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Gemeinsamer Ministerrat, 11. 9. 1907

I. Feststellung der im internationalen Verkehr, so insbesondere bei Staatsverträgen und anderen internationalen Akten anzuwendenden staatsrechtlichen Bezeichnungsmodalitäten; Einsetzung einer Kommission zur Erstattung diesbezüglicher Vorschläge

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z72.pdf.

Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11.9.1907  547

   Nachdem diese Erklärung von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten
W e k e r 1 e zur Kenntnis genommen wurde, konstatiert der Vorsitzende die
volle Übereinstimmung der Konferenzmitglieder und resümiert dahin, daß sonach das
Ministerium des Äußern ermächtigt wird, in Verhandlungen mit Rumänien und Bulga¬
rien und auch Serbien einzutreten, die Verhandlungen in merito bis inklusive der
zweiten Lesung zu beenden und die dritte Lesung dieser auf diese Weise erzielten
Ergebnisse zu reservieren, bis die beiden Regierungen zu einer definitiven Beschlu߬
fassung gelangt sein werden.

   Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Beck betont noch, daß
schon bei der Diktion der Vertragsbestimmungen eine Ausdrucksweise gebraucht
werden wird, welche dem Standpunkte der beiden Regierungen in keiner Weise präju-
diziere. So würde beispielsweise nicht von einem ,,österreichisch-ungarischen", sondern
von einem geltenden oder allgemeinen Tarife u. dgl. mehr gesprochen werden. Sollten
sich bezügliche staatsrechtliche Bezeichnungen nicht vermeiden lassen, welche ungari-
scherseits beanständet werden, so würden diese mit dem Vorbehalte gebraucht werden,
daß die beiden Regierungen zu ihnen nachträglich, je nach dem Ergebnisse der zwi¬
schen ihnen obschwebenden Verhandlungen, Stellung nehmen können.

   Da sohm die Tagesordnung erschöpft erscheint, schließt der Vorsitzende die
Sitzung.

                                                                                         Aehrenthal

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 23. Februar 1907. Franz Joseph.

               Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. September 1907

     RS. (und RK)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident.Wekerle, der k. k. Ministerpräsident Freiherrv. Beck, der
kgl. ung. Handelsminister v. Kossuth, der kgl. ung. Ackerbauminister v. Daranyi, der kgl. ung. Minister für
Kultus und Unterricht Graf Apponyi, der k. k. Justizminister Klein, der k. k. Finanzminister v. Koiytowski,
der k. k. Ackerbauminister Graf Auersperg, der k. k. Handelsminister Fort, der k. k. Eisenbahnminister
Edler v. Derschatta.
    Protokollführen der k. u. k. Hof- und Ministerialrat Ritter v. Weil.
    Gegenstand: Feststellung der im internationalen Verkehr, so insbesondere bei Staatsverträgen und
anderen internationalen Akten anzuwendenden staatsrechtlichen Bezeichnungsmodalitäten; Einsetzung
einer Kommission zur Erstattung diesbezüglicher Vorschläge.

   KZ. 19/1908 - GMCZ. 461
   Protokoll des zu Wien am 11. September 1907 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Ministers des k. u. k. Hauses und
des Äußern Freiherm v. Aehrenthal.

   Der Vorsitzende begrüßt die erschienenen Herren und will zunächst mit
einigen einleitenden Worten den Gegenstand der heutigen Beratung kennzeichnen.
<pb/>548  Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9.1907

   Seit einer Reihe von Jahren schon bestanden Differenzen einesteils zwischen der
österreichischen und der ungarischen Regierung untereinander, anderenteils hinwie¬
der zwischen den beiden Regierungen und dem Ministerium des Äußern in betreff jener
staatsrechtlichen Bezeichnungsmodalitäten, die im internationalen Verkehre, so insbe¬
sondere bei Staatsverträgen und anderen internationalen Akten, anzuwenden kämen.
Im Zuge der Ausgleichsverhandlungen zwischen den beiden Regierungen sei nun der
Gedanke aufgetaucht, man möge in Wege gegenseitiger Verständigung eine Einigung
auch über diesen Komplex kontroverser Fragen herbeizuführen trachten - eine Anre¬
gung, welche der Vorsitzende nur auf das freudigste habe begrüßen können. So habe
er denn auch in einem noch aus dem Monate Aprü d. J. herriihrenden, den beiden
Regierungen bekannten Promemoria den Standpunkt eingehend auseinandergesetzt,
den er in diesen Belangen einnehme, und die Art gekennzeichnet, wie er sich eine
diesbezügliche Regelung denke.1 Seither seien ihm die Vorschläge bekannt geworden,
welche von Seite der österreichischen und der ungarischen Regierung in Absicht auf
eine diese Frage regelnde Vereinbarung ausgearbeitet wurden.

   Nicht auf eine detaillierte Analyse dieser teils voneinander, teüs von den Propositio¬
nen des Ministeriums des Äußern abweichenden beiden Projekte wolle er hier einge-
hen, sondern sich nur auf eine allgemeine Charakteristik der Hauptmomente beschrän¬
ken.

   Übereinstimmung zwischen der österreichischen Auffassung, der ungarischen und
jener des auswärtigen Ressorts bestehe - nach den vorliegenden Anträgen - hinsichtlich
der formalstaatsrechtlichen Behandlungen jener Materien, welche den Begriff der
pragmatisch gemeinsamen Angelegenheiten ausmachen.2

   Unterschiede dagegen ergäben sich in Ansehung der nach gemeinsamen Grundsät¬
zen zu behandelnden, der sogenannten paktiert gemeinsamen3 und der autonomen
Angelegenheiten.4 Nach der Anregung der österreichischen Regierung sollen die pak¬
tiert gemeinsamen Belange mit denjenigen autonomen Charakters wesentlich auf die¬
selbe Linie der Behandlung gestellt werden. Die ungarische Regierung gehe ihrerseits
noch weiter, indem sie für die internationale vertragsmäßige Regelung der Angelegen¬
heiten dieser beiden Materiengruppen den beiden Staaten der Monarchie selbständige

1 Promemoria: Standpunkt des k. u. k. Ministeriums des Äußern zu den zwischen der k. k. und der kgl. ung.
    Regierung obwaltenden staatsrechtlichen Kontroversen.ydeArenrAa/ an die beiden Ministerpräsidenten v.
    11. 4. 1907, HHStA., PA. I, Karton 636, 279/CdM.: Der Ausgleich des Jahres 1867 sei in vieler Hinsicht
     unsicher. Dies bereite immer mehr Sorgen, weil die Rolle der Wirtschaftsangelegenheiten gewachsen sei. Die
    Forderungnach derAufstellung von Zollschranken zwischen den beiden Ländern (diesseits undjenseits der
    Leitha) mache die Lage der Monarchie gegenüber dem Ausland unsicher. Es wäre wichtig die Einheit der
    Monarchie als Zollgebiet dem Ausland gegenüber festzustellen, vgl. Einleitung Abschnitt 7.

2 Pragmatisch gemeinsame Angelegenheiten, das sind die eigentlich gemeinsamen Angelegenheiten, also:
     a) auswärtige Angelegenheiten; b) das Kriegswesen, jedoch mitAusschluß der Rekrutenbewilligung; c) das
    Finanzwesen rücksichtlich der gemeinschaftlich zu bestreitenden Auslagen. Siehe das Gesetz v. 28. 7.1867,
    GA. XII/1867, bzw. das Gesetz v. 21.12.1867, RGBl. Nr. 146/1867.

3 Paktiert gemeinsame Angelegenheiten, das heißt wirtschaftliche Verträge, welche in beiden Staaten die
    gleiche Geltung haben. Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 649.

4 Autonome Angelegenheiten beider Staaten sindz. B. Post, Telegraph, Auslieferung Arbeiterschutz, Eisen¬

     bahnanschlüsse, Rechtshilfe u. a., ebd.
<pb/>Nr. 72 GemeinsamerMinisterrat, Wien, 11. 9.1907  549

Vertragsfähigkeiten vindiziere. Demgegenüber habe der Vorsitzende drei Grundprin¬
zipien zu formulieren, die er als für seine einschlägige Haltung maßgebend ansehen
müsse. Zunächst halte er dafür, daß die paktiert gemeinsamen Angelegenheiten in
formaler Hinsicht grundsätzlich nicht anders behandelt zu werden vermöchten, als die
pragmatisch gemeinsamen, und glaube er nicht, daß ein Abweichen von dieser bisher
beobachteten Norm möglich erscheine. Weiters müsse er daran festhalten, daß beim
Abschlüsse jedweder internationalen Vereinbarung ohne Rücksicht auf die Natur des
Vertragsgegenstandes und die Form ihres Zustandekommens - mit alleiniger Ausnah¬
me der eine besondere Behandlung rechtfertigenden Post- und Telegraphenüberein¬
kommen - stets ein gemeinsamer Vertreter mitzuwirken habe. Endlich - und das sei
gewissermaßen der Angelpunkt der obwaltenden Meinungsverschiedenheiten -
komme nach des Redners Rechtsanschauung lediglich der österreichisch-ungarischen
Monarchie die Eigenschaft eines völkerrechtlichen Rechtssubjektes zu. Nur sie besitze
international-rechtliche Vertragsfähigkeit, nicht aber besäßen solche die in ihr verei¬
nigten beiden Staaten, weder einzeln, noch zusammen genommen. Diese hier angedeu¬
teten Grundsätze, zu denen sich der Vorsitzende bekenne, fänden ihre Begründung in
der geltenden positiven Gesetzgebung, dem ungarischen Gesetzartikel XH vom Jahre
1867, insbesondere in dessen §§ 8 und 27.5

    Speziell bezüglich der Notwendigkeit der Gleichbehandlung der paktiert gemeinsa¬
men, also gerade der wirtschaftlichen Angelegenheiten mit den autonomen, weist der
Vorsitzende im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen darauf hin, daß die Monarchie
inmitten einer als ein Ganzes aufzufassenden handelspolitischen Aktion stehe, die - vor
zwei Jahren initiiert - bisher nur zum Abschlüsse von Verträgen mit den Westmächten
führte, daß jedoch, um das aufgestellte handelspolitische Programm zur Gänze durch¬
zuführen, noch die Perfektionierung einer Anzahl von Verträgen mit den Oststaaten zu
erfolgen habe, und es dem Vorsitzenden immöglich erscheine, bei diesen noch ausste¬
henden Vertragsabschlüssen eine von der bisherigen differierende Form zu wählen. In
diesem Zusammenhänge weist Redner auf die schon der Ziffer nach überragende
Bedeutung der ökonomischen Verträge - gegenüber neun politischen Verträgen zählen
wir etwa neunzig wirtschaftliche in der Periode seit 1867 - sowie auf die Erwägung hin,
daß in unserer Zeit derwirtschaftlichen Penetration wohl auch weiterhin diewirtschaft-

5 § 8: Das eine Mittel der aus der Pragmatischen Sanktion fließenden gemeinsamen und Zusammen-Ver-

    teidigung ist die zweckmäßige Leitung der auswärtigen Angelegenheiten. Diese zweckmäßige Leitung
 erheischt Gemeinsamkeit hinsichtlich jener auswärtigen Angelegenheiten, welche die unter der Herr¬

schaft Sr. Majestät stehenden sämtlichen Länder zusammen betreffen. Infolgedessen gehören die

diplomatische und kommerzielle Vertretung des Reiches gegenüber dem Ausland und die Verfügungen,

die rücksichtlich der internationalen Verträge auftauchen können, im Einverständnisse mit den Ministe¬

rien beider Teile und unter deren Zustimmung, unter die Agenden des gemeinsamen Ministers des

Auswärtigen. Die internationalen Verträge teilt ein jedes Ministerium seiner eigenen Gesetzgebung mit.

Diese auswärtigen Angelegenheiten sieht also auch Ungarn als gemeinsame an... S 27- Ein gemeinsames

Ministerium muß errichtet werden hinsichtlich jener Gegenstände, welche, als in Wirklichkeit gemein¬

sam, unter die besondere Regierung weder der Länder der ungarischen Kröne noch der übrigen Länder

Sr. Majestät gehören. Dieses Ministerium kann neben den gemeinsamen Angelegenheiten die Geschäfte

der besonderen Regierungweder des einen noch des anderen Teiles führen, auf dieselben einen Einfluß

nicht üben...  &#39;
<pb/>550  Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9.1907

liehen Abmachungen eine hervorragende Rolle im internationalen Vertragsleben
spielen würden.

    Um darzutun, wie sehr es überdies vom politischen Gesichtspunkte geboten, ja
unerläßlich erscheine, an dem einheitlichen Monarchiebegriffe festzuhalten, entwickelt
der Vorsitzende den Gedanken, daß auch der Krieg nichts anderes sei, als die Fortset¬
zung der Politik mit anderen Mitteln, und daß, wenn wir, käme es zu dieser ultima ratio,
dann mit dem Schwergewicht unserer einheitlichen Macht auftreten wollen, wir füglich
auch darauf bedacht sein müssen, daß nicht in den früheren friedlichen Zeiten das
Wesen dieses Einheitsbegriffes irgendwie gelockert oder erschüttert werde. Und zumal
bei den wirtschaftlichen Verträgen käme noch zu bedenken, daß, wenn dieselben
künftig nicht mehr für die Monarchie, sondern für Österreich und Ungarn abgeschlos¬
sen würden, Bosnien und die Hercegovina, für welche ja diese Abmachungen nach der
bestehenden Gesetzgebung gleicherweise zu gelten haben, gewissermaßen in der Luft
wären. Denn nicht Österreich und Ungarn, sondern der österreichisch-ungarischen
Monarchie als einem Glied der Völkerrechtsgemeinschaft sei die Administration der
beiden Provinzen durch den Berliner Vertrag übertragen worden. Es wäre zudem ein
politischer Fehler, der vielleicht nicht ohne Konsequenzen bliebe, wollte man in dieser
Hinsicht irgendeiner Unklarheit Raum geben, zumal heute, da in den Okkupationslän-
dem vielleicht nicht alles zum besten bestellt sein mag und die südslawische Frage keine
guten Aspekte zeige.

   Aber nicht nur in der positiven Gesetzgebung und in den hieraus von ihm entwickel¬
ten weiteren Konsiderationen finde der vom Vorsitzenden vertretene Standpunkt seine
Begründung und Stütze; er stehe auch im vollen Einklänge mit jenen Ideen, die bei
Etablierung der dualistischen Gestaltung der Monarchie die Schöpfer dieses Werkes
beherrscht haben, zum Beweise dessen der Vorsitzende jenen Passus aus dem Prome-
moria des Grafen Andrässy des Älteren über die Titelfrage vom Jahre 1868 zur
Vorlesung bringt, worin der ehemalige ungarische Ministerpräsident den Nachweis
führt, daß zur Bezeichnung des Begriffes des Gesamtreichs nach außen und der
verfassungsmäßig selbständigen Stellung der Teüe im Inneren kein anderer Name
geeigneter sei, als ,,österreichisch-ungarische Monarchie&quot; oder ,,österreichisch-unga¬
risches Reich&quot;.6 Indem der Vorsitzende mit der Aufstellung der vorerwähnten drei
Prinzipien das Terrain abgesteckt zu haben glaubt, auf welchem sich die an der Lösung
dieser Fragen interessierten Faktoren begegnen könnten, um zu einer Verständigung
zu gelangen, fordert er die Konferenzteilnehmer auf, in diesem Sinne ein Einvernehmen
zu suchen, und gibt der Meinung Ausdruck, daß hienach unter Zugrundelegung dieser
leitenden Gesichtspunkte einer Kommission die Aufgabe übertragen werden könnte,
nach Verschmelzung der vorliegenden drei Projekte konkrete Einzelvorschläge zu
erstatten. Zum Schlüsse seiner Rede erklärt der Vorsitzende, daß er es seinerseits
innerhalb der von ihm markierten Grenze an Entgegenkommen sicherlich nicht werde
fehlen lassen, und richtet einen Appell an die Weisheit und den Patriotismus der beiden
Regierungen, durch eine einverständliche Lösung der obwaltenden Differenzen unsere

6 Promemoria des kgl. ung. Ministerpräsidenten Grafen Andrässy v. 10. 7.1868, HHStA., PA. I, Karton 630,
    V/CdM.
<pb/>Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9.1907  551

 Aktionsfreiheit auf vertragsrechtlichem Gebiete sicherzustellen, der anders durch die
 Fortdauer des bisherigen Zustandes empfindliche Schädigung, wenn nicht gar völlige
 Lahmlegung drohen müßte.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident Weker 1 e, der hierauf das Wort
 ergreift, führt aus, daß eine prinzipielle Austragung der in den staatsrechtlichen Kar¬
 dinalauffassungen herrschenden fundamentalen Gegensätze im Sinne der von dem
 Vorsitzenden formulierten, die ausschließliche Rechtspersönlichkeit der Monarchie
 sowie die Assimilierung der paktiert gemeinsamen und der pragmatisch gemeinsamen
Angelegenheiten betreffenden Prinzipien, nicht nur nach dem Standpunkte der gegen¬
wärtigen, auf dem Boden der 1848er Gesetzgebung stehenden Majorität des ungari¬
schen Parlaments, sondern auch nach jenem der auf Basis der 1867er Gesetzgebung
stehenden Parteien wohl nicht zu erreichen sein möchte. Es handle sich also darum, in
diesen Dingen einen Modus vivendi zu suchen für die Dauer des Vertrages, welcher
zwischen den beiden Regierungen zum Abschluß gelangen soll. Wohl lasse, wie Redner
nicht verkenne, das ungarische Projekt die bestehenden Gegensätze, deren grundsätz¬
liche Bereinigung schon politisch undurchführbar sei, auch weiterhin offen; es wäre
indes nach seiner Meinung immerhin möglich, in diesem Rahmen, ohne den prinzipiel¬
len Standpunkt aufzugeben, praktische Ausführungsmodalitäten festzustellen, um für
die Dauer des Vertrages keine Differenz aufkommen zu lassen.

    Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Beck erklärt seinerseits,
in seinen Darlegungen nicht weit ausholen und insbesondere nicht auf die Vorgeschich¬
te der obschwebenden Kontroversen zurückgreifen zu wollen. Bis zum Beginn der
1890er Jahre habe auf diesem Gebiete ein Zweifel nicht bestanden; die Praxis habe sich
im ganzen und großen in einer und derselben Richtung bewegt, bis auf eine verhältnis¬
mäßig geringe Zahl von Fällen, in welchen von der alten Norm abgewichen wurde, bei
denen es aber die österreichische Regierung nie unterließ, alle ihre Vorbehalte und
Reserven zu machen. Die Rechtslage präsentiere sich nach österreichischer Auffassung
ziemlich einfach. Der ungarische Gesetzartikel XII vom Jahre 1867, speziell die hier
wesenüich in Betracht kommenden §§ 8 und 27 ließen für Zweifel keinen Raum. § 8
sehe deutlich eine einheitliche Vertretung der Monarchie nach außen vor und lasse die
einheitliche international- rechtliche Rechtssubjektivität der Monarchie klar zum Aus¬
drucke kommen. Dem Redner sei zwar die diesbezügliche ungarische Interpretation
wohl bekannt; wenn es indes noch eines Beweises zugunsten seiner Auffassung bedürf¬
te, so wäre derselbe gewiß in der Anordnung des oben zitierten § 27 gelegen, wodurch
ein gemeinsames Ministerium für die Gegenstände errichtet wurde, welche, als in der
Tat gemeinsam, weder der österreichischen noch der ungarischen Regierung zugehö¬
ren, wie denn auch andererseits selbst die ungarische Gesetzgebung des Jahres 1848
keinerlei Vorsorge behufs Schaffung eines eigenen ungarischen Organs für den inter¬
nationalen Verkehr Ungarns getroffen habe.

   Wenn nun österreichischerseits an der durch eine lange Reihe von Jahren unwider¬
sprochen gebliebenen Rechtslage immer festgehalten wurde, so sei dies keineswegs
etwa um des eigenen Vorteils willen geschehen, sondern in der Erwägung, daß die
einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen möglichst wenig dem Einflüsse
politischer Zeitströmungen ausgesetzt werden sollen; denn jedes Zweifeln, jedes
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Rütteln hieran übertrage sich notwendig auf die SteUung der Monarchie, und sei es eben
nur gebotene Rücksichtnahme auf etwaige derartige Rückwirkungen gewesen, wenn
von Seite der österreichischen Regierung jeder diesbezüglichen Modifikation ableh¬
nend begegnet wurde. Dessenungeachtet habe gerade die österreichische Regierung
im Zuge der Verhandlungen des Ausgleichsfachkomitees ein gewisses Entgegenkom¬
men in diesen Dingen selbst ins Auge gefaßt. Ein solches Entgegenkommen erscheine
deshalb möglich, weil die hier in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Bestim¬
mungen nur gan7 allgemeiner Natur seien und es an einer Festsetzung detaillierter
Einzelanordnungen fehle, in welchem Zusammenhänge Redner nur an das wenig
erbauliche Schauspiel erinnern wolle, welches wir schon einmal der Welt geboten, als
wir im Angesichte einer Reihe fremder Staaten ob der Gegensätzlichkeit der Meinun¬
gen über die Art einer Vertragsunterfertigung in eine höchst peinliche Situation gerie¬

ten.
    Gerade um schon der Wiederkehr solcher mißlicher Zwischenfälle vorzubeugen,

habe die österreichische Regierung ihre Bereitwilligkeit ausgedrückt, mit Zurückstel¬
lung aller theoretischen Auseinandersetzungen nach einem Modus vivendi Umschau
zu haltttn Der in dieser Absicht formulierte österreichische Vorschlag gehe von dem
zweifachen Gedanken aus, einesteils der verfassungsrechtlichen Unterlage Rechnung

zu tragen, anderenteüs die Kontinuität zu wahren.
    Da bisher alle Verträge der Monarchie von dieser abgeschlossen seien, würden,

wenn wir heute neue Formen durch eine Nebeneinanderstellung von Österreich und
von Ungarn als vertragsschließende Teüe in die Vertragspraxis einführten, sich hieraus
notwendig praktische Konsequenzen ergeben, und müßte die Diskrepanz dieser so
abgeschlossenen Verträge gegenüber den früheren imvermeidliche Kommentare über
die Stellung der beiden Staaten der Monarchie im Gefolge haben. Eben deshalb habe
man österreichischerseits versucht, ein Kompromiß zwischen den widerstreitenden
Anschauungen in der Behandlungsweise der paktiert gemeinsamen und autonomen
Angelegenheiten darin zu finden, daß in die bisher beobachtete Form das staatsrecht¬
liche Verhältnis gewissermaßen eingeschoben werden soll, so daß mach wie vor die
formalrechtliche Rechtssubjektivität der Monarchie aufrecht bliebe, daß aber, wenn
 die Staaten als parties contractantes aufscheinen, Österreich-Ungarn mit Wirksamkeit
 für Österreich und Ungarn den Vertrag abschließe. Alles übrige sei dann Detaüwerk.
 Daß die österreichischen Propositionen in gewissen Punkten weiter gehen als jene des
 Ministeriums des Äußern, wolle Redner zugestehen; er halte sie indes für diskutabel
 und für einen geeigneten Ausgangspunkt, um alle Einzelheiten zu regeln, und, vorbe¬
 haltlich selbstverständlich auch der Zustimmung des Ministeriums des Äußern, im
 Rahmen des gesamten Ausgleiches eine befriedigende Lösung zu erzielen.

    Der kgl. ung. Minister für Kultus und Unterricht Graf Appo-
 nyi hebt anschließend an die Ausführungen des kgl. ung. Ministerpräsidenten
 Wekerle auch seinerseits den diametralen Gegensatz hervor, welcher in dieser Materie
 zwischen den grundsätzlichen Rechtsauffassungen bestehe, und den zu beseitigen keine
 Hoffnung vorhanden sei. Von den seitens des Vorsitzenden aufgestellten drei Grund¬
 sätzen sei es insbesondere jener von der ausschließlichen international-rechtlichen
 Rechtspersönlichkeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, welcher der ungari-
<pb/>Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9.1907  553

sehen Anschauung direkt zuwiderlaufe. Denn nach dieser habe Ungarn im Gesetzarti¬
kel XII vom Jahre 1867 keine Parzelle seiner Souveränität aufgegeben; es beständen
vielmehr zwei selbständige Rechtssubjekte, und, wenn auch Ungarn vermöge gewisser
Institutionen in unlösbarer Solidarität mit Österreich auftrete, habe es sich doch keines
seiner Rechte begeben. Seit vier Jahrzehnten sei bei jedem Ausgleich das Bestreben
darauf gerichtet, Formeln ausfindig zu machen, unter denen die Gegensätze Platz
finden, und sei auch Redner allezeit bemüht gewesen, nach einem Modus vivendi zu
suchen, wodurch eine Kollision mit prinzipiell divergierenden Anschauungen und
Postulaten vermieden würde.

    Er wünschte gewiß, daß der Fluch der Zweideutigkeit beseitigt werde; vielleicht sei
es unseren Kindern oder Enkeln Vorbehalten, daß sie, wenn sie dieselben Ausdrücke
gebrauchen, auch dasselbe darunter denken. Auch in jenen Fragen, um die es sich hier
handle, müsse man Formeln festzustellen trachten, welche der Rechtsauffassung des
einen und des anderen Teües nicht zu nahe treten. Redner glaube, daß das ungarische
Projekt dem Zwecke genüge, akuten Kontroversen auszuweichen. Nach seiner eigenen
persönlichen Ansicht und seiner Kenntnis der parlamentarischen Lage wäre keine
Aussicht vorhanden, schweren Komplikationen zu entgehen, wenn man sich nicht
wenigstens im Rahmen der ungarischen Vorschläge hielte, welche wohl nach keiner
Seite als präjudizierlich angesehen werden könnten. Denn auch der ungarische Vor¬
schlag halte - abgesehen von den von den Ressortverwaltungen zu treffenden Verein¬
barungen, wie solche über Eisenbahnanschlüsse - an der notwendigen Intervention
eines gemeinsamen Vertreters fest. Meritorisch würde also an dem Stande der Dinge
nichts geändert; nur formell käme eben der ungarische Vorschlag der ungarischen
Auffassung näher, ohne sich mit dem österreichischen Standpunkte in Widerspruch zu
setzen. Der Annahme der österreichischen Propositionen oder jener des Ministeriums
des Äußern müßte man dagegen Negation entgegenstellen. Dieser Eventualität gegen¬
über wäre es noch besser, den jetzigen Zustand weiter aufrechtzuerhalten und in jedem
einzelnen Falle nach Mitteln zu suchen, um über die Schwierigkeiten hinwegzukommen.
Eines sei nicht zu übersehen: man könne manches geschehen lassen, ohne indes
ausdrücklich zuzustimmen. Redner sehe keine Möglichkeit, innerhalb der vom Vorsit¬
zenden aufgestellten Grenze eine Verständigung herbeizuführen, und könne sich auch
nicht denken, wie man noch Weiter zu gehen vermöchte, als es in den ungarischen
Propositionen geschehen.

   Nachdem der kgl. ung. Handelsminister v. Kossuth seinerseits die
Erklärung abgibt, sich den Ausführungen seines Vorredners nur vollinhaltlich anschlie¬
ßen zu können, nimmt der Vorsitzende neuerdings das Wort, um auf einige
während der Debatte gefallenen Äußerungen im einzelnen zu reflektieren. So bemerkt
derselbe, daß ihm der diametrale Gegensatz zwischen den staatsrechtlichen Fundamen¬
talauffassungen der Unabhängigkeitspartei und den von ihm vertretenen wohl bekannt
sei; er bitte aber, auch seinen Standpunkt zu berücksichtigen; er habe sich an die
österreichische und an die ungarische Gesetzgebung zu halten, welche die Rechtsbasis
bUden, auf die allein er sich stellen könne. Insolange die beiderseitigen Gesetze nicht
etwa eine Modifikation in dem Sinne erfahren, daß die gesonderte selbständige Rechts¬
persönlichkeit Österreichs und Ungarns festgelegt werde, müsse das Ministerium des
<pb/>554  Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9.1907

Äußern an dem bestehenden Rechtszustande festhalten und könne nicht den Stand¬
punkt einnehmen, welcher gerade den momentanen politischen Verhältnissen entspre¬
che. Speziell den § 27 des ungarischen Gesetzartikels XII vom Jahre 1867 könne Redner
nicht anders verstehen, als daß er eben immer nur nomine der Monarchie vertragsmä¬
ßige Abmachungen eingehen könne. Ja selbst in dem Falle, daß etwa im Jahre 1917 ein
Ausgleich nicht zustande käme, könnten auch dann nach seiner Auffassung unsere
Handelsverträge nur seitens Österreich-Ungarns abgeschlossen werden. Gegenüber
der Bemerkung das kgl. ung. Ministers für Kultus und Unterricht Grafen Apponyi,
wonach Ungarn im Jahre 1867 auf keinen Teü seiner Souveränität verzichtet habe,
glaubt der Vorsitzende hervorheben zu sollen, daß es im Wesen jedes Vertrages gelegen
sei, gewisse Rechte gegen entsprechende Vorteüe aufzugeben. Die Antwort auf die
Frage, welche Vorteüe sich eben Ungarn hiebei zu sichern wußte, sei klar: den gemein¬
samen Schutz, die Zusammenfassung der Kräfte im Rahmen der Monarchie, eine
geachtete Stellung innerhalb der europäischen StaatenfamUie. Man müßte wohl im
Auge behalten, daß selbst die Gesetzgebung des Jahres 1848 ein Ministerium des
Äußern für Ungarn nicht in Anspruch nahm, wie es denn auch in den Reden Deäks aus
den 60er Jahren klar zum Ausdrucke komme, daß Ungarn für sich ein Ministerium des
Äußern nicht vindiziere, weü dies im Widerspruch stände mit den Verpflichtungen, die
es durch die Pragmatische Sanktion übernommen. Redner wolle nicht weiter polemi¬
sieren und stimme mit den Vorrednern allerdings darin überein, daß es voraussichtlich
schwer fallen dürfte, sich über diese Materie zu einigen. Nichtsdestoweniger müsse man
bemüht sein, nach entsprechenden Formeln zu suchen, wobei der Vorsitzende insbe¬
sondere darauf hinweist, daß er der in dem Ausgleichsentwurfe eliminierten Ausdrücke
,,österreichisch-ungarisches Zollgebiet&quot; und ,,österreichisch-ungarischer Zolltarif&quot;
dem Auslande gegenüber bis zum Jahre 1917 nicht entbehren könne.

   Der kgl. ung. Handelsminister v. Kossuth gibt der Meinung Aus¬
druck, daß zurBehebung der Schwierigkeiten in allen Verträgen immer nur der Monarch
genanntwerden sollte, worauf der Vorsitzende und der k. k. Justizmini¬
ster Klein entgegnen, daß man damit nicht unter allen Umständen das Auslangen
finden könne.

   Der Ick. Ministerpräsident Freiherr v. Beck will noch auf die
Darlegungen des kgl. ung. Ministers für Kultus und Unterricht Grafen Apponyi mit
einigen Worten zurückkommen und wirft die Frage auf, wie man es denn wohl bei
Annahme des ungarischen Vorschlages dem Auslande gegenüber zu motivieren ver¬
möchte, daß, während alle bisherigen Handelsverträge für die Monarchie abgeschlos¬
sen v/orden seien, die späteren sohin für Österreich und Ungarn vereinbart würden.
Auf die Antwort des kgL ung. Ministers für Kultus und Unterricht
Grafen Apponyi, man werde dem Auslande einfach sagen, die bisherige Übung
beruhe auf einem Versehen, richtig müsse es Österreich und Ungarn heißen, gibt der
k. 1c Ministerpräsident Freiherr v. Bepk zu bedenken, daß der Titel
der österreichisch-ungarischen Monarchie dem Auslande offizieU notifiziert worden
sei, so daß jede diesbezügliche Änderung notwendig auch erst wieder den Gegenstand
einer Notifikation an die auswärtigen Staaten bUden müßte, wobei denselben erst noch
eine Aufklärung darüber gegeben zu werden hätte, wieso nunmehr zwei Verträge, als
<pb/>Nr. 72 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 9.19(77  555

 welche sich die betreffenden Vereinbarungen in Wahrheit präsentierten, in einem
 Instrumente zusammengefaßt erscheinen, was alles unabsehbare rechtliche Konse¬
 quenzen nach sich ziehen könnte. Eben um diesen Schwierigkeiten aus dem Wege zu
 gehen, ziele der österreichische Vorschlag dahin, die Wendung: ,,mit Wirksamkeit für
 Österreich und Ungarn&quot; zu adoptieren, und wolle Redner noch immer hoffen, daß auf
 der Basis der österreichischen Propositionen sich denn doch im Rahmen des gesamten
Ausgleichs ein Einverständnis werde erreichen lassen.

    Anknüpfend an die Ausführungen des k. k. Ministerpräsidenten Freiherrn v.
Beck nimmt der Ick. Justizminister Klein Anlaß, des näheren ausein¬
anderzusetzen, daß dasjenige, was uns fehle, dialektisch nicht erreicht werden
könne. Es bedürfte einer staatsrechtlichen Neuschöpfung, eines gesetzgeberischen
Aktes, um genau festzustellen, für welche Kategorie von Belangen die Monarchie
als Gesamtpersönlichkeit aufzutreten hätte, und um die Beziehungen zu determi¬
nieren, in denen die beiden Staaten der Monarchie ihrerseits selbständig aufzu¬
treten vermöchten. Es müßte also gegenüber dem, was heute historisch und vom
Standpunkte des § 8 des ungarischen Gesetzartikels XII vom Jahre 1867, wie eben
die gememsame Vertretung der Monarchie nach außen, gegeben erscheint, eine
durchschreitende präzise Abgrenzung der Kompetenzen unter Bedachtnahme auch
auf die Natur der Materien erfolgen, gewissermaßen etwa nach dem Beispiele des
Deutschen Reiches, woselbst nebst diesem auch den Einzelstaaten Vertragsfähig¬
keit in einem gewissen Umfange zukomme.

    Die Ergebnisse der abgeführten Debatte zusammenfassend, erklärt sohin der Vor¬
sitzende mit Bedauern konstatieren zu müssen, daß die Ansichten der für die
Lösung der obschwebenden Differenzen maßgebenden Faktoren gerade in den Haupt¬
prinzipien auseinandergehen, und daßwohl keine Aussicht bestehe, zu einem prinzipiel¬
len Einvernehmen in nächster Zukunft zu gelangen. Er, der Vorsitzende, aber brauche
Klarheit für seine Aktion, und eben deshalb bringe er die sofortige Einsetzung einer aus
Delegierten der österreichischen und der ungarischen Regierung sowie des Ministerium
des Äußern gebüdeten Kommission in Anregung, welche, unter dem Vorsitze des
Ersten Sektionschefs dieses Ministeriums, Freiherm v. Call, tagend, ihre Anstrengungen
darauf zu richten hätte, unter Zurückstellung aller prinzipiellen Lösungsversuche und
ohne Präjudiz für die voneinander divergierenden grundsätzlichen Standpunkte, den
Bedürfnissen der Praxis genügende, allseits akzeptable Formeln für die im internationa¬
len Verkehre anzuwendenden staatsrechtlichen Bezeichnungsmodalitäten ausfindig zu
machen, und die sonach berufen wäre, ihre etwaigen diesbezüglichen Vorschläge zu
erstatten.

   Nachdem der Vorsitzende auf die hierauf vom kgl. ung. Handelsminister v.
Kossuth vorgdbrachte Bemerkung, die zu suchenden Formeln seien seiner Mei¬
nung nach in ihrer Wesenheit schon in der wiederholt adoptierten Bezeichnungs¬
form: ,,pour l&#39;Autriche et pour la Hongrie: N. N. Ambassadeur d&#39;Autriche-
Hongrie&quot; gefunden, erwidert, daß diese Unterfertigungsklausel, seitdem der Vor¬
sitzende an der Spitze des auswärtigen Ressorts stehe, niemals zur Anwendung
gelangte, wird der Antrag auf Einsetzung der gedachten Kommission einstimmig
zum Beschluß erhoben.
<pb/>556 Nr. 73 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9.10.1907

   Der Vorsitzende emmziert sohin, daß die Kommission noch am heutigen Tage ihre
Arbeit in Angriff nehmen werde,7 und behält sich vor, je nach dem Ergebnisse der
kommissioneilen Beratungen eventuell eine neuerliche gemeinsame Ministerkonferenz
einzuberufen.8

                                                                                             Aehrenthal

   Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
   Wien, 25. Mai 1908. Franz Joseph.

                   Nr. 73 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. Oktober 1907

    Maschinenschrift
    Gegenwärtige am Vormittag: der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle, der k. k. Ministerpräsident

fFreiherr v. Beck, der kgl. ung. Minister des Inneren Graf Andrässy, der Erste Sektionschef des k. u. k.
 emeinsamen Ministeriums des Äußern Freiherrv. Call, der Staatssekretär im kgl. ung. Handelsministerium
 zterenyi, der Sektionschef im k. k. Ministerratspräsidium Sieghart, der Hof- und Ministerialrat im k. u. k.
gemeinsamen Ministerium des Äußern Ritter v. Weil; am Nachmittage: die obgenannten Herren mit
Ausnahme des kgl. ung. Minister des Inneren Grafen Andrässy.

    Protokollführer der k. u. k. Generalkonsul Peter.
    Gegenstand: Die mit dem Ausgleiche im Zusammenhänge stehenden staatsrechtlichen Fragen sowie die
beim Abschlüsse internationaler Vereinbarungen zu beobachtenden staatsrechtlichen Formmodalitäten.

   KZ. [fehlt] - GMCZ. 462
   Protokoll über die am 9. Oktober 1907 zu Wien unter dem Vorsitze des Ministers
des k. u. k. Hauses und des Äußern Freiherm v. Aehrenthal stattgehabte gemeinsame
Ministerberatung.

   Die vormittägige Besprechung bewegt sich wesentlich um jene Bestimmungen des
zwischen der k. k. und der kgl. ung. Regierung vereinbarten Ausgleichsoperates, welche
vornehmlich unter dem staatsrechtlichen Gesichtspunkte den Kompetenzkreis des
Ministeriums des Äußern berühren.1 Bei der hierüber gepflogenen Erörterung ergibt
sich, daß zwischen dem Ministerium des Äußern einerseits und den beiden Regierun¬
gen andererseits wesentliche Meinungsdifferenzen in folgenden Punkten bestehen: 1.
Nach der zwischen der k. k. und der kgl. ung. Regierung getroffenen Abrede sollen die
bisher gebrauchten Ausdrücke ,,österreichisch-ungarisches Zollgebiet&quot; und ,,österrei-
chisch-ungarischer Zolltarif&quot; ersetzt werden durch die Benennungen ,,vereinigtes Zoll¬
gebiet Österreichs und Ungarns&quot; und ,,vereinter Zolltarif Österreichs und Ungarns&quot;.

7 SieheDenkschrift desErsten Sektionschefs Callbetreffend dieForm desAbschlusses internationaler Verträge
    v. 6.10.1907, HHStA., PA. I, Karton 636, VIII/c-6.

8 GMR v. 9.10.1907, GMCZ. 462.

1 Zur Geschichte des Ausgleichs siehe Sieghart, Die letzten Jahrzehnte einer Großmacht 120-127; Der
    österreichisch-ungarische Ausgleich 157-165; Pallavicini, Zur Ausgleichsfrage 242-246; Bernat-
    zik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 5751-621.
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