Gemeinsamer Ministerrat, 17. 5. 1910
I. Beschlußfassung über die Erhöhung der Mannschaftslöhnung. Programm des Kriegsministers bzw. des Marinekommandanten betreffend den Ausbau der Wehrmacht
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308 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. Mai 1910 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung. Ministerpräsi¬ dent Graf Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v. Bilihski (19. 7.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, der k. u. k. Marinekommandant und Chef des gemeinsamen Kriegsministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli (29. 7.). Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Günther. Gegenstand: Beschlußfassung über die Erhöhung der Mannschaftslöhnung. Programm des Kriegsministers bzw. des Marinekommandanten betreffend den Ausbau der Wehrmacht. KZ. 36 - GMCPZ. 480 Protokoll des zu Budapest am 17. Mai 1910 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬ sters des Äußern Grafen Aehrenthal. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 10 Uhr vormittags mit der Konstatierung, daß der gemeinsame Haushalt pro 1910 in zwei Konferenzen, am 14. bzw. 18. September v. J., eingehend durchberaten und mit Ausnahme der Fra¬ ge der Löhnungserhöhung ein volles Einvernehmen erzielt worden sei.1 Nachdem nunmehr erfreulicherweise Aussicht vorhanden ist, daß die Delegationen im Herbste zusammentreten können, so wäre nunmehr hinsichtlich der offen geblie¬ benen Frage ein definitiver Beschluß zu fassen. Vor Eingehen in die Beratung möchte er jedoch - einer langjährigen Übung folgend - ein kurzes Resümee der politischen Lage geben. Wir stehen, sagt GrafAehrenthal, unter dem Eindrücke eines historischen Er¬ eignisses, des Todes König Eduards.2 Wenn auch bei den Lobestiraden von den Zeitungen sehr stark aufgetragen werde, so müsse doch jedenfalls anerkannt wer¬ den, daß die Rolle, welche der König in den letzten zehn Jahren in der Weltge¬ schichte gespielt, eine sehr markierte war. Sein Ziel sei die Erhaltung der Welt¬ herrschaft Englands gewesen, wobei er die Methode angewendet, Ententen abzuschließen, und zwar nicht nur mit Frankreich, Italien und Rußland, sondern auch selbst mit der gelben Rasse.3 Es beherrschte ihn ein Gefühl der Rivalität Deutschland gegenüber, wozu ein persönliches Moment kam, das schlechte Ver¬ hältnis zwischen ihm und seinem Neffen, so daß man öfters geglaubt, es werde zu einem Zusammenstöße beider Mächte kommen. Bekannt ist seine Politik der Einkreisung Deutschlands, was sich aber Österreich-Ungams wegen als undurch- Fortsetzung des GMR. v. 14. und 18. 9. 1909, GMCPZ. 473. König Edward VII. war am 6. 5. 1910 gestorben. 3 Interessenausgleich Großbritanniens mit Japan im Fernen Osten im Vertrag v. 30. 1. 1902, erneuert nach dem russisch-japanischen Krieg mit Vertrag v. 12. 8. 1905. <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 309 flihrbar erwies. Vor der Armexionskrise habe man uns zwar in England wohlwol¬ lend behandelt und freundliche Worte für uns gefunden, ohne uns aber hoch ein¬ zuschätzen. Das änderte sich dann merklich und machte einer klareren Auffassung Platz. Man lernte uns respektieren, als man unsere Lebenskraft erkannt und gese¬ hen, daß wir in der Lage seien, unseren Willen zur Geltung zu bringen, sowie daß wir in Existenzfragen von Deutschland nicht zu trennen sind. Freilich, die öffent¬ liche Meinung Englands geriet in eine ausgesprochenen Gegensatz zu uns. Man begegnet auch heute einer gewissen Nervosität, die sich speziell in den Äußerun¬ gen über den Bau von Dreadnoughts kundgab. In England selbst sei der König verschieden beurteilt worden. Tatsache sei, daß die extremen Parteien, wie die Radikalen, die Sozialisten und die Irländer, durch seinen Tod schwer betroffen wurden. Die Unionisten hingegen sehen hoffnungsvoller in die Zukunft, sie erwarten einen Waffenstillstand in der Frage der Parlamentsreform und bauen hiebei auf die Gesinnung des jetzigen Königs, ja man geht so weit, in dem Tode König Eduards ein Eingreifen der Vorsehung im Interesse der Partei und des Landes zu sehen. Was die äußere Konstellation betreffe, so werde eine wesentliche Ände- rung kaum eintreten. England werde seine Politik der Ententen fortsetzen und sich kaum freundlicher zu Deutschland stellen; in letzterer Beziehung müsse die persische Frage speziell betont werden. England und Rußland schlossen 1907 eine Entente, der zufolge Persiens Souveränität konfisziert erscheint, zunächst allerdings in verhüllter Form, indem man die Aufrechterhaltung des Prinzipes der offenen Türe in Aussicht stellte. Jedoch schon in diesem Winter zeigte sich gele¬ gentlich eines Anlehenprojektes, daß dies nicht zutreffe. Wohl fielen die Antwor¬ ten auf die einschlägigen Anfragen, die wir in London und Petersburg stellten, im großen und ganzen befriedigend aus; England sowohl als Rußland erklärten, an der ,,offenen Tür" festhalten zu wollen, aber uns fehlt der Glaube. Eine weitere Verschärfüng sei, daß diese beiden Mächte zu verhindern trachten, daß Deutsch¬ land eine Eisenbahnkonzession erhalte. Letzteres strebe bekanntlich nach Ausbau der Bagdadbahn die Verbindung mit Teheran an. Wir werden uns in diese ,,neue Marokkoangelegenheit" nicht hineinmischen. Wir haben zwar in Persien gewisse Interessen, Redner habe die Sache auch mit den Botschaftern Englands und Ru߬ lands besprochen, er werde sich aber hüten, sich da einzumengen. Von unserem Standpunkte sei es ganz gut, wenn sich Rußland dort engagiere. Vielleicht wer¬ den sich gerade dort England und Rußland auseinanderhaken. Keinesfalls wollen wir aber die wirtschaftlichen Interessen anderer wahren und uns diesbezüglich einer Trübung guter Beziehungen aussetzen. In Ostasien sehen wir eine neue Gestaltung, das Zusammengehen Rußlands mit Japan. Das ,,Verdienst" gebührt Nordamerika beziehungsweise dessen Präsi¬ denten Taft, die in der Frage der internationalen Bahn vereint mit China Stellung nahmen. <pb/>310 Ni: 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 Uns interessiert hauptsächlich, daß sich Rußland dort nicht desinteressiere und gezwungen sei, in Ostasien, namentlich im Hinblick auf die Verstimmung in Chi¬ na, militärische Kräfte zu binden. In der Türkei dauern die unsicheren Zustände weiter, die Jungtürken haben Fehler gemacht, sie gehen viel zu rasch vor, sie haben in der Auswahl der in die Provinzen entsendeten Funktionäre eine unglückliche Hand. Die Folge davon ist eine Verstimmung, wie wir dies in Albanien, Kurdistan und im Jemen sehen. Am unangenehmsten mache sich dies in Nordalbanien fühlbar. Die letzten Nachrich¬ ten lauten zwar etwas besser, wir haben jedoch unsere freundlichen Beziehungen zur Türkei benützt, um in Konstantinopel dahin zu wirken, daß man nach Wieder¬ herstellung der Ordnung versöhnlich sei und mit den Reformen in dem noch ganz mittelalterlich veranlagten Albanien nicht zu rasch vorgehe. Diese Ratschläge sind freundlich aufgenommen worden und es ist zu hoffen, daß nach Niederwer¬ fung des Aufstandes auch friedliche Mittel zur Anwendung gelangen werden. Eine baldige Beilegung der Sache ist auch deshalb erwünscht, weil die Türkei in Albanien große militärische Kräfte engagiert hat, was, wenn dieser Zustand an- dauem sollte, für die anderen Grenzgebiete des ottomanischen Reiches und für das Auftreten in der neuerdings zugespitzten Kretafrage nicht unbedenklich wäre. Auch die Kretafrage habe eine große Bedeutung, weil man in Konstantinopel diesbezüglich vor einem Kriege nicht zurückscheuen würde. Für den Sommer sei die Proklamierung Montenegros als Königreich zu erwar¬ ten. Man habe nicht direkt angefragt, aber uns wie andere Mächte sondiert. Nach¬ dem Redner die Befehle Sr. Majestät eingeholt, sei eine freundliche sympathische Antwort erteilt worden. Die Sache sei grotesk, doch hätten wir kein Mittel, sie zu verhindern. Auch liege es in unserem Interesse, mit Montenegro gute Beziehun¬ gen zu unterhalten, sowie mit dem Fürsten in Fühlung zu bleiben und durch ihn einen gewissen Einfluß in unserem Verhältnisse zu den zwei serbischen Staaten auszuüben. Deshalb habe er - GrafAehrenthal - zur zustimmenden Antwort Se. Majestät eingeraten.4 Auch über Italien möchte Redner einige Worte sprechen. Die Berichte unseres neuen Botschafters sowie frühere Relationen lassen eine gewisse Bessemng wahmehmen und zwar insofeme, als unsere Haltung anläßlich der Annexion im¬ poniert habe. Die günstigen Chancen für eine Erneuerung des Bündnisvertrages sind eher gestiegen, immer unter der Voraussetzung, daß - wie schon im Jahre 1908 von ihm betont - für Heer und Flotte gesorgt werde. Zum Sondierungsgespräch Montenegros mit Österreich-Ungarn siehe das Schreiben Giesls an Aehrenthal v. 7. 4. 1910, publiziert in Österreich-Ungarns Aussenpolitik, Bd. 2, Nr. 2100; die freundliche sympathische Antwort war das Telegramm Aehrenthals an Giesl v. 18. 4.1910, HHStA., PA. XVII, Liasse 10, Absicht der Proklamierung Montegegros zum König¬ reiche 1910; Karton 48, publiziert in Österreich-Ungarns Aussenpolitik, Bd. 2, Nr. 2121. Ein offizieller Vortrag Aehrenthals oder Hinweis darauf konnte in HHStA., Kab. Kanzlei sowie im PA. I, CdM. oder PA. XVII nicht gefunden werden. <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 311 Im Juni 1914 laufe, wie er vertraulich bemerke, der Dreibundvertrag ab, der¬ selbe verlängere sich nicht von selbst, wenn er nicht gekündigt werde, sondern er müsse erneuert werden. Zu diesem Zeitpunkte werde es sich also entscheiden, ob das Allianzverhältnis bestehen bleibe. Im Jahre 1915 geht der englisch-japanische Vertrag zu Ende, es wäre möglich, daß sich daran ein englisch-japanisch-russischer Vertrag anschließe mit der Spit¬ ze gegen Nordamerika und China. Die Eröffnung des Panamakanales, die für 1915-1916 zu erwarten sei, erhöhe die Kriegschancen im fernen Osten, was na¬ türlich nicht ohne Rückwirkung auf die europäischen Zustände bleiben dürfte. Es empfehle sich unter allen Umständen, in der Fürsorge für die Armee, in der Aus¬ gestaltung des Heers und der Flotte die beste Friedensgewähr, aber auch die voll¬ ste Sicherheit des Gerüstetseins zu suchen. Es wird nunmehr zu den budgetären Fragen übergegangen und stellt der k. k. Ministerpräsident zunächst die Frage, zu welchem Termine die Delegationen einzuberufen wären. Der Vorsitzende bemerkt, daß den gemeinsamen Ministem jeder Ter¬ min genehm sei. Der kgl. ung. Ministerpräsident sagt, daß nach den Wahlen das ungarische Parlament nur eine mehrmonatliche Indemnität und das Rekrutenkontingent zu beschließen haben werde. Auch werde er sich die Ermächtigung für die Handelsverträge erbitten. Was die Wahl der Delegation be¬ treffe, so sei dies eine technische Frage, er wäre nur der Meinung, daß die Dele¬ gationen pro 1910 Ende September oder Anfangs Oktober tagen sollten. Alles sei aber von dem Ausgange der Wahlen abhängig, die ergeben werden, ob die Regierung genügende Autorität aufbieten könne, dieses Programm durch- zufuhren. Es liege im Interesse der ungarischen Regierung, daß die Tagung je eher stattfinde, um Zeit für das eigene Budget und andere dringende Staatsnot¬ wendigkeiten zu haben. Demgegenüber führt der k. k. Ministerpräsident aus, daß ein Termin September--Oktober für die österreichische Regierung unannehmbar wäre, weil sie da die Landtage einbemfen müsse. Er schlage den November vor. Graf Khuen-Hederväry wiederholt, daß die ungarische Regierung ein Interesse an einer früheren Tagung habe; er verkenne aber nicht den berech¬ tigten Standpunkt der österreichischen Regierung und schlage vor, GrafAehrent- hal möge Ende August oder Anfangs September einen diesbezüglichen Mei¬ nungsaustausch einleiten. Dies wird von der Konferenz akzeptiert und über Anregung des k . k . Fi¬ nanzministers beschlossen, gelegentlich des fraglichen Meinungsaustau¬ sches auch festzulegen, warm und unter welchen Modalitäten das Budget pro 1911 in einer eventuell knapp anzuschließenden neuen Session beraten werden solle. Hierauf ergreift der gemeinsame Kriegsminister das Wort zu folgender Ausführung: Bei den vorjährigen Beratungen wurden die Anforderun¬ gen betreffend die Aufbesserung der materiellen Lage der Mannschaft in suspen- <pb/>312 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 so belassen, weil Dr. Wekerle zu jenem Zeitpunkte wohl einer Aufbesserung in natura, nicht aber der Erhöhung der Löhnungen zustimmte. So hoch auch die Bereitwilligkeit zur Bewilligung der Geldmittel für die Aufbesserung in natura einzuschätzen sei, so müsse doch neuerdings bemerkt werden, daß die von der Kriegsverwaltung beantragte Lösung der Frage nicht nur im Hinblicke auf die diesfälligen Beschlüsse der österreichischen Delegation, sondern auch deshalb dringend notwendig, ja unverschieblich zu erachten ist, weil die präsent dienende Mannschaft die einzige Kategorie von Heerespersonen ist, deren überaus be¬ scheidenen Barbezüge trotz der Verteuerung aller Lebensbedürfnisse seit Jahr¬ zehnten keine Änderung erfahren haben. Das bezügliche Mehrerfordemis wird im Budget pro 1910 nur für die drei letzten Monate in Anspruch genommen, so daß das Gesamtmehrerfordemis des Heeres sich auf 12 042 872 K stellt. Der k. k. Finanzminister verweist darauf, daß die österreichi¬ sche Regierung schon im Vorjahre einen zustimmenden Standpunkt eingenom¬ men habe und dabei bleibe. Der kgl. ung. Finanzminister erklärt, daß ungarischerseits keine Schwierigkeit gegen die Aufbesserung gemacht werde, nur wünsche man, daß der größere Teil in natura, der kleinere in Barem erfolgt wird. Nachdem Freiherr v. Schönaich die diesbezügliche Verteilung erklärte,5 wird das Kriegsbudget nach den Vorschlägen des Kriegsministers ange¬ nommen und zugestimmt, daß jene Mehrforderungen, welche mit 1. Jänner be¬ ziehungsweise 1. Mai eingestellt erscheinen, aber erst nach der verfassungsmäßi¬ gen Genehmigung des Voranschlages ihre Wirksamkeit ausüben werden, zur Vermeidung von schwierigen Abänderungen des fertiggestellten Budgets und von Erhöhungen der pro 1911 anzusprechenden Ergänzungserfordemisse nicht geändert werden. Selbstverständlich werde das Kriegsministerium die zu hoch präliminierten Beträge nicht in Anspruch nehmen. Die angegebenen Termine treffen jedoch hinsichtlich einiger Maßnahmen zu, welche notgedrungen bereits zur Durchführung gelangten und welche mit einem Mehrerfordemisse von zu¬ sammen 377 189 K verbunden sind. Die Konferenz nimmt ferner zur Kenntnis, daß im Titel XXI ,,Auslagen für militärwissenschaftliche Zwecke" ein Mehranspruch von 50 000 K hinzukommt, dessen Deckung in einer anderweitigen Restringierung zu suchen sei, wobei je¬ doch die beantragte Herabsetzung im Titel XIX ,,Versorgungswesen" ausge¬ schlossen werde. Der gemeinsame Kriegsminister teilt noch mit, daß die mit Ende November 1909 beabsichtigt gewesene Rückverlegung weiterer zehn Infanteriebataillone unterblieb, wogegen die vierzehn Grenzstreifkorpsabteilungen mit dem gleichen AufGrund der Sanktionierung der Delegationsbeschlüsse am 22.11.1910 wurden die Mann- schaftslöhnungen mit der Verordnung des Kriegsministeriums v. 26. 11. 1910 ab 1. 12. 1910 erhöht. Die Bestimmungen wurden publiziert in Verordnungsblatt für das k. u. k. Heer, Normalverordnungen 1910, Nr. 227/1910. <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 313 Termine aufgelöst wurden, so daß die mit 180 Millionen Kronen festgestellte Gesamtziffer des außerordentlichen Rüstungskredits keine Änderung erleidet. GdI. Freiherr v. Schönaich bringt nun das kürzlich von Sr. k. u. k. apost. Maje¬ stät an die beiden Ministerpräsidenten gerichtete Handschreiben betreffend die Erhöhung der Ruhegenüsse jener Militärgagisten, welche vor 1900 aus der Akti¬ vität schieden, zur Sprache. Der kgl. ung. Ministerpräsident tritt in warmen Worten für eine solche Erhöhung ein und weist daraufhin, daß man gerne den Anlaß des Ah. achtzigsten Geburtstages ergreifen wolle, um diese Erhöhung eintreten zu lassen. Nur sei eine gesetzliche Möglichkeit nicht vorhanden und auch nicht auszuden¬ ken, eine solche zu erhalten. Über Vorschlag der Finanzminister v. Bilinski und v. Lukäcs erklärt sich der gemeinsame Kriegsminister damit einverstanden, daß eine sol¬ che Erhöhung nicht generell, sondern von Fall zu Fall und ohne Formalitäten durchgeführt werde. Den Parlamenten stehe es allein zu, Pensionserhöhungen vorzunehmen, wogegen es der Krone möglich sei, im Wege der Gnade Zulagen beziehungsweise Zuschüsse zu den Versorgungsgenüssen zu bewilligen. Für die betreffenden Pensionisten, die sich ja alle melden werden, sei der Titel der Erhö¬ hung gleich. Von einer Einstellung in das Budget wird sonach abgesehen. Der gemeinsame Kriegsminister erbittet sich nun Direktiven hinsichtlich des Vorganges, welcher bei der Durchführung der Gebarungen mit den für das Heer in Anspruch zu nehmenden Geldmitteln im laufenden Jahre einzuhalten sein wird, insolange das Budget noch nicht genehmigt ist. Hiebei komme zu berück¬ sichtigen, daß pro 1910 eine Reihe von neuen Erfordernissen eingestellt ist. Es wird festgestellt, daß die österreichische Regierung vom Momente der Ein¬ bringung des Budgets und der Bewilligung eines Provisoriums nach dem neuen Voranschläge wirtschaftet, während die ungarische Regierung auf der Basis des vorjährigen Budgets vorgeht. Die gemeinsame Regierung wird aber ermächtigt, im Einvernehmen mit dem gemeinsamen Obersten Rechnungshöfe für das Jahr 1910 ad hoc Verfügungen zu treffen und bei der Gebarung so vorzugehen, wie wenn das Budget genehmigt wäre. Bei diesem Anlasse wird auch beschlossen, wegen Auflassung der eineinhalb¬ jährigen Gebarungsperiode die erforderlichen Veranlassungen zu treffen. Der Vorsitzende ersucht mm, zur Kenntnis zu nehmen, daß er die An¬ forderungen für die Errichtung von Missionen in Siam und Abessynien nicht auf¬ recht erhalte. Da er zur Überzeugung gelangt sei, daß mit den eingestellten Sum¬ men das Auskommen nicht gefunden werden könnte und er mit Rücksicht darauf, daß diese Missionen weder vom politischen, noch vom kommerziellen Stand¬ punkte so wichtig sind, es nicht verantworten wolle, für diesen Zweck ganz un¬ verhältnismäßig hohe Mittel zu beanspruchen. Er bittet jedoch, daß dieses Ersparnis per zusammen 168 533 K bei seinem nächstjährigen Voranschläge in der Weise berücksichtigt werde, daß von seinem <pb/>314 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 für die Ausgestaltung des Konsularwesens zu beanspruchenden Beträgen vor- wegs diese Summe abgerechnet werde. Gegen den Standpunkt des Grafen Aehrenthal wird von keiner Seite ein Wi¬ derspruch erhoben, und erklären beide Regierungen unter Anerkennung der Not¬ wendigkeit, das Konsulatswesen weiter auszugestalten, daß der Betrag von 168 533 Kronen bei dem nächstjährigen Voranschläge des Ministeriums des Äu¬ ßern im voraus abgerechnet werden wird. Der Vorsitzende weist nun daraufhin, daß in den vorjährigen Ministerkonfe¬ renzen widerspruchslos zur Kenntnis genommen worden sei, daß in der behufs definitiver Feststellung des Kriegsbudgets abzuhaltenden Beratung das Programm der Marineverwaltung zur Erörterung gelange, damit gewisse Einleitungen ge¬ troffen werden können. Inzwischen sei ein Wechsel in der ungarischen Regiemng eingetreten und daher umso mehr die Zeit gekommen, zu diesem Programme Stellung zu nehmen; er ersuche den Marinekommandanten, sich über sein Pro¬ gramm zu äußern. Admiral Graf Montecuccoli sagt, daß die allgemeine Flotten¬ rüstungen, zu denen nunmehr auch jene Spaniens und der Türkei zuzurechnen sind, insbesondere aber jene Italiens, die k. u. k. Kriegsmarine zum ehesten Baue von den neuesten Anforderungen entsprechenden Schiffen zwingen. Er halte vor¬ läufig den Bau von vier großen Schlachtschiffen, drei Aufklärungskreuzem, sechs Torpedofahrzeugen, zwölf Hochseebooten und sechs Unterseebooten sowie von vier Donaumonitoren für nötig. Die Situation habe seit dem Vorjahre insofeme eine bedenkliche Verschiebung zu unseren Ungunsten erfahren, als auf Grund von Preßäußerungen die Mächte mit Bestimmtheit auf eine wesentliche Verstärkung unserer Kriegsmarine rechne¬ ten und dies in ihren Flottenplänen zum Ausdrucke brachten. Italien habe auch nicht weniger als vier Schlachtschiffe von 19 000-22 000 Tonnen, drei Kreuzer von 3000 Tonnen, 13 Torpedofahrzeuge, 50 Hochseetorpedoboote und sechs Un¬ terseeboote zum Baue bewilligt. Das erste der Schlachtschiffe, ,,Dante Alighieri", werde schon in diesem Sommer vom Stapel gelassen werden. Letzten Nachrich¬ ten zufolge haben diese Neubauten Ende 1913 fertig zu sein. Diese zielbewußte finanzielle Anstrengung Italiens werde zur Folge haben, daß man dort, gestützt auf die Überlegenheit zur See, friedlich oder mit Gewalt große politische und wirtschaftliche Vorteile auf unsere Kosten erzwingen wird wollen, in deren Verhältnis die jetzt von unserer Kriegsmarine geforderten Sum¬ men nicht groß sind. Unsere Armee werde, wenn sie der Situation noch so sehr gewachsen ist, auf die Unterstützung einer dem Feinde ebenbürtigen Flotte nie und nimmer verzichten können. Redner verweist auf die Begleiterschienungen des Zwischenfalles Asinari und darauf, daß guten Informationen zufolge dieser General nur ausgesprochen habe, was täglich in der Umgebung des Königs gesprochen werde. Kürzlich habe ein höherer italienischer Offizier in London öffentlich geäußert, Italien warte nur auf eine günstige Gelegenheit, um über Österreich-Ungarn herzufallen. <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 315 Erhalte die italienische Flotte die Verstärkungen, ehe unsere projektierten Bau¬ ten vollendet sind, so müsse jede Verantwortung für die wirksame Verteidigung auch nur unserer Küsten abgelehnt und daher rechtzeitig auf die großen Gefahren verwiesen werden, denen wir im Falle einer nicht rechtzeitigen Durchführung der Neubauten entgegengehen. Sollte die Bewilligung pro 1910 noch nicht erfolgen, so müsse er für dieses Jahr einen Vorschuß von 50 Millionen beanspruchen. Er habe bereits den gemein¬ samen Ministem von einer Offerte des Stabilimento tecnico zur sofortigen Inan¬ griffnahme des Baues zweier Schiffe von 20 000 Tonnen Mitteilung gemacht. Da der Bau 30 Monate beanspmcht, so mußte mit demselben sofort begonnen werden. Die gemeinsamen Minister haben nach reiflicher Erwägung aller Um¬ stände seinem Vorgehen zugestimmt;6 es wurde mit dem Baue anfangs Jänner d. J. begonnen, und sind bis jetzt zirka 2000 Tonnen Material teils übernommen, teils in Übernahme begriffen. Das erste Schiff könne im Frühjahr 1911 vom Sta¬ pel gelassen werden. Das Stabilimento bedang sich für die vorgestreckte Summe ein halbes Prozent über dem Bankzinsfuß aus. Die Witkowitzer Werke beanspruchen für die Panzer¬ lieferung bis zur verfassungsmäßigen Genehmigung keine Zinsen, wogegen die Skodawerke ein Prozent über den Banksatz verlangen. Neuerdings sind der ,,Danubius" und die Monfalcone-Werfte um Bestellungen eingekommen. Der Marinekommandant bespricht sodann die Verteilung eines außerordentli¬ chen Kredites auf die Jahre 1911-1914, wonach außer dem alljährlichen ordent¬ lichen Erfordernisse von 20 Millionen auf die ersten drei Jahre je 80, auf das vierte 90 Millionen entfallen. Es ergreift hierauf der k. k. Finanzminister das Wort und konsta¬ tiert zunächst, daß mit dem Baue der Schiffe über Ah. Ermächtigung7 bereits be¬ gonnen worden sei. Er beruft sich weiters auf die Ausführungen des Grafen Aeh- Gemeint ist die Konferenz der gemeinsamen Minister v. 6. 10. 1909. Ein Protokoll ist nicht erhalten, lediglichfolgende Bemerkungen zum Geschäftsstück PK/MS Nr. 3896 der Marine¬ sektion v. 11. 10. 1909: In der am 6. d. M. [Oktober 1909] staatgehabten Ministerkonferenz wurde der Beschluss gefasst, mit Rücksicht auf die ungarische Krise bis Anfang November zuzuwarten, ob die Möglichkeit eintreten werde, einen gemeinsamen Ministerrat abzuhalten. Falls sich letzteres jedoch als unmöglich erweisen sollte, hat sich die Konferenz dahin ausge¬ sprochen, daß die Marinesektion für den sofortigen Baubeginn zweier großer Schlachtschiffe das erforderliche veranlassen solle. Auf Grund des vorliegenden Geschäftsstückes einzulei¬ tende Pourpalers mit den in Betracht kommenden Firmen werden demnach in voller Überein¬ stimmung mit den obigen Beschlüssen angenommen werden. Konzept in HHStA., PA. I, CdM., XI/62, Karton 657, CdM. 507/1909, Reinschrift in Ka,, KM., MS., PK. 1-4/9- 3896/1909. Die Ah. E. erfolgte vermutlich mündlich in der Audienz Montecuccolis v. 22. 9. 1909, Einla¬ dung mit Schreiben Bolfras an Montecuccoli v. 20. 9. 1909, Ka., KM., MS., PK. 1-4/9- 3638/1909. <pb/>316 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 renthal bezüglich des Ablaufes des Dreibundes und kommt zu dem Schlüsse, daß es unter diesen Umständen den Finanzministem schwer sei, nein zu sagen. Man müsse aber doch die gesamte finanzielle Situation in Betracht ziehen. Einen Vor¬ schuß vor der Bewilligung könne er keinesfalls leisten. Er habe sich diesbezüg¬ lich im Parlamente mit seinem Worte gebunden, es wäre dies auch verfassungs¬ widrig und vor allem habe er kein Geld. Die von der Marine verlangten 330 Millionen für einen Zeitraum von vier Jahren müßten im Wege des Kredites beschafft werden. Es stünden aber noch andere Auslagen unter dem Titel Heeresreformen in Aussicht, das seien ständige Belastungen, die nicht durch eine Kreditoperation gedeckt werden können. Man müsse sich da vorher genau orientieren, sonst stünde man vor dem Bankrott, was er betonen müsse, da er sich seiner diesbezüglichen Verantwortlichkeit bewußt sei. Der kgl. ung. Finanzminister schließt sich seinem Vorredner an. Die politische Seite, das Einbringen vor die Delegationen, sei Sache des Mi¬ nisterpräsidenten. Was aber die finanzielle Seite betreffe, so befinde er sich in einer ungemein schwierigen Situation. Er sehen zwar ein, daß je eher die Sache durchgeführt werde, desto vorteilhafter sei es. Zuerst sprach man von 309,5 Mil¬ lionen, jetzt schon von 330 Millionen. Die Anforderungen für Neubauten und Ergänzungen seien gestiegen, daher sei ein je eher ein je besser. Er habe aber 200 Millionen zur Bedeckung des Defizits aufnehmen müssen; sich da zu verpflichten, die Quote von 330 Millionen zu übernehmen, wäre nicht reell. Er könne keinen anderen Standpunkt einnehmen, als daß der Bau auf Ko¬ sten und Risiko der betreffenden Gesellschaften vor sich gehe, wobei aber die quotenmäßige Verteilung der Arbeiten unbedingt in Rücksicht zu nehmen sei, weil sonst die Sache überhaupt nicht durchführbar wäre. Der k. k. Ministerpräsident verweist auf den ungünstigen Ein¬ druck, den die Inangriffnahme der Arbeiten verursacht habe, und auf die Schwie¬ rigkeit, die Sache durchzusetzen. Er bittet den Marinekommandanten um Aus¬ kunft darüber, wie es sich mit dem Gerüchte verhalte, daß er jetzt schon der Länderbank monatlich 500 000 K bezahle. Graf Montecuccoli erwidert, daß laut des bezüglichen Schlußbrie¬ fes die Skodawerke beim Abschlüsse drei Millionen und dann monatlich 500 000 K von der Länderbank zu bekommen haben. Die Marine zahle nichts, hätte auch keine Mittel hiezu. Was die quotenmäßige Verteilung der Arbeiten anbelange, fahrt der Marinekommandant fort, so müsse er darauf verweisen, daß er stets für die Errichtung von Werften in Ungarn, wo die bestandenen eingegangen, plädiert habe. Ungarn lasse die eigenen Handelsschiffe in England bauen, weil man sie dort billiger bekommt. Die Danubiuswerfte könne vor einer Vergrößerung der¬ malen leider nur ein paar Torpedoboote bauen. Man kann einer Werfte, die noch gar nicht existiert, nicht den Bau eines Kriegsschiffes übergeben. Er bitte, die ungarische Regierung möge darauf Einfluß nehmen, daß beim ,,Danubius" mit mehr Emst vorgegangen werde. Es seien auch Nachlässigkeiten vorgekommen. <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 Ml Der ,,Danubius" wolle nur ein gutes Geschäft machen, die Bedürfnisse der Marine kommen fiir ihn in die letzte Linie. Er verfuge auch über kein entspre¬ chendes Personale. Der Vorsitzende setzt die Vorgangsweise der gemeinsamen Regierung auseinander. Der Marinekommandant habe in Anbetracht der Notwendigkeit, die Kriegsmarine zu vermehren, rechtzeitig seine Pläne entwickelt. Es war ausge¬ macht worden, den Marinekommandanten in die Lage zu versetzen, in den Dele¬ gationen im Herbste 1909 sein Programm zu erklären. Nachdem jedoch aus poli¬ tischen Gründen die Delegationen nicht zusammentraten, so war die gemeinsame Regierung gezwungen, entweder nicht verfassungsmäßig vorzugehen, oder ein Jahr nutzlos verstreichen zu lassen und nicht vorzusorgen. Er habe zwar aus den Erklärungen der Vorredner keinen Vorwurf herausgele¬ sen, müsse aber doch den Standpunkt und die Lage der gemeinsamen Regierung hervorheben. Gerade um die beiderseitigen Finanzverwaltungen genau zu informieren, hat der Marinekommandant Aufklärungen gegeben und wird der Kriegsminister hin¬ sichtlich des Ausbaues der Wehrmacht solche heute Vorbringen. Man verlange keine bindenden Beschlüsse, die Diskussion trage vorwiegend informativen Cha¬ rakter, immerhin müsse man aber von einer gebundenen Marschroute sprechen, da man bis 1911 hinsichtlich der militärischen Fragen klar sehen müsse. Der kgl. ung. Ministerpräsident tritt dafür ein, daß es uner¬ läßlich sei, die Delegation sofort zu informieren. Auf die quotenmäßige Vertei¬ lung lege er das allergrößte Gewicht, weil davon ein günstiges Votum der ungari¬ schen Delegation abhänge. Die Werfte in Fiume werde in verhältnismäßig kurzer Zeit gebaut sein. Es werden die sogenannten vorbereitenden Fabriksbauten zuerst fertig sein und dann die Werfte. Er anerkenne übrigens die Berechtigung, daß die richtigen Leute vorhanden sein müssen. Die ungarische Regierung werde diesbe¬ züglich im Einvernehmen mit der Marine Vorgehen. Es sei auch wichtig, die Forderungen des Heers kennen zu lernen, um in den Grenzen des Möglichen die finanziellen Pläne einzurichten beziehungsweise auch anderen Pflichten und Verpflichtungen gerecht werden zu können. Der gemeinsame Kriegsminister sagt hierauf folgendes: Seit fast einem Jahrzehnte hat die Kriegsverwaltung wiederholt die Notwendigkeit des Ausbaues der Wehrmacht den beiden Regierungen gegenüber vertreten; die Anträge des Kriegsministeriums wurden aber entweder unter Berufung auf die politischen Verhältnisse abgelehnt oder es erfolgte überhaupt keine Antwort, so daß sich Redner gezwungen sah, im Wehrausschusse der österreichischen Dele¬ gation im Herbste 1908 die militärische Rückständigkeit ausführlich darzulegen. Als besonders markant wolle er die Reduktion der Stände der Infanterie- und Tiroler Jägerregimenter hervorheben, indem in jedem dieser Regimenter ein Ba¬ taillon auf vermindertem, kaum mehr die Ausbildung gewährleistenden Stande geführt werden muß, um die Rekruten für die Artillerie zu gewinnen und der Marine weit über 3000 Mann zu überlassen. Auch die Kavallerie mußte in ihren <pb/>318 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 dienstbaren Ständen reduziert werden, was umso schwerer ins Gewicht falle, als für ihren modernen Dienst, der immer mehr Spezialitäten verlangt, vollwertige Schwadronen notwendig sind. Die Feldartillerie ist allen möglichen Gegnern in der Zahl der Geschütze inner¬ halb der Armeekörper inferior. Das neue Feldkanonenmaterial ist in solchem Maße beschafft, als es für die in Aussicht genommene Gesamtorganisation ein¬ schließlich der beiden Landwehrartillerien erforderlich ist. Für letztere fehlt aber die Truppe. Die gleichen unhaltbaren Verhältnisse fände man bei der Festungsartillerie und bei den Verkehrstruppen. Die Streitkräfte der anderen Mächte haben dagegen sehr wesentliche Ausge¬ staltungen erfahren. Deutschland überragt uns im Präsenzstande um mehr als ein Drittel, im Kriegsbudget um das Dreifache. Italien ist in der allerletzten Zeit ganz wesentlich fortgeschritten. Es hat in den letzten drei Jahren an Neuformationen vier Bataillone Alpenjäger, fünf Kavallerieregimenter und neun Gebirgsbatterien geschaffen und soll für die nächste Zeit die Aufstellung von 96 Infanteriebatail¬ lonen, 12 Feldartillerieregimentem, acht Festungsartilleriekompanien und sieben technischen Kompanien vorsehen. Seit 1907 widmete es für Heer und Marine außerordentliche Kredite von 660 Millionen. Sein Kriegsbudget beträgt pro 1910/1911 501 Millionen, was einer Steigerung von 38 Millionen gegenüber dem Vorjahre gleichkomme. Rußland widmete einen außerordentlichen Kredit von dreieinhalb Milliarden Kronen zur Hälfte für die Flotte, zur Hälfte für Heer und Festungen. Serbien hat seit der Annexionskrise den Präsenzstand um mehr als ein Drittel erhöht und ent¬ wickelt eine ganz ungewohnte Rüstungstätigkeit. Selbst Montenegro bleibt in der Vervollkommnung seiner Kriegsmittel nicht zurück. Man müsse sich vor Augen halten, welchem unsicheren Schicksale unsere Ar¬ mee entgegengegangen wäre, wenn die Annexionszeit zu einem Kriege nach zwei Fronten geführt hätte. Wohl wurden die materiellen Mittel, wenn auch nicht vollständig, so doch in einem erwünscht hohen Grade gestärkt, dies läßt aber die Mängel in personeller Hinsicht nur noch greller hervortreten. In dieser Beziehung müsse es endlich zu einer Entschließung kommen, um deren Beschleunigung Redner dringendst bitte. Trotz der mißlichen Finanzlage der beiden Staaten der Monarchie, deren Schwierigkeiten die Kriegsverwaltung nicht verkenne, könnte ein Entgegenkommen nur in der Art der Lösung gesucht werden. Es wurde die Einführung der zweijährigen Dienstzeit verlangt; diese würde an fortlaufenden Mehrauslagen etwa 120 Millionen in der Verteilung auf sechs Durchführungsjahre mit einer jährlichen Steigerung um je rund 20 Millionen be¬ dingen, ferner an einmaligen Mehrauslagen etwa 200 Millionen Kronen in der Verteilung auf zehn Durchführungsjahre; hievon würden im ersten Jahre rund 40 Millionen, in den nächsten je zwei Jahrenjährlich 30, beziehungsweise 20, bezie¬ hungsweise 15 Millionen, in den drei Restjahren je zirka zehn Millionen bereit¬ gestellt werden müssen. Hiezu käme ein Kredit für fortifikatorische Maßnahmen <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 319 von 155 Millionen für eine Durchführungsperiode von zehn Jahren mit einem jährlichen Aufwande von 15 Millionen. Es kann sich auch die Notwendigkeit einer Kreditforderung für die Verbesse¬ rung der Bewaffnung ergeben, über deren Höhe noch keine bestimmten Angaben gemacht werden können. Mit der Realisierung eines neuen Wehrgesetzes beziehungsweise der Einfüh¬ rung der zweijährigen Dienstzeit müßte eine analoge Maßnahme hinsichtlich der bosnisch-herzegowinischen Truppen Platz greifen, welche sich finanziell wie folgt äußern würde: an fortlaufenden Mehrauslagen etwa 4,4 Millionen, an ein¬ maligen rund 16 Millionen in einer Verteilung auf sechs bis zehn Jahre. Die Kostenffage dürfte zur Folge haben, daß die Einführung der zweijährigen Dienstzeit nicht mehr so stürmisch verlangt werden wird. Die Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit wäre vom militärischen Standpunkte nur zu begrüßen, denn die Annahme einer verkürzten Präsenzdienstpflicht ist militärischerseits niemals als eine Notwendigkeit empfunden worden, sondern wäre ein Zugeständ¬ nis, um den Ausbau der Wehrmacht als Gegenleistung zu erreichen. Es müßte ferner eine Reihe von Vorbereitungen durchgeführt werden. Insbesondere ist es die Frage der länger dienenden Unteroffiziere, in welcher ein Fortschritt kaum zu verzeichnen ist; wir haben heute wenig mehr als die halbe Zahl des Standes an solchen Unteroffizieren, wie er für die Durchführung der zweijährigen Dienstzeit eine unbedingte Voraussetzung ist, und es ist leider auch keine Aussicht vorhan¬ den, die als notwendig erkannte Ziffer in absehbarer Zeit zu erlangen. Wird auf diese einschneidende Änderung des Wehrsystems verzichtet, so ist die Ausgestaltung des Heeres und der Kriegsmarine unter tunlichster Rücksicht¬ nahme auf die Finanzlage durch die Erhöhung des Rekrutenkontingentes um 25 000 Mann, sonach auf 128 000 Mann, durchführbar. Die Kosten würden be¬ tragen: Fortlaufend rund 90 Millionen in der Verteilung auf vier Jahre, einmalig gleichfalls etwa 90 Millionen für eine sechsjährige Durchführungsperiode. Es könnte dann den verschiedenen Wünschen nach Erleichterungen in der Ab¬ leistung der Dienstpflicht in ziemlich weitgehender Weise entsprochen werden; es wurde unter anderem ermöglicht, eine Anzahl Rekruten lediglich dem Zwecke zu widmen, bedürftigen Wehrpflichtigen die Präsenzdienstpflicht zum großen Teile abzukürzen. Für die bosnisch-herzegowinischen Truppen würden an fortlaufenden Ausga¬ ben nur vier Millionen beansprucht, die einmaligen Kosten etwas herabgesetzt. Das Erfordernis für fortifikatorische Maßnahmen bliebe unverändert. Dieses Programm reicht über jenes Jahr hinaus, das nach Ansicht des Leiters der auswärtigen Politik uns vollkommen gerüstet finden soll. Wäre den Vorschlä¬ gen der Kriegsverwaltung zur rechten Zeit Folge gegeben worden, so wäre dieser Ubelstand nicht eingetreten und nun müsse ihn das Kriegsministerium aus Rück¬ sichten auf die finanzielle Lage hinnehmen und anstreben, wenigstens den Rah¬ men für den notwendigsten Ausbau zu schaffen. Erfahrungsgemäß könne ja des¬ sen Ausfüllung beschleunigt werden, wenn drohende Umstände es erfordern. <pb/>320 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 Fehle aber diese Grundlage, dann könne in entscheidenden Momenten weder Geld noch Begeisterung mehr schaffen als halbe, also ungenügende Resultate. Es müssen aber noch andere Bedürfnisse der Wehrmacht befriedigt werden, die Ergänzung des Pferdebedarfes bei einer Mobilisierung, die Versorgungsfrage und die Militärstrafprozeßordnung. Die bezüglichen Gesetzentwürfe sind fertig¬ gestellt und könnten in kürzester Zeit zur Vorlage gebracht werden. GdI. Freiherr v. Schönaich schließt seine Rede mit einem warmen Appell an beide Regierungen, in die Pläne der Kriegsverwaltung einzugehen, die Sanie¬ rungsaktion mit dem Jahre 1911 beginnen zu lassen und dementsprechend ein neues Wehrgesetz auf Grund der verkürzten Präsenzdienstpflicht oder eine No¬ velle zum bestehenden auf Erhöhung des Rekrutenkontingentes einzubringen. Die Sitzung wird nun um ein Uhr dreißig Minuten unterbrochen und um fünf Uhr fortgesetzt. Der Vorsitzende bittet nach Wiederaufnahme der Sitzung, sich zum Gegenstände zu äußern. Der k. k. Finanzminister rekapituliert eingehend die Ziffeman- sätze des Kriegsministers, worauf Freiherr v. Bienerth den Stand¬ punkt der österreichischen Regierung darstellt, welche den größten Wert auf eine den modernen Anforderungen entsprechende Ausgestaltung der Armee lege. Flal- be Maßregeln seien die allerteuersten, sie erweisen sich, da sie den Zweck nicht vollständig erfüllen, nutzlos. Er glaube, daß trotz aller Schwierigkeiten eine Durchbringung im Parlamente möglich sein werde, falls sich die Anforderungen im Rahmen dessen bewegen, was wir aufbringen können, andernfalls wäre die Sache trotz aller Opferwilligkeit unmöglich. Er werde den Finanzminister bitten, sich darüber auszusprechen, er möchte nur auf einige Momente aufmerksam ma¬ chen. Nach der bosnischen Krise wurden die verhältnismäßig ja nicht zu bedeu¬ tenden Kosten damit motiviert, daß nunmehr die Rückständigkeit in der Armee behoben sei. Diese Ansicht sei weit verbreitet, nun erweise sie sich aber als nicht richtig, da sie nur bezüglich eines Teiles zutreffe, während hinsichtlich der übri¬ gen die Verhältnisse noch krasser liegen, als man je geahnt. Es müsse also die allgemeine Meinung von ihrer Ansicht einer dauernden Besserung abgebracht werden, dieses Erwachen aus dem Traume werde ziemlich bitter sein. Es spiele noch eine zweite Frage mit hinein, das ist die Einführung der zweijährigen Dienst¬ zeit. Diese Forderung wurde von den Volksabgeordneten mit großem Elan aufge¬ stellt und mit großer Verve verteidigt. Dann trat ein Abflauen ein, wegen der großen Kosten einerseits und weil die Einführung einer allgemeinen zweijähri¬ gen Dienstzeit überhaupt nicht geht, zum Beispiel bei der Kavallerie, den techni¬ schen Truppen, der Marine, so daß sie sich nur auf einen Teil der Mannschaft bezöge. Man zog eine Parallele zwischen Kosten und Vorteilen und man schien eher auf eine möglichst weitgehende vorzeitige Beurlaubung Wert zu legen. Wie ihm der Minister für Landesverteidigung gesagt und auch Sr. Majestät berichtet wurde, fordert aber jetzt der Budgetausschuß die Einführung der zweijährigen <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 321 Dienstzeit in so dringender Weise, daß man, wenn sie im laufenden Jahre nicht eingebracht werde, nicht einmal das gegenwärtige Rekrutenkontingent bewilli¬ gen wolle. Dies habe sich Samstag abgespielt, er habe die Stichhältigkeit noch nicht prüfen können, aber der Minister für Landesverteidigung habe für seine Person diese schwierige Prognose berichtet. Die zweijährige Dienstpflicht spuke eben wieder herum und müsse irgendeine Lösung finden. Die dritte Frage sei die Reform der Militärstrafprozeßordnung. Die öffentliche Meinung und der Budgetausschuß beschäftigen sich mit ihr. Keine Partei werde einen Mehraufwand bewilligen, bevor diese Frage gelöst. Die Sache sei jetzt bei der ungarischen Regierung anhängig. Auf eine vor zwei Jahren gestellte Anfrage habe die österreichische Regierung noch keine Antwort erhalten. Es seien nur bezüglich dreier Punkte Divergenzen vorhanden; er glaube, daß diese nicht un- überbrücklich sind, und so wäre die österreichische Regierung bereit, in eine Dis¬ kussion über die militärischen Forderungen einzugehen, von den politischen Kreisen werde sich keiner absolut ablehnend verhalten, nur sei die Konstatierung notwendig, ob wir kräftig genug dazu sind. Derk. k. Finanzminister erklärt, daß eigentlich bereits im Vor¬ jahre ein Defizit vorhanden gewesen wäre, wenn sich nicht eine einmalige Ein¬ nahme gefunden hätte. Heuer jedoch habe sich bei der allerstriktesten Behand¬ lung ein rechnungsmäßiges Defizit von 42 Millionen eingestellt, mit den Zinsen der neuen Anleihe und anderen im Budget noch nicht berücksichtigten Auslagen stelle sich dasselbe auf 69 Millionen. j Die neuen Steuern wolle das Abgeordnetenhaus nicht akzeptieren, an der Branntweinsteuer sei er jetzt vollkommen uninteressiert, weil auch die für den Staat bestimmten 15 Millionen den Ländern zugewiesen werden sollen und selbst diese Steuer hätte keine Aussicht. Das Defizit pro 1910 sei wohl mit einer Anlei¬ he beseitigt, das sei aber keine Ordnung der Sache. Die Zölle und die Konsum- steuem weisen zwar bessere Einnahmen aus, das beruhe aber auf einer einmali¬ gen Konjunktur. Er zweifle sehr, in dem Augenblicke, wo er vor einem Defizite von rund 70 Millionen stehe und die 4 % igen Zinsen für künftige Eisenbahnin¬ vestitionen zu decken habe, in der Lage zu sein, noch zwei Drittel von 52 Millio¬ nenjährlich einstellen zu können. Er müsse offen gestehen, er sei auch von dem Trauma, den der Ministerpräsi¬ dent erwähnt, befangen gewesen. Es sei kein böser Wille vorhanden, er habe kein Recht, nein zu sagen, aber so, wie er es dargestellt, stehe es in Österreich, und er wisse nicht, wie er das ohne neue Steuern, die er eben nicht erhalte, machen könne. Der kgl. ung. Ministerpräsident begreift vollkommen, daß unsere Großmachtstellung und die Rücksicht auf die konkurrierenden Mächte den Ausbau der Armee gebieten. Die Sache sei sehr wichtig, eine Lebensfrage. Er habe noch kein Urteil über das künftige Parlament, aber im großen und ganzen hege er das Bewußtsein, daß die Annahme vielleicht unter Protesten erfolgen werde. Es müsse aber ein Einklang mit der finanziellen Situation geschaffen wer- <pb/>322 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 den: ad impossibilia nemo tenetur. Die Details überlasse er dem Finanzminister. Es seien neue Steuern in Schwebe, der Effekt aber noch nicht festzusetzen. Jeden¬ falls sei die Durchführung nur so möglich, wenn wir unsere finanzielle Situation in Rechnung bringen. Der kgl. ung. Finanzminister meint, er könne dem Vorgesag¬ ten nur wenig hinzufügen. In Ungarn sei die finanzielle Situation noch ärger als in Österreich. Er habe ungünstige Verhältnisse übernommen ohne beneficium in- ventarii. Die Kassen seien leer gewesen, am dritten oder vierten Tage seiner Mi¬ nisterschaft habe er eine schwebende Schuld von 50 Millionen aufhehmen müs¬ sen. Die habe er wohl zurückgezahlt, aber von der 100-Millionen-Rentenanleihe. Jetzt müsse er zur Zinsenzahlung eine zweite Schuld aufhehmen und eine große schwebende Schuld refimdieren, die sein Amtsvorgänger zur Deckung des Defi¬ zits aufgenommen. In Ungarn herrsche der Ex-lege-Zustand, der keine Exekutio¬ nen zulasse, die Steuereingänge haben eine, wenn auch nicht bedeutende, rück¬ gängige Tendenz. Das Defizit für dieses Jahr sei nahe an 200 Millionen. Was aber im nächsten Jahre geschehen werde, sei ganz unbestimmt, namentlich, wenn das Parlament nicht sehr arbeitsfähig ist. Die heutige Konferenz verfolge übrigens nicht den Zweck, definitive Be¬ schlüsse zu fassen, sondern nur, sich über die Erfordernisse der Kriegverwaltung zu informieren. Er schlage vor, die Sache schriftlich zu behandeln, vielleicht wer¬ de es nicht unmöglich sein, die überaus hohen Ziffern herabzudrücken und sich mit weniger zu begnügen. Was die Frage eines Vorschusses an die Marine betreffe, so wisse er nicht, woher er ihn nehmen solle. Jedenfalls sei eine definitive Entscheidung jetzt un¬ möglich. Der Vorsitzende führt aus, daß es nicht die Absicht der gemeinsamen Regierung gewesen sei, definitive Beschlüsse zu provozieren. Der Marinekom¬ mandant und der Kriegsminister wollten die beiden Regierungen nur informieren und sie in loyaler Weise rechtzeitig aufmerksam machen, sowie sie auf gewisse kalendarische Daten verweisen. Nun, da das Budget pro 1910 fixiert, sei der Mo¬ ment zur Entwicklung der Programme gekommen. Die Forderungen der Marine seien jedoch allerdringlichster Natur. Man müsse bei den Delegationen mit dem Programme hervortreten. Er sei nicht berufen, über die Ziffemansätze ein Urteil abzugeben, aber man werde viel¬ leicht darüber reden können. Das gemeinsame Budget ist im Vergleiche zu den Budgets der beiden Staaten der Monarchie ein sehr geringes. An der Hand von Tabellen weist dies GrafAeh- renthal ausführlich nach und kommt auch auf die bedeutenden Aufwendungen Italiens und Rußlands, welches letztere für Armee und Flotte eine Milliarde Ru¬ bel verwende, zu sprechen. Der k. k. Ministerpräsident stimmt dem Vorsitzenden zu, macht aber aufmerksam, daß - wenn er auch diesen Standpunkt nicht teile - die <pb/>Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 323 Ansicht vorherrsche, die gemeinsamen Auslagen seien unproduktive. Auch müs¬ se man die Auslagen für die Landwehren in Kalkül ziehen. Was die Marine betreffe, so sei in Italien der Gedanke eines aggressiven Vor¬ gehens populär, daher die große Opferwilligkeit begründet. Bei uns betrachte man die Marine als Defensivwaffe, auch fehlen bei uns die überseeischen Kolo¬ nien, was für die Beurteilung der Frage von Bedeutung ist. Ebenso komme zu berücksichtigen, daß man nicht nur materielle, sondern auch persönliche Opfer verlange, das heißt, die persönliche Dienstleistung einer größeren Anzahl von Individuen. Wenn man über die Grenze der Leistungsfähigkeit gehe, stehe man - wie schon der k. k. Finanzminister gesagt - vor dem Bankrott. Man brauche Zeit zum Studium. Da es nicht zu verhindern ist, daß in den Delegationen die Frage aufgeworfen werden wird, wie man diese Summen aufbringen wolle, wer¬ de man die Aufklärung geben müssen, wie man sich das vorstelle. Der gemeinsame Kriegsminister verlangt nicht bestimmte ziffernmäßige Zusagen, er wolle nur, daß das Jahr 1911 für die Wehrmacht nicht verloren gehe, denn das aufgestellte Spatium gehe ohnehin über den Zeitpunkt hinaus, wo man fertig sein sollte. Seit zehn Jahren habe man die bezüglichen Noten des Kriegsministeriums totgeschwiegen. Nachdem die österreichischen und die ungarischen Minister darauf hingewiesen, daß das im Hinblicke auf die Dauer ihrer Amtstätigkeit auf sie nicht zutreffe, fahrt Freiherr v. Schönaich fort, daß für ihn die Hauptsache sei, daß sein Programm von jetzt ab nicht außer Ver¬ handlung bleibe. Das vor 40 Jahren zustande gekommene Wehrgesetz war unzu¬ länglich, man habe daher notgedrungen die Landwehren herangezogen. Es sei ja möglich, bei den einzelnen Posten zu diskutieren, namentlich wenn neue uner¬ wartete Forderungen entstünden wie z. B. für das automatische Gewehr. Er würde mehr Wert auf mündliche Verhandlungen legen und den Notenwech¬ sel möglichst beschränken. Auch möchte er klar sehen ob er auf Basis der zweijährigen Präsenzdienstzeit weitere Vorarbeiten vornehmen lassen soll. Der kgl. ung. Ministerpräsident findet den Standpunkt des Kriegsministers voll berechtigt, wonach nunmehr der ganze Komplex von Fragen nicht ruhen dürfe, sondern zur Entscheidung zu kommen habe. Er müsse schon mit Rücksicht auf die finanzielle Lage darauf Gewicht legen, daß von der dreijäh¬ rigen Dienstzeit nicht abgegangen werde. Man müsse die zweijährige Dienstzeit beziehungsweise deren finanzielle Folgen so darstellen wie sie sein werden, das wird kalmierend wirken. Man werde bewilligen, was unumgänglich erforderlich ist, darüber hinaus könne man nicht gehen, weil dies durch Steuererhöhungen nicht zu decken ist und man ohnehin das schon vorhandene bedeutende Defizit erhöhen müsse. Un- garischerseits sei man entschlossen, dem Verlangen nach der zweijährigen Dienst¬ zeit entgegenzutreten. Bezüglich der Marine, deren Forderungen er vollkommen begreife, habe er sich schon früher geäußert. Diese Auslagen sind die allerdrin¬ gendsten, die Regierungen müssen diesbezüglich so rasch als möglich ins Reine <pb/>324 Nr. 16 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 17. 5. 1910 kommen, die Sache liege auch viel klarer als die des Heeres, die Marine verlangt nur den Bau von Schiffen, das Heer persönliche Leistungen. Er wiederhole, daß er sich dem Begehren des Kriegsministers, die Verhandlungen nicht Stillstehen zu lassen, anschließe. Bezüglich der Militärstrafprozeßordnung werde er den Justizminister ersu¬ chen, den Standpunkt, den er einnehme, bekanntzugeben, damit je eher eine Ant¬ wort erteilt werden könne. Der Vorsitzende faßt als Ergebnis zusammen: Beide Regierungen ver¬ kennen nicht die dringliche Natur der besprochenen Angelegenheiten, sie spre¬ chen die Bereitwilligkeit aus, sich mit den Programmen zu befassen, weisen aber auf die prekäre finanzielle Situation hin. Er schlage vor, daß der Marineplan, dessen Erörterung in den Delegationen unabweislich ist, noch vor dem Zusammentritte dieser Körperschaft behandelt werde und zwar in einer im September abzuhaltenden Konferenz. Der Öffentlich¬ keit gegenüber könne man sagen, es handle sich um die Fixierung des endgiltigen Termines der Delegationen. Er unterstützt gleichfalls den Wunsch des Kriegsministers nach fortlaufenden Verhandlungen; die beiden Regierungen seien ja bereit, ihre Zeit und ihre Auf¬ merksamkeit der Sache zu widmen, man müsse nicht nur das Geld beschaffen, sondern auch Gesetze vorbereiten. Der gemeinsame Kriegsminister möchte noch, um einem Mißverständnisse vorzubeugen, betonen, daß die Forderungen der Armee ebenso dringend seien wie jene der Kriegsmarine. Ein Viertel unserer Infanterie existiere einfach nicht, weil für Artillerie und Marine abgezogen. Der Vorsitzende unterstützt den Vorredner bezüglich der Rückstän¬ digkeit im Heere in personeller Hinsicht. Der k. k. Ministerpräsident will seinerseits konstatieren, daß das Marineprogramm in einer Ministerkonferenz noch nicht beschlossen worden sei, und stellt - nachdem Graf Montecuccoli einige Aufklärungen gegeben - fest, daß nicht nur schwere Schlachtschiffe und deren Begleitschiffe gebaut werden, sondern auch eine allgemeine Verstärkung der Flotte geplant sei, was den k. k. Finanzminister zu der Bemerkung veranlaßt, man habe zuerst von drei oder von vier Schlachtschiffen gesprochen, und er habe den Eindruck gehabt, daß diese ohne die anderen Schiffe keinen Wert hätten. Das sei also nicht so, daß ein Schlachtschiff wertlos sei, wenn nicht so und so viele Kreuzer, Torpedoboote usw. dazu kämen, sondern man braucht für die Flotte mehr Schiffe. Der k. k. Ministerpräsident hält es für angezeigt, daß authen¬ tisch festgestellt werde, die zweijährige Dienstzeit sei weder vom volkswirt¬ schaftlichen noch vom militärischen Standpunkte wünschenswert, verursache aber enorme Kosten. Das müsse den Vertretungskörpem klipp und klar gesagt werden. Graf Khuen-Hederväry schließt sich dem vollkommen an. <pb/>Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 9. 1910 325 Der gemeinsame Kriegsminister sagt, er habe eine diesbe¬ zügliche Anfrage schon bei den letzten Delegationen erwartet und seine Antwort vorbereitet gehabt, er wurde aber nicht gefragt. Was seine Forderungen betreffe, könne man vielleicht ein langsameres Tempo vorschlagen, man dürfe aber nicht sagen, sie seien nicht notwendig. Es wird sodann beschlossen, zunächst schriftlich zu fixieren, was zu gesche¬ hen habe, dann mündliche Verhandlungen einzuleiten und in einer Ministerkon¬ ferenz etwa Ende September oder anfangs Oktober über beide Programme und das Budget pro 1911 zu entscheiden.8 Nachdem noch das über die heutige Sitzung hinauszugebende Kommunique vereinbart wurde, schließt der Vorsitzende die Konferenz um halb acht Uhr. Aehrenthal Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Bad Ischl, am 12. August 1910. Franz Joseph. Nr. 17 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. September 1910 RS. (und RK.) Gegenwärtige: k. k. Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. ge¬ meinsame Knegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Finanzminister Dr. Ritter v. Bilinski (1.10.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, der k. u. k. Marinekommandant und Chef des gemeinsamen Kriegsministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli. Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Günther. Gegenstand: Beratung über den Termin der Eröffnung der nächsten Delegationssession, das Marineprogramm, die Wehrvorlage und die Militäijustizreform. KZ. 17-GMCPZ. 481 Protokoll des zu Wien am 22. September 1910 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Mini¬ sters des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen Aehrenthal. Der Vorsitzende, welcher die Sitzungum 10 Uhr vormittags eröffiiet, stellt zunächst an die Konferenzteilnehmer die Frage, ob sie geneigt wären, vor Eingehen in die Beratung über die Gegenstände der heutigen Konferenz den ge¬ meinsamen Finanzminister anzuhören, welcher ,,über die bei den bosnisch-herze- Fortsetzung des Gegenstandes wegen des gemeinsamen Budgetsfür 1910 und des Budgets för 1911 in GMR. v. 22. 9. 1910, GMCPZ. 481. <pb/>