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Gemeinsamer Ministerrat, 16. 1. 1906

I. "Stellungnahme der Monarchie gegenüber Serbien und Bulgarien in wirtschaftlicher Beziehung. Redigierung eines Kommuniqués zur Zurückweisung von Angriffen der ""Neuen Freien Presse"" auf die Leitung des Auswärtigen Amtes wegen dessen angeblich schwankender Haltung gegenüber Serbien"

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z67.pdf.

Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1.1906                       511

indem er an den kgl. ung. Handelsminister das Ersuchen richtet, die diesfällige Note
des k. k. Eisenbahnministeriums vom November 1903 baldigst beantworten zu wollen,14
was von seiten des kgl. ung. Handelsministers v. Vörös in sichere Aussicht gestellt wird.
Weiters stellt Redner die dringende Anfrage an den kgl. ung. Ministerpräsidenten, ob
die kgl. ung. Regierung nicht etwa doch Mittel und Wege finden könnte, um den
quotenmäßig auf Ungarn entfallenden Beitrag zu den bereits fälligen Raten der außer¬
ordentlichen Militärkredite zu leisten, welche Frage jedoch seitens des kgl. ung.
Ministerpräsidenten FZM. Freiherrn v. Fejerväry mit dem
Ausdrucke des Bedauerns sowie mit der Bemerkung verneint wird, daß die kgl. ung.
Regierung über die quotenmäßigen Beiträge für die Refundierungspost von 27 Millio¬
nen keine Zahlungen für außerordentliche Heeres- und Marinezwecke zu leisten
imstande sei.

   Hierauf schließt der Vorsitzende die Sitzung.
                                                                                          Goluchowski

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 7. Februar 1906. Franz Joseph.

                 Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. Jänner 1906

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch (22.1.), der kgl. ung. Ministerpräsident
FZM. Freiherr v. Fejdrväry, derk. k. Minister des Inneren Graf Byiandt-Rheidt, derk. k. Ackerbauminister
Graf Buquoy, der k. k. Finanzminister Koset, der kgl. ung. Handelsmihister v. Vörös, der kgl. ung. Acker¬
bauminister Freiherr v. Feilitzsch, der Leiter des k. k. Handelsministeriums Sektionschef Graf Auersperg,
der Staatssekretär im kgl. ung. Finanzministerium Popovics, der Hof- und Ministerialrat v. Mihalovich.
    Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem.
    Gegenstand: Stellungnahme der Monarchie gegenüber Serbien und Bulgarien in wirtschaftlicher Bezie¬
hung. Redigierung eines Kommuniques zur Zurückweisung von Angriffen der ,,Neuen Freien Presse" auf
die Leitung des Auswärtigen Amtes wegen dessen angeblich schwankender Haltung gegenüber Serbien.

   KZ. 7 - GMCZ. 456
   Protokoll des zu Wien am 16. Jänner 1906 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬
same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des gemeinsamen Ministers des Äußern
Grafen Goluchowski.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er die Anwe¬
senden zur heutigen Konferenz eingeladen habe, um über jene Maßnahmen Beschluß
zu fassen, welche durch die seit der letzten gemeinsamen Ministerkonferenz1 geänderte
Haltung der serbischen Regierung in Angelegenheit des serbisch-bulgarischen Unions¬
vertrages sowie im Hinblick auf die durch den Ablauf der Handelskonvention mit
Bulgarien geschaffene Lage zu ergreifen sein werden. Während nämlich die serbische

14 Ebd., Anm. 4.
 1 GMRProt v. 10.1.1906, GMCZ. 455.
<pb/>512  Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1. 1906

Regierung die früher von ihrem hiesigen Gesandten sowie von dem Vertragsunterhänd¬
ler Milovanovic abgegebene Erklärung betreffend die eventuelle Bereitwüligkeit zum
gänzlichen Fallenlassen des Unionsvertrages nunmehr in Abrede stelle und die Abän-
derung dieses Übereinkommens von dem Inhalte des mit der Monarchie abzuschlie¬
ßenden Handelsvertrages abhängig mache,2 stelle Bulgarien, welches zwar einstweüen
via facti seit dem 14. Jänner 1. J. den Importen aus Österreich-Ungam die Meistbegün¬
stigung einräume, die Forderung, daß diese Angelegenheit durch einen Notenaustausch
geregelt werde, und weigere sich standhaft, das Recht der Monarchie auf Inanspruch¬
nahme der Meistbegünstigung nach Artikel VHI des Berliner Vertrages anzuerkennen.3

   Bevor Redner jedoch diese Fragen zur Diskussion stelle, müsse er die ernste
Aufmerksamkeit der Anwesenden auf einen im Abendblatte der heutigen ,,Neuen
Freien Presse&quot;4 erschienenen Leitartikel beziehungsweise auf eine diesem Artikel zum
Ausgangspunkte dienende Korrespondenz aus Budapest lenken, welche notwendiger¬
weise den Anschein erwecken müsse, als beruhe sie auf Mitteüungen aus ungarischen
Regierungskreisen, und in welcher in perfider und den Tatsachen direkt widerspre¬
chender Weise die Behauptung aufgestellt wird, daß seit der letzten gemeinsamen
Ministerkonferenz sich in der Haltung des Ministeriums des Äußern Serbien gegenüber
ein gewisses Schwanken gezeigt hätte, und in der diesbezüglichen Auffassung des
Auswärtigen Amtes und der österreichischen Regierung einerseits und der ungarischen
Regierung andererseits Divergenzen zutage getreten wären, welche voraussichtlich zu
einem großen Fiasko führen würden. Redner gibt der Ansicht Ausdruck, daß die
betreffende Korrespondenz nur auf absichtlich verdrehte Mitteüungen von seiten einer
Persönlichkeit zurückgeführt werden könne, welche von den seitens des Ministeriums
des Äußern der ungarischen Regierung seit der letzten Konferenz gemachten Mittei¬
lungen Kenntnis gehabt habe. Redner erklärt, diese Sache unbedingt nicht auf sich
beruhen lassen zu können und das Verlangen steüen zu müssen, daß ihm durch ein von
der ungarischen Regierung zu veröffentlichendes Kommunique eine eklatante Genug¬
 tuung gegeben werde, da ihm sonst die Führung der auswärtigen Politik überhaupt und
 spezieü der gegenwärtigen handelspolitischen Aktion gegenüber Serbien und Bulgarien
 ganz unmöglich gemacht werden und er sich bemüßigt sehen würde, Sr. Majestät über

 diese Sachlage Meldung zu erstatten.
    Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä-

 r y erklärt demgegenüber, sich entschieden dagegen verwahren zu müssen, daß zwi¬
 schen der in Rede stehenden Budapester Korrespondenz und der ungarischen Regie¬
 rung oder einem ihrer Organe irgendein Zusammenhang herzustellen versucht werde.
 Redner müsse es daher auch ablehnen, gegen die erwähnte Korrespondenz in einem
 Kommunique der ungarischen Regierung Stellung zu nehmen.

    Der Vorsitzende bemerkt erläuternd zu seiner früher getanen Äußerung, daß
 es ihm ferne gelegen sei, behaupten zu wollen, die ungarische Regierung stehe hinter
 der gedachten Korrespondenz, sondern daß er lediglich der Ansicht habe Ausdruck

2 Ebd., Anm. 5.

3 Ebd., Anm. 3.
4 Der gemeinsame Ministerrat über den Konflikt mit Serbien, Neue Freie Presse v. 16.1.1906.
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1.1906  513

geben wollen, daß diese letztere auf eine Indiskretion eines Organes der ungarischen
Regierung zurückzuführen sei. Redner erklärt übrigens nochmals die Angelegenheit
nicht auf sich beruhen lassen zu können, sondern auf einem autoritativen Kommunique
bestehen zu müssen.

   Der kgl. ung. Ackerbauminister Freiherr v. Feilitzsch glaubt
aufgrund seiner journalistischen Erfahrungen mit Bestimmtheit behaupten zu können,
daß die fragliche Budapester Korrespondenz der ,,Neuen Freien Presse&quot; überhaupt
nicht aus Budapest stamme, und weist darauf hin, daß in derselben nichts enthalten sei,
was in der letzten Konferenz besprochen wurde. Es sei daher ausgeschlossen, daß die
mehrerwähnten Meldungen der ,,Neuen Freien Presse&quot; auf die ungarische Regierung
oder auf einen ihrer Beamten zurückgeführt werden könne.

   Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös glaubt daran erinnern zu
sollen, daß der kgl. ung. Regierung in den letzten Tagen seitens des Ministeriums des
Äußern in der serbisch-bulgarischen Unionsfragen Mitteüungen auf telephonischem
Wege gemacht worden seien, und hält es nicht für ausgeschlossen, daß diese Mitteüun¬
gen von einer imberufenen Persönlichkeit mitangehört worden sind, weshalb Redner
die dringende Bitte stellen müsse, sich in Hinkunft zur Übermittlung vertraulicher
Mitteüungen nach Budapest nicht des Telephons zu bedienen.

   Der k. k. MinisterpräsidentFreiherrv. Gautsch glaubt, daß dem
Verlangen des Vorsitzenden nach einer angemessenen Genugtuung am besten dadurch
Rechnung getragen werden könnte, daß in dem über den Verlauf der heutigen Konfe¬
renz zu veröffentlichenden Kommunique den tendenziösen Mitteüungen der ,,Neuen
Freien Presse&quot; entgegengetreten werde. In einem solchen, aus dem Schoße der gemein¬
samen Ministerkonferenz selbst hervorgehenden Kommunique werde jedenfalls in der
autoritativsten Weise die voüe Übereinstimmung der beiden Regierungen untereinan¬
der und mit dem Auswärtigen Amte in Angelegenheit der Regelung der handelspoliti¬
schen Beziehungen mit Serbien und Bulgarien zum Ausdruck gebracht und so alle
gegenteüigen Behauptungen am sichersten widerlegt werden können.

    Der Vorsitzende stimmt diesem Vorschläge mit dem Vorbehalte zu, daß es
von der Textierung des betreffenden Kommuniques abhängen werde, ob er sich mit
demselben werde zufrieden geben können.5 Die Redaktion der bezüglichen Verlautba¬
rung wird sodann bis zum Schlüsse der Sitzung Vorbehalten.

    Der Vorsitzende steüt hierauf die Serbien sowie Bulgarien gegenüber in handelspo¬
litischer Beziehung einzunehmende Haltung zur Diskussion, wobei er der Ansicht
Ausdruck leiht, daß es sich nicht empfehlen werde, diesen beiden Staaten gegenüber
eine gleich scharfe Behandlungsweise zur Anwendung zu bringen, um dieselben hie¬
durch nicht etwa zu einem engeren Anschlüsse aneinander zu treiben. Es werde sich
vielmehr empfehlen, Bulgarien etwas müder als Serbien zu behandeln, und zwar
einerseits aus dem Grunde, weü Serbien sich der Monarchie gegenüber eines ganz

5 DieamüicheMitteilungüberdieMinisterkonferenz, Neue Freie Pressev. 17.1.1906 (U..).ImKommunique
     wirddievöUigeÜbereinstimmungdesAußenministers undder beiden Ministerpräsidenten überdie serbisch-
    bulgarischen Handelsvertragsverhandlungen betont und die Mitteilung der Neuen Freien Presse v. 16.1.
    1906 (A.) zurückgewiesen, in der über Differenzen zwischen den Parteien berichtet wird.
<pb/>514  Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1.1906

besonders illoyalen Verhaltens schuldig gemacht habe, andererseits aber, weil man
Serbien gegenüber wirksamere Pressionsmittel zur Anwendung zu bringen in der Lage
sei als gegenüber Bulgarien. Wenn man nämlich auch den übrigens nichts weniger als
sicheren Fall annehmen wolle, daß alle Mächte sich gegenüber Bulgarien in der Frage
der Inanspruchnahme der Meistbegünstigung auf den&#39;Standpunkt des Artikels VIII des
Berliner Vertrages stehen würden, so würde dies doch nur eine moralische Stütze
bieten, und die Möglichkeit, daß Bulgarien es auch weiterhin ablehnen könnte, der
bezüglichen Forderung der Mächte zu willfahren, deshalb noch keineswegs ausge¬
schlossen erscheinen. In einem solchen Falle würde es der Monarchie aüerdings noch
immer freistehen, gegen Bulgarien jene Pressionsmittel anzuwenden, welche ihr zwei-
feUos zur Verfügung stehen, wie die Sperrung der Ein- und Durchfuhr von Waffen und
Munition nach Bulgarien. Damit wäre aber eben der Fall eines Zollkrieges mit Bulga¬
rien gegeben, welcher im Hinblick auf den immerhin nicht unerheblichen Handel der
Monarchie mit jenem Staate jedenfalls besser vermieden würde. Die bulgarische Re¬
gierung habe, wie bereits zu Beginn der Sitzung erwähnt, infolge des Einschreitens des
k. u. k. diplomatischen Agenten in Sofia ihre Zollämter angewiesen, den Importen aus
Österreich-Ungarn vom 14. Jänner angefangen einstweüen die Meistbegünstigung
zuteil werden zu lassen, habe jedoch bis jetzt an dem Verlangen festgehalten, daß die
Zusicherung der meistbegünstigten Behandlung österreichisch-ungarischerseits
schriftlich angesprochen beziehungsweise daß die gegenseitige Gewährung der Meist¬
begünstigung im Wege eines Notenwechsels fixiert werde. Selbstverständlich könne auf
diese Forderung Bulgariens nicht eingegangen werden, und die dortige Regierung
würde sich jedenfalls dazu bequemen müssen, diese Forderung fallenzulassen, widri¬
genfalls die Monarchie noch immer in der Lage wäre, unter der Anwendung der
vorerwähnten Pressionsmittel zum Abbruche der Handelsbeziehungen mit Bulgarien
zu schreiten. Übrigens sei Redner in der Lage, der Konferenz ein soeben eingelangtes
Telegramm des k. u. k. diplomatischen Agenten in Sofia mitzuteüen, aus welchem
hervorgehe, daß die bulgarische Regierung eine Reklamation desselben wegen urtüm¬
licher Anwendung des autonomen Zolltarifes seitens eines bulgarischen Zollamtes auf
eine Warensendung aus der Monarchie als ein schriftliches Ansuchen in dem von ihr
gewünschten Sinne ansehe.6 So unrichtig natürlich diese Auffassung sei, so beweise
dieselbe doch einerseits den guten Willen der bulgarischen Regierung, die Dinge nicht
auf die Spitze zu treiben, und biete andererseits den Vorteü, mit der definitiven
Stellungnahme gegenüber Bulgarien vorläufig noch zuzuwarten, bis man über die
Stellungnahme der Mächte zu Artikel VHI des Berliner Vertrages orientiert sein
werde.7

    Serbien gegenüber müsse dagegen auf das schärfste vorgegangen und der serbischen
Regierung neuerdings erklärt werden, daß ohne vorheriges Fallenlassen des Unions¬
vertrages mit Bulgarien eine Fortsetzung der Vertragsverhandlungen mit Serbien nicht
stattfinden könne. Gleichzeitig müßte Serbien bedeutet werden, daß die Monarchie,

6 Thum an Gotuchowski v. 12. und 13.1.1906 (Telegramm), HHStA., AR., F. 37, Karton 43, Bulgarien 5,

     Nr. 8 und 9.
7 Zur Frage der Stellungnahme der Großmächte siehe GMRProt. v. 10.1.1906, GMCZ. 455, Anm. 8.
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1.1906  515

trotzdem der Handelsvertrag mit Serbien erst am 1. März dieses Jahres ablaufe, durch
entsprechende Handhabung der Tierseuchenkonvention die Möglichkeit habe, auch
schon vor diesem Zeitpunkte die Grenzsperre gegen serbisches Vieh in Anwendung zu
bringen und so die serbischen wirtschaftlichen Interessen auf das empfindlichste zu
treffen.

    Der Leiter des k.k. Handelsministeriums Sektionschef
Graf Auersperg führt aus, daß die österreichische Regierung,was die Bulgarien
gegenüber anzuwendende Taktik betrifft, auf demselben Standpunkte wie der Vorsit¬
zende stehe und der Ansicht sei, daß über die Bulgarien gegenüber einzunehmende
Haltung nicht eher definitiv Beschluß gefaßt werden sollte, bevor man nicht Kenntnis
davon habe, welche Stellung die übrigen Mächte zu der Frage der Geltendmachung des
Artikels VIII des Berliner Vertrages gegenüber Bulgarien einnehmen. Bulgarien solle
daher erklärt werden, daß die Verhandlungen mit demselben bis auf weiteres nicht
fortgesetzt werden.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä-
r y schlägt vor, an die bulgarische Regierung eine Note folgenden Inhaltes zu richten:
,,Da die bulgarische Regierung die bulgarischen Zollämter bereits angewiesen hat, die
österreichischen und ungarischen Provenienzen meistbegünstigt zu behandeln, wird
Österreich-Ungarn unter Zurkenntnisnahme dieses Vorgehens der fürstlichen Regie¬
rung und von der derzeitigen Erörterung der prinzipiellen Frage absehend, bis auf
weiteres die bulgarischen Provenienzen der bisherigen Behandlung teühaftig werden
lassen.&quot; I)ie Konferenz stimmt diesem Anträge zu und bemerkt der k. k. Acker¬
bauminister Graf Buquoy, daß in dieser Erklärung das Wort ,,absehend&quot;
von besonderer Tragweite sei, weshalb bei der Übertragung derselben ins Französische
auf die Wahl eines den Sinn möglichst genau wiedergebenden französischen Wortes
besonderes Gewicht zu legen sein werde, damit die bulgarische Regierung nicht etwa
zu der Ansicht verleitet werde, daß die Monarchie von ihrem diesfälligen prinzipiellen
Standpunkte abzugehen geneigt sei.

   Der Vorsitzende entwirft hierauf sofort eine Übersetzung der bezüglichen
Note, welche auf französisch folgenden Wortlaut haben werde:

    ,,Le Gouvernement bulgare ayant instruit ses bureaux de douane d&#39;appliquer aux
provenances autrichiennes et hongroises le traitement de la nation la plus favorisee, je
suis Charge d&#39;informer Votre Excellence que TAutriche-Hongrie, prenant connaissance
de la susdite disposition du Gouvernement princier et laissant pour le moment en
suspens la discussion sur la question de principe accordera jusqu&#39;ä nouvel ordre aux
provenances bulgares le traitement dont elles ont joui jusqu&#39;ä ce jour.&quot;

   Der kgl. ung. Ackerbauminister Freiherr v. Feilitzsch erbit¬
tet sich Aufschluß darüber, wodurch die bulgarische Regierung eigentlich bewogen
wurde, ihre Zollämter anzuweisen, die Provenienzen aus Österreich-Ungarn meistbe¬
günstigt zu behandeln, und äußert hiebei die Besorgnis, daß diese Maßnahme der
bulgarischen Regierung etwa auf ein Einschreiten des k. u. k. diplomatischen Agenten
in Sofia zurückzuführen sei, welchem bulgarischerseits die Deutung eines Ansuchens
gegeben wurde, was natürlich dem prinzipiellen Standpunkte der Monarchie präjudi-

zieren würde.
<pb/>516  Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1.1906

   Der Vorsitzende erwidert hierauf, daß es sich keineswegs um eine Bitte des
diplomatischen Agenten handle, sondern daß derselbe durch Vemunftgründe den
eigentlichen Spiritus rector der bulgarischen Regierung, Herrn Petkow,8 kapazitiert
habe, indem er denselben gewarnt habe, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben, und
ihm unter Hinweis auf die vorerwähnten Pressionsmittel die schädlichen Folgen nach¬
drücklich zu Gemüte geführt habe, welche ein Zollkrieg mit der Monarchie für Bulga¬
rien notwendigerweise nach sich ziehen müßte. Bei dieser Gelegenheit möchte Redner
übrigens bemerken, daß er sich, was die Sperrung der Durchfuhr von Waffen und
Munition durch die Monarchie nach Bulgarien betrifft, erst Sicherheit darüber ver¬
schaffen müsse, ob Bulgarien nicht etwa in der Lage sein würde, Waffen auf dem Wege
über Rußland oder in demontiertem Zustand durch die Meerengen einzuführen, eine
Erwägung, welche gleichfalls gegen ein allzu scharfes Vorgehen gegenüber dem Für-
stentume spreche.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerva-
r y möchte sich in bezug auf die den genannten beiden Balkanstaaten gegenüber zu
befolgende Taktik namens der kgl. ung. Regierung für den entgegengesetzten Stand¬
punkt aussprechen, nämlich für eine müdere Behandlung Serbiens und für ein schärfe¬
res Vorgehen gegenüber Bulgarien. Redner glaubt, daß man die Verhandlungen mit
Serbien fortsetzen soüte, und daß dann im Laufe derselben, jedenfaUs aber vor der
Paraphierung des Vertrages, jene Bestimmungen aus dem Unionsvertrage eliminiert zu
werden hätten, welchevom Standpunkte der wirtschaftlichen Interessen der Monarchie
gravaminös seien. Dieses Vorgehen würde je nach den Umständen eventueü auch das
Faüenlassen des ganzen Unionsvertrages zur Folge haben können.

   Der Vorsitzende konstatiert demgegenüber, daß aufgrund des Beschlusses
der letzten Ministerkonferenz der serbischen Regierung durch den k. u. k. Gesandten
erklärt worden sei, daß die Verhandlungen nicht fortgesetzt werden könnten, wenn
dieselbe nicht formeü erkläre, daß sie den Unionsvertrag mit Bulgarien faUenlasse
beziehungsweise denselben der Skupschtina nicht vorlegen werde. Ein Aufgeben dieses
Standpunktes würde die Haltung der Monarchie Serbien gegenüber als schwankend
und schwächlich erscheinen lassen und daher sehr bedenklich sein. Bei der Entschei¬
dung über die Wahl der dem einen und dem anderen der beiden genannten Balkan¬
staaten gegenüber anzuwendenden Vorgangsweise müßten die zur Verfügung stehen¬
den Pressionsmittel jedenfaUs sehr in Erwägung gezogen werden, und in dieser
Beziehung sei die Stellung der Monarchie Serbien gegenüber eine ungleich günstigere
als gegenüber Bulgarien.

    Der kgl. ung. Ackerbauminister Freiherr v. Feilitzsch äußert
die Befürchtung, daß wenn man mit den Vertragsverhandlungen mit Bulgarien warten
woüe, bis man mit Serbien zu einem Abschlüsse gelangt sein werde, erstere Verhand¬
lungen, falls man sich mit Serbien nicht verständigen soüte, ad infinitum hinausgescho¬
ben werden würden und man dann leicht mit Serbien und Bulgarien in einen Zollkrieg

8 DimiterPetkow (1858-1907), Ministerpräsident, Vorsitzender der Regierungspartei, Thum hielt ihn ßr den
    weitblickendsten bulgarischen Politiker. Thum an Goluchöwski v. &amp; 12.1905, HHSrA., PA. XV, Karton
    62, Nr. 70 B.
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.1.1906  517

verwickelt werden könnte, so daß man dann auf Rumänien allein, welches wirtschaftlich
ungemein erstarke, angewiesen sein werde.

   Der Versitzende äußert nochmals seine Ansicht, daß es heute nicht mehr
möglich sei, die Forderung nach Zurückziehung des Zollunionsvertrages aufzugeben,
da dies einen äußerst ungünstigen Einfluß auf die Handelsvertragsverhandlungen mit
Serbien haben würde. Die Serben wüßten ganz genau, daß der Unionsvertrag an und
für sich keinen großen Wert für sie habe, aber sie betrachteten denselben als ein
Damoklesschwert über dem Haupte der Monarchie, unter dessen beständiger Drohung
die Handelsvertragsverhandlungen mit Österreich-Ungarn geführt werden sollten.
Nach allen dem Redner aus Serbien zugekommenen Meldungen seien dort nur die der
Monarchie feindseligen politischen Kreise für den Zollunionsvertrag begeistert,
während die Kaufmannschaft sich über die daraus eventueU für Serbien entspringenden
Gefahren sehr alarmiert zeige.

   Der Ick. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch ergreift hierauf
das Wort, um auszuführen, daß die gemeinsame Ministerkonferenz, als sie in ihrer
letzten Sitzung den Beschluß faßte, daß die serbische Regierung sich vor Beginn der
Vertragsverhandlungen mit der Monarchie verpflichten solle, den Unionsvertrag der
Skupschtina nicht vorzulegen, von der Voraussetzung ausgegangen sei, daß die serbi¬
sche Regierung vollkommen bereit sei, den ganzen Vertrag fallen zu lassen. Aus einem
seither eingelangten telegraphischen Berichte des k. u. k. Gesandten in Belgrad gehe
nun hervor, daß die serbische Regierung nicht geneigt sei, diese Verpflichtung einzu¬
gehen, sondern nur bereit sei, den Unionsvertrag zu ändern, wenn österreichisch-un-
garischerseits mit Serbien verhandelt werde.9 Bei der von Seite Österreich-Ungams
aufgestellten Forderung nach Nichtvorlage des Zollunionsvertrages in der Skupschtina
müsse zwischen dem wirtschaftlichen und dem politischen Standpunkte unterschieden
werden. Vom wirtschaftlichen Standpunkte würde es nämlich nach Ansicht des
Redners vollkommen genügen, wenn an dem Zollunionsvertrage die notwendigen
Änderungen vorgenommen werden würden, und es frage sich daher nur, ob ein Einlen¬
ken in diesem Sinne nicht als ein politischer echec angesehen werden könnte.

   Der Vorsitzende bemerkt hiezu, daß die der serbischen Regierung bekannt¬
gegebene Forderung selbstverständlich nur den Sinn gehabt habe, daß der Unionsver¬
trag nicht in seiner gegenwärtigen Form vorgelegt werden dürfte, wobei speziell die drei
bekannten Artikel gemeint gewesen seien.10

   Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch führt weiters
aus, daß auf serbischer Seite möglicherweise ein Mißverständnis obwalte, indem ange¬
nommen zu werden scheine, daß der Vertrag überhaupt nicht vorgelegt werden solle,
während es für die Monarchie lediglich auf die Eliminierung der bewußten drei Artikel
ankomme. Ob nach Ausscheidung dieser letzteren die serbische Regierung dann den
Unionsvertrag der Skupschtina vorlegen wolle, sei vom Standpunkte der wirtschaftli¬
chen Interessen der Monarchie jedenfalls gleichgUtig. Redner möchte daher den in der

 9 Czikann an Gotuchowski v. 14.1.1906 (Telegramm), K. u. k. Ministerium des Äussern, Handelsver¬
    trags-Verhandlungen mit Serbien 2.

10 Den Wortlaut des Zollunionsvertrages siehe ebd., 7-12.
<pb/>518  Nr. 67 Gemeinsamer Ministenat, Wien, 16.1.1906

letzten gemeinsamen Ministerkonferenz hinsichtlich der an Serbien zu stellenden
Forderung gefaßten Beschluß in folgender Weise genauer präzisieren: ,,Insolange
Serbien im Sinne der in der letzten gemeinsamen Ministerkonferenz gestellten Anfor¬
derung nicht schriftlich erklärt, den serbisch-bulgarischen Unionsvertrag während der
Dauer der Verhandlungen mit Österreich-Ungarn der Skupschtina nicht vorzulegen,
beziehungsweise bei dem Zustandekommen eines Vertrages jene Änderungen an dem
serbisch-bulgarischen Übereinkommen vorzunehmen, welche österreichisch-ungari-
scherseits gefordert werden, finden keine Vertragsverhandlungen mit Serbien statt.&quot;

   Die Konferenz stimmt diesem Vorschlage zu und beschließt, daß der k. u. k. Gesand¬
te in Belgrad beauftragt werden solle, eine dem vorstehenden Beschlüsse textuell
entsprechende Note an die serbische Regierung zu richten.&quot;

   Der Vorsitzende macht hiezu noch - nachdem er sich durch eine an den kgl.
ung. Ackerbauminister Freiherm v. Feilitzsch gerichtete und von diesem bejahte
Anfrage über die unbedingte Wirksamkeit der Serbien gegenüber zur Verfügung
stehenden Pressionsmittel vergewissert hat - den Vorschlag, daß der k. u. k. Gesandte
in Belgrad angewiesen werden solle, die serbische Regierung auf die Folgen aufmerk¬
sam zu machen, welche eine Ablehnung dieser Forderung ihrerseits nach sich ziehen
würde, und derselben zu verstehen zu geben, daß die Monarchie durch entsprechende
Handhabung der Viehseuchenkonvention die Möglichkeit besitze, auch schon vor dem
1. März dieses Jahres die Grenzsperre gegen serbisches Vieh zu verfügen, wodurch die
wirtschaftlichen Interessen Serbiens auf das empfindlichste getroffen werden würden.

   Nachdem die Konferenz auch diesem Vorschläge zugestimmt hat, wünscht der
kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerväry
schon jetzt pro foro intemo zu konstatieren, daß bei den Vertragsverhandlungen
mit Serbien weitere landwirtschaftliche Konzession nicht gemacht werden können.

   Der k.k. Ackerbauminister Graf Buquoy glaubt diese Erklärung
des Vorredners dahin präzisieren zu sollen, daß Serbien bei den Vertragsverhandlun¬
gen keine Konzessionen gewährt werden sollen, welche über jene Zugeständnisse
hinausgehen, die kürzlich in einer im Ick. Ministerium des Inneren zwischen den
beiderseitigen Ressortministern stattgehabten gemeinsamen Besprechung als äußer¬
stes Maß des zu Konzedierenden festgesteüt worden seien.

   Der k.k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt be¬
tont, daß es im Hinblick auf die Vertragsverhandlungen mit Rußland ein eminentes
österreichisches Interesse sei, daß der Vertrag mit Serbien baldigst abgeschlossen
werde, weshalb eine möglichst rasche Klärung der Situation dringend erwünscht sei.
Der k. u. k. Gesandte in Belgrad sollte daher ehestens in die Lage gesetzt werden, der
serbischen Regierung gegenüber eine energische Sprache zu führen.

   Hierauf wird folgendes Kommunique über den Verlauf der Sitzung sowie zur
Zurückweisung der in der mehrerwähnten Budapester Korrespondenz der ,,Neuen
Freien Presse&quot; enthaltenen Behauptungen redigiert, welches seitens des V ersit¬
zenden als entsprechende Genugtuung für ihn erklärt wird: ,Die Konferenz hat in
Angelegenheit der Handelsvertragsverhandlungen mit Serbien und Bulgarien die aus

11 Goluchowski an Czikann v. 17.1.1906 (Telegramm), ebd., 3.
<pb/>Nr. 68 Gemeinsamer Ministerrat, Wien,&#39;2. 2.1906  519

der Situation sich ergebenden Beschlüsse einstimmig gefaßt, und es werden die not¬
wendigen Instruktionen an die k. u. k. Vertretungen in Belgrad und Sofia unverzüglich
ergehen. Bei diesem Anlasse wurde konstatiert, daß zwischen dem gemeinsamen
Ministerium des Äußern und der österreichischen oder der ungarischen Regierung eine
Differenz der Auffassung und Stellungnahme bezüglich dieser Angelegenheiten weder
in irgendeinem Augenblicke bestanden hat, noch derzeit besteht. Hiedurch finden die
in einzelnen Organen, insbesondere im Abendblatte der ,,Neuen Freien Presse&quot; vom
16. d. M. enthaltenen MitteSungen ihre volle Widerlegung.&quot;

   Da die Tagesordnung hiemit erschöpft ist, schließt der Vorsitzende die Sitzung.

                                                                                       Goluchowski

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
Wien, 7. Februar 1906. Franz Joseph.

                 Nr. 68 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 2. Februar 1906

    RS. (undRK.)
     Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Gautsch (9.2.), der kgl. ung. Ministerpräsident FZM.
Freiherr v. Fejerväry, der k. k. Minister des Innern Graf Bylandt-Rheidt, der k. k. Ackerbauminister Graf
Buqucy, der k. k. Finanzminister Kosel, der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös, der kgl. ung. Ackerbaumi¬
nister Freiherr v. Feilitzsch, der Leiter des k. k. österreichischen Handelsministeriums Sektionschef Graf
Auersperg, der Staatsekretär im kgl. ung. Finanzministerium Popovics, der k. u. k. Hof- und Ministerialrat
v. Mihalovich.
    Protokollführer: der k. u. k. Legationsrat Freiherr v. Gagem.
    Gegenstand: I./Die Frage der eventuellen Wiederaufnahme der Handelsvertragsverhandlungen mit
Bulgarien. II. Einleitung von Handelsvertragsverhandlungen mit Rumänien. III. Die Frage des Serbien,
Rumänien und Bulgarien in betreff der Vieheinfuhr zu gewährenden Maximalkontingentes. IV. Stellung¬
nahme zu den seitens Serbiens infolge der Viehsperre ergriffenen Retorsionsmaßnahmen.

   KZ. 19 - GMCZ. 457
   Protokoll des zu Wien am 2. Februar 1906 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬
same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des
Äußern Grafen Goluchowski.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er sich veran¬
laßt gesehen habe, neuerdings eine gemeinsame Ministerkonferenz einzuberufen, da
sich die Notwendigkeit ergeben habe, über verschiedene, seit der letzten am 16. Januar
stattgehabten Konferenz akut gewordene Fragen schlüssig zu werden.1 Redner bezeich¬
net als solche erstens die Antwort, welche der bulgarischen Regierung in betreff der
Fortführung der bis auf weiteres unterbrochenen Handelsvertragsverhandlungen
gegeben werden soll. Wie erinnerlich, sei der bulgarischen Regierung aufgrund des
Beschlusses der gemeinsamen Ministerkonferenz vom 10. Januar eröffnet worden,2 daß

1 GMR. v. 16.1.1906, GMCZ 456.
2 GMR v. 10.1.1906, GMCZ: 455.
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