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Anhang Gemeinsamer Ministerrat, 23. 12. 1908

I. Aufzeichnung über eine am 23. Dezember 1908 stattgefundene Besprechung der gemeinsamen Minister und der Ministerpräsidenten, 23. Dezember 1908 betreffend die der Türkei anzubietende materielle Zuwendung in Angelegenheit der Annexion Bosniens

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_zusatz3.pdf.

Nr. III Besprechung der gemeinsamen Minister und der Ministerpräsidenten, 23. 12. 1908 659

hung des italienischen Marinebudgets seinerseits durch den Hinweis bekräftigst
unterstützen, daß wir Flotte und Heer brauchen werden.

   Nach diesem Beschlüsse wurde die Konferenz für beendet erklärt.

Wien, am 9. April 1908.

                         Günther

         Nr. III Besprechung der gemeinsamen Minister und der

                    Ministerpräsidenten, 23. Dezember 1908

     Aufzeichnung über eine am 23. Dezember 1908 stattgefundene Besprechung der gemeinsamen
Minister und der Ministerpräsidenten, 23. Dezember 1908 betreffend die der Türkei anzubietende
materielle Zuwendung in Angelegenheit der Annexion Bosniens.

     Aufzeichnung über das Ergebnis der gemeinsamen Ministerkonferenz am 23. Dezember 1908.

    HHStA., PA. XL, Karton 307, fol. 747r-750v.

    Se. Exzellenz der Herr Minister hat in der gemeinsamen
Ministerkonferenz vom 23. Dezember 1908 eine eingehende Schilderung der po¬
litischen Situation gegeben,1 wie sie sich aus dem gegen die österreichischen und
ungarischen Waren und Schiffe in der Türkei betriebenen Boykott und aus den
Kompensationsgelüsten der Türkei für die erfolgte Angliederung der okkupierten
Provinzen resultiert3.

   In Übereinstimmung mit früheren bezüglichen Regierungserklärungen wurde
neuerlich einheitlich festgestellt, daß die Forderung der Türkei nach Übernahme
eines aliquoten Teiles der türkischen Staatsschuld vollständig unannehmbar sei.

   Da die Türkei bekanntlich die ihr bisher in Aussicht gestellten Konzessionen
wirtschaftlicher Natur nicht als ausreichende Gegenleistung erachtet, weil die
Realisierung derselben auch an die zweifelhafte Zustimmung der anderen Signa¬
tarmächte geknüpft ist, wurde im Laufe der Ministerberatung erwogen, auf
welchem Gebiete der Türkei ein weiteres Entgegenkommen erwiesen werden
könnte.

   Man gelangte zu dem Schlüsse, daß der Türkei die Teilnahme der Monarchie
an der Kollektivgarantie eines Anlehens anzutragen wäre, das die Pforte fundiert
auf die neuen, ihr zur Verfügung gestellten Einnahmsquellen aufzunehmen in der

Korrektur aus ergibt.

Mögliche Konzessionen an das Osmanische Reich waren in GMR. v. 22. 11. 1908/IV,
GMCPZ. 469, beraten worden.
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Lage sein würde. Im Verlaufe der bezüglichen Verhandlung könnte der Pforte
Harm eröffnet werden, daß im Rahmen dieser Kollektivgarantie eine besondere
Beteiligung des Wiener- und Budapesterplatzes durch Übernahme eines bestimm¬
ten Anlehensbetrages vorgesehen werden könnte.

   Wenn auch dieses Entgegenkommen seitens der Pforte nicht als genügend
empfunden würde, stünde dann nach Ansicht des Ministerrates noch die weitere13
Möglichkeit offen, mit der Pforte in die Diskussion einer Spezialgarantie einzu¬
treten, die die Monarchie der Türkei für ein von ihr zu emittierendes Anlehen im
Höchstausmaße von 50-60 Millionen Kronen zu gewähren sich bereit finden
würde. Die Festsetzung der Modalitäten des Anlehendienstes bliebe speziellen
Vereinbarungen Vorbehalten.

   Da die beiden Ministerpräsidenten erklärten, über das Maß der im Vorstehen¬
den skizzierten Konzessionen nicht hinausgehen zu können, sah sich Se. Exzel¬
lenz der Herr Minister veranlaßt, die Situation mit aller Deutlichkeit zu be¬
leuchten, die sich ergeben würde, wenn auf Grund des vorliegenden
Ministerratsbeschlusses eine Einigung mit der Türkei nicht zu erzielen wäre. Der
Herr Minister wies darauf hin, daß man sich auch angesichts der jüngsten Mel¬
dungen des Markgrafen Pallavicini aufeine ablehnende Haltung der Pforte gefaßt
machen müsse, wenn die k. u. k. Regierung nicht in der Lage wäre, der türkischen
Regierung an Stelle der von ihr verlangten &quot;und von uns perhorresziertenc Über¬
nahme eines Teiles der türkischen Staatsschuld eine materielle Zuwendung in
anderer Form und unter anderen Voraussetzungen zuzugestehend.

    Würden die Verhandlungen mit der Türkei infolge der Unmöglichkeit, die bei¬
derseitigen prinzipiellen Standpunkte einander zu nähern, abgebrochen, so könn¬
te die Monarchie angesichts der europäischen Lage und der feindseligen Haltung
einzelner Balkanstaaten ihre bisherige Balkanpolitik nicht mehr fortsetzen, sie
wäre gezwungen, eine Änderung ihrer Orientierung vorzunehmen und durch eine
deutlicher markierte Forderung der bulgarischen Tendenzen einen Druck auf
Konstantinopel auszuüben.

    Der Herr Minister verhehlte nicht, daß eine solche Politik der Repression, die
mit der Abberufung des k. u. k. Boschafters aus Konstantinopel eingeleitet wer¬
den müßte, zu den schwerwiegendsten Entschlüssen und Konsequenzen fuhren
könnte.2

         Korrektur aus letzte.
         Einfügung des Schriftführers.
         Korrektur aus zuzuwenden.

         Am 26. 2. 1909 kam ein Vertrag zwischen dem Osmanischen Reich und Österreich-Ungarn
         zustande, publiziert in Bernatzik, Österreichische Verfassungsgesetze Nr. 200e.
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