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Gemeinsamer Ministerrat, 22. 11. 1908

II. Handelsvertrag mit Rumänien und Bulgarien

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z5.pdf#page=4.

III. Regelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zu Montenegro

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z5.pdf#page=11.

IV. Wirtschaftliche Zugeständnisse an die Türkei

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_VI/pdf/oe_hu_mrp_VI_z5.pdf#page=16.

212 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

   Der Vorsitzende schließt hierauf die Sitzung, indem er sich vorbehält,
zur endgiltigen Bereinigung der heute noch offen gebliebenen Fragen in nächster
Zeit nochmals eine gemeinsame Ministerkonferenz einzuberufen.14

                                                                                           Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 16. November 1908. Franz Joseph.

      Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. November 1908

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Wekerle, der k. k. österreichische Minister¬
präsident Freiherr v. Bienerth (21. 12.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän,
der kgl. ung. Ackerbauminister v. Daränyi," der k. u. k. Erste Sektionschef im k. u. k. Ministerium
des k. u. k. Hauses und des Äußern Freiherr v. Call, der Leiter des k. k. Handelsministeriums Sek¬
tionschef Dr. Mataja,b der Leiter des k. k. Ackerbauministeriums Sektionschef Pop, der Leiter des
k. k. Finanzministeriums Sektionschef Freiherr v. Jorkasch-Koch,c der Staatssekretär im kgl. ung.
Handelsministerium v. Szterenyi, der Staatssekretär im kgl. ung. Finanzministerium Popovics, der
Sektionschef im k. k. Handelsministerium Ritter v. Roessler, der Sektionschef im k. u. k. Ministe-

        Anmerkung Daränyis mit dem Bemerken, daß zur Staffelierung des an Rumänien zu gewäh¬
        renden Rinderkontingentes die Zustimmung nicht gegeben werde.
        Anmerkung 10. 2. 09 der Leitung des Ressorts enthoben worden.
        Anmerkung dl (?) wie oben.

        Über die Annexion Bosnien-Herzegowinas fand kein gemeinsamer Ministerrat mehr statt.
        Mit seinen Schreiben v. 29. 9. 1908 an die Signatarmächte der Berliner Kongreßakte, den
        Deutschen Kaiser Wilhelm II. - Österreich-Ungarns Aussenpolitik, Bd. 1, Nr. 92 -, den
        König von England Edward VII. - ebd., Nr. 93 den Staatspräsidenten derfranzösischen
        Republik Fallieres - ebd., Nr. 95 den König von Italien Viktor Emmanuel III - ebd., Nr. 96
        - und den russischen Zaren Nikolaus II - ebd., Nr. 97 - teilte Franz Joseph die bevorstehen¬
        de Annexion Bosnien-Herzegowinas mit, HHStA., PA. I, Geheime Akten, Liasse XXXIX
        a-e, Annexion Bosniens und der Herzegowina 1908-1909, 1. Teil, Karton 485, fol. 300r-
        329r. Mit Schreiben Aehrenthals an Pallavicini v. 30. 9. 1908 wurde diesem die der türki¬
        schen Regierung zu überreichende Verbalnote mitgeteilt, die Pallavicini am 7.10.1908 über¬
        gab, HHStA., PA. I, Geheime Akten, Liasse XXXIX a-e, Annexion Bosniens und der
        Herzegowina 1908-1909, 1. Teil, Karton 485, fol. 271r-276r, publiziert in Österreich-
        Ungarns Aussenpolitik, Bd. 1, Nr. 99. Der Vortag Aehrenthals v. 4. 10. 1908 wegen der An¬
        nexion, wurde mit Ah. E. v. 5. 10. 1908 resolviert, HHStA., PA. I, Geheime Akten, Liasse
        XXXIX, Annexion Bosniens und der Herzegowina 1908-1909, 1. Teil, Karton 485, fol. 61t-
        68v. Mit den Ah. Handschreiben v. 5. 10. 1908 an Aehrenthal, Buriän, Bienert und Wekerle
        wurde die Annexion Bosnien-Herzegowinas bekannt gegeben, publiziert in Bernatzik, Öster¬
        reichische Verfassungsgesetze, Nr. 200 b.
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  213

dum des k. u. k. Hauses und des Äußern v. Mihalovich, der Staatssekretär im kgl. ung. Ackerbau¬
ministerium v. Ottlik, der Hofrat im k. k. Ackerbauministerium Dr. Seidler, der Hofrat im kgl. ung.
Handelsministerium Dr. v. Lers, der Sektionsrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Roth.

    Schriftführer: k. u. k. Konsul Joannovics
    Gegenstand: [I. Handelsvertrag mit Serbien. II. Handelsvertrag mit Rumänien und Bulgarien.
III. Regelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zu Montenegro. IV. Wirtschaftliche Zugeständnis¬
se an die Türkei.]

   KZ. 53 - GMCPZ. 469

   Protokoll des zu Wien am 22. November 1908 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k. u.
k. Hauses und des Äußern Freiherm v. Aehrenthal.

   Der Vorsitzende teilt zunächst das Programm der Besprechung mit
und schlägt vor, die nachstehenden vier Punkte zum Gegenstand der gemeinsa¬
men Beratungen zu machen: I. die Frage der weiteren Behandlung des mit Serbi¬
en abgeschlossenen Handelsvertrages, II. Mitteilungen über den Stand der Han¬
delsvertragsverhandlungen mit Rumänien und Erörterung der Frage über die
weitere Fortsetzung dieser Verhandlungen, III. Klärung der Frage, inwieweit der
bereits seit längerer Zeit vorliegende Antrag auf Herstellung einer wirtschaftli¬
chen Verständigung mit Montenegro durchgeführt werden könnte, IV. Erörterung
der Situation in der Türkei im Hinblick auf das wirtschaftliche Entgegenkom¬
men, welches diesem Staate bewiesen werden könnte, für den Fall, als derselbe
die Handelsbeziehungen zur Monarchie auf eine andere Basis zu stellen beab¬
sichtigen sollte.

   I. Zum ersten Punkte (Handelsvertrag mit Serbien) führt der Vorsitzende des
näheren aus, daß dieser Vertrag in den beiden Staaten der österreichisch-ungari¬
schen Monarchie mit dem 1. September 1. J. provisorisch in Kraft gesetzt und in
Serbien von der Skupstina bereits votiert worden sei.1 Es handle sich darum,
jetzt festzustellen, ob der erwähnte Vertrag mit Rücksicht auf die mittlerweile
eingetretenen politischen Verhältnisse in der ursprünglich intentionierten Weise
zu behandeln wäre. Vom Standpunkte der auswärtigen Politik sei diese Frage zu
bejahen und der Vertrag demnach der verfassungsmäßigen Behandlung zuzu-
fiihren. Da jedoch kaum zu hoffen sei, daß seine parlamentarische Erledigung
vor Ablauf des heurigen Jahres erreichbar wäre, spricht der Vorsitzende den
Wunsch aus, daß die Regierungen der beiden Staaten der österreichisch-ungari-

i Der serbische Handelsvertrag war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 6. 1. 1907,
       Gmr. V, Nr. 71. Mit der Zirkularverordnung des serbischen Finanzministeriums v. 16. 8.1908
       / 29. 8. 1908 wurden die Tarißestimmungen des Handelsvertrages mit Österreich-Ungarn
      für den 19. 8. 1908 /1. 9. 1908 in Kraft gesetzt, HHStA., Admin. Reg., F 37 Serbien 6, Kar¬
       ton 65, Nr. 453.
<pb/>214 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

sehen Monarchie durch Erstreckung des für das Jahr 1908 geltenden Ermächti¬
gungsgesetzes auf das Jahr 1909 sich die Möglichkeit verschaffen, den Vertrag
weiterhin provisorisch in Kraft zu belassen; den Parlamenten wäre dann im Lau¬
fe des Winters Gelegenheit zu geben, zum Vertrage Stellung zu nehmen. Da die
jetzige Situation in Serbien im Laufe der nächsten Wochen oder Monate kaum
eine Änderung erfahren dürfte, würde es der Vorsitzende für unklug halten, den
Vertrag im Hinblick auf die provokatorische Haltung Serbiens einfach außer
Kraft zu setzen, und ersucht daher die Vertreter der beiden Regierungen, sich
hierüber zu äußern.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident hält es gleichfalls politisch
für nicht richtig, den serbischen Vertrag einfach zu negieren. Da es nicht möglich
sein dürfte, denselben bis zum neuen Jahre der parlamentarischen Erledigung
zuzuführen, schließt sich die kgl. ung. Regierung dem Standpunkte des Vorsit¬
zenden, wonach dieser Vertrag im Wege eines Ermächtigungsgesetzes weiterhin
in Kraft zu belassen wäre, vollinhaltlich an.

   Der k. k. österreichische Ministerpräsident ist
gleichfalls der Meinung, daß in der Frage des serbischen Handelsvertrages nichts
anderes zu tun sei, als ihn der verfassungsmäßigen Behandlung zuzuführen, doch
halte er die Einbringung der bezüglichen Vorlagen für den Augenblick nicht für
aktuell, da es auch nicht opportun wäre, jetzt einen Druck auf das Parlament aus¬
üben zu wollen. Die k. k. österreichische Regierung sei selbstverständlich bereit,
vom Parlament ein neues Ermächtigungsgesetz anzusprechen, doch müsse schon
jetzt auf die großen Schwierigkeiten hingewiesen werden, welchen die Durch¬
bringung dieses Gesetzes im österreichischen Parlamente begegnen werde, möge
dieses Gesetz eine allgemeine Ermächtigung beinhalten oder auch nur den serbi¬
schen Vertrag betreffen. Diese Schwierigkeiten seien auf zwei Gründe zurückzu¬
führen: erstens habe sich im Abgeordnetenhause ein unerwartet starker Wider¬
stand gegen das für das Jahr 1908 votierte Ermächtigungsgesetz erhoben aus
Anlaß der provisorischen Inkraftsetzung des serbischen Vertrages; zweitens liege
eine Art von Forderung des Parlamentes und eine Zusage der Regierung vor, daß
dem Abgeordnetenhause vor der Verabschiedung des serbischen Vertrages we¬
nigstens in Umrissen Mitteilungen über den Inhalt des rumänischen und des bul¬
garischen Vertrages gemacht werden. Bei Einbringung eines neuen Ermächti¬
gungsgesetzes werde daher die Frage des Handelsvertrages mit Rumänien
aufgeworfen werden, weshalb es der k. k. österreichische Ministerpräsident für
ausgeschlossen halte, das erwähnte Gesetz durchzubringen, ohne dem Abgeord¬
netenhause die erwarteten Mitteilungen zu machen.

   Auf die Frage des k. k. österreichische Ministerpräsidenten, ob in Ungarn die
Einbringung eines allgemeinen Ermächtigungsgesetzes oder nur eines auf Serbi¬
en Bezug habenden beabsichtigt sei, erwidert der kgl. ung. Minister¬
präsident, daß es sich um ein allgemeines Ermächtigungsgesetz handle,
welches Sr. Majestät bereits unterbreitet sei und die Prolongierung des für das
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  215

Jahr 1908 geltenden analogen Gesetzes auf ein Jahr beinhalte.2 Außerdem ver¬
weist der kgl. ung. Ministerpräsident auf den Umstand, daß, selbst wenn der mit
Serbien abgeschlossenem Handelsvertrag nicht angenommen werden sollte, ein
Ermächtigungsgesetz angesprochen werden müsse, da dann auch die Notwendig¬
keit bestehen werde, das wirtschaftliche Verhältnis zu Serbien zu regeln. Rumä¬
nien könne hiebei nicht in Betracht gezogen werden, da sich das Ermächtigungs¬
gesetz nicht auf Rumänien beziehen werde, weil der gegenwärtig noch
bestehende Handelsvertrag mit diesem Staate nicht gekündigt sei und erst nach
Ablauf eines Jahres nach erfolgter Kündigung zu gelten aufhöre. Es sei nicht zu
befürchten, daß dies im Laufe des nächsten Jahres eintreten werde.3

   Auf die entgegnende Bemerkung des k. k. österreichischen
Ministerpräsidenten, daß Rumänien nach erfolgtem Abschluß eines
neuen Handelsvertrages dessen sofortige Aktivierung verlangen werde, erwidert
der Vorsitzende, daß man diesem Verlangen durch die Erklärung begeg¬
nen könne, daß der neue Vertrag erst nach seiner Genehmigung durch Parlamente
ins Leben treten solle. Der Unterschied gegenüber Serbien liege darin, daß durch
den neuen serbischen Vertrag dem bisher bestandenen vertragslosen Zustande ein
Ende bereitet wurde, während der abzuschließende neue Vertrag mit Rumänien
den noch immer bestehenden und nicht gekündigten alten Vertrag nach Ablauf
der Kündigungsfrist ersetzen solle. Der Vorsitzende glaubt daher, daß den Parla¬
menten gegenüber ohneweiters daraufhingewiesen werden könnte, daß sich das
Ermächtigungsgesetz auf Rumänien nicht beziehe.

   Nachdem der k. k. österreichische Ministerpräsident
über Befragen erklärt, daß die k. k. österreichische Regierung bereits den Ent¬
wurf eines Ermächtigungsgesetzes vorbereitet habe, wird die Frage aufgeworfen,
ob es nicht möglich wäre, dieses Gesetz einfach durch Prolongierung des für das
Jahr 1908 geltenden Gesetzes im Verordnungswege in Kraft treten zu lassen. Da
dies in Ungarn aus legislatorischen Gründen nicht durchführbar wäre, in Öster¬
reich aber die Umgehung der parlamentarischen Behandlung nur mit Hilfe des §
14 möglich ist, erklärt der k. k. österreichische Ministerpräsident schließlich, daß
er die Vorlage über das Ermächtigungsgesetz jedenfalls einbringen und alles auf¬
bieten werde, um das Gesetz durchzubringen. Sollte dies nicht möglich sein, so
müsse eben auf einem anderen Wege Vorsorge getroffen werden, damit das Ein-

Der Vortrag Kossuths v. 15. 11. 1908, den Gesetzentwurfzur Verlängerung des Ermächti¬
gungsgesetzesfür das Jahr 1909 in den ungarischen Reichstag einzubringen, wurde mit Ah.
E. v. 25. 11. 1908 resolviert, HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 3583/1908. Nach der Annahme des
Ermächtungsgesetzes durch den ungarischen Reichstag wurde er über Vortrag Wekerles v.
22. 12. 1908 mit Ah. E. v. 24. 12. 1908 sanktioniert, ebd., KZ. 29101X9(181, publiziert als GA.
LVI/1908.
Die Handelskonvention mit Rumänien war am 21. 12. 1893 geschlossen und am 9. 6. 1894
von Österreich-Ungarn ratifiziert worden, in Cisleithanienpubliziert als RGBl. Nr. 116/1894,
in Ungarn als GA. XIV/1894.
<pb/>216 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

treten eines vertragslosen Zustandes mit Serbien durch provisorische Prolongie¬
rung des abgeschlossenen Handelsvertrages auf das Jahr 1909 vermieden werde.

   Der Vorsitzende konstatiert sohin die vollständige Übereinstimmung
hinsichtlich der weiteren Behandlung des serbischen Handelsvertrages, welcher
den beiden Parlamenten vorzulegen und in Anbetracht der Unmöglichkeit seiner
parlamentarischen Verabschiedung bis zu Ablaufe des Jahres im Wege von Er¬
mächtigungsgesetzen auch für das Jahr 1909 provisorisch in Kraft zu belassen
sein werde. Es wird zwar den beiden Regierungen überlassen, den Vertrag zu dem
ihnen genehm erscheinenden Zeitpunkte noch im Laufe des Jahres 1908 vorzule¬
gen, doch immerhin der Wunsch ausgesprochen, daß dies nicht im letzten Augen¬
blicke geschehen möge, damit es nicht den Anschein einer bloßen Formalität
habe.

   Um diesem Wunsche des Vorsitzenden zu entsprechen, schlägt der k g 1.
ung. Ministerpräsident vor, den Vertrag mit Serbien vor dem Er¬
mächtigungsgesetze einzubringen und das letztere mit der Motivierung vorzule¬
gen, daß es die parlamentarischen Verhältnisse nicht erlauben, den Vertrag gegen¬
wärtig in Verhandlung zu ziehen.

   Der k. k. österreichische Ministerpräsident erklärt
sich mit diesem Vorgehen einverstanden.4

   II. Zum zweiten Punkte (Fortsetzung der Handelsvertragsverhandlungen mit
Rumänien)5 fuhrt der Vorsitzende aus, daß in den bisher geführten Ver¬
handlungen über die meisten Punkte eine Klärung erzielt und das Formale durch¬
gesprochen worden sei, allerdings auf Kosten eines und zwar des wichtigsten
Punktes, der Höhe des Kontingentes der in geschlachtetem Zustande zur Einfuhr
zuzulassenden Tiere. Hierüber sei mit den rumänischen Delegierten bei den Ver¬
handlungen gar nicht gesprochen worden, weil man bei der überaus großen Dif¬
ferenz zwischen den rumänischen Forderungen und den österreichisch-ungari-

        Der Vortrag des k. k. Handelsministers Fiedler v. 29. 3. 1908 wegen Einbringung des Han¬
        delsvertrages mit Serbien in den Reichsrat war mit Ah. E. v. 4. 4. 1908 resolviert worden,
        HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 1027/1908. Der entsprechende Vortrag Kossuths flir die Ein¬
        bringung in den Reichstag v. 30. 3. 1908 hatte die Ah. E. auch am 4. 4. 1908 erhalten, ebd.,
        KZ. 1028/1908./« Cisleithanien wurde der Handelsvertrag mit der Verordnung des Gesamt¬
        ministeriums v. 29. 8. 1908, RGBl. Nr. 182/1908 in Kraft gesetzt, gültig vom 1. 9. bis 31.12.
         1908 auf Grund der Ermächtigung durch das Gesetz v. 30. 12. 1907, ebd. Nr. 288/1907. In
         Ungarn wurde das Ermächtigungsgesetzpubliziert als GA. LVI/1907. Mit Gesetz des Reichs¬
         rates v. 29. 12. 1908 wurde die cisleithanische Regierung erneut ermächtigt, Handelsverträ¬
        ge provisorisch bis 31. 3. 1909 in Kraft zu setzen, RGBl. Nr. 273/1908. So konnte der Han¬
         delsvertrag mit Serbien im Verordnungsweg bis Ende März 1909 prolongiert werden; in
         Cisleithanien durch Verordnung des Gesamtministeriums v. 31. 12. 1908, RGBl. Nr. 1/1909.
        Der Handelsvertrag kam in GMR. v. 28. 2. 1909, GMCPZ. 470, erneut zur Sprache.
        Der rumänische Handelsvertrag war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 6. 1. 1907,
         Gmr. V, Nr. 71.
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  217

scherseits in Aussicht genommenen Zugeständnissen die Verhandlungen zu
gefährden befurchten mußte. Mit Rücksicht auf den in Österreich eingetretenen
Regierungswechsel habe der Vorsitzende geglaubt, im Interesse des Zustande¬
kommens des Vertrages die Verhandlungen nicht weiter fortfuhren zu lassen, son¬
dern auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen.

   Auf die in Rumänien herrschende Stimmung hinweisend, teilt der Vorsitzende
mit, daß daselbstjetzt eine Strömung bestehe, welche in der Frage der Konzessio¬
nen für den Verkehr mit Tieren, tierischen Rohstoffen und tierischen Produkten
die gleiche Behandlung Rumäniens wie Serbiens fordere. Die rumänische Regie¬
rung sei im Laufe des heurigen Sommers zur Kenntnis der Ziffern des serbischen
Kontingentes gelangt und beanspruche nun die gleiche Begünstigung für sich.
Dies wäre zu vermeiden gewesen, wenn man dem seinerzeitigen Anträge des
Vorsitzenden gemäß die Verhandlungen mit Rumänien vor den mit Serbien ge¬
führten aufgenommen und abgeschlossen hätte. Infolge der Ablehnung dieses
Antrages sei die gegenwärtige Situation entstanden, welche aus dem Grunde un-
angenehem empfunden werden müsse, weil der Spielraum für die Rumänien zu
gewährenden Zugeständnisse in bezug auf das Kontingent ein sehr eng begrenz¬
ter sei. Die Unterhändler seien gegenwärtig an das von den beiden Regierungen
einvemehmlich festgesetzte Kontingent von 50 000 Rindern und 100 000 Schwei¬
nen gebunden; von Schafen sei bisher überhaupt nicht die Rede gewesen. Davon
habe Serbien bereits 35 000 beziehungsweise 70 000 Stück erhalten. Es verblei¬
ben also bloß 15 000 beziehungsweise 30 000 Stück zur Verfügung der Unter¬
händler, wovon ein Bruchteil eventuell noch auf Rechnung Bulgariens zu stellen
wäre. In Anbetracht der erheblich höheren Ansprüche, welche Rumänien stellen
zu müssen glaube, entstehe die Frage, wie weiter vorzugehen sei, um der Gefahr
zu entgehen, daß Rumänien unter dem Drucke der politischen Bewegung schon
in Kürze den bestehenden Meistbegünstigungsvertrag kündige und die Fortset¬
zung der Verhandlungen dann unter dem Drucke der gekündigten Meistbegünsti¬
gung stattfinden müßte. Der Vorsitzende verweist auf eine vom k. u. k. Gesandten
in Bukarest erst kürzlich eingelangte Meldung, wonach auch der sich für die Fra¬
ge sehr interessierende König von Rumänien der geänderten Situation Rechnung
zu tragen beginne.6

   Es ergebe sich daher die Notwendigkeit, nach Mitteln zu suchen, um die dro¬
hende Gefahr der Kündigung des bestehenden Vertrages zu beseitigen und den
neuen Vertrag möglichst bald abzuschließen. Der Vorsitzende erblickt nur zwei
Möglichkeiten: entweder eine mäßige Erhöhung des Kontingentes eintreten zu
lassen, oder zwischen der Behandlung des serbischen und des rumänischen Ver¬
trages zu optieren. Die letztere Modalität würde die Rückkehr zum vertragslosen

Schreiben Schönburgs an Aehrenthal v. 19. 11. 1908 über die Unmöglichkeit, daß König
Carol Ministerpräsident Brätianu entläßt, HHSxA., PA. XVIII, Fasz. Varia 1908, fol. 52-
55.
<pb/>218 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

Zustand mit Serbien bedeuten, sei daher nur als äußerste Eventualität, wenn eine
andere Lösung sich als unmöglich erweisen sollte, ins Auge zu fassen.

    Den Ausführungen des Vorsitzenden entgegnet zunächst der Leiter des
k. k. Ackerbauministeriums. Er führt aus, daß den Unterhänd¬
lern nach den letzten Instruktionen ein Kontingent von 6000 Rindern und 15 000
Schweinen für Rumänien zur Verfügung gestellt wurde, mit welchem in den Ver¬
handlungen zu operieren gewesen wäre. Es wäre schwer, über diese Kontingent-
ziffem hinauszugehen. Nachdem es aber der rumänischen Regierung hauptsäch¬
lich darum zu tun scheine, eine möglichst hohe Kontingentziffer ohne Rücksicht
auf die Gattung der Tiere zu erhalten, so könnte diesem Wunsche durch Einbezie¬
hung eines Quantums von etwa 50 000 Schafen in das Kontingent entsprochen
werden.

    Auch der kgl. ung. Ackerbauminister spricht sich dahin aus,
daß das für Rumänien in Aussicht genommene Kontingent an Rindern und
Schweinen nicht erhöht werden könne. Bei Feststellung des Gesamtkontingentes
sei man von der Absicht geleitet worden, im vorhinein die äußersten Grenzen der
möglichen Zugeständnisse zu bestimmen, um hiedurch der Möglichkeit einer Be¬
einflussung des Ganges der Verhandlungen durch Pressionsmittel vorzubeugen.
Die Ziffern des Gesamtkontingentes seien jetzt allgemein bekannt. Es wäre un¬
möglich, die gegen die Balkanverträge eingenommenen Agrarier anders zu beru¬
higen, als mit der Versicherung, daß das Gesamtkontingent bestimmt sei, daß
Serbien einen großen Teil davon erhalten habe, während sich die übrigen Balkan¬
staaten mit der prinzipiellen Konzession und kleinen Kontingenten begnügen
müßten. Eine Erhöhung der Kontingente für diese Staaten sei parlamentarisch
nicht vertretbar.

    Bezüglich der Zulassung der Schafe schlägt der kgl. ung. Ackerbauminister
einen Vorgang vor, welcher, ohne die Frage des Gesamtkontingentes zu tangie¬
ren, ein Entgegenkommen ermögliche. Rumänien habe bisher einen Weidever¬
kehr genossen, welcher ungarischerseits nicht weiter belassen werden könne, da
er dem Prinzipe, daß aus den Balkanstaaten kein lebendes Vieh hereingelassen
werden könne, widerspreche. Außerdem sei es erwiesen, daß die Maul- und Klau¬
enseuche, von welcher die Viehbestände in Ungarn wie in Österreich so schwer
heimgesucht wurden, durch die im Weideverkehr über die Grenze getriebenen
Schafe aus Rumänien eingeschleppt worden sei. Es gehe nicht an, diese Gefahr
jetzt, nachdem die Seuche mit Erfolg bekämpft worden und im Rückgänge be¬
griffen sei, wieder heraufzubeschwören. Der Weideverkehr sei nunmehr bereits
seit einem halben Jahre eingestellt, Rumänien beginne sich an diesen Zustand zu
gewöhnen und werde wohl nicht mehr großes Gewicht auf dessen Erhaltung le¬
gen.

   Ohne die Höhe des ein für alle Mal festgesetzten Gesamtkontingentes zu
alterieren, könnte Rumänien als Ersatz für den aufzulassenden Weideverkehr
im äußersten Falle eine gewisse Menge geschlachteter Schafe bewilligt wer¬
den, bezüglich welcher man ungarischerseits - ohne daß man in der Lage wäre,
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  219

augenblicklich eine bestimmte Ziffer zu nennen - ein Einverständnis auf Grund
des österreichischen Antrages für möglich halte. Doch sei dies als eine speziell
Rumänien für das Auflassen des Weideverkehres gewährte, außerhalb des Ge¬
samtkontingentes liegende Konzession hinzustellen, aus welcher weder Serbi¬
en noch Bulgarien irgendwelche Folgerungen zu ihren Gunsten ziehen könnten.
Sollte das Einvernehmen mit Rumänien auch auf dieser Grundlage nicht zu
erzielen sein, dann wäre die Rückgängigmachung des serbischen Vertrages zu
überlegen; doch sei dies eine vorläufig in der Feme liegende Eventualität, deren
Durchführung nicht unbedenklich wäre, da es immerhin seine Schwierigkeiten
habe, bereits gemachte Zugeständnisse wieder zurückzuziehen. Redner wäre
dann eher dafür, die Verhandlungen mit Rumänien weiter zu vertagen, so wie er
glaube, daß es vielleicht besser gewesen wäre, dieselben gar nicht aufzuneh¬
men, wenn man gewußt hätte, daß mmänischerseits so hohe Forderungen ge¬
stellt würden.

   Der Vorsitzende dankt den beiden Vorrednern für ihre Mitteilungen,
welche immerhin die Hoffnung gestatten, daß es möglich sein werde, eine Basis
zu finden, welche den Abschluß des Handelsvertrages mit Rumänien gestatte.

   Auf die Bemerkung des kgl. ung. Ackerbauministers reflektierend, daß die ho¬
hen Kontingentforderungen Rumäniens überraschend gekommen wären, bemerkt
der Vorsitzende, daß dies eben darin seinen Grand habe, weil diese Forderungen
nicht einem praktischen Exportbedürfhisse, sondern politischen Motiven ent¬
sprungen seien. Bei der endgiltigen Fixierung der Kontingentziffem wäre eine
Verständigung mit Rumänien vielleicht in der Weise am besten zu erreichen,
wenn das für die ganze Vertragsdauer berechnete Gesamtkontingent auf die ein¬
zelnen Jahre derart staffelweise verteilt würde, daß man in den ersten Jahren mit
niedrigen Kontingentziffem beginne und in den folgenden Jahren im Zusammen¬
hänge mit der zunehmenden Exportfähigkeit Rumäniens eine allmähliche Steige¬
rung des Jahreskontingentes speziell für Rinder eintreten lasse. Dieses Vorgehen
erscheine auch aus dem Grunde zweckmäßig, weil man mit 6000 Rindern gewiß
nicht das Auskommen finden werde und dann noch 9000 Rinder aus dem den
Unterhändlern zur Verfügung gestellten Gesamtkontingente erübrigen würden,
deren Zuwendung an Bulgarien man bei der Schwierigkeit der Anpassung des mit
Serbien vereinbarten Regimes an die bulgarischen Verhältnisse nie beabsichtigt
haben könne.

   Der Sektionschef im k. k. Handelsministerium
Ritter v. Roessler gibt zunächst eine aufklärende Darstellung der ei¬
nigermaßen kontroversen Frage der Gesamthöhe und der Verteilung des Kontin¬
gentes an die einzelnen Balkanstaaten. Bezüglich des im Laufe der Verhandlun¬
gen erwähnten Gesamtkontingentes von 50 000 Rindern und 100 000 Schweinen
verhalte es sich tatsächlich so, daß die beiden Regierungen ursprünglich beab¬
sichtigten, Serbien 35 000 Stück, Rumänien 10 000 Stück und Bulgarien 2000
Stück Rinder, somit insgesamt bloß 47 000 Stück Rinder zu geben; für Rumänien
seien also ursprünglich 10 000 Rinder und 20 000 Schweine reserviert worden.
<pb/>220 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

Aus innerpolitischen Gründen seien dann bei Aufnahme der Verhandlungen mit
Rumänien über Wunsch der österreichischen Regierung diese Ziffern auf 6000
Rinder und 15 000 Schweine herabgesetzt worden. Dieses Kontingent sei so ge¬
ring, daß man vorgezogen habe, diese Ziffern den rumänischen Unterhändlern
gar nicht zu nennen. So unangenehm auch die Erhöhung des Kontingentes von
den Agrariern empfunden werden würde, so müsse man doch damit zu rechnen
beginnen. Ohne Läsion des serbischen Vertrages könnte man auf das ursprüng¬
lich in Aussicht genommene Kontingent von 10 000 Rindern und 20 000 Schwei¬
nen zurückgreifen, ohne jedoch die Unterhändler gerade an diese Ziffern zu bin¬
den. Bei Rindern wäre eine aufsteigende Skala auf Grund dieses 10 000
Stücksatzes zu konstruieren, doch werde es schwer fallen, selbst damit das Aus¬
kommen zu finden, wenn man sich nicht entschließen sollte, das Kontingent in
den letzten Jahren entsprechend dem Anpassungsvermögen der Märkte in Öster¬
reich und in Ungarn und nach Maßgabe des steigenden Exportbedürfhisses Ru¬
mäniens nach oben abzurunden. Bei Schweinen sollte wohl das Jahreskontingent
von 20 000 Stück als Minimum angenommen werden. Das in Erwägung gezoge¬
ne Kontingent geschlachteter Schafe endlich dürfte die Verhandlungen kaum we¬
sentlich beeinflussen, weil sein Handelswert ein viel zu geringer sei. Die Bilanz
der Handelswerte ergebe, daß, um eine Aktivbilanz von rund 70 Millionen Kro¬
nen auf Seite Österreich-Ungams zu erhalten, Rumänien Konzessionen im Ge¬
samtwerte von kaum fünf Millionen Kronen geboten würden. Es sei zu befürch¬
ten, daß Rumänien dieses Zugeständnis für ein zu geringes ansehen werde, um
den Abschluß eines Vertrages auf dieser Basis zu rechtfertigen.

   Sollte sich diese Befürchtung bewahrheiten, so wäre allerdings die zweite Mo¬
dalität, nämlich die Option zwischen dem Vertrage mit Serbien und jenem mit
Rumänien in Erwägung zu ziehen.

   Der Leiter des k. k. Ackerbauministeriums erklärt
sich daraufhin bereit, im Interesse der Fortsetzung der Verhandlungen auf das
ursprünglich in Aussicht genommene und bei Eröffnung der Verhandlungen mit
Rumänien zurückgestellte Kontingent von 10 000 Rindern und 20 000 Schwei¬
nen jährlich als äußerstes Zugeständnis zurückzugreifen. Eine weitere Erhöhung
wäre angesichts der parlamentarischen Situation kaum vertretbar. Bezüglich der
Schafe wäre ein Zugeständnis an Rumänien im Sinne der Ausführungen des kgl.
ung. Ackerbauministers akzeptabel.

   Nachdem sich auch der kgl. ung. Ackerbauminister gegen
die Erhöhung des Kontingentes über die Ziffern von 10 000 Rindern und 20 000
Schweinen hinaus ausgesprochen, ergreift der k. k. Ministerpräsi¬
dent das Wort, um zu betonen, daß die k. k. österreichische Regierung, von
allen politischen Rücksichten abgesehen, schon vom Standpunkte der industriel¬
len Interessen auf das Zustandekommen des Handelsvertrages mit Rumänien
den größten Wert legen müsse. Da es mm aus den von den beiden Ackerbaumi¬
nisterien hervorgehobenen Gründen unmöglich sei, eine weitere Erhöhung des
Kontingentes in Aussicht zu nehmen, müsse man hoffen, daß das Zurückgreifen
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  221

auf die ursprünglichen Ziffern im Vereine mit dem für die Einfuhr von Schafen
in Aussicht genommenen Zugeständnisse, welches für Österreich von keiner Be¬
deutung sei, den Abschluß des Vertrages ermöglichen werde. Die Idee der Staf¬
felung des Kontingentes mit ansteigender Skala hält der k. k. Ministerpräsident
für schwer durchführbar, weil Rumänien dadurch die volle Ausnützung des
Kontingentes erleichtert werde, was die Annahme des Vertrages durch das Par¬
lament erschweren dürfte. Er würde daher vorziehen, bei einem etwas erhöhten
Kontingente zu verbleiben, weil dasselbe in Wirklichkeit kaum voll ausgenützt
werden dürfte.

   Die Eventualität der Option zwischen serbischem und rumänischem Vertrag
glaubt Redner als ein äußerstes Mittel vorläufig außer Betracht lassen zu sol¬
len.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident weist auf die geringe Be¬
deutung hin, welche die Erhöhung des Kontingentes vom wirtschaftlichen Stand¬
punkte für die beiden Staaten der Monarchie habe, einerseits weil Rumänien nicht
den nötigen Viehstand besitze, um ein erhöhtes Kontingent in den ersten vier bis
sechs Jahren auszunützen, und weil sich auch die Bedürfnisse des Konsums stei¬
gern. Da man aber mit den heute bestehenden agrarischen Strömungen, selbst
wenn sie sich nicht dauernd erhalten sollten, rechnen müsse, sei es Pflicht der
Regierungen, auf dieselben so weit als nötig Rücksicht zu nehmen, um das Zu¬
standekommen eines für die Interessen der Monarchie so wichtigen Vertrages wie
des rumänischen zu ermöglichen. Im Vergleiche zu Serbien, mit welchem Staate
bereits ein Vertrag abgeschlossen worden sei, stelle Rumänien ein wesentlich
wichtigeres Absatzgebiet dar, weil die Konsumkraft dieses Staates eine zuneh¬
mende sei und mithin eine weitere Erhöhung der mit vielen Millionen aktiven
Handelsbilanz der österreichisch-ungarischen Monarchie gegenüber Rumänien
zu erwarten stehe. Der kgl. ung. Ministerpräsident hält es daher angesichts der
Wichtigkeit der Frage für angezeigt, die Fortsetzung der Verhandlungen zunächst
auf diplomatischem Wege anzubahnen. Außerdem erscheine es notwendig, die
agrarischen Kreise darauf vorzubereiten, daß es sich im Hinblick auf die Bedeu¬
tung der auf dem Spiele stehenden Interessen möglicherweise als notwendig er¬
weisen werde, das bisherige agrarische Programm abzuändem. Bezüglich der
Schafe ist der kgl. ung. Ministerpräsident der Meinung, daß Rumänien durch
Aufhebung des Weideverkehres gar nichts verliere; es sei im Gegenteil ein Recht,
welches österreichisch-ungarischerseits aufgegeben werde und daher Rumänien
gegenüber als eine Konzession hinzustellen.

   Serbien und Bulgarien gegenüber wäre die Frage allerdings in einem anderen
Lichte darzustellen.

   Der Vorsitzende nimmt die Anregung des Vorredners betreffend die
Vorbereitung der weiteren Verhandlungen mit Rumänien auf diplomatischem
Wege dankend zur Kenntnis, weil sie die einzige Möglichkeit biete, um bei Wie¬
deraufnahme der Verhandlungen nicht vor neuen Schwierigkeiten zu stehen.
<pb/>222 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

   Den abgegebenen Erklärungen zufolge wären diese Verhandlungen auf die Ba¬
sis eines Jahreskontingentes von 10 000 Rindern, 20 000 Schweinen und 50 000
Schafen zu stellen. Es wäre erwünscht, noch darüber eine Entscheidung zu tref¬
fen, ob auch die Frage der Staffelung des Kontingentes bei Rindern als Grundlage
angenommen werden könnte, bezüglich welcher auf Grund unverbindlicher Be¬
sprechungen mit den rumänischen Unterhändlern erfahren wurde, daß diese Idee
Anklang finden würde.

   Der Vorsitzende richtet einen dringenden Appell an beide Regierungen, daß,
wenn nicht unüberwindliche Hindernisse vorliegen, dem Ministerium des Äu¬
ßern überlassen werden müßte, diese Idee fortzuspinnen.

   Der kgl. ung. Ackerbauminister erklärt, nicht in der Lage zu
sein, sich diesbezüglich sogleich zu äußern, doch wolle er die Angelegenheit zu
Hause noch in Erwägung ziehen.

   Der Leiter des k. k. Ackerbauministeriums erklärt
neuerdings, daß die Ziffern von 10 000 Ochsen und 20 000 Schweinen die äußer¬
ste Grenze der möglichen Zugeständnisse bedeuten. Wenn also von einer
Progression oder Staffelung gesprochen werde, so sei dies nur derart zu verste¬
hen, daß sich diese Progression innerhalb der Grenzen der erwähnten Ziffern
bewege.

   Auf den vom k. k. Ministerpräsidenten ausgesprochenen
Wunsch, die Verhandlungen mit Rumänien nicht zu früh anzusetzen, da dies für
die Durchbringung des Ermächtigungsgesetzes von Nachteil sein könnte, erklärt
der Vorsitzende, daß man auch auf die Stimmung der rumänischen De¬
putiertenkammer werde Rücksicht nehmen müssen, daher kein Anstand vorliege,
dem geäußerten Wunsche Rechnung zu tragen. Immerhin erbitte er sich die Voll¬
macht, den Zeitpunkt für die Einleitung der diplomatischen Verhandlungen selbst
zu bestimmen.

   Nachdem die Konferenz dem Vorstehenden zugestimmt, erklärt der Vorsitzen¬
de sich für ermächtigt zu halten, die Fortsetzung der Verhandlungen mit Rumäni¬
en auf Basis des nunmehr bewilligten Jahreskontingentes von 10 000 Ochsen,
20 000 Schweinen und 50 000 Schafen auf diplomatischem Wege zu dem ihm
geeignet erscheinenden Zeitpunkte einleiten und hiebei die Idee der staffelförmi¬
gen Verteilung des Rinderkontingentes, jedoch ohne Übertragung von einem Jahr
auf das andere in Betracht ziehen zu können.7

   Die Konferenz berührt nun auch die Frage der eventuellen Aufiiahme der Han¬
delsvertragsverhandlungen mit Bulgarien,8 bezüglich welcher der Staatsse-

        Mit Schreiben (K.) an Schönburg v. 17. 12. 1908 gab Aehrenthal weiter aufgestockte Kontin¬
        gente als Maximalzugeständnisse Österreich-Ungams an: neben den 50 000 Schafen noch
        25 000 Rinder und 30 000 Schweine, ebd., Admin. Reg., F 37 Rumänien 4, Karton 58, Nr.
        192. Fortsetzung der Beratungen über den Handelsvertrag mit Rumänien in GMR. v. 28. 2.
        1909, GMCPZ. 470.
        Der bulgarische Handelsvertrag war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 6. 1. 1907,
        Gmr. V, Nr. 71.
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  223

kretär im kgl. ung. Handelsministerium v. Szte-
r e n y i erklärt, daß die kgl. ung. Regierung nach wie vor bereit sei, in diese
Verhandlungen zu welchem Zeitpunkte immer einzutreten, sobald Bulgarien dies
wünschen sollte. Allerdings bestehe auch heute noch die Schwierigkeit, Bulgari¬
en gegenüber das Regime der Grenzschlachthäuser in Anwendung zu bringen, da
Bulgarien nicht unmittelbar an die österreichisch-ungarische Monarchie grenze.
Es seien zwar verschiedene Ideen aufgetaucht, um diese Schwierigkeit zu über¬
winden, doch sei man in diesem Punkte noch zu keinem Ergebnisse gelangt.

   Dies bilde jedoch kein Hindernis für die Aufnahme der Verhandlungen mit
Bulgarien, es sei im Gegenteil die gleichzeitige Vorlage des bulgarischen Vertra¬
ges mit dem rumänischen für dessen parlamentarische Vertretung von Vorteil.
Auch müsse man damit rechnen, daß ein Vertrag mit Bulgarien nur auf die Dau¬
er von zwei Jahren abgeschlossen werden könnte, da alle bulgarischen Verträge
mit dem Jahre 1910 ablaufen. Ungarischerseits werde daher beantragt, daß, im
Falle Bulgarien einen diesbezüglichen Wunsch Vorbringen sollte, in die Ver¬
handlungen einzutreten wäre; doch wäre österreichisch-ungarischerseits nicht
die Initiative zu ergreifen, um die eigene Position Bulgarien gegenüber nicht zu
schwächen.

   Der Leiter des k. k. Handelsministeriums schließt sich
dieser Auffassung an.9

   III. Zum dritten Punkte (Regelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zu
Montenegro)10 bemerkt der Vorsitzende einleitend, daß er es für unbe¬
dingt notwendig halte, diesem armen Gebirgslande die Möglichkeit zu geben,
sich wirtschaftlich zu entwickeln, und daß der Zeitpunkt nicht weiter hinausge¬
schoben werden solle, das auch für die österreichisch-ungarische Monarchie not¬
wendige Handelsübereinkommen abzuschließen, sobald das Verhalten Montene¬
gros in politischer Beziehung ein korrektes würde. Die Grundlagen eines solchen
Übereinkommens seien zwar vollständig ausgearbeitet worden, doch stehe noch
die Zustimmung der kgl. ung. Regierung aus.11 Der Vorsitzende richtet die drin¬
gende Bitte an die kgl. ung. Regierung, in dieser Angelegenheit, welche ja die
wirtschaftlichen Interessen Ungarns kaum tangiere, aber vom Standpunkte der
auswärtigen Politik von größter Bedeutung sei, je eher einen Beschluß zu fassen
und ihm zuversichtlich bis längstens Jänner 1909 eine Mitteilung zukommen zu
lassen.

Fortsetzung der Beratung über den Handelsvertrag mit Bulgarien in GMR. v. 16. 3. 1909,
GMCPZ. 471.

Der Handelsvertrag mit Montenegro war zuletzt zur Sprache gekommen in GMR. v. 27. 2.
1906/1, Gmr. V, Nr. 69.
Gemeint ist vermutlich die Zoll- und Handelskonferenz v. 18. 5. 1908, Tagesordnungspunkt
3; das Resume in HHStA., Admin. Reg., F 37 Montenegro 1, zwischen den Nummern 68 und
69.
<pb/>224 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

   Der Staatssekretär im kgl. ung. Handelsministeri¬
um v. Szterenyi erwidert, daß die Zollkonferenz bezüglich Montene¬
gros mit Ausnahme eines einzigen Punktes einig sei. Es sei der Wunsch beider
Regierungen, mit Montenegro einen Vertrag abzuschließen. Österreichischerseits
sei vorgeschlagen worden, die Einfuhr von lebendem Vieh aus diesem Lande
nach Cattaro zu gestatten, um die Verproviantierung dieser Stadt und ihres Gebie¬
tes zu erleichtern. Die Prüfung dieses Antrages ungarischerseits habe jedoch er¬
geben, daß seine Durchführung Schwierigkeiten mit Serbien im Gefolge haben
könnte, da Serbien sich auf die im Laufe der Verhandlungen erhaltene Zusiche¬
rung berufen könnte, daß in Bezug auf den Viehverkehr kein Balkanstaat günsti¬
ger behandelt werden solle als Serbien.

   Außerdem wäre noch in Erinnerung zu bringen, daß ungarischerseits gelegent¬
lich der Verhandlungen mit Serbien der Antrag gestellt worden sei, die Schlach¬
tung des aus Serbien zuzulassenden Viehes in auf ungarischem Boden unmittel¬
bar an der Grenze gelegenen Schlachthäusern zu gestatten, in der Voraussetzung,
daß seitens der deutschen Regierung die Zusicherung gegeben würde, das Gebiet
dieser Schlachthäuser vom Standpunkte des eventuellen Auftretens von Tier¬
krankheiten als exterritorial ansehen zu wollen. Österreichischerseits sei damals
dieser Antrag entschieden abgelehnt worden. Es bestehe daher zwischen dem da¬
maligen Standpunkte der österreichischen Regierung und ihrem späteren Anträge
betreffend Montenegros ein auffallender Widerspruch, und die kgl. ung. Regie¬
rung könne sich diesem letzteren nicht ohne weiters unterwerfen, nachdem ihre
Idee bezüglich Serbiens abgelehnt worden sei. Ferner sei die Idee der Behand¬
lung des montenegrinischen Viehes als Jungvieh imdurchführbar. Endlich müsse
erwogen werden, ob die Rußland gegebenen Erklärungen bezüglich der im
Grenzverkehr zu gewährenden Begünstigungen die differentielle Behandlung
Montenegros gestatten.

    Seitens des kgl. ung. Ackerbauministers werden die vorste¬
henden Erklärungen durch die Bemerkung ergänzt, daß Deutschland auf Grund
der Veterinärkonvention berechtigt sei, im Falle des Vorkommens auch nur eines
einzigen Falles von Rinderpest die Grenze sofort ohne jeden Termin zu sperren,
und daß man auf die volle Ausübung dieses Rechtes seitens Deutschlands gefaßt
sein könne.

   Der k. k. Hofrat im k. k. Ackerbauministerium Dr.
S e i d 1 e r erwidert auf die Ausführungen seiner Vorredner, daß das k. k. Acker¬
bauministerium dem Vorschläge betreffend Montenegro mit Rücksicht auf die
speziellen Verhältnisse des Gebietes von Cattaro zugestimmt habe. Die Bewoh¬
ner dieses Gebietes seien auf den Bezug von montenegrinischem Vieh angewie¬
sen. Wenn die Einfuhr von Vieh nicht auf legalem Wege gestattet werde, so ge¬
schehe sie eben auf dem illegalen Wege des Schmuggels, wodurch die Gefahr der
Seucheneinschleppung nur vergrößert werde. Um diese Gefahr zu bannen, beab¬
sichtige man eben die Einfuhr von montenegrinischem Vieh unter allen gebote¬
nen veterinärpolizeilichen Vorsichtsmaßregeln ausschließlich für den Bedarf der
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  225

Bocche in daselbst gelegene Schlachthäuser zu gestatten, wobei auch durch ent¬
sprechende Überwachung Vorsorge dafür getroffen würde, daß aus dem Gebiete
der Bocche von Cattaro keine Ausfuhr der aus Montenegro bezogenen und zu
schlachtenden Tiere, ihres Fleisches oder sonstiger von ihnen stammenden Pro¬
dukte stattfinden könne. Die Gefahr, Deutschland könnte infolge einer Seuchen¬
einschleppung seine Grenze sperren, bestehe auch heute und zwar in viel größe¬
rem Maße, weil der aus Montenegro stammende illegale Viehverkehr sich der
Kontrolle entziehe.

   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister bemerkt, daß,
wenn es sich darum handeln sollte, Montenegro eine Konzession zu geben, mit
Rücksicht auf die Interessen der Bewohner des südlichsten Dalmatien diesem
Bedürfnisse auf viel leichterem und natürlicherem Wege abgeholfen werden
könnte, durch den Bezug von Vieh aus Bosnien und der Herzegowina. Daß dies
bis jetzt nicht geschehen sei, habe in hergebrachten Gewohnheiten seinen Grund,
welche eben aufhören müßten. Jedenfalls seien Bosnien und die Herzegowina in
der Lage, jeden Bedarf an Vieh für das Gebiet von Cattaro zu decken. Auch kön¬
ne die Unterbindung des Schmuggels aus Montenegro nicht als unmöglich be¬
zeichnet werden; es sei doch der bosnischen Landesregierung gelungen, den nicht
minder schwer zu bekämpfenden Schmuggel aus Serbien zu verhindern. Aus den
angeführten Gründen müsse sich Redner daher Vorbehalten, den Standpunkt der
bosnischen Verwaltung in dieser Frage, sobald sie aktuelle Bedeutung erlangen
würde, anzumelden.

   Der Sektionschef im k. k. Handelsministerium
Ritter v. Roessler gibt zwar zu, daß die Versorgung der Bocche mit
Schlachtvieh aus Bosnien und der Herzegowina das naheliegendste wäre, be¬
merkt aber, daß sich der Bezug von solchem Vieh nicht rentabel gestaltet habe,
weil das Gros des Bedarfes, abgesehen von einem geringen Quantum Rindern,
Schafe wären. Die Schwierigkeiten handelspolitischer Natur lägen allerdings
darin, daß man von Deutschland die Zusicherung haben müßte, daß das Gebiet
von Cattaro als exterritorial betrachtet werde. Mit Rücksicht auf die hiebei ins
Gewicht fallenden politischen Interessen könne man immerhin ein Entgegen¬
kommen Deutschlands in dieser Beziehung erwarten, besonders wenn die Ge¬
währ geboten würde, daß aus dem abgeschlossenen Territorium von Cattaro eine
Ausfuhr von Vieh nicht stattfinden werde. Das Bedenken wegen der Serbien ab¬
gegebenen Erklärung sei durch den Hinweis zu zerstreuen, daß sie sich nicht auf
Montenegro, sondern ausdrücklich auf Rumänien und Bulgarien beziehe.

   An die Ausführungen der Vorredner anknüpfend wiederholt der Vorsit¬
zende seine Bitte an die kgl. ung. Regierung, zu der erörterten Frage in betreff
Montenegros Stellung zu nehmen und ihm ihre Entscheidung in Bälde zur Kennt¬
nis zu bringen.12 Im Anschlüsse an die Frage der Exterritorialität des Viehverkeh-

12 Ende des Jahres wurde angeordnet, Montenegro nach den Sätzen des autonomen Zolltarifs
       zu behandeln, für Cisleithanien mit der Verordnung der Ministerien der Finanzen, des Han-
<pb/>226 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

res bringt der Vorsitzende sohin eine andere Frage zur Sprache, welche, ohne
augenblicklich aktuell zu sein, immerhin eine aufmerksame Prüfung erfordere: es
sei dies die Frage des Bahnanschlusses an Serbien. Als im vorigen Winter die
Schaffung von neuen Balkanbahnen initiiert wurde, sei im Anschlüsse an die mit
der Türkei geführten Verhandlungen auch Serbien mitgeteilt worden, daß man im
Hinblick auf die Fertigstellung einer Zweiglinie der bosnischen Ostbahn bis an
die serbische Grenze bereit wäre, die Frage des Anschlusses dieser Bahn an das
serbische Bahnnetz in Erwägung zu ziehen. In Serbien tauche immer wieder die
Klage auf, daß das Land wirtschaftlich isoliert sei, welchem Zustande durch Her¬
stellung einer Verbindung zum adriatischen Meere ein Ende gemacht werden
müsse. Das Ministerium des Äußern habe immer den Standpunkt vertreten, daß
mit den Balkanstaaten eine Politik des möglichst freien Verkehres zu fuhren sei,
um hiedurch mehr Einfluß zu gewinnen. An dieser Auffassung wolle der Vorsit¬
zende auch weiterhin, unbeschadet momentaner Störungen und trotz des serbi¬
schen Kriegslärmes, festhalten. Serbien bleibe immerhin der Nachbar der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie, es könne nicht ausgeschaltet werden und, daß
es wirtschaftlich keine quantite negligeable sei, habe es gelegentlich des letzten
Zollkrieges bewiesen.13 Es sei daher notwendig, für die Zukunft festzustellen, in
welcher Weise den wirtschaftlichen Bedürfnissen dieses kleinen Staates Rech¬
nung getragen werden könnte. Der Vorsitzende hält daher die Frage für diskussi¬
onsfähig, ob Serbien gelegentlich des Abschlusses eines Übereinkommens über
die Eisenbahnanschlüsse gewisse Vorteile in der Form gewährt werden könnten,
daß der Transport von lebendem Vieh aus Serbien nach einem adriatischen Hafen
ermöglicht würde. Auf diesem Wege wäre es auch möglich, die Wirkungen der
Donau-Adria-Bahn zu paralysieren.

    In weiterer Ausführung des vom Vorsitzenden angeregten Gedankens bemerkt
der Erste Sektionschef im k. u. k. Ministerium des
k. u. k. Hauses und des Äußern Freiherr v. Call,
daß diese Frage anscheinend rein wirtschaftlichen Charakters auch eine politi¬
sche Bedeutung habe. Bald nach der Proklamation der Ausdehmmg der Souverä¬
nität Sr. Majestät auf Bosnien und die Herzegowina sei die Frage von Kompen¬
sationen für Serbien aufgetaucht. Das Ministerium des Äußern stehe auf dem
Standpunkte, daß es sich nur um wirtschaftliche Konzessionen handeln könne.
Die größte, für Serbien begehrenswerteste Konzession wäre die Ermöglichung
eines Verkehres von Serbien an die Adria, nachdem die serbischerseits unternom¬
menen Versuche, ein anderes Debouche zu finden, als mißglückt gelten können.
Bei theoretischer Erwägung dieses Gedankens seien auch die anderen Möglich¬
keiten zu prüfen, welche Serbien habe, um an die Adria zu gelangen. Im Vorder¬
gründe des Interesses stehe das Donau-Adria-Bahnprojekt. Wenn nun Serbien

         dels und des Ackerbaus v. 21. 12. 1908, RGBl. Nr. 258/1908. Fortsetzung der Beratung über
         ein Handelsabkommen mit Montenegro in GMR. v. 14. 4. 1909, GMCPZ. 472.
 13 Gemeint ist der sogenannte Schweinekrieg Österreich-Ungams gegen Serbien.
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  227

eine Verbindung angeboten würde, welche seinen Bedürfnissen besser entsprä¬
che als dieses Projekt, so wäre das letztere zum Scheitern gebracht. Nachdem das
bosnische Eisenbahnnetz bei Vardiste bis an die serbische Grenze reiche, der
Ausbau des serbischen Netzes aber bis Uzice sichergestellt sei, so handle es sich
eigentlich nur mehr um die Herstellung der kurzen Verbindung von Vardiste nach
Uzice. Um den Umweg über Sarajewo abzukürzen, welcher so groß sei, daß der
Hafen von Medua dem Knotenpunkte der serbischen Bahnen näher liege als ein
dalmatinischer Hafen, wäre noch an die Verbindung von Ustipraca nach Trebinje
zu denken, vermöge welcher der dalmatinische Hafen viel näher gerückt würde
als jeder andere Adriahafen. Ferner wäre die Frage zu erwägen, ob man nicht
durch Gewährung von Tarifkonzessionen, eventuell eines Peageverkehres, sowie
durch Bewilligung der Errichtung einer serbischen Zollexpositur in dem dalmati¬
nischen Hafen die Verbindung mit demselben für Serbien noch begehrenswerter
machen könnte. Im Interesse der Herstellung besserer Beziehungen zu Serbien
wäre es wünschenswert, daß die Regierungen der beiden Staaten der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie diese Fragen intern in Erwägung ziehen, da
man nicht in der Lage sei, Serbien auf anderem Gebiete Konzessionen zu bieten.
Es seien dies nur vorläufige Erwägungen; die beiden Regierungen hätten nun¬
mehr zu überlegen, ob man den angedeuteten Weg weiter verfolgen solle. Auch
sei noch darauf hinzuweisen, daß die Ermöglichung einer praktischen Verbin¬
dung Serbiens mit dem Auslande auch vom agrarischen Standpunkte zu begrüßen
wäre, weil dadurch die Konkurrenz des serbischen Viehes auf den österreichi¬
schen und den ungarischen Märkten voraussichtlich herabgemindert würde.

   Der Vorsitzende fügt diesen Ausführungen noch hinzu, daß diese Er¬
wägungen schon vor Monaten im Ministerium des Äußern erörtert worden seien,
also nicht durch die gegenwärtige politische Situation hervorgerufen wurden.14
Bezüglich der eventuellen Rückwirkung des Viehverkehres aus Serbien nach ei¬
nem dalmatinischen Hafen auf den Export nach Deutschland sei in Berlin ver¬
traulich angefragt worden; diese Anfrage habe ein nicht ungünstiges Resultat er¬
geben, so daß die Regierungen der beiden Staaten der österreichisch-ungarischen
Monarchie in der Lage wären, mit der Zeit zu dem erörterten Projekte Stellung zu
nehmen; es sei Aussicht vorhanden, daß Deutschland eine zufriedenstellende Er¬
klärung abgeben werde.

   Zu den Ausführungen des Ersten Sektionschefs Freiherm v. Call bemerkt der
k. u. k. gemeinsame Finanzminister unter voller Anerken¬
nung der Richtigkeit der für das erörterte Projekt vorgebrachten Argumente, daß
auch ohne die erwähnte neue Verbindung zwischen Ustipraca und Trebinje die
bestehenden Bahnlinien eine günstigere Verbindung für Serbien nach der Adria
gewähren als jedes andere Projekt. Die neue Linie würde nur eine weitere Verbes-
serung der bereits bestehenden Situation bedeuten.

14 Die internen Verhandlungen im Außenministerium konnten in HHStA., Admin. Reg., F 37
       Serbien nicht gefunden werden.
<pb/>228 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908

   Daraufhin erklärt der kgl. ung. Ministerpräsident, daß die
vom Vorsitzenden berührte Angelegenheit zunächst vom Standpunkte der ungari¬
schen Interessen überprüft werden müsse. Ungarn habe über eine Reihe penden¬
ter Eisenbahnffagen zu entscheiden, welche im Zusammenhänge beurteilt wer¬
den müßten, es könne daher auch die vom Vorsitzenden erwähnte Frage nicht aus
diesem Zusammenhänge gelöst werden.

   Auch der k. k. österreichische Ministerpräsident er¬
klärt, die Sache zunächst intern prüfen und erwägen zu müssen.

   Der Vorsitzende bemerkt, die Debatte über diesen Punkt abschließend,
daß auch er die Angelegenheit vorläufig nur akademisch erörtern wollte und sich
Vorbehalte, diesbezüglich noch auf schriftlichem Wege an die beiden Regieran¬
gen heranzutreten.

   IV. Zum vierten Punkte (wirtschaftliche Zugeständnisse an die Türkei) überge¬
hend, hebt der Vorsitzende zunächst hervor, daß der Handel Österreich-Ungams
infolge des in der Türkei organisierten Boykottes einen sehr schweren Stand
habe,15 welchen zu erleichtern das aufrichtige Bestreben des auswärtigen Amtes
sei. Der Vorsitzende erklärt, an der Hoffnung festhalten zu wollen, daß die türki¬
sche Regierung wenigstens so viel Kraft besitzen werde, um der Unterstützung
und Vorschubleistung des Boykottes durch ihre eigenen Organe entgegenzutreten
und dadurch das Landen der Lloydschiffe zu ermöglichen, sowie bezüglich der
Warenhäuser solche Maßregeln zu treffen, daß der Handel vor weiterem Schaden
bewahrt werde.

   In diesem Sinne seien bereits Weisungen an den k. u. k. Botschafter in Kon¬
stantinopel ergangen.16 Nachdem die türkische Regierung den Wunsch geäußert
habe, bezüglich Bosniens und der Herzegowina in Verhandlungen zu treten, sei
ihr geantwortet worden, daß es in Anbetracht ihres illoyalen Vorgehens schwer
falle, in solche Verhandlungen einzutreten, daß man aber, sobald türkischerseits
wirksame Maßregeln zum Schutze des österreichischen und ungarischen Handels
ergriffen würden, diese Verhandlungen auch im Hinblick auf die Regelung des
wirtschaftlichen Verhältnisses sofort aufzunehmen.

   Diese Erklärung beziehe sich auf ein eventuelles Entgegenkommen in der Fra¬
ge der Erhöhung der türkischen Wertzölle von 11 auf 15 %, ferner in betreff der
Monopole, bezüglich welcher unter Wahrung der bisherigen Interessen der Mon¬
archie die Zustimmung in Aussicht gestellt werden könnte. Hiedurch wäre für die
Türkei ein Beweis geliefert worden, daß Österreich-Ungarn das neue Regime
unterstützen wolle, da der türkischen Regierung die Möglichkeit geboten würde,
auf Grund der ihr zu gewährenden wirtschaftlichen Zugeständnisse auch mit den

        Zum Boykott siehe Schreiben Pallavicinis an Aehrenthal v. 18. 11. 1908, HHStA., PA. XII,
        Karton 352, Nr. 95 D. Siehe auch Bridge, Die jungtürkische Revolution 30 f.
        Weisung Aehrenthals an Pallavicini v. 21. 11. 1908, ebd., Liasse XXXIX la, Karton 352,
         Fasz. Verhandlungen mit der Türkei, fol. 230 f.
<pb/>Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 11. 1908  229

 anderen Mächten zu verhandeln und die Basis für die projektierte Anleihe zu
finden. Zur vertraulichen Information der Konferenz fügt der Vorsitzende hinzu,
daß auch aufpolitischem Gebiete wertvolle Zugeständnisse an die Türkei in Aus¬
sicht genommen seien. Diese bezögen sich in erster Linie auf das Kultusprotek¬
torat, welches gegenwärtig in Albanien ausgeübt und türkischerseits als eine
empfindliche Einschränkung der Souveränität angesehen werde. Man wäre nun
bereit, in der Präzisierung der den Katholiken in Albanien gegenüber übernom¬
menen Rechte ein gewisses Entgegenkommen zu zeigen und in dieser Beziehung
mit der türkischen Regierung in Verhandlungen zu treten.17 Türkischerseits sei in
das Konferenzprogramm noch die Forderung der Aufhebung der Kapitulationen
und der fremden Postämter aufgenommen worden. Man werde sich auch mit die¬
sen Fragen zu befassen haben und hiebei keinen intransigenten Standpunkt ein¬
zunehmen veranlaßt sein. Falls seitens der türkischen Regierung der ernste Wille
gezeigt würde, dem Boykott entgegenzutreten, wäre der Vorsitzende bereit, mit
der türkischen Regierung auf Basis der eben entwickelten Ideen in Verhandlun¬
gen zu treten.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident stimmt den Ausführungen
des Vorsitzenden vollinhaltlich zu.

   Der k. k. österreichische Ministerpräsident erklärt
zwar, der Einleitung von Verhandlungen mit der Türkei aufder vom Vorsitzenden
mitgeteilten Grundlage und unter den erwähnten Voraussetzungen gleichfalls zu¬
zustimmen, möchte es aber nicht verkannt wissen, daß die Erhöhung der türki¬
schen Wertzölle eine erhebliche Belastung des Handels bedeute. Bezüglich der
Monopole bittet Redner, daß den in Betracht kommenden österreichischen Indu¬
strien die Ausfuhr in dem bisherigen Ausmaße sichergestellt werde.

   Es gelangt schließlich noch die vom kgl. ung. Ackerbauministerium angeregte
Erlassung eines Futtermittelausführverbotes gegenüber Serbien zur Diskussion,
welches mit der in Ungarn herrschenden Futtermittelnot und mit der Erlassung
eines analogen Verbotes seitens Serbiens motiviert wird.

   Der Vorsitzende erklärt, daß er die Entscheidung hierüber dem Ein¬
vernehmen der beiden Regierungen überlassen, da die Sache von seinem Stand¬
punkte aus von keiner Bedeutung sei, nachdem man sich Serbien gegenüber be¬
reits auf das Gebiet gewisser Verkehrseinschränkungen begeben habe.18

   Nachdem noch ausdrücklich festgestellt wurde, daß es sich bloß um ein parti¬
elles Ausführverbot Serbien gegenüber handle, welches vielleicht auch vom mi¬
litärischen Standpunkte angezeigt erschiene, ferner daß vom Standpunkte der
Verträge kein Hindernis bestehe, ein solches partielles Verbot zu erlassen, erklär-

Zum Angebot Aehrenthals, über das Kirchenprotektorat in Albanien zu verhandeln, siehe das
Schreiben Aehrenthals an Pallavicini v. 19. 11. 1908, ebd., fol. 220.
Ein Verbot der Aus- und Durchfuhr militärisch nutzbarer Güter nach Serbien und Monte¬
negro wurde in Cisleithanien mit dem Erlaß des Finanzministeriums v. 21. 10. 1908 verord¬
net, RGBl. Nr. 218/1908. Ein analoger Erlaß wurde auch von der ungarischen Regierung
hinausgegeben, siehe dazu Ka., KM., Präs. 51-7/12-23/2/1908.
<pb/>230 Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2. 1909

teder k. k. österreichische Ministerpräsident, daß
österreichischerseits keine Veranlassung bestehe, ein solches Verbot zu erlassen.
Es herrsche in Österreich keine Futtermittelnot und es müßte daher die Erlassung
des Verbotes ein Sinken der Futtermittelpreise zur Folge haben, was vom agrari¬
schen Standpunkte nicht wünschenswert sei. Sollten jedoch höhere militärische
Gründe für diese Maßregel sprechen, so werde sich die k. k. österreichische Re¬
gierung selbstverständlich diesen Gründen unterwerfen.

   Die beiden Regierungen einigen sich hierauf dahin, es dem k. u. k. Reichs¬
kriegsminister zu überlassen, die Anregung zur Erlassung des Futtermittelaus¬
fuhrverbots gegenüber Serbien zu geben.19

   Der Vorsitzende erklärt sohin die Beratungen für abgeschlossen.

                                                                                           Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 25. September 1909. Franz Joseph.

        Nr. 6 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. Februar 1909

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Dr. Wekerle, der k. k. österreichische Minister¬
präsident Freiherr v. Bienerth, der kgl. ung. Ackerbauminister v. Daränyi, der k. k. Finanzminister
Dr. Ritter v. Bilihski (15.3.), der k. k. Ackerbauminister Dr. Bräf (16. 3.), der k. k. Handelsminister
Dr. Weiskirchner (17. 3.), der Staatssekretär im kgl. ung. Handelsministerium v. Szterenyi (in Ver¬
tretung des kgl. ung. Handelsministers v. Kossuth), der Sektionschef im k. u. k. Ministerium des k.
u. k. Hauses und des Äußern Ritter v. Roessler, der Sektionschef im k. u. k. Ministerium des k. u. k.
Hauses und des Äußern v. Mihalovich.
    Protokollführer: k. u. k. Sektionsrat Dr. v. Demelic.
    Gegenstand: [Handelsvertrag mit Rumänien.]

   KZ. 51-GMCPZ. 470
   Protokoll des zu Wien am 28. Februar 1909 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. Ministers des k. u. k.
Hauses und des Äußern Freiherm v. Aehrenthal.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und legt unter Berufung auf sein
an die beiden Ministerpräsidenten am 23. Februar 1. J. gerichtetes Schreiben den

        Mit Schreiben (K.) Schönaichs an Aehrenthal v. 10. 3. 1909 wurde ein Ausfuhrverbot von
        Brotfrüchten und Futter gegen Serbien und Montenegro beantragt, ebd., Präs. 51-7/65-
        2/1909. Das Schreiben blieb unbeantwortet.
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