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Gemeinsamer Ministerrat, 28. 2. 1910

I. Die Aktivierung des Zusatzvertrages vom 23. April 1909 zur Handelskonvention mit Rumänien vom 21. Dezember 1893

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z15.pdf.

II. Die Einleitung von Verhandlungen wegen Abschlusses von Handelsverträgen mit Serbien, Montenegro und Argentinien

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z15.pdf#page=9.

III. Der Notenwechsel mit Schweden behufs Regelung der Stellung der österreichischen und ungarischen Hanlungsreisenden

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z15.pdf#page=12.

296 Nr 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II

Zusammentritt des Landtages abwarten möchte. Die diesbezüglich in Betracht
kommenden Interessen seien dreierlei: rein bosnisch-herzegowinische, dann han¬
delspolitische der Monarchie und endlich militärische. Angesichts dieser Man¬
nigfaltigkeit könne man über diesen Fragenkomplex erst beraten, wenn das ganze
Bauprogramm festgestellt sei6. Weiters macht Baron Buriän auf die Dringlichkeit
der Angelegenheit der Finanzierung der türkischen Entschädigung aufinerksam,
welche derzeit durch die Aufnahme eines im kommenden April fälligen Vor¬
schusses geregelt sei, so daß eine weitere Vorsorge getroffen werden müßte.

   Der Vorsitzende schließt die Beratung, indem er die Einleitung der
weiteren Verhandlungen im vorbesprochenen Sinne in Aussicht stellt.

                                                                                           Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 28. April 1910. Franz Joseph.

     Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. Februar 1910II

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. österreichische Ministerpräsident Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung.
Ministerpräsident Graf Khuen-Hederväry, der k. k. österreichische Finanzminister Ritter v. Bilihski
(24. 3.), der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukäcs, der k. k. österreichische Handelsminister Dr.
Weiskirchner, der kgl. ung. Handelsminister v. Hieronymi, der kgl. ung. Ackerbauminister Graf
Szerenyi, der Leiter des k. k. österreichischen Ackerbauministeriums Sektionschef v. Pop.
     Schriftführer: Generalkonsul Joannovics.
     Gegenstand: I. Die Aktivierung des Zusatzvertrages vom 23. April 1909 zur Handelskonvention
mit Rumänien vom 21. Dezember 1893. II. Die Einleitung von Verhandlungen wegen Abschlusses
von Handelsverträgen mit Serbien, Montenegro und Argentinien. III. Der Notenwechsel mit Schwe¬
den behufs Regelung der Stellung der österreichischen und ungarischen Handlungsreisenden.

    KZ. 42 - GMCPZ. 479
    Protokoll des zu Wien am 28. Februar 1910 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hau¬
ses und des Äußern Grafen Aehrenthal.

    Der Vorsitzende wirft einleitend einen Rückblick auf die handelspoliti¬
sche Situation der österreichisch-ungarischen Monarchie. Unter der Einwirkung des
neuen Kurses der Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches, welcher in dem ver¬
stärkten Schutze der landwirtschaftlichen Produktion zum Ausdrucke gekommen
ist, sei man österreichisch-ungarischerseits genötigt gewesen, in einer Reihe von

6 Die bosnische Bahnfrage kam zur Sprache in GMR. 26. 2. 1911, GMKPZ. 485.
<pb/>Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 191011  297

Konferenzen, die im Jahre 1904 stattgefunden haben, die Grundlinien zu bezeich¬
nen, innerhalb welcher sich die Handelspolitik der Monarchie zu entwickeln haben
werde.1 Damals sei als ein grundlegendes Prinzip für die Handelspolitik der Mon¬
archie der Grundsatz eines inneren Zusammenhanges der mit den Westmächten seit¬
her bereits abgeschlossenen großen Verträge, bei welchen auch österreichisch-unga-
rischerseits den agrarischen Interessen Rechnung getragen wurde, und der mit den
kleinen Oststaaten abzuschließenden Verträge festgelegt worden, durch welche der
Industrie die Möglichkeit geboten werden sollte, sich aufdiesem Terrain zu erhalten
und weiter zu entwickeln. Dieser Zusammenhang sollte es ermöglichen, den von
Westen her ausgeübten Druck durch Schaffung von Erleichterungen für den Absatz
nach Osten hin zu paralysieren. Das Zustandekommen der Verträge mit den Oststaa¬
ten wäre daher im Sinne des damals entworfenen handelspolitischen Programmes
durch alle tunlichen Konzessionen zu erleichtern gewesen.

   Während es nun zwar gelungen sei, die Gruppe der großen Verträge zustande zu
bringen, liege in der Gruppe der kleinen Verträge auch heute noch kein positives
Ergebnis vor. Nach langer Mühe sei es zwar im Jahre 1908 gelungen, mit Serbien
einen Vertrag zu unterzeichnen, der jedoch unter dem Drucke der politischen Ver¬
hältnisse zurückgezogen werden mußte;2 mit Rumänien sei ein Vertrag abge¬
schlossen worden, dessen Inkraftsetzung bisher aufHindernisse gestoßen sei; Bul¬
garien gegenüber sei die Handelspolitik der Monarchie auf eine sehr schwache
Grundlage gestellt; mit Griechenland sei ein alter provisorischer Vertrag in Kraft,
der auf die Dauer keine genügende Garantie für die Erhaltung der handelspoliti¬
schen Interessen der Monarchie diesem Staate gegenüber biete; der Türkei gegen¬
über bilden die Bestimmungen des Entente-Protokolls bloß eine allgemeine
Grundlage für die künftige Regelung der gegenseitigen Handelsbeziehungen; mit
Montenegro endlich bestehe, wie bei Serbien, der vertragslose Zustand.

   Es erscheine daher dringend notwendig, die ins Stocken geratene handelspoli¬
tische Aktion zum Abschlüsse zu bringen, um die auf dem Spiele stehenden gro¬
ßen wirtschaftlichen Interessen zu wahren und einerseits der Industrie und dem
Handel Österreich-Ungams im nahen Oriente das Terrain zu erhalten, welches sie
bisher mnegehabt haben, andererseits aber auch, um durch Ermöglichung des
Bezuges von Rohprodukten aus diesen Ländern einen regelnden Einfluß auf die
Preisbildung der Lebensmittel in Österreich-Ungarn auszuüben.

  Außer diesen wirtschaftlichen Gründen sprechen auch politische Momente für
die rasche und konsequente Durchführung des seinerzeit entworfenen handelspo¬
litischen Programmes. Da Österreich-Ungarn keine Eroberungspolitik betreibe,
sei es darauf angewiesen, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Auslande und

       1904 war über handelspolitische Fragen und damit die Grundlinien der Handelspolitik der

       Monarchie in GMR. v. 28. 2. 1904, Gmr. V, Nr. 51 und GMR. v. 30. 10. 1904, ebd., Nr. 58

       (Handelsvertrag mit dem Deutschen Reich) sowie GMR. v. 16. 8. 1904, ebd., Nr. 57 (Han¬

       delsvertrag mit Italien) beraten worden.
2 Siehe dazu GMR. v. 28. 2. 1909, GMCPZ. 470.
<pb/>298 Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II

speziell zu den Balkanstaaten auszugestalten, um auf diesem Wege auch einen
politischen Einfluß auf diese Staaten ausüben zu können.

   [I.] Auf den ersten Punkt der Tagesordnung - die Aktivierung des Zusatzvertra¬
ges zur Handelskonvention mit Rumänien - übergehend,3 verweist der Vorsitzende
auf den Umstand, daß die rumänische Regierung ihrer Verpflichtung, den Vertrag
parlamentarisch zu erledigen, bereits vor zwei Monaten nachgekommen sei und
den Wunsch geäußert habe, ihn ehestens in Kraft treten zu lassen. Die österreichi¬
sche Regierung sei heute im Besitze eines handelspolitischen Ermächtigungsgeset¬
zes und bereit, den Vertrag provisorisch zu aktivieren oder zu ratifizieren. Anders
lägen dagegen die Verhältnisse in Ungarn infolge des seither eingetretenen Regie¬
rungswechsels. Dem Drängen der rumänischen Regierung gegenüber habe sich der
Vorsitzende dahin geäußert, daß er alles daran setzen werde, um den Vertrag je eher
in Kraft treten zu lassen, und hoffe, daß sich auch die kgl. ung. Regierung zu einer
provisorischen Aktivierung verstehen werde, sich aber Vorbehalten müsse, den
Vertrag auch der parlamentarischen Behandlung zuzuführen.

   Um den Anschein zu vermeiden, daß man eine Verkürzung Rumäniens in den
Kontingenten beabsichtige, sei auch im Einvernehmen mit beiden Regierungen
Rumänien erklärt worden, daß es das ganze für das Jahr 1910 vereinbarte Kontin¬
gent an geschlachteten Tieren auszunützen in die Lage kommen werde.

   Der Vorsitzende ersucht die beiden Regierungen daher, in Anbetracht der von
ihm erörterten Situation zur Frage der Aktivierung des Zusatzvertrages zum Han¬
delsvertrag mit Rumänien sich zu äußern.

   Der k. k. österreichische Ministerpräsident verweist
zunächst auf die schwierige Situation und die nachteiligen Folgen, welche ein
weiteres Hinausschieben der Aktivierung dieses Vertrages in Österreich herbei¬
führen würde. Es sei der Regierung unter den schwierigsten Verhältnissen gelun¬
gen, die parlamentarische Erledigung des Vertrages durchzufuhren, dessen defi¬
nitive Genehmigung bereits ausgesprochen sei und bezüglich welches auch die
Möglichkeit einer provisorischen Aktivierung vorliege. Ein ausschlaggebendes
Moment für das nachdrückliche Eintreten der Regierung zugunsten des Vertrages
und für dessen schließliche Annahme durch das Parlament habe die Vorausset¬
zung gebildet, daß der Vertrag auch in Ungarn auf Grund des Ermächtigungsge¬
setzes noch vor Ablauf des Jahres 1909 provisorisch in Kraft gesetzt werde. Man
habe sicher darauf gerechnet, daß die frühere ungarische Regierung von der ihr
zur Verfügung gestandenen Ermächtigung Gebrauch machen werde, weil positi¬
ve Erklärungen ungarischerseits in diesem Sinne Vorlagen.4 Trotzdem habe sich

        Der rumänische Handelsvertrag war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 14. 4. 1909,
        GMCPZ. 472.
        Eine Zusage Wekerles, den Zusatzvertrag zum Handelsvertrag mit Rumänien mit dem wirt¬
        schaftlichen Ermächtigungsgesetz in Kraft zu setzen, konnte in den Beständen des HHStA.,
        Admin. Reg., F 37 Rumänien 4 nicht gefunden werden. Mit Schreiben v. 17. 12. 1909 an
        Aehrenthal schloß aber Wekerle eine Aktivierung für die nächste Zukunft aus; HHStA., Ad¬
        min. Reg., F 37 Rumänien 4, Karton 58, Nr. 149.
<pb/>Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II  299

diese Erwartung nicht erfüllt. Angesichts der Energie, mit welcher das öster¬
reichische Abgeordnetenhaus die Frage der endlichen Inkraftsetzung des Vertra¬
ges mit Rumänien auf dem Wege von Interpellationen und Anfragen verfolge,
deren Beantwortung nicht länger hinausgeschoben werden könne, erschiene es
der k. k. österreichischen Regierung in höchstem Maße bedenklich, erklären zu
müssen, daß die Voraussetzungen, auf deren Zutreffen man bei Erledigung der
Angelegenheit in Österreich gerechnet habe, sich nachträglich als nicht gegeben
erwiesen hätten.

   Durch eine solche Erklärung müßte der politische Kredit der k. k. österreichi¬
schen Regierung wesentlich leiden, und es würde ohne Zweifel ein derartiges
Mißtrauen in den politischen Kreisen hervorgerufen werden, daß es mit den grö߬
ten Schwierigkeiten verbunden sein würde, im österreichischen Parlamente posi¬
tive Beschlüsse in einer Reihe von Fragen zustande zu bringen, welche die Inter¬
essen beider Staaten der Monarchie betreffen.

   In den agrarischen Kreisen, gegen welche der Kampf bei Durchbringung des
handelspolitischen Ermächtigungsgesetzes in erster Linie gerichtet gewesen sei,
werde das Hinausschieben der Aktivierung des Vertrages schon jetzt als ein gro¬
ßer Erfolg bezeichnet und offen erklärt, die Annahme des Ermächtigungsgesetzes
habe nichts zu bedeuten, da Ungarn dafür sorgen werde, daß der Vertrag trotzdem
nicht aktiviert werde. Dies rufe natürlich in den Kreisen der anderen Parteien
große Beunruhigung hervor und bringe die Regierung selbst in eine schiefe Posi¬
tion. Aus den dargelegten Gründen müsse die k. k. österreichische Regierung
schon vom rein politischen Standpunkte aus auf der ehebaldigsten Inkraftsetzung
des Zusatzvertrages mit Rumänien bestehen.

   Der k. k. Handelsminister verweist desgleichen auf die ihm sei¬
tens des Ministeriums des Äußern gemachte Mitteilung, daß die frühere ungari¬
sche Regierung keinen Anstand nehme, den Vertrag vor Ende 1909 zu aktivieren.
Er habe von dieser Erklärung Gebrauch gemacht, und es würde daher den pein¬
lichsten Eindruck erwecken, wenn sie nicht eingehalten würde, da sie ja eine der
Voraussetzungen für die Durchbringung des Ermächtigungsgesetzes gebildet
habe. Vom rein wirtschaftspolitischen Standpunkte müsse sowohl im Interesse
der Industrie wie auch der Äpprovisionierung die Aktivierung des Vertrages ver¬
langt werden.

   Schon seit Jahren habe die österreichische Industrie das berechtigte Verlangen
gestellt, mit Rumänien in ein geordnetes handelspolitisches Verhältnis zu treten.
Nach schwierigen Kämpfen sei es endlich gelungen, den Vertrag zustande zu
bringen und parlamentarisch zu erledigen; nun werde die Regierung bestürmt,
ihn durchzuführen. Da es sich um einen Export von rund hundert Millionen hand¬
le, erscheine die Sicherung desselben bei der passiven Gestaltung der Handelsbi¬
lanz als eine unabweisliche Forderung. Vom Standpunkte der Approvisionie-
rungsfrage müsse darauf hingewiesen werden, daß die Verhältnisse geradezu
unhaltbare geworden seien. Die Marktberichte bestätigen, daß ein förmlicher
Mangel an Schlachtschweinen herrsche, und daß auch die ungarische Produktion
<pb/>300 Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II

nicht mehr jene Mengen aufbringen könne, auf welche früher gerechnet werden
konnte. Wenn der herrschenden Approvisionierungsnot nicht abgeholfen werde,
so seien aufgeregte Vorgänge zu erwarten. Es sei zwar ausgeschlossen, daß Ru¬
mänien im Anfänge die für die Sanierung dieser Verhältnisse erforderlichen Men¬
gen Fleisch liefern werde, allein, die Ermöglichung der Einfuhr an sich werde
genügen, um Beruhigung herbeizuführen. Aus allen diesen Gründen müsse die,
wenn auch vorläufig provisorische Aktivierung des Zusatzvertrages mit Rumäni¬
en dringend gefordert werden.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, daß die politischen
Interessen der beiden Staaten der Monarchie in der Frage des Handelsvertrages
mit Rumänien vollkommen identische sind. Auch die kgl. ung. Regierung aner¬
kenne die große politische Bedeutung der Erhaltung guter Beziehungen zu die¬
sem Nachbarstaate nicht allein vom Standpunkte der gemeinsamen politischen
Interessen, sondern auch vom rein ungarischen politischen Standpunkte. Wenn
die kgl. ung. Regierung gegenwärtig leider nicht in der Lage sei, durch Aktivie¬
rung des Zusatzvertrages auch formell alles vorzukehren, um diesen anerkannten
Interessen zu entsprechen, so sei dies Umständen zuzuschreiben, die ohne ihr
Zutun eingetreten seien. Die frühere Regierung habe ein Ermächtigungsgesetz
gehabt, welches die Aktivierung des Vertrages ermöglicht hätte, doch sei dies
nicht ausgenützt worden. Die gegenwärtige Regierung besitze nicht nur kein der¬
artiges Gesetz, sondern könne es sich jetzt auch nicht verschaffen. Das alte Par¬
lament stehe vor der Auflösung und habe den ihm vorgelegten Gesetzentwurf
über den Vertrag mit Rumänien nicht einmal dem Komitee zugewiesen. Vor
Durchführung der Neuwahlen sei die Regierung daher jeder gesetzlichen Er¬
mächtigung beraubt, den Vertrag auf normalem Wege zu aktivieren. Trotz ihrer
Überzeugung von der großen Bedeutung dieser Frage sei daher die kgl. ung. Re¬
gierung dermalen nicht in der Lage, sie praktisch der Lösung zuzuführen. Dage¬
gen könne die ungarische Regierung heute schon erklären, daß, sobald ihr die
Möglichkeit hiezu geboten sein werde, sie mit der Aktivierung des Vertrages auch
nicht einen Augenblick zögern werde. Ein bestimmter Termin könne zwar gegen¬
wärtig nicht in Aussicht gestellt, immerhin aber zugesichert werden, daß, sobald
das neue Parlament zusammentreten werde, was wahrscheinlich im Juni der Fall
sein werde, die ungarische Regierung den Zusatzvertrag mit Rumänien unbedingt
als eine der wichtigsten Vorlagen erledigen lassen und, sei es auf Grund seiner
parlamentarischen Genehmigung oder auf Grund eines anzusprechenden Er¬
mächtigungsgesetzes, aktivieren werde. Eine weiterhegende Erklärung könne
ungarischerseits nicht abgegeben werden.

   Der kgl. ung. Handelsminister erklärt, die österreichischer-
seits gegen das Vorgehen der früheren ungarischen Regierung erhobenen Ein¬
wendungen vollkommen zu teilen. Es liege jedenfalls ein schweres Versäumnis
dieser Regierung vor; doch sei die gegenwärtige Regierung dermalen nicht in der
Lage, das Versäumte nachzuholen, obwohl sie die Überzeugung habe, daß es aus
politischen und wirtschaftlichen Gründen gleich wünschenswert sei, den Vertrag
<pb/>Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 191011  301

mit Rumänien je eher zu aktivieren. Auch eine provisorische Aktivierung im Ver¬
ordnungswege sei nach der Lage der Dinge untunlich. Im gegenwärtigen Parla¬
mente sei die Regierung ohne jeden Anhang. Das Parlament habe nicht einmal
die eingebrachte Vorlage über den Vertrag an die Kommission zu weisen geneh¬
migt. Angesichts der bevorstehenden Wahlen wäre der Versuch einer Aktivierung
des Vertrages auf administrativem Wege ein höchst bedenkliches Wagnis. Man
habe die gegenwärtige Regierung bereits verdächtigt, daß sie im Verordnungswe¬
ge zu regieren beabsichtige. Wenn diese Vorwürfe durch die Aktivierung des ru¬
mänischen Vertrages bestätig würden, so würde der Opposition eine Waffe in die
Hand gegeben werden, die sie jetzt nicht besitze. Hiedurch wäre aber das Ergeb¬
nis der nächsten Wahlen, welche der Regierung eine auf dualistischer Basis ste¬
hende Mehrheit bringen sollen, in höchstem Maße gefährdet. Aus der ablehnen¬
den Haltung der kgl. ung. Regierung gegen die gewünschte sofortige Aktivierung
des mmänischen Vertrages könnte österreichischerseits kein Grund zu einem
Mißtrauen gegen die ungarische Regierung abgeleitet werden. Sie befinde sich
eben nicht in der Lage einer parlamentarischen Regierung, welche in der sicheren
Erwartung der Genehmigung ihres Vorgehens durch die sie unterstützende Majo¬
rität auf administrativem Wege Verfügungen treffen könne. Wenn die ungarische
Regierung auch in die Lage gekommen sein werde, sich auf eine Majorität zu
stützen, so werde auch sie die Angelegenheit, um welche es sich handle, von ei¬
nem anderen Gesichtspunkte betrachten. Auch vom Standpunkte der Gesamtin¬
teressen der Monarchie wäre es bedenklich, ein so gewagtes Experiment, wie die
außerparlamentarische Aktivierung eines Staatsvertrages, unter den gegenwärti¬
gen Verhältnissen in Ungarn zu riskieren. Es sei wohl wünschenswert, in Ungarn
wieder eine Mehrheit auf dualistischer Basis zu schaffen. Wenn dies gelingt, so
sei auf eine längere Reihe von Jahren ein ruhiges Zusammengehen mit Österreich
gesichert.

   Dies bedeute aber ohne Zweifel ein größeres Interesse der Monarchie, als eine
um einige Monate früher erfolgende Aktivierung des Zusatzvertrages mit Rumä¬
nien und es erscheine daher jedenfalls angezeigter, wegen einer kleinen Unzu-
kömmlichkeit das größere Ziel nicht aus den Augen zu lassen.

   Die Aktivierung des Zusatzvertrages mit Rumänien im Verordnungswege wäre
dermalen für die ungarische Regierung gleichbedeutend mit dem Selbstmorde;
auch wäre es nicht angezeigt, heute schon einen Termin zu setzen, weil dies das
Odium der außerparlamentarischen Aktivierung nicht vermindern würde. Es er¬
übrige also nichts, als die künftige parlamentarische Gestaltung abzuwarten, dann
werde man der Frage näher treten können.

   Auf die Approvisionierung werde auch ein sofortiges Inkrafttreten des rumä¬
nischen Vertrages von gar keiner Wirkung sein. Selbst wenn Rumänien imstande
wäre, die Kontingente voll auszunützen, was nicht wahrscheinlich sei, so bedeute
der rumänische Fleischimport nur einen so kleinen Perzentsatz des Bedarfes, daß
eine Rückwirkung auf die Preise nicht zu erwarten wäre.
<pb/>302 Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II

   Der Vorsitzende anerkennt die Triftigkeit der von der kgl. ung. Regie¬
rung vorgebrachten Gründe, muß aber bemerken, daß eine doppelte Schwierig¬
keit besteht: einerseits das Engagement der k. k. österreichischen Regierung ge¬
genüber dem Parlamente bei Durchführung des Ermächtigungsgesetzes,
andererseits die der rumänischen Regierung auf Grund der von der früheren un¬
garischen Regierung gemachten positiven Zusage abgegebene Erklärung, daß der
Vertrag in einem nicht zu entfernten Zeitpunkte werde aktiviert werden und Ru¬
mänien in die Lage kommen werde, seine Kontingente für das Jahr 1910 voll
auszunützen.

   Trotzdem sei rumänischerseits noch nicht an den Bau der projektierten
Schlachthäuser geschritten worden, weil die weitere Verzögerung der Aktivie¬
rung des Vertrages nach den abgegebenen Erklärungen Beunruhigung hervorru-
fen mußte. Es ergebe sich daher die Notwendigkeit, einen Ausweg mittels einer
Formel zu finden, durch welche den Schwierigkeiten bei beiden Regierungen
Rechnung getragen und Rumänien beruhigt werden könnte. Zu diesem Zwecke
wäre es vielleicht dienlich zu sagen, wann der Vertrag aktiviert werden kann, was
zu einem Zeitpunkte geschehen müßte, wo das Rumänien zugesicherte Kontin¬
gent noch voll ausgenützt werden könnte. Die zweite Aufgabe wäre, darüber
schlüssig zu werden, wie intern weiter vorzugehen wäre.

   Der kgl. ung. Handelsminister glaubt nicht, daß die rumäni¬
sche Regierung aus Anlaß einer nichtsofortigen Aktivierung des Vertrages zu
Vorwürfen berechtigt wäre. In Rumänien sei der Vertrag erst im Dezember votiert
worden, und es pflege sich oft zu ereignen, daß längere Zeit verstreiche, ehe die
Gesetzgebung einen Handelsvertrag genehmige. Darüber, daß der beste Wille be¬
stehe, den Vertrag zu aktivieren, dürfte kein Zweifel obwalten. Die Kontingente
für das Jahr 1910 könnten ohne weiteres in vollem Ausmaße gewährt werden.

   Der k. k. österreichische Ministerpräsident erinnert
neuerlich an die Entstehungsgeschichte des österreichischen Ermächtigungsge¬
setzes und verweist wiederholt auf die Zusage der früheren ungarischen Regie¬
rung, den Vertrag im Jahre 1909 zu aktivieren, was so gedacht gewesen sei, daß
der Vertrag auf Grund des Ermächtigungsgesetzes pro 1909 in Kraft getreten
wäre und dann auch weiterhin in Geltung zu belassen sei. Diese Zusage habe die
österreichische Regierung veranlaßt, sich in der Frage ihres Ermächtigungsgeset¬
zes und des rumänischen Vertrages zu binden.

   Nach den von der kgl. ung. Regierung abgegebenen Erklärungen sei heute
noch keinerlei Sicherheit dafür geboten, ob und wann der rumänische Vertrag in
Kraft treten werde. Alles hänge von der Gestaltung der parlamentarischen Lage
in Ungarn ab, die sich heute noch nicht voraussehen lasse. Im Falle eines für die
Regierung günstigen Ergebnisses der Wahlen und der dann zu erwartenden Zu¬
stimmung des neuen Parlamentes allein sei eine klare Situation gegeben; für die¬
sen Fall ließe sich heute schon annähernd ein Termin für die Aktivierung des
Vertrages angeben. Was geschehe aber im Falle des Nichtzutreffens dieser Vor¬
aussetzungen? Dann werde man nach Monaten vor der gleichen Frage stehen wie
<pb/>Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II  303

heute, und es erscheine fraglich, ob deren Lösung dann einer bestimmten politi¬
schen Situation gegenüber eine leichtere sein werde als heute, wo die Verhältnis¬
se noch ungeklärt seien. Die österreichische Regierung müsse aber nach allen
Antecedentien im Falle einer Anfrage in der Lage sein, dem Parlamente eine be¬
stimmte Antwort geben zu können.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident will die schwierige Situati¬
on, in der sich die k. k. österreichische Regierang befindet, durchaus nicht ver¬
kennen, muß aber seinerseits wiederholt auf die Lage der kgl. ung. Regierung und
auf den Umstand verweisen, daß sie an dem Versäumnisse ihrer Vorgängerin un¬
schuldig sei. Die Situation zur Schaffung einer Regierangsmajorität im neuen
Parlamente sei heute eine günstige. Dies berechtige zur Hoffnung, daß es dank
der Fehler der früheren Regierung gelingen werde, die 67er Basis wieder zum
Siege zu bringen. Dies bedeute aber ein so wichtiges Interesse, daß der Erfüllung
dieser Hoffnung nichts in den Weg gelegt werden sollte. Nur um dieses Ziel zu
erreichen, scheue die ungarische Regierung vor dem Experimente der Aktivie-
rung des rumänischen Vertrages im Verordnungswege zurück; sie betrachte es
aber als eine ihrer ersten Pflichten, sobald das neue Parlament versammelt sein
werde, ungesäumt an die Lösung dieser Frage zu treten. Was zu geschehen hätte,
wenn sich die Hoffnung auf eine günstige Gestaltung der parlamentarischen Lage
nicht erfüllen sollte, lasse sich heute schwer bestimmen. Zu einer weitergehenden
Zusicherung, als die bereits abgegebene, könne sich die ungarische Regierung
dermalen nicht verstehen.

   Der k. k. Finanzminister begrüßt die vom Vorredner angedeute¬
te günstige Wendung in den innerpolitischen Verhältnissen Ungarns mit Freude,
bemerkt aber, daß die ungarischerseits angegebene Frist vom Juni sich bloß auf
die Einberufung des Reichstages beziehe, für die Durchführung des rumänischen
Vertrages jedoch noch keinen Termin bedeute. Das Schicksal dieses Vertrages
hänge also nach wie vor von der Lage im Parlamente ab, welches selbst im Falle
des Vorhandenseins einer Regierungsmajorität zur Obstruktion greifen könne. In
der Erwartung der Aktivierung des Vertrages seien die Stimmen der Agrarier um
den im Viehverwertungsgesetze eingesetzten Betrag von sechs Millionen Kronen
gewonnen worden; dies bedeute eine Mehrbelastung des Budgets, für welche es
keine Deckung gebe und dessen Gegenwert, der rumänische Vertrag, nicht einge¬
löst werde. Ein solcher Widersprach müsse die Mißbilligung des Parlamentes
finden. Das dadurch hervorgerafene Mißtrauen könne nur schädigend auf die Lö¬
sung andere wichtiger Fragen einwirken, wie die Bankfrage und die Währungs¬
frage, welche auch noch im heurigen Jahre geordnet werden müßten.

   Auch der k. k. Handelsminister betont neuerdings, daß er dar¬
aufbestehen müsse, daß für die Aktivierung des Zusatzvertrages mit Rumänien
ein Termin bestimmt werde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erklärt, zwar nicht einen
kalendermäßigen Termin, doch immerhin einen bestimmten Zeitpunkt, nämlich
das Zusammentreten des ungarischen Reichstages, zusichem zu können. Eine
<pb/>304 Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 191011

Obstruktion werde die Regierung, wenn sie über die Mehrheit verfuge, nicht hin¬
dern, ihren Verpflichtungen nachzukommen.

   Der k. k. österreichische Ministerpräsident erblickt
für die österreichische Regierung keine Möglichkeit, der Verschiebung der Akti¬
vierung des Vertrages zuzustimmen und diese Zustimmung dem Parlamente mit
der Lage in Ungarn zu motivieren. Wenn also eine andere Lösung ausgeschlossen
sei, so könne österreichischerseits nur der bisher vertretene Standpunkt aufrecht
erhalten werde, daß sobald als möglich an die Durchführung des Vertrages ge¬
schritten werde.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident findet diese Haltung sehr
natürlich und auch dem ungarischen Standpunkte entgegenkommend, den er
gleichfalls nicht verlassen könne. Um die Situation Rumänien gegenüber zu er¬
leichtern, könne der rumänischen Regierung mitgeteilt werden, daß die kgl. ung.
Regierung den Vertrag dem neu zu wählenden Parlamente vorlegen und gleich¬
falls für dessen Aktivierung sorgen werde; hiedurch könnte die gewünschte Be¬
ruhigung bewirkt werden.

   Der Vorsitzende faßt sohin das Ergebnis der Erörterung in folgendem
zusammen:

   Die österreichische Regierung beharrt unter Berufung auf das ihr zur Verfü¬
gung stehende Ermächtigungsgesetz auf dem Standpunkte der sofortigen Akti¬
vierung des Zusatzvertrages mit Rumänien.

   Dem gegenüber ist die kgl. ung. Regierung in Ermangelung eines Ermächti-
gungsgesetzes und bei dem Umstande, als das Parlament vertagt ist, nicht in der
Lage, derzeit für eine Aktivierung des Vertrages Vorsorge zu treffen. Dagegen
nimmt sie keinen Anstand zu erklären, daß sie den erwähnten Vertrag dem neu zu
wählenden Parlamente, welches wahrscheinlich im Juni 1910 zusammentreten
werde, sofort vorlegen und für dessen Aktivierung Sorge tragen werde. Nachdem
sich seiner Annahme keine wesentlichen Schwierigkeiten entgegenstellen werden,
kann der rumänischen Regierung die Zusicherung gegeben werden, daß die Akti¬
vierung des Vertrages im Laufe des Sommers 1910 jedenfalls erfolgen werde.5

   [II.] Es gelangt hierauf die Frage der Einleitung von Handelsvertragsverhand¬
lungen mit Serbien und Montenegro zur Sprache.

   Der k. k. österreichische Handelsminister stellt den
Antrag, die Zoll- und Handelskonferenz zu ermächtigen, ehestens die Grundla¬
gen für die Verhandlungen mit Serbien zu entwerfen.6 Da die serbische Zolltarif-

        In Cisleithanien wurde der Zusatzvertrag zur Handelskonvention mit Rumänien mit Verord¬
        nung des Gesamtministeriums v. 22. 8. 1910 provisorisch aktiviert, RGBl. Nr. 150/1910, in
        Ungarn hingegen nach der Sanktion mit GA. V/1910 inartikuliert. Mit GA. VI/1910 wurde
        der Weideverkehr verboten. Die Handelsbeziehungen zu Rumänien kamen erneut in GMR. v.
        16. und 17. 2. 1913, GMKPZ. 503, zur Sprache.
        Der serbische Handelsvertrag war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 14. 4. 1909,
        GMCPZ. 472.
<pb/>Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II  305

novelle noch nicht vorliege, könne heute noch nicht entschieden werde, auf wel¬
cher Basis der Vertrag mit diesem Staate abzuschließen wäre; es bestünden hiefur
verschiedene Möglichkeiten, sei es durch Zugrundelegung des alten Vertrages,
sei es auf Grund der Meistbegünstigung zu einem Abschlüsse zu gelangen. Es
wäre Aufgabe der Zoll- und Handelskonferenz, diese Möglichkeiten in Erwä¬
gung zu ziehen und an die Regierungen ihre Anträge zu stellen. Bezüglich Mon¬
tenegros müsse österreichischerseits der allerdringendste Appell an die kgl. ung.
Regierung gerichtet werden, zu gestatten, daß mit diesem Staate verhandelt wer¬
de.7 Ein wesentliches Interesse der ungarischen Regierung könne durch die Ein¬
leitung der Verhandlungen mit Montenegro nicht gefährdet werden; dagegen er¬
fordere der erschreckende Notstand in den Bocche di Cattaro die allerdringendste
Abhilfe.

   Der kgl. ung. Handelsminister ist bezüglich der Handels¬
vertragsverhandlungen mit Serbien im Prinzipe einer Meinung mit seinem Vor¬
redner. Doch möchte er mit Rücksicht auf das Vorgehend der serbischen Regie¬
rung bei Einbringung der Zolltarifhovelle die Verhandlungen mit Serbien nicht
sofort aufhehmen lassen. Es sei jedenfalls ein ungebräuchliches und unfreundli¬
ches Vorgehen serbischerseits gewesen, Zollerhöhungen, die zwischen 50 und
200 % variieren, ohne die parlamentarische Genehmigung zu erwarten, durch
telegraphische Anweisung der Zollämter zu dekretieren. Ein solches Vorgehen
entspreche keineswegs dem Wunsche Österreich-Ungams, mit Serbien je eher in
geregelte Handelsbeziehungen zu treten. Ungarischerseits sei man weit entfernt,
an die Ausübung von Repressalien zu denken; allein, man müsse doch den Ein-
druck vermeiden, als sei es Serbien gelungen, die Monarchie durch ihr brüskes
Vorgehen einzuschüchtem. Obwohl die Erhöhung der serbischen Zölle eine wei¬
tere Schädigung des Exportes Österreich-Ungams zur Folge haben werde, halte
es die ungarische Regierung aus dem erwähnten Grunde doch für zweckmäßig,
die Verhandlungen nicht sogleich einzuleiten. Außerdem sei auch die Prolongie¬
rung der am 15. April d. J. ablaufenden Konventionen, von denen der Schiff-
fahrtskonvention die größte Bedeutung zukomme, in die Wege zu leiten. Serbien
könnte sich auf den Standpunkt der Nichtanerkennung der Donauakte stellen, da
es zur Zeit des Abschlusses dieses Abkommens noch kein selbständiger Staat
war und ihm nicht beigetreten ist. Hieraus könnten der österreichischen und un¬
garischen Schiffahrt immerhin Schädigungen und Schikanen entstehen, welchen
durch eine Prolongierung der Konvention vorgebeugt würde. Da Österreich-
Ungarn andererseits die Mittel besitze, die serbische Schiffahrt ganz zugrunde
zu richten, sei anzunehmen, daß die serbische Regierung es darauf nicht ankom-
men lassen und die Konventionen auf ein Jahr prolongieren werde. Der Antrag
der kgl. ung. Regierung ginge also dahin, die Verhandlungen mit Serbien wegen
des Handelsvertrages nicht unmittelbar in Angriff zu nehmen, dagegen mit dem

Der Handelsvertrag mit Montenegro war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 14. 4.
1909, GMCPZ. 472.
<pb/>306 Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II

größten Nachdruck auf die Prolongierung der fünf gekündigten Konventionen
hinzuwirken.8

   Der Vorsitzende findet die vom Vorredner gegebene Charakterisie¬
rung der Vörgangsweise der serbischen Regierung durchaus zutreffend und be¬
tont, daß man ihr bereits zu verstehen gegeben habe, daß ihre Haltung die Zuver¬
sicht der Monarchie auf ihre Dispositionen nicht gefördert, sondern eher
geschwächt habe. Bezüglich des Komplexes der gekündigten Konventionen be¬
stehe mit dem serbischen Minister des Äußern die Verabredung, dieselben bis zu
Ende des laufenden Jahres zu verlängern und innerhalb dieser Zeit in Verhand¬
lungen einzutreten. In einem Punkte differiere jedoch die Ansicht des Vorsitzen¬
den mit jener der ungarischen Regierung, nämlich bezüglich der Verzögerung der
Aufnahme der Handelsvertragsverhandlungen. In der praktischen Politik sollen
Empfindlichkeiten keine Rolle spielen. Die Verhältnisse lägen heute in Serbien
so, daß im Falle eines baldigen Abschlusses des Handelsvertrages noch Aussicht
vorhanden wäre, die frühere wirtschaftliche Stellung der Monarchie in Serbien
zum Teile zu erhalten. Würde der Vertragsabschluß aber noch weiter hinausge¬
schoben, so riskiere man, alles zu verlieren. Der Vorsitzende schlägt daher vor,
die Verhandlungen in absehbarer Zeit aufzunehmen und, wenn möglich, bis zum
Juni zum Abschlüsse zu bringen, wodurch die kgl. ung. Regierung in die günstige
Lage versetzt würde, den serbischen Vertrag gleichzeitig mit dem rumänischen
vor das neue Parlament zu bringen.

   Der kgl. ung. Handelsminister überläßt es dem Vorsitzenden,
den geeigneten Zeitpunkt für die Aufnahme der Verhandlungen mit Serbien zu
beurteilen. Da die Vorbereitungen hiefiir ohnehin einige Zeit in Anspruch nehmen
würden, werde der Eindruck, als hätte man einer Pression Serbiens nachgegeben,
verwischt. Dagegen wäre mit der serbischen Regierung bezüglich der Schiff¬
fahrtskonvention eine energische Sprache zu führen und deren Prolongierung auf
ein ganzes Jahr unbedingt zu fordern. Auf die Frage, wie sich die kgl. ung. Regie¬
rung mit Rücksicht auf die im geheimen Zusatzverträge vom 16. März 1909 fest¬
gesetzten Maximalkontingente zur Frage der Serbien zu gewährenden Kontin¬
gente von geschlachteten Tieren verhalte, ersucht der kgl. ung. Handelsminister,
dieses Gegenstand in der gegenwärtigen Konferenz nicht erörtern zu wollen, son¬
dern zunächst die Zoll- und Handelskonferenz zu beauftragen, ihre Anschauun¬
gen in dieser Beziehung zur Kenntnis der beiden Regierungen zu bringen, welche
dann hierzu Stellung nehmen würden. Bezüglich Montenegros ist die kgl. ung.
Regierung damit einverstanden, die Zoll- und Handelskonferenz mit der Einlei¬
tung der Verhandlungen auf der von der k. k. österreichischen Regierung vorge¬
schlagenen Basis zu betrauen, unter der Voraussetzung, daß die Bocche di Catta-

         Schiffahrtskonvention mit Serbien v. 22. 2. 1882, publiziert als RGBl. Nr. 85/1882.
<pb/>Nr. 15 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1910II                   307

ro, für welche der Import von Tieren aus Montenegro gestattet werden soll, ein
geschlossenes Terrain zu bilden hätten.

   Österreichischerseits wird die Erfüllung dieser Voraussetzung mit Hilfe der
hiefür in Aussicht genommenen strengen Überwachungsmaßregeln unbedingt
zugesagt.

   Es ergibt sich sohin volles Einverständnis der Regierungen in dem Sinne, daß
die Zoll- und Handelskonferenz ehestens zusammenzutreten habe, um die Grund¬
lagen für den Handelsvertrag mit Serbien auszuarbeiten und mit Montenegro auf
Grand der von den beiden Regierungen akzeptierten Basis in Unterhandlungen
zu treten. Außerdem wäre die Zoll- und Handelskonferenz auch zu beauftragen,
sich neben diesen beiden Hauptaufgaben auch mit der Frage des Handelsvertra¬
ges mit Argentinien zu befassen.9

   [III.] Bezüglich Schwedens wird das volle Einvernehmen dahin konstatiert,
daß die Behandlung österreichischer und ungarischer Handlungsreisenden da¬
selbst durch den Austausch der in Aussicht genommenen Noten sichergestellt und
die Zoll- und Handelskonferenz mit der Durchführung der erforderlichen Ma߬
nahmen betraut werde.10

   Bezüglich der auf das Programm der gegenwärtigen Ministerkonferenz ge¬
stellt gewesenen Fragen der Handelsverträge mit den anderen Balkanstaaten, mit
Portugal und einigen überseeischen Staaten wird beschlossen, diese Gegenstände
einer späteren Ministerkonferenz vorzubehalten.11

                                                                                          Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 29. September 1910. Franz Joseph.

Zwischen 11. und 17. 3. 1910 beriet die Zoll- und Handelskonferenz über die Fragen des
rumänischen, serbischen, montenegrinischen und argentinischen Handelsvertrags, das Pro¬
tokoll in HHStA., Admin. Reg., F 37, Serbien 6, Ktn 84, Protokoll der Zoll- und Handelskon¬
ferenz Nr. 1/1910. Der am 14. 7. 1910 abgeschlossene Handelsvertrag mit Serbien wurde,
nach Auswechslung der Ratifikationsurkunden, am 23.1. 1911 in Cisleithanienpubliziert als
RGBl. Nr. 12/1911, in Ungarn als GA. 11/1911, der Handels- und Schiffahrtsvertrag mit
Montenegro v. 6. 2. 1911 in Cisleithanien publiziert als RGBl. Nr. 44/1912, in Ungarn als
GA. IX/1912. Die Handelsbeziehungen zu Serbien und Montenegro kamen zur Sprache in
GMR. v. 16. und 17. 2. 1913, GMKPZ. 503.
Die Zoll- und Handelskonferenz wegen der Handlungsreisenden in Schweden konnte in
HHStA., Admin. Reg., F 37, Schweden, nicht gefunden werden.
Ein entsprechender gemeinsamer Ministerratfand nicht mehr statt. Die Handelsbeziehungen
kamen erst infolge der Balkankriege wieder zur Sprache, GMR. v. 16. und 17. 2. 1913,
GMKPZ. 503.
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