MRP-2-0-05-0-19040423-P-0054.xml

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Gemeinsamer Ministerrat, 23. 4. 1904

I. Die zum Zwecke der Deckung der außerordentlichen Rüstungsmaßnahmen des Heeres und der Marine aufzunehmende Anleihe

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z54.pdf.

Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23. 4.1904 - Protokoll I  365

         Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23. April 1904 - Protokoll I

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Koerber (29.4.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza
(3.5.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich (29.4.), der k. u. k. gemeinsame
Finanzminister Freiherr v. Buriän (11-5.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs (3.5.), der k. k. Finanzmi¬
nister Ritter Böhm [v. Bawerk] (2.5.), der k. u. k. Chef der Marinesektion Admiral Freiherrv. Spaun (2.5.).
    Protokollführer Legationsrat Freiherr v. Gagem.
    Gegenstand: Die zum Zwecke der Deckung der außerordentlichen Rüstungsmaßnahmen des Heeres
und der Marine aufzunehmende Anleihe.

   KZ. 20 - GMCZ. 443
   Protokoll des zu Wien am 23. April 1904 abgehaltenen Mihisterrates für gemeinsame
Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern
Grafen Gohichowski.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und schlägt vor, die von dem k. u. k.
gemeinsamen Kriegsminister unterm 20. April 1. J., Z. 2991, an die beiden Ministerprä¬
sidenten gerichteten Note,1 in welcher die von den beiden militärischen Ressorts für
außerordentliche Rüstungs- und fortiffkatorische Maßnahmen benötigten Kredite
sowie deren Repartierung auf die nächsten Jahre eingehend dargelegt werden, als Basis
der Diskussion anzunehmen.

   Nachdem dieser Vorschlag die Zustimmung der übrigen Konferenzteilnehmer ge¬
funden hat, ergreift der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm das Wort,
tun sich von dem k. u. k. gemeinsamen Kriegsminister Aufklärung darüber zu erbitten,
ob es auf einem Versehen beruhe oder absichtlich geschehen sei, daß in der in Rede
stehenden Note von der Gesamtziffer des von der Heeres- sowie von der Marinever¬
waltung in Anspruch genommenen außerordentlichen Kredites die im vorigen Jahre
für die Anschaffung eines neuen Artilleriemateriales bewilligten 15 Millionen Kronen
in Abrechnung gebracht erscheinen, während diesbezüglich der früher für die Aufstel¬
lung der Haubitzbatteriedivisionen bewilligten 38 Millionen Kronen nicht der Fall sei.

   Derk.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬
reich erwidert hierauf, daß die unterlassene Abrechnung der 38 Millionen für
Haubitzen von der Gesamtziffer des von Heer und Marine benötigten Spezialkredites
nicht auf einem Versehen beruhe, sondern vollkommen absichtlich erfolgt sei, da
Redner bei dieser Zusammenstellung von der Summe von 220 Millionen Kronen
ausgegangen sei, welche für die Beschaffung eines neuen Artilleriemateriales sowie aus
Anlaß der Einführung der zweijährigen Dienstzeit benötigt werde. Von diesen 220
Millionen würden 184 Millionen allein für die Beschaffung des neuen Feldartilleriema¬
teriales gebraucht, und seien von dieser Summe die 15 Millionen bereits in Abrechnung
gebracht worden. Sollte das Verlangen gestellt werden, daß auch noch die 38 Millionen
für Haubitzen in Abzug gebracht werden, so müßte der von der Kriegsverwaltung für

i Abschrift der an die beiden Ministerpräsidenten gerichteten Note des gemeinsamen Kriegsministers v. 20. 4.
    1904, HHStA., PA. I, Karton 621,197/CdM.
<pb/>I

   366  Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23. 4.1904 - Protokoll I

   die vorerwähnten beiden Zwecke angeforderte Kredit sich notwendigerweise um 38
   Millionen erhöhen.

      Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm weist demgegenüber auf
   einen Widerspruch hin, welcher sich aus der Vergleichung der den beiden Regierungen
   im Jahre 1901 und der ihnen jetzt übermittelten einschlägigen Vorlage sich ergebe,2
   indem in der ersteren die 38 Millionen für Haubitzen in das Gesamterfordemis für die
   Anschaffung eines neuen Geschützmateriales sowie für die Durchführung der Heeres¬
   reorganisation im Betrage von 222 Millionen einbezogen gewesen seien beziehungswei¬
   se einen TeU desselben gebüdet hätten, während in dem jetzigen ungefähr gleich hohen,
   mit 220 Millionen bezifferten Gesamterfordemisse die 38 Millionen Kronen für die
   Haubitzen nicht mehr figurieren. Redner hebt hervor, daß es auffallend sei, daß in
   diesen beiden Aufstellungen die beiden annähernd gleichen Erfordemisbeträge sich
   aus verschiedenen Komponenten zusammensetzen.

      Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬
   reich macht demgegenüber geltend, daß seit dem Jahre 1901 bezüglich des Ge¬
   schützmateriales sich ganz andere Konstruktionsverhältnisse herausgestellt hätten, da
   seitdem das Rohrrücklaufsystem zur Annahme gelangt sei, was die Beschaffung des
   Artilleriemateriales um 44 Millionen verteuert habe. Redner sei deshalb nicht in der
   Lage, die seinerzeit bewilligten 38 Millionen für Haubitzen von dem in Rede stehenden
   Gesamterfordemis in Abrechnung zu bringen und müsse dasselbe in der in seiner
   letzten Note aund beiden Regierungen wie den Delegationen schon früher3 angegebe¬
   nen Höhe erhalten bleiben.

      Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm bringt hierauf die von den
   beiden Finanzministera seinerzeit konditionell für die Durchführung der Heeresreor¬
   ganisation zugestandene Steigerung des Jahresbudgets der beiden müitärischen Res¬
   sorts um 8 Millionen Kronen zur Sprache3 und weist darauf hin, daß die Marine den
   auf sie entfallenden Teü dieser Steigerung - nämlich eine Million - bereits seit zwei
   Jahren perzipiere, weshalb für die Marine diese Steigerung nicht erst nach zehn Jahren
   vom Zeitpunkte der Inangriffnahme der Heeresreorganisation, sondern schon entspre¬
   chend früher aufzuhören haben werde. Auch beim Heere müßten gewisse Beträge,
   welche auf die in Aussicht genommene Steigerung schon vorher geleistet worden seien,
   seinerzeit in Abrechnung gebracht werden, und wünscht Redner daher, daß eine
   gewisse Evidenthaltung dieser Beträge eingeführt werde.

      Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬
   reich macht demgegenüber geltend, daß er zur Durchführung der zweijährigen
   Dienstzeit unbedingt eine einjährige Steigerung des Jahresbudgets seines Ressorts um
   den vorerwähnten Betrag von 7 Millionen benötige, was allerdings nicht ausschließe,
   daß in den letzten Jahren der Steigerungsperiode einige Posten, für welche die Finanz¬
   verwaltungen schon vor Inangriffnahme der Heeresreform die Mittel zur Verfügung

   a*a Einfügung Pitreichs.

   2 Siehe GMR v. 29.11.1901, GMCZ. 434.
   3 Siehe GMRProt. v. 29.11.1901, GMCZ. 434; GMRProt. v. 3. 4.1902, GMCZ. 438.
<pb/>Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23.4.1904 - Protokoll I  367

gestellt haben, bmit dem Reformprojekte in Zusammenhänge stehen.b Im übrigen
müsse Redner bemerken, daß er für die etwa im Laufe der nächsten zehn Jahre sich als
notwendig herausstellenden Erweiterungen des Budgets seines Ressorts keine Garantie
übernehmen könne.

   Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm sieht sich durch letztere
Bemerkung des gemeinsamen Kriegsministers veranlaßt, auf die eigentliche Ratio des
seinerzeit von den beiden Finanzministem der Kriegsverwaltung gegenüber bedin¬
gungsweise eingegangenen Obligos, die Mittel für eine zehnjährige Steigerung des
Kriegs- und Marinebudgets um 8 Millionen Kronen zur Verfügung zu stellen, zurück¬
zukommen.4 Diese Ratio habe eben darin bestanden, das Maximum dessen zu bezeich¬
nen, wozu sich die beiden Finanzverwaltungen für die nächsten zehn Jahre für die
Zwecke der beiden militärischen Ressorts verpflichten könnten. Die Worte des gemein¬
samen Kriegsministers ließen nun eine solche Auslegung zu, als ob sich derselbe für
berechtigt ansehen würde, auch über die erwähnten 7Millionen eine weitere Steigerung
des Ordinariums seines Voranschlages in Aussicht zu nehmen. Gegen eine solche
Auffassung müsse Redner entschieden Stellung nehmen, wie er sich denn überhaupt zu
diesen seinen Bemerkungen durch den Wunsch veranlaßt gesehen habe, zu verhüten,
daß aus seinem Stillschweigen etwa auf seine Zustimmung zu der letzten Note des
gemeinsamen Kriegsministers gefolgert werde. Redner findet es für nötig, daß diese
Frage anläßlich einer späteren Besprechung eine Klärung erfahre.

   Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit-
reich erixmert daran, daß die seinerzeit in Aussicht genonunene Steigerung des
Budgets der beiden mflitärischen Ressorts um 8 Millionen daraus hervorgegangen sei,
daß es sich als notwendig herausgestellt habe, ein bestimmtes Programm für die
Reorganisation des Heeres aufzustellen. In der am 29. November 1901 unter dem Ah.
Vorsitze Sr. Majestät abgehaltenen Ministerkonferenz sei dann die zehnjährige Steige¬
rung der Ordinarien des Heeres und der Marine um 8 Millionen beschlossen und
bezüglich des Ordinariums festgestellt worden, daß darüber neue Berechnungen ange¬
stellt werden sollten. Diese Berechnungen seien jedoch nicht gemacht worden, da es
sich inzwischen als notwendig herausgestellt habe, die zweijährige Dienstzeit einzufüh¬
ren.5 Das gegenwärtige Projekt stelle sich als eine Berechnung des Jahresmehrerfor-
demisses dar, welches infolge der Artilleriereorganisation und der Reform des Heeres
zur Einführung der zweijährigen Dienstzeit notwendig erscheinen werde.

   Nach diesen zwischen dem k. u. k. gemeinsamen Kriegsminister und dem k.k. Fi-
nanzminister ausgetauschten Bemerkungen ergreift der kgl. ung. Minister¬
präsident Graf Tisza das Wort zu der Anregung, daß bereits aus dem
Extraordinarium der Voranschläge der beiden militärischen Ressorts pro 1905 jene

b~b Korrektur Pitreichs aus wieder entfallen könnten.

4 Ebd.
5 Vortrag des gemeinsamen Kriegsministers y. 8. 6.1903 über die Revision des Wehrgesetzes aufgrund der

    Verkürzung der Präsenzdienstpflicht, KA., MKSM. 82-1/8/1903. DerHerrschernimmt den Vorschlag am
     2. 7.1903 zur Kenntnis, etod.
<pb/>368  Nr. 54 Gemeinsamer Ministerat, Wien, 23. 4.1904 - Protokoll I

Posten ausgeschieden und in die aufzunehmende Anleihe einbezogen werden mögen,
deren Eliminierung aus den betreffenden Extraordinarien für den Fall des Zustande¬
kommens der Anleihe vom Jahre 1906 in Aussicht genommen wurde. Für das Heeres¬
budget sei diese Summe bereits mit 5 Millionen angenommen worden. Redner richtet
nun an den Chef der Marinesektion das Ersuchen, die Gesamtziffer der auf Schiffsbau¬
ten bezüglichen Posten des Extraordinariums pro 1905 anzugeben, welche im Falle des
rechtzeitigen Zustandekommens der Anleihe aus dem betreffenden Voranschläge
ausgeschieden und in die letztere einbezogen werden könnten.

   Der k.u.k. Chef der Marinesektion Admiral Freiherr v.
S p a u n teüt mit, daß auf die bereits bewilligten Schiffsbauten noch ein Betrag von
rund 56 Millionen zu zahlen sei, welcher selbstredend in dem für außerordentliche
Marinezwecke in Aussicht genommenen 60-Millionen-Kredite nicht enthalten sei.
Sollte letzterer Kredit um die vorerwähnten 56 Millionen, in welchen auch die eventuell
aus dem Extraordinarium pro 1905 zu eliminierenden Posten enthalten seien, erhöht
werden, so wäre, wie Redner des weiteren ausführt, die Marineverwaltung in der Lage,
in den nächsten Jahren ihren Voranschlag um ungefähr 19 Millionen zu restringieren.
Doch müsse Redner darauf aufmerksam machen, daß in den nächsten Jahren doch
wieder einige kleinere Schiffe eingestellt werden müßten, und daß in zwei Jahren das
Panzerschiff ,,Tegetthoff&quot; 30 Jahre alt werde und für dessen Ersatz füglich auch
vorgesorgt werden müsse.

   Der Vorsitzende weist daraufhin, daß die k. u. k. Marine nur über drei große
Panzerschiffe verfüge, und daß es notwendig sei, für den Bau eines Reserveschiffes zu
sorgen, da man im Falle einer kriegerischen Komplikation immerhin mit der hoffentlich
nicht eintretenden Eventualität rechnen müsse, daß das eine oder das andere der
Schiffe ernstlicher beschädigt und zu weiterer Verwendung untauglich werden könnte.
Wenn daher auch die Marineverwaltung infolge der Anleihe in den nächsten drei bis
vier Jahren in der Lage sein werde, 19 Millionen abzuzahlen beziehungsweise ihr Budget
um diesen Betrag herabzusetzen, so könne auf eine solche Reduktion doch nicht für
immerwährende Zeiten gerechnet werden, und müsse vielmehr die Notwendigkeit ins
Auge gefaßt werden, daß nach Ablauf von drei bis vier Jahren neue Beträge für
Schiffsbauten eingestellt werden müßten, da man nicht zulassen könne, daß die Marine
auf das Niveau von vor sechs Jahren zurücksinke. Redner betont bei dieser Gelegenheit
neuerdings, daß es unumgänglich notwendig sei, daß die von den beiden militärischen
Ressorts dringend benötigten und als unaufschiebbar bezeichneten 37 Millionen bezie-
hungsweise 9 Millionen denselben zur Verfügung gestellt werden, da er sonst nicht in
der Lage wäre, die Verantwortung für die Führung der äußeren Politik zu tragen.

   Die Konferenz stellt nun an der Hand des Marinevoranschlages für das Jahr 1905
die Berechnung auf, daß aus dem Extraordinarium desselben im Hinblicke auf die
aufzunehmende Anleihe in den nächsten Jahren ungefähr 22 Millionen ausgeschieden
werden könnten.

   Der Ick. Finanzminister Ritter v. Böhm stellt hierauf bezüglich der
Höhe der aufzunehmenden Anleihe beziehungsweise bezüglich der durch die Anleihe
zu deckenden Erfordernisse folgende Berechnung auf: 1. Laut der in Rede stehenden
Note des Kriegsministers für Heer und Marine 327 Mülionen; Z hiezu noch für die
<pb/>Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23. 4.1904 - Protokoll I  369

Marine die vorerwähnten 56 Millionen; 3. für den Bau von 16 Torpedobooten, welche
in den 56 Millionen nicht enthalten sind, 8 Millionen; 4. infolge Hinzurechnung der
Haubitzen zu der Anleihe 38 Millionen; 5. Einbeziehung des für die Geschütze pro 1904
bewilligten Betrages [von] 15 Millionen; 6. aus dem Extraordiharium des Heeresvoran¬
schlages pro 1905 5 Mülionen; zusammen 449 Millionen.

    Diese Anlehenssumme würde als jährliche Bedeckung und Amortisierung einen
Aufwand von 28 1/2 Millionen Kronen in 50 HalbJahresraten erfordern. Von dieser
Summe würden Cnach den bisherigen, in der letzten Note des Herrn Kriegsministers
niedergelegten Propositionen der Heeresverwaltung nurc die von der Heeres- sowie
von der Marineverwaltung zu refundierenden Beträge von 5 respektive 6 Millionen,
zusammen von 11 Millionen, abzuziehen sein, so daß der Anleihedienst die beiden
Verwaltungen jährlich noch mit ungefähr 17 l/2Mülionen belasten würde, dwas jeden¬
falls nicht angängig wäre, weshalb eine wesentliche Erhöhung der zu refundierenden
Beträge Platz greifen müsse, was ja auch durch die Feststellung der Konferenz, daß aus
dem Marinebudget circa 22 Millionen Kronen ausgeschieden werden könnten, ange¬
bahnt sei.d

   Nachdem der Vorsitzende konstatiert hat, daß nunmehr die Höhe der aufzu¬
nehmenden Anleihe klargesteUt erscheine, entspinnt sich eine längere Debatte über die
Frage der Form, in welcher die Kreditvorlage den Delegationen unterbreitet zu werden
hätte, und wird diesfalls der Beschluß gefaßt, daß die betreffenden Vorlagen ehestens
vom k. u. k. gemeinsamen Kriegsministerium einvemehmlich mit den beiden Finanzmi¬
nisterien ausgearbeitet werden soüen, wobei es sich um eine Vorlage betreffend den
Spezialkredit sowie um eine zweite handeln wird, in welcher die Änderungen ersichtlich
zu machen wären, welche an den Extraordinarien der beiden müitärischen Ressorts für
den Fall vorzunehmen sein werden, daß die Anleihe noch vor dem Jahre 1905 bewilligt
wird.

   Der k. k. Finanzminister Ritter v. Böhm äußert in dieser Beziehung
nur den Wunsch, daß die für das laufende Jahr benötigten Kreditquoten nicht als
Nachtragskredit, sondern, ähnlich wie dies seinerzeit bei den 38 Millionen für die
Haubitzen geschehen sei, vereinigt mit den für 1905 benötigten Summen als außeror¬
dentliche Anforderung in Anspruch genommen und den Delegationen nur eine Vorlage
mit zwei Stufen unterbreitet werde.

   Anschließend hieran führt der k. k. Finanzminister Ritter v. Böhm aus, daß man
nunmehr zwar über die Höhe der von den Delegationen anzufordernden Summen
Klarheit besitze, dagegen sei jedoch die Frage, in welcher Weise eine materielle
Vorsorge für den Fall getroffen werden solle, daß die Anleihe nicht rechtzeitig die
parlamentarische Bewilligung erlangen würde, nach wie vor ungeklärt. Redner erinnert
an seine in der vorangegangenen Konferenz abgegebene Erklärung, wonach er nur dann
in der Lage sein würde, der Einbringung der betreffenden Vorlagen in den Delegatio¬
nen zuzustimmen, wenn der Kriegsminister die Verpflichtung übernehmen wolle, von
den Finanzverwaltungen erst dann die Flüssigmachung der von ihm angeforderten

c_c EinßgungBöhms.
d_d Einßgung Böhms.
<pb/>. 370                             Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23. 4.1904 - Protokoll I

Summen zu verlangen, wenn die Anleihe von den beiden Parlamenten bewilligt sein
werde.6 Redner erklärt, auch heute nicht in der Lage zu sein, von dieser Erklärung
abzugehen.

   Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit-
reich erwidert hierauf, daß, falls der Vorredner die Flüssigmachung der von der
Kriegsverwaltung angesprochenen Summen von der vorerwähnten Bedingung abhängig
mache, er nicht imstande sei, die Verantwortung für eine militärische Situation zu
tragen, welche die Monarchie einer kriegerischen Komplikation aussetzen könnte, da
die letztere weder in Südtirol, noch in Pola, noch in Cattaro unvorhergesehenen
Ereignissen gegenüber gewachsen sei. Gewisse dringende Bestellungen müßten
gemacht werden, und um dies tun zu können, müsse er unbedingt in der Lage sein, auf
jene Summen zu rechnen, deren Erlangung er als unaufschiebbar bezeichnet habe.

   Der k. k. Finanzminister Ritter v. Böhm glaubt hierauf dem k. u. k.
gemeinsamen Kriegsminister zu bedenken geben zu sollen, daß, wenn die Anleihe von
den Parlamenten nicht bewilligt werden sollte, die Beschaffung eines neuen Artillerie-
materiales ohnedies nicht möglich sein werde. Von dieser Erwägung ausgehend, richtet
Redner an den k. u. k. gemeinsamen Kriegsminister die Anfrage, ob sich derselbe nicht
doch entschließen könnte, den für das laufende Jahr für die Anschaffung von Feldge¬
schützen bewilligten 15 Millionen eine andere Widmung zu geben und dieselben zur
Durchführung der von ihm als unaufschiebbar bezeichneten Maßnahmen zu verwen¬
den. Redner sei sich des Ernstes der Situation sowie der Verantwortung des Kriegsmi¬
nisters bewußt, die finanzielle Situation sei jedoch eine solche, daß er seinerseits die
Verantwortung für eine dem Ansehen, ja der Existenz des Staates nicht weniger i
schädliche finanzielle Deroute nicht übernehmen könne. Wenn die militärische Situa¬
tion tatsächlich so beschaffen sei, daß die Monarchie nicht einmal einem gegen sie
gerichteten Putsch mit Beruhigung entgegensehen könne, so trage hieran jedenfalls
nicht die Kargheit der Finanzverwaltungen die Schuld, welche in den letzten 14 Jahren
die Mittel für eine Steigerung des Jahresbudgets um 104 Millionen Kronen zur Verfü¬
gung gestellt hätten. Wenn nun trotz dieser Leistung der Finanzverwaltungen nicht
einmal die notwendigste militärische Sicherheit bestehe, so könne Redner einen solchen
Zustand für seine Person nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, ohne darum jedoch
imstande zu sein, vom finanziellen Standpunkte einen Ausweg aus demselben zu finden.

   Der k.u.k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit-
reich erklärt diesen Äußerungen des k. k. Finanzministers gegenüber, auf dem von
ihm bereits in der vorangegangenen Sitzung gekennzeichneten Standpunkte verharren
zu müssen, wonach er auf den für die Anschaffung eines neuen Geschützmateriales im
vorigen Jahre bewilligten Kredit von 15 Mülionen nicht verzichten könne, da die
Kriegsverwaltung sonst bezüglich der Geschützfrage ein ganzes Jahr verlieren würde,
und es schon höchste Zeit sei, daß die alten Geschütze endlich gegen neue ausgetauscht
werden können. Auch würde das Insstockengeraten der Neubewaffnung der Artülerie
überall als ein Zeichen der Schwäche der Monarchie angesehen werden und eine
direkte Ermunterung der Feinde derselben zu einem Angriffe büden. Was den

6 GMR. v. 16. 4.1904, GMCZ. 442.
<pb/>Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23.4.1904 - Protokoll I                                371

Umstand betrifft, daß die Monarchie an der Südfront gegen etwaige Überraschungen
eines wirksamen Schutzes entbehre, so müsse Redner bemerken, daß &#39;infolge der
enormen Umwälzungen auf dem Gebiete der Kriegstechnik die seit zehn Jahren
bewilligten Geldmittel für die äußerst kostspieligen Anschaffungen unzureichend
waren, - daß das zu Erreichende hauptsächlich der Kriegsbereitschaft auf dem nord¬
östlichen Kriegsschauplätze zugewendet werden mußte, und6 die Kriegsverwaltung
nicht habe vorhersehen können, daß ein Bundesgenosse wie Italien der Monarchie
gegenüber eine Haltung einnehmen werde, welche dieselbe zu kostspieligen Verteidi¬
gungsmaßnahmen zwingt.7

    Der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza stimmt mit dem
k. u. k. gemeinsamen Kriegsminister darin überein, daß ein Insstockengeraten der
Geschützfrage die nachteUigsten Wirkungen für die Stellung der Monarchie nach sich
ziehen müßte. Redner glaubt übrigens, daß die schon jetzt von den beiden militärischen
Ressorts benötigten Summen nicht so groß sind, als daß sie nicht von den beiden
Finanzverwaltungen aus den laufenden Mitteln aufgebracht werden könnten.

    Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬
reich beziffert in Gemäßheit seiner mehrerwähnten Note diese Summen mit 22,5
Millionen, wobei er jedoch bemerkt, daß er jedenfalls auch ermächtigt sein müsse,
Bestellungen bezüglich der für 1905 benötigten Summen zu machen.

    Der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs bemerkt, daß die beiden
Finanzverwaltungen die für 1904 und 1905 benötigten Summen im Betrage von 119
Millionen nicht aus den Kassenbeständen zu decken in der Lage wären. Wenn aber
Bestellungen auf die für 1905 benötigten Summen gemacht würden, so würden die
beiden Regierungen hiedurch schon ipso facto eine gewisse Verantwortung für die
Zahlung übernehmen, was nicht möglich sei.

   Der k. k. Ministerpräsident v. Koerber macht darauf aufmerksam,
daß die österreichische Finanzverwaltung sich über die von dem gemeinsamen Kriegs¬
ministerium schon im Jahre 1904 benötigten 22,5 Millionen hinaus jedenfalls nicht zu
verpflichten in der Lage sei, da größere Summen aus den Kassenbeständen nicht
gedeckt werden könnten.

   Der Vorsitzende macht hierauf den Vorschlag, daß einstweflen nur die für
1904 benötigten Anschaffungen fest bestellt werden, während die für 1905 in Aussicht
genommenen Bestellungen nur sub spe rati, das heißt unter der den Industriellen
ausdrücklich anzugebenden Bedingung der parlamentarischen Bewilligung der Anleihe
gemacht werden sollen. Die hievon in Kenntnis gesetzten Industriellen würden die
Bestellungen ausführen und sich bezüglich des Restes auf größere Bestellungen ein¬
richten. Redner macht diesfalls geltend, daß das Budget von den Delegationen über¬
haupt stets nur für das nächste Jahr bewilligt werde, weshalb alle größeren, über das
betreffende Budgetjahr hinausgehenden Bestellungen ja immer nur sub spe rati erfol¬
gen könnten. Sollten die Parlamente die für die Sicherheit des Staates unbedingt

       Einfügung Pitreichs.

7 Zu den Beziehungen zwischen der Monarchie und Italien siehe GMR. v: 15.4.1904, GMCZ. 441.
<pb/>372  Nr. 54 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 23. 4.1904 - Protokoll I

notwendige Anleihe nicht bewilligen, so werde man eben anders mit ihnen reden und
ein Kraftmittel ausfindig machen müssen, um sie zur Besinnung zu bringen.

   Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm erklärt,zuseinemBedauem
selbst angesichts des Vermittlungsvorschlages des Vorsitzenden nicht in der Lage zu
sein, den Bestellungen für 22,5 Millionen zuzustimmen, wenn er sich verpflichten soUte,
diese Beträge noch neben den bereits für das laufende Jahr für die Feldgeschütze
bewilligten 15 Millionen Kronen tatsächlich zur Verfügung zu stellen. Redner erinnert
daran, daß er schon anläßlich der Verhandlung des 15-Mülionen-Kredites darauf
aufmerksam gemacht habe, daß er für einen größeren Betrag kein Obligo übernehmen
könnte. Von der Ansicht ausgehend, daß im Falle der nicht rechtzeitig erfolgenden
Bewilligung oder Verweigerung der Anleihe seitens des Parlamentes die Geschützfrage
jedenfalls ins Stocken geraten, im entgegengesetzten Falle aber die Mittel für die
Durchführung aller in der mehrerwähnten Note des gemeinsamen Kriegsministers
namhaft gemachten Maßnahmen gesichert erscheinen würden, kommt Redner noch¬
mals auf seinen Vorschlag zurück, die 15 Millionen für die Feldgeschütze einer verän¬
derten Widmung zuzuführen und außerdem noch die 5-6 Millionen für den Truppen¬
übungsplatz in Benatek8 zur Deckung der von der Heeresverwaltung als unaufschiebbar
bezeichneten Anschaffungen heranzuziehen.

   Der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pit¬
reich erwidert hierauf, daß er aus den von ihm bereits dargelegten Gründen den 15
Millionen für die Feldgeschütze keine andere Widmung geben könne, und daß er, was
den Truppenübungsplatz in Benatek betrifft, nicht in der Lage sei, von Maßnahmen
abzusehen, welche zur normalen AusbUdung der Truppen unbedingt erforderlich seien.

   Der k. k. Finanzminister Ritter v. Böhm sieht sich demgegenüber zu
der Erklärung veranlaßt, daß die Finanzverwaltung nicht unterlassen habe, auf die
schwierige finanzielle Situation sowie auf die Unmöglichkeit der weiteren Leistung
größerer Zahlungen aus den Kassenbeständen rechtzeitig aufmerksam zu machen.
Wenn die Kriegsverwaltung gleichwohl den alten Kurs fortgesetzt habe, so könne
Redner für die sich hieraus ergebende Lage keine Verantwortung übernehmen und
müsse sich Vorbehalten, Sr. k. u. k. apost Majestät die Berufung einer anderen Persön¬
lichkeit auf den von ihm dermalen bekleideten Posten tg. anheimzustellen.

   Der Vorsitzende konstatiert, daß sein Vermittlungsvorschlag nicht angenom¬
men worden sei, und daß, nachdem in der Konferenz miteinander unvereinbare Erklä¬
rungen abgegeben worden seien, man an einem toten Punkt angelangt sei. Es sei daher
nötig, Se. Majestät über die bestehenden Meinungsdifferenzen aufzuklären, und deren
Lösung in einer unter dem Ah. Vorsitze abzuhaltenden gemeinsamen Ministerkonfe¬
renz nochmals zu versuchen.9

                                                                                          Gohichowski

   Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses ProtokoUes zur Kenntnis genommen.
   Budapest, 14. Mai 1904. Franz Joseph.

* Siehe GMRProt. v. 16. 4.1904, GMCZ, 442, Anm. 3.
9 GMR. v. 23. 4.1904, GMCZ. 444/a.
<pb/>