Gemeinsamer Ministerrat, 30. 10. 1904
I. Beschlußfassung über die Ergebnisse der Beratung der gemeinsamen Zoll- und Handelskonferenz bezüglich der Handelsvertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z58.pdf.
Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 413 Was schließlich die Fischerei- und die Cabotagefrage anbelangt, so wird abeschlos- sen,a bezüglich der ersterenb den Status quo caufrechtzuerhalten,c bezüglich der letz¬ teren djedoch den Weiterbestand dieses Zustandes von Italien unbedingt zu verlangen, wogegen*1 unsererseits die Partizipierung der italienischen Schiffe an den bisher nur den nationalen Fahrzeugen vorbehaltenen Abonnementgebühren zugestanden werden könnte.5 Nachdem hiemit die zur Diskussion gestandenen Fragen erschöpft erscheinen, erklärt der Vorsitzende die Beratung für geschlossen. Goluchowski [Ah. E. fehlt.] Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. Oktober 1904 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Koeiber (6.11.), der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza (7.11.), der k. u. k. Botschafter v. Szögydny-Marich, der kgl. ung. Handelsminister v. Hieronymi (10.11.), der k. k. Handelsminister Freiherr v. Olli (18. 11.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän, der k. k. Finanzminister Kosel, der k. k. Ackerbauminister Graf [Longueval-] Buquoy, der Sektionschef im k. k. Handelsministerium Ritter v. Roessler, der k. k. Sektionsrat im k. k. Ackerbauministerium Seidler, der k. k. Sektionsrat im k. k. Finanzministerium Mühlvenzl. Protokollführer: der k. u. k. österreichisch-ungarische Konsul Ritter v. Princig. Gegenstand: Beschlußfassung über die Ergebnisse der Beratung der gemeinsamen Zoll- und Handels¬ konferenz bezüglich der Handelsvertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche. KZ. [fehlt] - GMCZ. 447 Protokoll des zu Wien am 30. Oktober 1904 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gotuchowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und gibt Mitteflung von der Absicht der deutschen Bundesregierung, den Staatsminister Grafen Posadowsky mit einem Stabe von Fachreferenten demnächst nach Wien zu entsenden, um dadurch den Abschluß der Handelsvertragsverhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland tun¬ lichst zu beschleunigen.1 Mit Rücksicht auf die geänderte Sachlage ersucht der Vorsit¬ zende, nachdem er bei den Besprechungen mit dem Grafen Posadowsky in erster Linie a_a EinfigungMihalovichs. b Streichung von Mihalovich die Aufrechterhaltung. c-c Korrektur Mihalovichs aus beschlossen. d Korrektur Mihalovichs aus einigt man sich dahin, daß, falls Italien den Status quo zusichern sollte. s Handels- und Schiffahrtsvertrag v. 6.12.1891, RGBl. Nr. 18/1892, bzw. v. 30.1.1892, GA. HI/1892. 1 Zum deutschen Handelsvertrag siehe GMR. v. 28.2.1904, GMCZ. 440. Arthur Grafv. Posadowsky-Wehner (1845 -1932), Staatssekretär desReichsamts desInneren, preußischer Staatsminister ohne Geschäftsbereich und Stellvertreter des Reichskanzlers. Die Handelsverträge der Jahre 1904/05 mit ausländischen Staaten <pb/>414 Nr. SS Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 ins Treffen kommen werde, ihn möglichst eingehend mit den Ansichten der beidersei¬ tigen Regierungen über die wichtigsten Punkte, welche das Substrat der zu gewärtigen¬ den voraussichtlich umfangreichen Verhandlungen bilden werden, vertraut zu machen. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber glaubt den Mitteilungen, welche ihm über das Ergebnis der Beratungen der gemeinsamen Zoll- und Handels¬ konferenz gemacht worden sind,2 entnehmen zu sollen, daß zwischen den beiderseitigen Konferenzdelegierten Differenzen in wichtigen Belangen bestehen. Redner weist darauf hin, daß die einschneidendsten in Betracht kommenden Fragen den Gersten¬ zoll, die Viehzölle, die Veterinärkonvention und die deutscherseits und diesseits aufge- stellten Forderungen bezüglich gewisser Industrieartikel betreffen. Was vor allem den Gerstenzoll anbelange, so sei wenig Hoffnung vorhanden, diesbezüglich irgendeine Konzession zu erlangen, und werde man sich auch mit der Unterscheidung von Brau- und Futtergerste vertraut machen müssen und nur das anzustreben trachten, was Rußland in seinen Abmachungen mit Deutschland akzeptiert habe.3 In der Zoll- und Handelskonferenz seien gewisse Kautelen besprochen worden, welche die Aufhebung des Einfuhrscheinverfahrens und Tarifbegünstigungen für den Gerstetransport be¬ zwecken. Die diesbezüglich formulierten Wünsche müßten mit den deutschen Dele¬ gierten imbedingt zum Gegenstände näherer Erörterung gemacht werden, wie über¬ haupt in bezug auf diesen ungemein wichtigen Ausfuhrartikel mit größter Vorsicht vorzugehen wäre, damit das denkbar Günstigste erreicht werde. In der Behandlung dieser Frage bestehe zwischen beiden Regierungen keine große Differenz. Immerhin sei die österreichische Regierung der Ansicht, daß man die deutschen Unterhändler nicht durchblicken lassen solle, daß man auf ihre Forderungen eingehe, sondern trachten müsse, wenigstens etwas zu erreichen. Erst im letzten Momente könne man dann nachgeben. Der Vorsitzende ist auch der Ansicht, daß Deutschland bei Gerste den größten Widerstand leisten werde, und daher nichts werde erreicht werden können, dagegen glaubt er, daß eine Herabsetzung der Spannung zwischen Gersten- und Malzzoll im Bereiche der Möglichkeit liegen dürfte und die Verhandlungen diesbezüg¬ lich nicht ganz erfolglos sein könnten. Der Vorsitzende glaubt daher, daß es seine Aufgabe sein werde, bei den Besprechungen mit Graf Posadowsky vorerst gegen den deutschen Gerstenzoll entschieden Stellung zu nehmen, hiebei jedoch hervorzuheben, daß, wenn aUeräußerstenfalls eine Herabsetzung des Gerstenzolles undurchführbar sein sollte, unsererseits erstens darauf bestanden`werden müsse, an den Konzessionen zu partizipieren, welche Deutschland an Rußland in diesem Artikel gewährt hat, und daß zweitens unbedingt eine Herabsetzung der Spannung zwischen dem Malz- und dem Gerstenzolle gefordert werden müsse. wurden von ihm vorbereitet. Zu seiner Person und Auffassung siehe Born, Staats- und Sozialpolitik seit Bismarcks Sturz 142-211. 2 Protokoll über die vom 20. bis zum 29.10.1904 abgehaltenen Sitzungen der Zoll* und Handelskonferenz betreffend den Handelsvertrag mitDeutschland, HHStA., AR., F. 37, Karton 46, Deutschland 10, Nr. 200. 3 Die neuen Handelsverträge, Bd. 1109-146. Anfangs bemühte sich Rußland um die Herabsetzung des für Getreide erhobenen minimalen Zolles, bei den Verhandlungen rückte es aber davon ab, was sich selbstverständlich auch aufden österreichischen Standpunkt auswirkte. Siehe Szögyeny an Gotuchowski v. 14. 6.1904, HHStA, AR-, F. 37, Karton 46, Deutschland 10, Nr. 159. <pb/>Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 415 Diesbezüglich gibt der k. k. Ministerpräsident v. Koerber demVor- sitzenden zu wissen, daß diese Spannung, welche laut des neuen deutschen Zolltarifes 6,?^ Mark betrage, auf 5,30, äußerstenfalls auf 5,50 Mark herabzusetzen wäre. Derkgl. ung. Ministerpräsident Graf T isza erklärtsichmitdem Modus procedendi einverstanden, obgleich er auch der Ansicht ist, daß in diesem Belange kaum etwas zu erreichen wäre, ausgenommen etwa eine amöglichst erhebliche3 Herabsetzung der Spannung zwischen Malz- und Gerstenzoll. Auf die Holzzölle übergehend, hält der k.k. Ministerpräsident v. Koer¬ ber dafür, daß äußerstenfalls die Aufrechthaltung des Status quo akzeptiert werden könne, da jede andere Modalität indiskutabel sei und dievon Deutschland geschaffenen Bestimmungen völlig unannehmbar seien. Der Vorsitzende erklärt, er werde diesen Verhandlungspunkt mit einem ebensolchen non possumus beantworten, wie dies die Deutschen bei Gerste getan. Der kg 1. ung. Ministerpräsident Graf Tis za gibt die Versiche¬ rung, daß, wenngleich Holz ein die ungarischen Interessen nicht tangierender Artikel sei, die ungarische Regierung in dieser Frage mit der österreichischen Regierung in loyaler Weise Schulter an Schulter stehen werde. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber bemerkt, auf die Frage der Viehzölle pingphenH, daß die in diesem Belange differierenden Standpunkte der beiden Regierungen einer Einigung zugeführt werden müßten, da deutscherseits nunmehr an Stelle der bisherigen Stück- Gewichtszölle vorgeschrieben wurden. Der Ick. Sektionschef v. Roessler referiert, daß diesbezüglich für das nächste Verhandlungsstadium insofeme eine Einigung zwischen den beiderseitigen Delegierten in der Zoll- und Handelskonferenz erzielt worden sei, als ungarischerseits in Übereinstimmung mit dem österreichischen Anträge die Festsetzung eines Stückzol¬ les von 40 Mark für Hornvieh und von 10 Mark für Schweine zugestanden worden sei. Redner, welcher fürchtet, daß deutscherseits mit Zähigkeit an dem Gewichtszolle werde festgehalten werden, erblickt in dem obigen Anträge noch immer eine wesentli¬ che Verschlechterung gegenüber dem gegenwärtigen Zustande; trotzdem sei damit, falls der Antrag akzeptiert werden würde, schon etwas gewonnen, denn ein Stückzoll von 40 Mark entspreche einem Gewichtszolle von etwa 7 Mark per q, während der neue deutsche Zolltarif einen solchen von 18 Mark per q vorsehe. Bei schließlicher Annahme des Gewichtszolles müsse man daher zumindest einen solchen von 6, höchstens 7 Mark per q fordern. Im Grenzverkehre wirke dagegen der Gewichtszoll direkt prohibitiv. Nachdem Österreich beim Grenzverkehre direkt interessiert sei, so müsse angestrebt werden, wenigstens für diesen Verkehr einen Stückzoll zu erlangen oder im Schlußpro¬ tokolle eine Bestimmung aufnehmen lassen, wonach der Zoll aufgrund eines bestimm¬ ten Schlüssels ermittelt werde, da die wenigsten Zollämter eine Viehwaage besitzen, und daher die Einfuhr bei Anwendung von Lebendgewichtszoll auf Vieh mit Ausnahme von Schlachtvieh den Export völlig lahmlege. Korrektur Tiszas aus geringe. <pb/>416 Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza sieht sich zu der Erklärung veranlaßt, daß, nachdem jeder Vorteil, den Österreich erlange, auch für Ungarn wertvoll sei, die ungarische Regierung jede diesbezügliche Forderung unter¬ stützen werde. Der k. u. k. Botschafter v. Szögyeny gibt an, den Eindruck gewonnen zu haben, daß man sich deutscherseits zwar auch in dieser Frage ablehnend verhalten werde, jedoch nicht so unzugänglich sich zeigen werde, wie bei der Frage des Gersten- zolles, und daß, obzwar die agrarische Majorität des Reichstages die Forderung des Gewichtszolles bei Vieh diktiert habe, die deutschen Delegierten möglicherweise mit sich würden reden lassen. Redner glaubt auch, daß die Verzögerung in der Hieherkunft des Grafen Posadowsky4 möglicherweise ihren Grund darin finde, daß Deutschland vorerst in der Frage der Viehzölle mit der Schweiz ins reine kommen möchte, und da die letzten Schwierigkeiten, welche dem Abschlüsse des deutsch-schweizerischen Han¬ delsvertrages entgegenstanden, Zeitungsnachrichten zufolge der Bereinigung nahe seien, so werde, nunmehr eine Einigung leichter erfolgen können.5 Der k.k. Sektionschef v. Roessler macht noch darauf aufmerksam, daß die deutschen Delegierten anläßlich der ersten Lesung in Berlin erklärt hätten, daß möglicherweise in der zweiten Lesung die Frage des Grenzverkehres für Vieh durch Gewährung eines Stückzolles ausgetragen werden könnte. Der Vorsitzende beantragt demnach, auf die Verzollung von Vieh im Grenz¬ verkehre nach dem Stück zu dringen. Der kgl. ung. MinisterpräsidentGrafTisza erblickt in der Bestim- mung des deutschen Zolltarifs, daß das Vieh nach Lebendgewicht zu verzollen sei, eine Spitze gegen Österreich-Ungarn und glaubt, daß, wenn österreichisch-ungarischerseits in der Frage des Gerstenzolles nachgegeben werde, von Deutschland füglich die Gewährung des Stückzolles verlangt werden könnte. Was insbesondere das Mastvieh anbelange, so sei eine Abwägung bei der Verzollung mit schwerer Schädigung der Exportinteressen verbunden, weshalb diesfalls entweder das Abwägen der ganzen Waggons mitsamt dem Vieh erfolgen müßte, wobei ja leicht die Tara ermittelt werden könne, oder die Abwägung am Orte der Ankunft vorzunehmen wäre. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber nimmt nunmehr in Überein¬ stimmung mit den übrigen Konferenzmitgliedem eine Durchsicht der zur Tarif-Anlage A des Vertragsentwurfes (Zölle bei der Einfuhr nach Deutschland) zu stellenden Forderungen vor, um, insofeme als über dieselben im Schoße der gemeinsamen Zoll- und Handelskonferenz eine Einigung nicht erfolgt sein sollte, nunmehr eine Überein¬ stimmung zwischen den beiderseitigen Regierungen herbeizuführen. Hiebei entwickelt sich bei dem Artikel ,,Gerbstoffextrakte" ein lebhafter Gedankenaustausch, in dessen 4 Wegen der Berliner Bundesratssitzungen mußte Posadowsky seine Wienreise um einige Tage verschieben; hierüber berichtete Szichenyi aus Berlin an Gotuchowski, 30.10.1904, HHStA., AR., F. 37, Karton 46, Deutschland 10, Nr. 196. 5 Zum Vertragzwischen der Schweiz undDeutschland siehe: Die neuen Handelsverträge, Bd. 1147-197. Zu den Handelsvertragsverhandlungen: Szichenyi am 21. 9. 1904 an Gotuchowski, HHStA., PA. III, Karton 160 (privat). <pb/>Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 417 Verlaufe der k.k. Sektionschef v. Roessler in ausführlicher Weise die Stellungnahme der österreichischen Regierung zu dieser Frage skizziert, welche dahin geht, daß Österreich die deutsche Forderung auf Herabsetzung des Zolles auf Gerb¬ stoffextrakte zu akzeptieren bereit wäre, wenn der Quebrachoholzzoll des österrei¬ chisch-ungarischen Zolltarifentwurfes von 1 Kr. fallengelassen würde. Dieser Zoll wurde seinerzeit aufgestellt, weü Deutschland in seinem neuen Zolltarife einen Zoll auf Gerbrinden festgesetzt hat. Um nnnme.hr neuerlich die Zollfreiheit für unsere Gerbrin¬ den zu erlangen, welche eine Zollbelastung nicht vertragen, müsse der Quebrachoholz¬ zoll fallen, wodurch es auch möglich werde, unseren Zoll auf Gerbstoffextrakte dem deutschen Wunsche entsprechend herabzusetzen. Ungarischerseits werde gegen die Aufhebung des Quebrachoholzzolles Bedenken erhoben, und sei man nur geneigt, eine Reduktion bis auf 50 Heller zuzugestehen; dies genüge jedoch nicht, um von Deutsch¬ land die Zollfreiheit für Gerbrinden zu erlangen. Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza erklärt, die Ansicht der österreichischen Regierung in diesem Belange nicht teüen zu können, weü durch Gewährung der Zollfreiheit für Quebrachoholz der Industrie eine Prämie zum Nach- teüe der Forstwirtschaft gewährt werde, was schwer zu vertreten sei. Es genüge nach Ansicht der ungarischen Regierung, wenn pari passu neben einer Herabminderung des Quebrachoholzzoües von 1 Kr. auf 50 Heüer eine solche der Gerbstoffextrakte von 8 auf 5 Kr. eintreten würde. Demgegenüber betont der k.k. Sektionschef v. Roessler, daß dies in keinem Verhältnisse zu dem heutigen Zustande stehe, wo Quebrachoholz zollfrei sei und Gerbstoffextrakte einem Zolle von 3 Kr. 60 Hellem unterliegen. Übrigens habe seinerzeit die österreichische Regierung einem Zolle auf Quebrachoholz nur unter der Voraussetzung zugestimmt, daß wir durch das Fallenlassen desselben in Deutschland die Zollfreiheit für unsere Gerbrinden erlangen. Schließlich liege es im Interesse der Verbilligung der Gerbstoffextrakte, den Zoll auf Quebrachoholz fallenzulassen, umso mehr als heutzutage die Gerbung mit Quebrachoholzextrakten die rationeüste sei. Diesbezüglich weist der kgl. ung. Handelsminister v. Hieronymi darauf hin, daß die Lederfabriken auf das Chromverfahren übergehen müßten, und sei es Sorge der ungarischen Regierung, dieses Verfahren zu fördern, welches besseres Leder liefere, eine kürzere Gerbung bedinge (5 Tage gegen etwa 3 Monate) und um 40% billiger sei als jedes andere. Wenn der Quebrachoholzzoll faüen gemacht werde, so würden unsere Rinden entwertet. Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza fügt dem noch hinzu, daß durch die ungarischerseits konzedierte Ermäßigung des Quebrachoholzzolles auf 50 Heller eine Vorbelastung der Ware mit 4 Kr. erfolge, so daß bei Annahme eines Zolles für Gerbrindenextrakte von 5 Kr. der Industrie ein Zollschutz von 1 Kr. gewährt werde. Nachdem der Ick. Ministerpräsident v. Koerber nochmals darauf hinweist, daß im neuen österreichisch-ungarischen Zolltarifentwürfe gewisse Zölle aufgenommen wurden, um dagegen Kompensationen zu erlangen, und der Quebracho- holzzoü eben auch ein solcher Zoll sei, proponiert der Vorsitzende, daß eine Bereinigung der etwa 200 noch bestehenden Differenzpunkte zwischen den beidersei- <pb/>418 Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 tigen Ressortministern erfolgen möge und dieselben daher unter sich die näheren Besprechungen vornehmen sollten. Jedenfalls müsse auf eine rasche Einigung gedrun¬ gen werden, da bei Ankunft der deutschen Unterhändler keinerlei Differenzen mehr vorliegen dürften. Dieser Antrag wird akzeptiert. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber zieht nunmehr den Te# des Vertragsentwurfes in Beratung und konstatiert, daß diesbezüglich nur eine Divergenz bei der deutscherseits im Schlußprotokolle zu Artikel 1, Punkt 6, aufgestellten Forde¬ rung bestehe, derzufolge eine Beschränkung der Auswanderungsfreiheit als unzulässig bezeichnet wird.6 Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza erklärt, nicht in der Lage zu sein, dieser Forderung, welche übrigens gar nicht in den Rahmen eines Handelsvertrages falle, zu entsprechen und auf einem schroffen non possumus-Stand- punkte verharren zu müssen, umso mehr als es ja jedem Staate freistehen müsse, die Verkehrslinien festzusetzen, auf welchen seine Staatsbürger auswandem können. Auf eine Frage des k. u. k. Botschafters v. Szpgyeny, welcher vollkom¬ men einsieht, daß die ungarische Regierung in dieser Frage nicht nachgeben könne, ob Bedenken dagegen erhoben würden, bei der Verhandlung über diese Frage zu erklären, daß man bereit sei, diese Angelegenheit außerhalb des Vertrages in Form eines gegenseitigen Meinungsaustausches zu regeln, erwidert der kgl. ung. Minister¬ präsident Graf Tisza, daß sich die ungarische Regierung einem derartigen Ideenaustausche nicht entziehen würde, tun etwaige Mißverständnisse aufzuklären, daß dieselbe jedoch unter keinerlei Umständen Verpflichtungen zu übernehmen in der Lage sei, welche gegen die Souveränitätsrechte eines Staates verstoßen. Der Vorsitzende ist auch der Ansicht, daß, nachdem eine ähnliche Forderung in dem bisherigen Vertrage nicht enthalten war, dies schon allein Grund sei, um die Aufnahme derselben in dem künftigen Vertrage abzulehnen. Allenfalls könnte bezüg¬ lich der Inhibierung der sogenannten prepaid tickets mit den Deutschen ein Gedanken¬ austausch erfolgen. Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber erklärt, daß die österreichi¬ sche Regierung zwar kein Bedenken gehabt hätte, die in Rede stehende Bestimmung anzunehmen. Er gebe jedoch zu, daß diese Frage nicht in den Vertrag gehöre, und habe daher nichts dagegen einzuwenden, daß in der proponierten Weise vorgegangen werde. Übrigens seien noch andere Punkte im Vertragstexte vorhanden, gegen welche Beden¬ ken erhoben werden müßten, so zum Beispiel die deutscherseits im Artikel 1 vorge¬ schlagenen Bestimmungen bezüglich der Ein- und Ausfuhrverbote, welche ebenfalls als indiskutabel bezeichnet werden müßten. 6 Die deutsche Regierung war bemüht, der Monarchie in den Handelsverträgen die bindende Erklärung abzunehmen, daß die ungarische Reperung sich der mittels § 6 des ungarischen Auswanderungsgesetzes erteilten Ermächtigung, die Auswanderung auf bestimmte Reiselinien zu beschränken, während der Dauer des Handelsvertrages in einem Deutschland ungünstigen Sinne nicht bedienen wird. Dies lehntejedoch der ungarische Ministerpräsident ab. Tisza an Gotuchowski v. 5. 6. 1904, HHSxA., AR., F. 37, Karton 46, Deutschland 10, Nr. 145. Das ungarischeAuswanderungsgesetz v. 11.3.1903, GA. IV/1903. <pb/>Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 419 Der k.u. k. Botschafter v. Szögyeny bringt auch die Frage der Behand¬ lung der Chemikalien zur Sprache und meint, daß dieselbe ebenfalls besprochen werden könnte. Der k.k. Sektionschef v. Roessler schildert hierauf die diesfälligen Ergebnisse der Zoll- und Handelskonferenz, bedauert, daß die ungarischen Delegier¬ ten nur dort Konzessionen zu machen bereit waren, wo die Interessen Ungarns mit denen Österreichs übereinstimmen, bei rein österreichischen Postulaten sich jedoch unzugänglich erwiesen, und bittet dringend im Interesse des Zustandekommens des Vertrages, daß dieser Standpunkt im Geiste der Zollgemeinsamkeit zwischen Öster¬ reich und Ungarn aufgegeben werde. Insbesondere weist Redner darauf hin, daß dieser Standpunkt der ungarischen Regierung bei zwei Tarifpositionen des österreichisch-un¬ garischen Zolltarifentwurfes von den schwerwiegendsten Folgen sei, da dieselben eine Rohstoffbelastung repräsentieren, welche undurchführbar sei, wenn die Zölle für die betreffenden Endprodukte im Sinne der Forderungen Deutschlands herabgesetzt werden müßten. Diese Rohprodukte seien Schwefelkies und Schafleder. Ersteres Erzeugnis anbelangend sei es mit Rücksicht auf die ungarischerseits aufge¬ stellte Forderung der Aufrechterhaltung des Schwefelkieszolles von 30 Hellem un¬ möglich, auf die deutscherseits geforderte Herabsetzung des Schwefelsäurezolles einzugehen, und werde dieser nicht eliminiert, so sei es wiederum unmöglich, die Zölle für alle jene Endprodukte zu ermäßigen, bei denen Schwefelsäure zur Fabrikation angewendet werde, abgesehen davon, daß die Schwefelsäure auch ein wichtiges Produkt für die Landwirtschaft sei. Schließlich sei die österreichische Regierung in¬ folgedessen auch nicht in der Lage, den deutschen Chemikalien entsprechende Kon¬ zessionen zu gewähren. Ähnlich verhalte es sich mit Schafleder. Diesbezüglich fordere Deutschland den Status quo für zugerichtetes Schafleder; österreichischerseits wäre man bereit, diese Konzession zu gewähren, wenn der im österreichisch-ungarischen Zolltarifentwürfe festgesetzte Zoll von 30 Kr. für halbgegerbte ganze Schaffelle auf 16 oder 18 Kr. ermäßigt werde, was jedoch ungarischerseits abgelehnt worden sei. Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza glaubt, daß die beste¬ henden Differenzen zwischen Österreich und Ungarn am leichtesten durch die gründ¬ liche Aussprache der beiderseitigen Handelsminister werde bereinigt werden können.7 Hiebei müsse sich die ungarische Regierung vor Augen halten, daß die Opfer, welche auf dem Gebiete der Industriezölle Deutschland gewährt werden, das Maß der Bela¬ stung repräsentieren müssen, welche die agrarischen Interessen gegenüber dem Osten zu tragen haben. Je billiger wir daher mit Deutschland durchkommen, umso geringer wird jenes Maß von Konzessionen sein können, welche von unseren agrarischen Inter¬ essen in den Verhandlungen mit den Oststaaten mit Recht wird gefordert werden können.*5 bb Korrektur Tiszas ausfreigiebiger könnenwir dann aufagrarischem Gebiete unseren östlichen Nachbarn gegenüber sein.. 7 Die Zoll- undHandelskonferenzen zwischen den beiden Ländern wurden AnfangNovemberfortgesetzt. Die Protokolle dazu waren nurzum Teil aufzufinden, Protokolle Nr. 7-13:17. -24.11.1904, HHSrA., AR., F. 37, Karton 47, Deutschland 10, Nr. 251. , <pb/>420 Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30.10.1904 Der kgl. ung. Handelminister v. Hieronymi glaubt, daß in all diesen Fragen Prinzipien aufzustellen schwer sei; die einzelnen strittigen Punkte ließen sich nur Schritt für Schritt lösen. Auch wäre Deutschland gegenüber zu betonen, daß wir auf ein Entgegenkommen in der Frage der Fleischeinfuhr rechnen und darauf bestehen müssen, daß uns die Durchfuhr von Fleisch gestattet werde. Diesbezüglich deutet der Vorsitzende an, daß Deutschland bereits an Rumä¬ nien einschlägige Konzessionen gewährt haben dürfte, an denen wir aus dem Titel der Meistbegünstigung eo ipso partizipieren könnten.8 Der Ick. Ministerpräsident v. Koerber konstatiert, auf die Viehkon¬ vention übergehend, daß in diesem Belange beiderseits Einigung bestehe. Unsere Forderungen seien derart formuliert, daß sie für Deutschland ganz akzeptable seien. Hauptsache sei für uns, die Sicherheit des Viehimports nach Deutschland festzulegen. Der Vorsitzende ist der Ansicht, daß dem Grafen Posadowsky klar zu ma¬ chen sei, daß wir die Einhaltung der Viehkonventionsbestimmungen nicht nach dem Buchstaben, sondern nach dem Geiste derselben fordern müssen. In diesem Belange geben die Deutschen selbst zu, daß sie nicht loyal Vorgehen, schützen jedoch den Terrorismus der Agrarier vor. Es unterliege keinem Zweifel, daß Deutschland durch Annahme des Schiedsgerichtes auch für Veterinärangelegenheiten bereits ein Sicher- heitsventü konzediert habe. Dies sei jedoch ein schwerfälliger Apparat, und müsse daher unbedingt das Prinzip aufgestellt werden, daß, wenn in einem Teüe der Monar¬ chie eine Seuche ausbreche, deshalb nicht die Viehausfuhr aus dem ganzen Reiche gesperrt werde. Redner werde in dieser Form diese Angelegenheit dem Grafen Posa¬ dowsky gegenüber vertreten. Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza führt aus, daß noch folgende Momente einer ernsten Erwägung bedürfen. Erstens müsse darauf hingewie¬ sen werden, daß selbst während der Dauer einer Viehsperre Masttiere zu Konsumzwek- ken aus nicht verseuchten Gemeinden zur Ausfuhr gebracht werden dürfen. Ferner müsse die Frage bereinigt werden, ob Deutschland berechtigt sei, die ganze Grenze zu sperren, wenn auch nur ein Verseuchungsfall auftritt. Natürlich werde Deutschland trachten, sich dieses Recht zu wahren. Die Modalitäten, unter denen diese Sperre verfügt werden können, müßten jedoch genau festgesetzt werden. Außerdem werde deutscherseits auch großes Gewicht auf die Präventivsperre gelegt werden. Hiebei müßte genau bestimmt werden, welches perzentuelle Verhältnis zwischen verseuchten und nicht verseuchten Gemeinden diese Maßregel rechtfertige, und hofft Redner, daß es möglich sein werde, das in der Zoll- und Handelskonferenz diesbezüglich festgesetz¬ te Verhältnis von 30% durchzusetzen. Redner erklärt ferner für wichtig, die Frage genau zu erörtern, zu welchem Zeitpunkte die Präventivsperre wieder aufgehoben werden könne, und müßte in diesem Belange der Zusatz gemacht werden, daß die Sperre aufzuhören habe, wenn der Gesundheitszustand im überwiegend größten Teile 8 Zu dem zwischen Rumänien und Deutschland geschlossenen Handelsvertrag siehe Die neuen Handels¬ verträge, Bd. 187-108. Über die deutsch-rumänischen Handelsvertragsverhandlungen siehe Szechenyi an Gotuchowsld v. 21.9.1904, HHStA., PA. III, Karton 160 (privat). <pb/>Nr. 59 Gemeinsamer Ministemu, Wien, 28.11.1904 421 des Sperrgebietes ein normaler geworden. Natürlich müßten dann die Sperrmaßregeln für die noch verseuchten Gemeinden aufrechterhalten werden. Der Vorsitzende meint, der Schwerpunkt der ganzen Frage liege darin, ob deutscherseits die Viehkonventionsbestimmungen loyal werden erfüllt werden. Sollte dies der Fall sein, so werde eine Verständigung unschwer eintreten, andernfalls werde es schwer sein, zu einem befriedigenden Resultate zu gelangen. Nachdem der k.k. Sektionsrat Seidler noch Aufklärungen über die Modalitäten gegeben hat, welche in der Zoll- und Handelskonferenz bezüglich der Bestandsperre und bezüglich der Absperrung gewisser Gebiete der Monarchie festge¬ legt wurden, äußert sich der k. k. Ministerpräsident v. Koerber einiger¬ maßen pessimistisch über die Möglichkeit der Aufhebung der Viehsperre, solange in einem Gebiete noch eine Seuche herrsche. Er begreife vollkommen, daß die deutscher¬ seits gegenwärtig geübte Praxis in der Auslegung der Bestimmungen der Veterinärkon¬ vention Entrüstung hervorrufe, und schließt sich daher auch vollkommen den Anträgen an, welche diesbezüglich ungarischerseits gemacht wurden. Der Vorsitzende schließt hieraufdie Konferenz und hofft, daß es den Bemü- hungen der beiderseitigen Ressortminister ehestens gelingen werde, die auf den einzel¬ nen Gebieten bestehenden Differenzen befriedigend auszugleichen.9 Goluchowski [Ah. E. fehlt.] Nr. 59 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. November 1904 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Koerber (5.12.), der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Ritter v. Pitreich, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Buriän, der k. k. Landesverteidigungsminister FZM. Graf Welsersheimb, der kgl. ung. Landes¬ verteidigungsminister GM. v. Nyiri (13.12.), der kgl. ung. Finanzministerv. Lukäcs, der k. k. Finanzminister Kosel (17.12.). Protokollführer Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die vom k. u. k. gemeinsamen Kriegsminister geplanten militärischen Sicherheitsvorkeh¬ rungen im Südwesten der Monarchie. Zu diesem Zwecke in Aussicht genommene Einberufung von 1626 Mann der Ersatzreserve aufgrund des Gesetzes vom 31. Mai 1888. KZ. 46-GMCZ.448 Protokoll des zu Wien am 28. November 1904 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitz des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Goluchowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß, nachdem der Gegenstand der Beratung seitens der Kriegsverwaltung den beiden Regierungen 9 Siehe Anm. 6. <pb/>