Gemeinsamer Ministerrat, 22. 8. 1905
I. Die ungarische Krise und ihre Rückwirkung auf die österreichische Reichshälfte; Vorschläge der ungarischen Regierung zur Sanierung der Lage in Ungarn. Erwägung von Maßnahmen, welche in dem Falle zu treffen wären, daß die Sanierung der Lage nicht gelingen sollte
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z61.pdf.
Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22.8.1905 445 die bei Ausstellung derselben zu beobachtenden Vorschriften verständigen. Öster¬ reich-Ungarn bleibt es Vorbehalten, den von solchen Bescheinigungen begleiteten Sendungen von Zeit zu Zeit identifizierte Proben zu entnehmen, ohne die Sendungen selbst zurückzuhalten. Im Falle vorkommender Mißbräuche ist Österreich-Ungarn ermächtigt, von dieser Verständigung mit sechsmonatlicher Kündigung zurückzutreten. Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. August 1905 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. u. k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Gofuchowski, der k. k. Ministerprä¬ sident Freiherr v. Gautsch, der kgl. ung. Ministerpräsident Freiherr v. Fejdrväry, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Ritter v. Pitreich, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän. Protokollführer: Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die ungarische Krise und ihre Rückwirkung auf die österreichische Reichshälfte; Vorschlä¬ ge der ungarischen Regierung zur Sanierung der Lage in Ungarn. Erwägung von Maßnahmen, welche in dem Falle zu treffen wären, daß die Sanierung der Lage nicht gelingen sollte. KZ. 38 - GMCZ. 450 Protokoll des zu Ischl am 22. August 1905 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsa¬ me Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers und Königs. Se. k. u. k. aposL Majestät geruhen die Sitzung mit der Bemerkung zu eröffnen, Allerhöchstdieselben hätten die gemeinsamen Minister sowie die beiden Ministerpräsidenten zu einer Konferenz zusammenberufen, um die Situation in Ungarn zu besprechen, zumal dieselbe auf die diesseitige Reichshälfte sowie auf die Monarchie in ihrer Gesamtheit eine unleugbare Rückwirkung ausübe und mit Rücksicht auf den am 15. September erfolgenden Zusammentritt des ungarischen Reichstages einen besonders akuten Charakter annehme.1 Se. Majestät geruhen ferner die Notwendigkeit zu betonen, auch die im Hinblicke auf die weitere Gestaltung der ungarischen Krise zu ergreifenden Maßnahmen in den Kreis der Erörterungen zu ziehen, um gegebenenfalls allen Eventualitäten gegenüber vorbereitet dazustehen. Se. Majestät geruhen schlie߬ lich an den kgl. ung. Ministerpräsidenten die Aufforderung zu richten, jenen Teü eines Allerhöchstdenselben vor Beginn der Konferenz unterbreiteten Promemorias vorzu¬ tragen, welcher sich auf die Vorschläge der kgl. ung. Regierung zur Sanierung der gegenwärtig so verworrenen Lage in Ungarn beziehen.2 Dieser Ah. Aufforderung au. Folge leistend gestattet sich der kgl. ung. Mini¬ sterpräsident FZM. Baron Fejerväry an der Hand des erwähnten Promemorias die verschiedenen Wege zu erörtern, welche eingeschlagen werden könnten, um zu einer Entwirrung zu gelangen, und bezeichnet, nachdem auf einen von 1 Der Monarih beauftragte am 18.6.1905Fejirväty, eine Regierungzu bilden, die dem Parlament am 21. Juni vorgestellt wurde. Das Hohe Haus hat der als verfassungswidrig beurteilten (weil nicht aus derparlamenta¬ rischen Mehrheitgebildeten) Regierung das Vertrauen nicht ausgesprochen, daraufvertagte derMonarch das Parlament aufden 15. September. Länyi, A Fejdrväry-kormäny 16. 2 Fejirvärys Denkschrift an den Herrscher: Memorandum über die Situation, Mitte August 1905, OL., Sektion 1-35, Nachlaß Daruväry, Karton 1. <pb/>446 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 selbst sich vollziehenden Zerfall der Koalition wohl nicht gerechnet werden könne, als nächste Modalität den neuerlichen Versuch zu einer Verständigung mit den Parteien und zur Bildung einer regierungsfähigen Majorität zu gelangen.3 Ein solcher Versuch würde jedoch nur in dem Falle Erfolg versprechen, wenn die Krone, zwar unter Wahrung ihrer Autorität sowie der Einheit der Armee, in betreff der Kommando- und Dienstsprache derselben eine solche neue Grundlage zu bezeichnen geneigt wäre, welche als eine Annäherung an den Standpunkt der Opposition angesehen werden könnte. Redner gestattet sich in dieser Beziehung an die von dem Grafen Andrässy im Juli dieses Jahres anläßlich einer Entrevue mit dem Redner gemachte Proposition zu erinnern, wonach derselbe erklärt hatte, nur dann die Regierung übernehmen zu können, wenn er zu der Erklärung ermächtigt würde, daß nach ungefähr zehn bis zwölf Jahren die Kommando- und Dienstsprache des ungarischen Teües der gemeinsamen Armee die ungarische sein werde, oder daß, falls diese Konzession nicht zu erlangen wäre, wenigstens die Husarenregimenter die ungarische Kommandosprache erhalten würden.4 Als zweite Modalität, um die am IS. September etwa notwendig werdende neuerliche Vertagung des Abgeordnetenhauses zu rechtfertigen und die Möglichkeit für weitere Verhandlungen offenzuhalten, gestattet Redner sich, die Erlassung eines königlichen Reskriptes als Antwort auf die noch unerledigte Adresse des Abgeordnetenhauses zu erwähnen.5 In diesem, in sehr konziliantem Tone zu haltenden Reskripte wären unter prinzipieUer Anerkennung der Berechtigung der ungarischen Sprache in der gemein¬ samen Armee in sachlicher Weise jene Gründe auseinanderzusetzen, welche der praktischen Durchführung dieses Postulates im Wege stehen, und zugleich die Berück¬ sichtigung der Wünsche der Opposition in betreff der Fahnen, Wappen und Abzeichen sowohl bei der gemeinsamen Armee als bei den gemeinsamen Ämtern sowie hinsicht¬ lich des Gebrauches der ungarischen Sprache seitens der gemeinsamen Behörden und 3 Am 9.11.1904 bildeten die der von Istvdn Tisza angefilhrten Liberalen Partei gegenüberstehenden Opposi¬ tionsparteien (die beiden Unabhängigkeitsparteien - unter Führung von Ferenc Kossuth und Nändor Szederkinyi -, die von Aladdr Zichy angefiihrte Volkspartei, die Nationale Partei unter Führungvon Albert Apponyi und die von DezsöBdnffygeleiteteNeue Partei) eine Koalition. Die oppositionelleKoalition besiegte im Januar 1905 erstmals in der Geschichte des Dualismus die bis dahin regierende Liberale Partei. 4 GrafGyulaAndrässy trat vor allem wegen der von Tiszaverfolgten Taktik aus derLiberalen Partei aus, seine Dissidentengruppe schloß sich Ende 1904 der Koalition an. Andrässy wollte das 67er Programm mit militärischen Konzessionen populärer machen. Nach dem Wahlsieg der Koalition im Januar 1905 wurde mehrfach angeregt, daß Andrässy eine neue Regierung bilden sollte, seine Mission scheiterte aberjedesmal, weil sein Militärprogramm ßr die Krone unannehmbar war. Dolmänyos, A koalfciö az 1905-1906. evi kormänyzati vrflsäg idej6n 27-32 und 53. 5 DieAdresse desAbgeordnetenhauses v. 13. 4.1905: Az 1905. £vi februär hö 15-£re hirdetett orszag- gyüles kEpviselöhäzanak naplöja, Bd. 1 73 f. Die Adresse ist im wesentlichen eine gemeinsame Pro¬ grammerklärung der Koalitionsparteien. Gefordert werden darin die Erweiterung des Wahlrechtes, Steuer-, ökonomische und sozialpolitische Reformen sowie, daß die wirtschaftliche Selbständigkeit mit gesonder¬ tem Zollgebiet und autonomen Kreditsystem nach entsprechenden Vorbereitungen und unter angemes¬ senen Vorbedingungen tatsächlich durchgesetzt wird, des weiteren, daß der nationale Charakter der ungarischen Armee auch in Sprache und Abzeichen herausgestellt wird. Vgl. Dolmänyos, A koalfciö az 1905-1906.6vi kormänyzati välsäg idejön 32 f. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22.8.1905 447 Ämter im Verkehre mit den ungarischen Behörden und ungarischen Staatsangehörigen in Aussicht zu stellen. Ein solches königliches Reskript könnte immerhin eine gewisse momentane Milde¬ rung der Situation herbeiföhren, doch befinde sich die Krise bereits in einem zu vorgeschrittenen Stadium, als daß sie durch dieses Mittel von Grund aus saniert werden könnte, weshalb diese Modalität denn auch nur als Notbehelf und in Ermangelung einer wirkungsvolleren Lösungsart in Betracht käme. Als eine solche wirkungsvollere Moda¬ lität würde sich die eventuell zu wiederholende Auflösung des Reichstages darstellen, wobei Redner sich jedoch zu bemerken gestatten möchte, daß diese Auflösung natür¬ lich keine einfache sein dürfte, da eine solche kaum zu dem gewünschten Resultate führen, sondern vielmehr die Gefahr in sich bergen würde, daß die 48er Unabhängig¬ keitspartei bei den Wahlen die absolute Majorität erlangen könnte.6 Zur erfolgreichen Durchführung von Neuwahlen sei es vielmehr erforderlich, daß man in den Wahlkampf mit einem Programm eintrete, welches weite Schichten der Bevölkerung befriedigen, deren wirtschaftlichen Bedürfnissen in höherem Maße Rech¬ nung tragen und vermöge seines für das Gros der Gesellschaft verlockenden Inhaltes die unfruchtbaren staatsrechtlichen Fragen in den Hintergrund drängen würde. Doch sei für den günstigen Ausfall von Wahlen auch aufgrund eines solchen Programmes das Vorhandensein namhafter Geldmittel eine unerläßliche Voraussetzung. Nach Ansicht des Redners wäre es möglich, daß ein solches Programm, zumal wenn sich dasselbe auf Gedanken der Parlamentsreform aufbaut, eine bedeutende Änderuiig in den Verhält¬ nissen der Parteien des jetzigen Abgeordnetenhauses hervorrufen und auf diese Weise die Entwirrung fördern könnte. Redner hält die Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechtes für das einzige Mittel, um endlich jene Elemente, - aübermütige Oligarchen,a Advokaten, Geistliche, kleine Edelleute - welche seit ungefähr 150 Jahren das ungarische Parlament ausmachen und dasselbe beherrschen und welche seit ebenso vielen Jahren stets dieselben sterüen staatsrechtlichen Fragen aufwerfen, aus dem Abgeordnetenhause hinauszubekommen. Auf die Dauer könne keine ungarische Re¬ gierung mit diesen Elementen fertig werden, weshalb dieselben, wenn schon nicht ganz, so doch wenigstens zum Teü im Wege des allgemeinen Wahlrechtes entfernt werden müßten. Dies seien, so gestattet sich Redner weiter auszuführen, die Wege, auf welchen man zu einer verfassungsmäßigen Lösung der gegenwärtigen, so schweren Krise gelangen könnte. Es gäbe natürlich auch einen verfassungswidrigen Lösungsmodus, welcher darin bestünde, daß die gegenwärtige Regierung durch eine andere Regierung abgelöst würde, welche in Ausübung der Rechte der Staatsgewalt mit über die jetzigen Gesetze hinausgehenden Befugnissen ausgestattet wäre. Eine solche Regierung würde jedoch unter dem Odium, als eine absolutistische zu gelten, zu leiden haben, und es würde bei ** EinfügungFej&värys. 6 Beiden Wahlen am 26.1.1905gewann die Unabhängigkeitspartei 159 Mandate. Die Liberale Partei stellte 151, die Dissidentengruppe 27, die Volkspartei 24, die Neue Partei 13 Abgeordnete im Parlament Die Parteilosen erhielten 10, die Nationalitäten 9 Parlamentssitze. <pb/>448 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 der tief eingewurzelten Abneigung, welche in Ungarn gegen diese Regierungsform besteht, äußerst schwierig sein, Männer aus dem Zivilstande zu finden, welche zu einer solchen Regierungsführung oder zur Mitwirkung an derselben bereit sein würden. Redner stehe schon jetzt vor der Unmöglichkeit, für einige erledigte Obergespanspo- sten die erforderlichen Tituläre zu finden. Eine solche Regierung würde daher militä¬ risch organisiert sein müssen, was auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. Redner möchte schließlich auch auf die voraussichtliche Schädigung des Staatskredites aufmerksam machen dürfen, welche sich aus der Einführung eines mehr oder weniger ausgesprochen absolutistischen Systems ergeben würde, da derselbe bei den heutigen finanziellen undwirtschaftlichen Konjunkturenvielfach durch die Tätigkeit derVerfas¬ sungsorgane und insbesondere der Organe der Volksvertretung bedingt ist. Die gegen¬ wärtige ungarische Regierung könne daher ein so gewagtes Experiment, wie es der eben dargelegte Lösungsmodus sei, nicht befürworten. Nach dem Vorhergesagten würde daher nur ein verfassungsmäßiger Lösungsmodus erübrigen, dessen Grundzüge Redner sich im nachstehenden zu skizzieren gestattet. Vorausgezetzt, daß Se. Majestät gegen die von der ungarischen Regierung proponierte Parlamentsreform auf Basis des allgemeinen Wahlrechtes prinzipiell keine Einwen¬ dung zu erheben finden würde, würde die Regierung im Parlamente mit der Erklärung hervortreten, daß, nachdem bei der koalierten Majorität die Geneigtheit bisher nicht vorhanden war, irgendwelches Regierungsprogramm vorzulegen, die Entwirrung nach der Seite gesucht werden muß, daß eine auf neuem, konkreten, zu neuer Parteigrup- pierung geeigneten Programme stehende Regierung sich die Majorität des Hauses sichere. Die Regierung hält dafür, daß dies nur auf Basis einer entsprechenden, mit erweitertem wirtschaftlichen und sozialen Untergrund aufgebauten Parlamentsreform zu erreichen sei. Die Regierung will die erforderlichen Vorlagen vorbereiten, um sie der Legislative zu unterbreiten, braucht hiezu natürlich einige Zeit, weshalb das Haus vertagt wird. Unter dem oberwähnten neuen, konkreten, zu neuer Parteigruppierung geeigneten Programme versteht die Regierung im Prinzipe, vorbehaltlich der Ah. Genehmigung, folgendes: 1. Parlamentsreform auf Basis des allgemeinen Wahlrechtes. 2. Regelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen Österreich und Un¬ garn. Diese Neuregelung hätte auf folgender Basis zu erfolgen: a) Fallenlassen der im Jahre 1903 vereinbarten Zollbündnisvorlagen7 und Ersetzung derselben durch einen zwischen den beiden Staaten der Monarchie auf Grundlage des selb¬ ständigen Zollgebietes abzuschließenden, mit dem im neuen Handelsverträge mit Deutschland festgesetzten Ablauftermine. In diesem Handelsverträge würden die beiden Staaten einander für die Dauer des Vertrages den freien Verkehr zusi- chem; nur für die der Verzehrungssteuer unterworfenen Artikel würden die Steu¬ erlinien auch errichtet und zu diesem Behufe an den Grenzen der beiden Staaten 7 Es handelt sich um die Zolltarijvereinbamng zwischen Szell und Koerber v. 31.12.1902. Siehe Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 573-574; Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 8419-423; Sutter, Die Ausgleichsverhandlungen zwischen Österreich und Ungarn 1867-1918 92 ff. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22.8.1905 449 die Zollschranken effektiv errichtet werden, b) Einführung autonomer Zolltarife für die beiden Staaten mit den unveränderten Zollsätzen des zwischen den beiden Regierungen zustande gekommenen und im Jänner 1903 den beiden Parlamenten vorgelegten neuen Zollsätzen, c) Abschluß der Verträge mit den auswärtigen Staaten aufgrund der beiden Zolltarife seitens Österreichs und Ungarns, d) Si¬ cherstellung der binnen kurzer Frist erfolgenden Aufnahme der Barzahlungen in dem zwischen den beiden Staaten abzuschließenden Handelsverträge, e) Gesetzli¬ che FeststeUung, daß beim Ablauf des Bankprivüegiums oder bei Ablauf des ab¬ zuschließenden Handelsvertrages an SteUe der österreichisch-ungarischen Bank eine selbständige ungarische nationale Bank treten wird, f) Zuteüung von unga- riscjien Fachberichterstattern zu den österreichisch-ungarischen Berufskonsula¬ ten. g) Selbständigmachung der ungarischen Handelsmarine anläßlich des Ablau¬ fes des bestehenden Übereinkommens über die subventionierten Schiffahrtsunter¬ nehmungen mit Ende des Jahres 1906. (Der kgl.ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerväry gestattet sich, diese Neuregelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staaten der Mon¬ archie, welche in einem ausführlichen Promemoria der ungarischen Regierung des näheren dargelegt und begründet erscheint, und durch welche bei Wahrung der bei¬ derseitigen Interessen den ungarischen Wünschen Rechnung getragen werde, wärm- stens zur Annahme zu empfehlen und zu bemerken, daß dieses Promemoria in Wien seitens des kgl. ung. Handelsministers dem k. k. Handelsminister zur Kenntnis gebracht worden sei, welch letzterer dasselbe persönlich als diskutabel bezeichnet habe.8 Letztere Bemerkung vereinlaßt den k. k. Ministerpräsidenten Frei¬ herrn v. Gautsch das Wort zu erbitten, um aufgrund einer ihm zugekommenen telegraphischen Meldung des k. k. Handelsministers, welcher ihm den wesentlichen Inhalt der betreffenden Vorschläge einberichtet habe, ausdrücklich zu konstatieren, daß derselbe seinen telegraphischen Bericht mit der Bemerkung geschlossen habe, daß er sich selbstverständlich jeder Stellungnahme zu dem Inhalte des gedachten ungari¬ schen Elaborates enthalten habe.) 3. Regelung der landwirtschaftlichen Kreditverhältnisse und des Genossenschafts¬ wesens. 4. Sicherung des Kleingrundbesitzes durch Einführung eines Heimstättengesetzes. 5. Endgütige Regelung der Bezüge der Staatsbeamten und Bahnangestellten. 6. Schaffung einer Dienstpragmatik für Beamte und Angestellte. 7. Gesetzliche Regelung des Vereinswesens. 8. Einführung der progressiven Einkommensteuer. 9. Neuregelung des Volksschulwesens. 10. Durchführung der von Sr. Majestät Ag. akzeptierten Vorschläge der Neuner¬ kommission der ehemaligen liberalen Partei.9 8 Grundzüge eines Vorschlages betreffend die Regelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen Österreich und Ungarn. Beilage 2 zum Memorandum über die politische Situation Mitte August 1905, OL, Sektion 1-35, Nachlaß Daruväry, Karton 1. 9 Vgl. GMRProt. v. 19.11.1903, GMCZ. 439, Anm. 13. <pb/>450 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 (Zu diesem Punkte geruhen S e. k. u. k. a p o s t. Majestät zu bemerken, daß Allerhöchstdieselben darauf Wert legen, zu konstatieren, daß der gegenwärtige kgl. ung. Ministerpräsident niemals irgendeine die ungarische Dienst- oder Kommando¬ sprache betreffende Konzession in Aussicht gestellt habe, wie dies fälschlich von einem Teile der Presse behauptet worden sei.10 Der kgL ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerväry gestattet sich diesfalls auszuführen, daß diese in einigen Presseorganen aufgetauchte falsche Nachricht darauf zurückzuführen sei, daß Aufklärungen, welche er verschiede¬ nen bei ihm erschienenen Abgeordnetenb über dasWesen der Regimentssprachen sowie über den Einfluß der fortschreitenden Magyarisierung auf diese letzteren gegeben habe, nachträglich in irriger, wenn nicht gar tendenziöser Weise interpretiert worden seien.) 11. Regelung der Forderungen der Kriegsverwaltung (neues Wehrgesetz). 1Z Sollten Se. Majestät sich entschließen, irgendwelche Konzessionen in Müitärfra- gen überhaupt zuzugestehen, so bittet die Regierung dieselben in erster Linie ihr zu gewähren, um so die Durchführung des Programmes zu erleichtern. (Letzterer Punkt des Programmes der ungarischen Regierung gibt Sr. k.u.k. apost. Majestät zu der bestimmten Erklärung Anlaß, daß Allerhöchstdieselben Sich zu neu¬ erlichen, den nationalen Aspirationen entgegenkommenden Konzessionen auf militä¬ rischem Gebiete gewiß nicht herbeUassen würden.) Vorstehende Punkte sollten dem Abgeordnetenhause nicht schon am 15. September, sondern erst nach Ablauf der Vertagung angemeldet werden, und verspreche sich die kgl. ung. Regierung von diesem Programme das erwünschte Resultat. Anknüpfend an diese Ausführungen des kgl. ung. Ministerpräsidenten geruhen S e. k. u. k. apost. Majestät zu bemerken, daß, wenn Allerhöchstdieselben richtig verstanden haben, seitens der ungarischen Regierung die Absicht bestehe, den Reichs¬ tag am 15. September zusammentreten zu lassen und abzuwarten, wie derselbe sich verhalten werde. Der kgL ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejerväry nimmt sich die Freiheit, diesfalls darzulegen, daß die Eröffnung des Reichstages jeden¬ falls sehr stürmisch sein werde. Redner werde sich erheben und nach Abgabe der von ihm früher skizzierten Erklärung das Reskript, womit der Reichstag bis zum 10. Dezem- ber vertagt wird, zur Verlesung bringen lassen. Redner sei von vomeherein überzeugt, daß der Reichstag keine der von dem Grafen Tisza zurückgezogenen Vorlagen in Ver¬ handlung ziehen würde,11 oder, falls dieselben von der gegenwärtigen Regierung einge¬ bracht werden sollten, deren Ablehnung beschließen würde, wodurch das Chaos nur noch größer werden würde. Deshalb gedenke die Regierung diese Vorlagen nicht am b Streichung von unter anderen dem Abgeordneten Bolgdr durch Fejervdry mit folgender Begründung: Woher Bolgdrseine irrige Auffassung genommen, ist mir unbekannt, ich sprach mit ihm darüber nicht, und überhaupt nicht. 10 Die Forderung nach einer ungarischen Kommando- und Dienstsprache lehnte auch das Neuner-Komitee programmgemäß ab. Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 76. 11 Gemeint sind die Gesetzesentwürfe betreffend den Zoll- und Handelsvertrag zwischen Ungarn und Öster¬ reich, den autonomen Zolltarifdes gemeinsamen Zollbezirkes, siehe Anm. 14. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Mimsterrat, Ischl, 22. & 1905 451 15. September sondern erst am 10. Dezember einzubringen. Hiebei bestehe nur eine Schwierigkeit, über deren Beseitigung Redner sich selbst noch nicht klar geworden und welche darin gelegen sei, daß bei Auflösung des Parlamentes das neue Haus zu einem solchen Zeitpunkte einberufen werden müßte, daß dasselbe das Budget für das nächste Jahr noch rechtzeitig erledigen könne. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen daraufhinzuweisen, daß die Frage noch immer in suspenso sei, was zu geschehen hätte, wenn das Abgeordnetenhaus sich renitent zeigen und sich nach Verlesung des Vertagungsreskriptes als Konvent konsti¬ tuieren sollte. Der kgl. ung. MinisterpräsidentFZM. Freiherr v. F ejerväry stellt die Bitte, erst nach Rückkunft Sr. Majestät von den Manövern über diese Frage Bericht erstatten zu dürfen.12 Redner glaubt, daß in dieser Beziehung zwei Eventualitäten gegeben seien. Es könnte nämlich das Haus sich darauf beschränken, nach Verlesung des Vertagungsreskriptes die Sitzung lediglich am selben Tage noch durch einige Stunden fortdauem zu lassen und über laufende Angelegenheiten zu verhandeln. In diesem Falle würde die Sache ziemlich unbedenklich erscheinen und kein Anlaß zur Ergreifung irgendwelcher außergewöhnlicher Maßnahmen vorliegen. Es könnte sich aber auch der Fall ergeben, daß das Haus sich tatsächlich als Konvent konstituiert und seine Tätigkeit auch auf die folgenden Tage zu erstrecken versucht. Dann würde allerdings nichts anderes übrigbleiben, als das Parlament mit Zuhilfenah¬ me der bewaffneten Macht auseinanderzujagen und zur Auflösung des Hauses zu schreiten. Redner müsse diese Frage jedoch jedenfalls noch in sehr reifliche Erwägung ziehen. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen nachdrücklichst zu betonen, daß im Falle des Weitertagens des Konventes unbedingt energisch eingeschritten werden müsse. Der k.u.k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Goiu- c h o w s k i bittet um die Erlaubnis, vor dem Eingehen auf die Diskussion der weitge¬ henden Vorschläge der kgl. ung. Regierung eine brennend wichtige Frage, nämlich jene der Handelsverträge, zur Sprache bringen zu dürfen. Die Monarchie stehe nämlich vor dem Ablauftermine der Handelsverträge und wenn auch mit einiger Sicherheit ange¬ nommen werden könne, daß die Verträge mit der Schweiz und mit Rumänien bis zum 1. Januar, eventuell sogar bis zum 1. März nächsten Jahres verlängert werden können, so sei die Zeit bis dahin doch so kurz, daß kein Augenblick mehr zu verlieren sei. Redner müsse daher auf die Diskrepanz hinweisen, die zwischen den Erklärungen, welche ihm seitens der kgl. ung. Regierung während seines Aufenthaltes in Budapest anläßlich der Beisetzung weüand Sr. k. u. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Joseph13 in der Handels¬ vertragsfragegemachtworden seien, und dervon dem kgl. ung. Handelsministergegen¬ wärtig diesfalls eingenommenen Haltung bestehe. Während nämlich damals seitens der kgl. ung. Regierung keine Einwendung gegen die Negozüerung der Handelsverträge durch Delegierte der beiden Regierungen unter selbstverständlicher Reservierung der nachträglichen Genehmigung des Parlamentes erhoben wurde, und dies auch in einer 12 Esgehtum dieManöverdesXIV.KorpsbeiNonsberg, vgl. Glaise-Horstenau, FranzJosephsWeggefährte 428. 13 Joseph Carl Ludwig (1833 -1905), Erzherzog des Hauses Habsburg. <pb/>452 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 kurz darauf dem Ministerium des Äußern seitens des kgl. ung. Ministerpräsidenten zugekommenen Zuschrift zugegeben wurde,14 sei dem Redner jüngsthin eine Note des kgl. ung. Handelsministers zugestellt worden, worin derselbe erklärt, er könne keine Delegierten für die Handelsvertragsverhandlungen nominieren und müsse verlangen, daß dieselben im diplomatischen Wege geführt werden.15 Redner glaubt, daß diesfalls offenbar ein Mißverständnis vorliegen müsse, und gestattet sich die Frage an den kgl. iing Ministerpräsidenten zu richten, ob letzteres Verlangen sich nur auf den Vertrag mit Italien, bei welchem ein solcher Modus möglich erscheinen würde, oder aber auf alle Verträge beziehe. Redner würde eine auf alle Verträge sich erstreckende Weige¬ rung der ungarischen Regierung, Delegierte zu den Verhandlungen zu ernennen, sowie die Forderung, daß die Verhandlungen im diplomatischen Wege geführt werden sollen, schlechterdings nicht begreiflich finden, da in dieser Beziehung nur zwei Möglichkeiten gegeben seien: Entweder es dürfen Verhandlungen geführt werden, dann sei nicht abzusehen, weshalb dieselben nicht durch Delegierte geführt werden sollten. Oder aber es dürften überhaupt keine Verhandlungen geführt werden, dann müsse es auch verboten sein, dieselben im diplomatischen Wege zu führen. Was das von dem kgl. ung. Ministerpräsidenten dargelegte Promemoria über die Neuregelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staatsgebieten der Monarchie anlangt, gestattet sich Redner zu bemerken, daß die von ihm angeregte Frage jedenfalls imabhängig von den in diesem Promemoria entwickelten Grundsätzen behandelt werden müßte, und daß über dieses letztere selbst, nachdem es eine Ände¬ rung der 1867er Grundlage involviere, nicht die Regierungen entscheiden könnten, sondern die eventuelle Schlußfassung hierüber den Parlamenten zustehe. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y möchte diesen Ausführungen des gemeinsamen Ministers des Äußern gegenüber bemerken dürfen, daß er momentan über den Stand dieser Frage nicht näher orientiert sei, daß er jedoch glaube, daß der diesfällige Standpunkt der kgl. ung. Regierung keine Änderung erfahren habe. Redner gestattet sich übrigens daran zu erinnern, daß die ungarische Regierung sich diesfalls einem direkten, wenn auch ungesetzlichen Verbote des Parlamentes gegenüber befinde und sich daher nicht so frei bewegen könne, wie es im Interesse der Sache wünschenswert wäre.16 14 Zum Standpunkt der neuen ungarischen Regierung in derFrage des Wirtschaftsausgleichs und derHandels¬ verträge siehe Fejerväry an Gotuchowski v. 19. 6. 1905, HHStA., PA. I, Karton 662, XIV/180. Vgl. den Ungarischen Ministerratv. 19.6.1905, OL., Sektion K-27, Nr. 14/1905, undv. 28.6.1905, ebd., Nr. 17/1905. Nach Auffassung des Außenministers hätte die heue ungarische Regierung die Aufgabe gehabt, Gesetzent¬ würfe zu folgenden Fragen zu unterbreiten: a) Zoll- und Handelsvertrag zwischen Ungarn und Österreich; b) autonomer Zolltarif des gemeinsamen Zollgebietes; c) Ratifizierung des mit Deutschland bereits ge¬ schlossenen Handelsvertrages; d) Gesetzentwurf, mit welchem im Hinblicke auf die Bestimmungen des Gesetzartikels XXX/1899 der Regierung die Ermächtigung erteilt würde, in die Verhandlung der noch rückstehenden Handelsverträge einzutreten. Die ungarische Regierung sah sich selbst aber lediglich als Übergangskabinett an, deswegen konnte sie sich nur die Aufgabe stellen, die unaufschiebbaren Angelegen¬ heiten des staatlichen Lebens zu erledigen. 15 SieheAnm. 8. ls Siehe Anm. 1. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 453 Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen AUerhöchstihrer Ansicht dahin Aus¬ druck zu geben, daß die Weigerung der ungarischen Regierung, Delegierte für die Vertragsverhandlungen zu nominieren, auf die Furcht der Ressortminister vor dem Parlamente und vor der öffentlichen Meinung zurückzuführen sei. Allerhöchstdiesel- ben geruhen die Reservierung der Zustimmung der Parlamente als das entscheidende Moment für die Beurteüung dieser Angelegenheit zu bezeichnen und im übrigen Sich dahin auszusprechen, daß die ungarische Opposition in handelspolitischen Fragen noch verhältnismäßig vernünftig sei und voraussichtlich die Dinge nicht werde auf die Spitze treiben wollen. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch möchte zu dieser Frage seinerseits bemerken dürfen, daß er im Abgeordnetenhause aufgrund der ihm vorliegenden amtlichen MitteUungen erklärt habe, daß die ungarische Regierung unter gewissen Vorbehalten bereit sei, in Handelsvertragsverhandlungen mit den fremden Staaten einzutreten, und daß er sich infolgedessen für berechtigt angesehen habe, damals die handelspolitische Situation als gebessert zu bezeichnen. Redner gestattet sich hierauf den Passus der letzten einschlägigen Note des kgl. ung. Handels¬ ministers zu verlesen17 und hieran die Bemerkung zu knüpfen, daß er eine definitive Ablehnung der kgl. ung. Regierung, Delegierte zu den Handelsvertragsverhandlungen zu ernennen, als einen Bruch der gegenwärtig zwischen den beiden Staaten bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen würde betrachten müssen und sich genötigt sehen würde, mit neuen Anträgen au. an Se. Majestät heranzutreten, welche bezwecken würden, die handelspolitischen Beziehungen der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder zu den fremden Staaten aufgrund des selbständigen Zollgebietes zu regeln, da die diesseitige Reichshälfte unmöglich der Gefahr ausgesetzt werden könne, am 1. März 1906 mit der ganzen Welt im Zollkriege zu stehen. Mit Rücksicht auf die Dringlichkeit dieser Angelegenheit, welche kaum noch einen Aufschub von Tagen zulasse, erlaubt sich Redner an den kgl. ung. Ministerpräsidenten die Frage zu richten, ob auf die Nominierung von ungarischen Delegierten zu den Vertragsverhandlungen gerechnet werden könne. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y gestattet sich eine Antwort auf diese Frage nach Rücksprache mit den Ressortmi¬ nistern in Aussicht zu stellen. Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch erbittet sich hierauf das Wort, um, noch bevor er sich zu den Darlegungen des kgl. ung. Mi¬ nisterpräsidenten vom österreichischen Standpunkte äußert, eine mit dem Expose desselben nicht im Zusammenhänge stehende Frage an denselben zu richten. Es sei seit einigen Jahren Gepflogenheit, der Kriegsverwaltung zum Zwecke des Handeinkaufes von Vorräten bei den kleinen Produzenten im Herbste einen Vor¬ schuß von 9,4 Millionen zur Verfügung zu stellen. Die k. k. Regierung habe sich ihrerseits bereit erklärt, den auf die diesseitige Reichshälfte quotenmäßig entfal¬ lenden Betrag der erwähnten Summe beizusteüen. Die kgl. ung. Regierung habe dagegen die Leistung des auf Ungarn entfallenden verhältnismäßig geringen Be- 17 Siehe Anm. 8. <pb/>454 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22.8.1905 träges von ungefähr 2,4 Millionen abgelehnt. So sehr nun auch die Handeinkäufe im Interesse der österreichischen kleinen Produzenten gelegen seien, könne die österreichische Regierung doch in dieser Angelegenheit nicht einseitig Vorgehen. Die Angelegenheit dränge auch und könne nicht hinausgeschoben werden, bis etwa die ungarische Krise eine Lösung gefunden haben werde, da eben jetzt der Zeitpunkt sei, in welchem die Handeinkäufe bei den Produzenten gemacht werden müßten. Würden diese Einkäufe nicht jetzt gemacht, so würden die Vorräte von Händlern aufgekauft werden und die kleinen Produzenten um ihren Gewinn kom¬ men. Bei einem Einkäufe in einem späteren Momente sei auch die Provenienz der inzwischen bereits in die Hände von Händlern übergegangenen Produkte nicht mehr feststellbar, und es sei die Möglichkeit gegeben, daß um den von der dies¬ seitigen Reichshälfte zur Verfügung gesteUten Betrag Produkte ungarischer Pro¬ venienz gekauft würden. Redner gestattet sich daher, an den kgl. ung. Minister¬ präsidenten das dringende Ersuchen zu richten, den auf Ungarn entfallenden Betrag zur Verfügung zu stellen und es der k. k. Regierung zu ermöglichen, ih¬ rerseits das gleiche zu tun. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen an den k. k. Ministerpräsidenten die Frage zu richten, weshalb die österreichische Regierung in dieser Angelegenheit, zumal es sich hiebei um ein speziell österreichisches Interesse handle, nicht unabhängig von den Entschließungen der ungarischen Regierung vergehen könnte. Der k. k. Ministerpräsident Freiherrv. Gautsch gestattet sich diese Frage dahin zu beantworten, daß er in der in Rede stehenden Angelegenheit auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen müsse und daß die österreichische Regie¬ rung im Hinblick auf dieselbe nur insolange die quotenmäßigen Beiträge zu den gemeinsamen Angelegenheiten zu leisten in der Lage sei, als Ungarn in dieser Bezie- hung seinen Verpflichtungen nachkomme. Die k. k. Regierung müsse mit dem großen Umschwünge rechnen, welcher sich infolge der Entwicklung der Dinge in Ungarn sowohl im österreichischen Parlamente als auch in der österreichischen öffentlichen Meinung vollzogen habe, und welcher in seiner Art vielleicht ebenso groß sei, wie der in Ungarn eingetretene. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZ M. Freiherrv. Fejervä- r y möchte demgegenüber daraufhinweisen dürfen, daß die Beschlüsse der Delegatio¬ nen in Österreich Gesetz sind, in Ungarn aber erst nach ihrer Inartikulierung durch den Reichstag Gesetzeskraft erlangen. Redner könne daher keine anderen Summen anwei¬ sen lassen, als die quotenmäßig festgesetzten Beträge. Übrigens sei die ungarische Regierung auch nicht in der Lage, den erwähnten Vorschuß zu leisten, da das hiezu erforderliche Geld nicht vorhanden sei. Auf letzteres Argument geruhen Se. k. u. k. apost. Majestät mit der Bemerkung zu reflektieren, daß trotz des von dem ungarischen Ministerpräsidenten angeführten Geldmangels doch die für die Erhöhung der Pensionsbezüge der 1848- Honveds erforderlichen Mittel vorhanden gewesen seien. Se. Majestät geruhen übri¬ gens ausdrücklich zu betonen, daß AUerhöchstdieselben mit dieser Bemerkung durchaus keinen Vorwurf gemeint, sondern nur hätten konstatieren wollen, daß das notwendige Geld wohl zu beschaffen sein würde. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 455 Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Ritter v. Pit¬ reich erbittet sich das Wort, um zur Klarstellung dieser Angelegenheit darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß es sich bei derselben lediglich um ein Übereinkom¬ men zwischen der Kriegsverwaltung und den beiden Regierungen handle, welches mit dem Budget eigentlich gar nichts zu tim habe, weshalb die Angelegenheit auch keine staatsrechtliche sei. Redner gestattet sich, es als sehr wünschenswert zu bezeichnen, wenn die k. k. Regierung sich entschließen wollte, in dieser Frage unabhängig von der Haltung der ungarischen Regierung vorzugehen. Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch gestattet sich nachdrücklich zu betonen, daß ein gemeinsames Vorgehen in dieser, die gemeinsame Armee betreffenden Frage sowohl im Interesse dieser selbst als auch in jenem der Monarchie dringend wünschenswert sei. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y möchte mit Bezugnahme auf diesen Wunsch des k. k. Ministerpräsidenten bemer¬ ken dürfen, daß er auf das Aufwerfen dieser Frage in der heutigen Ministerkonferenz nicht vorbereitet gewesen und daher über dieselbe nicht genau informiert sei. Nachdem er sich diesfalls eingehend orientiert haben werde, werde er darüber schlüssig werden, ob die ungarische Regierung in der Lage sein werde, dem Wunsche der österreichischen Regierung in dieser Frage Rechnung zu tragen. Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch erbittet sich hierauf das Wort, um sich zu dem soeben vernommenen Expose des kgl. ung. Minister¬ präsidenten vom österreichischen Standpunkte zu äußern. Redner gestattet sich, seine diesfälligen Ausführungen mit dem Hinweise darauf einzuleiten, daß die nunmehr schon ein halbes Jahr dauernde ungarische Krise eine tiefgehende Rückwirkung auf die österreichischen Verhältnisse ausübe und daß, wenn es der k. k. Regierung bisher gelungen sei, das Parlament und die öffentliche Meinung zu einer reservierten und besonnenen Auffassung der Lage in Ungarn zu bringen, es immer schwieriger werde, das Parlament noch weiter zurückzuhalten, wenn dasselbe gewisse einseitige Verfügun¬ gen zu treffen wünscht, wozu demselben der Umstand Anlaß bieten dürfte, daß in diesem Jahre eine Entwirrung der Lage in Ungarn kaum mehr zu erhoffen sei. Es sei keine Aussicht auf die Wahl einer ungarischen Delegation und daher auch nicht auf ein gemeinsames Budget für das Jahr 1906 vorhanden, so daß die österreichische Regierung voraussichtlich in die Lage kommen werde, in der einen oder anderen Weise diesfalls Vorsorge zu treffen, wozu sie auch dann bereit sein würde, wenn das Parlament versagen sollte. Die österreichische Regierung gebe sich hiebei allerdings Rechenschaft von den schwerwiegenden Konsequenzen, welche der einmalige Ausfall der Delegatio¬ nen voraussichtlich nach sich ziehen würde, da dann das österreichische Parlament gewiß versucht sein werde, die äußere Politik sowie die Angelegenheiten der Armee in den Kreis seiner Erörterungen und Beschlußfassung einzubeziehen und die gemeinsa¬ men Minister vor sein Forum zu zitieren, oder wenigstens die österreichischen Minister zu zwingen, die gemeinsamen Angelegenheiten vor dem Hause zu vertreten. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen hier die Bemerkung einzuschalten, daß auch ungarischerseits in Erwägung gezogen werden müsse, was zu geschehen habe, wenn keine Delegation gewählt werden sollte. <pb/>456 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch gestattet sich hierauf, in seinen Darlegungen fortfahrend, darauf hinzuweisen, daß es außer den von ihm bereits erwähnten Fragen noch andere wichtige, durch die ungarische Krise auf das empfindlichste berührte Angelegenheiten gebe, und bezeichnet als solche den gemein¬ samen Zolltarif und die Handelsverträge mit dem Auslande, für welche als äußerster Termin der 1. März nächsten Jahres in immer bedrohlichere Nähe rücke und bis zu welchem Zeitpunkte die Handelsverträge mit den fremden Staaten abgeschlossen sein und in Wirksamkeit treten müßten, solle Österreich sich dann nicht in einem Zustande handelspolitischer Wehrlosigkeit dem Auslande gegenüber befinden, was den Ruin tausender und abertausender wirtschaftlicher Existenzen unfehlbar nach sich ziehen würde. Die ungarische Regierung müsse daher die Durchführung der Handelsverträge in irgendeiner Weise sicherstellen, widrigenfalls die österreichische Regierung im eigenen Wirkungskreise die erforderlichen Maßnahmen verkehren müßte, um dem Eintritte des erwähnten katastrophalen Zustandes vorzubeugen. Auf den Inhalt des Exposes der kgl. ung. Regierung übergehend gestattet Redner sich zu bemerken, daß in demselben Dinge verkommen, welche geeignet seien, auf die politische Lage in Österreich die größte Rückwirkung auszuüben. Redner meine hiemit in erster Linie die für Ungarn in Aussicht genommene Einführung des allgemeinen Wahlrechtes, welche in der diesseitigen Reichshälfte sofort den Wunsch nach Einfüh¬ rung desselben auch für Österreich hervorrufen würde. Da nun nach der innersten Überzeugung des Redners Österreich für die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes noch nicht reif sei, würde die k. k. Regierung genötigt sein, die dahin gehende Forde¬ rung zurückzuweisen. Infolgedessen würden in Österreich Zustände eintreten, mit denen verglichen selbst die gegenwärtige Lage in Ungarn noch als befriedigend ange¬ sehen werden könnte, und es würde eine so tief gehende Gärung hervorgerufen werden, daß selbst die bewaffnete Macht nicht imstande sein würde, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Angesichts dieser, infolge der eventuellen Einführung des allge¬ meinen und geheimen Wahlrechtes in der Monarchie beziehungsweise in Österreich zu gewärtigenden großen Umwälzung müsse man sich die Frage vorlegen, ob nicht die einfache Separation der beiden Staaten der Monarchie im Vergleiche zu einer so grundstürzenden Maßnahme als das geringere Übel zu betrachten wäre. Redner gestattet sich hierauf die Vorschläge der ungarischen Regierung betreffend der Neuregelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staaten der Monarchie zur Sprache zu bringen und hiebei zunächst nochmals zu betonen, daß der k. k. Handelsminister jedenfalls nicht kompetent sei, sich über dieselben zu äußern, die Befugnis zu einer offiziellen Meinungsäußerung über diese Frage vielmehr nur dem k. k. Ministerpräsidenten beziehungsweise dem Ministerrate zustehe. Der erste Punkt dieser Vorschläge, nämlich die Ersetzung des Zoll- und Handels¬ bündnisses durch einen die Verkehrsfreiheit zwischen den beiden Staaten stipulieren- den Handelsvertrag, involviere nichts mehr und nichts weniger als eine partielle Änderung der 1867er Grundlage, und zwar eine Änderung, wie sie ausschließlich den ungarischen Interessen entspreche, ganz abgesehen davon, daß nicht recht begreiflich erscheine, wie ein solcher Vertrag mit der den fremden Staaten zu gewährenden Meistbegünstigung in Einklang zu bringen wäre. Dabei sollen aber doch für gewisse <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 457 Artikel Zollschranken errichtet werden, was dem Staatsschätze Millionen kosten und für die Industrie eine große Plackerei sein würde. Diese Vorschläge seien nichts anderes als eine Vorbereitung für die gänzliche wirtschaftliche Trennung der beiden Staatsge¬ biete nach zehn Jahren, da man sich darüber wohl keiner Täuschung hingeben dürfte, daß nach Ablauf dieser Frist kein solcher Handelsvertrag mehr zustande kommen werde. Es sei mm absolut kein österreichisches Interesse, Ungarn diese zehnjährige Frist für die Vorbereitung auf die gänzliche Trennung zu konzedieren. Redner wäre seinerseits, wenn es sein müßte, bereit, an die Errichtung von Zollschranken zwischen den beiden Gebieten zu schreiten, dann müßten aber diese Zollschranken nicht nur für verzehrungssteuerpflichtige Artikel, sondern für alle Produkte errichtet werden, und zwar nicht in dem Ungarn genehmen Zeitpunkte, sondern ausschließlich in dem für Österreich passenden Zeitpunkte, nämlich am 1. März 1906. Ein weiteres Bedenken, welches Redner gegen die in Rede stehenden wirtschaftlichen Vorschläge der ungari¬ schen Regierung zu erheben habe, beziehe sich auf den Abschluß der Handelsverträge aufgrund der gesonderten Zolltarife. Sollten nämlich die Handelsverträge auf dieser Basis abgeschlossen werden, so würde hiedurch der Unterschied zwischen der zur Zeit auf einer Realunion beruhenden Monarchie und zwei lediglich durch die Personalunion verbundenen Staaten dem Auslande gegenüber gänzlich verwischt werden. Im allge¬ meinen vermisse Redner in den gedachten Vorschlägen der ungarischen Regierung irgendwelche Gegenkonzessionen, welche dem österreichischen Staate für deren Annahme gewährt werden müßten. Keine österreichische Regierung, welche auf dem Standpunkte der Monarchie stehe, würde daher diese Propositionen anzunehmen in der Lage sein. Redner wolle diese Vorschläge nicht gerade als indiskutabel bezeichnen, da ja schließlich die ganze 1867er Grundlage diskutabel sei. Eine partieUe Regelung dieser letzteren in der von der ungarischen Regierung vorgeschlagenen Form wäre aber für die österreichische Regierung ganz unannehmbar, weshalb Redner dringend bitten müsse, von einer so grundstürzenden Änderung der 1867er Basis abzusehen. Im Abschlüsse an diese Ausführungen gestattet Redner sich zu erklären, daß er im Hinblicke auf die Möglichkeit, daß bis zu Ende des laufenden Jahres die parlamentarische Ordnung in Ungarn nicht hergestellt werden könnte, Garantien verlangen müsse, daß Ungarn seinen materiellen Verpflichtungen, soweit es sich um gemeinsame Angelegenheiten handelt, nachkommen werde. Diese Verpflich¬ tungen seien! 1. Die Leistung der quotenmäßigen Beiträge zu den gemeinsamen Auslagen. 2. Die Stellung von Rekruten für die gemeinsame Armee, da eine Armee, für welche nur die diesseitige Reichshälfte Rekruten stehen würde, keine gemeinsame Armee mehr sein würde. 3. Die Leistung des Beitrages zur Verzin- sung der gemeinsamen Staatsschuld. Schließlich müsse Redner auch Garantien dafür verlangen, daß die ungarische Regierung ihrerseits die erforderlichen Ma߬ nahmen zur Perfektionierung der Handelsverträge treffe und während der Gel¬ tungsdauer dieser letzteren das gemeinsame Zollgebiet ohne Errichtung von Zoll¬ schranken aufrechterhalte. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen nach Anhörung der Ausführungen des k. k. Ministerpräsidenten Aherhöchstihrer Ansicht dahin Ausdruck zu geben, daß die Neuregelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staatsgebieten <pb/>458 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 der Monarchie aufgrund einer Verständigung zwischen den beiden Parlamenten erfol¬ gen müsse. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y bittet demgegenüber bemerken zu dürfen, daß der sogenannte 1867er Ausgleich sich nach ungarischer Auffassung als ein Faktum zwischen der Nation und ihrem Könige darstelle, worauf Se. k. u. k. apost Majestät zu replizieren geruhen, daß dies ein auf die Dauer nicht aufrechtzuerhaltender Standpunkt sei und daß Allerhöchstdie- selben gegenüber den immer weitergehenden Forderungen der ungarischen Parteien bei den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern einen Rückhalt zu suchen Sich bemüßigt fänden.18 Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y erbittet sich das Wort, um daraufhinzuweisen, daß die in Rede stehenden Vorschlä¬ ge der kgl. ung. Regierung zur Regelung des wirtschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Staaten lediglich als eine Folge der so schweren ungarischen Krise entstan¬ den und als Mittel zur Sanierung derselben gedacht seien. Was die von dem k. k. Ministerpräsidenten verlangten Garantien betrifft, gestattet Redner sich zu erklären, daß er zu seinem Bedauern schlechterdings außerstande sei, dieselben zu geben, da in dem gegenwärtigen Momente weder die jetzige noch eine andere ungarische Regierung in der Lage wäre, irgend etwas zu garantieren. Daß die von ihm vorgeschlagene Parlamentsreform eine gewisse Rückwirkung auf die Verhältnisse in Österreich üben werde, wolle Redner keineswegs in Abrede stellen, doch seien große Krisen eben nur durch große Mittel zu sanieren und die Parlamentsreform das einzige Mittel, die von ihm früher als so schädlich bezeichneten Elemente aus dem Parlamente zu verdrängen. Übrigens möchte Redner seiner Ansicht dahm Ausdruck geben dürfen, daß die Sozia¬ listen nicht gar so gefährlich seien, wie gemeinhin angenommen werde, und daß sich mit ihnen werde arbeiten lassen, weshalb eine Gefahr für den Staat aus der Parlaments¬ reform nicht zu erwarten stehe. Redner gestattet sich zur Bekräftigung seiner Behaup¬ tung auf das Verhalten der Sozialisten in anderen Ländern, z. B. Frankreich und Deutschland, zu verweisen, wo die Sozialisten eine ganz traitable Partei seien. Der k.u.k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Gotu- c h o w s k i möchte diese Ansicht von der Harmlosigkeit der Sozialisten nicht teüen und auf die ihm aus eigener Anschauung bekannte, sich immer düsterer gestaltende innere Lage in Frankreich hinweisen dürfen, wo eben infolge des allgemeinen Wahl- is Daß der Ausgleich Angelegenheit des Königs und der ungarischen Nation, d. h. des Parlaments ist, ist tatsächlich auf Deäks Standpunkt zutückzufuhren. Diese Auffassung hat aber nach der Entstehung des Dualismus ihre Existenzberechägung verloren. FranzJoseph meinte, als er die Vertreter der Koalition am 23. September1905in dersog. Fünf-Minuten-Audienzempfing: Eine Revision der Grundlage von 1867, sofern es um wutschaftliche oder um andere, das Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn betreffende Fragen ginge, könne nicht einseitig von der Krone und der Nation, sondern allein unter den beiden Staaten der Monarchie und von den durch Vermittlung der beiden Regierungen und ad hoc einzuset¬ zenden Parlamentsausschüssen in die Wege geleitet und aufgrund eines vom König zu sanktionierenden Kompromisses vollzogen werden. OL., Sektion 1-35, Nachlaß Daruväty, Karton I. Zitiert bei Dolmä- nyos, A koalfciö az 1905-1906.6vi kormänyzati välsäg idej6n 107. <pb/>Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22.8.1905 459 rechtes die Regierung selbst sich schon mehr oder weniger in den Händen der Soziali¬ sten befände. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen diesfalls daran zu erinnern, daß viel¬ fach die Ansicht vorherrsche, der größte Fehler, den Fürst Bismarck jemals begangen, habe in der Einführung des allgemeinen Wahlrechtes für den deutschen Reichstag bestanden. Übrigens geruhen Se. Majestät Allerhöchstihrer Ansicht dahin Ausdruck zu leihen, daß auch nach Einführung des allgemeinen Wahlrechtes in Ungarn keine viel besseren Elemente in den Reichstag gelangen würden. Der k.u.k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän erbittet sich das Wort, um darauf aufmerksam machen zu dürfen, das die Parlaments¬ reform aufgrund der Einführung des allgemeinen Wahlrechtes nicht von der jetzigen Regierung angeregt wurde, sondern daß diese Reform in Ungarn überhaupt eine aktuelle Frage sei und einen Programmpunkt der 48er Partei bilde. Die Absicht der ungarischen Regierung bei Aufnahme dieses Punktes in ihr Sanierungsprogramm sei offenbar auch auf die Absicht zurückzuführen, der 48er Partei bei der Bevölkerung den Rang abzulaufen, wozu umso mehr Aussicht vorhanden sei, als diese Partei jetzt im Begriffe stehe, diesen Programmpunkt fällen zu lassen und sich hiedurch weite Bevöl¬ kerungsschichten zu entfremden. Übrigens würde die Frage der Einführung des allge¬ meinen Wahlrechtes in Ungarn von der Tagesordnung selbst dann nicht mehr ver¬ schwinden, wenn die Regierung auf die Parlamentsreform verzichten wollte. Auch dürfe nicht übersehen werden, daß ein großer Unterschied zwischen der sozialistischen Partei in Ungarn und den gleichen Parteien in anderen Ländern bestehe. Die ungari¬ schen Sozialisten seien nicht turbulent und strebten nur eine Erweiterung des Wahl¬ rechtes an, in welchem Bestreben sie sich übrigens mit sehr konservativen Bevölke¬ rungsschichten begegneten. Infolge der Restriktion, welche an die Ausübung des allgemeinen Wahlrechtes geknüpft sei und welche in der Forderung der Kenntnis des Lesens und Schreibens auf seiten der Wähler bestehe, werde es sich - bei dem großen Prozentsatz von Analphabeten, welchen Ungarn aufweise - eigentlich auch gar nicht um die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes, sondern nur um eine bedeutende Erweiterung des gegenwärtig bestehenden, nachgerade absolutgewordenen Wahlrech¬ tes handeln. Es werde eben sehr viel darauf ankommen, wie man die Sache darstellen werde, und in dieser Beziehung sei es jedenfalls angezeigt, die Parlamentsreform mehr unter dem Gesichtspunkte einer Erweiterung des Wahlrechtes erscheinen zu lassen. Se. k. u. k. apost Majestät geruhen dieser Auffassung zuzustimmen und Sich dahin zu äußern, daß die Reform nicht als ein Entgegenkommen an die sozialisti¬ schen Prinzipien dargestellt werden sollte, ein Fehler, welchen [der] Minister des Inneren Kristoffy bei Anregung dieser Frage begangen habe.19 19 Innenminister Kristöffy richtete im Juli 1905 eine Denkschrift an den Herrscher, in der er darlegte, wie sich das ungarische Parlament und das politische öffentliche Leben in Ungarn durch die Einßhrung des allgemeinen Wahlrechtes umgestalten würden. Der König willigte ein, daß Kristöffy seinen Reformplan als Privatmeinung veröffentlichte. DerInnenminister verkündete das allgemeine Wahlrecht am 27. Juli vor einer ihn besuchenden Delegation der SozUtldemoh-atischen Pqrtei. Kristöffy, Magyarorszag kälvariäja, Bd. 1 187-195; Somogyi, Välasztöjog 6s parlamentarizmus a dualizmuskori Ausztriäban 1861-1907113-117; Dolmanyos, A koah'ciö az 1905-1906.6vi kormänyzati vdlsdg idejdn 56-61. <pb/>460 Nr. 61 Gemeinsamer Ministerrat, Ischl, 22. 8.1905 Der k. k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch bittet, die von ihm hinsichtlich der Parlamentsreform erhobenen Bedenken dahin erläutern zu dürfen, daß dieselben sich durchaus nicht gegen die Erweiterung des jetzigen, zu beschränkten Wahlrechtes, sondern lediglich aus den von ihm dargelegten triftigen Gründen gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes gerichtet hätten. Was die von ihm verlangten Garantien betrifft, so habe Redner damit lediglich Aufklärungen über dasjenige gemeint, was die ungarische Regierung in betreff des ungestörten Funktionierens der gemeinsamen Institutionen sowie der Durchführung der Handelsverträge vorzukehren beabsichtige, falls bis zu Ende dieses Jahres die parlamentarische Ordnung in Ungarn nicht wiederhergestellt worden sei. Es handle sich also nicht um Garantien im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern lediglich um Auskünfte, auf deren Erteüung Redner allerdings bestehen müsse. Der kgl. ung. Ministerpräsident FZM. Freiherr v. Fejervä- r y gestattet sich nochmals darzulegen, daß er, solange er die gegenwärtigen Gesetze respektieren und sich innerhalb sehr eng gezogener Grenzen halten müsse, weder Garantien geben, noch irgendwelche bindende Erklärungen abgeben könne.20 Se. k. u. k. apost Majestät geruhen demgegenüber die unbedingte Not¬ wendigkeit zu betonen, daß bezüglich der erwähnten Belange doch irgendeine Vorsor¬ ge getroffen und ein Weg zu deren Sicherstellung gefunden werden müsse. Se. Majestät geruhen hierauf die Frage der Stellung von Rekruten für die gemeinsame Armee zur Sprache zu bringen und an den k. k. Ministerpräsidenten die Anfrage zu richten, ob die österreichische Regierung die Verpflichtung Ungarns zur Stellung von Rekruten zur gemeinsamen Armee als erfüllt ansehen würde, wenn statt der zu dreijährigem Präsenz¬ dienste verpflichteten Rekruten Ersatzreservisten zu dem in Ungarn sich ergänzenden Teile der gemeinsamen Armee einberufen werden würden.21 Der k.k. Ministerpräsident Freiherr v. Gautsch gestattet sich, diese Ah. Anfrage dahin zu beantworten, daß die österreichische Regierung sich diesfalls darauf beschranke, die Aufrechterhaltung der Stände auf der vorgeschriebe¬ nen Höhe zu verlangen, ohne Rücksicht darauf, ob dieses Resultat durch Einreibung von Rekruten oder von Ersatzreservisten erreicht werde. Auf die Dauer würde aUer- dings ein solcher Modus der Ergänzung des ungarischen Teües der gemeinsamen Armee zu Bedenken Anlaß geben, vorübergehend und in Anbetracht der außerge¬ wöhnlichen Umstände könne die k. k. Regierung sich jedoch mit demselben abfinden. Der k.u.k. gemeinsame Minister des Äußern Graf Golu- c h o w s k i erbittet sich das Wort, um darauf hinzuweisen, daß die bisher geführte Diskussion zwar sehr lehrreich gewesen sei und zur Klärung mancher Punkte beigetra¬ gen habe, daß dieselbe sich jedoch vorwiegend mit den Mitteln beschäftigt habe, welche anzuwenden wären, um in Ungarn wieder geordnete parlamentarische Zustände her¬ zustellen. Redner wolle zwar durchaus nicht die Hoffnung vorzeitig aufgeben, daß es gelingen werde, zu diesem so wünschenswerten Resultate zu gelangen, möchte sich aber 20 Späterformuliert Gotuchowski noch eindeutiger: Die Verwaltung in Ungarn würde dann voraussichtlich militärisch organisiert werden müssen. 21 Siehe GMR. v. 3. 4.1902, GMCZ. 438, und Beilage 61a. <pb/>Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. 8.1905 461 trotzdem gestatten hervorzuheben, daß vor allem darüber Klarheit geschafft werden müsse, was im schlimmsten Falle, nämlich wenn keine Entwirrung zu erreichen sein sollte, zu geschehen hätte. Da bis zum Eintritte der zu erhoffenden Ernüchterung immerhin regiert werden müsse, trete dann an die Krone die Pflicht heran, zum Schutze der vitalen Interessen der Monarchie sowie der dieselben bildenden beiden Staaten einzugreifen, und zwar eventuell auch unter Anwendung von Gewalt einzugreifen. Die Verwaltung in Ungarn würde dann voraussichtlich müitärisch organisiert werden müssen, obgleich Redner der Ansicht sei, daß sich auch aus dem Zivüstande eine hinlängliche Anzahl von Personen finden lassen würde, welche zur Übernahme von Beamtenstellen bereit sein würden. Nötigenfalls müsse man eben zu diesem Zwecke auf Angehörige der Nationalitäten greifen, unter denen es gewiß geeignete Männer geben werde, die bereit sein würden, in amtlicher Eigenschaft sich der Verwaltung des Landes zu widmen. Jedenfalls aber müsse der Kriegsminister schon jetzt sich darüber äußern, wie er sich die Durchführung der Staatsnotwendigkeiten vorstelle, falls an die Mitwirkung seines Ressorts bei dieser Aufgabe appelliert werden sollte.22 Se. k. u. k. aposL Majestät geruhen der Ansicht Ausdruck zu geben, daß von dem Augenblicke an, wo die für die äußersten Eventualitäten zu ergreifenden Maßnahmen zur Diskussion gestellt werden sollen, diese letztere auf das müitärische Gebiet übergehe und daß diese Seite der Frage einer besonderen, unter Zuziehung eines militärischen Schriftführers abzuhaltenden Besprechung vorzubehalten sei, deren Beginn Allerhöchstdieselben allsogleich anzuordnen geruhen. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 17. September 1905. Franz Joseph. Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. August 1905 Fortsetzung der Beratungen des GMR. v. 22.8.1905, GMCZ. 450 Protokollfiihren Rohmwerk. S e. Majestät geruhen nunmehr Ag. zur Besprechung der müitärischen Frage überzugehen und Ah. auszusprechen, daß diese Frage auch unabhängig von den Vorgängen im ungarischen Reichstage und den eventuell aus letzterer Ursache zu ergreifenden Maßregeln - als Frage, welches gesetzliche Mittel zu wählen sei, um die Stände der Truppen komplett zu erhalten - einer Schlußfassung bedürfe. Um die kompletten Stände zu erhalten, stünden zwei Wege offen, entweder indem man den dritten (letzten) Präsenzjahrgang im Herbste nicht beurlaubt, was jedoch sehr 22 Der Plan Lösung der ungarischen Krise durch Waffengewalt wurde von dem Operationsbüro bereits am 19 7.1905 vorbereitet, und einen Monat später, am 13. 8.1905 (also noch vor diesem Ministerrat), billigte der Stellvertreter des Generalstabschefs, FZM. Potiorek, die Studie U. Diese Dokumente werden zusammen¬ fassend Operationsplan fürden Kriegsfall U (U = Ungarn)genannt, siehe Peball-Rothenberg, Der Fall ,,U", 85-126; ferner Hanak, Magyarorszdg törtenete 1890-1918, Bd. 1579. <pb/>Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. 8.1905 461 trotzdem gestatten hervorzuheben, daß vor allem darüber Klarheit geschafft werden müsse, was im schlimmsten Falle, nämlich wenn keine Entwirrung zu erreichen sein sollte, zu geschehen hätte. Da bis zum Eintritte der zu erhoffenden Ernüchterung immerhin regiert werden müsse, trete dann an die Krone die Pflicht heran, zum Schutze der vitalen Interessen der Monarchie sowie der dieselben bildenden beiden Staaten einzugreifen, und zwar eventuell auch unter Anwendung von Gewalt einzugreifen. Die Verwaltung in Ungarn würde dann voraussichtlich militärisch organisiert werden müssen, obgleich Redner der Ansicht sei, daß sich auch aus dem Zivilstande eine hinlängliche Anzahl von Personen finden lassen würde, welche zur Übernahme von Poamtpnctpllpn bereit sein würden. Nötigenfalls müsse man eben zu diesem Zwecke auf Angehörige der Nationalitäten greifen, unter denen es gewiß geeignete Männer geben werde, die bereit sein würden, in amtlicher Eigenschaft sich der Verwaltung des Landes zu widmen. Jedenfalls aber müsse der Kriegsminister schon jetzt sich darüber äußern, wie er sich die Durchführung der Staatsnotwendigkeiten vorstelle, falls an die Mitwirkung seines Ressorts bei dieser Aufgabe appelliert werden sollte.22 Se. k. u. k. apost Majestät geruhen der Ansicht Ausdruck zu geben, daß von dem Augenblicke an, wo die für die äußersten Eventualitäten zu ergreifenden Maßnahmen zur Diskussion gestellt werden sollen, diese letztere auf das militärische Gebiet übergehe und daß diese Seite der Frage einer besonderen, unter Zuziehung eines militärischen Schriftführers abzuhaltenden Besprechung vorzubehalten sei, deren Beginn Allerhöchstdieselben allsogleich anzuordnen geruhen. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 17. September 1905. Franz Joseph. Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. August 1905 Fortsetzung der Beratungen des GMR. v. 22.8.1905, GMCZ. 450 Protokollführen Rohmwerk. Se. Majestät geruhen nunmehr Ag. zur Besprechung der müitärischen Frage überzugehen und Ah. auszusprechen, daß diese Frage auch unabhängig von den Vorgängen im ungarischen Reichstage und den eventuell aus letzterer Ursache zu ergreifenden Maßregeln - als Frage, welches gesetzliche Mittel zu wählen sei, um die Stände der Truppen komplett zu erhalten - einer Schlußfassung bedürfe. Um die kompletten Stände zu erhalten, stünden zwei Wege offen, entweder indem man den dritten (letzten) Präsenzjahrgang im Herbste nicht beurlaubt, was jedoch sehr 22 Der Plan Lösung der ungarischen Krise durch Waffengewalt wurde von dem Operaäonsbüro bereits am 19 7.1905 vorbereitet, und einen Monat später, am 13. 8.1905 (also noch vor diesem Ministerrat), billigte der Stellvertreter des Generalstabschefs, FZM. Potiorek, die Studie U. Diese Dokumente werden zusammen- fassend Operationsplan fürden Kriegsfall U (U = Ungarn)genannt, siehe Peball-Rothenberg, Der Fall ,,U", 85-126-, ferner Hanäk, Magyarorszäg tört£nete 1890-1918, Bd. 1579. <pb/>462 Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. 8.1905 zu erwägen sei; oder indem man zur Deckung der durch die Beurlaubung des letzten Präsenzjahrganges entstehenden Abgänge die Ersatzreserve heranzieht.1 Daß die dermaligen Stände aber aufrecht erhalten werden müssen, sei fraglos und mit einheitlicher Anschauung aus der vorangegangenen Besprechung hervorgegangen. Der ung. Ministerpräsident Baron Fejerväry sprach sich dahin aus, daß der dritte Präsenzjahrgang vor dem 15. September 1905 nicht zu beurlauben, bis dahin aber auch von einer Einberufung der Ersatzreserve abzusehen sei. Die Einberufung der Ersatzreserve aber nur in jenem Maße, als sie zur Deckung der durch die Beurlaubung des dritten Präsenzjahrganges tatsächlich entstandenen Abgänge erforderlich sei, stattzufinden hätte; demnach nicht alle drei Altersklassen der Ersatz¬ reserve einzuberufen wären. Die Entscheidung, ob die Rückbehaltung der Drittjährigen bis zum Zeitpunkte der tatsächlichen Einrückung der Ersatzreservisten, welch letzteren alaut Instruktion zur Durchführung des Wehrgesetzes3 zur Einrückung eine vierwöchentliche Frist zu ge¬ währen wäre, zu erfolgen habe, könne noch offengehalten werden. Der Kriegsminister FZM. v. Pitreich weist vor allem nach, daß mit Rücksicht auf die nach dem Gesetzartikel XVm vom Jahre 18882 verfügbaren Ersatz¬ reservisten und des durch den Abgang des dritten Präsenzjahrganges entstehenden Bedarfes die Einberufung aller drei Altersklassen der Ersatzreserve notwendig ist. Gegenüber dem Gesamtbedarf an Ersatzreservisten für das 4., 5., 6., 7., 12. und 13. Korps (über 38 000 Mann) stehen in allen drei Altersklassen nur ein Überschuß von etwa 13 000 Ersatzreservisten zur Verfügung, also etwa 34%, aus welchen die Indispo¬ niblen und die Nichteinrückenden gedeckt werden müssen. Zu welchem Zeitpunkte nach dem 15. September die Drittjährigen beurlaubt werden können, hänge von den Verhältnissen ab, die um diese Zeit bestünden, sodaß man bis dahin nur die Vorbereitung zur Beurlaubung der Drittjährigen beziehungsweise Ein¬ berufung der Ersatzreserve treffen könne. Baron Fejerväry gibt aufgrund dieser durch den Kriegsminister gegebenen Daten zu, daß unter solchen Umständen die ungarische Regierung auch keine Einwen¬ dung zur Einberufung aller drei Altersklassen der Ersatzreservisten erheben könne. Se. Majestät erachten es als sehr bedenklich, bei nicht zwingenden Gründen, welche erst in einer folgenden Erörterung Erwähnung finden werden, die Drittjährigen bis im Monate Dezember zurückzubehalten. Allerhöchstdieselben bringen auch noch die Fragen, durch welche Kategorien von Mannschaften die im Okkupationsgebiete befindlichen Truppen nach Beurlaubung der Drittjährigen ihre Stände, endlich die Kavallerieregimenter ihre Abgänge zu decken hätten, Ag. zur Besprechung. Der Kriegsminister FZM. v. Pitreich beantwortet diese Fragen dahin, daß bezüglich der Deckung der Stände der im Okkupationsgebiete befindlichen Truppen der gleiche Vorgang wie im Jahire 1903 einzuhalten wäre, indem der Ersatz a-a EinßgungFejervärys. 1 Siehe GMR. v. 3.4.1902, GMCZ. 438. 2 Siehe GMRProt. v. 29.11.1901, GMCZ. 434, Anm. 15. <pb/>Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. 8.1905 463 von den eigenen Regimentern selbst durch präsente Mannschaft zu leisten, diese aber wieder durch Ersatzreservisten zu decken wäre, hingegen bei ganzen Truppenkörpem, welche im Okkupationsgebiete disloziert sind, von änderen Infanterieregimentern Aushilfe gegeben werden müßte. Was aber die Kavallerieregimenter beträfe, könnten diesen, statt Ersatzreservisten der Infanterie, einjährig dienende Infanteristen des Präsenzstandes zutransferiert werden, welche durch Ersatzreservisten wieder gedeckt würden, was wohl wieder eine Belastung von 9 Mann per Infanteriekompanie ergäbe. Se. Majestät geruhen nunmehr auf di? von der ungarischen Regierung bean¬ tragte Verstärkung der Gendarmerie, welche eine Unterstützung durch 5600 Mann seitens des gemeinsamen Heeres erfahren soll, Ag. einzugehen, weü der Kriegsminister sich gegenüber dieser Frage dahin äußerte, daß er für eine solche Schwächung der ohnedem geringen Stände der Infanterie die Verantwortung nicht mehr zu tragen vermöchte. Der ung. Ministerpräsident Baron Fejerväry will bei Bespre¬ chung dieser eventuell eintretenden Notwendigkeit vor allem zum Ausdrucke bringen, daß diese Maßnahme im gegenwärtigen Stadium eine nur vorbereitende, aber sehr wichtige Maßregel sei und kaum im vollen Umfange beansprucht werden dürfte, es sich vielmehr in Wirklichkeit nur um einige hundert Mann (300-500) handeln wird. Trotz¬ dem müsse er aber einen besonderen Wert auf diese von der ungarischen Regierung beantragte, vorbereitende Maßnahme legen, weü sie für die Unterdrückung kleinerer, plötzlich auftretender Unruhen in einzelnen Distrikten unerläßlich sein wird. Daß größere, über das ganze Land sich ausbreitende Unruhen entstehen, dafür sprechen bisher keinerlei Anzeichen, voraussichtlich wird es sich nur darum handeln, kleinere, in einzelnen Komitaten aufflammende Bewegungen im Keime zu ersticken. Dazu sei aber nötig, das etwas weite Gendarmerienetz durch Aufstellung neuer Posten dichter zu machen und die bestehenden Posten zu verstärken. Wenn die ungarische Regierung daher einer unter Umständen auftretenden Bewegung Herr werden und dafür die Verantwortung tragen soll, so müsse sie die hiezu erforderliche Mittel besitzen. Der Kriegsminister FZM. v. Pitreich kaxm gegen bdie Absicht der ungarischen Regierung, eineb Verstärkung der Gendarmerie Cdurch Heeresmannschaft zu bewirken, im Prinzipec nichts einwenden, Ausgenommen der Art, wie die Verstär¬ kungen vom gemeinsamen Heere angefordert werden sollen e(direkte durch die Flügelkommandanten).e Der entscheidendef Grund, warum er aber in dem ^om ungarischen Landesverteidigungsminister® angeforderten Maße auf dieses Projekt ab¬ solut*1 nicht pingphon könne, liege eben in den schwachen Ständen der Infanterie. Eine Abgabe in der geforderten Zahl ergibt eine neuerliche Belastung von 9 bis 15 Mann per b-h KorrekturPitreichs aus das ihm vorgelegene Projekt des ungarischen Landesverteidigungsministers, wo die geplante. c_c Korrektur Pitreichs aus zum Ausdruck gelange. d <J Streichung Pitreichs von Fmdet dasselbe ... auch sehr gut. *"* Einfügung Pitreichs. 1 Korrektur Pitreichs aus einzige. «-* Einßgung Pitrachs. h~h Einßgung Pitreichs. <pb/>464 Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. 8.1905 Infanteriekompanie, die dann auf einen kaum mehr als 30 Mann betragenden ausrük- kenden Stand sinken würde, wofür er aber zu gegebener Zeit [nicht], dann schon gar nicht, die Verantwortung übernehmen kann. Die an den ungarischen Landesverteidi¬ gungsminister ergangene Antwortsnote über die Verstärkung der ungarischen Gendar¬ merie erwähnt alle in Betracht kommenden Umstände im Detaü und gibt das an, was das Kriegsministerium zu verantworten und dabei noch zu leisten vermag.3 Es wird sich ja nun ergeben, wie in möglichster Übereinstimmung die jedem Teile zufallende Aufgabe sich bei Wahrung der Verantwortlichkeit lösen läßt. Baron Fejerväry erwähnt nun noch, daß die direkte Anforderung wegen Verstärkung der Gendarmerieposten seitens der Flügelkommandanten nötig sei, weil sonst bei Einhaltung des langen und umständlichen Dienstganges - (Flügel-Distrikts - Korps-Truppen = Kommando) ein zu langer, unter Umständen acht Tage währender Zeitraum vergeht, bis die, in solchen Fällen dringliche Verstärkung an dem Bedarfs¬ platze erscheint Se. Majestät wünschen, daß diese Frage noch zur Austragung gelange; halten eine zu große Aufteüung der Truppe in kleine Abteüungen schon aus disziplinären Gründen für nicht wünschenswert und erachten ein Zusammenhalten halbwegs noch leistungsfähiger Unterabteüungen, welchen auch die Beistellung größe¬ rer, eventuell erforderlich werdender Assistenzen, Schutz und Sicherung von Augmen¬ tationsmagazinen obliegt, unerläßlich. Allerhöchstdieselben geruhen nun auf weiter entstehende Fragen Ag. einzugehen, was in jenem Falle in Aussicht genommen werden müßte, wenn die normalen Stände der in Ungarn befindlichen Truppen zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht mehr genügen sollten; und berufen Allerhöchstsich auf die vorangegangene Besprechung, aus welcher hervorgegangen, daß dann in erster Linie aus Ungarn sich rekrutierende Regimenter, [die] die Ordnung wieder herzustellen haben, eventuell auf höhere Stände gebracht werden müßten. Der ung.Ministerpräsident Baron Fejerväry kann an den Ein¬ tritt einer solchen Notwendigkeit nicht glauben und hält es für ausgeschlossen, daß eine den Charakter einer Revolution annehmende Bewegung entstünde, ist aber dafür, auch diese Eventualität, so ferne sie auch läge, zu erwägen. Der Kriegsminister FZM. v. Pitreich erachtet den Eintritt eines solchen für doch nicht ausgeschlossen, ist daher dafür, auch diese Eventualität ins Auge zu fassen. Hiebei rechnet derselbe auf die Verläßlichkeit der in Wien und auch in Ungarn dislozierten ungarischen und bosnischen Regimenter und hält die imbedingte Sicherung von Budapest sowie die Aufrechthaltung der Verbindung Wien-Budapest unter allen Umständen für erforderlich, auch eine schon dermalen in Aussicht genom¬ mene Verstärkung der Budapester Garnison, unter Begründung der Vornahme der größeren Übungen durch das 4. Korps, zur Versehung des Gamisonswachdienstes durch ein oder das andere von Wien nach Budapest verlegt werdende ungarische Infanterieregiment für möglich. 3 DerNotenwechsel zwischen dem kgl. ung. Landesverteidigungsminister und dem gemeinsamen Kriegsmini¬ ster war nicht auffindbar. <pb/>Nr. 61a Zur militärischen Frage, Ischl, 22. 8.1905 465 Se. Majestät stimmen diesen Anschauungen vollkommen bei, erwähnen hiezu die Verfügbarkeit der in Dienst gestellten Monitore und beauftragen den Kriegsmini¬ ster, bezüglich eventueller Verlegung ungarischer Infanterieregimenter von Wien nach Budapest mit dem Kommandanten des 4. Korps, FZM. Prinz Lobkowitz, Rücksprache zu pflegen. Der Kriegsminister FZM. v. Pitreich wirft die Frage auf, ob eine Verfügung wegen der Rückbehaltung der Drittjährigen bei den österreichischen Truppen erforderlich sei, weü über die Verläßlichkeit der ungarischen Truppen die Anschauungen einzelner höherer Müitärs abweichend seien. In diesem Falle müßten, weü bezüglich der Beurlaubung der Drittjährigen bei den österreichischen Truppen schon Verfügungen getroffen wurden, Gegenbefehle erlassen werden. Nachdem keiner der Anwesenden die Notwendigkeit einer abändemden Verfügung erforderlich erachtet, geruhten Se. Majestät umso mehr dieser einheitlichen Anschauung Ag. beizupflichten, weü eine gegen Erwarten notwendig werdende Einbe- rufung in wenigen Tagen durchgeführt sein kann, und es sich in einem solchen Falle dann wohl nicht mehr um einzelne Bataiüone oder Regimenter, sondern wohl schon um Brigaden und Divisionen handeln würde, die in Verwendung kämen. FZM. v. Pitreich berührt nun die aus der vorangegangenen Besprechung erörterten Schwierigkeiten, welche sich ergeben, wenn müitärisch aües in die Hand genommen werden müßte; worauf der Minister des Äußern Graf Gofu- c h o w s k i zum Ausdrucke bringt, daß, bevor man sich zu einer solchen Aktion, wie nun eingehend besprochen wurde, entschließe, man vollkommen darüber im klaren sein müsse, ob sie durchführbar ist, 'eventueü welche Vorkehrungen getroffen werden müssen, um sie durchführbar zu machen, und der Gefahr zu steuern, daß die Krone in einem gewissen Augenblick in die Lage gerate, vor dem aufrührerischen Parlament kapitulieren zu müssen. Wie er sich1 hierüber Jschon früher ausgesprochen habe,J Ksei er gewiß der letzte,k welcher sich einer möglichen friedlichen Entwirrung entgegenstel¬ len würde, 'sollte dieser aber unter Umständen nicht erreichbar sein,1 so trete das Wohl des Landes (Ungarn) und der Monarchie in den Vordergrund und müssen, wenn nötig, jene Mittel zur Anwendung kommen, welche ein bedenklich werdendes Sinken dieses Wohles "sowie die Erschütterung der königlichen Autorität"1 verhindern. Wenn daher die im Wege der "ungarischen" Regierung geplante Entwirrung eine Absage erfahre, so müsse eben jenes letzte Mittel zur Anwendung kommen, welches den Gang der .Staatsmaschine aüein aufrecht zu erhalten vermag. °Es müßte dabei bekannt gegeben werden, daß0 die Aufrechthaltung dieser außergewöhnlichen Mittel >-« Korrektur Gotuchowsläs aus denn wäre dies nicht der Fall, dann bliebe kein anderer Ausweg als der der Kapitulation der Krone. Nachdem sich, i "i Korrektur Gotuchowskis aus aber schon früher ausgesprochen wurde. k_k Korrektur Gotuchowskis aus er gewiß der letzte sei. 1 -1 Korrektur Gotuchowskis aus diese aber unter Umständen nicht erreichbar sein könnte. m~m Einfügung Gotuchowskis. a-n Korrektur Goiuchowskis aus österreichischen. 0'° Einßgung Gotuchowskis. <pb/>466 Nr. 61a Zur militärischen Frage, `Ischl, 22. 8.1905 padministrativer Natur, die unter Umständen zurp Verhängung des Belagerungszustan¬ des, eventuell auch rzu einer1 darauf folgenden Mobilisierung sführen können, nur für so lange geplant ist5, bis die Ordnung und das Gesetz wieder Geltung erlangen Hind eine4 bessere Einsicht die exzentrisch wirkenden Teile "zur Umkehr bewogen haben wird". Würde aber nicht jetzt schon dieses Vorgehen genau festgesetzt sein, so vtrüge die Aktion a priori den Keim des Mißlingens, welcher in letzter Analyse zur vorerwähn¬ ten folgenschweren Kapitulation, mit anderen Worten, zu einer nie mehr gutzumachen¬ den Niederlage führen müßtev. Se. Majestät geruhten hierauf die bis 1/2 5 Uhr Nachmittag währende Konfe¬ renz mit den Ag. Worten zu beenden, daß alle möglichen Fälle und die hierauf zu fassenden Entschlüsse erwogen Verden müssen* und das hervorgegangene Resultat sodann yvorzubereiten isty. Der k. k. Ministerpräsident Baron Gautsch bringt zum Schlüsse ein Kommunique zur Verlesung, welches das, was.die Öffentlichkeit über diese gemein¬ same Ministerkonferenz zu erfahren habe, enthält und welches zmit geringer Abände¬ rung2 die Zustimmung aller Konferenzmitglieder ünd auch die Ah. Billigung Sr. k. u. k. apost. Majestät findet.4 Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 17. September 1902 [sic!]. Franz Joseph. P"P KorrekturGotuchowskisaus d. i. die. r"r Einßgung Gotuchowskis. Einßgung Gotuchowskis. Korrektur Gotuchowskis aus blieben seiner Ansicht nach nur solange in Geltung, bis eine. u-u Korrektur Gotuchowskis aus zur Besinnung gebracht habe. v-v KorrektorGotuchowskisaus müßtejetzt schon oder nicht viel später das Zuwarten zu einer Kapitulation der Krone führen. *"* Einßgung Sr. Majestät, y~y Einßgung Sr. Majestät. z~z EinßgungFejervärys. 4 Kommunique der österreichischen Regierung: Heute um 1 Uhr fand unter dem Vorsitze des Kaisers in der kaiserlichen Villa eine Konferenz statt, anwelcher die drei gemeinsamen Minister und die beiderseitigen Ministerpräsidenten teilnahmen. Die Konferenz währte bis 1/2 S nachmittags und beschäftigte sich mit der durch die ungarische Krise geschaffenen Situation, unter anderem speziell mit der Frage der Fortführung der Handelsvertragsverhandlungen. Für die Eventualität, daß bis zum Wiederzusammen¬ tritte des ungarischen Reichstages keine Lösung der ungarischen Krise eingetreten sein sollte, wurden die erforderlichen Beschlüsse gefaßt. Gegenüber Nachrichten verschiedener Organe des In- und Aus¬ landes muß konstatiert werden, daß eine Änderung in der Auffassung der maßgebenden Kreise hinsicht¬ lich der militärischen Frage seit dem Beginn der ungarischen Krise nicht eingetreten ist. Der letzte Satz des Zitatsfindet sich in den offiziellen Regierungserklärungen Ungarns nicht Neue Freie Presse v. 23.8. 1905 (M.). <pb/>