Gemeinsamer Ministerrat, 16. 10. 1905
I. Aussprache über einen Punkt des wirtschaftlichen Programmes der kgl. ung. Regierung beziehungsweise deren Stellung dem Ausgleiche, dem gemeinsamen Zolltarife und den Handelsverträgen gegenüber
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z62.pdf.
Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 461 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16. Oktober 1905 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch, der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerväry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Burian, der k. k. Finanzminister Kosel, der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös, der Leiter des k. k. Handelsministeriums Sektionschef Graf Auersperg, der Staatssekretär im kgl. ung. Finanzministerium Popovics. Protokollführer. Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Aussprache über einen Punkt des wirtschaftlichen Programmes der kgl. ung. Regierung beziehungsweise deren Stellung dem Ausgleiche, dem gemeinsamen Zolltarife und den Handelsverträgen gegenüber. KZ. 51 - GMCZ. 451 Protokoll des zu Wien am 16. Oktober 1905 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er auf Befehl Sr. Majestät die Anwesenden zu einer gemeinsamen Besprechung eingeladen habe, damit den beiden Ministerpräsidenten Gelegenheit geboten werde, sich über einen Punkt des Programmes der kgl. ung. Regierung auszusprechen, welcher sowohl das wirtschaftliche Verhältnis Ungarns zu Österreich als auch deren gemeinsames Verhält¬ nis mit Beziehung zum Auslande betrifft.1 Es seien hiebei drei Punkte in Betracht zu ziehen und zwar: 1. die Durchführung des Szell-Koerberschen Ausgleiches,2 2. die Behandlung des gemeinsamen Zolltarifes, 3. die Inkraftsetzung der mit dem Auslande abgeschlossenen oder noch abzuschließenden Handelsverträge. 1 Zum Wirtschaftsprogramm der ungarischen Regierung siehe auch GMR v. 22.8.1905, GMCZ 450. 2 Die Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs war seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts auf ernsthafte Hindernisse gestoßen. Im Gesetz v. 21. 9.1899, GA. XXX/1899, wurde folgendes festgelegt: Da aufGrundlage des Gesetzartikels XII/1867, § 61 zwischen Ungarn und Österreich kein Zoll- und Handels¬ vertrag zustande gekommen ist, ergibt sich für die Länder der ungarischen Krone der Rechtszustand des autonomen Zollgebietes. Aufgrund des Rechts, selbständig Maßnahmen zu ergreifen, hält Ungarn den mit Österreich vereinbarten Zoll- und Handelsvertrag bis 1907 unter der Bedingung aufrecht, daß auch Öster¬ reich die gegenwärtigen Bedingungen weiter bestehen läßt. Da die wichtigsten Handelsverträge 1904 auslau- fen, verfügt der Gesetzartikel, daß die Regierung spätestens 1901 Verhandlungen über die Schaffung eines neuen Zoll- und Handelsvereins aufnehmen soll. Kommt bis 1903keine Vereinbarung zustande, so können internationale Verträgefür die Zeit nach 1907nichtgeschlossen werden. VorBeginn der Verhandlungen mit demAusland ist ein neuer Zolltarifeinzuführen. Vgl. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 8 419-423; Hanäk, Magyarorszäg törtdnete 1890-1918, Bd. 1229 und 520.1901 wurden die Verhand¬ lungen über die Erneuerung des österreichisch-ungarischen Zollvereins und über die Schaffung neuer österreichisch-ungarischer Zolltarife aufgenommen. Am 31.1Z 1902 kam die neue Vereinbarung der sog. Szlll-Koerber-Ausgleich, zustande. DieserAusgleich sah den Fortbestand des gemeinsamen Zollgebietes vor (wenngleich in Ungarn wie auch in Österreich beachtliche Gruppen ßr die Schaffung von selbständigen Zollgebieten Ungarns bzw. Österreichs eintraten) und erhöhte auch die Industrie- undAgrarzölle erheblich. Zur Billigung des Ausgleichs durch die Parlamente kam es aber in keinem der beiden Länder. Siehe GMRProt v. 2Z 8.1905, GMCZ. 450, Anm. 7. <pb/>468 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y ergreift hieraufdasWort, um daraufhinzuweisen, daß er bereits in der Lage gewesen sei, in betreff der von dem Vorsitzenden angeführten Fragen sukzessive zwei Elaborate vorzulegen, welche jedoch beide seitens der österreichischen Regierung nicht als diskutabel befunden worden seien, was Redner ja selbst vom österreichischen Stand¬ punkte nicht unbegreiflich finden könne.3 Andererseits dürfe aber die äußerst schwie¬ rige Situation nicht außer acht gelassen werden, der die Möglichkeit nicht gegeben sei, dem durch die Agitation der Opposition aufgewühlten Lande Konzessionen auf mili¬ tärischem Gebiete in Aussicht zu stellen, und welche daher in die Notwendigkeit versetzt sei, nach Konzessionen Umschau zu halten, welche der öffentlichen Meinung in Ungarn auf anderem Gebiete eine Befriedigung zu verschaffen geeignet wären. Redner stellt daher das Ersuchen, das auf die Regelung der in Rede stehenden Fragen bezügliche Elaborat der kgl. ung. Regierung, welches er den kgl. ung. Handelsminister vorzulesen bittet, in ernste Erwägung zu ziehen und der Annahme desselben keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Bevor noch in die weitere Diskussion des Beratungsgegenstandes eingetreten wird, stellt Redner das Verlangen, daß gar nichts von dem, was in der heutigen Konferenz verhandelt werde, in der Öffentlichkeit verlauten dürfe, da dies eventuell die Stellung der ungarischen Regierung a priori ganz unhaltbar machen würde, weshalb dieselbe, im Falle dennoch etwas transpirieren soUte, sich Vorbehalten müßte, allen bezüglichen Meldungen ein kategorisches Dementi entgegenzusetzen. Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös kommt der an ihn gerichte¬ ten Aufforderung des kgl. ung. Ministerpräsidenten nach, wobei derselbe der Hoffnung Ausdruck leiht, daß es vielleicht doch möglich sein werde, über die in dem betreffenden Memorandum enthaltenen Propositionen der kgl. ung. Regierung eine Einigung her¬ beizuführen. Der kgl. ung. Handelsminister bringt sodann den ersten Teü des Memorandums zur Vorlesung, welcher folgendermaßen lautet: ,,Nach der Überzeugung der ungarischen Regierung steht die Zollgemeinschaft, ehrlich und beiderseitig wohlwollend durchge¬ führt, im wirtschaftlichen Interesse beider Staaten der Monarchie. Trotzdem aber nahm die Strömung des selbständigen Zollgebietes schon seit Jahren solche Dimensionen an, daß nicht nur die früheren oppositionellen Parteien, welche derzeit die koalierte Majorität des Abgeordnetenhauses bilden, sondern auch der überwiegende Teil der liberalen Partei auf dem Standpunkte des selbständigen Zollgebietes steht. Hiedurch ist die Zollgemeinschaft ernstlich bedroht, und nachdem in den breitesten Schichten der Bevölkerung die Frage des selbständigen Zollgebietes als unbedingte politische Forderung aufgestellt wurde, und die ungarische Regierung als Anhängerin der Zoll¬ gemeinschaft diese ernst bedroht sehe, suchte dieselbe nach einer Lösung, welche zwar nicht das bisherige gemeinsame Zollgebiet wäre, jedoch die Zollgemeinschaft in einer anderen Form beibehält, indem selbe eine Zollunion schafft. 3 Entwurfder ungarischen Regierung Promemoria betreffend die Regelung des wirtschaftlichen Verhält¬ nisses zwischen Österreich und Ungarn, HHStA., PA. XL, Karton 304, fol. 234-241 (als Beilage dieses Protokolls). <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 469 Diese Lösung ist auf das Ausgleichgesetz vom Jahre 1867 basiert und in Einklang gebracht mit dem XXX. Gesetzartikel vom Jahre 1899, laut welchem Ungarn schon derzeit auf der Rechtsbasis des selbständigen Zollgebietes steht.4 Diese Lösung hält - mit Ausnahme der einer Verzehrungssteuer unterworfenen Artikel - den freien Verkehr zwischen beiden Staaten der Monarchie aufrecht. Demgemäß tritt keinerlei Veränderung in dem wirtschaftlichen Verhältnisse der beiden Staaten der Monarchie ein. Trotzdem aber wäre der Wunsch der überwiegenden Majorität des Parlamentes insofern doch erfüllt, daß das Land in den wirklichen Zustand des selbständigen Zollgebietes käme, und eben hierin erblickte die Regierung diese Lösung als sehr geeignet, indem es einerseits an dem wirtschaftlichen Verhältnisse nichts ändert, ande¬ rerseits aber geeignet ist, im Lande größere politische Bedeutung zu haben und aus den politischen Agitationen eine überaus populäre Frage auszuschalten. Für diese Auffas¬ sung der Regierung war bei Annahme dieses Standpunktes noch von besonderer Bedeutung, daß der Entwurf die Machtstellung der Monarchie dem Auslande gegen¬ über nicht in der geringsten Weise berührt, nachdem die Verträge mit den auswärtigen Staaten auch künftighin in derselben Weise zu schließen wären wie bisher, mit der Abweichung jedoch, daß die Verträge im Namen Sr. Majestät, jedoch nicht für Öster¬ reich-Ungarn, sondern für Österreich und Ungarn geschlossen würden. Diese Benen¬ nung dürfte die MachtsteUung der Monarchie oder deren Erscheinen dem Auslande gegenüber nicht beeinflußen, nachdem der hier in erster Reihe in Betracht kommende diplomatische und Konsulardienst unverändert bleibt. Eine wesentliche Änderung würde - auf Antrag des Finanzministeriums - in der Behandlung der einer Verzehrungssteuer unterliegenden Artikel eintreten. Bei diesen besteht derzeit das Überweisungsverfahren, und künftighin sollten für diese an der Grenze der beiden Staaten die Zollschranken aufgestellt werden. Die Errichtung der Zollschranken würde - nach Berechnung des Finanzministeriums - insgesamt mit jährlich beiläufig anderthalb bis zwei Millionen Kronen das Staatsbudget belasten, hiebei ist die Errichtung der Zollschranken kein unbedingtes Erfordernis der beantrag¬ ten Lösung, und ist der Entwurf auch so abgefaßt, daß diese Zollschranken aufgestellt werden können, aber nicht müssen. Sollten sie aufgestellt werden, würde es politisch eine besondere Wirkung haben, zumal das Land das selbständige Zollgebiet in den Zollschranken erblickt. Begegnet dies aber - wie aus den Mitteüungen des österreichi¬ schen Ministerpräsidenten hervorgeht - besonderen Schwierigkeiten und Bedenken, könnte dies eventuell ganz fallengelassen werden, und dies umso leichter, als es keinen integrierenden Teil der beantragten Lösung bildet. Was diese Lösung selbst im Prinzipe anbelangt, wäre zu erwähnen, daß auf vertrau¬ lich privatem Wege diesbezüglich Fühlung genommen wurde mit den hervorragendsten Anhängern der Zollgemeinschaft in Ungarn, den wirklichen Geheimen Räten Wekerle und Matlekovits,5 und beide pflichten dieser Lösung umso mehr bei, als auch nach ihrer 4 Siehe Anm. 2. 5 Sdndor Wekerle (1848 -1921), liberaler Politiker, anerkannter Finanzfachmann, ab 1889 Finanzminister, 1892-1895 Ministerpräsident. Sändor Matlekovits (1842-1925), Wirtschaftswissenschaftler, 1880-1889 Staatssekretärfür Landwirtschaft, Industrie und Handel. <pb/>470 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 Ansicht hiedurch es ermöglicht wäre, dieses Verhältnis auch nach dem Jahre 1917 beizubehalten. Wenn Österreich - nach wie vor - während dieser Zeit seine Landwirt¬ schaft fördert, Ungarn hingegen eine größer angelegte Industrieförderung betreibt, und beide Staaten beweisen werden, daß ihre wirtschaftlichen Verhältnisse auf dieser Basis gesichert sind und gesichert werden können, wird es nach dem Jahre 1917 sehr leicht sein, diesen Vertrag zu verlängern, und somit stellt sich diese Lösung als sehr geeignet dar, das wirtschaftliche Verhältnis der beiden Staaten auf längere Zeit zu sichern, während dies bei der Beibehaltung des derzeitigen Zoll- und Handelsbündnisses als fast ausgeschlossen zu betrachten ist. Während daher die unveränderte Annahme des derzeitigen Zoll- und Handelsbündnisses nur eine momentane Lösung bedeutet und den Agitationsstoff auch weiterhin unbeschadet läßt, stellt der seitens der ungarischen Regierung gestellte Antrag ein permanentes Verhältnis in Aussicht und entfernt aus der politischen Agitation einen sehr populären Punkt. Die koalierten Parteien würden zwar voraussichtlich auch diese Lösung nicht akzeptieren, doch die überwiegende Majorität der Wähler, welche aus Agrariern besteht, wird für diese Lösung leicht zu gewinnen sein." Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch bemerkt nach Anhörung der im Vorstehenden wiedergegebenen Darlegungen, daß das zweite Ela¬ borat der kgl. ung. Regierung ihm bereits im privaten Wege mitgeteilt worden sei, und daß dasselbe den Gegenstand einer gemeinsamen Besprechung unter den österreichi¬ schen Ministem gebüdet habe, aufgrund deren dasselbe jedoch in seiner Gänze als indiskutabel erklärt worden sei.® Redner wolle nunmehr den soeben vernommenen ungarischen Propositionen gegenüber in Kürze den österreichischen Standpunkt fol¬ gendermaßen präzisieren: Die österreichische Regierung habe mit der ungarischen Regierung die bekannten Vereinbarungen - den Szell-Koerberschen Ausgleich - getroffen. Diese Abmachungen seien von der österreichischen Regierung dem Parlamente unterbreitet und zum Teile auch schon im Wege von § 14-Verordnungen in Kraft gesetzt worden.7 Nachfolgende ungarische Regierungen haben diese Abmachungen anerkannt, wie auch Redner selbst bei Antritt der Ministerpräsidentschaft die Verpflichtung zur Durchführung derselben übernommen habe. Die österreichische Regierung stehe auf dem Standpunkte der loyalen Durchführung der gedachten Abmachungen. Wie diese Durchführung in Öster¬ reich zu bewerkstelligen sein werde, sei eine interne österreichische Angelegenheit, doch könne Redner jedenfalls soviel versichern, daß die österreichische Regierung in dieser Beziehung unter allen Umständen ihr Wort honorieren werde. Dieser Stand- 6 Der österreichische Ministerrat beriet dem Kabinettskanzlei-Index zufolge (die Protokolle selbst sind abhan¬ den gekommen) am 10. 10. 1905 und am 14. 10. 1905 die Regelung des wirtschaftüchen Verhältnisses zwischen beiden Ländern. 7 Die österreichischeReg)erunglegte am 16.1.1903demReichsratdasAusgleichsabkommenvor. Verfassungs¬ mäßigkonnte es aber nicht durchgesetzt werden, deswegen blieb im wesentlichen die Vereinbarung von 1899 nach wie vor in Kraft. Einzig und allein der Zolltarif wurde später Gesetz. Die neuen Handels- und Zollverträge mit Italien, dem Deutschen Reich, Rußland, Belgien und der Schweiz wurden auf Grundlage desEntwurfes von 1903geschlossen. SieheAnm. 2; Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 8 548; Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 574-575. <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 471 punkt der österreichischen Regierung schließe übrigens nicht aus, daß Redner sich den dritten Programmpunkt Sr. Majestät zu eigen gemacht habe, und er bereit sei, pro futuro zu einer Revision, und zwar zu einer unbegrenzten Revision der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten der Monarchie die Hand zu bieten. Pro praesente müsse Redner jedoch verlangen, daß die ungarische Regierung auch ihrer¬ seits die mehrerwähnten Abmachungen unverändert anerkenne und durchführe. Auf das Elaborat der ungarischen Regierung zurückkommend, konstatiert Redner mit Befriedigung, daß in demselben wenigstens die Errichtung von Zollschranken für verzehrungssteuerpflichtige Gegenstände nicht mehr als ein unbedingtes ungarischen Postulat angeführt erscheine. Redner müsse nämlich darauf bestehen, daß die Handels¬ verträge mit den fremden Staaten, so wie sie abgeschlossen worden seien - und sie seien auf Basis des gemeinsamen Zollgebietes ohne Zwischenzollinien abgeschlossen worden - perfektioniert werden, da er unmöglich zustimmen könnte, daß an die fremden Regierungen mit dem Ersuchen herangetreten werde, die Verträge auf einer anderen Basis oder in einer anderen Form als der ursprünglichen abzuschließen. Dies würde, um nur von den Wirkungen im Inlande zu reden, zur Folge haben, daß der Vertrag mit Deutschland neuerdings dem österreichischen Parlamente vorgelegt werden müßte, und es würde dann sehr fraglich sein, ob dessen nochmalige Annahme durchzusetzen sein würde, zumal in demselben eben infolge der Berücksichtigung der ungarischen Interessen Bestimmungen enthalten seien, welche die österreichischen Interessen schwer schädigen. Redner müsse daher an die kgl. ung. Regierung die bestimmte Frage richten, ob sie die Handelsverträge in der bisherigen Form und auf der bisherigen Basis perfektionie¬ ren wolle, und ob sie geneigt sei, sich für die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Zollgebietes während der Laufzeit der Handelsverträge sowie für die Durchführung des gemeinsamen Zolltarifes, wie derselbe von den beiden Regierüngen vereinbart und vom österreichischen Parlamente bereits angenommen worden sei, einzusetzen.8 Redner reflektiert schließlich noch auf die Bemerkung des kgl. ung. Ministerpräsi¬ denten über die Notwendigkeit der Geheimhaltung der heutigen Beratung, indem er die bestimmte Versicherung erteüt, daß hierüber durch die österreichische Regierung gewiß keinerlei Mitteüung in die Öffentlichkeit gelangen werde. Gleichzeitig glaubt Redner jedoch nicht unerwähnt lassen zu können, daß das heutige Abendblatt der ,,Neuen Freien Presse" bereits Angaben enthält, welche auf den Gegenstand der Beratung der heutigen Konferenz Bezug haben.9 Der kgl. ung. Staatssekretär Popovics glaubt darauf aufmerksam machen zu sollen, daß die Ausführungen des kgl. ung. Handelsministers beziehungs¬ weise des von demselben verlesenen Memorandums, welche sich auf die Zwischenzoll- 8 Zum Handelsvertrag mit dem Deutschen Reich siehe GMR v. 72 1.1905, GMCZ. 449. 9 Neue Freie Presse v. 16.10.1905 (A.). Die offizielle Regierungserklärung erschien am folgenden Tag in derMorgenausgabe der Neuen Freien Presse:... die Frage der Handelsverträge [wird] einer eingehenden Besprechung unterzogen. Darüber hinaus ist die kurze Nachrichtzu lesen, daß nach dem gemeinsamen Ministerrat Gotuchowski nach Schönbrunn fuhr, um über die Ergebnisse der Verhandlungen den Kaiser zu informieren, Neue Freie Presse v. 17.10.1905 (M.). <pb/>472 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 linie für verzehrungssteuerpflichtige Gegenstände beziehen, seitens des k. k. Minister¬ präsidenten nicht ganz richtig verstanden worden seien. Es handle sich nämlich nicht, wie der Vorredner anzunehmen scheine, um das Fallenlassen des Gedankens der Einhebung eines Zwischenzolles auf der Verzehrungssteuer unterworfene Konsumar¬ tikel, sondern lediglich um die Ausfindigmachung einer Modalität, wie bei Vermeidung der Errichtung von Zollschranken eine Modifikation des gegenwärtig hinsichtlich der Verzehrungssteuer bestehenden Regimes durchgeführt werden könnte, was sich nach Ansicht des Redners durch eine entsprechende Ausgestaltung des Überweisungsver¬ fahrens bewerkstelligen lassen würde. Der Vorsitzende wünscht sich zum Beratungsgegenstande speziell vom Standpunkte der mit dem Auslande abgeschlossenen Verträge zu äußern, indem er nachdrücklich betont, daß mit der Tatsache des Abschlusses des Vertrages mit dem Deutschen Reiche ein fixer Pol gegeben sei. Der Vertrag sei vom österreichischen Parlamente bereits angenommen und auch vom deutschen Reichstage votiert worden. Mit Rücksicht auf letzteren Umstand könnte jede Änderung, welche, sei es hinsichtlich der Form des Abschlusses, sei es hinsichtlich der Basis, auf welcher der Abschluß erfolgte, vorgenommen werden sollte, nur mit Zustimmung der deutschen Reichsregie¬ rung erfolgen. Hiezu würde mm diese letztere sich schwerlich herbeüassen, zumal es ja bekannt sei, daß der Handelsvertrag mit der Monarchie im deutschen Reichstage seinerzeit nur im Wege eines Junktim mit den übrigen von Deutschland abgeschlosse¬ nen Verträgen habe durchgebracht werden können. Sollte aber selbst die deutsche Reichsregierung ihrerseits einer nachträglich einzuführenden Änderung zustimmen und der Vertrag infolgedessen nochmals im deutschen Reichstage vorgelegt werden müssen, so wäre mit Sicherheit dessen Ablehnung zu gewärtigen, oder die deutsche Reichsregierung würde, um die Annahme des Vertrages zu sichern, neue bedeutende Konzessionen von Österreich-Ungarn verlangen. Redner könne übrigens streng ver¬ traulich mitteüen, daß die deutsche Regierung offiziös habe wissen lassen, daß sie auf eine Abänderung des bereits abgeschlossenen Vertrages nicht einzugehen in der Lage wäre. Dem ungarischen Reichstage werde es natürlich freistehen, den Vertrag mit Deutschland, sobald derselbe von der Regierung eingebracht werden würde, zu ver¬ werfen. Diese Eventualität gehört jedoch in ein anderes Kapitel. Es würde dann überhaupt eine chaotische Situation sowie die Ausschaltung Ungarns aus dem europä¬ ischen Wirtschaftssysteme eintreten. Aus diesem Grunde könne Redner auch nicht glauben, daß selbst die engagiertesten Anhänger der Koalition sich zu einem so unheü- vollen Schritte würden entschließen können, zumal trotz allem nicht nur in Österreich, sondern auch in Ungarn der Wunsch bestehe, den deutschen Vertrag anzunehmen. Die Prämissen des Vertrages mit Deutschland seien aber der Abschluß des Zoll- und Handelsbündnisses zwischen den beiden Staaten der Monarchie beziehungsweise die Durchführung der dasselbe ausmachenden Stipulationen sowie die Inkraftsetzung des gemeinsamen Zolltarifes. Redner hält es für mehr als fraglich, daß die Zustimmung der deutschen Regierung zu einer Änderung dieser Prämissen zu erlangen sein wird, und hält es für ebenso ausgeschlossen, daß nachträglich eine Änderung bezüglich der Form des Vertragsabschlusses vorgenommen werden könnte. <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 473 Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- ry bemerkt den Ausführungen des Vorredners gegenüber, daß auch er sich gewiß Rechenschaft über die großen Schwierigkeiten der handelspolitischen Situation sowie darüber gebe, daß der deutsche Vertrag auch für Ungarn eine Zwangslage geschaffen habe. Die ungarische Regierung sei daher gewiß bereit, in dieser Frage das möglichste Entgegenkommen zu bezeigen, doch sei sie genötigt, auf das Parlament Rücksicht zu nehmen, welches sie nicht binden und dessen Entschließungen sie nicht vorgreifen könne. Der Vorsitzende glaubt demgegenüber auf seine vorhin getane Äußerung hinweisen zu dürfen, wonach es ja dem ungarischen Parlamente freistehen werde, den deutschen Vertrag, sobald er von der Regierung eingebracht sein werde, zu verwerfen. Es handle sich bei dieser Frage auch gar nicht um die Freiheit der Entschließungen des ungarischen Parlamentes, welchen keineswegs vorgegriffen werden solle, sondern nur darum, daß jetzt keine Veränderung in dem Vertrage vorgenommen werden könne und daß die ungarische Regierung sich verpflichten solle, den Vertrag seinerzeit dem Parlamente vorzulegen beziehungsweise denselben bis zu dem Momente, wo der Reichstag zu demselben SteUung genommen haben werde, durchzuführen. Der Ick. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch hebt im An¬ schlüsse an die Ausführungen des Vorsitzenden hervor, daß Ungarn sich infolge des Gesetzartikels XXX vom Jahre 1899 bereits heute in dem Rechtszustande des selbstän¬ digen Zollgebietes befinde.10 Dies vorausgeschickt, will Redner die den leitenden Gedanken der österreichischen Regierung zu den den Gegenstand der heutigen Bera¬ tung büdenden Fragen dahin präzisieren, daß es bis zum 1. März 1906 nicht möglich sein werde, in eine andere handelspolitische Situation zu gelangen, als jene, welche durch die abgeschlossenen Verträge geschaffen worden sei, und daß es sich folglich darum handeln werde, diesen Zustand irgendwie für die Dauer der Laufzeit der Verträge aufrechtzuerhalten. Nach Ablauf dieser Zeit sei die österreichische Regierung bereit, mit der ungarischen Regierung in Verhandlungen wegen Neugestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten der Monarchie einzutreten. Der kgl. ung. Staatssekretär Popovics bemerkt, daß es ihm ferne liege, mit dem Vorsitzenden über die durch die bereits abgeschlossenen Verträge mit den auswärtigen Staaten geschaffene Lage polemisieren zu wollen, und gibt bereitwillig zu, daß behufs Abänderung der Form des mit Deutschland geschlossenen Vertrages mit der deutschen Reichsregierung nicht neuerlich in Unterhandlungen eingetreten werden könne. Dagegen wäre es nach Ansicht des Redners immerhin nicht unmöglich, die Verträge mit den anderen Staaten unter Anwendung einer anderen Form abzu¬ schließen. Was die von dem Vorsitzenden angeführten Prämissen des deutschen Han¬ delsvertrages, nämlich den Szell-Koerberschen Ausgleich und den gemeinsamen Zolltarif betrifft, so gibt Redner der Ansicht Ausdruck, daß dies rein interne Abma- chungen zwischen den beiden Staaten der Monarchie seien, auf welche einem fremden Staate insolange keine Ingerenz zustehe, als durch deren eventuelle Abänderung nicht eine durch den betreffenden Handelsvertrag gebundene Position des Tarifes tangiert 10 Siehe Anm. 2. <pb/>474 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 werde. Solange den auswärtigen Staaten die vertragsmäßig gesicherte Einfuhr ihrer Waren nach der Monarchie ungeschmälert eingeräumt bleibe, würde kein Anlaß zur Reklamation vorliegen, und das Ausland würde keine Ursache und kein Recht haben, sich durch irgendeine von den beiden Staaten der Monarchie vereinbarte Abänderung jener internen Abmachungen beschwert zu fühlen. Redner macht in diesem Zusam¬ menhänge darauf aufmerksam, daß in dem gemeinsamen Zolltarife mit Ausnahme des Bieres alle Verzehrungssteuerartikel nicht gebunden seien. Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch möchte darauf hinweisen, daß man stets nur von den die beiden Regierungen trennenden, nicht aber von den gemeinsamen Momenten der Situation spreche und bezeichnet, von diesem Gedanken ausgehend, als gemeinsam die durch Verfügungen, Übereinkommen, gesetz¬ liche Bestünmungen usw. geschaffene Zwangslage, welche von keiner der beiden gegenwärtigen Regierungen herbeigeführt worden sei. Gemeinsam sei aber vor allem die dies- und jenseits der Leitha zum Durchbruche gelangte Erkenntnis der öffentlichen Meinung, daß der gegenwärtige Zustand auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden könne. Eine Memungsdifferenz zwischen den beiden Regierungen bestehe nur darin, daß die ungarische Regierung diesen Zustand bereits jetzt abändem wolle, während die österreichische Regierung der Ansicht sei, daß die gegenwärtige Zwangslage beiderseits akzeptiert werden solle und daß eine Abänderung des gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisses der beiden Staatsgebiete zueinander erst nach Ablauf der Termine im Jahre 1917, d.h. nach Aufhören der Zwangslage, Platz greifen solle. Redner schlägt vor, daß der gegenwärtig bestehende Zustand der Reziprozität bezüg¬ lich des Zoll- und Handelsbündnisses akzeptiert werde und daß die ungarische Regie¬ rung hiefür gewisse Garantien unter der Voraussetzung gebe, daß nicht ein entgegenstehendes Parlamentsvotum eintritt. Die österreichische Regierung überneh¬ me ihrerseits diese Verpflichtung bedingungslos. Der kgl. ung. Ministerpräsident FMZ. Freiherr v. Fejervä- r y gibt seiner persönlichen Überzeugung dahin Ausdruck, daß man einer Zwangslage gegenüberstehe und daß Ungarn nicht anders könne, als sich zu akkomodieren. Eine andere Frage sei, wie Redner bereits hervorgehoben, was das Parlament tun werde. Die Stimmung in Ungarn sei durch die seit Jahren betriebene Propaganda für das selbstän¬ dige Zollgebiet in allen das wirtschaftliche Verhältnis zu Österreich betreffenden Fragen sehr empfindlich und die öffentliche Meinung des Landes müsse daher gebüh¬ rend in Rechnung gezogen werden. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch glaubt, daß dieser von dem Vorredner erwähnten Empfindlichkeit durch eine entsprechend abge¬ faßte Regierungserklärung Rechnung getragen werden könnte, und erbittet sich von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten die Erlaubnis, sich für einen Augenblick in Gedan¬ ken an dessen Stelleversetzen und eine Erklärung verlesen zu dürfen, wie sie etwa seiner unvorgreiflichen Ansicht nach seitens der kgl. ung. Regierung über die Gestaltung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staaten der Monarchie abgegeben werden könnte und deren Gedankengang und Wortlaut ungefähr folgender wäre: ,,In Beziehung auf das wirtschaftliche Verhältnis zu Österreich behält sich das Land das selbständige Verfügungsrecht vor, wie es im Gesetzartikel XII vom Jahre 1867 <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 475 vorgesehen ist. Ungarn befindet sich bereits laut Gesetzartikel XXX vom Jahre 1899 in der Rechtslage des selbständigen Zollgebietes und hat mit dem anderen Staatsgebiete sein wirtschaftliches Verhältnis auf Grundlage der Reziprozität geregelt. Ungarn muß die Zolleinheit mit Österreich aufrechterhalten, weil wohl das ganze Land mit der Regierung der Meinung sein wird, daß man bis zum 1. März nächsten Jahres mit den auswärtigen Staaten auf einer anderen Verhandlungsbasis zu keinen neuen Verträgen gelangen und Ungarn sich aus dem neuen Vertragssysteme nicht ausschalten könne. Die Regierung wird aber unter vollständiger Wahrung der unbedingten Freiheit der ungarischen Gesetzgebung sofort nach dem Inkrafttreten der Handelsverträge mit dem anderen Staatsgebiete in Verhandlungen treten und versuchen, zu einer beiderseits befriedigenderen Gestaltung des wechselseitigen Verhältnisses zu gelangen." Der kgl. ung. Staatssekretär Popovics glaubt, nachdem es sich um die Festsetzung eines Punktes des Regierungsprogrammes handelt, es dem kgl. ung. Ministerpräsidenten überlassen zu sollen, zu den Ausführungen des k. k. Ministerprä¬ sidenten SteUung zu nehmen. Dagegen lege er Wert darauf festzustellen, daß das ungarische Bestreben, zu einer Modifikation des jetzigen Zustandes betreffend die Verzehrungssteuern zu gelangen, volle objektive Berechtigung habe, indem der Gedanke an eine Separation in dieser Beziehung amit Rücksicht auf die Disparität der einschlägigen wirtschaftlichen Verhältnisse, aber auch und in erster Linie3 unter dem Drucke der finanziellen Verhältnisse entstanden sei. Ungarn stehe vor der Heeresre¬ form und vor der Steuerreform. Beide Reformen würden große Summen in Anspruch nehmen, weshalb ungarischerseits gewünscht werden müsse, zu einer intensiveren Ausnützung der Verzehrungssteuer zu gelangen, an welcher die ungarische Regierung durch den heutigen Zustand nicht gehindert werden möchte. Sollte daher die ungari¬ sche Regierung sich aus politischen Gründen bestimmt finden, den auf die Modifizie¬ rung der Verzehrungssteuer bezüglichen Plan fallenzulassen, so würde sich die finanzielle Lage des ungarischen Staates sehr ungünstig gestalten. Der k.k. Finanzminister Kosel weist gegenüber den Darlegungen des Vorredners darauf hin, daß der k. k. Ministerpräsident bereits in klaren Worten das Programm der österreichischen Regierung bezüglich der zur Diskussion stehenden Fragen sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft gekennzeichnet habe, und bemerkt, daß die zuletzt von dem Vorredner erörterte Frage eine solche sei, welche einer zukünftigen Regelung Vorbehalten sei. Was dagegen das materielle Moment anlangt, so möchte Redner darauf aufmerksam machen, daß die Frage der Verzehrungssteuern nicht einseitig und für sich allein aus dem gesamten Komplexe des Ausgleiches heraus¬ genommen werden könne, da die Konsumsteuem nur ein Glied in der ganzen Kette der gemeinsamen Abmachungen bUden. Würde diese Frage einseitig aus dem ganzen Kom¬ plexe des Szell-Koerberschen Ausgleiches, welcher das Maximum dessen darstelle, was österreichischerseits konzediert werden konnte, herausgenommen werden, so würde hiedurch eine Verschiebung des Gleichgewichtes zuungunsten Österreichs eintreten. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch glaubt darauf hinweisen zu sollen, daß, nachdem die österreichische Regierung sich mit einer Revi- a-a Einfügung Popovics*. <pb/>476 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wen, 16.10.1905 sion des wirtschaftlichen Verhältnisses der beiden Staatsgebiete zueinander für die Zukunft einverstanden erklärt hat, kein Hindernis obwalte, daß die bezüglichen Ver¬ handlungen bereits sehr bald in Angriff genommen werden. Wenn sodann der ganze Komplex der einschlägigen Fragen einer Revision unterzogen werden würde, könnten voraussichtlich gewisse Fragen compensando auch schon früher einer Lösung zugeführt und die bezüglichen Abmachungen in Wirksamkeit gesetzt werden. Es sei ja immerhin möglich, daß man zu einer Übereinkunft gelangen könnte, welche den beiderseitigen Wünschen entsprechen würde. Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös möchte den Ausführungen des Vorredners gegenüber betonen, daß in denselben keine Konzession erblickt werden könne, da Ungarn ja, selbst wenn der Szell-Koerbersche Ausgleich bis zum Jahre 1917 aufrechterhalten werden sollte, nach diesem Zeitpunkte ohnehin das Recht der selb¬ ständigen Verfügung in wirtschaftlichen Angelegenheiten hätte. Nachdem der kgl. ung. StaatssekretärPopovics hervorgehoben hat, daß der Unterschied zwischen den beiderseitigen Auffassungen darin bestehe, daß seitens der österreichischen Regierung ein pactum de paciscendo, von der ungarischen Regierung aber schon jetzt ein pactum angestrebt werde, glaubt der Vorsitzen¬ de zur Klarstellung der Frage konstatieren zu sollen, daß Ungam das Recht, nach dem Jahre 1917 das selbständige Zollgebiet einzuführen, gewiß nicht abgesprochen werden könne, daß aber andererseits schon vor dem Jahre 1917 jene Bestimmungen des Ausgleiches compensando abgeändert werden und ins Leben treten könnten, welche das Ausland nicht tangieren. Der k.k. MinisterpräsidentFreiherrv. Gautsch ergreift hierauf das Wort, um darzulegen, daß von der ungarischen Regierung ja füglich nichts anderes verlangt werde, als daß sie nicht prinzipiell erkläre, daß nach dem Jahre 1917 die Zolltrennung erfolgen werde. Eine solche Erklärung würde nämlich in Österreich äußerst nachteüig wirken, indem daraus sofort gefolgert werden würde, daß die Auf¬ rechterhaltung des Zoll- und Handelsbündnisses bloß bis zum Jahre 1917 nichts anderes bedeute, als ein Respiro für Ungarn, damit dieses sich während desselben auf die gänzliche Trennung vorbereiten könne, und daß es daher vorzuziehen wäre, die Tren¬ nung sofort eintreten zu lassen. Redner könne leider nicht verhehlen, daß der Gedanke der sofortigen Trennung momentan im österreichischen Parlamente eine überwiegende Anzahl von Anhängern habe, so daß eine Regierung, welche es unternehmen würde, die Reziprozität zu brechen und dadurch die Aufhebung des gemeinsamen Zollgebietes herbeizuftihren, auf eine Majorität würde rechnen können. Redner erklärt sich übrigens bereit, sofort nach dem 1. März 1906 mit der kgl. ung. Regierung in die bereits früher erwähnten Besprechungen einzutreten. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y quittiert mit Dank dieses Anerbieten des Vorredners, kann jedoch nicht umhin zu bemerken, daß im Falle die fraglichen Verhandlungen zu keiner Einigung führen sollten, Ungarn zwölf Jahre für die Neuregelung seiner wirtschaftlichen Beziehungen verlieren würde. Letztere Bemerkung veranlaßt den k.k. Finanzminister Kosel darauf hinzuweisen, daß die österreichische Regierung das von der ungarischen Regierung in <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 477 betreff der Verzehrungssteuer verlangte Zugeständnis ja auf keinen Fall kompensa¬ tionslos konzedieren könnte, sondern jedenfalls darauf bestehen müßte, daß dann in eine allgemeine Verhandlung über den Ausgleich eingetreten werde. Der kgl. ung. Staatssekretär Popovics konstatiert unter Hinweis auf diese Bemerkung des Vorredners, daß der materielle Standpunkt der österreichischen Regierung seiner Anregung gegenüber gänzlich ablehnend sei, und daß somit ange¬ sichts dieser Ablehnung die Frage eine rein politische geworden sei, weshalb er seine Anträge für erschöpft ansehe. Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös glaubt an die österreichische Regierung das Ersuchen richten zu sollen, seinen Vorschlag nochmals in Erwägung zu ziehen, da die ungarische Regierung irgendetwas für die öffentliche Meinung des Landes tun müsse und füglich doch nicht mit ganz leeren Händen vor dasselbe treten könne. Redner wolle davon absehen, daß an der Form der bereits abgeschlossenen Handelsverträge mit Deutschland und Italien eine Änderung vorgenommen werde, doch glaube er, daß wenigstens die erst abzuschließenden Verträge mit den anderen Staaten in der von ihm beantragten Weise abgeschlossen werden sollten, wodurch das Verhältnis zum Auslande ja nicht tangiert werden würde. Der V ersitzende bezeichnet eine solche Vorgangsweise als ganz untunlich, da in dem Falle, als die Verträge nach verschiedenen Formen abgeschlossen werden sollten, die fremden Staaten gewiß nicht unterlassen würden, die Frage zu stellen, welches Regime in der Monarchie eigentlich Geltung habe, das des gemeinsamen oder das des getrennten Zollgebietes. Wollte man aber eine Änderung in der Form des Abschlusses des deutschen Handelsvertrages vornehmen, um diese in Einklang mit der Form des Abschlusses der übrigen Verträge zu bringen, so würde dies, wie Redner bereits früher ausgeführt habe, bei der deutschen Reichsregierung auf die allergrößten Schwierigkeiten stoßen, oder, falls dieselbe sogar auf ein solches Ansinnen eingehen sollte, sehr leicht zur Ablehnung des im deutschen Reichstage neuerdings einzubrin- genden Vertrages führen würde. Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös konstatiert daraufhin, daß seine Vorschläge abgelehnt worden seien, und bringt hierauf jene Propositionen zur Verlesung, welche von der kgl. ung. Regierung für diesen Fall vorbereitet worden sind. Dieselben lauten folgendermaßen: ,,1. Die Regierung müßte versuchen, den Entwurf des Zoll- und Handelsbündnisses, wie er dem ungarischen Reichstage schon vorgelegt war, unverändert wieder vorzulegen respektive diesem eine Ma¬ jorität zu verschaffen. Ob dies gelingen wird, dafür kann die Regierung keine Ga¬ rantie übernehmen, aber sie wird es unbedingt versuchen und trachten auch durchzuführen. 2. Sollte dies aber bis 1. März 1906 parlamentarisch nicht durch¬ geführt werden können, ist die Regierung,bereit, den autonomen Zolltarif unver¬ ändert unter Vorbehalt nachträglicher Annahme des Reichstages im Verordnungs¬ wege ins Leben treten zu lassen, während 3. die parlamentarische Erledigung des Zoll- und Handelsbündnisses insofern nicht drängt, als laut § 2 des Gesetzartikels XXX ex 1899 bis Ende 1907 das derzeitige Verhältnis der beiden Staaten unbe¬ rührt bleibt. 4. Was den deutschen Vertrag und die noch abzuschließenden Ver¬ träge anbelangt, bieten sich zwei Lösungen, falls bis 1. März 1906 die pariamen- <pb/>478 Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 tarische Ordnung nicht hergestellt werden kann, nämlich 5. falls es möglich, die perfekt abzuschließenden Verträge mit Zustimmung der betreffenden Staaten pro¬ visorisch bis Ende 1907 ins Leben treten zu lassen, wäre diese Lösung zu wählen da hiebei die parlamentarische Erledigung offen bliebe und dem Gesetzartikel XXX vom Jahre 1899 nach Möglichkeit Genüge geleistet wäre, laut welchem (§ 4) mit ausländischen Staaten Verträge über die Geltungsdauer dieses Gesetzes hinaus nicht abgeschlossen werden dürfen. Dieser Weg wäre unbedingt vorzuzie¬ hen. 6. Die zweite Modalität wäre, daß Se. Majestät die in Allerhöchstseinem Namen regelmäßig abgeschlossenen Verträge zu ratifizieren und der Regierung deren Durchführung aufzutragen geruhe. In beiden Fällen würde die Regierung im Verordnungswege die Durchführung vornehmen und diese entschiedene Ge¬ setzwidrigkeit damit verantworten, daß sie das Land keiner wirtschaftlichen Krisis aussetzen konnte. 7. Die Ratifikation und Durchführung respektive die Anwen¬ dung müßte in beiden Staaten der Monarchie gleichmäßig geschehen. 8. Die Re¬ gierung nimmt die Frage der Errichtung des selbständigen Zollgebietes in der Weise in ihr Programm auf, daß, nachdem die Zeit für die Vorbereitung des selb¬ ständigen Zollgebietes derzeit zu kurz ist, die Regierung diese Angelegenheit so vorbereiten will, daß für den Termin von 1917 die Durchführung dessen ermög¬ licht werde." Nach Beendigung der Verlesung ergreift der V o r s i t z e n d e das Wort, um unter Bezugnahme auf Punkt 5 der vorerwähnten Propositionen seiner Ansicht dahin Aus¬ druck zu geben, daß es als vollständig ausgeschlossen zu betrachten sei, daß die fremden Staaten sich zum Abschluß von provisorischen Handelsverträgen bis zum Jahre 1907 herbeüassen sollten. Die Verträge müßten vielmehr sub spe rati der Parlamente bis zum Jahre 1917 aktiviert werden. In welcher Weise z. B. der Vertrag mit Deutschland in der Monarchie aktiviert werden würde, darum werde sich die deutsche Reichsregierung nicht kümmern. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch bringt hierauf den Punkt 7 der gedachten Propositionen zur Sprache, wonach die Durchführung der in Rede stehenden Übereinkommen beziehungsweise die Handelsverträge in beiden Staaten der Monarchie gleichmäßig erfolgen solle, zur Sprache und macht diesfalls geltend, daß dasjenige, was gesetzlich zustande gekommen sei, auch im Gesetzgebungs¬ wege durchgeführt werden müsse. Bezüglich des gemeinsamen Zolltarifes und des Handelsvertrages mit Deutschland bestehen in Österreich bereits vom Parlamente beschlossene Gesetze und es sei absolut untunlich, dieselben im Verordnungswege in Kraft treten zu lassen. Nach einer längeren Diskussion über diese Frage wird ungarischerseits auf das in dem Punkte 7 enthaltene Postulat verzichtet und resümiert der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch sohin, daß die ungarische Regierung den Szell-Koerberschen Ausgleich sowie den gemeinsamen Zolltarif neuerdings dem Parlamente vorlegen und sich für die Durchbringung dieser Vorlagen nachdrücklich einsetzen beziehungsweise den Zolltarif, falls derselbe bis zum 1. März 1906 parlamentarisch nicht erledigt werden könnte, vorbehaltlich nachträglicher Zustimmung des Reichstages im Verordnungswe¬ ge durchführen werde. Außerdem stimme die ungarische Regierung zu, daß der <pb/>Nr. 62 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 16.10.1905 479 gemeinsame Zolltarif sowie das, was bezüglich der Handelsverträge in Österreich auf dem Gesetzgebungswege zustande gekommen sei, auch auf demselben Wege durchge¬ führt werde. Letzteres bdürfteb sich Voraussichtlich0 jedoch dzunächstd nur auf den Vertrag mit Deutschland und möglicherweise auf jenen mit Italien ^ziehen,6 da die Verträge mit den übrigen Staaten leiderf nicht mehr vor dem 1. März dem Parlamente würden vorgelegt werden können. Der kgl. ung. Handelsminister v. Vörös betont hierauf die Notwen¬ digkeit, daß der ungarischen Regierung die Möglichkeit geboten werde, die in dem Punkte 8 der gedachten Propositionen erwähnte Erklärung in ihr Programm aufzuneh¬ men, wonach die Regierung für den Termin von 1917 alle Vorbereitungen für die Einführung des selbständigen Zollgebietes treffen wolle. Der k.k.MinisterpräsidentFreiherrv. Gautsch will gegen eine solche Erklärung prinzipiell keine Einwendung erheben, würde jedoch wünschen, daß die betreffende Erklärung so abgefaßt werden möge, daß die ungarische Regierung nicht geradezu sage, daß mit Ende des Jahres 1917 das selbständige Zollgebiet errichtet werden solle. Es möge in diese Erklärung vielmehr der Revisionsgedanke in der Weise eingeschoben werden, daß gesagt werde, das selbständige Zollgebiet würde mit Ablauf des Jahres 1917 errichtet werden, wenn es bis dahin nicht gelingen sollte, mit Österreich zu einer befriedigenderen Neuregelung der gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehun¬ gen zu gelangen. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y glaubt noch ausdrücklich betonen zu sollen, daß alle von der kgl. ung. Regierung aufgrund der vorerwähnten Propositionen des kgl. ung. Handelsministers gemachten Zugeständnisse beziehungsweise abgegebenen Erklärungen lediglich pro foro interno abgegeben worden seien. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch erklärt, daß er seinerseits über den Gegenstand der heutigen Beratung gewiß keine Erklärung abzu¬ geben wünsche, über welche er sich nicht mit dem kgl. ung. Ministerpräsidenten verständigthabenwürde. Redner würde Wert darauflegen, mit der kgl. ung. Regierung möglichst identische Erklärungen über die Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Österreich und Ungarn abzugeben, in welcher Beziehung es ihm vollkommen genügen würde, wenn er sagen könnte, daß die ungarische Regierung alles aufbieten werde, um den mit Österreich getroffenen wirtschaftlichen Vereinbarungen gerecht zu werden, beziehungsweise, daß sie die darauf bezüglichen Vorlagen im Parlamente einbringen und vertreten werde. Nachdem der Vorsitzende hierauf konstatiert hat, daß hinsichtlich der Annahme der Punkte 1, 2, 3,4,6 und 8 (letzter Punkt mit der von dem k. k. Minister¬ präsidenten beantragten Einschaltung hinsichtlich der eventuellen künftigen Revision) ' ·>-·> Korrektur Gautschsaus beziehe. c~c Einßgung Gautschs. d-<) Einßgung Gautschs. c~e Einßgung Gautschs. f Korrektur Gautschs aus gewiß. <pb/>480 Nr. 63 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12.11.1905 der von dem kgl. ung. Handelsminister verlesenen Propositionen in der Konferenz Übereinstimmung erzielt, die Punkte 5 und 7 jedoch seitens der ungarischen Regierung fallengelassen worden sind, schließt derselbe die Sitzung. Goluchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 21. November 1905. Franz Joseph. Nr. 63 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. November 1905 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch, der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherrv. Fejdrväry, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Ritterv.Pitreich,der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. k. Minister des Inneren Graf Bylandt-Rheidt, der kgl. ung. Justizminister v. Länyi. Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Einsetzung einer Kommission zur Regelung der Wappen- und Emblemefrage: Zusammen¬ setzung dieser Kommission sowie Feststellung der Grenzen, innerhalb welcher sich deren Beratungen zu bewegen haben werden. KZ. 54 - GMCZ. 452 Protokoll des zu Wien am 12. November 1905 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er bemerkt, daß er die heutige Konferenz, einem Wunsche des kgl. ung. Ministerpräsidenten Folge leistend, einberu¬ fen habe, welcher die Notwendigkeit betont habe, der Regelung der Wappen- und Emblemefrage, die einen Punkt der von Sr. Majestät akzeptierten Beschlüsse des sogenannten Neuner-Komitees bilde, endlich näherzutreten.1 Gegenstand der heutigen Beratung würden speziell zwei Punkte zu büden haben, und zwar erstens die Frage, innerhalb welcher Grenzen sich die zur Regelung der Wappenfrage einzusetzende Kommission zu bewegen haben werde, und zweitens, wie diese Kommission zusammengesetzt werden solle. Es sei daher in erster Linie notwen¬ dig, daß das Terrain abgesteckt werde, auf welches sich die Tätigkeit der Kommission zu erstrecken haben werde, und in dieser Beziehung wünsche Redner zu konstatieren, daß die Kommission sich den Intentionen Sr. Majestät gemäß zunächst mit der Wap¬ penfrage zu beschäftigen haben werde, was übrigens nicht ausschließen würde, daß sich hieran später auch die Lösung der übrigen damit im Zusammenhänge stehenden Fragen würde anschließen können. Was die Zusammensetzung der erwähnten Kommission 1 Siehe GMRProt. v. 19.11.1903, GMCZ. 439, Anm. 13. Im Punkt 1 des Programms des Neuner-Komitees heißt es: Die Abzeichen der gemeinsamen Armee, welche heute im Gebrauche stehen, entsprechen nicht der staatsrechtlichen Stellung des Landes, weshalb die Frage der Abzeichen dieser staatsrechtlichen Stellung entsprechend zu regeln ist. <pb/>