Gemeinsamer Ministerrat, 28. 10. 1900
I. Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen
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230 Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28.10.1900 österreichische Regierung sodann die Sicherstellung dieses Bahnbaues im Einverneh¬ men mit dem Reichsfinanzministerium durch Gewährung einer entsprechenden finan¬ ziellen Unterstützung bewirke. Bemerkung: Diesen Anträgen stimmt die ungarische Regierung aus prinzipiellen Rücksichten nicht zu. Es wird hierauf zur Erörterung der mit dem Ausbau der Linie Sarajevo-Uvac in Zusammenhang gebrachten Frage der tarifarischen Abmachungen übergegangen. Nachdem es sich jedoch alsbald herausstellt, daß über die diesfalls noch obschweben¬ den Differenzen, welche sich sowohl auf den Inhalt als auch auf die Geltungsdauer dieser Abmachungen beziehen, in der Konferenz eine Einigung nicht zu erzielen sein werde, wird beschlossen, daß die Ausgleichung dieser Differenzpunkte durch Bespre¬ chungen zwischen den beiderseitigen Regierungen beziehungsweise den beiderseitigen Fachministem nochmals versucht werden solle.3 Hierauf schließt der V ersitzende die Sitzung, nachdem er im Einvernehmen mit den übrigen Konferenzteilnehmern die nächste gemeinsame Ministerkonferenz auf den nächsten Tag um 11 Uhr vormittags anberaumt hat. Goluchowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 14. Dezember 1900. Franz Joseph. Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. Oktober 1900 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Sz&l, der k. k. Ministerpräsident v. Koerber, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (3.12.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. un». Handelsminister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek, der k. k. Finanzminister Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call. Protokollführer Sektionsrat Freiherr v. Gagem. Gegenstand: Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen. KZ. 82 - GMCZ. 427 Protokoll des zu Wien am 28. Oktober 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬ same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Gohichowski. Nachdem der Vorsitzende zu Beginn der Sitzung die bezüglich des Ausbaues der Linien Sarajevo--Uvac, Bugojno-Ar2ano und Samac-Doboj in den vorangegange¬ nen Konferenzen gestellten Anträge nochmals resümiert hat,1 erteflt derselbe dem k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek das Wort, welcher über die unmit¬ telbarvor Zusammentritt derheutigen Konferenz zwischen ihm, dem kgl. ung. H andels¬ minister und dem gemeinsamen Finanzminister bezüglich der Tariffrage gepflogenen 3 Vgl. GMR. v. 28.10.1900, GMCZ. 427. 1 GMR. v. 27.10.1900, GMCZ. 426. <pb/>Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28.10.1900 231 Verhandlungen berichtet und ausfährt, daß diesfalls eine Einigung zustande gekommen sei, indem der kgl. ung. Handelsminister an Stelle der österreichischerseits ursprünglich angestrebten gleichartigen Behandlung des österreichischen Verkehres nach Bosnien und der Hercegovina sowie darüber hinaus mit dem analogen ungarischen Verkehr das von der österreichischen Regierung angenommene Anerbieten gemacht habe, für diesen selben Verkehr die Bindung der gegenwärtigen ungarischen Tarife als Maximaltarife zuzugestehen. Ebenso sei auch eine Übereinstimmung zwischen den beteüigten Regie¬ rungen bezüglich der Tarife und Verkehrsbestimmungen auf den bosnisch-hercegovini- schen Eisenbahnen erzielt worden. Dagegen sei es bisher nicht gelungen, über die Frage des Anfangstermines dieser Vereinbarungen sowie über deren Dauer eine Einigung herbeizuführen. Wahrend die österreichische Regierung in ersterer Beziehung auf dem Standpunkte stehe, daß die Vereinbarungen sofort mit deren Abschlüsse in Kraft treten sollen, gehe die Auffassung der ungarischen Regierung dahin, daß die Wirksamkeit der bezüglichen Abmachungen erst in dem Zeitpunkte beginnen solle, wenn nicht nur die Linie Sarajevo-Uvac, sondern auch Bugojno-Ar&mo und Samac-Doboj fertiggestellt sein würden. Bevor dies nicht geschehen sei, liege seiner Ansicht nach kein Anlaß vor, eine Änderung in den Tarifsätzen eintreten zu lassen. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell glaubt, daß man sich zur Klärung dieser Kontroverse die Frage vorlegen müßte, was geschehen würde, wenn kein Einverständnis über den Ausbau des bosnischen Eisenbahnnetzes zwischen den beiden Regierungen erzielt werden könnte. In diesem Falle würde der Status quo auch auf dem Gebiete des Tarifwesens aufrechterhalten bleiben. Die ganze Tariffrage sei eine Folge dessen, daß die österreichische Regierung aus Anlaß des Projektes eines im gemeinsa¬ men Einvernehmen zu beschließenden Bahnbaues in Bosnien es für notwendig erachtet habe, ihre Zustimmung zur Durchführung dieses Projektes unter anderem auch von dem Abschlüsse tarifarischer Abmachungen abhängig zu machen, welche dazu be¬ stimmt seien, dem österreichischen Verkehr die wirksame Mitbenützung der zu erbau¬ enden neuen Linien zu sichern und denselben vor jeder Beeinträchtigung in dieser Beziehung zu schützen. Aus diesem Grunde sollten diese Abmachungen logischerweise erst dann in Kraft treten, wenn dieser Anlaß vorliegen werde, das heißt, wenn die Eisenbahnlinien, deren Mitbenützung dem österreichischen Verkehr gesichert werden soll, tatsächlich ausgebaut sein werden. Der Ick. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek weist auf das un- garischerseits angebotene Zugeständnis der Bindung der ungarischen Tarife hin und gibt der Meinung Ausdruck, daß, nachdem Tarife sich im Laufe der Zeit ändern, die Frage entstehen könnte, welche Tarife gebunden werden sollen, ob die gegenwärtigen oder die in irgendeinem späteren Zeitpunkte gütigen. Aus diesem Grunde sei es am besten, die tarifarischen Vereinbarungen bereits jetzt in Wirksamkeit treten zu lassen. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs erwidert hierauf, daß die jetzigen Tarife auch für den Zeitpunkt des Inkrafttretens der betreffenden tarifarischen Vereinbarung gebunden bleiben sollen, und daß die in der Zwischenzeit eingeführten Veränderungen österreichischerseits nicht angenommen zu werden brauchen. Die Bindung der ungarischen Tarife aber schon jetzt in Kraft treten zu lassen, bevor noch <pb/>232 Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28.10.1900 Ungarn für diese Konzession eine entsprechende Kompensation erhalten habe, sei nicht tunlich. Der Ick. Finanzminister Ritter v. Böhm glaubt, daß der Meinungs- unterschied kein so großer mehr sei, und möchte vorschlagen, den Anfangstermin der tarifarischen Vereinbarungen mit der Inbetriebsetzung der ersten bosnischen Zuwachs¬ linie, nämlich der Strecke Sarajevo-Uvac, zusammenfallen zu lassen, welche ja, voraus¬ gesetzt, daß hierüber eine Einigung erzielt wird, in drei Jahren fertiggestellt sein soll. Innerhalb der nächsten drei Jahre würden wohl in den ungarischen Tarifen kaum so wesentliche Änderungen eingeführt werden, daß deren Rückgängigmachung notwen¬ dig erscheinen würde. Wenn dagegen der Beginn der Wirksamkeit der betreffenden Vereinbarungen erst vom Tage der Fertigstellung aller drei Linien an laufen sollte, so würde dies zu einem ganz unbestimmten Zeitpunkte führen, welcher jedenfalls weit mehr als drei Jahre betragen würde. Der kgl. ung. Handelsminister v. Hegedüs äußert sich dahin, daß gewisse Zugeständnisse mit der Fertigstellung der Linie Sarajevo-Uvac ins Leben treten sollen, während dies bezüglich anderer erst nach Vollendung der beiden anderen Linien der Fall sein solle. Der Ick. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek kann sich hiemit nicht einverstanden erklären, da dann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wäre, daß in der Zwischenzeit die direkten Tarife gekündigt werden. » Nachdem auch im weiteren Verlaufe der Debatte sich keine Annäherung der beiderseitigen Standpunkte ergibt, konstatiert der Vorsitzende, daß über die Frage des Anfangstermines der tarifarischen Abmachungen eine Einigung nicht erzielt worden und diese Frage demnach vorläufig noch als eine offene zu betrachten sei. Es wird hierauf zur Besprechung der Frage der Dauer der tarifarischen Vereinba¬ rungen übergegangen, in deren Verlaufe ungarischerseits der Grundsatz aufgestellt wird, daß diese Vereinbarungen, welche auf den heute bestehenden eisenbahntarifari¬ schen Ausgleichsbestimmungen beruhen, auch nur so lange als diese letzteren zu dauern hätten, wogegen die österreichischen Minister einer so kurzen Befristung nicht zustimmen zu können erklären. Nachdem auch die über diesen Punkt geführte Debatte zu keinem positiven Resultate führt, konstatiert der Vorsitzende, daß sowohl bezüglich der Frage des Anfangstermins als auch der Dauer der tarifarischen Vereinbarungen eine Übereinstimmung nicht erzielt worden sei, und schlägt vor, daß nicht nur die beteüigten Ressortminister, sondern auch die beiderseitigen Ministerpräsidenten zu einer Besprechung zusammentreten sollten, um den Versuch zu machen, bezüglich dieser beiden Fragen zu einer Einigung zu gelangen.2 Dieser Vorschlag wird von der Konferenz angenommen, worauf der Vorsitzende nach Anberaumung der nächsten Konferenz für den folgenden Tag die Sitzung schließt. Gohichowski Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, 14. Dezember 1900. Franz Joseph. 2 Siehe GMR. v. 29.10.1900, GMCZ. 428. <pb/>