazu kommen 4. in abseh¬
barer Zeit noch 200 Millionen für die neue Infanteriebewaffhung, die man nicht
von der Hand wird weisen können, wenn sie auch noch nicht in das ziffermäßige
Kalkül gezogen zu werden braucht.
   Die Marineforderung betrug 312 Millionen für die nächsten 5 Jahre.
   So war die Sachlage Ende November 1910, soweit sie dem Chef des General¬
stabes dienstlich bekannt war. Von dem weiteren Schicksal der Anträge wurde der
Chef des Generalstabes nicht verständigt. Dies muß hervorgehoben werden, da¬
mit man ihm nicht den Vorwurf machen könne, er habe nicht zeitgerecht seine
Stimme erhoben. Am 20. November 1910, wenige Tage vor Einlangen des Antra¬
ges 3) - (260 Millionen) - des Chefs des Generalstabes, fand ein Ministerrat statt,
welcher zum Ergebnis hatte, daß für die nächsten 5 Jahre folgende Beträge einge¬
stellt wurden: 312 Millionen einmalige Auslagen für Marine, 100 Millionen ein¬
malige Auslagen für Heer, 100 Millionen Steigerung des Ordinariums des Hee¬
res. Der Chef des Generalstabes wurde von den Beschlüssen des Ministerrates
und vom Schicksal seiner Anträge nicht verständigt. Erst am 6. Jänner 1911 er¬
hielt der Chef des Generalstabes durch einen alleruntertänigsten Vortrag des
Reichskriegsministeriums Kenntnis von den Abmachungen im Ministerrat und
<pb/>384 Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911

davon, daß das Reichskriegsministerium erst jetzt knapp vor den Delegationen
die Entscheidung über einen Rüstungskredit bei Sr. Majestät erbat, sich dabei
aber ausdrücklich gegen die Anforderung dieses Kredites aussprach.3 Da hieraus
ersichtlich war, daß mit diesen Mitteln von den drei Zielen, nämlich 1. Wehrre¬
form mit zweijähriger Dienstzeit, 2. Reichsbefestigung, 3. materielle Ausgestal¬
tung, kaum das erste Ziel erreichbar war, so legte der Chef des Generalstabes dem
Antrag des Reichskriegsministeriums eine Bemerkung bei mit der Bitte, den Aus¬
bau und Finanzplan auf den ganzen Bedarf in folgenden Ausmaße festzulegen:
100 Millionen Ordinarium für die Wehrreform, 100 Millionen Extraordinarium
für die Wehrreform, 119 Millionen für die Reichsbefestigung (155-36), 260 Mil¬
lionen für die materielle Ausgestaltung, 200 Millionen für die Infanterieneube-
waffhung, 312 Millionen für die Marine, zusammen 1091 Millionen oder rund
eine Milliarde Kronen. Trotzdem ging ein alleruntertänigster Vortrag des Reichs¬
kriegsministeriums am 27. Jänner 1911 an Se. Majestät, auf welchen mit aller¬
höchster Resolution vom 2. Februar 1. Js. entschieden wurde, daß vom Rüstungs¬
kredite abzusehen sei. Der Chef des Generalstabes erhielt hievon keine Kenntnis,
sondern las erst am 5. Februar 1. Js. in den Zeitungen, daß der Reichskriegsmini¬
ster in der Rede vom 4. Februar 1. Js. vor dem Heeresausschuß nur die Abma¬
chungen des Ministerrates darlegte, dabei aber schon die zweijährige Dienstzeit
programmatisch besprach. Es ergab sich daher folgende Situation: Die zweijähri¬
ge Dienstzeit war preisgegeben, während für die Wehrreform nur reduzierte Mit¬
tel, für die Reichsbefestigung nur minimale, ganz unzulängliche Mittel, für die
materielle Ausgestaltung minimale Mittel, zusammen etwa 47 Millionen für 5
Jahre, angefordert wurden und die Heeresverwaltung sich überdies bis 1915 den
Regierungen gegenüber gebunden hatte, keine Neuforderungen zu stellen und
keine Budgetüberschreitung eintreten zu lassen. Er habe daher am 6. Februar 1.
Js. Sr. Majestät mündlich seine schweren Bedenken vorgetragen. Am 14. Febmar
1. Js. habe er in Budapest Sr. Majestät eine diesbezügliche Denkschriftunterbreitet,4
in 1 Vi stündiger Audienz die einzelnen Posten erläutert und um Enthebung von
seinem Dienstposten gebeten. Se. Majestät schlug diese Bitte ab. Am 16. Febmar
sei die schriftliche Ah. Resolution eingetroffen, daß seiner Bitte um Enthebung
nicht willfahrt wird, ihm jedoch Gelegenheit gegeben wird, vor den bemfenen
staatlichen Faktoren seine Anträge darzulegen.

    Der Chef des Generalstabes begründet nunmehr unter Darlegung konkreter
operativer Gesichtspunkte und an der Hand von Skizzen die Notwendigkeit sei¬
ner Forderungen bezüglich der permanenten Befestigungen, der Anschaffung,
Nachschaffung und Deponierung von Munition, der Gebirgsausrüstung, der tech¬
nischen Vorsorgen, des Verkehrswesens, der Sanitätsvorsorgen, der Trainforma¬
tionen, der feldmäßigen Befestigungen und des Ausbaues des Straßen- und Weg-

         Bemerkungen Conrads v. 7.1. 1911 zum Vortrag Schönaichs v. 27.1.1911, resolviert mitAh.
         E. v. 2. 2. 1911, Ka., Generalstab, Operationsbüro, Karton 739, Gstb. Nr. 81/1911.
         Zum Vortrag Conrads v. 13. 2. 1911 siehe Anm. 1 dieses Protokolls.
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netzes und erklärt, auf Eisenbahnen, Telegraphen- und Telephonlinien nicht
weiter einzugehen, nachdem die Kosten hiefur nicht das Kriegsbudget belasten
und auch kein Eisenbahn- beziehungsweise Handelsminister anwesend sei. Er
verliest nunmehr aus einer ,,Übersicht der Forderung von 260 Millionen als Mi¬
nimum&quot; betitelten Zusammenstellung die beiläufigen Kosten der von ihm als un¬
bedingt notwendig erachteten Forderungen nach den einzelnen Titeln und stellt
die im Extraordinarium pro 1911 dafür ausgeworfenen Beträge zum Vergleich.
Nach dieser Zusammenstellung entfielen auf den Titel Infanteriemunition, Artil¬
leriemateriale, Artilleriemunition beiläufige Kosten 173 Millionen, davon im Ex¬
traordinarium 1911 3,6 Millionen, auf den Titel Gebirgsausrüstung 4,5 Millionen,
pro 1911 nichts, für den Titel technische Vorsorgen 13,8 Millionen, pro 1911
0,035 Millionen, für den Titel Verkehrswesen 13,7 Millionen, pro 1911 0,5 Mil¬
lionen, für den Titel Sanitätsvorsorgen 1,1 Millionen, pro 1911 nichts, für den
Titel Trainformationen 13 Millionen, pro 1911 0,05 Millionen, für den Titel per¬
manente Befestigungen 36,5 Millionen, pro 1911 6 Millionen, für den Titel feld¬
mäßige Befestigungen 5,3 Millionen, pro 1911 nichts, für den Titel Ausbau des
Straßen- und Wegnetzes 0,07 Millionen, pro 1911 nichts; Totalsumme 260,9 Mil¬
lionen, pro 1911 10,385 Millionen. Es fehlen daher (260,9-10,385) rund 250 Mil¬
lionen. Weiters verliest der Chef des Generalstabes, wie die Verhältnisse für die
nächsten 5 Jahre liegen. Tatsächlich seien für die nächsten 5 Jahre angefordert:
Ordinarium, fortlaufende Ausgaben

   1911 .27,3 Millionen
   1912 .20,2
   1913 .17,5
   1914 .15,5
   1915 .12

   zusammen 92,5 Millionen.
   Extraordinarium, einmalige Ausgabe
   1911 .20 Millionen
   1912 .19
   1913 .19
   1914 .19
   1915 .19

   zusammen 96 Millionen.
   Von den Ausgaben pro 1911 diene noch nichts für die Wehrreform, sondern zur
Sanierung des Budgets; auch von den einmaligen Ausgaben pro 1911 dienen nur
10,385 Millionen zur Realisierung des Antrages des Chefs des Generalstabes.
Von den übrigen (1912, 13, 14, 15) fortlaufenden Ausgaben per 65,2 Millionen
und einmaligen Ausgaben per 76 Millionen, von welchen auf 2 jährige Dienstzeit
abzuziehen sei 44,1 Millionen beziehungsweise 38,5 Millionen, bleiben somit
nur 21,1 Millionen beziehungsweise 37,5 Millionen übrig. Die 21,1 Millionen
gehen in der Praxis aufPreissteigerungen, Pensionen, Sanierung des Budgets auf,
es bleiben also für die Zwecke des Antrages des Chefs des Generalstabes und für
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die Reichsbefestigung nur 37,5 + 10,4 = 47,9 Millionen zur Verfügung. Erforder¬
lich aber sind: laut Antrag 260 (darin 36 für Reichsbefestigung) + Reichsbefesti¬
gung 119 (155-36), also 379 Millionen; daher fehlen 331 Millionen. Dazu kommt,
daß die Forderungen für die zweijährige Dienstzeit zu gering sind, indem vom
Reichskriegsministerium hiefür eingestellt sind fortlaufend 64,8 Millionen, ein¬
malig 74,9 Millionen (reduziert sind die Ausgaben für Unteroffiziere, eingestellt
fortlaufend 10,55) und für Übungsplätze (eingestellt waren nur 35 einmalig), fer¬
ner daß die Sanierungsaktion 1911 noch nicht beendet ist, so daß die 21,1 Millio¬
nen noch hiezu verwendet werden und daß auch nach 1915 die Erlangung größe¬
rer Budgetposten erschwert ist, weil diese Budgets wie folgt belastet sind: 21,7
Millionen fortlaufend, 36,4 Millionen einmalig, für zweijährige Dienstzeit. End¬
lich legt der Chef des Generalstabes dar, wie sich das Tempo einzelner wichtiger
Maßnahmen auf Grund des Budgets 1911 darstellen würde. Das Tempo einzelner
wichtiger Maßnahmen nach Budget 1911 wäre: Das Gesamterfordemis für die
Reichsbefestigung beträgt 155 Millionen, davon pro 1911 eingestellt 6 Millionen,
dies ergibt eine Verteilung auf 26 Jahre, (bis dahin wäre alles veraltet, abgesehen
von einer inzwischen eintretenden Kriegsmöglichkeit) bei den Handfeuerwaffen
(aber nur M. 1895, Klappbajonette) 35,5 Millionen beziehungsweise 0,8 Millio¬
nen, daher eine Verteilung auf 40 Jahre, also bis über 1950; für Karabiner, Muni¬
tionsvorräte 0,95 Millionen beziehungsweise 0,035 Millionen, daher eine Vertei¬
lung auf 27 Jahre; für Spreng- und Zündmittelvermehrung 0,85 Millionen
beziehungsweise 0,05 Millionen, daher eine Verteilung auf 17 Jahre. Aus obigen
Daten geht zweifellos hervor, daß mit den bewilligten Mitteln nur der allerklein¬
ste Teil der als unbedingt notwendig erachteten Forderungen realisiert werden
könne, da von den angeforderten 260 Millionen pro 1911 rund 250 Millionen
beziehungsweise von den zur Realisierung seiner Anträge erforderlichen 379
Millionen bis 1916 331 Millionen Kronen fehlen. Die gegenwärtige Lage sei also
die, daß die Kriegsmarine ihre volle Forderung bewilligt erhalten habe (bis 1915
312 Millionen) und weitere Forderungen nach 1915 angekündigt hat, was von
den Delegationen widerspruchslos akzeptiert wurde, daß beim Heer bis 1915 die
Steigerung des Ordinariums um 100 Millionen und des Extraordinariums um 100
Millionen versprochen, aber nicht bewilligt sei. Bewilligt sei bloß das Budget pro
1911 mit einem Plus von 27 Millionen im Ordinarium und 20 Millionen im Ex-
traordinarium. Diese Beträge zählen aber schon auf obige 200 Millionen, davon
aber nur 10,385 Millionen für die Materialausgestaltung, die Reichsbefestigung
und die Wehrreform. Dafür sei das Versprechen der zweijährigen Dienstzeit be¬
reits gegeben und eine Bindung bis 1915 eingegangen, nämlich, daß keine Mehr¬
forderung und keine Budgetüberschreitung eintreten werde.

   Auf die Frage, welchen Zweck seine Ausführungen, außer der Begründung der
Notwendigkeit seiner Forderungen, im nachhinein verfolgen, sei die Antwort, zu
retten, was noch zu retten ist und Wege zu finden, welche dazu einzuschlagen
wären. Solche Wege seien: Erstens die Berichtigung des offenkundigen Mißver¬
hältnisses zwischen den für Heer und Flotte gewidmeten Mitteln (200 : 312 Mil-
<pb/>Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911  387

Honen). Gewiß sei die Entwicklung der Marine, der Ausbau einer tüchtigen, star¬
ken Flotte nur zu begrüßen, sie ist auch in Friedensseiten zur Vertretung der
Monarchie im Auslande und zur Hebung und Unterstützung der Handelsinteres¬
sen gewiß sehr wichtig. Dem Ausbau der Flotte könne aber nur unter der Voraus¬
setzung zugestimmt werden, daß für die Landmacht genügend gesorgt werde.
Österreich-Ungarn sei ein kontinentaler Staat, in einem Kriege liege bei uns die
Entscheidung aufdem Lande und dort entscheiden sich demnach auch die Schick¬
sale der Monarchie. Der schönste Seesieg vermöge nicht eine Niederlage zu Land
auszugleichen. Praktisch könnte wohl nur eine Verschiebung des Marinepro¬
grammes der Zeit nach hinsichtlich eines der vier Dreadnoughts in Frage kom¬
men, da deren zwei an das Stabilimento in Triest und einer für die Danubiuswerf-
te in Fiume bereits fix vergeben seien und an der Anzahl der zu erbauenden
kleinen Einheiten (Kreuzer-, Torpedo- und Unterseeboote) wohl keine Reduktion
Tätlich erschiene. Durch diese Maßnahme würde gerade in der für die Ausgestal¬
tung der Landmacht allerdringlichsten Zeit bis zum Jahre 1915 ein Betrag von
circa 60 Millionen Kronen einmaliger Auslagen verfügbar werden, die für die
allemotwendigsten Forderungen der Landmacht einschließlich der Reichsbefe¬
stigung verwendet werden könnten. Freilich würde dieser Ausweg viele Gegner
haben.

   Der zweite Weg wäre die Zurückstellung der zweijährigen Dienstzeit unter
Beibehaltung der dreijährigen mit erhöhtem Rekrutenkontingent. Die ersparten
Mittel könnten für die materielle Ausgestaltung und Reichsbefestigung verwen¬
det werden. Dieser Ausweg sei aber höchst bedenklich, ein zweischneidiges
Schwert; er verzögere eventuell das neue Wehrgesetz. Damit blieben die elenden
Standesverhältnisse fortbestehen und die Unmöglichkeit, die dringenden Neufor¬
mationen zu bewirken (Festungsartillerie, Eisenbahnregiment, Telegraphenregi¬
ment, Gebirgsartillerie, schwere Haubitzdivisionen, Landwehrartillerie). Unter
Umständen könnte sich sogar die Gefahr ergeben, die von den Delegationen
schon in Aussicht gestellten, wenn auch unzureichenden Mittel künftig gar nicht
zu erhalten.

   Ein dritter Ausweg wäre eine Umgruppierung innerhalb der bewilligten Bud¬
gets bei Ausschaltung momentan minder dringlicher Anschaffungen und Kon-
zentrierung auf das Wichtigste.

   Der vierte wäre die Anforderung eines außerordentlichen Rüstungskredites,
welcher für die Großmachtstellung der Monarchie notwendig ist, bei offener Ein-
bekennung der Lage.

   Der fünfte wäre endlich die Schaffung eines fait accompli, wie es der Marine¬
kommandant getan hat.

   Jedenfalls wäre es unbedingt notwendig, daß jetzt schon alles für die Zeit nach
1915 vorgekehrt werde und überhaupt klargelegt werde, was man in der Zukunft
brauchen wird. Die Monarchie habe in der Regel die Bedürfnisse ihrer Wehr¬
macht immer erst nach einem verlorenen Feldzug befriedigt, so zum Beispiel erst
nach 1859 die Geschütze und nach 1866 die Gewehre angeschafft. Man sollte
<pb/>388 Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911

doch daraus lernen und einmal die Mittel, welche die Grundbedingungen des
Erfolges bilden, vorher geben.

   Der Chef des Generalstabes verliest sodann einige Stellen aus den Memoiren
Kuropatkins über dessen Amtsführung als Kriegsminister 1898-1904, um das
schlecht angebrachte Sparsystem jener Zeit in Rußland und die dortigen Verhält¬
nisse vorzufuhren. Zum Schlüsse hebt der Chef des Generalstabes hervor, daß
nach einer 25 jährigen Anwendung dieses Sparsystems es 1904 zum Kriege mit
Japan kam und dieser Krieg dann durchschnittlich 170 Millionen Kronen monat¬
lich und über 100 000 Menschenleben, die ganze Flotte und das Prestige Ru߬
lands kostete und die russische Staatsschuld seit 1904 um 5500 Millionen Kronen
wachsen ließ.

   Der Vorsitzende ersucht nunmehr die beiden Herren Ministerpräsi¬
denten, sich zu den Darlegungen des Herrn Chefs des Generalstabes äußern zu
wollen und erteilt dem k. k. Ministerpräsidenten das Wort.

   Der k. k. Ministerpräsident erklärt, als Nichtfachmann über
die Frage der militärischen Notwendigkeit des angesprochenen Kredites kein Ur¬
teil abgeben zu können, er müsse sich daher darauf beschränken, jene drei Mo¬
mente anzuführen, welche die Stellungnahme der österreichischen Regierung zu
den militärischen Forderungen bestimmt haben. Diese Momente seien die folgen¬
den gewesen: 1. die Mitteilungen des Ministers des Äußern über die äußere Lage,
2. die Äußerungen des Kriegsministers über das Ausmaß der unumgänglich not¬
wendigen Rüstungen, welche nicht aufgeschoben werden konnten und 3. das Vo¬
tum des Finanzministers in Betreff der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staa¬
tes. Nach reiflicher Erwägung dieser Momente sei man zum Schlüsse gekommen,
jene Anforderungen an die Delegationen zu stellen, welche diese nunmehr bewil¬
ligt haben. Freiherr v. Bienerth verweist sodann auf eine ihm vorliegende Zusam¬
menstellung der Beträge, welche für militärische Mehranforderungen durch die
Beschlüsse der Delegation in den Jahren 1910 und 1911 bewilligt beziehungs¬
weise im Sinne des der Delegation bekanntgegebenen Programmes für den Zeit¬
raum bis 1916 in Aussicht genommen sind; es sind dies 1100 Millionen Kronen,
wobei die Erfordernisse der beiden Landwehren nicht in Betracht gezogen sind.
Letztere werden nach dem für die Ausgestaltung der k. k. Landwehr aufgestellten
Programme, auf einen entsprechenden Zeitraum verteilt, rund 100 Millionen
Kronen betragen, eine Ziffer, die wohl auch für die kgl. ung. Landwehr in An¬
spruch genommen werden dürfte. (Der kgl. ung. Landesverteidi¬
gungsminister bemerkt hiezu, daß die Anforderungen für die kgl. ung.
Landwehr noch höhere sein dürften.) Man durfte sich daher keiner Täuschung
darüber hingeben, daß es bei aller von den Delegationen bewiesener Opferwillig¬
keit die Hauptsorge der beiden Regierungen bilden müsse, die Mittel für unsere
Kriegsbereitschaft ohne Schaden für unsere Volkswirtschaft aufzubringen. Ob es
möglich sei, einen von den vom k. u. k. Chef des Generalstabes angegebenen
Auswegen zu betreten, wolle er dahingestellt sein lassen.
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   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, er könne sich den
Ausführungen des k. k. Ministerpräsidenten nur vollkommen anschließen. Es sei¬
en Erwägungen politischer und finanzieller Natur gewesen, welche für die Stel¬
lungnahme der beiden Regierungen entscheidend gewesen seien. In politischer
Beziehung sei es wohl bekannt, welche Kämpfe die Erhöhung der Militärlasten
im letzten Dezennium in Ungarn heraufbeschworen habe und welche Schwierig¬
keiten die Kriegsrüstungen in den Parlamenten aller Staaten hervorrufen. Man
müsse jedoch eingestehen, daß die Delegationen eine weitgehende Opferwillig¬
keit an den Tag gelegt haben, indem sie so bedeutende Summen zur Verfügung
gestellt haben. Diese Bereitwilligkeit war darauf zurückzuführen, daß die berufe¬
nen Vertretungskörper in ihrem weitaus überwiegenden Teile von der Notwen¬
digkeit dieser Opfer durchdrungen waren und daß die Regierungen zu erklären in
der Lage waren, man habe sich die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung vollauf
vor Augen gehalten und biete die Garantie, daß in den nächsten fünf Jahren über
diesen Rahmen hinaus keine Forderungen werden erhoben werden. Wollte man
nun neuerdings über diesen Rahmen hinausgehen, würde die politische Situation
hiedurch vollkommen umgeworfen werden. Man würde bemerken, daß die Re¬
gierung nicht reell vorgegangen sei und es würden allenthalben die ernstesten
Zweifel auftauchen, ob die finanzielle Leistungsfähigkeit für solche Forderungen
überhaupt ausreiche. Es würde hiedurch eine solche politische Unsicherheit und
ein so tiefgehendes Mißtrauen in Ungarn erzeugt werden, daß die kgl. ung. Re¬
gierung nicht daran denken könne, eine neue Vereinbarung in dieser Richtung
einzugehen. Zudem habe die ungarische Regierung jetzt die Verabschiedung des
neuen Wehrgesetzes vor Augen; dies bilde eine Hauptaufgabe und ein so wichti¬
ges Ziel, daß dasselbe um keinen Preis gefährdet werden dürfe. Durch zehn Jahre
habe der Streit um die Erhöhung des Rekrutenkontingentes sozusagen ein ganzes
Kapitel der politischen Geschichte Ungarns ausgefullt; nun seien die Verhältnisse
endlich besser geworden, dies dürfe man nicht wieder auf&#39;s Spiel setzen. Er wol¬
le nicht in Zweifel ziehen, daß die in Rede stehenden Forderungen vom militäri¬
schen Standpunkte berechtigt seien und daß die Zeit vielleicht kommen werde,
wo wir an ihre Realisierung schreiten könnten und müßten. Im gegenwärtigen
Augenblicke stehen dem jedoch ganz spezielle Motive politischer, finanzieller
und wirtschaftlicher Natur entgegen. Denn ganz abgesehen von der Durchfüh¬
rung der Wehrreform, sei man finanziell an der Grenze der Möglichkeit angelangt
und müsse erst eine weitere Stärkung der heimischen Volkswirtschaft abwarten,
bis die finanzielle Kraft des Landes neben der noch in Aussicht stehenden Ausge¬
staltung der Landwehr weitere militärische Lasten ertragen könnte. Im jetzigen
Budget finde sich für weitere Ausgaben keine Deckung, da die zukünftige Ent¬
wicklung desselben schon für die Befriedigung der gegenwärtigen Anforderun¬
gen ausgenützt sei. Die Regierung würde demnach des Leichtsinnes geziehen
werden können, wenn sie nunmehr die Steuerkraft des Landes in einer Weise
anspannen würde, welche diese bereits im vorhinein in Anspruch genommene
zukünftige Entwicklung der Volkswirtschaft unterbinden würde. Aber auch die
<pb/>390 Nr. 22 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 5. 3. 1911

vom Herrn Chef des Generalstabes angeregten Auswege aus der gegenwärtigen
Situation seien geeignet, die schwersten Bedenken einzuflößen. Wenn die Kredi¬
te für die eben erst als unumgänglich notwendig bezeichneten Anschaffungen
anderen Zwecken zugewendet würden, würden sich die Regierungen bloß einer
berechtigten Kritik und dem Vorwurf unzureichender Überlegung aussetzen,
ohne daß hiemit das Ziel, welches Seiner Exzellenz vorschwebt, voll erreicht
würde. Es sei ganz klar, daß wir die vom k. u. k. Chef des Generalstabes ange¬
führten Forderungen nicht erst in 20 oder 40 Jahren auf Basis der Ansätze des
gegenwärtigen Budgets verwirklichen werden; es sei durchaus nicht gesagt, daß
wir diese Erfordernisse auf so lange Zeit hinausschieben wollen, doch müßten
wir uns für die Gegenwart in den Grenzen der Möglichkeit halten.

   Der Vorsitzende stellt nunmehr die Frage, ob noch jemand das Wort
zu ergreifen beabsichtige?

   Der k. u. k. Reichskriegsminister bemerkt, daß er nicht in
der Lage sei, sich an der Diskussion zu beteiligen, da er nicht als Richter in eige¬
ner Sache auftreten könne. Immerhin müsse er mit Befriedigung konstatieren,
daß der Herr k. u. k. Chef des Generalstabes im Verlaufe seiner Darlegungen
selbst zugegeben habe, daß die Schlagfertigkeit unserer Wehrmacht durch die
getroffenen Maßnahmen wesentlich erhöht worden sei.

   Der k. k. Minister für Landesverteidigung bemerkt zu
den vom k. k. Ministerpräsidenten angeführten, auf die Ausgestaltung der k. k.
Landwehr bezüglichen Ziffern, daß diese nur als approximative zu betrachten
seien.

   Der kgl. ung. Landesverteidigungsminister erklärt,
daß er sich zu keiner Bemerkung veranlaßt sehe.

   Der Vorsitzende hebt hervor, daß er als Minister des Äußern, soweit
es von ihm abhing, selbstverständlich für die Ausgestaltung der Wehrkraft einge¬
treten sei, daß er sich aber den von beiden Herren Ministerpräsidenten eben abge¬
gebenen Erklärungen nur vollinhaltlich anschließen könne. Er teile vollkommen
die Ansicht, daß die neuerliche Anforderung von 260 Millionen Kronen, nach¬
dem die Delegationen eben so namhafte Beträge für Rüstungszwecke bewilligt
haben, eine schwere innerpolitische Perturbation hervorrufen würde. Aber auch
vom Standpunkte der auswärtigen Politik würde er ein solches Vorgehen für sehr
bedenklich halten. Es sei zweifellos, daß durch die von den Delegationen votier¬
ten bedeutenden Mittel unsere Stellung in Europa gehoben und unser Ansehen
wesentlich erhöht worden sei, so daß wir nun mit größerer Sicherheit und Festig¬
keit für die von uns verfolgten friedlichen Ziele eintreten können. Die Monarchie
hege keine Aspirationen über ihren gegenwärtigen Besitz hinaus und er fasse die
von ihm im Aufträge Sr. Majestät und unter Zustimmung der beiden Ministerprä¬
sidenten geführte äußere Politik dahin auf, daß wir bei etwa eintretenden Ver¬
wicklungen nicht sofort aktiv hervorzutreten hätten, sondern die Dinge sich vor¬
erst entwickeln lassen und erst dann eingreifen sollen, wenn und wie es die
Interessen der Monarchie erheischen. Unsere Politik weise demnach einen erhal-
<pb/>Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 6. 1911              391

tenden Charakter auf, dem wir auch bei Ergreifung außerordentlicher militäri¬
scher Maßnahmen Rechnung tragen müssen. Wenn wir nunmehr einen neuen
Rüstungskredit anfordem würden, würde man uns aggressive Absichten zuschrei¬
ben, was dem von Sr. Majestät hinsichtlich der Führung der äußeren Politik der
Monarchie erhaltenem Aufträge diametral entgegengesetzt wäre. Überdies wür¬
den wir durch die rasch aufeinander folgende Einstellung solcher Summen unse¬
re Nachbarn noch zur Steigerung ihrer Rüstungen ermuntern. Auch möchte er
noch hervorheben, daß aus den lichtvollen Darstellungen des Herrn Chefs des
Generalstabes zu entnehmen sei, daß bereits heute eine wesentliche Steigerung
unserer Kriegsbereitschaft konstatiert werden könne, daß aber die Kriegsverwal¬
tung sich darauf beschränkt habe, dasjenige zu beanspruchen, was sie für das
dringendste und notwendigste gehalten habe. Übrigens stehe es der Heeresleitung
frei, dort, wo dies erforderlich erscheine, ein Virement eintreten zu lassen. Zum
Schlüsse wolle er dem k. u. k. Chef des Generalstabes im Namen aller Anwesen¬
den den Dank für seine so eingehenden und interessanten Darlegungen ausspre¬
chen. Die Teilnehmer an der heutigen Beratung seien überzeugt, daß Seine Exzel¬
lenz es für seine Pflicht gehalten hat, die maßgebenden Faktoren auf jene
Erfordernisse aufmerksam zu machen, welche nach seinem Dafürhalten unum¬
gänglich notwendig sind, doch seien den Regierungen, wie erwähnt, durch die
finanzielle Leistungsfähigkeit unüberschreitbare Grenzen gezogen.

   Der k. u. k. Chef des Generalstabes bemerkt noch, daß
der Unterschied seiner Stellung gegenüber jener der anderen maßgebenden Fak¬
toren darin bestehe, daß ihn die volle Verantwortung bei Ausbruch eines Krieges
treffe, während jetzt die Forderungen des Friedens im Vordergründe stehen. Seine
Anforderungen besäßen nicht die gleiche Aktualität, wodurch er sich in der Nach¬
hand befinde. Trotzdem sei es seine Pflicht, sich stets die Eventualitäten des Krie¬
ges vor Augen zu halten und alles geltend zu machen, was für diese in Betracht
komme.

   Der Vorsitzende erklärt nunmehr die Sitzung für geschlossen.

                                                               Aehrenthal

Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Bad Ischl am 24. August 1911. Franz Joseph.

         Nr. 23 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. Juni 1911

   RS. (und RK.)
   Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. gemeinsa¬
me Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich.
   Protokollführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
   Gegenstand: Einigung über den Text des Entwurfes eines neuen Wehrgesetzes für Bosnien und
die Herzegowina.
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