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Anhang Gemeinsamer Ministerrat, 7. 6. 1909

I. Beratung über die vom k. u. k. gemeinsamen Finanzministerium ausgearbeiteten Gesetzentwürfe betreffend die neu zu erlassende Landesverfassung für Bosnien und die Herzegowina, und zwar 1. Landeststatut für Bosnien und die Herzegowina, 2. Gesetz betreffend die Landesangehörigkeit in Bosnien-Herzegowina, 3. Vereinsgesetz für Bosnien und die Herzegowina, 4. Versammlungsgesetz für Bosnien und die Herzegowina, 5. Wahlordnung für den Landtag, 6. Geschäftsordnung für den Landtag 7. Gesetz über die Bezirksverwaltungsräte

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_zusatz4.pdf.

Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909  661

Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. Juni 1909

    Anwesende: der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. Reichs¬
kriegsminister Freiherr v. Schönaich, der k. u. k. Sektionschef im Ministerium des Äußern Ritter v.
Roessler, der k. u. k. Sektionschef im Ministerium des Äußern Ritter v. Weil, der k. u. k. Legations¬
rat Friedrich Graf Szapäry.

    Protokollführer: Vizekonsul de Poltere.

    Gegenstand: Beratung über die vom k. u. k. gemeinsamen Finanzministerium ausgearbeiteten
Gesetzentwürfe betreffend die neu zu erlassende Landesverfassung für Bosnien und die Herzego¬
wina, und zwar 1. Landesstatut für Bosnien und die Herzegowina, 2. Gesetz betreffend die Landes¬
angehörigkeit in Bosnien-Herzegowina, 3. Vereinsgesetz für Bosnien und die Herzegowina, 4. Ver¬
sammlungsgesetz für Bosnien und die Herzegowina, 5. Wahlordnung für den Landtag, 6.
Geschäftsordnung für den Landtag, 7. Gesetz über die Bezirksverwaltungsräte.

HHStA., PA. I, Karton 638, CdM. VIII/c-12/1, Protokoll III, fol. 257r-273v.

   Protokoll über die unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k. u. k. Hauses
und des Äußern, Freiherm v. Aehrenthal, am 7. Juni 1909 zu Wien stattgehabte
Konferenz der k. u. k. gemeinsamen Minister.

   Der Vorsitzende leitet die Konferenz mit dem Hinweise darauf ein,
daß nach nunmehr erfolgter Durchführung der Annexion Bosniens und der Her¬
zegowina an die Regelung der Frage der zukünftigen Verwaltung dieser Gebiete
durch Erlassung einer Landesverfassung an die beiden Länder geschritten wer¬
den könne.

   Die von dem Herrn gemeinsamen Finanzminister zu diesem Zwecke ausgear¬
beiteten Gesetzesprojekte1 gehen von der leitenden Idee aus, daß Bosnien und die
Herzegowina als corpus separatum zu behandeln seien, daß sie aber keinen Staat,
kein Subjekt von Hoheitsrechten, sondern bloß ein Verwaltungsgebiet bilden.
Auf dieser Basis werde auch die Lösung einer Reihe von Detailfragen bedeutend
erleichtert.

   Um diesen Gedanken, welcher der neuen bosnisch-herzegowinischen Landes-
verfassung zu Grunde liege, prägnanter hervorzukehren, hätte das k. u. k. Mini¬
sterium des Äußern - so bemerkt der Vorsitzende weiters - zu den Entwürfen
einige Vorschläge zu machen, die der Würdigung der Konferenz der gemeinsa¬
men Minister unterbreitet werden sollen. In erster Reihe handle es sich hiebei um
das Landesstatut, da in diesem so ziemlich alle Fragen prinzipieller Natur festge¬
legt erscheinen.

i Schreiben Buriäns an Aehrenthal v. 30. 4. 1909 mit den bosnischen Landesverfassungsgeset¬
        zen und Schreiben Buriäns an Aehrenthal v. 19. 5. 1909 mit den erläuternden Bemerkungen
        in HHStA., PA. I, CdM. VIII c 12/1, Karton 638, CdM. 337/1909, die Gesetzentwürfe fol.
        27r-86v, die eriäutenden Bemerkungen fol. 125r-148r.
<pb/>662 Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909

   Es wird hierauf an die Durchberatung der einzelnen Paragraphe des Landessta¬
tuts geschritten und zunächst an einigen Stellen des Entwurfes (§ 1, Alinea 3, §
35, § 38 Alinea 2, § 39 Alinea 2) eine präzisere Unterscheidung zwischen dem
k. u. k. gemeinsamen Ministerium als Kollegium der drei gemeinsamen Minister
(vgl. § 1 des Gesetzes vom Jahre 1880) und dem mit der obersten Leitung der
bosnisch-herzegowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Ministerium
(= gegenwärtig das k. u. k. gemeinsame Finanzministerium) durchgeführt.

   Der Vorsitzende stellt sodann den § 1 des Landesstatutentwurfes zur Diskussi¬
on und bemerkt zu dessen Alinea 5 (Gültigkeit der Verträge für Bosnien und die
Herzegowina), daß es wünschenswert wäre, hier jene Verträge, welche die beiden
Staaten der Monarchie untereinander abschließen, von denjenigen scharf zu
scheiden, welche amit ausländischen Staaten abgeschlossen werden3. Er schlage
daher vor, an Stelle der Alinea 5 und 6 des § 1 folgende zwei neue Paragraphe zu
setzen:

   ,,§ 1 a. Da Bosnien und die Herzegowina auf Grund des Gesetzes vom 20.
Dezember 1879, RGBl. Nr. 136, ung. GA. LII ex 1879, zum Vertragszollgebiete
der beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie gehören, so haben
alle zwischen den beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie in
Angelegenheiten des Zolltarifes, der Zollgesetzgebung und Zollverwaltung ge¬
troffenen Vereinbarungen auch für Bosnien und die Herzegowina Giltigkeit.

   Ferner haben die im Artikel XXIII des Vertrages vom 8. Oktober 1907 betref¬
fend die Regelung der wechselseitigen Handels- und Verkehrsbeziehungen zwi¬
schen den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern und den Ländern
der heiligenb ungarischen Krone (Gesetze vom 30. Dezember 1907, RGBl. Nr.
278, ung. GA. LIV ex 1907) bezogenen Bestimmungen des Zoll- und Handels¬
bündnisses vom 27. Juni 1878 bzw. die an deren Stelle getretenen Bestimmungen
des oberwähnten Vertrages vom 8. Oktober 1907 auf Bosnien und die Herzego¬
wina Anwendung zu finden. Die Durchführung dieser Angelegenheiten für Bos¬
nien und die Herzegowina bleibt dem k. u. k. gemeinsamen Ministerium Vorbe¬
halten.

    Zum Zwecke der Geltendmachung der besonderen Interessen Bosniens und
der Herzegowina sind Vertreter der Verwaltung dieser beiden Länder der im Art.
XXII des Vertrages von 8. Oktober 1907 vorgesehenen Zoll- und Handelskonfe¬
renz bei Beratung der in den ersten beiden Absätzen dieses Paragraphes bezeich-
neten Angelegenheiten zuzuziehen.

    § 1 b. Die Verträge, welche von Sr. Majestät mit auswärtigen Staaten über ge¬
meinsame und über im gemeinsamen Einverständnisse zu behandelnde Angele¬
genheiten abgeschlossen worden sind oder in Hinkunft abgeschlossen sein wer¬
den, ebenso wie die sonstigen internationalen Vereinbarungen dieserArt erstrecken
sich in ihrer Wirksamkeit auch auf Bosnien und die Herzegowina und haben die

         Korrektur aus die Monarchie mit ausländischen Staaten kontrahiere.
 b Korrektur aus kgl.
<pb/>Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909  663

 darin enthaltenen Bestimmungen auf diese beiden Länder sinngemäße Anwen¬
 dung zu finden.

    Das gleiche gilt für die Verträge, welche von Sr. Majestät mit auswärtigen
 Staaten über Angelegenheiten, hinsichtlich welcher die beiden Staaten der Mon¬
 archie selbständig verfügen, in Hinkunft abgeschlossen sein werden, sowie für
 sonstige internationale Vereinbarungen dieser Art, insofeme diese Verträge und
 Vereinbarungen für beide Staaten der Monarchie Giltigkeit haben.

    Bei Verhandlungen über die im vorstehenden Absätze erwähnten Verträge und
 Vereinbarungen sind, insoweit hiebei besondere Interessen Bosniens und der
 Herzegowina in Betracht kommen, Vertreter der Verwaltung dieser beiden Län¬
 der zu hören.&quot;

    Der Vorsitzende fügt hinzu, daß durch eine derart alle Eventualitäten ins Auge
 fassenden Regelung dieser Materie (Ausgleichsfragen und internationale Verträ¬
 ge) allen späteren Mißdeutungen und Weiterungen in wirksamer Weise vorge¬
beugt würde.

    Was hiebei zunächst die Verträge zwischen Österreich und Ungarn (§ la) be¬
treffe, komme namentlich die Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 1879 in Be¬
tracht, die hinsichtlich der Einbeziehung Bosniens und der Herzegowina in das
Zollgebiet vollständig identische Zollvorschriften voraussetze, wie sie in Öster¬
reich und Ungarn bestehen.

    Hinsichtlich der indirekten Steuern dagegen erweise sich die einschlägige Be¬
stimmung dieses 79er Gesetzes bereits als reformbedürftig, da der materielle In¬
halt des Zoll- und Handelsbündnisses vom Jahre 1878 nicht den Bestimmungen
des Ausgleichsvertrages vom Jahre 1907 entspreche. Andere Bestimmungen, wie
beispielsweise über das Veterinärwesen, bedürfen überhaupt einer Regelung für
Bosnien und die Herzegowina.

   Bezüglich der internationalen Verträge (also Mer Verträge über pragmatisch
gemeinsame, paktiert gemeinsame und autonome Angelegenheiten)0 - § 1b - sei
folgendes im Auge zu behalten:

   Nach der heutigen Rechtslage gelten im allgemeinen die bestehenden interna¬
tionalen Verträge und Vereinbarungen über autonome Angelegenheiten nicht für
Bosnien und die Herzegowina.

   Die über die Giltigkeit autonomer Verträge im dneu aufzunehmenden11 § 1b
enthaltene Bestimmung ist aus dem Grunde nur auf die in Zukunft abgeschlosse¬
nen Verträge und Vereinbarungen über autonome Angelegenheiten beschränkt,
weil den fremden Mitkontrahenten gegenüber das Geltungsgebiet der für Öster¬
reich und Ungarn abgeschlossenen Verträge und Vereinbarungen unsererseits
nicht durch einen unilateralen Willensakt nachträglich auf Bosnien und die Her¬
zegowina erstreckt werden kann.

M Korrektur aus die pragmatischen, die paktiert gemeinsamen und die autonomen Verträge)
        hingegen.

d&#39;d Korrektur aus einzuschiebenden.
<pb/>664 Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909

   Als selbstverständlich gelte, daß nicht nur die Verträge über pragmatisch ge¬
meinsame und paktiert gemeinsame Angelegenheiten, sondern auch diejenigen
über autonome Angelegenheiten, welche in Gemäßheit des § 1b ihre Wirksamkeit
auf Bosnien und die Herzegowina erstrecken, niemals der legislativen Behand¬
lung durch den bosnisch-herzegowinischen Landtag unterliegen.6

   Was das zu streichende Alinea 6 des § 1 des Landesstatuts betreffe, so empfeh¬
le sich auch hier, einen Unterschied zwischen dem Forum in internen Fragen und
jenem in Angelegenheiten der auswärtigen Handelspolitik zu machen. Deshalb
enthalten auch die oben angeführten beiden neu vorgeschlagenen Paragraphe ge¬
trennte Bestimmungen bezüglich der Zollkonferenz und der Zuziehung von Ver¬
tretern Bosniens und der Herzegowina bei der Vorbereitung der Verträge mit aus¬
wärtigen Staaten.

    Hiebei ist speziell die Bestimmung des zweiten Absatzes des neuen § 1b dahin
zu verstehen, daß bei Vertragsverhandlungen Vertreter der Landesverwaltung
über etwaige besondere Interessen und Wünsche Bosniens und der Herzegowina
zwar intern zu hören sind, daß aber die Vertretung und Geltendmachung dieser
Interessen und Wünsche dem Auslande gegenüber nur jenen Organen obliegen,
die schon dermalen zu internationalen Vertragsnegotiationen berufen sind.

    Gemeinsamer F i n an z m i n i s t e r Freiherr v. Buriän
bemerkt, daß es sein Bestreben war, in den zur Diskussion gestellten Entwurf alle
einschlägigen Materien möglichst kurz zusammengefaßt aufzunehmen und für
die Behandlung derselben tunlichst einfache Bestimmungen in Vorschlag zu brin¬
gen. Rücksichtlich der Verträge mit dem Auslande habe er insbesondere im § 42
des Landesstatutentwurfes ausdrücklich die Nichteinmischung des Landtages
festgelegt.

    Nach einer kurzen Erläuterung der Vorschläge des Ministers des Äußern erklä¬
ren die anwesenden gemeinsamen Minister sich mit der Fassung der neu aufzu¬
nehmenden Paragraphe einverstanden.

    Zu § 37 des Landesstatuts (Gegenzeichnung bei Kundmachungen) bemerkt
der Vorsitzende, daß nach dem Wortlaute der Gesetze aus dem Jahre

         Gestrichen ergäbe sich im internationalen Verkehre das Bedürfnis, eine Materie autonomer
         Natur, welche entweder bereits für Österreich und Ungarn oder für einen der beiden Staaten
         der Monarchie vertragsmäßige Regelung gefunden hat oder in der Folge etwa nur für Öster¬
         reich oder für Ungarn allein vertragsmäßiger Regelung zugeführt werden wird, auch für die
         Beziehungen der annektierten Provinzen zum Auslande auf eine vertragsmäßige Grundlage
         zu stellen, so wäre für ein solches Arrangement die Form des diplomatischen Notenwechsels
         zu wählen.

             Derselbe modus procedendi käme zu beobachten, wenn etwa, was praktisch zwar kaum zu
         gewärtigen ist, die Notwendigkeit hervorträte, eine autonome Angelegenheit, die überhaupt
         nicht den Gegenstand vertragsmäßiger Abmachung, sei es zwischen beiden Staaten der Mon¬
         archie oder dem einen oder dem andern von ihnen einerseits und einem fremden Staate ande¬
         rerseits, bildet, im Verhältnisse zwischen Bosnien und der Herzegowina und dem Auslande
         durch Vereinbarung zu regeln.
<pb/>Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909  665

1880 zur Verwaltung Bosniens und der Herzegowina das gemeinsame Ministeri¬
um berufen sei, und es daher wünschenswert wäre, wenn bei Agenden allgemei¬
nen, prinzipiellen Charakters und bei solchen, bei welchen beide Staaten der
Monarchie mitzureden haben sowie schließlich bei allen internationalen Verträ¬
gen, die Kundmachungen außer der Unterschrift des gemeinsame Finanzmini¬
sters auch noch jene des Ministers des Äußern bzw. des Reichskriegsministers
tragen würden.

    Der Vorsitzende beantragt sohin, dem § 37 folgende Fassung zu geben:
    ,,§ 37. Die Kundmachung der sanktionierten Gesetze erfolgt im Namen Sr.
Majestät des Kaisers und Königs unter Berufung auf den Beschluß des Landta¬
ges.

   Die Gegenzeichnung dieser Gesetze vollzieht in allen Fällen der mit der ober¬
sten Leitung der bosnisch-herzegowinischen Verwaltung betraute gemeinsame
Minister; Gesetze grundsätzlichen Charakters sowie Gesetze über die im § 36,
Punkt 2, bezeichneten Angelegenheiten sind auch von dem gemeinsamen Mini¬
ster des Äußern, jene militärischer Natur überdies noch von dem gemeinsamen
Kriegsminister gegenzuzeichnen.&quot;

   Der gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Bu-
r i ä n glaubt, daß die mit diesem Vorschläge intendierte Wahrung des Einflusses
aller berufenen Faktoren wohl schon durch den Umstand erreicht werde, daß die¬
se Einflußnahme bereits bei Zustandekommen der bezüglichen Gesetzentwürfe
ausgeübt werden könne.

   Weiters dürfte es schwer fallen, die Grenze festzustellen, wo eine Frage anfan¬
ge, als eine prinzipielle betrachtet werden zu können. Schließlich bleibe es auch
immer noch zweifelhaft, wie sich die beiden Regierungen zu diesem Abände-
rungsantrage stellen werden.

   Sektionschef v. Roessler verweist zunächst auf die Bestim¬
mungen der dermalen in Kraft stehenden Gesetze vom Jahre 1879 und 1880, die
feststellen, in welchen Fällen die Einflußnahme der beiden Regierungen und in
welchen Fällen das Einvernehmen mit den beiden Regierungen bzw. mit den bei¬
den Legislativen erforderlich sei. Dies zu beurteilen, sei nach dem Gesetze vom
Jahre 1880 Sache des gemeinsamen Ministeriums, also des Konzertes der drei
gemeinsamen Minister.

   Schon mit Rücksicht auf diese Konstruktion der Kompetenz empfehle es sich
daher, bei Kundmachung der bosnischen Landesgesetze eine mehrfache Gegen-
zeichnung Platz greifen zu lassen, was ja übrigens seine Analogie in beiden Staa¬
ten der Monarchie finde.

   Die gemeinsamen Minister nehmen sohin den Abänderungsvorschlag des Mi¬
nisters des Äußern zu § 37 an, worauf in die Diskussion über den § 39 (Landesrat)
des Landesstatuts eingetreten wird.

   Der Vorsitzende hegt ernste Bedenken, ob der Landesstatutentwurf
den zu kreierenden Landesrat nicht mit allzu weit gehenden Rechten ausgestattet
<pb/> 666 Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909

habe. Die demselben eingeräumte Kompetenz müsse doch als zu weit gehend
bezeichnet werden.

    Ein Konflikt zwischen dem den Landesrat bestellenden Landtage und der Lan¬
desregierung wäre immerhin - und namentlich bei der beschränkten Kompetenz
des Landtages in den im § 42 aufgezählten, für Bosnien und die Herzegowina
gewiß sehr wichtigen Angelegenheiten - denkbar. Dieser Konflikt müßte sich nur
verschärfen, wenn der vom Landtage für die ganze Landtagsperiode gewählte
neungliedrige Landesrat in einem solchen Falle geradezu zu jeder der oben er¬
wähnten Angelegenheiten Stellung zu nehmen befügt wäre. Stehe demselben
doch nach dem Entwürfe nicht nur das Recht zu, selbst unaufgefordert, Gutach¬
ten abzugeben, sondern es werde ihm in dem vorliegenden Projekte auch ein
weitgehendes Petitionsrecht eingeräumt.

    Ernstlich wäre sohin in Erwägung zu ziehen, ob die Kompetenz des Landesra¬
tes nicht nach zwei Richtungen eingeengt zu werden hätte, und zwar sollte einer¬
seits der Landesrat sein jeweiliges Votum erst auf Befragen seitens der Landesre¬
gierung und nicht über eigene Initiative abzugeben haben, andererseits sollte der
Kreis der Agenden des Landesrates entsprechend eingeschränkt werden.

    Der Landesrat möge, kurz gesagt, bloß der berufene Experte für die Vorbrin¬
gung gewisser Wünsche Bosniens und der Herzegowina sein, nicht mehr.

    Der Vorsitzende schlägt hierauf die Streichung mehrerer Stellen des § 39 in
folgender Form vor:

    ,,§ 39. Der Landtag wählt aus seiner Mitte für die ganze Landtagsperiode einen
neungliedrigen Landesrat, welcher berufen ist, über Befragen durch die Landes¬
regierung letzterer sein Votum abzugeben hinsichtlich jener staatlichen Angele¬
genheiten, an welchen Bosnien und die Herzegowina beteiligt sind.

   Der Landesrat kann im Wege des mit der obersten Leitung der bosnisch-herze-
gowinischen Verwaltung betrauten gemeinsamen Ministeriums von den Regie¬
rungen der beiden Staaten der Monarchie befragt werden.

   Jede Konfession im Landtage wählt die auf sie proportionell entfallende Zahl
der Mitglieder des Landesrates.

   Der Präsident des Landtages ist zugleich auch Vorsitzender des Landesrates.&quot;
   Gemeinsamer F i n an z m i n i s t e r Freiherr v. Buriän
legt Gewicht darauf, daß die Kompetenz des Landesrates in dem vorgeschlage¬
nen Umfange aufrecht erhalten bleibe. Er erblicke hierin ein wünschenswertes
Sicherheitsventil gegen subversive Bestrebungen. Eine ganze Menge von Dingen
seien an und für sich der Einflußnahme seitens des Landtages entzogen; auch
könne dieser an den Arbeiten der Delegationen nicht teilnehmen. Den Bewoh¬
nern Bosniens und der Herzegowina müsse also für all diese Einschränkungen
eine Entschädigung geboten und ihnen das deprimierende Gefühl genommen
werden, als wären sie Bürger zweiter Klasse.
   Am ungefährlichsten könne dies durch ein Überleiten aller Wünsche und Be¬
schwerden auf das Nebengeleise des zu schaffenden Landesrates geschehen. Der
Südslawe sei ein abundanter Vielredner, er wolle, daß man ihn anhöre - auch
<pb/>Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909  667

wenn seinen Wünschen schließlich nicht Rechnung getragen werden sollte. Schon
aus diesem Grunde sei es immer noch empfehlenswerter, die Leute sich im Lan¬
desrate ausreden zu lassen, als ihnen die Möglichkeit der Meinungsäußerung zu
benehmen. Mundtot dürfe man sie gewiß nicht machen; sonst würde Tür und Tor
politischen Erörterungen geöffnet, denen wir vielleicht nicht mehr gewachsen
wären.

    Was dem Bewohner Bosniens und der Herzegowina schon heute am Herzen
liege, das werde er schließlich doch an die Öffentlichkeit bringen -- nur in vehe¬
menterer Form. Dem Minister sei aber ein in legalen Grenzen vorgebrachtes Vo¬
tum des Landesrates lieber, als giftige Preßartikel, auf die kein Einfluß genom¬
men werden könne. Es stünde immer frei, das Votum zu berücksichtigen oder
nicht; unterdrückte Unzufriedenheit hingegen werde die Gemüter in- und außer¬
halb Bosniens nur auffegen und verbittern.

   Auch wäre es gewiß ganz verfehlt und würde nur zu mißlichen Situationen
führen, wenn alle hier in Frage kommenden Wünsche und Beschwerden stets mit
der stereotypen Antwort abgetan werden müßten: sie gehörten nicht in die Kom¬
petenz des Landtages. Im Landesrate könnten diese Fragen viel ungefährlicher
behandelt und auch leichter von einer Diskussion im Landtage ausgeschlossen
werden. Allerdings würden Voten des Landesrates nicht im Korrespondenzwege
erledigt, sondern im Landtage beantwortet werden. Gegebenenfalls würde man
eben gar keine Antwort erteilen.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Schönaich erach¬
tet die Gewährung des Rechtes an den Landesrat, Initiativanträge stellen zu kön¬
nen, insofeme für bedenklich, als bei einem konstanten Unbeantwortetlassen der¬
selben die Unzufriedenheit der Bevölkerung nur wachsen könne. Es sei schlimmer,
den Leuten das Recht auf eine Tribüne zu gewähren und die dort vorgebrachten
Wünsche dann unberücksichtigt zu lassen.

   Der Vorsitzende schließt die Diskussion über den § 39 mit dem Be¬
merken, daß sich die Konferenz der gemeinsamen Minister die endgiltige Stel¬
lungnahme zu diesem Paragraphen bis zur Anhörung der beiden Regierungen im
Gegenstände Vorbehalten könne.

   Zu § 42 des Statutsentwurfes schlägt der Vorsitzende die Vereinigung der
Punkte 1 und 5 vor, damit derart alle auf Grund der 1867er Gesetze gemeinsamen
Angelegenheiten in einen Punkt zusammengefaßt werden.

   Der Vorschlag wird angenommen und bleiben, nach § 42 von der Einflußnah¬
me seitens des bosnisch-herzegowinischen Landtages folgende drei Gruppen von
Agenden ausgenommen:

   1. alle Angelegenheiten, die im Jahre 1867 für gemeinsam erklärt worden sind;
2. alle Angelegenheiten des Ausgleichsvertrages, insofeme sie auf Bosnien und
die Herzegowina Anwendung finden; 3. alle Angelegenheiten, welche durch die
Gesetze der Jahre 1879-1880 geregelt sind.

   Es wird weiters in die Besprechung des § 43 eingegangen (Agenden, welche in
die Kompetenz des Landtages fallen).
<pb/>668 Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909

   Der Vorsitzende bemerkt zu Punkt 4 (Strafjustiz), daß mit der Überlassung der
Regelung dieses bedeutsamen Verwaltungsgebietes an den Landtag diesem ein
hochwichtiges Recht eingeräumt werde, das z. B. nicht einmal den Landtagen
von Böhmen oder Galizien zukomme.

   Bei Punkt 8 (Handels- und Wechselrecht) wird beschlossen, der Gesetzgebung
über Aktiengesellschaften (Kommanditgesellschaften auf Aktien), Gesellschaf¬
ten mit beschränkter Haftung, Versicherungsgesellschaften, Erwerbs- und Wirt¬
schaftsgenossenschaften besonders Erwähnung zu tun.

   Zu Punkt 19 (landwirtschaftliche Meliorationen) werden noch alle veterinär¬
polizeilichen Angelegenheiten aufgenommen.

   Bei Punkt 22 (Post- und Telegrafenwesen), zu dem noch das Telefonwesen
hinzugefugt werden soll, bemerkt Reichskriegsminister Frei¬
herr v. Schönaich, daß er wünschen müsse, diesen Punkt der Einflu߬
nahme seitens des Landtages entzogen zu sehen. Die gegenwärtig in Bosnien und
der Herzegowina waltende Militärpost habe sich erst während der letzten Krise
wieder glänzend bewährt, und liege kein zwingender Grund vor, diese hochwich¬
tige Institution in Hände zu legen, auf die man sich vielleicht nicht ganz verlassen
könne.

   Der gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Bu-
r i ä n hebt hervor, daß die bosnische Militärpost doch bloß eine provisorische
Einrichtung sei. In dem Momente, wo eine Neuregelung der bosnisch-herzegowi-
nischen Verwaltung ins Auge gefaßt werde, sei es unhaltbar, gerade nur die Post
aus der Zivilverwaltung auszuschalten. Hinsichtlich eines tadellosen Funktionie-
rens der Zivilpost in Kriegs- und Friedenszeiten glaube der Minister alle Garan¬
tien bieten zu können und müsse bitten, der Zivilverwaltung, auf die sich die
Landesregierung in allen Fragen durchaus verlassen könne, auch auf dem Gebie¬
te des Postwesens volles Vertrauen entgegenzubringen.

   Schon aus budgetären Gründen müsse die bosnische Regierung auf ihrem
Standpunkte verharren, den sie in der über diese Frage mit dem k. u. k. Reichs¬
kriegsministerium seit längerer Zeit schwebenden Korrespondenz eingenommen
habe, und der auf die schleunigste Übernahme der Post in die Zivilverwaltung
gerichtet sei. Die zukünftigen Einnahmen aus dem Postregale, insbesondere aber
aus der Postsparkassa, bilden eine der wenigen neuen finanziellen Quellen, die
sich der Regierung noch eröffnen könnten. Auch sei die Übernahme der Post
schon aus Rücksichten des modernen Wirtschaftslebens und des Verkehrs drin¬
gend erwünscht. Die Zahl der Postämter müsse vermehrt werden. Dies dürfe je¬
doch nicht durch den Anschluß einer Zivilruralpost an die bestehende Militärpost
versucht werden, da ein Dualismus auf diesem Verwaltungsgebiete mit den ver¬
derblichsten Nachteilen verbunden wäre.

   Aus all diesen Gründen müsse der Minister ganz entschieden auf seinem Peti-
te beharren, das Post-, Telegrafen- und Telefonwesen der Kompetenz des Landta¬
ges nicht zu entziehen. Hiebei wäre die Landesregierung gerne geneigt, alle ge-
<pb/>Nr. IV Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 7. 6. 1909  669

genwärtigen Angestellten der Militärpost, die sich so bewährt hätten, in die
Zivilverwaltung hinüberzunehmen.

    Reichskriegsminister Freiherr v. Schönaich betont
neuerlich, daß er ernste Bedenken hege, die Post heimischen Beamten anzuver¬
trauen. Den finanziellen Erwägungen könne derart Rechnung getragen werden,
daß die Militärverwaltung auf die Einnahmen aus der Post verzichte. Der Mini¬
ster befurchte, daß die Belassung des Postwesens unter den Punkten des § 43 des
Landesstatuts das ständige Verlangen des Landtages nach sofortiger Übergabe
der Militärpost in die Zivilverwaltung zur Folge haben werde.

   Der Vorsitzende macht darauf aufmerksam, daß - nach menschlicher
Voraussicht - in den allernächsten Jahren wohl mit der Möglichkeit ernster Um¬
wälzungen in der Türkei gerechnet werden müsse, was den Standpunkt der
Kriegsverwaltung in der Postfrage begreiflich erscheinen lasse. Andererseits sei
nicht zu leugnen, daß das Ausscheiden des Postwesens aus dem § 43 des Landes¬
statuts als eine böse Lücke im Entwürfe empfunden würde und die Militärpost
dann wohl erst recht in die Diskussion einbezogen würde.

   Der Minister des Äußern regt daher an, die Bestimmung, das Post-, Telegra¬
fen- und Telefonwesen unterstehe der Kompetenz des Landtages in dem Landes-
statutentwurfe zwar zu belassen, die Militärpost aber für einige Zeit noch nicht
abzulösen. Die Entscheidung, wann hiezu der Zeitpunkt gekommen sei, möge
dem übereinstimmenden Beschlüsse der drei gemeinsamen Minister Vorbehalten
bleiben.

   Dieser Vorschlag wird angenommen und hiemit die Beratung über das Landes¬
statut beendet.

   Auf die Besprechung des Entwurfes betreffend die Regelung der Landesange¬
hörigkeit übergehend, betont der Vorsitzende im allgemeinen, daß das Gesetzes¬
projekt dem obersten Grundsätze Rechnung trage, wonach Bosnien und die Her¬
zegowina kein Staat sind. Die Vorlage statuiere nur eine Landesangehörigkeit
(gewissermaßen: Zuständigkeit) und diese schaffe neben der österreichischen
und der ungarischen Staatsangehörigkeit keine dritte Staatsangehörigkeit.

   Um dem Umstande Rechnung zu tragen, daß nicht allein die k. u. k. Konsular¬
ämter Aufenthaltsscheine (Matrikelscheine) ausstellen können, und daß eine
österreichisch-ungarische Konsulargemeinde nur in Konstantinopel konstituiert
ist, wird sodann über Anregung des Sektionschefs v. Weil, das
letzte Alinea des § 15 des Gesetzentwurfes betreffend die Regelung der Landes¬
angehörigkeit in folgender Form amendiert:

   ,,Die Abwesenheit gilt als unterbrochen, wenn der Betreffende die Auffechter¬
haltung seiner Landesangehörigkeit bei der zuständigen Behörde anmeldet oder
sich einen neuen, auf seinen Namen lautenden Paß oder Aufenthaltsschein (Ma¬
trikelschein) von einer österreichisch-ungarischen Vertretungsbehörde verschafft
oder sich in die Matrikel einer österreichisch-ungarischen Vertretungsbehörde
eintragen läßt.&quot;
<pb/>670 Nr. V Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien, 6. 9. 1909

    Hierauf werden noch in den §§ 7, 14 und 15 des Gesetzes betreffend die Lan¬
desangehörigkeit sowie in den §§ 8, 16 und 24 des Vereinsgesetzes einige stilisti¬
sche Richtigstellungen vorgenommen.

    Der Vorsitzende schließt die Konferenz mit der Erklärung, daß er den
heute festgesetzten Text der Gesetzesprojekte - bis auf die offen gelassene Ent¬
scheidung über den Landesrat - als einhelligen Beschluß des k. u. k. gemeinsa¬
men Ministeriums den beiden Regierungen mit der Bitte übersenden werde, zu
den Entwürfen auch ihrerseits schleunigst Stellung zu nehmen, damit eine ge¬
meinsame Ministerkonferenz ungesäumt zusammentrete und die Gesetzentwürfe
noch vor Ende Juni Sr. Majestät zur Sanktion vorgelegt werden mögen. Dies sei
erwünscht, damit die Vorbereitungen zu den Wahlen noch im Laufe des Sommers
getroffen werden können.2

   Die gemeinsame Regierung hätte auf diese Weise die im Herbste v. J. über¬
nommene Pflicht, Bosnien eine Konstitution zu geben, vollauf erfüllt und könne
ruhig vor die Delegationen treten, auch wenn Annexionsgesetz und Ententepro¬
tokoll von den Parlamenten noch nicht bewilligt sein sollten.

                                                                                            Aehrenthal

           Nr. V Konferenz der gemeinsamen Minister, Wien,

                                6. September 1909

    Anwesende: der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. u. k. Reichs¬
kriegsminister Freiherr v. Schönaich, der k. u. k. Sektionschef im Ministerium des Äußern Ritter v.
Roessler, der k. u. k. Generalkonsul im Ministerium des Äußern Franz Peter.

    Protokollführer: Konsul de Pottere.
    Gegenstand: Beratung über die Abänderungsanträge, welche die k. k. und die kgl. ung. Regie¬
rung zu den Gesetzentwürfen betreffend die neu zu erlassende Landesverfassung für Bosnien und
die Herzegowina gestellt haben.

   HHStA., PA. I, Karton 638, CdM. VIII/c-12/1, Protokoll IV, fol. 275r-325r.

   Protokoll über die unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k. u. k. Hauses
und des Äußern Grafen Aehrenthal am 6. September 1909, vormittags und nach¬
mittags, zu Wien stattgehabte Konferenz der k. u. k. gemeinsamen Minister.

2 Schreiben (K.) Aehrenthals an beiden Ministerpräsidenten v. 16. 6. 1909 über die von den
        gemeinsamen Ministem an dem EntwurfBuriäns vorgenommenen Änderungen in ebd., fol.
        377r-379v, 384r--385r. Am 6. 9. 1909 kam es zu einer weiteren Konferenz der gemeinsamen
        Minister, Ergänzendes Protokoll anderer Provenienz V dieses Bandes.
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