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Gemeinsamer Ministerrat, 1909-09-14; 1909-09-18

I. Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der österreichisch-ungarischen Monarchie pro 1910

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z9.pdf.

254 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. and 18. 9. 1909

 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. September 1909

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Alexander Wekerle, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Freiherr v. Bienerth, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der k. k. Finanzminister Ritter v. Bilinski
(22. 10.), der k. u. k. Marinekommandant und Chef des gemeinsamen Kriegsministeriums, Marine¬
sektion, Admiral Graf Montecuccoli (23. 10.).
    Protokollführer: Sektionsrat Ritter v. Günther.
    Gegenstand: Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie pro 1910.

   KZ. 59 - GMCPZ. 473
   Protokoll des zu Wien am 14. und 18. September 1909 abgehaltenen Minister-
rates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des
Herrn k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen AehrenthaP.

    Sitzung vom 14. September 1909
   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung um 11 Uhr vormittags mit der
Bemerkung, daß er, der Tradition folgend, die Besprechung mit einem Rückblick
auf die auswärtige Lage der Monarchie einleiten wolle. Er werde, wenn auch nur
ganz kurz, auf die Ereignisse des letzten Winters, die den Abschluß einer histori¬
schen Aktion bedeuten, zurückkommen.1
    Er gedenkt der Mitwirkung beider Regierungen und der anderen gemeinsamen
Minister. Die Vorkommnisse in der Türkei wiesen gebieterisch darauf hin, daß
der letzte Moment gekommen sei, die Annexion durchzuführen, später wäre dies
nicht mehr möglich gewesen. Die jüngste Krise habe gezeigt, wie wenige auf¬
richtige Freunde die Monarchie habe. Sie bewies aber auch, daß man Österreich-
Ungarn unrichtig eingeschätzt habe, daß es uns nicht an Lebenskraft und Willens¬
stärke fehle, unseren Platz und zwar mit Erfolg zu behaupten.
    Dank der Harmonie und der Unterstützung der beiden Regierungen, aber auch
dank der umsichtigen Verfügungen der Kriegsverwaltung, welche Armee und
Marine für alle Fälle bereit hielt, gelang es, das Ziel - die Annexion Bosniens und
der Herzegowina - trotz großer Schwierigkeiten zu erreichen und dabei den Frie¬
den zu erhalten, gewiß ein Schulbeispiel dafür, daß ein Erfolg nur dann sicher sei,
wenn die Kraft vorhanden, seinen Willen durchzusetzen.
    Durch unsere Haltung sei nunmehr die Grundlage geschaffen, für die künftige
Gestaltung der Verhältnisse in Europa und für die Beziehungen der Mächte unter-

         Beißigung des Schreibers: (mit Anmerkung über die Modalitäten der Verlängerung des Drei¬
         bundvertrages, 8. 75.).

         Zur Annexion Bosnien-Herzegowinas siehe zuletzt GMR. v. 10. 9. 1908, GMCPZ. 468.
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einander; durch unsere gebesserte Position werde es aber unserem Einfluß leich¬
ter gemacht, den Frieden auch weiterhin zu erhalten. Die Einkreisungspolitik
Englands sei abgewehrt worden, wir haben gezeigt, daß wir nicht als quantite
negligeable zu behandeln und von Deutschland nicht zu trennen sind. Wir haben
den uns gebührenden Platz unter den Mächten zurückerobert.

   Wenn man das Verhalten der einzelnen Mächte Revue passieren lasse, so müs¬
se man zunächst von Deutschland sprechen. Zum ersten Male kam der casus
foederis zur Geltung. Redner müsse auf die Worte zurückkommen, die Graf
Andrässy in dem Telegramme an Se. Majestät gebrauchte, in welchem er von
Gastein aus den Abschluß der Allianz meldete: ,,Ich beglückwünsche Ew. Maje¬
stät, nun ist der Monarchie der Weg nach dem Orient frei.&quot;

   Mit diesem Satze wolle aber GrafAndrässy nicht etwa einer Eroberungspolitik
das Wort reden, er meinte entschieden nur, daß wir nun in der Lage seien, unseren
durch die Okkupation Bosniens und der Herzegowina vermehrten Besitzstand zu
erhalten und wirtschaftliche Vorteile im Oriente erzielen können.

   Unser anderer Alliierter, Italien, war wie immer etwas schwankend, man dür¬
fe ihm das aber nicht zu sehr verübeln. Italien ist unter den Großmächten die
schwächste. Man müsse auch die Verhältnisse berücksichtigen. Es muß mit Eng¬
land rechnen, dessen Einfluß sei daher auf die Entschließungen des römischen
Kabinettes sehr bedeutend. Vor wenigen Tagen erst habe ihn, den Redner, der
rumänische Ministerpräsident Herr Brätianu um die Unterstützung gewisser
mmänischer Wünsche für den Fall eines Konfliktes zwischen der Türkei und
Bulgarien ersucht und dabei gesagt, es komme in der Sache nur auf Österreich-
Ungarn und Deutschland an, denn Italien sei doch keine vollgiltige
Großmacht.2

   Im großen und ganzen habe sich übrigens Italien korrekt benommen, ohne so
fest zu uns zu stehen wie Deutschland. Italien hat eingesehen und wird noch mehr
einsehen, daß Österreich-Ungarn mit Deutschland die stärkere Gruppe unter den
Mächten bilde, und Italien geht immer mit dem Stärkeren.

   Was Frankreich betrifft, so mache es von den drei Mächten der Triple-Allianz
die vernünftigste Politik. Es habe uns manches erleichtert, was durch die Aus¬
zeichnung Heim Falberes seitens Sr. Majestät anerkannt wurde.3 Der hiesige
französische Botschafter meine, die französische Politik werde zwar am Allianz¬
gedanken und an der Entente mit England festhalten, ebenso bei Gelegenheit an

Zu den Äußerungen Brätianus siehe die Aufzeichnung über eine Unterredung mit dem rumä¬
nischen Ministerpräsidenten Bratiano [sic!], (10.) Sept. 1909, publiziert in Österreich-Un¬
garns Aussenpolitik, Bd. 2, Nr. 1731.
Armand Fallieres (1841-1931), 18. 2. 1906-18. 2. 1913 Staatspräsident derfranzösischen
Republik, erhielt auf Vortrag Aehrenthals v. 23. 6. 1909 mit Ah. E. v. 27. 6. 1909 das Gro߬
kreuz des St.-Stephansordensfür sein stetes Bemühen um die Ausgleichung der Gegensätze
zwischen den Mächten und dadurch um die Erhaltung des Friedens, HHStA., Kab. Kazlei,
KZ. 2085/1909
<pb/>256 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909

dem Revanchegedanken, die Franzosen seien aber Realpolitiker und, da sie den
Frieden erhalten wollen, benützen sie das gute Verhältnis zu uns, um durch uns
ausgleichend auf ihre Beziehungen zu Deutschland einzuwirken.

   Bezüglich Englands sei hervorzuheben, daß der Aufenthalt des Königs in Ma¬
rienbad, der Versuch des Königs, in Ischl empfangen zu werden,4 die jetzige
Sprache der englischen Zeitungen zeigen, daß man dort einsehe, zu weit gegan¬
gen, in der Presse zu grob gewesen zu sein. Den Engländern müsse man imponie¬
ren.

   Dies haben wir getan und so können wir uns nun mit ihnen verständigen und
ihre dermalige mehr entgegenkommende Haltung nicht abweisen, sondern ab-
warten, wie sich Englands Politik in den Fragen, wo wir mitinteressiert sind, ge¬
stalten werde.

   In Rußland sei es der rachsüchtige Charakter Iswolskijs, mit dem man umso
mehr rechnen müsse, als er vorläufig wenigstens weiter im Amte verbleibt und
uns manches Zeichen seiner Unversöhnlichkeit gibt, so die Sendung von Kriegs¬
material an Montenegro und die Unterstützung der serbischen Bestrebungen, in
Paris eine Anleihe abzuschließen. Rußland wolle durch fortgesetzte Verdächti¬
gungen den Eindruck hervorrufen, daß wir imperialistische Politik treiben, uns
Serbien und Montenegro einverleiben wollen, es beobachtet also bis auf weiters
gewiß eine nicht freundliche Haltung uns gegenüber, doch sei es durch seine Fi¬
nanznot und die inneren Schwierigkeiten von einer direkten Aktion abgehalten;
immerhin sei - ohne der Zukunft besorgt entgegenblicken zu müssen - Wach¬
samkeit notwendig.

    Von der Türkei haben wir erreicht, was wir wollten. Sie habe die Post - Bosni¬
en und Herzegowina - in ihrem Konto abgeschrieben, und die Taktik, daß wir die
einzige Großmacht sind, die ihr nicht nachgelaufen, beginnt gute Früchte zu tra¬
gen. Der Sultan sei eine Null, der Einfluß liege in der Armee, und werde es sich
zeigen, ob dieser zu halten. Markgraf Pallavicini, Baron Giesl, Goltz Pascha und
andere beurteilen die Situation eher optimistisch. Sollte sich der Einfluß der Ar¬
mee nicht stark genug erweisen, dann werde die Anarchie wieder stärker hervor¬
treten, was große Verwicklungen im Gefolge haben würde. Wir wollen die Türkei
sich kräftigen lassen, aber aus eigenem. Redner sei entschlossen, jede Einmi¬
schung oder Reformversuche zu vermeiden. Wir werden uns freundlich zur Tür¬
kei verhalten, solange sich deren Vitalität erhält, sonst eine Politik der Nicht-In¬
tervention solange als möglich befolgen und unser Pulver trocken halten, um
unsere wirtschaftliche Politik durchsetzen zu können.

    Die Monarchie habe zwei große Aufgaben. Die eine sei, das europäische
Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, was bedinge, daß wir kräftig sind und unsere

 4 Zum Besuch Edward VII. in Marienbad und seinem Wunsch, nach Bad Ischl eingeladen zu
         werden, siehe Schreiben Aehrenthals an Szögyeny v. 4. 8. 1909, publiziert in Österreich-
        Ungarns Aussenpolitik, Bd. 2, Nr. 1704.
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909  257

Stimme im Konzert der Mächte zur Geltung bringen, die andere, für die Ruhe und
das Gleichgewicht der Kräfte am Balkan einzutreten.

   Wallenstein habe Kaiser Ferdinand II. den Rat gegeben, eine starke Armee zu
halten, aber das Schlachtenglück nicht ohne zwingenden Grund zu versuchen.
Daran müsse Rednerjetzt erinnern und hiebei dankbar des Freiherm v. Schönaich
und des Grafen Montecuccoli gedenken, die Armee und Flotte in einen so schlag¬
fertigen Zustand gebracht haben, daß man nicht in die Notwendigkeit versetzt
worden sei, zu der ultima ratio im Leben der Völker zu greifen. Wohl seien große
Beträge aufzubringen, doch sind diese verschwindend klein im Vergleiche zu je¬
nen, die wir gebraucht hätten, wenn wir die Annexion nicht vollzogen oder den
Winter nicht zu Nachschafftmgen benützt haben würden. Als verantwortlicher
Leiter der auswärtigen Politik bitte er daher, die außerordentlichen Ausgaben und
die aus denselben übernommenen fortlaufenden Auslagen zu bewilligen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident will die Gelegenheit benüt¬
zen, die ihm die erste gemeinsame Beratung nach den Ereignissen des letzte Win¬
ters bietet, um dem Grafen Aehrenthal zu seinem großen Erfolge dankend zu
gratulieren und um der Art und Weise zu gedenken, wie er seine Politik, wie er
die Annexion durchgeführt habe, was eine bedeutsame Wendung der äußeren Po¬
litik bedeute. Die europäische Situation sei geklärt und sichergestellt, unsere Po¬
sition gehoben. Dies müßten alle anerkennen, ihrem Danke und ihrer Beglück¬
wünschung Ausdruck geben und sich glücklich fühlen, daß dem Grafen
Aehrenthal die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten anvertraut sei.

   Der Vorsitzende bespricht nun die Hauptpositionen der einzelnen
Budgets im allgemeinen und des Voranschlages des Ministeriums des Äußern im
besonderen, worauf der kgl. ung. Ministerpräsident in aus¬
führlicher Rede die Steigerung der gemeinsamen Auslagen auseinandersetzt.
Bis zum Jahre 1893 habe es immer Differenzen mit der Kriegsverwaltung gege¬
ben. In diesem Jahre sei eine Steigerung von jährlich acht Millionen vereinbart
und diese Vereinbarung später prolongiert worden. Vom Jahre 1906 an ist - unter
seiner Mitwirkung - eine bedeutende Erhöhung eingetreten und zwar um rund
20 Millionen jährlich, jetzt verlange man 84 Millionen. Die Finanzverwaltun¬
gen müssen aber auf eine Reihe von Jahren hinaus mit sicheren Ziffern rechnen
können. Diese allgemeinen Bemerkungen vorausgeschickt, glaube er darauf
verweisen zu sollen, daß manche außerordentliche Ausgaben nicht in das Bud¬
get gehören, sondern durch eine Emission zu decken sind; gewisse Anforderun¬
gen wären daher - nach seiner Ansicht - auf den außerordentlichen Kredit zu
überwälzen.

   Was das Budget des Ministerium des Äußern betreffe, das er im allgemeinen
annehme, so habe er - ohne sich gegenwärtig in Details einzulassen - zunächst
die Bemerkung zu machen, daß man sich außer der Restringierung einzelner Po¬
sten bezüglich der Erhöhung des Dispositionsfonds nicht verhehlen dürfe, daß da
heikle Fragen aufs Tapet kämen. Die ungarische Regierung erhalte vom Disposi-
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tionsfonds des Ministeriums des Äußern 100 000 K. Auf diese wolle er verzich¬
ten, wenn hiedurch die Erhöhung dieser Post vermieden werde.

   Der k. k. Finanzminister hebt seinerseits hervor, daß die Finanz¬
minister damit rechnen müssen, was an Plus einzustellen sein wird. Eine so hohe
Quote im Budget unterzubringen, wie sie verlangt werde, sei einfach unmöglich,
und zwar umso weniger - er verrate vielleicht nicht einmal ein Geheimnis - als
er vor einem Defizit im Staatshaushalte stehe. Daraus folge nicht, daß die k. k.
Regierung das Notwendige verweigern wolle. Zum Budget des Ministeriums des
Äußern hätte er mehreres zu bemerken, in erster Linie handle es sich aber um die
Heeresauslagen und um die Marine. Er gebe zu, daß neue Schiffe erbaut werden
müssen, die Mittel dazu können aber nicht im Budget untergebracht werden, d. h.
wohl die Zinsen, aber nicht das Kapital. Man müsse nun das gemeinsame Budget
so feststellen, daß man es akzeptieren könne. Er beantrage daher, daß zunächst
die Fachreferenten die Voranschläge nochmals und zwar zusammen beraten, ge¬
wisse Abstriche vornehmen und dann hierüber berichten sollen. Die Minister hät¬
ten sich dann nur über etwaige Differenzpunkte zu einigen.

   Der gemeinsame Kriegsminister weist darauf hin, daß jene
Posten, welche stets Überschreitungen aufweisen, also unrichtig budgetiert sind,
endlich einmal saniert werden müssen und daß ferner gewisse außerordentliche
Ausgaben zur Stabilisierung bestimmt seien.

    Insbesondere liegen ihm die Sanierungsposten am Herzen, denn 24 Millionen
Überschreitungen in der Schlußrechnungskommission zu vertreten, werde von

Jahr zu Jahr schwerer.
    Der kgl. ung. Ministerpräsident bespricht die Vereinbarung

der beiden Ackerbauministerien und weist darauf hin, daß wohl der von diesen
Zentralstellen festgelegte Durchschnitt für Hafer usw. jetzt bei den hohen Preisen
nicht zutreffe, aber er habe schon bisher die Delegation mit Berufung auf diese
Vereinbarung beruhigt und auf diese Weise könne man es auch in Hinkunft tun.

    Dr. Wekerle regt nochmals an, die Budgets des Krieges und der Marine zu er¬
mäßigen und dafür den Rüstungskredit zu erhöhen, worauf Admiral Graf
Montecuccoli erklärt, hiemit nicht einverstanden zu sein, weil seiner
Meinung nach die Anforderungen für Schiffsneubauten in den Voranschlag gehö¬
ren. In den Budgets müsse hiefur vorgesorgt werden.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident erwidert hierauf, daß infol¬
ge seiner Initiative im Marinebudget 20 Millionen für Neubauten ausgewiesen
sind, das macht in 30 Jahren 600 Millionen, entsprechend dem Werte unserer
Flotte, so daß in dieser Zeit jedes Schiff ersetzt sein könne. Die jetzt mehr gefor¬
derten 18 Millionen für Beschleunigung des Baues könnte aber ganz gut in den
außerordentlichen Kredit übertragen werden.

    Der k. k. Finanzminister stellt den Antrag, zunächst ein Maxi¬
mum festzusetzen, dann die Konferenz zu vertagen und die Referenten beraten zu
lassen.
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909  259

   Der Marinekommandant gibt seiner Ansicht Ausdruck, daß zuerst
festgelegt werde, was wir brauchen, und erst dann über die Geldbeschaffung ver¬
handelt werde.

   Der Vorsitzende rekapituliert die ausgesprochenen Meinungen.
   Der k. k. Finanzminister betont, daß man aus Patriotismus bereit
sei, alle erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, doch müsse man sich
darüber klar sein, was in das Budget komme, damit das Defizit nicht ins Unend¬
liche wachse.
   Der kgl. ung. Ministerpräsident stimmt dem mit der Bemer¬
kung zu, daß man ein Finanzprogramm nur dann entwickeln könne, wenn man
wisse, wie viel man jedes Jahr brauche werde. Er könne nicht mehr als 20 Millio¬
nenjährlich konzedieren, alles andere gehöre in den außerordentlichen Kredit.
   Der k. k. Finanzminister teilt mit, daß nach seinen Berechnun¬
gen größere Abstriche vorgenommen werden können. Er wäre eventuell bereit,
bis 30 Millionen zu konzedieren, doch sollten die Referenten einen Teil auf später
verschieben, einen anderen in Abstrich bringen und einen dritten auf den außer¬
ordentlichen Kredit übertragen.
   Der Antrag auf Durchberatung der Voranschläge durch die Referenten wird
angenommen.
   Nachdem über eine Anfrage Dr. Wekerles der Vorsitzende als seinen Fachrefe¬
renten den Sektionsrat v. Günther bezeichnete und seitens des kgl. ung. Minister¬
präsidenten Sektionsrat Zawadovszky, vom gemeinsamen Kriegsminister der
Oberintendant Anderka, vom Marinekommandanten der Generalkommissär v.
Helleparth und vom k. k. Finanzminister der Sektionschef Dr. v. Engel als Refe¬
renten nominiert wurden, schloß der Vorsitzende die Sitzung mit dem
Bemerken, daß die nächste Konferenz bezüglich des gemeinsamen Budgets nach
Erstattung des Berichtes der Fachreferenten am 18. September stattfinden
werde.

   18. September 1909.
   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er daraufzurückkommt,
daß in der dienstägigen Konferenz beschlossen worden sei, die gemeinsamen
Voranschläge durch die Fachreferenten einer Durchberatung unterziehen zu
lassen, um durch Abstriche oder Übertragungen eine Verringerung der Bud¬
getsummen zu erzielen. Es liege nun das Resultat dieser Beratungen vor, und
stelle er die Bitte, sich zu den Anträgen der Referenten äußern zu wollen, wobei
er die Erklärung abgebe, den an seinem Budget vorgenommenen Reduktionen
zuzustimmen, was auch für die Ausscheidung der Dispositionsfondserhöhung
gelte. Er nehme die Erklärung des kgl. ung. Ministerpräsidenten zur Kenntnis,
daß dieser auf die ihm bisher zur Verfügung gestandene Summe aus diesem
Fonds zugunsten des Kriegsministeriums verzichte. Er füge dem hinzu, daß die
k. k. Regierung seit 1901 aus dem Dispositionsfonds des Ministeriums des Äu-
<pb/>260 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909

ßem eine Dotation nicht mehr in Anspruch nimmt. Das Kriegsministerium
werde nunmehr und zwar ab 1910 um 100 000 K jährlich mehr erhalten als
bisher.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident bittet den Vorsitzenden und
den Kriegsminister, ihm die ihnen zukommenden vertraulichen Informationen
rechtzeitig mitzuteilen, was diese Zusagen.

   Dr. Wekerle fuhrt noch aus, daß er, wenn er die fraglichen Nachrichten erhalte,
seine Agenten entlassen könne, weil es keinen Zweck habe, dieselben Nachrich¬
ten von drei Seiten zu bekommen und dreimal zu bezahlen. Im übrigen habe er ja
jetzt die Grenzpolizei.

   Der gemeinsame Kriegsminister erklärt, er habe seinem Re¬
ferenten die Instruktion erteilt, den Reduktionen so weit als irgend tunlich zuzu-
stimmen, und sei er auch im allgemeinen mit den vorliegenden Anträgen einver¬
standen. Er müsse aber den Vorbehalt machen, daß die Konsequenzen aus der
Einstellung von Tangenten, die das Budget pro 1911 mit 15,3 Millionen belasten,
ihm nicht in die für dieses Jahr zu bewilligende Summe eingerechnet und daß
dies im Protokolle festgelegt werde. Der Vorsitzende nimmt diesen Vor¬
behalt zum Anlaß, um auch seinerseits die Ausschaltung der Tangentenergänzung
für sein Budget in Anspruch zu nehmen.

   Der k. k. Finanzminister gibt nun die Höhe der einzelnen Bud¬
gets an, wie sie sich nach den Anträgen der Referenten stellen und zwar:

    Im Heeresbudget, das ursprünglich gegenüber 1909 ein Plus von 59 917 662 K
aufwies, seien folgendeAbstriche vorgenommen worden: Im Ordinarium 9 050 955
K, im Extraordinarium 17 169 112 K, im bosnischen Kredite 3 371 452 K, bei den
Stabilisierungen 3 424 602 K [und] 10 075 398 K, zusammen 43 091 519 K.

    Hiernach vermindere sich das Mehrerfordemis auf 16 826 143 K beziehungs¬
weise nach einer kleinen Korrektur auf 16 825 595 K.

    Zur Übertragung auf den sogenannten Rüstungskredit werde beantragt: aus
dem Extraordinarium 10 411 000 K, aus dem bosnischen Kredite 500 000 K, aus
dem Stabilisierungsaufwand 10 075 398 K, zusammen 20 986 398 K.

    Um diese Summe soll der nunmehr auf 163,7 Millionen richtiggestellte außer¬
ordentliche Rüstungskredit des Heeres erhöht werden, welcher sohin 184 686 398
K betragen würde.

    Es entspinnt sich nunmehr eine lebhafte Debatte über die Erhöhung der
Löhnungen,5 in deren Verlauf der kgl. ung. Ministerpräsident
seinen Standpunkt dahin präzisiert, daß er - wie schon im Voijahre betont - bereit
sei, einer Aufbesserung der Lage der Mannschaft in natura zuzustimmen, die Er¬
höhung der Löhnungen aber nicht akzeptieren könne, weil er dieselbe schon im
ungarischen Ministerrate durchzusetzen nicht imstande sei. Der gemeinsa¬
me Kriegsminister entgegnet hierauf, daß die österreichische Delega-

         Die Frage der Mannschaftslöhnung war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 17. und
         21. 5. 1908, GMCPZ. 466.
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909                         261

tion auf der Erhöhung der Löhnungen durch Auszahlung eines Betrages im baren
bestehen werde. Er habe ohnehin den Weg einer ,,Unifizierung der Löhnungen&quot;
eingeschlagen.

   Der Vorsitzende ist der Ansicht, daß diese Sache gründlich durchbe¬
raten werden müsse, sonst stehe man vor derselben Situation wie im Vorjahre.
Auch könne Ungarn ein Entgegenkommen zeigen, indem es sich dringenden Be¬
dürfnissen nicht verschließe, zumal die Erhöhung ja ebenso den ungarischen Sol¬
daten zugute komme.

   Der k. k. Finanzminister lenkt die Aufmerksamkeit der Konfe¬
renz darauf, daß - wenn man jetzt in natura aufbessere - die Löhnungserhöhung
doch nicht ausbleiben werde.

   Der k. k. Ministerpräsident fragt, ob der Kriegsminister in den
Delegationen die Nichterhöhung vertreten könne, was dieser verneint.

   In Österreich werde man sagen, fugt Freiherr v. Schönaich hin¬
zu, daß - wenn man 184 Millionen für Rüstungszwecke aufbringe - man auch die
paar Millionen für die Mannschaft beschaffen könne. Der k g 1. u n g . Mi¬
nisterpräsident erwidert, in Ungarn werde man das Gegenteil sagen,
nämlich, daß man außer der hohen Summe noch so und so viel Millionen für die
Löhnungen fordere.

   Man müsse die Anforderungen in Einklang bringen mit der materiellen Kraft
der beiden Staaten. Er weist auf Frankreich hin, wo man eine Erhöhung der Ge¬
bühren vorgenommen habe mit 4,5 Millionen, sie sei aber auf die Leutnante be¬
schränkt.

   Die Konferenz beschließt sodann, diesen Gegenstand in suspenso zu lassen
und später darauf zurückzukommen,6 wobei Freiherr v. Schönaich
an dem Anfallstermin 1. Jänner 1910, Dr. Wekerle an der Aufbesserung
in natura festhalten zu wollen erklären.

   Nachdem hierauf der kgl. ung. Ministerpräsident die für Versuche mit Luftbal¬
lons eingestellte Summe zur Sprache bringt und davor warnt, hiefür so große
Beträge aufzuwenden, werden über einschlägige Mitteilungen des Kriegsmini¬
sters aus dem Rüstungskredite noch 4 686 398 K ausgeschieden, wodurch sich
dieser auf 180 Millionen und die Konsequenzen der diesmaligen Bewilligungen
auf rund 20 Millionen stellen.

   Diese Summe melde Freiherr v. Schönaich an, sie dürfe ihm
nächstes Jahr nicht eingerechnet werden, weil sonst die Schlagfertigkeit der Ar¬
mee leide. Die Fortifikationen müssen verstärkt und ausgedehnt werden, insbe¬
sondere in Bosnien und der Herzegowina mit Rücksicht auf die jetzigen Geschüt¬
ze Serbiens und Montenegros. Der Vorsitzende unterstützt die Forderungen des
Kriegsministers und meint, daß - da wir keine Handelsverträge abschließen kön¬
nen - es notwendig sei, stark zu bleiben. Hätten wir die Handelsverträge abge-

Die Löhnungserhöhung kam erneut zur Sprache in GMR. v. 17. 5. 1910, GMCPZ. 480.
<pb/>262 Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909

schlossen, könnte er vielleicht dafür plädieren, daß die Befestigungen nicht so
dringend notwendig seien.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident sagt, daß er sich über den
Rahmen einer Gesamterhöhung von 20 Millionen für Armee und Flotte nicht
verpflichten könne, man müsse eben dann andere Streichungen vornehmen. Die
Erhöhung betrage überdies pro 1910 nicht 20 sondern 76 Millionen, denn man
müsse die Übertragungen berücksichtigen.

   Graf Montecuccoli weist nach, daß in Österreich-Ungarn die mili¬
tärischen Lasten per Kopf der Bevölkerung kleiner sind als in allen anderen in
Betracht kommenden Staaten, Rußland ausgenommen.

   Der Vorsitzende erklärt dies daraus, daß wir in den Budgets der Ar¬
mee und der Flotte rückständig sind, was der Winter gezeigt habe; die aufgewen¬
deten Summen seien nur Sanierungen früherer Streichungen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident erwähnt, daß er über den
Rüstungskredit sehr erfreut gewesen sei. Er wäre sonst verlegen gewesen, die
vielen Millionen für die Marine unterzubringen. So seien wir auch in die Lage
gekommen, 140 Millionen für die Ausrüstung der Armee aufzuwenden. Er müsse
jedoch sagen, daß ein anderer - in seiner Lage - die neuen Verpflichtungen nicht
übernommen hätte. Er binde seinen Nachfolger.

    Wäre übrigens die Aktion für die Mannschaft anders eingeleitet worden, so
hätte sie ja durchgeführt werden können. Er würde unter anderen Umständen
gegenüber Wünschen einer großen politischen Partei in Österreich Zuvorkom¬
menheit zeigen.

    Der Vorsitzende möchte nun das bisherige Ergebnis der Konferenz
dahin zusammenfassen, daß den Anträgen der Fachreferenten zugestimmt wor¬
den sei, die Frage der Mannschaftslöhnung aber in suspenso bleibe. Falls die
Differenzen beseitigt würden, beharre der Kriegsminister aber auf der
Jahressumme.

    Der gemeinsame Finanzminister bittet, daß die im Budget
des Kriegsministeriums gestrichenen 500 000 K, welche zur Rückzahlung an die
gemeinsamen Aktiven bestimmt gewesen wären, zu den Vorschüssen auf den zur
Aufbringung der finanziellen Zuwendung an die Türkei erforderlichen Betrag
hinzukommen, was namens der beiden Regierungen zugesagt wird.

    Der k. k. Finanzminister bespricht nun die Anträge bezüglich
der Marine. Die Abstriche betragen 21 262 100 K, so daß gegenüber 1909 ein
Plus von 3319350K bleibt. In den Rüstungskredit werden 18 Millionen übertra¬
gen, derselbe stellt sich sonach einschließlich der Vorschüsse per 21,8 Millionen
 auf 54 625 770 K. Der Minister beantragt, diese Summe auf 54 Millionen abzu¬
runden, was angenommen wird.

    Nachdem noch die anderen Budgets in der von den Referenten vorgeschlage¬
 nen Höhe bewilligt werden, stellt sich die Mehranforderung folgendermaßen

 dar:
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909  263

   Krieg: 16 825 595 K, bdarunter 6,5 Millionen (Löhnungen etc.), worüber defi¬
nitiver Beschluß Vorbehalten15; Marine: 3 319 350 K; Äußeres: 1 561 470 K; Fi¬
nanzministerium: 53 392 K; Rechnungshof: 3901 K; Zusammen: 21 763 708 K.

   Artilleriekredit: 7 Millionen.
   Rüstungskredit: Krieg: 180 Millionen; Marine : 54 Millionen; zusammen: 234
Millionen.
   Nachtragskredite des Ministerium des Äußern: 853 115 K.
   Die Nachtragskredite des Kriegsministeriums entfallen aus den gleichen Mo¬
tiven wie im Vorjahre und unter denselben Modalitäten.
   Freiherr v. Schönaich bemerkt, daß sein Voranschlag darauf ba¬
siert sei, daß im November noch zehn Bataillone aus Bosnien herausgezogen
werden. Im Gegenfalle würde sich sein Budget erhöhen. Die bezügliche Ah. Ent¬
schließung ist noch nicht erbeten.0&#39;7
   Nachdem Freiherr v. Buriän erklärte, nach der Lage in beiden
Provinzen für die Herausnahme der zehn Bataillone zu votieren, spricht sich auch
der Vorsitzende dafür vom Standpunkte der auswärtigen Politik aus. Es
würde den allerbesten Eindruck machen, wenn gerade zur Zeit der Promulgie-
rung des Landesstatuts eine Verminderung der Truppen eintrete, und bitte er den
gemeinsamen Finanzminister, den Antrag des Kriegsministers an Ah. Stelle zu
unterstützen.
   ,,Wir sind jetzt mit der Budgetberatung zu Ende&quot;, fahrt Graf Aehrenthal fort,
,,ich möchte nun den Herrn Marinekommandanten bitten, uns seinen Plan für die
Ausgestaltung der Flotte zu entwickeln.&quot;
   Graf Montecuccoli ergreift das Wort und führt aus, daß mit Rück¬
sicht auf die allseits gesteigerten Flottenrüstungen unsere bisherige Bautätigkeit
nicht richtig erscheine.
   Italien, wo noch immer das Schlagwort von der Wiedervergeltung für Lissa
Geltung habe, dürfte 1912 etwa 25 Schlachtschiffe und Panzerkreuzer haben, wir
15. Es wäre gegenwärtig noch möglich, der italienischen Überlegenheit mit rela¬
tiv geringen Mitteln zu begegnen, weil einerseits die älteren italienischen Schiffe
von Jahr zu Jahr erheblich an Gefechtswert verlieren, andererseits die österreichi¬
sche und die ungarische Industrie leistungsfähiger ist, beziehungsweise die Schif¬
fe schneller herstellen kann, als dies in Italien möglich ist. Der Bau von vier
großen Schlachtschiffen könnte, wenn er Ende 1909 oder anfangs 1910 in Angriff
genommen wird, unschwer in derselben Zeit beendet sein wie jener der vier
gleichartigen italienischen Schiffen, der schon 1908 begonnen wurde. Der Bau
dieser neuen Schiffe mit einem Deplacement von 20 000 Tonnen, als Ersatz für

b_b Fußnote des Protokollßihrers.
       Korrektur Schönaichs aus herabgelangt.

7 Die 10 Bataillone wurden nicht aus Bosnien abgezogen, siehe GMR. v. 17. 5. 1910, GMCPZ.
       480.
<pb/>264 Nr. 9 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 14. und 18. 9. 1909

Dandolo, Saida, Donau, Erzherzog Friedrich gedacht, würde der italienischen
Flotte die Wahrscheinlichkeit der Seebeherrschung der Adria nehmen.

   Ein zu diesem Zwecke bewilligter Kredit von 309,5 Millionen, wovon bis
Ende 1910 100 Millionen beansprucht werden, würde außer dem Bau der vier
Schiffe noch jenen von drei Aufldärungspanzem und sechs Torpedofahrzeugen
gestatten, wozu noch zwölf Hochseetorpedoboote, sechs Unterseeboote, vier Do-
naumonitore kämen und sechs Millionen für den Schutzdamm in Pola verwendet
würden. Eine allmähliche Steigerung des Titels VII, dessen Unzulänglichkeit er
stets hervorhebe, könnte die Marineverwaltung instand setzen, die Ersatzbauten
für veraltemde Schiffe etc. aus dem Normalbudget zu beschaffen.

   In bezug auf den Bau der Torpedofahrzeuge wird es angezeigt sein, für die
ersten zwei sich an das Ausland zu wenden. Nach den Offerten wäre Deutschland
der Vorzug zu geben.

   Der Vorsitzende tritt in längerer Rede für die Forderungen der Marine
ein. Graf Montecuccoli habe nachgewiesen, daß wir nicht Zurückbleiben können.
Es sei allgemein bekannt, daß ein Marineplan ausgearbeitet werde, man rechne
damit. Im englischen Parlamente wurde z. B. gesagt, daß wegen der bevorstehen¬
den Vermehrung der italienischen und der österreichisch-ungarischen Flotte die
englischen Schiffe nicht aus dem Mittelmeer herausgenommen werden können.

   Vom Standpunkte der auswärtigen Politik habe Redner aber ganz spezielle
Gründe, für die Vermehrung unserer Flotte einzutreten. Unser Nachbar und Alli¬
ierter Italien sei bekanntlich nicht ganz zuverlässig. Der Allianzvertrag binde ihn
bis 1914, er könne im Juni 1913 gekündigt werdend, sonst verlängere er sich von
selbst auf sechs Jahre.

    Seiner Überzeugung nach werde Italien, wenn wir die bisherige konziliante
Politik weiter verfolgen und stark sind, im Dreibunde bleiben. Andernfalls werde
es zum Konflikt kommen. Er wolle nicht auf ein zu rasches Vorgehen einraten,
weil sonst auch Italien seine Vorkehrungen rascher treffen würde. Man müsse
aber systematisch Vorgehen und sich den Termin 1913 vor Augen halten.

    Er bitte, sich im Gegenstände zu einigen, damit die Mehrzahl der Schiffe Ende
des Jahres 1912 fertiggestellt sei.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident sagt, die Summe sei früher
nicht so hoch beziffert gewesen, man habe nur von 200 Millionen und drei
Schlachtschiffen gesprochen.

    Der k. k. Finanzminister trägt Bedenken, daß man diese Forde¬
rungen vor die nächsten Delegationen bringt. Die Erhöhung auf 309 Millionen
erkläre sich durch den Zuwachs eines Schlachtschiffes und mehrerer Begleit¬
schiffe. Man müsse eventuell das Risiko übernehmen ohne Bewilligung.

 d Randbemerkung Pirquets Gesandter Pogatscher habe Sr. Exzellenz dem Herrn Minister am
         24. 9. 1909 gemeldet, daß [die] Frage die automatische Verlängerung [des] Vertrages ist. T.
         Pirquets, 1.11. 1909.
<pb/>Nr. 9 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. und 18. 9. 1909  265

   Dr. Wekerle erklärt, er könne jetzt zu dieser Sache keine Stellung neh¬
men. Er schließe sich jedoch vollkommen der Ansicht des Grafen Aehrenthal an.
Nur gebe er zu bedenken, daß unsere Marine den Zweck zu verfolgen habe, er¬
folgreich abzuwehren; er könne nun nicht beurteilen, ob man nicht etwa darüber
hinausgehe; jedenfalls sei nicht zu vergessen, daß unsere Armee der italienischen
überlegen sei und man vielleicht doch bezüglich der Marine ein etwas langsame¬
res Tempo einschlagen könnte. Was die Höhe des italienischen Marinebudgets
betreffe, so ist Italien eine Seemacht, Österreich-Ungarn nicht.

   Der Vorsitzende kommt darauf zurück, daß er stets betone, man dürfe
nicht überstürzen, daher sollten diese Forderungen auch nicht vor die nächsten,
sondern vor die vielleicht im Frühjahre 1910 für das Budget pro 1911 einzuberu¬
fenden Delegationen kommen. Man könnte uns aggressive Absichten im Oriente
oder gegen Italien zumuten. Worauf er aber pflichtgemäß Gewicht legen müsse,
sei, daß man, wenn auch nicht heute, so doch heuer zu einem Beschlüsse komme,
damit die Marineverwaltung in der Lage sei, die technischen Einleitungen zu
treffen. Die in etwa vier Wochen einzuberufende gemeinsame Ministerkonferenz,
welche über den Termin der Einberufung der Delegationen beraten soll, hätte
bindende Beschlüsse zu fassen.8

   Der kgl. ung. Ministerpräsident fuhrt aus, daß Ungarn an
den projektierten Maßnahmen nur vom Standpunkte der Gemeinsamkeit interes¬
siert sei, ein unmittelbares Interesse aber nicht habe, da es wenig Handelsschiffe
und auch keine ausgedehnte Küste besitze. Falls die Schiffe oder doch der größte
Teil in Österreich gebaut würden, müßte Ungarn bei der Aufteilung für andere
Industrien Kompensationen erhalten. Er weist speziell auch auf die Kohlenliefe¬
rung und die Likaner Bahn hin. Diese Bahn, deren Kosten, mit 62 Millionen
projektiert, 220 Millionen betragen werden, diene nur strategischen Zwecken.
Wenn man auf ihr Kohlen nach Sebenico führen kann, so würden doch wenig¬
stens die Betriebskosten gedeckt. Jetzt verwende die Marine englische Kohle,
von dieser werde man im Kriegsfälle abgeschnitten werden. Es wird sich daher
empfehlen, auf unsere Kohlen zu greifen, und bitte er, bei den gegenwärtig mit
ungarischer Kohle stattfindenden Proben nicht unnötige Schwierigkeiten zu erhe¬
ben. Brikettiert sei die ungarische Kohle acht Monate haltbar, während wir -
trotzdem ein Kriegsvorrat für acht Wochen vorgeschrieben ist - nur einen solchen
von vierzehn Tagen haben, weil die Kohle, wie sie jetzt beschafft wird, wenn sie
länger liegt, an Kalorien zu viel verliert.

   Der Vorsitzende, welcher den kgl. ung. Ministerpräsident in seinen
Ausführungen unterstützt und dahin konkludiert, man solle trachten, die eigene
Kohle - die ja ein Mittel der Verteidigung sei - zu verwenden, schreitet mm zum
Schlüsse der Beratung, indem er den Marinekommandanten ersucht, mit beiden

Diese Konferenzfand nicht statt, obwohl Montecuccoli in seinem Vortrag v. 24. 9. 1909 bat,
diese Konferenz Ah. anzuordnen, Ka., MKSM. 51-3/3-2/1909. Der Vortrag blieb unresol-
viert.
<pb/>266 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 9. 1909

Regierungen, die heute seinen Plan angehört, hinsichtlich dessen Durchführbar¬

keit in Fühlung zu bleiben. Das Marineprogramm werde den nächsten Delegatio¬

nen nicht vorgelegt, aber in der bezüglich des Termines der Delegationen einzu¬

berufenden gemeinsamen Ministerkonferenz zu Ende beraten werden, die

Erklärung Dr. Wekerles, heute noch keine Verpflichtung übernehmen zu können,

wird zur Kenntnis genommen.9

Schluß der Sitzung 2 Uhr p. m.

                                Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 28. Oktober 1909. Franz Joseph.

     Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. September 1909

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Alexander Wekerle, der k. k. Ministerpräsi¬
dent Freiherr v. Bienerth, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdI. Freiherr v. Schönaich, der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager
GrafAladär Zichy, der k. k. Finanzminister Ritter v. Bilinski (22. 10.).
    Schriftführer: Legationsrat Friedrich Graf Szapäry.
    Gegenstand: Beratung über die Gesetzentwürfe betreffend die neu zu erlassende Landesverfas¬
sung für Bosnien und die Herzegowina.

   KZ. 60 - GMCPZ. 474
   Protokoll des zu Wien am 14. September 1909, 3 h p. m., abgehaltenen Mi¬
nisterrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k.
gemeinsamen Ministers des k. u. k. Hauses und des Äußern Grafen Aehrent¬
hal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Beratung und bemerkt einleitend, daß
das Elaborat der Landesverfassung vom gemeinsamen Finanzminister dem Prin-
zipe entsprechend ausgearbeitet worden ist, welches vor der Annexion festgelegt
worden war,10 daß nämlich nach erfolgter Angliederung die Stellung Bosniens
und der Herzegowina gegenüber der Monarchie nicht verändert werden wird,
daß dieselben ein corpus separatum bilden und die Gesetze vom Jahre 1879 und
1880 in Geltung bleiben sollen, solange dies nicht auf Grund übereinstimmender

9 Fortsetzung des Gegenstandes in GMR. v. 17. 5. 1910, GMCPZ. 480.
10 Siehe dazu GMR. v. 10. 9. 1908, GMCPZ. 468. Zu den bisherigen Verhandlungen siehe die

        Konferenzen der gemeinsamen Minister v. 7. 6. 1909 und 6. 9. 1909, Ergänzende Protokolle

        anderer Provenienz IV und V dieses Bandes.
<pb/>