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Gemeinsamer Ministerrat, 27. 10. 1900

I. Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_V/pdf/oe_hu_mrp_V_z37.pdf.

Nr. 37 GemeinsamerMmisterrat, Wien, 27.10.1900  223

                Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 27. Oktober 1900

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szdll, der k. k. Ministerpräsident v. Koerber (3.11.), der
k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (9.11.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. ung.
Handelsminister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek (4.11.), der k. k. Finanzminister
Ritter Böhm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call.
    Protokollführer Sektionsrat Freiherr v. Gagem.
    Gegenstand: Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen.

   KZ. 81-GMCZ.426
   Protokoll des zu Wien am 27. Oktober 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬
same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des
Äußern Grafen Gohichowski.

   Der Vorsitzende eröflhet die Sitzung, indem er an die beiderseitigen Res¬
sortminister, welche in der letzten gemeinsamen Ministerkonferenz eingeladen worden
waren, eine Ausgleichung der bestehenden Differenzpunkte zu versuchen, das Ersu¬
chen richtet, über das Resultat ihrer einschlägigen Beratungen Mitteilung zu machen.
. Der Ick. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek ergreift hierauf das
Wort, um nach kurzer Wiedergabe der in betreff der Tariffrage von der einen und von
der anderen Seite gemachten Vorschläge und Gegenvorschläge folgenden, zuletzt der
ungarischen Regierung bekanntgegebenen, auf die Sicherstellung der Linie Bugojno-
Ar&no bezüglichen Altematiworschlag zur Keqntnis der Konferenz zu bringen:

    1. In erster Linie wird beantragt, den Ausbau dieser Bahnlinie und - dem Wunsche
der kgl. ung. Regierung entsprechend - auch jenen der Bahnlinie Doboj-Samac, wel¬
che gleichfalls schmalspurig, jedoch im Trace einer Hauptbahn auszuführen wäre,
sofort im Gesetze sicherzusteüen. Zu diesem Zwecke wäre in das einzubringende
Gesetz die Ermächtigung der bosnisch-hercegovinischen Landesverwaltung zur Auf¬
nahme eines Anlehens aufzunehmen, dessen erster Teü für den Bau der Bahnstrecke
Sarajevo-Uvac und dessen zweiter Teü für den nach Voüendung dieser Bahnstrecke
auszuführenden gleichzeitigen Ausbau der beiden Linien Bugojno-ArZano und Doboj-
Samac die Mittel zu bieten hätte. Auch die Rückstehungserklärung der Zentralaktiven
wäre in diesem Gesetze auszusprechen und schließlich noch die weitere Disposition
aufzunehmen, daß, falls die Verzinsung und TUgung des betreffenden Anlehensteües
aus bosnischen Mitteln nicht erfolgen könnte, es jeder der beiden Regierungen freiste¬
hen soü, für den an ihr Gebiet anschließenden Bahnbau selbständig eine entsprechende
finanzielle Unterstützung auf verfassungsmäßigem Wege zu erwirken.

   Z Sollte dieser Antrag nicht angenommen werden, so wird als zweite Alternative
nachstehende Fassung zur Aufnahme in das ProtokoU der Konferenz und sohin gleich¬
lautend auch in die Motivenberichte zu den beiderseits einzubringenden Gesetzvorla¬
gen beantragt: ,,Die beiden Regierungen sind übereingekommen, daß nach erfolgter
Hersteüung der Fortsetzungslinie von Sarajevo zur türkischen und serbischen Grenze
die beiden Linien Bugojno-Ar2ano und Doboj-Samac, und zwar beide mit Schmalspur,
letztere aber im Trace einer Normalspur, gleichzeitig zum Ausbau zu gelangen haben.
Zu diesem Zwecke wird schon jetzt einverständlich festgesetzt, daß der bosnisch-her-
<pb/>224                                   Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 27.10.1900

cegovinischen Landesverwaltung die Bewilligung zur Aufnahme eines Anlehens in dem
für diese Bahnbauten erforderlichen Betrage wie auch die Rückstehungserklärung
bezüglich der Vorschußrückzahlung an die Zentralaktiven auf verfassungsmäßigem
Wege zu erwirken ist.

   Sollte auf dieser Grundlage die Bahnlinie Bugojno-Ar&amp;no nicht innerhalb der Frist
von fünf Jahren, vom heutigen Tage an gerechnet, zur Ausführung gelangen, so wird
die kgl. ung. Regierung dagegen keine Einwendung erheben, falls die k. k. österreichi¬
sche Regierung sodann die Sicherstellung dieses Bahnbaues im Einvernehmen mit dem
Reichsfinanzministerium durch Gewährung einer entsprechenden finanziellen Unter¬
stützung bewirkt Die gleiche Bestimmung hat im Sinne der Gegenseitigkeit bezüglich
der Sicherstellung des Bahnbaues Doboj-Samac nach Ablauf von fünf Jahren durch
eine finanzielle Unterstützung seitens der kgl. ung. Regierung Anwendung zu finden.&quot;

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell bemerkt demgegenüber,
daß er den betreffenden Altematiworschlag entgegengenommen habe, daß er jedoch
der österreichischerseits gestellten Forderung, wonach die Sicherstellung des Ausbaues
der Linie Bugojno-Ariano in den auf den Ausbau der Hauptlinie bezüglichen Gesetz¬
entwurf selbst aufgenommen werden solle, nicht zustimmen könne, da, wie er bereits in
einer der vorangegangenen Ministerkonferenzen darzulegen in der Lage gewesen sei;
in ein Gesetz nur dasjenige, wofür gegenwärtig vorgesorgt werden solle, also nur
Aktuelles, aufgenommen werden könne.1 Redner hebt hervor, daß ungarischerseits ja
bereits dem zugestimmt worden sei, daß nach Fertigstellung der Sandschaklinie gleich¬
zeitig an den Ausbau der dalmatinischen Anschlußlinie und der Linie Samac-Doboj
geschritten werden und dies sowohl protokollarisch festgestellt als auch in den die
einschlägigen Gesetzvorlagen an die beiden Legislativen einbegleitenden Motivenbe-
richten aufgenommen werden solle. Hierin sei die beste Gewähr dafür gelegen, daß
diese Angelegenheit von der ungarischen Regierung nicht als eine geheime werde
behandelt werden, da der Motivenbericht ja vom Reichstage zur Kenntnis genommen
werde. Soweit befinde Redner sich mit dem zweiten Altematiworschlage der österrei¬
chischen Regierung in Übereinstimmung, und sei derselbe von ihm sozusagen ange¬
nommen worden, noch bevor er gestellt worden sei. Womit Redner sich jedoch nicht
einverstanden erklären könne, sei der in dem zweiten Absätze dieses Altematiwor-
schlages enthaltene fünfjährige Präklusivtermin, da hiedurch die Möglichkeit eröffnet
werde, daß diese Linie früher als die ungarische und noch vor Sicherstellung des
Anschlusses nach der Türkei zum Ausbau gelange. Redner versichert, daß es der
ungarischen Regierung auch schon so Mühe genug kosten werde, den betreffenden
Gesetzentwurf im Reichstage durchzubringen, zumal durch den Umstand, daß die
Journalistik sich der Sache bemächtigt hat, die Stellung der ungarischen Regierung der
öffentlichen Meinung des Landes gegenüber bedeutend schwieriger geworden sei.
Redner bittet daher, nichts politisch Unmögliches zu verlangen, und glaubt, für die
ungarische Regierung das Zeugnis in Anspruch nehmen zu können, daß sie im Laufe
der gemeinsamen Ministerkonferenzen großes Entgegenkommen gezeigt und manche

1 Siehe GMR v. 2 10.1900, GMCZ. 424.
<pb/>Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 27.10.1900  225

ihrer urspränglichen Forderungen und Wünsche fallengelassen oder wesentlich einge¬
schränkt habe.

    Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber will keineswegs in Abrede
stellen, daß ungarischerseits eine gewisse Bereitwilligkeit an den Tag gelegt worden sei,
den österreichischen Wünschen entgegenzukonunen, und möchte nur seinerseits daran
erinnern, daß die österreichische Regierung nicht gezögert habe, in Anbetracht der
politischen und strategischen Wichtigkeit der Sandschaklinie die Forderung nach dem
Ausbau der Linie Bugojno-ArZano zurückzustellen. Alles, was die österreichische
Regierung nunmehr in dieser Beziehung verlange, sei, daß eine Sicherheit gegeben
werde für den tatsächlichen Ausbau dieser Linie. In einer protokollarischen Erklärung
sowie in der Aufnahme einer den Ausbau der dalmatinischen Anschlußlinie ganz
allgemein und ohne fixen Zeitpunkt zusichemden Bestimmung in den Motivenbericht
zu der Vorlage über den Ausbau der Hauptlinie könne jedoch eine solche Sicherheit
nicht erblickt werden, und die öffentliche Meinung in Österreich, welche bereits solange
vergeblich auf einen Anschluß des bosnischen Bahnnetzes nach Dalmatien warte,
werde darin auch keine Beruhigung finden. Redner bedauert gleichfalls, daß die Blätter
sich mit der Angelegenheit befaßt haben, da er wohl wisse, wie sehr hiedurch die
Stellung der Regierungen erschwert werde.

    Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell möchte seinerseits aus dem
von ihm früher angeführten Grunde einer protokoUarischen Erklärung sowie der
Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in den Motivenbericht keinen so gerin¬
gen Wert beimessen wie der k. k. Ministerpräsident und glaubt in Zweifel ziehen zu
sollen, ob die rein theoretische Aufnahme einer einschlägigen Bestimmung in das
Gesetz über den Ausbau der Hauptlinie eine größere Garantie für den Fall bieten
würde, daß, wie österreichischerseits angenommen zu werden scheine, die ungarische
Regierung die Absicht hätte, das Zustandekommen der Linie Bugojno-Ar2ano zu
vereiteln.

   Der Vorsitzende will nicht weiter untersuchen, ob die Aufnahme eines ent¬
sprechenden Passus in das Gesetz eine größere Garantie bieten würde, und möchte
lediglich als Anregung Vorbringen, es sei protokollarisch festzustellen und in den
Motivenbericht zu dem auf Durchführung der Sandschaklinie bezüglichen Gesetzent¬
wurf aufzunehmen, daß im Anschluß an den Ausbau dieser letzteren Linie der Ausbau
der Linien Bugojno-Ar2ano und Samac-Doboj zu erfolgen habe. Die näheren Moda¬
litäten der Durchführung dieser beiden Linien sollen im Zusammenhänge mit dem
nächsten Ausgleiche einer Lösung zugeführt werden. Nachdem ja doch zu hoffen stehe,
daß es wieder zu einem Ausgleiche kommen werde, wobei bekanntlich viel größere und
viel schwierigere Fragen gelöst werden müssen, so werde bei dieser Gelegenheit gewiß
auch die gegenwärtig zur Diskussion stehende Frage eine befriedigende Lösung finden.
Eines möchte Redner aber nochmals zu bedenken geben, nämlich daß bei der Aufrecht¬
haltung des Status quo niemand etwas gewinnen und folglich auch die Lage der
österreichischen Regierung gegenüber dem Reichsrate und der öffentlichen Meinung
keine bessere sein werde. Dagegen würden die großen politischen und müitärischen
Interessen sowie das Prestige der Monarchie einen nicht wieder gutzumachenden
Schaden erleiden, falls die Durchführung des Sandschakbahnprojektes unterbleiben
<pb/>226 Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Ulen, 27.10.1900

sollte, nachdem die Diskussion über diese Frage nun schon eine internationale gewor¬
den sei und speziell die Presse in den kleinen Balkanstaaten in diesem Projekte eine
gegen diese letzteren gerichtete Drohung erblicken zu sollen glaubt und ihrerseits
gedroht hat, man werde diesen Bahnbau zu verhindern wissen.2 Wenn es nicht zum
Ausbau dieses Schienenweges kommen sollte, so werde es den Anschein haben, als ob
Österreich-Ungarn zuerst gedroht habe und dann angesichts der hiedurch in den
Balkanländem hervorgerufenen Erregung vor der Ausführung seiner Drohung zurück¬
geschreckt sei. Aus diesem Grunde müßte Redner das Unterbleiben des Ausbaues der
Linie Sarajevo-Uvac, welche eine Lebensfrage für Österreich-Ungarn geworden sei,
geradezu als eine politische Katastrophe für die Monarchie ansehen.

   Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber reflektiert auf jenen Teü der
Anregung des Vorsitzenden, demzufolge die näheren Modalitäten der Durchführung
der Linie Bugojno-Aräano im Zusammenhänge mit dem nächsten Ausgleiche geregelt
werden solle, und führt aus, daß er es von jeher auf das tiefste beklagt habe, daß so oft
mit der Frage der Erneuerung des Ausgleiches eine Anzahl von nicht in den Rahmen
des Ausgleichskomplexes gehörigen Problemen zu lösen versucht worden sei. Die
großen Schwierigkeiten, welche der Abschluß des Ausgleiches jedesmal biete, sei eben
auf dieses ganz verfehlte Bestreben zurückzuführen, Fragen in den Ausgleich hinein¬
zuziehen, die nicht in denselben gehören. Redner muß sich daher bestimmt dagegen
ausprechen, daß der ohnehin schon so große Komplex der Ausgleichsfragen noch mit
einer weiteren schwierigen Frage belastet werde, und bittet, von der bezüglichen
Anregung des Vorsitzenden absehen zu wollen, wobei er der Überzeugung Ausdruck
leiht, daß die SteUung der ungarischen Regierung gegenüber dem Reichstage eine
solche ist, daß es derselben nicht allzu schwer fallen dürfte, bezüglich der Frage der
Sicherstellung der Linie Bugojno-Ar2ano zu einer billigen Lösung im Sinne eines der
beiden österreichischerseits gestellten Altemativanträge die Hand zu bieten.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell weist darauf hin, daß, wenn
die ungarische Regierung auf ihrem einstigen Standpunkte hätte stehen bleiben wollen,
die von ihr gemachten Zugeständnisse überhaupt nicht hätten gemacht werden können.
Die imgarische Regierung müsse wissen, was sie dem ungarischen Reichstage zumuten
könne und was nicht; diesfalls sei das parlamentarische Gefühl maßgebend. Das
Zugeständnis, daß die Linie Bugojno-ArZano gleichzeitig mit der Linie Samac-Doboj
ausgebaut werden solle, könne vor dem ungarischen Reichstage vertreten werden als
eine Konzession, welche aus Gründen der Billigkeit der österreichischen Regierung
nicht habe verweigert werden können. Es dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß
bei einer so heiklen Frage die öffentlicheMeinung erst nach und nach daraufvorbereitet
werden müsse, daß seitens der ungarischen Regierung eine solche Konzession gemacht
worden sei, da ja bisher, wie Redner bereits früher auszuführen in der Lage gewesen
sei, die ungarische Regierung den Standpunkt eingenommen habe, daß der Ausbau der
den Interessen Ungarns abträglichen Anschlußlinie nach Dalmatien nicht zugegeben
werden könne. Redner findet die Ansicht, daß der Komplex der Ausgleichsfragen nicht

2 Siehe JuzbaSiö, Izgradnja zeljeznica u Bosni i Hercegovini u svjetlu austrougarske politike od okupacije
    do kraja Källayeve ere 192-205.
<pb/>Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 27.10.1900  227

vergrößert werden solle, an und für sich vollkommen richtig, nur dürfe nicht vergessen
werden, daß die Ursache dieser Vergrößerung weder in dem Ausgleiche selbst noch
auch in dem Verhalten der beiden Regierungen zu suchen sei, sondern in den Anfor¬
derungen, welche das Leben auf wirtschaftlichem Gebiete stellt. Seiner Ansicht nach
sei es ziemlich gleichgütig, ob der ohnehin schon große Komplex der Ausgleichsfrage
noch um eine vergrößert werde, da, wenn hiebei größere Fragen gelöst werden, auch
für die Frage des Ausbaues der Linie Bugojno-ArSano sich eine Lösung finden lassen
werde.

   Der k.k. Eisenbahnminister Ritter v. Wittek erinnert daran, daß
im österreichischen Ausgleichsausschusse von oppositioneüer Seite immer wieder das
Verlangen nach dem Ausbau der Anschlußlinie nach Dalmatien gesteüt, von ihm jedoch
namens der Regierung als nicht vor dieses Forum gehörig stets zurückgewiesen worden
sei. Es wäre daher für die österreichische Regierung sehr schwierig, diesen von ihr
früher konsequent eingenommenen Standpunkt jetzt zu verlassen.

   Der k.k. Finanzminister Ritter v. Böhm wül sich gewiß keinen
Zweifel daran gestalten, daß die ungarische Regierung den Wülen habe, ihr Wort
einzulösen, es sei jedoch immerhin die Möglichkeit denkbar, daß sie sich aus irgendei¬
nem Grunde bewogen fühlen könnte, den Bau der Linie Samac-Doboj hinauszuschie¬
ben und mit der bereits bestehenden Anschlußlinie über Brod zu begnügen. Auf diese
Weise würde das Zustandekommen der Linie Bugojno-Ar&amp;no verhindert werden
können, ohne daß die ungarische Regierung sich eines Wortbruches schuldig zu machen
brauchte. Die Möglichkeit einer auf diese Weise zu verursachenden Verzögerung
würde aber die öffentliche Meinung in Österreich nicht vertragen.

   Der k.u. k gemeinsame Finanzminister v. Källay glaubt, daß die
Durchführung der dalmatinischen Anschlußlinie vieüeicht durch die der bosnischen
Regierung aufzuerlegende Verpflichtung sichergestellt werden könnte, die beiden
Linien Bugojno-Ar2ano und Samac-Doboj sobald als möglich nach Fertigstellung der
Sandschaklinie in Angriff zu nehmen und kein anderes Bahnprojekt durchzuführen,
bevor nicht die beiden erwähnten Schienenwege ausgebaut sein werden. Eine in diesem
Sinne abgefaßte Erklärung hätte in den Motivenbericht zu dem Gesetzentwurf über den
Ausbau der Linie Sarajevo-Uvac aufgenommen zu werden.

   Auf die vom kk Eisenbahnministe rRitterv. Wittek aufgeworfe¬
ne Frage, ob es denn notwendig sei, daß die Linie Samac-Doboj gleichzeitig mit der
Linie Bugojno-Arfcmo ausgebaut werden müsse, was im Faüe, als der gleichzeitige Bau
dieser Linien die finanziellen Kräfte Bosniens übersteigen sollte, der Billigkeit wider¬
streiten würde, erwidert der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell, daß
der Ausbau der Linie Bugojno-Ariano vor jenem der Linie Samac-Doboj eine Um-
stoßung des Prinzipes der Parität zugunsten der Priorität für die dalmatinische An-
schlußlinie bedeuten würde. Redner erklärt, nur nochmals betonen zu können, daß die
ungarische Regierung aüe im Verlaufe der Verhandlungen aufs Tapet gebrachten
praktisch möglichen Propositionen angenommen habe, und daß in dem Aufgeben des
früheren Widerstandes gegen den Ausbau der Linie Bugojno-Ariano eine große
Konzession gelegen sei. Wenn dieses Zugeständnis in dem betreffenden Motivenbe-
richte zum, Ausdrucke gelange und die Sache in demselben als gelöst hingestellt werde,
<pb/>228  Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 27.10.1900

so werde diese Frage konstitutionell als geklärt betrachtet werden können, und sei
Redner der Ansicht, daß eine solche Lösung geeignet wäre, der österreichischen
Regierung sowie der öffentlichen Meinung in Österreich zur vollständigen Beruhigung
zu dienen und die gewünschte Garantie zu bieten.

   Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber glaubt, sich der letzteren
Anschauung des kgl. ung. Ministerpräsidenten nicht anschließen zu können, nachdem
in einer solchen Lösung nur eine hypothetische Zusicherung für das Zustandekommen
der österreichischerseits gewünschten Anschlußlinie enthalten sei. Ohne gegen eine der
früheren österreichischen Regierungen eine Rekrimination erheben zu wollen, kann
Redner sich doch nicht der Überzeugung verschließen, daß man in Österreich nicht
immer jenes richtige parlamentarische Gefühl gehabt habe, von welchem der kgl. ung.
Ministerpräsident gesprochen habe. Infolgedessen habe sich denn auch die innere
Situation nach und nach immer schwieriger gestaltet. Bisher sei bezüglich der Entwick¬
lung des bosnischen Bahnnetzes nie ein Wunsch Österreichs erfüllt worden, und könne
es nach Ansicht des Redners nicht im Interesse der Monarchie gelegen sein, wenn die
Wünsche einer der beiden Reichshälften niemals Berücksichtigung finden. Redner
erklärt bei seiner Meinung beharren zu müssen, daß nur eine solche Lösung der Frage,
wie sie von der österreichischen Regierung in ihren beiden letzten Altematiworschlä-
gen formuliert worden sei, die Zustimmung des österreichischen Reichsrates finden
werde.

   Anknüpfend an die Anregung des gemeinsamen Finanzministers stellt der Vor¬
sitzende hierauf folgenden Antrag:

   ,,Gleichzeitig und möglichst rasch im Anschlüsse an den Ausbau der Linie Saraje-
vo-Sandschak respektive serbische Grenze werden die Strecken Bugojno-AräSano und
Samac-Doboj hergestellt. Bis zur Ausführung letzterer zwei Schienenwege darf die
bosnisch-hercegovinische Regierung keinen anderen Bahnbau in Angriff nehmen.

   Vorstehende Erklärung wird hiemit protokollarisch festgelegt und in den die ein¬
schlägige Gesetzesvorlage an die Legislativen einbegleitenden Motivenbericht aufge¬
nommen werden.&quot;

   Redner fügt hinzu, daß, wenn dieser sein Vorschlag angenommen werden würde,
die österreichische Regierung jedenfalls mehr erreicht haben würde, als wenn nichts
zustande komme und der für die österreichische Reichshälfte gewiß nicht befriedigende
Status quo erhalten bleibe.

   Der k.k. Ministerpräsident v. Koerber erklärtsich nurdahin ausspre¬
chen zu können, daß die Annahme dieses Vermittlungsvorschlages nicht nur keine Ver¬
besserung, sondern insofern selbst eine Verschlechterung des Status quo bedeuten
würde, als die österreichische Regierung das Odium des Abschlusses einer den österrei¬
chischen Interessen nachteiligen Vereinbarung auf sich laden würde, was nur zu einer
weiteren Verschärfung der ohnehin schon so überaus schwierigen inneren Situation
führen müßte. Jede österreichische Regierung müsse mit Rücksicht aufdie gemachten
Erfahrungen sich dieVerantwortung für jede ihrer Handlungengenau vorAugen halten,
und könnte Redner, was ihn betreffe, nur dann die Verantwortung für eine auf den
Ausbau der dalmatinischen Anschlußlinie bezügliche Abmachung tragen, wenn darin
für das Zustandekommen dieser Linie ein bestimmter Zeitpunkt festgesetzt werde.
<pb/>Nr. 37 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 27.10.1900  229

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Szell animmt den Antrag des
Vorsitzenden an und8 weist gegenüber bden Ausführungen Sr. Exzellenz des österrei¬
chischen Ministerpräsidentenb auf eine Reihe von Punkten hin, bezüglich welcher
ungarischerseits nachgegeben worden sei, und bezeichnet als solche in erster Linie das
Aufgeben des Widerstandes gegen den Ausbau der Linie Bugojno-ArXano, ferner das
Fallenlassen des Wunsches, daß die ganze Linie nach der Sandschakgrenze normalspu-
rig ausgebaut werde, endlich den Verzicht auf die Forderung, daß noch vor Inangriff¬
nahme des Baues der Linie Sarajevo-Uvac der Anschluß nach der Türkei sichergestellt
werde. Redner glaubt, daß unter solchen Umständen nur von einem Nachgeben auf
ungarischer Seite gesprochen werden könne. Die österreichische Regierung werde in
der Lage sein, im Reichsrate auf eine Reihe von erlangten Zugeständnissen hinzuwei¬
sen, während die ungarische Regierung genötigt sein werde, dem ungarischen Parla¬
mente von ebensovielen ihrerseits gemachten Konzessionen Mitteüung zu machen.

   Nachdem der k.k. Ministerpräsident v. Koerber nochmals erklärt
hat, von dem seitens der österreichischen Regierung bezüglich der Sicherstellung des
Ausbaues der Linie Bugojno-ArZano eingenommenen Standpunkte nicht abgehen zu
können, konstatiert der Vorsitzende, daß bezüglich dieser Frage in der Konfe¬
renz eine Einigung nicht erzielt werden konnte. Der Vorsitzende konstatiert weiters,
daß in den bisherigen Ministerkonferenzen folgende Anträge gestellt worden sind:

   Antrag I: Die bosnisch-hercegovinische Regierung wird ermächtigt, eine schmalspu¬
rige Bahn, im normalspurigen Trace, von Sarajevo nach der Sandschak- beziehungswei¬
se serbischen Grenze zu bauen.

   Bemerkung: Dieser Antrag wurde sowohl von der österreichischen als auch von der
ungarischen Regierung angenommen.

   Antrag II: bestehend in dem von dem Vorsitzenden selbst in der heutigen Sitzung
gestellten Vermittlungsvorschlage, wonach die beiden Linien Bugojno-Ariano und
Samac-Doboj gleichzeitig und im möglichst raschen Anschlüsse an den Ausbau der
Sandschaklinie durchgeführt werden sollen, und wonach die bosnische Regierung vor
Fertigstellung dieser beiden Linien keinen anderen Bahnbau in Angriff nehmen dürfe.
Protokollarische Festlegung einer in diesem Sinne gehaltenen Erklärung und Aufnah¬
me derselben in den Motivenbericht zu dem Gesetzentwürfe über den Ausbau der

Sandschaklinie.
   Bemerkung: Dieser Antrag wurde von ungarischer Seite angenommen, von der

österreichischen Regierung aber verworfen, welche dagegen verlangt:
   Antrag HI:«) daß die Erklärung über den Ausbau der Bahnstrecke Bugojno-Ar2ano

beziehungsweise Samac-Doboj in das Gesetz selbst aufgenommen und schon heute ein
Präklusivtermin für die Inangriffnahme des Bahnbaues - etwa fünf Jahre - festgesetzt
werde; eventuell b) daß die Erklärung über den Ausbau der Bahnlinie Bugojno-Aräano
protokollarisch festgelegt, dabei jedoch bestimmt werde, daß, falls diese Bahnlinie nicht
innerhalb der Frist von fünf Jahren, vom heutigen Tage an gerechnet, zur Ausführung
gelangen sollte, die kgl. ung. Regierung keine Einwendung dagegen erhebe, wenn die

a-a Einßgung Sz&amp;Us.
b-b EinßgungSzälls.
<pb/>230  Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28.10.1900

österreichische Regierung sodann die Sicherstellung dieses Bahnbaues im Einverneh¬
men mit dem Reichsfinanzministerium durch Gewährung einer entsprechenden finan¬
ziellen Unterstützung bewirke.

   Bemerkung: Diesen Anträgen stimmt die ungarische Regierung aus prinzipiellen
Rücksichten nicht zu.

   Es wird hierauf zur Erörterung der mit dem Ausbau der Linie Sarajevo-Uvac in
Zusammenhang gebrachten Frage der tarifarischen Abmachungen übergegangen.
Nachdem es sich jedoch alsbald herausstellt, daß über die diesfalls noch obschweben¬
den Differenzen, welche sich sowohl auf den Inhalt als auch auf die Geltungsdauer
dieser Abmachungen beziehen, in der Konferenz eine Einigung nicht zu erzielen sein
werde, wird beschlossen, daß die Ausgleichung dieser Differenzpunkte durch Bespre¬
chungen zwischen den beiderseitigen Regierungen beziehungsweise den beiderseitigen
Fachministem nochmals versucht werden solle.3

   Hierauf schließt der V orsitzende die Sitzung, nachdem er im Einvernehmen
mit den übrigen Konferenzteilnehmern die nächste gemeinsame Ministerkonferenz auf
den nächsten Tag um 11 Uhr vormittags anberaumt hat.

                                                                                          Goluchowski

   Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen.
   Wien, 14. Dezember 1900. Franz Joseph.

                Nr. 38 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. Oktober 1900

    RS. (undRK.)
     Gegenwärtige: der kgl.ung. Ministerpräsident v. Szcäl, der k.k. Ministerpräsident v. Koerber, der
t u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (3.12.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lukäcs, der kgl. un*.
Handeisminister v. Hegedüs, der k. k. Eisenbalinminister Kitter v. Wittek, der k. k. Finanzminister Ritter
Bohm [v. Bawerk], der k. k. Handelsminister Freiherr v. Call.
     Protokollführer Sektionsiat Freiherr v. Gagem.
     Gegensund: Die Frage des Anschlusses der bosnisch-türkischen Bahnen.

   KZ. 82 - GMCZ. 427
   Protokoll des zu Wien am 28. Oktober 1900 abgehaltenen Ministerrates für gemein¬
same Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des
Äußern Grafen Gohichowski.

   Nachdem der Vorsitzende zu Beginn der Sitzung die bezüglich des Ausbaues
der Linien Sarajevo--Uvac, Bugojno--Ariano und Samac-Doboj in den vorangegange¬
nen Konferenzen gestellten Anträge nochmals resümiert hat,1 erteüt derselbe dem k. k.
Eisenbahnminister Ritter v. Wittek dasWort,welcherüberdieunmit-
telbarvor Zusammentritt derheutigenKonferenz zwischen flun, dem kgl. ung. Handels¬
minister und dem gemeinsamen Finanzminister bezüglich der Tariffrage gepflogenen

3 Vgl. GMR. v. 28.10.1900, GMCZ. 427.

1 GMR. v. 27.10.1900, GMCZ. 426.
<pb/>