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Gemeinsamer Ministerrat, 22. 9. 1910

I. Beratung über den Termin der Eröffnung der nächsten Delegationssession, das Marineprogramm, die Wehrvorlage und die Militärjustizreform

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z17.pdf.

Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910  325

   Der gemeinsame Kriegsminister sagt, er habe eine diesbe¬
zügliche Anfrage schon bei den letzten Delegationen erwartet und seine Antwort
vorbereitet gehabt, er wurde aber nicht gefragt. Was seine Forderungen betreffe,
könne man vielleicht ein langsameres Tempo vorschlagen, man dürfe aber nicht
sagen, sie seien nicht notwendig.

   Es wird sodann beschlossen, zunächst schriftlich zu fixieren, was zu gesche¬
hen habe, dann mündliche Verhandlungen einzuleiten und in einer Ministerkon¬
ferenz etwa Ende September oder anfangs Oktober über beide Programme und
das Budget pro 1911 zu entscheiden.8

   Nachdem noch das über die heutige Sitzung hinauszugebende Kommunique
vereinbart wurde, schließt der Vorsitzende die Konferenz um halb acht Uhr.

                                                                                          Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Bad Ischl, am 12. August 1910. Franz Joseph.

     Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. September 1910

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: k. k. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung. Ministerpräsident
Graf Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. ge¬
meinsame Knegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v. Bilihski
(1. 10.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, der k. u. k. Marinekommandant und Chef des
gemeinsamen Kriegsministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli.
    Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Günther.
    Gegenstand: Beratung über den Termin der Eröffnung der nächsten Delegationssession, das
Marineprogramm, die Wehrvorlage und die Militäijustizreform.

   KZ. 17-GMCPZ. 481
   Protokoll des zu Wien am 22. September 1910 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬
sters des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen Aehrenthal.

   Der Vorsitzende, welcher die Sitzung um 10 Uhr vormittags eröffnet,
stellt zunächst an die Konferenzteilnehmer die Frage, ob sie geneigt wären, vor
Eingehen in die Beratung über die Gegenstände der heutigen Konferenz den ge¬
meinsamen Finanzminister anzuhören, welcher ,,über die bei den bosnisch-herze-

Fortsetzung des Gegenstandes wegen des gemeinsamen Budgets fiir 1910 und des Budgets
für 1911 in GMR. v. 22. 9. 1910, GMCPZ. 481.
<pb/>326 Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910

gowinischen Landesbahnen drohende passive Resistenz und die dringend gewor¬
denen Maßnahmen dagegen&quot; zu sprechen wünsche.1

   Auf Grund allgemeiner Zustimmung ergreift Freiherr v. Buriän
das Wort. Er erklärt, daß die Situation sich in einem kritischen Stadium befinde
und die Sache nicht nur für Bosnien und die Herzegowina, sondern auch für die
Monarchie von besonderem Interesse sei. Die Konsequenzen der Verkehrsstok-
kung werden auch hier fühlbar sein. Zudem würde ein unbedingtes Nachgeben
seinerseits finanzielle Folgen haben, die für die k. k. beziehungsweise kgl. ung.
Regierung insofeme Bedeutung hätten, als sie auf deren Zuschußverpflichtungen
Einfluß nehmen könnten. Die uneingeschränkte Erfüllung der aufgestellten For¬
derungen würde eine sofortige Leistung von 1,6 Millionen jährlich und in der
späteren Durchführung von vier Millionen per Jahr bedeuten, also bedeutend
mehr, als er vertreten könne, da dann eine passive Bilanz unvermeidlich sei.2

    Eine große Anzahl der Wünsche beabsichtige er zu erfüllen, und zwar solche
wesentlicher Natur wie die Einrechnung der Dienstzulagen in die Pension. Er
wäre im Begriffe gewesen, seine diesbezüglichen Beschlüsse kundzugeben.
Er habe sich persönlich bemüht - anläßlich seiner letzten Anwesenheit in Saraje¬
wo - beruhigend auf die Gemüter zu wirken, die Leute seien aber verhetzt, mit
den Eisenbahnern der Monarchie verbündet und wollten keine Vernunft anneh¬
men. Eine Versammlung von 2000 Bediensteten hätte beschlossen, einen Präklu¬
sivtermin bis 1. Oktober 1. J. zu geben und - wenn bis dahin ihre Forderungen
nicht erfüllt wären - mit der passiven Resistenz zu beginnen. Hievon seien er und
die Landesregierung in Kenntnis gesetzt worden. Seine Gegenmaßregeln müsse
er nunmehr bis zum 24. oder längstens 25. d. M. treffen. Er wolle einer azur Lan¬
desregierung vorzurufenden Abordnung der Eisenbahnangestellten mitteilen
lassen,3 was er zu erfüllen in der Lage sei, wodurch vielleicht die Vernünftigeren
zur Abschwenkung gebracht würden. Auch werde er die Leute dahin verwarnen
lassenb, daß die passive Resistenz ein Dienstesvergehen bilde. Dies sei allerdings
ein wunder Punkt, weil eine diesbezügliche Bestimmung in den Dienstvorschrif¬
ten fehle, ebenso wie in Österreich. In Ungarn allerdings statuiere die Dienstord¬
nung vom Jahre 1907 für dieses Vergehen die Dienstesentlassung.

    Es müsse nun diesbezüglich für Bosnien-Herzegowina ein Nachtrag zu jener
Dienstordnung herausgegeben werden, welche er bei seinem Dienstantritte als
 schon drei Jahre bestehend vorgefünden; gleichzeitig werde man die Judikatur
 ändern.

         Korrektur Buriäns aus bei ihm erscheinenden Deputation mitteilen.
         Einfiigung Buriäns.

         Zur Vorgeschichte derpassiven Resistenz bei den bosnischen Landesbahnen siehe das Schrei¬
          ben des Kommandanten des 15. Korps v. 17. 9. 1910, Ka., KM., Präs. 53-18/1/1910, fol-

          5v-6v.
          Zu den Forderungen der Bahnbediensteten in Bosnien undzu den geplanten Zugeständnissen
          der Verwaltung siehe Ka., KM., Präs. 53--18/1/1910, fol. 13r--16r.
<pb/>Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910  327

   Nach den jetzigen Vorschriften judizieren nämlich die Eisenbahner selbst, was
bei der passiven Resistenz geradezu unsinnig sei.

   Würde man übrigens auch auf der ganzen Linie nachgeben, so kämen die Leu¬
te wahrscheinlich bald wieder mit neuen Forderungen.

   Der Nachtrag würde aussprechen, daß die passive Resistenz ein schweres
Dienstesvergehen bilde, für welches die Direktion der bosnisch-herzegowini-
schen Landesbahnen als außerordentliche Disziplinarbehörde die Strafe der
Dienstesentlassung verhängen könne.

   Dieser Nachtrag würde gleichzeitig mit einer Verwarnung publiziert und sein
Standpunkt zu den Forderungen bekannt gegeben werden, daß nämlich, was er¬
füllbar und gerecht sei, gegeben würde und auch sonst gegeben worden wäre.

   Eine passive Resistenz müsse aber unerbittlich gebrochen werden. Für die Si¬
cherung der Eisenbahn wurde vorgesorgt durch die Gendarmerie und eventuelle
Militärassistenz.

   Eventuell werde man daran denken müssen, die Eisenbahner als Reservisten
einzuberufen. Er berufe sich auf die Ausnahmsverfügung vom Jahre 1908, wel¬
che direkt für die Eventualität eines Streiks bei den bosnisch-herzegowinischen
Eisenbahnen vorgesorgt habe und in deren § 1 ausdrücklich von einer Resistenz¬
bewegung die Rede sei.3

   Das Brechen dieser Bewegung werde auch von heilsamen Folgen für die Mon¬
archie sein und sei speziell deshalb notwendig, weil Bosnien-Herzegowina ein
heikles Gebiet ist, das man einer mutwilligen Bewegung nicht ausliefem dürfe.

   Redner erbittet sich die Zustimmung zur Herausgabe des erwähnten Nachtra¬
ges im Verordnungswege.

   Nachdem der gemeinsame Kriegsminister erwähnt, daß er
bereits das Entsprechende verfugt habe, damit dem eventuellen Begehren der
Landesregierung in Sarajewo nach Analogie des Ansprechens von Militärassi¬
stenzen nachgekommen werde,4 führt der k. k. Ministerpräsident
aus, daß nach der Auslegung der sogenannten passiven Resistenz durch die Ei¬
senbahner es sich hiebei nur um die vorschriftsmäßige Versehung des Dienstes
handle. Er glaube daher, daß das Wort ,,flaue&quot; im Nachtrage dem Zwecke dieser
neuen Verfügung entgegenstehe und das Hauptgewicht auf die Absicht zu legen
sei, die glatte Abwicklung des Verkehres nicht zu fördern, sondern zu vereiteln.

   Freiherr v. Buriän stimmt, nachdem sich der Vorsitzende den Aus¬
führungen Baron Bienerths angeschlossen, der Auslassung des Wortes ,,flau&quot; be¬
ziehungsweise dessen Ersetzung durch ein anderes Wort zu und führt Beispiele

Die auf Vortrag Schönaichs v. 12. 9.1908 mitAh. E. v. 14. 9.1908 resolvierten Vorkehrungen
gegen einen Streik im Okkupationsgebiet mit den Weisungen an das k. u. k. 15. Armeeober¬
kommando, Ka., MKSM. 82-2/2/1908.
Vermutlich Telegramm (K.) des Kriegsministeriums an das 15. Korpskommando v. 19. 9.
1910, daß militärische Maßnahmen bei nur passiver Resistenz unzulässig seinen, Ka., KM.
Präs. 53-18/1/1910, fol. 2r.
<pb/>328 Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910

der passiven Resistenz an. Er werde zurAuflösung der Eisenbahnervereine schrei¬
ten, da dieselben konstatiertermaßen ihre Statuten weit überschritten.

   Der k. k. Finanzminister gibt eine kurze prägnante Darstellung
der bisherigen Streiks und Resistenzen sowie deren Bekämpfung und drückt die
Erwartung aus, daß durch das energische Vorgehen Baron Buriäns eine wohltäti¬
ge Wirkung auf die Eisenbahner der Monarchie ausgeübt werden würde.

   Beide Ministerpräsidenten erklären, mit den kompetenten
Ressortministern sprechen und sodann rechtzeitig ihre Entschlüsse zur Kenntnis
des gemeinsamen Finanzministers bringen zu wollen.

   Es wird hierauf zur Tagesordnung übergegangen und beschlossen, den 12. Ok¬
tober 1. J. als Termin der Einberufung der Delegationen an Ah. Stelle in Vorschlag
zu bringen.5

   Graf Khuen-Hederväry wird die bezüglichen Wahlen nach Er¬
scheinen des einschlägigen Ah. Handschreibens auf Grund der seinerzeit an den
k. k. Ministerpräsidenten beziehungsweise an Dr. Wekerle gerichteten Note des
Ministers des Äußern vornehmen lassen. In Österreich sind die Delegierten schon
im Vorjahre gewählt worden und glaubt Freiherr v. Bienerth mit
seiner Annahme im Rechte zu sein, Neuwahlen nicht vornehmen zu müssen, da
eine zeitige Beschränkung nur insofeme vorgeschrieben ist, als die Wahl alljähr¬
lich vorzunehmen sei. Man werde auch noch in diesem Jahre, aber erst nach Be¬
endigung der Delegationssession an eine Neuwahl schreiten. Damit erscheine der
bezüglichen Bestimmung entsprochen, und die dagegen lautgewordenen Stim¬
men einiger politischer Parteien bezweckten nur, die Einberufung des Reichsra¬
tes zu erzwingen, um der Diätenlosigkeit ein Ende zu bereiten.

   Der gemeinsame Kriegsminister erklärt über Aufforderung
des Vorsitzenden, daß er entsprechend den Beschlüssen der in Budapest im Mai
l. J. abgehaltenen Ministerkonferenz seine Forderungen den beiden Regierungen
bekanntgegeben und hiebei naturgemäß das Wehrgesetz mit in Betracht gezogen
habe.6 Es handle sich nunmehr darum, ob man die zwei- oder dreijährige Dienst¬
zeit in den Vordergrund stelle. Das mache nämlich einen Unterschied von rund

        Fortsetzung des GMR. v. 17. 5. 1910, GMCPZ. 480.
         Mit Schreiben (K.) Schönaichs an beide Ministerpräsidenten v. 30. 7. 1910 wurden die Hee¬
         resforderungen wegen der Wehrreform bekanntgegeben, KA., KM., Präs. 26-1/12/1910. Mit
         Vortrag v. 22. 7. 1910 hatte Schönaich dieses Schreiben Franz Joseph mitgeteilt, der es mit
        Ah. E, v. 24. 7. 1910 zur Kenntnis nahm und mitAh. Handschreiben (Abschrift) v. 24. 7.1910
         Bienert, Khuen-Hederväry und -für die bosnisch-herzegowinischen Truppen - Buriän zur
         Bewilligung der anfallenden Kosten aufforderte, ebd., Präs. 26-1/13/1910. Mit Schreiben
         (K.) v. 20. 9.1910 an Georgi undHazai übersandte Schönaich neue Entwürfe der Wehrgeset¬
         ze, die beide Minister ihren Ministerpräsidenten mitteilen sollten, ebd., Präs. 26-1/21-2/1910.
         Diesen Akten liegen die Beilagen der Schreiben nicht bei. Die gedruckten Begründungen der
         beiden Wehrvorlagenfinden sich in ebd., Präsidial-Büro/Sonderreihe, Karton 2852.
<pb/>Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910  329

140 Millionen. Bezüglich des Wehrgesetzes bestehe auch noch eine Differenz
staatsrechtlicher Natur.7

   Der kgl. ung. Ministerpräsident gibt bekannt, daß sich der
ungarische Ministerrat mit der Sache noch nicht habe beschäftigen können, weil
zunächst die Durchführung der Wahlen und dann andere wichtige und einschnei¬
dende Fragen zu regeln waren.

   Graf Aehrenthal gibt seiner Meinung dahin Ausdruck, daß die ge¬
meinsamen Regierung nur in dem Falle in der Lage sei, vor die Delegationen zu
treten, wenn der Kriegsminister zu sagen vermöchte, es sei eine grundsätzliche
Einigung hinsichtlich des Wehrgesetzes erzielt worden, wenn er ferner über die
zu dessen Durchführung erforderlichen Mittel sprechen und wenn der Marine¬
kommandant sein Programm entwickeln könne.

   Der kgl. ung. Finanzminister wirft die Frage auf, ob man den
nächsten Delegationen ein förmliches Budget pro 1910 vorzulegen oder sich mit
einer Indemnität zu begnügen habe.

   Dem kgl. ung. Ministerpräsidenten, welcher ausfuhrt, daß
- wenn nur wie in Ungarn eine Indemnität verlangt werde - viel Zeit gewonnen
würde und die Delegationen pro 1911 noch heuer tagen könnten, erwidert der
k. k. Ministerpräsident, daß er die Hoffnung auf eine kurze Ta¬
gung leider nicht teilen könne. Seit dem letzten Zusammentreten der Delegatio¬
nen sei ein bedeutender Zeitraum verstrichen, hätten sich wichtige Ereignisse
abgespielt und habe man bedeutende Auslagen gemacht. Es sei daher ein breiter
Rahmen für die Diskussion vorhanden, und er glaube, daß die Kritik in ausgiebi¬
gem Maße einsetzen werde.

   Wohl haben manche Vorlagen in gewissem Sinne ihre Aktualität verloren, den¬
noch werde die Session - wie er aus der ganzen politischen Situation ersehe -
nicht so rasch vorübergehen und gerade im Hinblicke auf diese Situation ver¬
möchte er nicht auf eine Beschränkung des Redeflusses einzuraten; man müsse
ein Ventil öffnen, um den Dampf auszulassen. Die Tagung werde sich wohl bis
Ende November hinziehen, dafür spreche schon ein technisches Moment, die
gleichzeitige Tagung der Landtage, wodurch gewisse Rücksichten für einzelne,
beiden Körperschaften angehörende Mitglieder geboten seien.

  Vielleicht könnten die Delegationen aber auch ein kurzes Provisorium für 1911
votieren, so daß sie erst anfangs des nächsten Jahres zur Session in Budapest
zusammentreten würden. Sei jetzt das Redequantum abgetan, so wäre die Mög¬
lichkeit vorhanden, daß die zweitnächsten Delegationen rascher vergehen.

  Im Wesen sei wohl Budget oder Indemnität dasselbe, in der Form möchte er
aber doch an dem Voranschläge festhalten, weil die andere Modalität dem öster-

Diese Fragen wurden am 16. 9. 1910 aufeiner anscheinend nichtprotokollierten Konferenz
des Kriegsministers mit beiden Landesverteidigungsministem besprochen und teilweise be¬
reinigt. Über die am 16. 9. 1910 behandelten Fragen siehe Ka., k. k. MLV, Präs., Faszikula-
tur 15 Wehrangelegenheiten, Karton 801, Z. 4149/1910.
<pb/>330 Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910

reichischen politischen Leben fremd sei und deren Anwendung zu Mißdeutungen
Anlaß geben könnte. Die militärischen Forderungen, welchen auch eine gewisse
politische Bedeutung innewohne, sollten durch Beschlüsse festgestellt werden.
Die Tatsache der späten Votierung bilde kein Novum, auch nicht vom gemeinsa¬
men Standpunkte; die gemeinsamen Zentralstellen hätten sich übrigens seit Juli
bereits nach dem neuen Voranschläge gerichtet.

   Was die neuen militärischen Forderungen betreffe, so müsse zunächst festge¬
stellt werden, welche Ansprüche begründet beziehungsweise erfüllbar seien und
ferner auf welche Zeiträume verteilt die erfüllbaren Wünsche zur Durchführung
gelangen sollen. Der Marinekommandant habe auf die seinerzeitige Anregung,
ob nicht einzelne Punkte ausgeschaltete oder verschoben werden könnten, nicht
reagiert. Dagegen hätte der Kriegsminister auf die Anregungen reflektiert und im
Zusammenhänge mit der Reform des Wehrgesetzes zwei Vorschläge gemacht,
von denen der eine sich auf die verkürzte, im allgemeinen zweijährige Präsenz¬
dienstpflicht, der andere auf die gegenwärtige dreijährige Präsenzdienstpflicht
mit einem Rekrutenkontingent von 130 000 Mann beziehe.

   Festzustellen wäre noch, ob die Steigerungen durch die neuen Vorlagen bereits
in den im Voranschläge pro 1911 ersichtlichen enthalten sind.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident läßt zwar die ungarischer-
seits gegebene Anregung wegen einer Indemnitätsvorlage pro 1910 fallen, glaubt
aber nicht, daß die zweite Delegation von kurzer Dauer sein werde.

   In der nächsten Delegation werde man die Wünsche der Delegierten für die
künftige Haltung der Regierung zu gewärtigen haben, man werde sich über die
neuen Pläne, deren Existenz ja bekannt ist, äußern müssen, und daher sei es an¬
gezeigt, daß sich die drei Regierungen vorher einigen. Man müsse klar sehen und
bezüglich der Durchführung des prinzipiell Beschlossenen, namentlich auch des
Tempos, Vorbehalte machen. Wie bereits erwähnt, habe sich der ungarische Mi¬
nisterrat mit den gegenständlichen wichtigen Fragen noch nicht beschäftigen
können, werde dies aber in den allernächsten Tagen tun.8 In verhältnismäßig kur¬
zer Zeit, und zwar noch vor den nächsten Delegationen, könne dann eine neuerli¬
che Konferenz bindende Beschlüsse fassen: für heute bitte er, daß man die Sache
nur in großen Zügen und bloß zur Orientierung behandle.

   Der gemeinsame Kriegsminister will seinen Standpunkt in
Kürze dahin präzisieren, daß die neuen Forderungen nur zum Teil mit der Wehr¬
gesetzreform Zusammenhängen, der größere Teil betreffe Sanierungen von Rück¬
stellungen und Streichungen. Weil er mit der Bewilligung seines Programmes bei
der Zusammenstellung des Budgets noch nicht habe rechnen können, seien in
demselben Posten im Betrage von zirka 19 Millionen enthalten, die sich mit den
korrespondierenden des Programmes decken. Mit der Artillerie ckomme man

        Korrektur Schönaichs aus sei man in Ordnung.

        Die Wehrreform wurde auf den folgenden ungarischen Ministerratssitzungen des Jahres
        1910 nicht beraten.
<pb/>Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910  331

nach Bewilligung des Voranschlages pro 1911 in Ordnung, jedoch bis zur Bewil¬
ligung des erhöhten Rekrutenbedarfes nur durch einen neuerlichen Notbehelf.&quot;

   Es wird nun beschlossen, in der nächsten Konferenz auch das Budget pro 1911
zu beraten, worauf der M a r i n e k o m m a n d a n t auf die bezügliche Stelle in
der Rede des Freiherm v. Bienerth zurückkommt und erklärt, seine Forderung
bilde das Minimum, was er verantworten könnte, davon habe er eben nicht abge¬
hen können. Zu Schlachtschiffen brauche man schnelle Kreuzer, erstere machen
noch keine Flotte.

   Graf Aehrenthal rekapituliert hierauf das Ergebnis der bisherigen Be¬
ratung wie folgt: Von der Einbringung einer Indemnitätsvorlage pro 1910 werde
abgesehen,9 die Frage der Einbringung eines Budgetprovisoriums in diesem Jah¬
re pro 1911 werde offen gelassen, die beiden Ministerpräsidenten wünschen
Klarheit, Beschlüsse werden noch nicht gefaßt, aber, um Terrain zu gewinnen,
wolle man über die großen Fragen, die der Konferenz vorliegen, zu Informations¬
zwecken diskutieren.

   Graf Montecuccoli entwickelt sodann ausführlich das bereits be¬
kannte Marineprogramm und erklärt auf die Bemerkung des Grafen Khuen-He-
derväry, daß Ungarn bei den Bestellungen unbedingt quotenmäßig berücksichtigt
werden müsse, daß der ,,Danubius&quot; eine Werfte und zwei Stapeln errichten wolle;
am Platze der ersteren befinde sich aber derzeit noch ein Wald, an jenem der letz¬
teren Wasser. Vor zwei Jahren könne man also dort nicht bauen. Trotzdem werde
er dem Danubius überweisen, was irgend möglich, zum Beispiel den Bau der
Monitore. Die Unterseeboote würden vielleicht ein Mehrerfordemis von drei bis
vier Millionen beanspruchen. Die Hochseeboote wolle er dem Stabilimento über¬
tragen. Das Marineprogramm sei ein kurzes, er könne auch nicht sagen, ob es
ganz einzuhalten sei, jedenfalls aber müßten langfristige Programme immer ge¬
ändert werden.

   Dr. v. Bilihski weist daraufhin, daß als erste Frage in der Delegation
jene aufgeworfen werden dürfte, ob die gemeinsame Regierung mit dem Baue
der Schiffe ohne Bewilligung der Mittel angefangen habe, daher könne die k. k.
Regierung der Marine sehr schwer Vorschüsse geben. Er war gezwungen, im
Reichsrate zu erklären, daß er keinen Vorschuß gegeben habe und ohne Bewilli¬
gung auch keinen geben werde. Die auflaufenden Zinsen, die Preissteigerung und
die technischen Verbesserungen werden eine Erhöhung verursachen.

Über Vortrag Aehrenthals v. 24. 9. 1910 wurden mit den Ah. Handschreiben v. 26. 9. 1910 an
Aehrenthal, Bienerth und Khuen-Hederväry die Delegationen für den 12. 10. 1910 nach
Wien einberufen, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 3103/1910. Der Voranschlagpro 1910 in Ka.,
MKSM., Karton 998, Fasz. Voranschlag pro 1910. Mit Vortrag des gemeinsamen Ministeri¬
ums v. 26. 9. 1910 wurde das gemeinsame Budget pro 1910 in Antrag gebracht, das Franz
Joseph mitAh. E. v. 29. 9.1910resolvierte, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 3132/1910. Nach der
Annahme des Budgets durch die Delegationen wurde dies über VortragAehrenthals v. 21.11.
1910 mit Ah. E. v. 22. 11. 1910 sanktioniert, ebd., KZ. 3737/1910.
<pb/>332 Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910

    Was die Schlachtschiffe betreffe, so sage die Marineverwaltung, daß
20 000-Tonnen-Schiffe notwendig seien, es bestehe auch ein Zusammenhang mit
dem Jahre 1914, dem Ablauf]ahre des Dreibundes, es würde also schwer fallen,
dem Baue der vier Schlachtschiffe Hindernisse in den Weg zu legen; er müsse
aber hervorheben, daß die k. k. Regierung gezwungen sei, auf anderen Gebieten
aus finanziellen Gründen zu sparen, so werden die kulturellen und wirtschaftli¬
chen Erfordernisse in den Budgets der betreffenden Ressortminister abgelehnt.

   Was aber die anderen Schiffe betreffe, so habe sich bei der Maiberatung her¬
ausgestellt, daß ein Konnex in der Art, daß die Termine für alle gleich seien, nicht
gegeben wäre. Er wolle den Bau der drei Kreuzer nicht bemängeln, aber eine
Verschiebung zum Beispiel mit dem Beginne ab 1912 und der Beendigung 1915
in Anregung bringen, ebenso könnte man für die Torpedo-, Hoch[see]- und Un¬
terseeboote die Jahre 1913-1916 in Betracht ziehen, namentlich um das erste
ohnehin so hochbeschwerte Jahr 1911 zu entlasten.

   Vielleicht vermöchte man sich mit den jetzigen Monitoren auch weiter zu be¬
gnügen, umso mehr, als man dies auch tun mußte zu einer Zeit, wo sie eminent
notwendig waren.

   Was die Schutzdämme und die Annäherungshindemisse anbelange, könnte man
sie vielleicht ausschalten oder aus dem normalen Budget decken, so daß man
- wenn die voraussichtlichen vorskizzierten Erhöhungen eintreten - doch mit der
ursprünglichen Summe von 330 Millionen auskomme, wobei zu berücksichtigen
sei, daß der Marinevoranschlag für Schiffsbauten ohnehin 20 Millionen enthalte.

   Graf Montecuccoli hält ein Verschieben von seinem Standpunkte für
unmöglich, er werde nochmals alles durchsehen, er müsse aber sein Programm
auch jetzt als Minimalforderung darstellen. Die k. u. k. Marine könne nicht mehr
zurückstehen, jetzt wo selbst Spanien und die Türkei so vieles für ihre Flotten tun.

   Der Marinekommandant verliest nun ein Expose, das er in der Delegation hal¬
ten wolle,d und wird beschlossen, die definitive Redaktion desselben einem spä¬
teren Zeitpunkte vorzubehalten, wobei Freiherr v. Bienerth und
Dr. v. Bilinski daraufhinweisen, daß die Jahreszahl 1914 zu sehr in den
Vordergrund gestellt werde. Graf Aehrenthal schließt sich dem an und
sagt, daß es ihm auch vom diplomatischen Standpunkte erwünscht wäre, das
fragliche Jahr zu verschleiern, man könne ja echelonieren, wie dies Italien auch
getan. Der König von Italien habe ihn zu einem Besuche eingeladen, er gehe
wohl nicht fehl, darin vielleicht die Folge zu sehen, daß wir schon zwei Dread¬
noughts bauen.10

   Da grundsätzliche Bedenken gegen das Marineprogramm nicht aufgeworfen
worden seien, wären in der nächsten vor Beginn der Delegationen einzuberufen-

        Liegt dem Originalprotokoll bei.

        Zum Treffen Aehrenthals mit dem König von Italien siehe GMR. v. 6. 10. 1910, GMCPZ.
        482.
<pb/>Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910  333

den Konferenz Echelonierungen der Kreuzer und Boote etc. vom Marinekom-
mandanten vorzuschlagen, was dieser in Aussicht stellt. Es tritt hierauf, 1 Uhr 15
Minuten, eine Pause bis 3 Uhr nachmittags ein.

   Zu Beginn der Nachmittagssitzung teilt Freiherr v. Buriän mit, er
habe soeben die telegaphische Meldung erhalten, daß auf den bosnisch-herzego-
winischen Landesbahnen schon heute um Mitternacht mit der passiven Resistenz
begonnen werde. Seitens der beiden Regierungen wird demnach die vom ge¬
meinsamen Finanzminister zu Beginn der Sitzung erbetene Ermächtigung sofort
erteilt. Baron Buriän erklärt noch, daß er bei der geänderten Sachlage zuerst den
Nachtrag zur Dienstordnung herausgeben und erst dann von den Konzessionen
reden werde.&quot;

   Über Aufforderung des Vorsitzenden ergreift nunmehr Freiherr v.
Schönaich das Wort, um den Standpunkt der Kriegsverwaltung dahin zu
präzisieren, daß sie zwar kein lebhaftes Interesse an der Verkürzung der Dienst¬
zeit habe, aber immerhin vielleicht besser damit daran sein werde als mit der an¬
deren Modalität.

   Freiherr v. Bienerth weist auf die Erhöhung des Rekrutenkontin¬
gentes als auf den wichtigsten Punkt hin. Hievon hänge auch die Konsolidierung
von gewissen Maßnahmen ab. Er gibt sodann eine ausführliche Vorstellung der
bisherigen Versuche, eine Kontingenterhöhung durchzusetzen. Sowohl in Öster¬
reich als in Ungarn werde es jetzt schwer fallen, dieselbe ohne gewisse Erleichte¬
rungen in der Erfüllung der Wehrpflicht zu erreichen. Die Stimmung in der Öf¬
fentlichkeit sei in Österreich für die zweijährige Dienstzeit gewesen; als dann die
Mehrkosten der Durchführung bekannt wurden, trat ein Rückschlag ein. In letz¬
terer Zeit zeige sich wieder eine stärkere Stimmung für die zweijährige Dienst¬
zeit, er möchte sich diesbezüglich noch nicht endgiltig aussprechen; vielleicht
sollte man aus taktischen Gründen zunächst mit der ersten Vorlage, dann - falls
sich starke Enttäuschung zeige - mit der zweiten hervortreten.

   Was die Kostenffage betreffe, so stehe eine Reihe von Forderungen nicht un¬
mittelbar mit der zweijährigen Dienstzeit und der Reform des Wehrgesetzes im
Zusammenhänge, ein solcher Konnex sei aber notwendig.

   Als der sogenannte Rüstungskredit bekannt wurde, wäre wohl eine scharfe
Kritik aufgetreten, aber schließlich habe man sich damit abgefünden, weil man
glaubte, daß nun alle Rückständigkeiten behoben seien. Man fand eine gewisse
Erleichterung darin, die Verantwortung auf andere abwälzen zu können und be¬
trachtet mm die Sache als abgetan. Zerstreue man diese Auffassung, werde man
eine arge Enttäuschung hervorrufen und deshalb halte er eine markante Trennung

Entwurf des Nachtrags der Dienstordnung vom September 1910 in Ka., KM., Präs. 53-
18/1/1910, fol. llr-12v. Nachdem die Eisenbahner ihre Forderungen am 29. 9. 1910 zu¬
nächst stark reduziert hatten, meldete der Direktor der bosnisch-herzegowinischen Landes-
bahneri mit Telegramm v. 1. 10. 1910 an Buriän Resistenz ist beendet, Ka., KM. Präs.
53-18/3/1910.
<pb/>334 Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910

der Auslagen in solche, die mit der verkürzten Dienstzeit Zusammenhängen, und
in Sanierungen nicht für zweckmäßig. Es kämen aber auch staatsfinanzielle Grün¬
de in Betracht. Bei genauer Prüfung könnte wohl eine gewisse Sichtung vorge¬
nommen und manches vertagt oder verringert oder ganz fallen gelassen werden
und diesbezüglich werde der k. k. Finanzminister Näheres Vorbrin¬
gen. Dieser erklärt nun, daß er sich den Motiven des Kabinettschefs voll anschlie¬
ße. Er sei zunächst im Feuer gestanden und müsse sagen, daß er das, was er den
Abgeordneten bezüglich des Abschlusses der Sanierungen gesagt, auch geglaubt
habe. Er setzt nun nach den Programmen des Kriegsministers die einzelnen For¬
derungen auseinander. Was speziell die für die Befestigungen eingesetzten Beträ¬
ge betreffe, so wären diese wohl auszuscheiden, weil niemand glauben werde,
daß sie mit der zweijährigen Dienstzeit Zusammenhängen. Man werde sagen, daß
man bei der Popularität dieser verkürzten Dienstzeit mit derselben ein Geschäft
machen wolle.

   Ohne sich in das Ressort des Ministers des Äußern zu mengen, müsse er doch
wiederholt seiner Meinung Ausdruck geben, daß auch dieser vom diplomatischen
Standpunkte aus Bedenken haben dürfte. Man berufe sich einerseits auf unsere
innigen Beziehungen zu Italien, da könne man doch andererseits nicht immer
Dinge in den Vordergrund schieben, die gerade gegen dieses gerichtet seien und
nicht stets das Jahr 1914 prononciert hervortreten lassen. Was die Armee an nor¬
malen Dingen brauche, gehöre in das normale Budget. Die dauernden Auslagen
könnte man als notwendig annehmen, je mehr aber der Kriegsminister die Frist
ausdehne, desto leichter werde es der Finanzverwaltung fallen, die Mittel beizu¬
stellen. Hinsichtlich der einmaligen Auslagen wäre wohl das verlangte Ausmaß
kaum durchführbar. Es sei ferner auffallend, daß die sogenannten Rückständig¬
keiten sich bei beiden Programmen nicht decken. Er bitte um die Bekanntgabe
dessen, was abgestrichen werden könne; bei den einmaligen Auslagen würden
wegen der Fristen keine Bedenken bestehen. Unter der Voraussetzung, daß die
155 Millionen für die Befestigungen ganz wegfallen, die 120 Millionen aufzwölf
Jahre verteilt und von den 200 Millionen manches abgestrichen werde, würde
man österreichischerseits trachten, die Vorlage durchzusetzen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident sagt: In Ungarn trete das
Begehren nach der zweijährigen Dienstzeit nicht so sehr hervor, sie bilde mehr
ein Schlagwort und man habe an die finanziellen Folgen nicht gedacht. Aller¬
dings wisse er nicht, wie der gegenwärtige Reichstag und die maßgebenden poli¬
tischen Faktoren in der Sache denken. Jedenfalls würden die einmaligen Ausla¬
gen nicht denselben Schwierigkeiten begegnen wie die fortlaufenden, weil die
ersteren durch eine Kreditoperation gedeckt werden können.

   Wenn man bei der dreijährigen Dienstzeit bleibe, so entstehe die Frage, ob
Hoffnung vorhanden, daß das so bleibe und nicht etwa bald wieder eine Reform
notwendig würde, und da schiene es wohl am besten, eine Lösung wenigstens für
eine Generation zu finden, was durch die zweijährige Dienstzeit geschehen dürf¬
te. Auch sei es entschieden besser, jetzt einen Kampf zu führen, als in Verhältnis-
<pb/>Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910  335

mäßig kurzer Zeit deren zwei; jeder solche Kampf werfe große Wellen auf, was
nicht im Interesse der ruhigen Entwicklung großer Staaten vor sich gehe. Er kön¬
ne nicht namens der ungarischen Regierung sprechen, weil diese selbst noch nicht
Stellung genommen habe. Er möchte aber feststellen, welches Programm die
Kriegsverwaltung als das bezeichnen könne, das längere Ruhe garantiere, und
erklären, daß Verschiebungen, wie sie österreichischerseits angedeutet, die Posi¬
tion der Regierung erleichtern.

   Die militärischen Auslagen bezeichnet man - vielleicht mit Unrecht, aber man
tue es - als unproduktive. Er müsse daher trachten, es so einzurichten, daß man
sie den Vertretungskörpem schonend beibringe, damit sie nicht zu sehr erschrek-
ken und sich eventuell zu gar nichts entschließen können.

   Man habe auf die gesteigerten Bedürfnisse des Staates Rücksicht zu nehmen
und auf eine Stabilität für eine Reihe von Jahren, um auch den kulturellen Be¬
dürfnissen nachkommen zu können.

   Hinsichtlich der Auslagen für fortifikatorische Maßnahmen teile er vollkom¬
men die Auffassung Dr. v. Bilihskis. In einem Momente, wo man mit zwei so
hohen Anforderungen komme, könne man nicht auch mit diesen Kosten hervor¬
treten. Dies würde bewirken, daß auch die ersteren mit mauvaise humeur begrüßt
werden.

   Wir wollen, fährt Graf Khuen-Hederväry fort, das Möglichste leisten, weil wir
auch verlangen, auftreten zu können, wie es der Macht des Staates entspreche.
Doch müssen die Leistungen im Einklänge stehen mit der Belastungsfähigkeit.
Mehr dürfe man nicht verlangen. Die dritte Belastung (die Vorlage in betreff der
Befestigungen) wäre das ,,Zuviel&quot;.

   Mindestens müsse man die Sache hinausschieben. Wenn sie später noch not¬
wendig ist, sobald das jetzige Programm durchgeführt und sich die Finanzen, wie
man hoffen wolle, gebessert, dann könne man etwa darauf zurückkommen.

   Der Vorsitzende hegt gleichfalls starke Bedenken gegen das Kapitel
,,Befestigungen&quot;. Der österreichische Finanzminister habe mit Recht auf ihn ver¬
wiesen. Die Befestigungen an der Südgrenze im Zusammenhänge mit der Ausge¬
staltung der Flotte könnten es bewirken, daß man in Italien von der Leidenschaft
mitgerissen werde. Er vermöchte daher ein forciertes Tempo in den Festungsbauten
nicht zu wünschen, weil dies gegenwärtig ein Moment der Beunruhigung bilden
würde. Indem er sich den vorgebrachten Bedenken anschließe, erlaube er sich, den
Kriegsminister zu fragen, ob diese Post nicht zurückgestellt und spezieller Bespre¬
chung, eventuell unter Zuziehung anderer Organe, Vorbehalten werden kann.

   Freiherr v. Schönaich stellt vorerst fest, daß nicht alles gegen
Italien gerichtet sei, immerhin aber ein Betrag von 80 Millionen sich daraufbezie¬
he. Er weist unter ausführlicher Angabe von Details an der Hand einer Karte nach,
was Italien gegen die Monarchie gebaut habe und wie wenig dagegen geschehen
konnte. Er wolle den Vorschlag, ein anderes Organ beizuziehen, aufgreifen.

   Wie weit man vor die Öffentlichkeit treten könne, wolle er nicht beurteilen, es
sei ihm nur darum zu tun gewesen, die Sachlage den Regierungen offen darzu-
<pb/>336 Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910

stellen. Auch könnte die Frage der Einstellung einer jährlichen Quote ventiliert
werden.

   Hinsichtlich der anderen Anregungen müsse Redner erklären, daß es schwer
sei, die Sanierungen in Konnex mit der verkürzten Dienstzeit zu bringen. Deutsch¬
land habe für die Einführung der zweijährigen Dienstzeit 50 Millionen Mark nor¬
miert, aber schon vorher durch zehn Jahre in seinem regulären Budget entspre¬
chende Vorsorge getroffen.

   Die zweijährige Dienstzeit werde sich kaum aufhalten lassen. Auch sei nicht
zu übersehen, daß es eine Gewissenssache sei, die Ersatzreservisten, wie wir sie
heute haben, im Kampfe den Folgen mangelnder Ausbildung auszusetzen. Daher
werde die Institution der Ersatzreservisten für solche Personen, bei denen wirt¬
schaftliche Gründe vorhanden sind, verbleiben, aber für jene verschwinden, die
die Vorteile aus der Überzähligkeit genießen.

   Hinsichtlich der Verteilung der Kosten könne in den ersten drei Jahren eine
Änderung nicht eintreten, für später vielleicht. Bezüglich der einmaligen Auslagen
müsse er betonen, daß nur das absolut Notwendige eingestellt worden sei. Übri¬
gens werde es sich empfehlen, die Vorlagen in einer Besprechung zu diskutieren. ,

   Es wird beschlossen, eine derartige Konferenz im Kriegsministerium unter
Zuziehung der Fachreferenten beider Finanzministerien abzuhalten.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident hebt seinerseits hervor, daß
die Institution der Ersatzreservisten für die Kriegsverwaltung gefährlich sei, weil
diese Leute wenig leisten können, andererseits bilde es eine Ungerechtigkeit, daß
ein Teil der Wehrpflichtigen viel, der andere nur weniges leistet. Die Wehrpflicht
müsse möglichst gleichartig abgeleistet werden.

   Graf Khuen-Hederväry verleiht ferner seiner Ansicht Ausdruck, daß durch die
heutige Besprechung sehr wertvolle Informationen erzielt wurden. Bei der näch¬
sten Gelegenheit werde man entscheidende Stellung nehmen können. Er hoffe,
daß gewisse Erleichterungen in den finanziellen Leistungen eintreten und vor al¬
lem die Befestigungen ausgeschaltet werden, diese wären dem Zeitpunkte vorzu¬
behalten, wo das Geld dafür vorhanden, sie müssen jetzt programmatisch ausge¬
schieden werden, da sie weder mit der Ausdehnung des Wehrgesetzes noch mit
dem Flottenprogramme Zusammenhängen.

   Graf Aehrenthal ersucht um seinerzeitige Feststellung, was der
Kxiegsminister über das Wehrgesetz in den Delegationen zu sagen habe. Die Ko¬
stenfrage werde im Herbste noch nicht in den Vordergrund treten. Die prinzipiel¬
le Sache gehe die beiden Regierungen an, die gemeinsamen Minister nur indirekt.
Der Marinekommandant werde sich darauf beschränken können zu sagen, man
brauche so und so viel Schiffe, welche beiläufig so und so viel kosten werden,
über die Verteilung werde man später Mitteilung machen.

   Es wird sonach festgesetzt, daß in der in ungefähr 14 Tagen abzuhaltenden
neuerlichen gemeinsamen Ministerkonferenz beschlossen werden wird, in wel¬
cher Weise der Kriegsminister Stellung nehmen solle.
<pb/>Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 10. 1910                     337

   Der Vorsitzende beleuchtet noch die Notwendigkeit, die Frage der Militärju¬
stizreform zu bereinigen12 und richtet einen warmen Appell an beide Regierun¬
gen, soweit als möglich und trotz der Geldnot dem Heere und der Flotte zu geben,
was sie brauchen. Er weist auf das Beispiel Rumäniens hin, das bei einer Einwoh¬
nerzahl von sechs Millionen jüngst ein Rahmengesetz mit einem Aufwande von
80 Millionen Lei erhalten, das eigentlich den Zweck habe, seine Armee in der
Weise auszugestalten, wie wir es beabsichtigen.

   Nachdem noch der kgl. ung. Ministerpräsident die Frage ge¬
stellt, ob bei Bewilligung der Vorlage die jährliche Steigerung des Kriegsbudgets
verschwinden werde6 und der Kriegsminister dies mit Ausschluß der etwa durch
die Agrarier hervorgerufenen Preissteigerungen bejaht,13 schließt der Vo r sit¬
ze n d e um funfUhr 40 Minuten nachmittags die Sitzung.

                                                                                                    Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, am 18. März 1911. Franz Joseph.

       Nr. 18 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. Oktober 1910

   RS. (und RK.)
   Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung. Ministerpräsi¬
dent Graf Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v.
Bilinski (17. 11.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, derk. u. k. Marinekommandant und
Chef des gemeinsamen Kriegsministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli.
   Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Günther.
   Gegenstand: Fortsetzung der am 22. September 1910 begonnenen Beratungen, betreffend das
Marineprogramm und die Wehrgesetzreform.

e Anmerkung Schönaichs Zur letzten Seite: Die Frage des kgl. ung. Ministerpräsidenten habe
       ich so verstanden: ,,ob bei Bewilligung der Vorlage auf die Dauer der Durch¬
       führung des Programmes die jährliche Steigerung des Kriegsbudgets ver¬
       schwinden werde&quot;. Meine Bejahung bezieht sich auf die so gefaßte Frage. Wenn Se. Exzel¬
       lenz zustimmen, wäre diese Ergänzung im Texte seiner Frage anzunehmen. Schönaich 3. 10.

12 Mit Vortrag Georgis v. 2. 7. 1912 wurde in Cisleithanien die Militärstrajprozeßordnungfiir
       die gemeinsame Armee mit Ah. E. v. 5. 7. 1912 eingeßhrt - Ka., MKSM. 57-3/2-1/1912,
      publiziert als Gesetz v. 5. 7. 1912, RGBl. 130/1912, in Ungarn über Vortrag Hazais v. 28. 6.
       1912 mitAh. E. v. 5. 7.1912, -Ka,, MKSM. 51-2,12-211912, publiziert als GA. XXXII/1912.
       Zur Entstehungsgeschichte siehe Hetzer, Franz v. Schönaich 40-43, 64-67, 91 f., 131 ff,
       166, 172-176.

13 Fortsetzung zum gemeinsamen Budgetfiir 1911 in GMR. v. 6. 10. 1910, GMCPZ. 482.
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