Gemeinsamer Ministerrat, 28. 2. 1904
I. Festsetzung der Prinzipien für den Eintritt in die Handelsvertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche
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326 Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. Februar 1904 RS (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza, der k. k. Ministerpräsident v. Koerber, der k. u. k. Botschafter v. Szögydny, der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. ung. Handelsminister v. Hieronymi, der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call, der k. k. Ackerbauminister Freiherr v. Giovanelli, der Sektions¬ chef im k.k. Handelsministerium Stibral; ferner die Herren: der Sektionschef im k. u. k. Ministerium des Äußern Ritter v. Suzzara, der Sektionschef im k. k. Ackerbauministerium Freiherr v. Beck, der Staatsse¬ kretär im kgl. ung. Finanzministerium Freiherr v. Andreänszky, der Sektionschef im k. k. Handelsministe¬ rium Ritter v. Roessler, der Hof- und Ministerialrat im k. u. k. Ministerium des Äußern v. Mihalovich, der Ministerialrat im kgl. ung. Handelsministeriumv. Birö, der Ministerialrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Lestyänszky, der Ministerialrat im kgl. ung. Ackerbauministerium v. Ottlik. Protokollfühen k. u. k. Konsul Ritter v. Princig Gegenstand: Festsetzung der Prinzipien für den Eintritt in die Handelsvertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche. KZ. 11 - GMCZ. 440 Protokoll des zu Wien am 28. Februar 1904 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Konferenz und bezeichnet als Grund für den Zusammentritt derselben die angesichts der bevorstehenden Aufnahme der Handels¬ vertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche sich ergebende Notwendigkeit, die allgemeinen Prinzipien festzulegen, welche die Basis zu den diesfälligen in der Zoll- und Handelskonferenz auszuarbeitenden Instruktionen für unsere Unterhändler bilden sollen. Um bei dieser Gelegenheit die persönlichen Wahrnehmungen kennenzulernen, welche seitens des k. u. k. Botschafters in Berlin in dieser Hinsicht an Ort und Stelle gemacht wurden, sei derselbe eingeladen worden, den Beratungen der Konferenz anzuwohnen.1 Der Vorsitzende bringt hiebei einen an ihn gerichteten Brief des kaiserlich deutschen Botschafters in Wien zur Verlesung, dem zu entnehmen ist, daß die kaiserlich deutsche Regierung in der Lage sein werde, den Austausch des schriftlichen Elaborats über deren Wünsche bezüglich des neuen Handelsvertrages voraussichtlich noch im März zu vollziehen.2 Der k.u. k. Botschafter v. Szögyeny, welchem hierauf das Wort erteflt wird, spricht seine hohe Befriedigung darüber aus, daß ihm durch den seitens der beiderseitigen Ministerpräsidenten geäußerten Wunsch Gelegenheit geboten sei, über gewisse in Berlin bezüglich des zur Diskussion gestellten Gegenstandes herrschende 1 BotschafterderMonarchie in Berlin warvom 24.10.1892biszum 4.8.1914Ladislaus GrafSzögyeny-Marich; Goluchowski lud den Botschafter auf Vorschlag der beiden Ministerpräsidenten zum gemeinsamen Mini¬ sterrat ein. Siehe Goluchowski an Szögyiny v. 15. 2. 1904, HHSxA., PA. I, Karton 621, 64/CdM. Zur Konferenz brachten die beiden Ministerpräsidenten auf eine Aufforderung des Außenministers hin die Fachleute mit, deren Teilnahme siefür notwendig hielten. Goluchowski an die beiden Ministerpräsidenten v. 22. 2.1904, ebd. Die beiden Ministerpräsidenten teilten mit, wer am Ministerrat teünehmen wird: Koerber an Gotuchowski v. 23.21904, ebd., 101/CdM.; Tisza an Goluchowski v. 25. 2.1904, ebd., 102/CdM. 2 Das diesbezügliche Schreiben des deutschen Botschafters in Wien war nicht auffindbar. <pb/>Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 327 Stimmungen und Ansichten persönlich Aufschluß erteilen zu können, und werde er sich bemühen, über alle in diesem Belange an ihn gesteUten Fragen nach seinem besten Wissen Aufklärung zu erteüen. Der k. k. Ministerpräsident v. Koerber sieht sich veranlaßt, dafür zu danken, daß der Vorsitzende Gelegenheit zu einer Aussprache mit dem k. u. k. Bot¬ schafter in Berlin gegeben habe. Obwohl er vorausschicken müsse, daß, wie österrei- chischerseits öfters betont wurde, die österreichische Regierung nicht allein die Erneuerung des Handelsvertrages mit dem Deutschen Reiche in Aussicht nehmen könne, sondern die Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zu den mit uns im Vertragsverhältnisse stehenden wichtigsten europäischen Staaten als einen Komplex betrachten müsse, so schiene ihm doch die Frage der Erneuerung des Handelsvertrages mit Deutschland eme besondere Wichtigkeit zu besitzen. Gegenstand der gegenwärtigen Beratungen könne allerdings nicht die Besprechung der den Unterhändlern zu erteüenden Detaüinstruktionen büden, es handle sich viel¬ mehr um die Präzisierung der hiebei in Betracht kommenden Hauptgesichtspunkte, und erlaube sich Redner daher, einige Fragen zur Diskussion zu bringen. Bekanntlich unterscheide sich der neue deutsche Zolltarif wesentlich von dem bisherigen; insbesondere hätten die Minimalzölle auf Getreide für uns eine weittragen¬ de Bedeutung. Nachdem jedoch Mitteüungen aus Berlin und auch von anderer Seite vorliegen, denen zufolge die kaiserlich deutsche Regierung, bisher wenigstens, an diesen Minimalsätzen unbedingt festzuhalten gesonnen sei, so vertrete die österreichi¬ sche Regierung die Ansicht, daß die Frage über Ermäßigung oder Auflassung der erwähnten Minimalposten bei der kaiserlich deutschen Regierung nicht anzuregen wäre. Allerdings handle es sich hiebei auch um einen Artikel, nämlich Gerste, welcher durch den neuen deutschen Zolltarif empfindlich getroffen sei. Die österreichische Regierung sei aber entschlossen, auch diese Frage nicht zur Diskussion zu stellen, dagegen sollte jedoch eine Ermäßigung des neuen deutschen Malzzolles beantragt werden, wodurch der Minimalsatz für Gerste eigentlich indirekt angegriffen werde. Nächst diesem einen Hauptgesichtspunkte, welcher bei unseren Verhandlungen mit Deutschland festzuhalten sei, müsse als zweiter Punkt die Frage des Viehverkehres und die etwa notwendigen Änderungen des bisherigen Zustandes ins Auge gefaßt werden. Schließlich sei eine dritte Frage von Bedeutung, nämlich die, ob überhaupt bei der deutschen Regierung eine ähnliche Kooperation, wie sie bei den Vertragsverhandlun¬ gen der Jahre 1896 und 1891 stattgefunden hatte, angeregt werden sollte.3 Vorstehende drei Hauptfragen sollten Gegenstand der Erörterung in der nächsten Tagung der Zoll- und Handelskonferenz bilden. Was insbesondere die erstberührte Frage anbelange, so müsse mit dem Wunsche um Ermäßigung des Malzzolles vorge¬ gangen werden. Bezüglich des zweiten Punktes sei hervorzuheben, daß die Auslegung, 3 Die Monarchie schloß am 6. 12. 1891 einen Zoll- und Handelsvertrag sowie einen Veterinärvertrag mit DeutschlandmiteinerLaufeeU biszum 31.12.1903. Vgl. Francke, Zollpolitische Einigungsbestrebungen in Mitteleuropa 289-293; Grunzel, Die handelspolitischen Beziehungen Deutschlands und Österreich- Ungams 74; Rosenberg, The Struggle for a German-Austrian Customs-Union 1815-1939 332-342; Benedikt, Die wirtschaftliche Entwicklung in der Franz-Joseph-Zeit 138. <pb/>328 Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 welche das gegenwärtige Viehseuchenübereinkommen mit dem Deutschen Reiche seitens Deutschlands erfahre, mit dem Wortlaute dieser Konvention nicht im Einklänge stehe, und sei es daher unbedingt notwendig, das neue Veterinärabkommen mit den erforderlichen Kautelen auszustatten, damit unsereViehausfuhr nicht mehr, wie bisher, eingeschränkt oder erschwert werde. Bei diesem Anlasse möchte Redner noch auf die anläßlich der zwischen der öster¬ reichischen und der ungarischen Regierung stattgehabten Verhandlungen in den Vor¬ dergrund gerückte Frage der Kooperation bezüglich der Kontrolle über die einzelnen Viehtransporte zurückkommen und beantragen, daß ein ähnliches einvernehmliches Vorgehen bei der Zulassung und dem Übergange der Viehtransporte in das Deutsche Reich zum Gegenstände der Beratung mit der kaiserlich deutschen Regierung gemacht werde. Die Zoll- und Handelskonferenz könnte in dieser Hinsicht, sobald die Regie¬ rungen Österreichs und Ungarns sich über das Prinzip dieser Frage geeinigt haben, entsprechende Anträge erstatten. Anlangend die obaufgeworfene dritte Frage einer Kooperation analog jener im Jahre 1891, erschiene es nicht angezeigt, mit einem derartigen Vorschläge an die kaiserlich deutsche Regierung heranzutreten, zumal die Handelsvertragsverhandlungen dersel¬ ben mit anderen Staaten bereits weit fortgeschritten seien. Nachdem jedoch die kaiser¬ lich deutsche Regierung ein namhaftes Interesse daran zu haben scheine, mit uns zu einer Verständigung zu kommen, und hiefür auch gewichtige politische und handels¬ politische Momente sprechen, so habe Redner diese dritte Frage nur deshalb angeregt, weü dieselbe auch bei unseren letzten Vertragsverhandlungen mit dem Deutschen Reiche Vorgelegen waren. Eine Schlußfassung hierüber könnte jedoch eventuell einem späteren Zeitpunkte überlassen bleiben. Der kgl. ung. Ministerpräsident GrafTisza erklärt, er könne sich den Ausführungen des Vorredners unumwunden anschließen. Auch er sei der Ansicht, daß durch Aufstellung unmöglicher Forderungen nur Zeit vergeudet werde, und daher vor allem die Frage der Herabsetzung der Minimalzölle fallengelassen werden müsse. Nur bezüglich der Gerste sei es erforderlich, zwei Momente in Erwägung zu ziehen, welche geeignet erscheinen könnten, die schwerwiegenden Folgen des hohen deutschen Minimalzollsatzes auf diesen Artikel wenigstens teüweise zu paralysieren, und zwar handle es sich diesbezüglich in erster Linie um die Zuverlässigkeit des Malzverkehres, wobei es allerdings fraglich sei, ob wir mit einem darauf abzielenden Anträge durchzu¬ dringen vermöchten. Zweitens müßte mit Rücksicht auf die durch die deutscherseits in Aussicht genommene Unterscheidung zwischen Futter- und Braugerste drohende Erschwerung unseres Gersteexportes bei der kaiserlich deutschen Regierung mit umso größerem Nachdrucke auf das Fallenlassen dieser Unterscheidungen bestanden wer¬ den, als bei dem heutigen Stande der Technik die Merkmale für die genannten zwei Gerstegattungen verwischt sind. Der Schwerpunkt unserer Forderungen liege nach Ansicht des Redners im Viehver¬ kehre. Die gegenwärtig bestehenden unhaltbaren Verhältnisse müßten eine radikale Remedur erfahren, und Konzessionen deutscherseits auf diesem Gebiete seien das Wesentlichste. Insbesondere müßte mit allem Nachdrucke dahin gewirkt werden: erstens zu verhindern, daß einAusfuhrverbot sich auf dasganze Zollterritorium erstrek- <pb/>Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 329 ke - dasselbe dürfe sich gegebenenfalls nur auf gewisse, eng begrenzte Sperrgebiete beschränken und zweitens, daß selbst aus diesen Gebieten die Ausfuhr unter strenger Kontrolle zur direkten Schlachtung zuzulassen sei. Neben diesen Hauptgesichtspunkten stellt Redner noch zur Erwägung, ob es sich nicht empfehlen würde, die Schaffung eines Forums für Streitfragen mit Erfolg in Antrag zu bringen, und glaube er, daß diese Forderung von unserem Standpunkte schon aus taktischen Gründen mit allem Nachdrucke aufzustellen wäre, weü dadurch auch bewiesen werden könnte, daß wir nicht davor zurück¬ schrecken, unsere Veterinärverhältnisse einer allgemeinen Beurteilung zu überlas¬ sen. Übrigens gäbe es noch einen anderen Modus, um eine Erschwerung unseres Viehverkehres hintanzuhalten. Wir seien nämlich, objektiv genommen, Deutsch¬ land gegenüber sehr im Nachteüe, indem die Konzessionen, welche wir Deutsch¬ land bieten können, lediglich in Zollermäßigungen bestünden, welche keine Störung erleiden können. Es erscheine daher nicht unangebracht, die Frage auf¬ zuwerfen, ob wir nicht etwa bei erheblicher Störung unseres Viehverkehres mit Deutschland Gegenmaßregeln bei der Einfuhr in das Zollgebiet in Anwendung bringen sollten. Wir hätten dadurch den Hebel in der Hand, um die deutsche Regierung zu zwingen, unseren Viehverkehr nicht ungehörig zu hindern. Bezüglich der in Anregung gebrachten Kooperation mit den übrigen interessierten Mächten erschiene es dem Redner zweckmäßiger, daß wir uns nicht binden, und müsse diese Frage daher offengelassen werden. Schließlich glaubt Redner, daß sich die Verhandlungen mit dem Deutschen Reiche wesentlich dadurch vereinfachen würden, wenn wir, von den Sätzen des gegenwärtigen Vertragstarifes ausgehend, die Änderungen bezeichnen würden, welche uns mit Bezug auf die Zollsätze des neuen deutschen Tarifes erwünscht erschienen. Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber tritt auch seinerseits der Anschauung bei, daß vom Status quo des gegenwärtig geltenden Vertrages ausgegangen werden sollte, was die Verhandlungen jedenfalls wesentlich erleichtern würde. Der k.u.k. Botschafter v. Szögyeny stimmt dem von den beiden Ministerpräsidenten entwickelten Programme vollkommen bei, weü ihm dasselbe die Gewähr für ein schnelles Erreichen des vorgesteckten Zieles zu bieten scheint. Redner bittet zwar hohe, jedoch keine unmöglichen Forderungen zu stellen, und erklärt, er wäre, nachdem die beiden Regierungschefs darin einig seien, von der Forderung einer Herabminderung der deutschen Minimalzölle auf Getreide abzu¬ sehen, vollkommen beruhigt und überzeugt, daß die kaiserlich deutsche Regierung bereitwilligst auf die Diskussion der in Vorschlag gebrachten Fragen eingehen dürfte. Redner hebt übrigens hervor, daß ihm die deutschen Minimalzölle auf Ge¬ treide, mit alleiniger Ausnahme des Gerstenzolles, für uns unwichtig erscheinen. Eine Herabminderung des Gerstenzolles sei jedoch unmöglich erreichbar. Bezüglich der von dem Vorredner aufgeworfenen Frage der Schaffung eines Forums zur Entscheidung von Streitfällen, beruft sich der k. u. k. Botschafter aufPräzedenzfälle und gibt der Ansicht Ausdruck, daß die deutsche Regierung in diesem Belange keinen unbedingt ablehnenden Standpunkt einnehmen dürfte. <pb/>330 Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 Der Vorsitzende bemerkt hiezu, daß die Frage der Festsetzung einer Art Schiedsgerichtes eventuell in einem geheimen Protokolle niedergelegt werden könnte. Der k.k. Sektionschef Stibral möchte darauf aufmerksam machen, daß die Aufrechthaltung des Status quo bezüglich des wichtigen Artikels ,,Holz" nur bei Rundholz möglich erscheine; dagegen müßte eine Herabminderung der Spannung zwischen den Zollsätzen für Sägeware und Rundholz angestrebt werden, und könnte man sich nur schlimmstenfalls mit der Aufrechthaltung der gegenwärtigen Spannung begnügen. Der k.u. k. Botschafter v. Szögyeny legt dar, die kaiserlich deutsche Regierung sei sich, wie er wahrzunehmen Gelegenheit hatte, darüber klar, daß wir viele ihrer Zollsätze angreifen würden. Redner ist auch der Ansicht, daß in dem zum Austausche bestimmten Elaborate der Status quo als Ausgangspunkt zu nehmen sei, denn an einem besseren Vertrag mit dem Deutschen Reiche als dem gegenwärtig geltenden sei, abgesehen von der Viehseuchenkonvention, nicht zu denken. Werde etwas auf dem Gebiete der Veterinärabmachungen erreicht, so könnte füglich manches Unangenehme auf anderen Gebieten in Kauf genommen werden, denn es sollte nicht ein vollkommen neuer Handelsvertrag, sondern die Verlängerung des gegenwärtig geltenden anzustreben sein. Der Vorsitzende erwähnt, er habe seinerzeit die Frage der für uns nachteüi- gen Auslegung der Viehseuchenkonvention seitens Deutschlands mit dem damaligen deutschen Reichskanzler Fürsten Hohenlohe4 eingehend besprochen, und habe letzte¬ rer hiebei selbst zugeben müssen, daß diese Interpretation keineswegs einwandfrei sei. Redner habe bei diesem Anlasse schon damals hervorgehoben, daß wir bei Erneuerung des Vertrages mit Deutschland unbedingt auf einer radikalen Remedur bestehen müßten. In ähnlichem Sinne seien auch der Botschafter Graf Eulenburg5 und der gegenwärtige kaiserlich deutsche Botschafter in Wien informiert worden,6 daß nämlich unsererseits in dieser Frage eine vollkommen klare Neuformulierung unbedingt gefor¬ dert werden würde. Der k.u.k. Botschafter v. Szögyeny leitet aus den bisherigen Aus¬ führungen ab, er erscheine ermächtigt, der kaiserlich deutschen Regierung zu er¬ klären, daß unsererseits die Regelung der Frage des Viehverkehres mit Deutsch¬ land eine conditio sine qua non für das Eingehen in weitere Verhandlungen bUden werde. Auf eine Anfrage des Redners, ob er auch ermächtigt sei, der kai¬ serlich deutschen Regierung zu erklären, daß unsererseits keine wesentlichen Än¬ derungen an den deutschen Industriezöllen beabsichtigt seien, bemerkt der k. k. Sektionschef Stibral, daß die Zölle auf Leinen, Glas, Ton, Leder und einige andere, insgesamt etwa 12 Artikel, allerdings hohe seien, und deren Her¬ abminderung angestrebt werden müßte. 4 Chlodwig Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, 1894 -1900 deutscher Reichskanzler. 5 PhilippFürstEulenburg undHertelfeld, 1894 -1902deutscherBotschafterin Wien (1900in den Fürstenstand erhoben). 6 Karl Grafvon Wedel, 1902 -1907deutscher Botschafter in Wien. <pb/>Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 331 Der Vorsitzende fügt dem ergänzend bei, daß wir auch Gewicht auf eine Minderung der Zollsätze für Geflügel und Eier legen müßten. Aufeine Anfrage des kgl. ung. Ackerbauministers v. Talliän, ob es mit Rücksicht auf den im neuen deutschen Zolltarife inAussicht genommenen Gewichts¬ zoll für Tiere aussichtslos sei, den bisherigen Stückzoll wieder anzustreben, welcher für unsere Viehausfuhr wesentlich vorteilhafter sei, antwortet der k. u. k. Botschaf¬ ter v. Szögyeny, daß dies seiner Ansicht nach ganz ausgeschlossen sei, weü die Einführung des Gewichtszolles auf Tiere ein Hauptpetit der deutschen Agrarier gebildet habe, welche, wie bekannt, großen Einfluß im deutschen Reiche besitzen.7 Der kgl. ung. Ministerialrat v. Ottlik bemerkt hiezu, daß unser Homviehexport bei dem gegenwärtig geltenden Stückzolle eine Prämie genieße, indem der Zoll naturgemäß für schweres Vieh geringer sei, und wir daher gegenwärtig Primamastware liefern können. Dieser Begünstigung würden wir jedoch verlustig gehen, sobald der Gewichtszoll eingeführt sein werde, und wäre es daher für uns von eminenter Wichtigkeit, wenn es gelingen könnte, den gegenwärtigen deutschen Stück¬ zoll für Vieh konzediert zu bekommen. Der k. u. k. Botschafter v. Szögyeny hält ein solches Petitum zwar für undurchführbar, äußert sich jedoch dahin, daß man es eventuell stellen könnte, um im Falle der Ablehnung dafür eine Kompensation auf anderem Gebiete fordern zu können. In diesem Belange wäre es vielleicht sogar von taktischem Vorteile, ein derartiges Verlangen zu stellen. Der Ick. SektionschefRitterv. Roessler ist der Ansicht, daß die im neuen deutschen Tarife enthaltenen Viehzölle ungewöhnlich hoch gegriffen und daher imakzeptabel seien. Bezüglich des Malzzolles führt Redner aus, daß, falls wir darauf bestehen könnten, daß derselbe 3 Mark 60 Pfennige per Doppelzentner nicht überstei¬ gen dürfe, die kaiserlich deutsche Regierung naturgemäß gezwungen sein müßte, den Minimalsatz für Gerste herabzusetzen, weü sonst keine Malzfabrik in Deutschland Malz erzeugen könnte. Redner hofft aber, daß durch eine solche Forderung, falls sic mit Nachdruck gestellt würde, die kaiserlich deutsche Regierung veranlaßt Werden könnte, den Minimalzollsatz auf Braugerste abzumindem. Der kgl. ung. Ministerialrat v. Ottlik hielte es auch für zweckmäßig, die kaiserlich deutsche Regierung darauf aufmerksam zu machen, daß wir uns nur dann dazu verstehen könnten, den neuen deutschen Malzzoll zu akzeptieren, wenn eine Differenzierung zwischen Futter- und Malzgerste ausgeschlossen würde, wozu, wie der kgl. ung. Handelsminister v. Hieronymi bemerkt, uns der Motivenbe- richt zum neuen deutschen Zolltarife, welcher eine solche Differenzierung für undurch¬ führbar bezeichnet, die Handhabe bieten könnte. Der k.k. Sektionschef Freiherr v. Beck gibt der Ansicht Ausdruck, man dürfe sich darüber nicht täuschen, daß der neue deutsche Minimalzoll den Export unserer Gerste erheblich schädigen werde, weü dieser Artikel direkt in die Hände der Brauer gelange, welche, nachdem in Deutschland bereits erstklassige Gerste erzeugt 7 Zum Agrariercharakter des deutschen Zolltarifs siehe Croner, Geschichte der agrarischen Bewegung in Deutschland 242-261. <pb/>332 Nr. 51 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 2.1904 werde, bei der durch den hohen Zoll voraussichtlich bedingten Verteuerung unserer Gerste den Bezug derselben bedeutend verringern würden, wodurch unser Gerstenex¬ port arg in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Selbst eine Differenzierung der Futter- und Braugerste, an welcher wir partizipieren könnten, würde uns nicht zugute konunen und nur der minderwertigen russischen Gerste Vorteüe bieten. Hiegegen gebe es nur zwei Mittel, nämlich die Zerschrotung oder die Zerhackung der Gerste. Dies sei jedoch schwer durchführbar, weü die Gerste dadurch an Transportfähigkeit einbüßen würde. Redner konkludiert daher dahin, daß wir unter allen Umständen die Differenzierung der zwei Gerstengattungen verhindern müßten. Nachdem sich niemand mehr zum Worte gemeldet hat, resümiert der Vorsit¬ zende das Ergebnis der Beratungen dahin, der k. u. k. Botschafter v. Szögyeny sei zu ersuchen, vor allem der kaiserlich deutschen Regierung zu erklären, daß wir unbe¬ dingt eine neue Viphseuchenkonvention abzuschließen beabsichtigen, daß dies der springende Punkt sei, und daß wir von dieser Bedingung das weitere Eingehen in die Vertragsverhandlungen abhängig machen müßten. In zweiter Linie wäre der kaiserlich deutschen Regierung zu erklären, daß wir als Basis der Vertragsverhandlungen den Status quo anzunehmen gesonnen seien, und drittens hätte der k. u. k. Botschafter in Berlin anzudeuten, daß, wenn wir auch schweren Herzens davon absehen, die Frage der Minimalzölle in Diskussion zu ziehen, wir dies nur täten, um der Situation in Deutschland Rechnung zu tragen.® Außerdem würde es sich empfehlen, wenn der k. u. k. Botschafter die kaiserlich deutsche Regierung darauf aufmerksam machen würde, daß wir eine Zollminderung für gewisse Artikel, so insbesondere für Holz, Malz, Geflügel, Eier, Butter erlangen möchten, daß wir Stückzölle für Vieh anzustreben beabsichtigen und daß uns eine Differenzierung von Futter- und Braugerste nicht genehm wäre. Schließlich wäre in Berlin auch zu erwähnen, daß wir eine Erhöhung der gegenwärtigen Spannung der Zollsätze zwischen Säge- und Rundholz sowie zwischen Malz und Gerste zu verhindern bestrebt sein werden. Der kgl. ung. Ackerbauminister v. Talliän weist noch darauf hin, daß es wünschenswert erscheine, wenn die Verhandlungen über die Veterinärkonven¬ tionmündlich stattfinden könnten, was bisher nicht zu erreichen gewesen war, nachdem deutscherseits in dieser Hinsicht stets auf den schriftlichen Weg verwiesen wurde. Wie der Vorsitzende erklärend hinzufügt, würde dieses Md aus Rücksichten der Courtoisie wahscheinlich Berlin als Verhandlungsort in Aussicht genommen werden, und dieser Umstand bringe es daher sowieso mit sich, daß die Beratungen über die künftige Veterinärkonvention mit dem Deutschen Reiche edler Wahrscheinlichkeit nach würden mündlich geführt werden können. Nachdem der Vorsitzende hierauf noch, den Anträgen der Konferenzteilnehmer entsprechend, bekanntgibt, daß die Zoll- und Handelskonferenz Mittwoch, den 2. März Im Dezember 1902 verabschiedete der deutsche Reichstag das neue Zolltarifgesetz, dasfür die vier Hauptge¬ treidearten, entsprechend der Forderung derAgrarier, Maximal- und Minimalsätze eingeßhrt hat; Croner, Geschichte der agrarischen Bewegung in Deutschland 242-261. <pb/>Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15.4.1904 333 1. J. um 3 Uhr nachmittags, zusammenzutreten habe, erklärt er die Beratungen für geschlossen.9 Golüchowski Ah. £. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 11. April 1904. Franz Joseph. Nr. 52 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 15. April 1904 RS. (und RK) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident v. Koerber (21.4.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza, der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FML. Ritter v. Pitreich (22.4.), der k. u. k. gemeinsame Finanzmini¬ ster Freiherr v. Buriän, der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. u. k. Chef der Marinesektion Admiral Freiherr v. Spaun (23.4.). Protokollführer Legationsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der österreichisch-un¬ garischen Monarchie für das Jahr 1905; auBerordentlicher Rüstungskredit für das Heer und die Marine. KZ. 16-GMCZ.441 Protokoll des zu Budapest am 15. April 1904 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Bemerkung, daß er vor dem Eingehen in die Beratung der verschiedenen Voranschläge der Konferenz Mitteilungen über zwei Punkte zu machen wünsche, nämlich über die Entwicklung der politischen Lage im nächsten Oriente seit der letzten Delegationssession und über seine kürzlich in Abbazia stattgehabte Zusammenkunft mit dem italienischen Minister des Äußern. Was den ersteren Punkt betrifft, so sei Redner in der angenehmen Lage, konstatieren zu können, daß diesfalls eine nicht unwesentliche Besserung eingetreten und die Befürchtungen, daß ein Aufstand ausbrechen könnte, nicht eingetroffen seien. Diese verhältnismäßige Beruhigung sei zum Teile den zwischen der Türkei und Bulgarien direkt geführten und erst vor wenigen Tagen zum Abschlüsse gelangten Verhandlungen zuzuschreiben,1 zum Teüe aber auch der nach und nach zum Durch- 9 Zoll- und Handelskonferenzen betreffend den Handelsvertrag mit Deutschland v. 2 3.1904 -28. 3.1904, HHStA., AR, F. 37, Karton 45, Deutschland 10, Nr. 74-76. Ober die weitere Vorbereitung der Verhand¬ lungen mit Deutschland siehe Szögyiny an Gotuchowski v. 31. 3. 1904, HHStA., PA. I, Karton 661, 155/CdM.; Gotuchowski an Szögyiny v. 4.4.1904, ebd. 1 Am 26. 3. 1904 (nach dem Gregorianischen Kalender am 8. 4. 1904) unterschrieb Gregor Dimitrow Natschewitsch (geb. 1840) als Yertreter Bulgariens einen Vertrag mit der Türkei, nach dem 4000 der am Ilinden-(Eliastag-)Aufstand und an den daran anknüpfenden Bewegungen Beteiligten amnestiert werden und mehrere Tausend in ihre Heimat, nach Mazedonien, zurückkehren können. Wlachow, Kpusa b ötyirapo-TypcKHTe othouichha 1895-1908 90-93; Adanir, Die makedonische Frage 179-198. <pb/>