- I. I. Die Frage der Ratifikation des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche
- II. II. Die Frage der provisorischen Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Bulgarien bis zum Zustandekommen eines Vertrages.
- III. III. Stellungnahme zu der durch die sogenannte serbisch-bulgarische Zollunion geschaffenen Lage
Gemeinsamer Ministerrat, 10. 1. 1906
I. I. Die Frage der Ratifikation des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z66.pdf.
II. II. Die Frage der provisorischen Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Bulgarien bis zum Zustandekommen eines Vertrages.
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z66.pdf#page=1.
III. III. Stellungnahme zu der durch die sogenannte serbisch-bulgarische Zollunion geschaffenen Lage
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z66.pdf#page=1.
Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 501 Die Konferenz beschließt daraufhin, daß seitens der Regierungen jedenfalls alle Vorbereitungen für die Einberufung der Delegationen getroffen werden müssen, und daß denselben, nachdem sie keinesfalls vor dem 27. Dezember würden zusammentreten können, eventuell eine Indemnität zu unterbreiten sein werde, zu deren Erledigung bis zum 31. Dezember genug Zeit zur Verfügung stehen werde.8 Nachdem hiemit die Tagesordnung der heutigen Konferenz erledigt erscheint, schließt der Vorsitzende die Sitzung. Goluchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wallsee, am 23. Dezember 1905. Franz Joseph. Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. Jänner 1906 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch (15.1.), der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejdrväry, der k. k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt, der k. k. Ackerbauminister Graf Buquoy, der k. k. Finanzminister Kosel, der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös, der kgl. ung. Acker¬ bauminister Freiherr v. Feilitzsch, der Leiter des k. k. Handelsministeriums Graf Auersperg, der Staatsse¬ kretär im kgl. ung. Finanzministerium Popovics, der Hof- und Ministerialrat v. Mihalovich. Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: I. Die Frage der Ratifikation des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche. II. Die Frage der provisorischen Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Bulgarien bis zum Zustandekommen eines Vertrages. III. Stellungnahme zu der durch die sogenannte serbisch-bulgarische Zollunion geschaffe¬ nen Lage. » KZ. 6 - GMCZ. 455 Protokoll des zu Wien am 10. Jänner 1906 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Goluchowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er sich erlaubt habe, die Anwesenden zu einer Konferenz einzuladen, um einige aktuelle Fragen handelspolitischer Natur zu besprechen und über dieselben Beschluß zu fassen. Die erste dieser Fragen sei die Ratifikation des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche,1 auf deren baldige Vornahme die deutsche Reichsregierung großen Wert lege Das nächste Mal traten die beiden Delegationen am 9. 6.1906in Wien zusammen. Zum Handelsvertrag mit Deutschland siehe GMR. v. 12. 1. 1905, GMCZ. 449. Das Gesetz über den Handelsvertragv. 25.1.1905, RGBl. Nr. 24/1905. Wegen derinnenpolitischen Krise wurde der Gesetzentwurf dem ungarischen Reichstag nicht einmal vorgelegt. ErstEnde desJahres ersucht der Handelsminister um die Unterbreitung des Entwurfes: Vortrag des kgl. ung. Handelsministers v. 13.12.1905 über die Unterbreitung des Gesetzentwurfes zur Inartikulierung des Handelsvertrages im Reichstag HHStA., Kab. Kanzlei, KZ. 3627/1905, Ah. E. v. 17. 12. 1905, ebd. Der Handelsvertrag wird von der Regierung Fejerväry auf dem Verordnungsweg am 1.3.1906 in Kraft gesetzt, Länyi, A Fejervary kormäny 181 f. <pb/>502 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 und bezüglich welcher dieselbe bereits wiederholt den Wunsch nach offizieller Be¬ kanntgabe des hiefür in Aussicht zu nehmenden Zeitpunktes geäußert habe. Redner habe diesfalls erwidert, daß die Ratifikation jedenfalls rechtzeitig erfolgen werde, daß aber der Termin für dieselbe von dem Beschlüsse der beiden Regierungen abhängen werde. Die zweite Frage, über welche man sich klar werden müsse, bestehe darin, was zu geschehen haben werde, falls, wie mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen, bis zum 14. d. M. kein Handelsvertrag mit Bulgarien zustande komme.2 Es müsse unbedingt ein Mittel gefunden werden, um das in diesem Falle eintretende Vakuum entsprechend auszufüllen. Die bulgarische Regierung habe in dieser Beziehung den Antrag gestellt, daß die Monarchie und Bulgarien in einem Protokolle für den Zeitraum vom 14. Jänner bis zum 1. März 1. J. sich gegenseitig die Meistbegünstigung zusichem sollen. Dieser Vorschlag würde an und für sich akzeptabel und geeignet erscheinen, über die verhält¬ nismäßig kurze vertragslose Zeit hinwegzuhelfen; doch dürfe in dem gegebenen Falle nicht übersehen werden, daß die Monarchie als Signatarmacht des Berliner Vertrages aufgrund desArtikel VIII, 3. Alinea, desselben in Bulgarien auch ohne Einräumung der Reziprozität den Anspruch auf Meistbegünstigung habe,3 wobei es aUerdings eine andere Frage sei, ob es opportun erscheinen würde, sich auf diesen Standpunkt zu steUen, und ob es nicht vielmehr aus politischen und taktischen Rücksichten klüger wäre, unter ausdrücklicher Wahrung des prinzipieüen Standpunktes Bulgarien in einem besonderen Protokolle, sozusagen aus freien Stücken, die Meistbegünstigung zuzuge¬ stehen. Die dritte der zu erörternden Fragen betreffe die sogenannte serbisch-bulgari¬ sche Zollunion, sowie die Maßnahmen, welche gegenüber der hiedurch geschaffenen Lage seitens der Monarchie zu treffen sein werden. Redner bemerkt anschließend hieran, daß diese Angelegenheit seitens der öffentli¬ chen Meinung von ganz falschen Gesichtspunkten aus und in einer Weise beurteüt worden sei, welche entschieden eine kurzsichtige Auffassung verrate. Redner habe bereits im Jahre 1904 und auch später im Jahre 1905 Berichte erhalten, welche darauf aufmerksam machten, daß zwischen Serbien und Bulgarien, diesen beiden Antagoni¬ sten auf politischem Gebiete, Verhandlungen über wirtschaftliche'Fragen im Zuge seien, welche auf den Abschluß einer Zollunion beziehungsweise auf einen möglichst engen handelspolitischen Anschluß der beiden genannten Balkanstaaten aneinander abzielen, doch habe Redner an das Zustandekommen einer solchen Union nie recht geglaubt und habe immer daran gezweifelt, daß die einschlägigen Besprechungen sich zu einer Abmachung verdichten würden. Redner habe sich übrigens durch diese Meldungen schon nicht besonders beunruhigt gefühlt, weü Bulgarien mit Rücksicht auf den Artikel Vm des Berliner Vertrages gar nicht in der Lage sei, eine solche Abma- 2 Die mt Bulgarien geschlossene Handelskonvention lief Ende 1903 aus, von dieser Zeit an wurde sie halbjährlich verlängert. Müller, Die Handelspolitik der österreichisch-ungarischen Monarchie am Balkan zwischen 1890 und 1914, 68 ff.; Kossew, Broporo Ctom6oaobmctko npaBwre/icTBo m HKOHOMMtecKOTO cbtiepHHwecTBO MCJKay repMaHH« h ABCTpo-ynrapHfl 33 EwiraDCKM* nasHp 1903-1908 r. 141-164. Der Berliner Kongress 1878 379. Artikel VIII, 3. Alinea des Berliner Vertrages lautet: Die Angehörigen und der Handel aller Mächte sollen auf dem Fuße vollkommener Gleichstellung behandelt werden. <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 503 chung zu treffen, ohne daß nicht ipso facto alle darin zugestandenen Begünstigungen auch sämtlichen Signatannächten des gedachten Vertrages eingeräumt werden müßten. Andererseits habe Redner aber auch Serbien nicht für so unklug gehalten, zu einer solchen Abmachung die Hand zu bieten und in eine solche ihm von Bulgarien gestellte Falle zu gehen. Redner bemerkt weiters, daß aus Anlaß des Abschlusses der sogenannten serbisch-bulgarischen Zollunion die gewohnten Anschuldigungen gegen die Diplomatie erhoben worden seien, welcher man zum Vorwurf mache, daß sie nicht gehörig unterrichtet gewesen sei.4 Demgegenüber müsse Redner aber bemerken, daß es auch der besten Diplomatie nicht immer möglich sei, sich vorher die genaue Kenntnis von Dingen zu verschaffen, welche in camera caritatis abgemacht werden und bezüglich derer die beledigten Regierungen sich gegenseitig strenge Geheimhaltung zusichern. Übrigens hätten auch die anderen Mächte vorher keine positive Kenntnis von dem Abschlüsse der in Rede stehenden serbisch-bulgarischen Abmachung gehabt und seien somit durch dieselbe ebenfalls vor ein fait accompli gestellt worden. Aufgrund bloßer Gerüchte und mehr oder weniger vager Vermutungen irgendwelche Schritte zu unter¬ nehmen, hätte dem Redner aber schwierig und auch zwecklos geschienen, umso mehr als von den beledigten beiden Regierungen ades Diesbezügliche zu wiederholten Malen rund und glatt abgeleugnet wurde. Aber selbst wenn Redner positiv Kenntnis davon gehabt hätte, daß die betreffenden Abmachungen perfekt geworden seien, so würde er sich doch wohl gehütet haben, vorzeitig durch einen Protest einzugreifen oder sonst Schritte dagegen zu unternehmen, da dadurch zwar Serbien und Bulgarien ein Dienst geleistet worden wäre, indem man sie durch eine rechtzeitige Ermahnung verhindert hätte, sich einer Blöße auszusetzen und einen groben Fehltritt zu. begehen, wohl aber die Monarchie die ganze Hetze dieser Länder sich auf den Hals geladen hätte, zu welchem Zwecke letztere unter dem Deckmantel verkannter Unschuld nicht ermangelt hätten, sich als die Opfer der beständigen unverdienten Verdächtigungen Österreich- Ungarns, des traditionellen Friedensstörers und ungebetenen Lehrmeisters, hinzustel- len. So aber ist beiden erwähnten Staaten ihr Fehlgriff ad oculos demonstriert und die Monarchie erscheint hier als ein Faktor, der, ohne sich um die Seitensprünge der schlimmen Balkanbuben viel zu bekümmern und ihnen eine unverdiente Bedeutung beizumessen, die Macht und Mittel besitzt, seine eigenen wirtschaftlichen Interessen wirksam zur Geltung zu bringen. Die serbische Regierung habe übrigens auch schon sowohl durch ihren hiesigen Gesandten, als durch den Vertragsunterhändler Milovan- ovid erklären lassen, daß sie bereit sei, den ganzen Zollunionsvertrag fallen zu lassen,5 4 Die Presse kritisierte nämUch scharfdie außenpolitischeFührung derMonarchie, die von der bulgarisch-ser¬ bischen Zollunion erst erfahren hatte, als diese in den beiden betreffenden Ländern veröffentlicht worden war. Neue Freie Presse v. 5.1.1906 (M.). 5 Der serbische Gesandte in Wien Dr. Mihajlo Vui£ (1853 -1913), Milovan Milovanovid (1863 -1912). Ober die Verhandlungen zwischen Vui£ und GotuchowsM siehe Gotuchowski an Czikann (Telegramm) v. 11.1. 1906, KLu.k. Ministerium des äussern, Handelsvertrags-Verhandlungen mit Serbien 2. Das zitierte Aktenstück ist nicht eindeutig formuliert. Gotuchowski nimmt eher an, daß die Serben bereit sein würden, die Zollunion fallenzulassen. Djordjevr;: UapHHCKH paT AycTpo-Vrapcxe h CpöHje 1906- 1911143-146. <pb/>504 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 was die Annahme gestatte, daß man sich in Serbien darüber klarzuwerden anfange, daß die ganze Sache eine Serbien von Bulgarien im Hinblicke auf die Viehkonvention mit der Monarchie gestellte Falle sei. Es scheine denn auch bereits zwischen diesen beiden Balkanstaaten ein gewisser Resens zu bestehen, was vom politischen Standpunkte keineswegs unerwünscht sei. Redner könne daher mit gutem Gewissen sagen, daß er, selbst wenn ihm das Zustandekommen des in Rede stehenden Vertrages schon vorher positiv bekannt gewesen wäre, keinesfalls eine andere Taktik als die von ihm jetzt befolgte eingeschlagen haben würde, welche darin bestehe, daß er zunächst der serbi¬ schen sowie der bulgarischen Regierung erklärt habe, die Verhandlungen nicht fortset¬ zen zu können, bevor die Konferenz nicht zu der durch die sogenannte serbisch-bulga¬ rische Zollunion geschaffenen Lage Stellung genommen haben werde. Nach diesen Ausführungen des Vorsitzenden beschließt die Konferenz zunächst in die Beratung der Punkte 2 und 3 - provisorische Regelung der Handelsbeziehungen zu Bulgarien und serbisch-bulgarische Zollunion - einzutreten und den ersten Punkt - Ratifikation des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche - als letzten Beratungs¬ gegenstand zurückzubehalten. Es ergreift hierauf der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch das Wort, indem er darauf hinweist, daß die Punkte 2 und 3 in innigem Zusammenhänge stehen und daher schwer voneinander getrennt besprochen werden könnten. Redner führt aus, daß die österreichische Regierung selbstverständlich sofort, nachdem sie von der sogenannten serbisch-bulgarischen Zollunion Kenntnis erlangt habe, die hiedurch geschaffene Situation in den Kreis ihrer Beratungen gezogen habe, um sich über die Stellung klarzuwerden, welche sie diesfalls einzunehmen haben werde.6Aufgrund dieser Beratung habe die österreichische Regierung sich ihre Rechtsauffassung gebüdet, welche dahin gehe, daß die Monarchie als Signatarmacht des Berliner Vertrages auf¬ grund des Artikels VHI, 3. Alinea, desselben berechtigt sei, von Bulgarien die Einräu- mung der unbedingten und zeitlich unbeschränkten Meistbegünstigung ohne Zugeste- hung der Reziprozität zu verlangen. Dies sei nach Auffassung der österreichischen Re¬ gierung die Rechtslage, an welcher (durch den seither stattgefundenen Abschluß von Handelsverträgen oder Konventionen seitens Bulgariens nichts geändert werde. Redner gibt der Ansicht Ausdruck, daß zwar die beiden genannten Staaten sich der Monarchie gegenüber ein illoyales Vorgehen haben zuschulden kommen lassen, daß aber jedenfalls dasVerschulden Bulgariens eben im Hinblick auf die erwähnteBestimmung des Berliner Vertrages ein größeres sei. Redner schlägt daher vor, die Verhandlungen mit Serbien ohneRücksicht aufden inRede stehenden Zwischenfall fortzusetzen,jenemit Bulgarien dagegen zu sistieren, bis man mit Serbien abgeschlossen haben werde. Der kgl. ung. Ackerbauminister Freiherr v. Feilitzsch schließt sich den Ausführungen des Vorredners vollkommen an, indem auch er der Ansicht Ausdruck leiht, daß von Bulgarien die Meistbegünstigung ohne Zugestehung der Reziprozität, außerdem aber auch noch jene Zugeständnisse verlangt werden sollten, welche seitens Bulgariens im Laufe der Handelsvertragsverhandlungen 6 Der österreichische Ministerrat beriet am 8.1.1906darüber, wie ersich in derFrage derserbisch-bulgarischen Zollunion verhalten sollte. Neue Freie Presse v. 9.1.1906 (M.). <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 505 gemacht worden seien. Was dagegen Serbien betrifft, so möchte Redner die Forderung aufstellen, daß mit diesem Staate die Verhandlungen erst dann wieder aufgenommen werden sollen, nachdem Serbien sich verpflichtet haben werde, die Zollunion mit Bulgarien fallenzulassen und dieselbe auch während der ganzen Dauer des Vertrages nicht wieder zu aktivieren. In Veterinärangelegenheiten werde man sich Serbien gegen¬ über auf den strengsten Standpunkt stellen und sich möglichst freie Hand wahren müssen. Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös reflektiert auf die Ausfüh¬ rungen des Vorredners, indem er bemerkt, daß man von Bulgarien aufgrund des Artikels VIII des Berliner Vertrages zwar die kompensationslose Einräumung der Meistbegünstigung, darüber hinaus aber wohl keine weiteren Zugeständnisse verlangen könne. Der Leiter des Ick. Handelsministeriums Graf Auersperg bemerkt, daß aus einem ihm vom Ministerium des Äußern mitgeteüten Berichte des k. u. k. diplomatischen Agenten in Sofia jüngsten Datums hervorgehe, daß Bulgarien sich noch immer nicht klar darüber geworden sei, daß es sich mit der Zollunion ins Unrecht gesetzt und gegen den mehrerwähnten Artikel des Berliner Vertrages versto¬ ßen habe.7 Der Vorsitzende gibt seiner Ansicht dahin Ausdruck, daß Serbien jedenfalls, bevor die Verhandlungen mit demselben wieder aufgenommen werden könnten, in vollkommen formeller und schriftlicher Weise werde erklären müssen, daß es von der Zollunion mit Bulgarien zurücktrete. Eine solche Erklärung müsse als conditio sine qua non für weitere Verhandlungen mit Serbien aufgesteüt werden. Was Bulgarien betrifft, so stehe das Recht der Monarchie, von diesem Staate aufgrund des Berliner Vertrages die bedingungslose Einräumung der Meistbegünstigung zu verlangen, außer jedem Zweifel, ungeachtet der Tendenz der bulgarischen Regierung, die betreffende Bestim¬ mung deshalb zu ignorieren, weü Bulgarien seither mit anderen Staaten Handelsverträ¬ ge abgeschlossen habe. Letzteres Argument sei jedoch keineswegs stichhaltig, wie aus dem Beispiele der Türkei hervorgehe, welcher gegenüber im Falle des Nichtzustande¬ kommens eines Handelsvertrages immer wieder der achtprozentige Wertzoll auflebe. Redner hoffe zwar, daß alle Signatarmächte des Berliner Vertrages dem ihnen durch denselben gewährleisteten Rechte der Meistbegünstigung Bulgarien gegenüber festhal- ten werden, doch sei er bei der diesfalls herrschenden laxen Auffassung keineswegs sicher, ob nicht die eine oder die andere Macht um irgendwelcher Sonderinteressen willen den Bulgaren Entgegenkommen zeigen und die auf die Geltendmachung des 3. Alineas des Artikels VIII des Berliner Vertrages gerichtete Aktion der Mächte nur sehr lau unterstützen werde, wodurch deren Wirkung natürlich sehr abgeschwächt werden würde. Redner werde jedenfalls unmittelbar nach der Konferenz an die anderen 7 Vgl. den Privatbriefdes Gesandten der Monarchie in Sofia Thum an Gotuchowski v. 2.1.1906, HHStA., PA XV, Karton 63: Nach dem Standpunkt der bulgarischen Regierung habe der zitierte Punkt des Berliner Vertrages wegen der seitdem geschlossenen neuen Verträge seine Gültigkeit verloren. Thum an Gotuchowski v. 21. 2.1906, ebd: Der Berliner Vertrag entspreche nicht mehr den Verhältnissen, die Monarchie könnte nach dem Beispiel der Franzosen den Emanzipationsbestrebungen der Bulgaren größeres Verständnis entgegenbringen. <pb/>506 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 Signatarmächte des Berliner Vertrages herantreten, um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, ob dieselben geneigt seien, sich Bulgarien gegenüber auf den Boden des Artikels Vin des genannten Vertrages zu stellen.8 Redner glaubt übrigens, daß die Monarchie durch die einfache Inanspruchnahme der Meistbegünstigung in Bulgarien nicht viel gewinnen würde, da der deutsch-bulgarische Vertrag ein schlechter sei und in demselben fast keine der für Österreich-Ungarn in Betracht kommenden Positionen gebunden erscheinen. Ob Bulgarien dazu zu bringen sein werde, ohne Zugestehung der Reziprozität der Monarchie noch über die Meistbegünstigung hinaus weitere Zuge¬ ständnisse zu machen, erscheine äußerst fraglich. Es würde daher wohl erwogen werden müssen, ob man sich mit der Meistbegünstigung in Bulgarien begnügen wolle, oder ob es nicht vorteilhafter wäre, Bulgarien gegenüber - selbstverständlich unter entspre¬ chender Wahrung des prinzipieüen Standpunktes - in dieser Beziehung Reziprozität zu üben und dafür noch andere Zugeständnisse zu fordern. Der Leiter des k.k. Handelsministeriums Graf Auersperg weist darauf hin, daß der bulgarische Zolltarif speziell gegen Österreich-Ungarn ge¬ richtet sei, und daß andere Mächte kein Interesse daran gehabt hätten, die für die Monarchie hauptsächlich in Frage kommenden Positionen in ihren Verträgen herab¬ zudrücken. Redner macht eine Reihe von für die Monarchie wichtigen Artikeln namhaft, welche durch den Eintritt der Meistbegünstigung ungünstig beeinflußt werden würden, und gelangt aufgrund dieser Angaben zu dem Schlüsse, daß man sich mit der bloßen Meistbegünstigung in Bulgarien nicht begnügen könne, sondern darüber hinaus noch andere Forderungen werde stellen müssen. Der kgl. ung. Ackerbauminister Freiherr v. Feilitzsch glaubt, daß Bulgarien auf die meisten der bei der Einfuhr aus der Monarchie haupt¬ sächlich in Betracht kommenden Artikel sehr stark angewiesen sei, während das Umgekehrte nicht der Fall sei. Die Monarchie würde daher wenig verlieren, wenn ihre Einfuhr nach Bulgarien lediglich aufgrund der Meistbegünstigung stattfinde und man mit Bulgarien erst nach Abschluß des Vertrages mit Serbien verhandeln würde. Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch gibt der Ansicht Ausdruck, daß man sich vor allem darüber klar sein müsse, ob der Artikel VTTT des Berliner Vertrages als ein Grundgesetz, also als etwas Dauerndes zu betrachten sei, oder ob die in dem dritten Alinea dieses Artikels enthaltene Bestimmung durch die seitens Bulgariens seither abgeschlossenen Handelskonvention abrogiert sei. Eine solche Novationstheorie würde dem Redner vom Standpunkte der Signatarmächte des Berliner Traktates absolut unzulässig erscheinen, und müsse er sich daher entschieden gegen deren Akzeptierung aussprechen. Der Vorsitzende glaubt demgegenüber hervorheben zu sollen, daß er keines¬ wegs geneigt sei, diese Novationstheorie als berechtigt anzuerkennen, und daß er - wie bereits gesagt - hoffe, daß sämtliche Signatarmächte des Berliner Vertrages an dem Die meisten Mächte erachteten den angeßhrten Punkt des Berliner Vertrages nicht mehr als gültig siehe GMR v. 2. 2.1906, GMCZ. 457, der britischeAußenminister Sir Edward Greypflichtete aber Goluchowski bei. JAnossy, Der handelspolitische Konflikt zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und Serbien in den Jahren 1904-1910 292. <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 507 ihnen aufgrund des Artikels Vm desselben gewährleisteten Rechte der Meistbegünsti¬ gung festhalten würden. Man dürfe aber leider die Möglichkeit keineswegs als ausge¬ schlossen betrachten, daß die eine oder andere der Mächte, im Falle sie irgendwelche Sonderrechte erlangen zu können glauben würde, sich auf einen anderen Standpunkt stellen werde, wozu der Umstand, daß der Berliner Vertrag heute nicht mehr integral bestehe und bereits mehrfach durchbrochen sei, immerhin eine willkommene Handha¬ be bieten könnte. Der Vorsitzende resümiert hierauf als Ergebnis der bisher in der Konferenz zum Ausdrucke gelangten Meinungen, daß die Verhandlungen mit Serbien erst wieder aufgenommen werden sollen, nachdem die serbische Regierung in verbindlicher Form erklärt haben werde, daß sie den Zollunionsvertrag mit Bulgarien nicht der Skupschti- na9 vorlegen werde, daß mit Bulgarien die Verhandlungen nicht früher fortgesetzt werden sollen, bevor man nicht mit Serbien zum Abschlüsse gelangt sei und daß vom 14. Jänner an von Bulgarien aufgrund des Artikels VÜI des Berliner Vertrages die Meistbegünstigung in Anspruch genommen werden solle. Es erbittet sich hierauf der k.u. k. H of- und Ministerialrat v. Miha- 1 o v i c h das Wort, um daraufhinzuweisen, daß die Verhandlungen mit Bulgarien viel schwerer sein werden, nachdem der Abschluß des Vertrages mit Serbien bereits erfolgt sein werde, da Bulgarien hinsichtlich des Tarifes ungefähr dieselben Forderungen stelle wie Serbien. Wenn also die Verhandlungen mit Bulgarien erst dann zu finalisieren sein würden, wenn man mit Serbien fertig sei und die Absicht bestehe, auch mit dem Fürstentume einen Handelsvertrag abzuschließen, so würden letzterem Staate auf¬ grund der allgemeinen Meistbegünstigung alle Serbien bereits eingerätunten Konzes¬ sionen von selbst in den Schoß fallen, und läge für Bulgarien kein Anlaß vor, diese Begünstigungen durch entsprechende Gegenzugeständnisse in seinem eigenen Tarife zu erkaufen. Anders würde es sich verhalten, wenn es möglich wäre, die an Serbien und an Rußland gemachten Zugeständnisse bis zum Perfektwerden des Vertrages mit Bulgarien geheimzuhalten. Derselbe Nachteü werde sich übrigens auch für die Ver¬ handlungen mit Rumänien ergeben. Die Geheimhaltung der abgeschlossenen Verträge sei jedoch mit Rücksicht auf die Kürze der bis zur notwendigen Publikation derselben noch erübrigenden Zeit kaum möglich. Auch stehe zu befürchten, daß Bulgarien, falls es von den hinsichtlich des Viehver¬ kehres Serbien gemachten Zugeständnissen Kenntnis erlangt, die gleiche Behandlung des bulgarischen Viehes fordern wird. Der Leiter des k.k. Handelsministeriums Graf Auersperg bemerkt, daß nach den von dem Vorsitzenden mitgeteüten Erklärungen der Vertreter der serbischen Regierung wohl angenommen werden könne, daß dieselbe den Zolluni¬ onsvertrag fallen lassen werde, und daß es nunmehr hauptsächlich darauf ankommen werde, Sicherheit dafür zu erlangen, daß Bulgarien den Berliner Vertrag in handelspo¬ litischer Beziehung einhalte, und daß man in Hinkunft vor ähnlichen Überraschungen seitens dieses Staates gesichert sei. 9 Das serbische Parlament. <pb/>508 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 Der Vorsitzende reflektiert auf diese Äußerung des Vorredners, indem er bemerkt, daß man Serbien und Bulgarien nicht so sehr den Abschluß einer Zollunion vorwerfen könne, als vielmehr die Tatsache, daß diese beiden Staaten einen Vertrag zum Zwecke der Umgehung des Meistbegünstigungsrechtes abgeschlossen und so eine andere Basis geschaffen hätten, als jene, aufgrund welcher bisher mit ihnen verhandelt worden sei. Der einzig richtige Standpunkt diesem Vorgehen gegenüber sei derjenige, welchen die deutsche Regierung diesfalls eingenommen habe und welcher in der Inanspruchnahme der Meistbegünstigung in Bulgarien aufgrund des mit diesem Lande abgeschlossenen Vertrages bestehe. Redner sei, wie bereits wiederholt bemerkt, bereit, sich gleichfalls auf diesen Standpunkt zu stellen, wobei er sich jedoch nicht verhehlen könne, daß der Monarchie, falls in dieser Frage nicht alle Mächte Hand in Hand gehen sollten, nur wenige Mittel zu Gebote stehen würden, um Bulgarien, im Fall es die Anerkennung des mehrerwähnten Artikels des Berliner Vertrages verweigern sollte, zur Einräumung der Meistbegünstigung zu zwingen. Der Vorsitzende möchte weiters die Aufmerksamkeit der Konferenzteünehmer auf die Frage d^s Viehverkehres mit den Balkanländem überhaupt lenken, welche in dem Augenblicke akut werden würde, wo mit Serbien ein Übereinkommen zustande kommen würde, aufgrund dessen diesem Staate die Vieheinfuhr nach der Monarchie unter gewissen Kautelen eingeräumt werden würde. In diesem Falle würde die Lage der Monarchie gegenüber Bulgarien und namentlich gegenüber Rumänien äußerst schwierig werden, da man füglich diesen beiden Ländern gegenüber nicht würde behaupten können, daß ihre Veterinäreinrichtungen weniger gut seien als jene Serbiens. Es würden sich aus der absoluten Verweigerung des Zugeständnisses der Vieheinfuhr aus diesen beiden Ländern voraussichtlich die schwerwiegendsten Konsequenzen ergeben, die eventuell bis zum Zollkriege mit denselben führen könnten. Redner erixmert in dieser Beziehung an den seinerzeitigen Zollkrieg mit Rumänien,10 dessen so schädliche Wirkungen er damals als Gesandter in Bukarest aus nächster Nähe habe wahrnehmen können. Ähnliches könne sich jetzt wiederholen, nur mit dem Unterschie¬ de, daß der nachher geschlossene Meistbegünstigungsvertrag mit Rumänien wegen der Bindung der Zölle vieler wichtiger österreichischer oder ungarischer Importartikel im deutschen Vertrage, was heute nicht mehr der Fall ist, für die Monarchie relativ sehr vorteilhaft gewesen sei. Der k.k. Minister des Inneren GrafBylandt-Rheidt führt aus, daß in betreff der Regelung der Handelsbeziehungen zu Bulgarien drei Eventualitäten gegeben seien. Entweder nämlich gelinge es infolge einmütigen Bestehens der Mächte auf dem Artikel VHI des Berliner Vertrages, Bulgarien zur kompensationslosen Ein¬ räumung zu bestimmen, oder es erweise sich als unmöglich, Bulgarien hiezu zu zwingen, in welchem Falle dann ein Handelsvertragsprovisorium mit dem Fürstentume aufgrund der gegenseitigen Zugestehung der Meistbegünstigung abgeschlossen werden müßte. Oder endlich man entscheide sich für den gänzlichen Abbruch der Handelsbeziehun¬ gen mit Bulgarien, für welch letztere Eventualität Redner sich aussprechen möchte, da die Handelsinteressen mit dem Fürstentume keine sehr bedeutenden seien. 10 Der Zollkrieg mit Rumänien: 1886 -1891. <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 509 Der Vorsitzende erklärt sich sehr entschieden gegen diese von dem Vorred¬ ner befürwortete Alternative, für deren Konsequenzen er die Verantwortung nicht übernehmen könnte, sondern dieselbe der Konferenz überlassen müsse, da ein Zoll¬ krieg mit einem so nahe liegenden Staate auch vom politischen Standpunkte sehr nachteüig wäre. Aber auch vom wirtschaftlichen Standpunkte sei ein Zollkrieg stets von dauernd schädlicher Nachwirkung, da andere denselben zu benützen pflegen, um Positionen zu erobern, welche später nicht leicht mehr zurückgewonnen werden können. Nach Überzeugung des Redners sei es nicht möglich, Serbien, wofeme man es nicht auf einen Zollkrieg mit Bulgarien und Rumänien ankommen lassen wolle, Zuge¬ ständnisse in betreff des Viehverkehres zu machen, wenn man nicht dieselben Konzes¬ sionen auch den beiden vorgenannten Staaten zu gewähren sich entschließen wolle. Übrigens komme es, was den Viehverkehr speziell mit Bulgarien betrifft, weit weniger darauf an, was für Zugeständnisse man machen, als wie man diese Zugeständnisse gewähren würde. Es werden nämlich nach den Andeutungen, welche der bulgarische Ministerpräsident in dieser Beziehung dem k. u. k. Vertreter in Sofia gemacht habe, gewiß möglich sein, solche Kautelen zu schaffen, daß die betreffende Konzession nur insoweit in Wirksamkeit trete, als durch dieselbe die eigenen Handelsbeziehungen zu dritten Staaten nicht ungünstig beeinflußt werden.11 Redner müsse sich übrigens, da diese Frage in der heutigen Konferenz kaum einer Lösung zugeführt werden könnte, Vorbehalten, dieselbe in einer eigens zu diesem Zwecke einzuberufenden Konferenz zur Erörterung zu stellen. Der kgl. ung. Ackerbauminister Freiherr v. Feilitzsch spricht sich für ein energisches Vorgehen gegenüber Bulgarien aus, was in Ungarn sowie gewiß auch in Österreich vom politischen Standpunkte einen günstigen Eindruck hervorrufen würde, da man daraus ersehen würde, daß die Regierungen sich der wirtschaftlichen Interessen des Landes nachdrücklich annehmen. Redner glaubt nicht, daß die politischen Beziehungen der Monarchie zu Bulgarien oder Rumänien durch eine ablehnende Haltung in der Frage des Viehverkehres ungünstig beeinflußt werden würden, oder daß es dieserhalb zu einem Zollkriege kommen müßte, da diese Staaten zu sehr in wirtschaftlicher Beziehung auf die Monarchie angewiesen seien und, was speziell Rumänien betrifft, die handelspolitische Reziprozität noch keineswegs herge¬ stellt sei, in welcher Beziehung Redner beispielsweise auf den Artikel ,,Holz" verweist, welcher nach der Monarchie zollfrei eingeführt werden könne, während derselbe bei der Einfuhr nach Rumänien einem dicht unbedeutenden Zolle unterliege. Die Konferenz beschließt hierauf auf Antrag desk.k. Ministerpräsiden¬ ten Freiherrn v. Gautsch, daß der bulgarischen Regierung durch den k. u. k. Vertreter in Sofia erklärt werden soll, daß die Monarchie vom 14. Jänner angefangen bis auf weiteres für ihre Einfuhr nach Bulgarien die Meistbegünstigung aufgrund des Artikels VDI des Berliner Vertrages in Anspruch nehme. Sollte sich daraufhin die bulgarische Regierung nach der Behandlung erkundigen, welcher bulga¬ rische Provenienzen bei der Einfuhr nach der Monarchie unterliegen werden, so wäre derselben die Antwort zu erteüen, daß man diesfalls österreichisch-ungarischerseits, 11 Thum an Gotuchowski v. 1.1.1906 (Telegramm), HHStA., AR., F. 37, Karton 43, Bulgarien. <pb/>510 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10.1.1906 ohne hiezu irgendwie verpflichtet zu sein, die bisherige Behandlung eintreten lassen werde. Weiters wäre zu erklären, daß vorläufig mit Bulgarien nicht weiter verhandelt werde, und daß man sich Vorbehalte, den Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Verhandlungen der bulgarischen Regierung bekanntzugeben. Der Vorsitzende bringt hieraufdie Frage der Ratifikation des Handelsvertra¬ ges mit dem Deutschen Reiche mit der Bemerkung zur Sprache, daß die deutsche Re¬ gierung auf die Vornahme derselben in einem nicht allzufemen Zeitpunkte dringe. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y würde es verfrüht finden, diese Frage bereits jetzt, wo wenigstens im Prinzipe die Möglichkeit einer parlamentarischen Erledigung des Vertrages noch nicht ausgeschlos¬ sen sei, aufzuwerfen,12 da durch die Vornahme der Ratifikation im gegenwärtigen Zeitpunkte der Opposition für die nächsten sechs Wochen ein neues Agitationsmittel gegen die ohnehin in schwieriger Lage sich befindende Regierung in die Hand gegeben werden würde, was jedenfalls vermieden werden müsse. Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch führt aus, daß die österreichische Regierung auf die ehebaldige Vornahme der Ratifücation den allergrößten Wert legen müsse, und bezeichnet den 20. Februar als den alleräußersten Termin für die Hinausgabe der Instruktionen an die Zollämter, da dies nicht vor der Vornahme der Ratifikation erfolgen könne. Auch sei die möglichst baldige Ratifikation des Vertrages vom Standpunkte der Schweineausfuhr nach Deutschland beziehungs¬ weise im Interesse des rechtzeitigen Beginnes der Ausnützung des für die Einfuhr vertragsmäßig zugestandenen Schweinekontingentes dringend erwünscht. Der Staatssekretär im kgl. ung. Finanzministerium Popo- v i c s hebt hervor, daß die kgl. ung. Regierung Wert darauf legen müsse, daß die Ratifikation so spätals nur irgend möglich, d. h. erst zu einem Zeitpunkte vorgenommen werde, in welchem jede Möglichkeit, den Vertrag noch parlamentarisch zu erledigen, absolut ausgeschlossen sei, da sie nur in diesem Falle in der Lage sein werde, ihr in dieser Beziehung positiv ungesetzliches Vorgehen durch den Hinweis auf eine zwingen¬ de Notwendigkeit zu rechtfertigen. Anknüpfend hieran wünscht der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerväry aufgrund von ihm bei früheren Anlässen gemachten Äußerungen zu konstatieren, daß nach Ansicht der ungarischen Regierung die Vor¬ nahme der Ratifikation vorbehaltlich der nachträglichen verfassungsmäßigen Behand¬ lung des Vertrages durch das ungarische Parlament zu erfolgen haben werde. Die Konferenz beschließt hierauf auf Antrag des Vorsitzenden, daß der k. u. k. Botschafter in Berlin ermächtigt werden solle, der deutschen Regierung zu eröffnen, daß der Vertrag jedenfalls rechtzeitig werde ratifiziert werden, und auf eine etwaige Anfrage nach dem Zeitpunkte der Ratifikation vertraulich zu erklären, daß dieselbe spätestens am 20. Februar erfolgen werde. Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch bringt hierauf noch die Angelegenheit der Eisenbahnverbindung mit Dalmatien kurz zur Sprache,13 12 Siehe Anm. 1. 13 Siehe GMRProt. v. 25.11.1905, GMCZ. 453. <pb/>Nr. 67 GemeinsamerMinisterrat, Wien, 16.1.1906 511 indem er an den kgl. ung. Handelsminister das Ersuchen richtet, die diesfällige Note des k. k. Eisenbahnministeriums vom November 1903 baldigst beantworten zu wollen,14 was von seiten des kgl. ung. Handelsministers v. Vorös in sichere Aussicht gestellt wird. Weiters stellt Redner die dringende Anfrage an den kgl. ung. Ministerpräsidenten, ob die kgl. ung. Regierung nicht etwa doch Mittel und Wege finden könnte, um den quotenmäßig auf Ungarn entfallenden Beitrag zu den bereits fälligen Raten der außer¬ ordentlichen Militärkredite zu leisten, welche Frage jedoch seitens des kgl. ung. Ministerpräsidenten FZM. Freiherrn v. Fejerväry mit dem Ausdrucke des Bedauerns sowie mit der Bemerkung verneint wird, daß die kgl. ung. Regierung über die quotenmäßigen Beiträge für die Refundierungspost von 27 Millio¬ nen keine Zahlungen für außerordentliche Heeres- und Marinezwecke zu leisten imstande sei. Hierauf schließt der Vorsitzende die Sitzung. Goluchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 7. Februar 1906. Franz Joseph. Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. Jänner 1906 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch (22.1.), der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejdrväry, der k. k. Minister des Inneren Graf Byiandt-Rheidt, der k. k. Ackerbauminister Graf Buquoy, der k. k. Finanzminister Kosel, der kgl. ung. Handelsmihister v. Vörös, der kgl. ung. Acker¬ bauminister Freiherr v. Feilitzsch, der Leiter des k. k. Handelsministeriums Sektionschef Graf Auersperg, der Staatssekretär im kgl. ung. Finanzministerium Popovics, der Hof- und Ministerialrat v. Mihalovich. Protokollführer Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Stellungnahme der Monarchie gegenüber Serbien und Bulgarien in wirtschaftlicher Bezie¬ hung. Redigierung eines Kommuniques zur Zurückweisung von Angriffen der ,,Neuen Freien Presse" auf die Leitung des Auswärtigen Amtes wegen dessen angeblich schwankender Haltung gegenüber Serbien. KZ. 7 - GMCZ. 456 Protokoll des zu Wien am 16. Jänner 1906 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Goluchowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er die Anwe¬ senden zur heutigen Konferenz eingeladen habe, um über jene Maßnahmen Beschluß zu fassen, welche durch die seit der letzten gemeinsamen Ministerkonferenz1 geänderte Haltung der serbischen Regierung in Angelegenheit des serbisch-bulgarischen Unions¬ vertrages sowie im Hinblick auf die durch den Ablauf der Handelskonvention mit Bulgarien geschaffene Lage zu ergreifen sein werden. Während nämlich die serbische 14 Ebd., Anm. 4. 1 GMRProt v. 10.1.1906, GMCZ. 455. <pb/>