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Gemeinsamer Ministerrat, 4. 3. 1894

I. Die im Verlaufe der mit Rußland wegen Abschlusses eines Handelsvertrages im Zuge befindlichen Verhandlungen - von seiten der russischen Regierung - bezüglich der Herabsetzung des Roggenzolles und der Bindung der Getreidezölle gestellten Forderungen

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_z67.pdf.

Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894                 619

könne, da nach dem Zoll- und Handelsbündnisse derartige Abgaben ausge¬
schlossen seien.

   Der k. k. Ministerpräsident spricht sich dahin aus, daß, wenn
nachgewiesen wird, daß dieser Aufschlag mit dem Zoll- und Handelsbündnis
im Widerspruche steht, eine Form gefunden werden müßte, einen Übergang zu
schaffen. Jedenfalls aber wäre dies vor 1896 sehr schwierig. Man hätte das letzte
Mal direkt begehren müssen, daß diese Zwischenzollinie aufhöre.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident möchte sich einer billigen Rück¬
sichtnahme auf die Verhältnisse in Tirol nicht widersetzen. Die vorgebrachten
Argumente könne er aber nicht anerkennen. Wenn auch von dem tirolischen
Getreide die gleiche Abgabe eingehoben würde, wäre gegen die Sache nichts zu
sagen. Er müsse wenigstens auf einer Zusicherung bestehen, daß Verhandlungen
eingeleitet werden und daß es zur Aufhebung der Abgabe nächstens kommen
werde.

   Der k. k. Handelsminister, welcher auf verschiedene Verhältnisse
aufmerksam macht, durch welche Tirol sich in einer schwierigen Lage befinde
(beispielsweise die Weinzollklausel) glaubt, daß der ungarischen Regierung in
nicht ferner Zeit eine Antwort wird gegeben werden können.

   Der k. k. Finanzminister weist auf die historische Grundlage dieser
Abgabe hin, welche in Tirol als zu dem Wesen des Landes gehörig betrachtet
wird. Auch er sei der Ansicht, daß man die Sache in Ordnung bringen müsse,
und sei der ungarischen Regierung dafür dankbar, daß sie die Billigkeitsrück¬
sichten anerkennen wolle. Es werde zweckmäßig sein, für die Regelung dieser
Angelegenheit einen Plan sich zu machen, um die ungarische Regierung darüber
zu beruhigen, daß die Beseitigung dieser Irregularität in absehbarer Zeit erfolge.

   Der kgl. ung. Handelsminister glaubt aus den Erklärungen die
beruhigende Versicherung entnehmen zu können, daß die österreichische Regie¬
rung Ungarn die Aussicht eröffne, in nicht zu langer Zeit diese Frage aus der
Welt zu schaffen.

   Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.
                                                                                      Kälnoky

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 12. November 1893. Franz Joseph.

Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. März 1894

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Fürst zu Windisch-Grätz (o. D.), der k. k. Ackerbau¬
minister Graf Falkenhayn (o. D.), der k. k. Handelsminister Graf Wurmbrand-Stuppach (o. D.),
der k. k. Finanzminister Edler v. Plener (o. D.)( der mit der Leitung des Finanzministeriums
betraute kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle (o. D.), der kgl. ung. Handelsminister v. Lukäcs
(o. D.), der kgl. ung. Ackerbauminister Graf Bethlen (o. D.).
    Protokollführer: Sektionsrat im kgl. ung. Finanzministerium v. Märffy.
<pb/>620 Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894

     Gegenstand: Die im Verlaufe der mit Rußland wegen Abschlusses eines Handelsvertrages im
Zuge befindlichen Verhandlungen - von seiten der russischen Regierung - bezüglich der Herabset¬
zung des Roggenzolles und der Bindung der Getreidezölle gestellten Forderungen.

   KZ. 31 - RMRZ. 383
   Protokoll der Ministerkonferenz in gemeinsamer Angelegenheit. Abgehalten
am 4. März 1894 in Budapest unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen
Ministers des Äußern Grafen Kälnoky.

   Minister des Äußern Graf Kälnoky kennzeichnet kurz den Ge¬
genstand der Beratung und bemerkt, daß in der obschwebenden Angelegenheit
unbedingt eine endgiltige Entscheidung getroffen werden muß, da mit Rücksicht
darauf, daß der deutsch-russische Vertrag1 noch in diesem Monate in Kraft tritt,
eine definitive Lösung unerläßlich erscheint.

   Nach seinen Informationen legt Rußland auf die Bindung der Getreidezölle
das Hauptgewicht; auch die Herabsetzung des Roggenzolles wird bestimmt
gefordert, doch ist es - obzwar er diesbezüglich keinen positiven Anhaltspunkt
hat - nicht gänzlich ausgeschlossen, daß Rußland diese seine Forderung fallen
zu lassen geneigt sein wird. Vom Gesichtspunkte der allgemeinen politischen
Lage erscheint ein günstiger Abschluß der Vertragsverhandlungen als höchst
wichtig.

   Welches Gewicht auf das Zustandekommen des deutsch-russischen Handels¬
vertrages gelegt wird, beweist die letzte Rede des deutschen Reichskanzlers und
kennzeichnen jene Stimmen, die in dieser Frage sich in der russischen Presse
erhoben haben.

   Eine Regelung der handelspolitischen Beziehungen zu Rußland für die Dauer
von zehn Jahren käme jedenfalls der Sache der Erhaltung des europäischen
Friedens in hohem Grade zugute. Bisher hatten wir keinen besonderen Grund,
eine Annäherung an Rußland zu suchen, sobald sich aber eine Annäherung
zwischen Deutschland und Rußland vollzieht, können auch wir nicht untätig
bleiben. Zwischen Deutschland und Rußland liegt eigentlich keine konkrete
politische Streitfrage, die bestehende Gespanntheit ist wesentlich eine Folge des
seit 1870 verschobenen Machtverhältnisses in Europa und ein Ausfluß des
Rassengegensatzes. Anders liegt die Frage zwischen uns und Rußland, denn
obzwar unsere Beziehungen zum russischen Hofe gute sind, ist es offenbar, daß
sich im Orient unsere Interessen kreuzen und daß politische Gegensätze vorhan¬
den sind.

   Es ist nicht ausgeschlossen, daß in näherer Zeit, wenn auch nicht gerade in
Bulgarien, so doch möglicherweise anderwärts, Schwierigkeiten sich ergeben,
bei deren Bekämpfung die Gruppierung der Staaten von besonderer Wichtigkeit
sein dürfte.

   Ohne irgendein Mißtrauen gegenüber Deutschlands Vertragstreue auszuspre-

        Der deutsch-russische Handelsvertrag wurde am 9. Februar 1894 unterschrieben. Haselmayr,
        Diplomatische Geschichte des Zweiten Kaiserreiches 4. Buch, 143-146.
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894  621

 chen, müßte der Minister doch darauf hinweisen, daß eine deutsche Intimität
 mit Rußland einerseits und eine durch einen Zollkrieg verbitterte Stimmung
 zwischen Rußland und Österreich-Ungarn eine für uns äußerst ungünstige,
 wenn nicht gefährliche Situation nach sich ziehen würde, für welche er die
 Verantwortung nicht übernehmen möchte. Deshalb hält der Minister es für
 seine Pflicht, mit großem Nachdruck auf die politischen Rücksichten, welche bei
 der vorliegenden Frage sehr in Betracht kommen, hinweisen zu sollen. Und
 nachdem er der Überzeugung ist, daß für den Fall, als es nicht gelingen würde,
 mit Rußland eine Einigung auf dem handelspolitischen Gebiete zu erzielen,
 hieraus eine Gefahr nicht nur für die allgemeine politische Situation, sondern
 speziell für die wichtigsten Interessen der Monarchie entstehen könnte, glaubt
er ein Eingehen auf die russischen Forderungen und eine günstige Lösung der
obschwebenden Fragen wärmstens anempfehlen zu müssen.

    Handelsminister Graf Wurmbrand-Stuppach wünscht vor¬
erst zu motivieren, warum die österreichische Regierung die Forderungen Ru߬
lands zuzugestehen geneigt ist. Die Situation ist kurz die folgende. Vorerst
hatten wir mit Rußland einen Vertrag von geringem Werte. Dann erstellte
Rußland einen Maximal- und einen Minimaltarif und gewährte uns den letzte¬
ren, dann schloß es mit Frankreich eine Handelskonvention, deren Vorteile uns
aber nicht mehr zukamen. Endlich geriet es mit Deutschland in den Zollkrieg
und erhöhte dem deutschen Reiche gegenüber die Sätze seines Maximaltarifes
um ein beträchtliches, welche Verfügung unseren Export nach Rußland wesent¬
lich steigerte.

   Tatsächlich ist unsere Handelsbilanz Rußland gegenüber passiv; im Jahre
1893 z. B. repräsentierte der Import einen Wert von 30 Millionen Gulden, unser
Export aber nur 23 Millionen Gulden. Nun ist aber nicht zu verkennen, daß
Rußland zu uns fast ausschließlich Rohprodukte importiert, die bei uns Zollfrei¬
heit genießen, während wir nach Rußland hauptsächlich Eisen- und Industrie¬
erzeugnisse ausführen. Wenn also unsere handelspolitischen Beziehungen zu
Rußland alteriert werden, leidet darunter in erster Reihe die österreichische,
aber jedenfalls auch die aufstrebende ungarische Industrie.

   Bei Abschluß des Handelsvertrages mit Deutschland wurde den Agrarinteres¬
sen Rechnung getragen, es erscheint daher billig, jetzt etwas für die Industrie
zu tun, u. zw. umsomehr, da die geforderten Opfer eigentlich nur nominelle
sind.

   Unser Import von Roggen ist ein minimaler, der zum überwiegenden Teil aus
Serbien kommt und nur ein kleines Teilperzent unserer Roggenproduktion
ausmacht. Wenn sich übrigens die Roggeneinfuhr durch Herabsetzung des
Zollsatzes erhöhen sollte, würde dies in erster Reihe Galizien treffen.

   Was nun die Bindung der Getreidezölle betrifft, ist er der Ansicht, daß die
Gewährung dieser Forderung umsomehr zugestanden werden kann, da ja eine
Erhöhung der Getreidezölle als ausgeschlossen zu betrachten ist.

   Handelsminister v. Lukäcs will vorerst von der politischen Seite
der Frage absehen und, seinem Vorredner antwortend, die Motive der ablehnen¬
den Haltung der ungarischen Regierung darlegen. Er gibt zu, daß die Herabset-
<pb/>622 Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894

zung des Roggenzolles für Österreich kein Opfer bedeutet, anders steht die
Sache aber in Ungarn, wo diese Maßnahme überhaupt nicht zu motivieren
wäre. Die Roggenproduktion in Österreich beträgt zwar beinahe das Doppelte
der gleichen Produktion in Ungarn, doch ist nicht außer acht zu lassen, daß sich
die Produktion auch in Ungarn merklich erhöht. Es ist nicht zu bestreiten, daß
der Roggenimport in die Monarchie derzeit ein minimaler ist, doch war der
Import im Anfänge der achtziger Jahre, bei dem niedrigen Zollsätze von 25 kr.,
ein sehr großer.

   Bis zum Jahre 1887, als der Roggen zollfrei oder nur mit einem geringen
Zollsätze belastet war, überstieg der Import den Export um 500 000 bis eine
Million Meterzentner. Nach Erhöhung des Roggenzolles zeigt sich ein Plus von
zwei-dreimal 100 000 Meterzentner zugunsten unseres Exportes. Es ist daher
evident, daß ein Bedürfnis der Steigerung des Roggenimportes nicht vorhanden
ist. Nach den Daten der ungarischen Statistik führt Ungarn beträchtliche Men¬
gen Roggens nach Österreich und Deutschland aus. Im Jahre 1891 war der
Export nach Österreich 1 973 511, nach Deutschland und nach den übrigen
Staaten 121 278 Meterzentner. In den Jahren 1884-1892 hat sich der Wert des
ungarischen Roggenexportes von 8 Millionen Gulden auf 15-19 Millionen
Gulden gesteigert.

   Ungarn muß also mit den Folgen einer Konkurrenz rechnen. Und daß die
Konkurrenz Rußlands, im Falle der Herabsetzung des Zollsatzes, eine gefährli¬
che wäre, beweisen die folgenden Ziffern. Nach angestellten Berechnungen, die
bei den hervorragendsten Getreidehändlern eingeholt wurden, kommt ein Me¬
terzentner russischen Roggens an der böhmischen Grenze heute auf zirka 7 fl.
62 kr. zu stehen, während der ungarische Roggen derzeit in Böhmen 7 fl. 25 kr.
kostet. Bei einer Herabminderung des Zollsatzes um einen halben Gulden würde
also der ungarische Roggen bei dem heutigen ohnedies schon niedrigen Preise
nicht mehr konkurrenzfähig sein. Weiters ist auch nicht außer Betracht zu
lassen, daß billiger Roggen auch geeignet wäre, den Weizen zu verdrängen.

   Ackerbauminister Graf Falkenhayn ist der Ansicht, daß eine
Herabsetzung des Roggenzolles Österreich und Ungarn gleich treffen würde.
Vermöge der mit seinem Amte verbundenen Pflichten verkennt auch er nicht
die Wichtigkeit der Frage und die mit der Lösung derselben verknüpften
Schwierigkeiten, er weiß auch, daß es nicht leicht sein wird, diese Maßnahme
im Parlamente durchzubringen, doch ist er der Überzeugung, daß sie bei dieser
Gelegenheit vor dem Parlamente zu vertreten sein wird. In dem siebenziger
Jahrzehnte waren in Deutschland bei geringem Zolle die Roggenpreise hoch und
der Import gering, in dem achtziger Jahrzehnte waren bei hohem Zolle -
umgekehrt - die Preise niedrig und der Import groß; nach Abschluß des Han¬
delsvertrages hat sich der Import neuerdings abgeschwächt. Unsere Produktion
ist auf die Bildung der Getreidepreise nicht mehr von maßgebendem Einflüsse,
die Getreidepreise werden heute durch den Import aus Amerika und Australien
und durch die dortigen jeweiligen Ernteergebnisse dominiert. All dies zusam¬
mengefaßt, ist er der Ansicht, daß uns durch die Herabsetzung des Roggenzolles
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894  623

keine Gefahr droht, eben deshalb stimmt er derselben, in Ansehung der allge¬
meinen politischen Situation, zu.

   Ackerbauminister Graf Bethlen ist der Ansicht, daß Rußland
seine Forderung bezüglich Herabsetzung des Roggenzolles jedenfalls in der
Hoffnung gestellt hat, daß sich infolgedessen sein Import steigern wird. Rußland
hat in den letzten Jahren schlechte Ernten gehabt und setzt jetzt alles daran,

seine Produktionsverhältnisse zu bessern und somit seine Exportfahigkeit zu
steigern. Ungarn produziert 12 Millionen Meterzentner Roggen, wovon es 2
Millionen nach Österreich exportiert. Von diesem Exporte würde Ungarn bei
Herabsetzung des Zolles die Hälfte, ja vielleicht noch mehr verlieren. Besonders
in Betracht zu ziehen ist auch, daß die Produktionsverhältnisse in Rußland viel
günstigere sind als bei uns. Auch die Bindung der Getreidezölle hält er für
gefährlich, in Ansehung der Sachlage aber wäre er bereit, der Gewährung dieser
Forderung zuzustimmen, aber nur unter der Bedingung, wenn es möglich wäre,
als Kompensation von Rußland Begünstigungen bezüglich einiger landwirt¬
schaftlicher Produkte (Trauben, Obst, Hopfen etc.) zu erreichen.

   Ackerbauminister Graf Falkenhayn bemerkt kurz, daß sich sei¬
ner Ansicht nach die Importaussichten Rußlands durch Herabsetzung des
Roggenzolles nicht günstiger stellen würden. Den Beweis liefert hiefür Deutsch¬
land, wo sich der Import nach Herabsetzung der Getreidezölle nicht gehoben
hat.

   Auch Finanzminister v. Plener ist der Ansicht, daß uns die Her¬
absetzung der deutschen Getreidezölle keinen Nutzen gebracht hat. Er meint,
daß für die Einfuhr allein das Ernteergebnis maßgebend ist. Er ist überzeugt,
daß wenn Rußland eine gute Roggenemte haben wird, auch die Einfuhr unter
allen Verhältnissen eine bedeutende sein wird. Übrigens bemerkt er, daß nach
seinen Informationen die Produzenten in Galizien von der in Frage stehenden
Maßnahme keine Gefahr fürchten.

   Ministerpräsident Wekerle ist der Überzeugung, daß die Zollsätze
jedenfalls einen Einfluß auf die Preisbildung haben. Daß unsere Roggenausfuhr
nach Deutschland in letzterer Zeit eine geringere ist, dessen Grund liegt, seiner
Ansicht nach, teils darin, daß sich die Produktionsverhältnisse in Deutschland
gebessert haben, teils in dem Umstande, daß der billige Weizen den Roggen
verdrängt hat. Daß im Falle einer Herabminderung des Zolles sich der russische
Roggen im Preise billiger stellen würde als unserer, das unterliegt keinem
Zweifel, und die Folge davon wäre, daß die Preise unseres Produktes gedrückt
und hiedurch nicht nur der ungarische, sondern ebenso der österreichische
Produzent geschädigt werden würde.

   Der niedrige Zoll Serbien gegenüber birgt darum keine Gefahr in sich, da
Serbien sehr wenig Roggen produziert, so daß wir durch die jährliche Einfuhr
von zirka 50 000 Meterzentnern das ganze Plus der Produktion aufnehmen;
außerdem ist das serbische Getreide um so vieles minderwertiger als das russi¬
sche, daß die Differenz im Zollsätze durch den Unterschied in der Qualität
ausgeglichen wird. Daß wir im letzten Jahre nach Böhmen mehr Roggen impor¬
tiert haben, ist unstreitig eine Folge des dortigen schlechten Ernteergebnisses
<pb/>624 Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894

gewesen; doch importiert Böhmen auch unter normalen Verhältnissen 1 1/2
Millionen Meterzentner Roggen, welche Menge stets aus Ungarn eingeführt
wurde, mit Ausnahme jenes Zeitabschnites, in welchem der Roggen zollfrei oder
nur mit geringem Zolle belastet war. In diesem Zeitabschnitte importierte
Böhmen aus Rußland von dem Bedarf von 11/2 Millionen Meterzentnern zirka
ein Dritteil. Eine Herabsetzung des Zolles würde also der ungarischen Produk¬
tion neuerdings das Absatzgebiet in Böhmen bedeutend schmälern, ja vielleicht
ganz entziehen, was gerade jetzt ein um so empfindlicherer Schaden wäre, als
die Roggenproduktion in Ungarn eben in der letzten Zeit immer mehr an
Ausdehnung gewinnt und unser Export nach Deutschland, sobald der begün¬
stigte Zollsatz auch Rußland zukommen wird, voraussichtlich ganz aufhören
dürfte.

   Mit Rücksicht auf die allgemeine politische Lage glaubt auch er, daß mög¬
lichst die weitestgehenden Konzessionen gemacht werden sollen, doch hält er
auch von diesem Gesichtspunkte ausgehend eine Herabsetzung des Roggenzol¬
les für gänzlich unzulässig. Es ist nicht zu bestreiten, daß wir eine agrarische
Bewegung schon haben und daß diese sich im Falle der Gewährung der fragli¬
chen Konzession in solchem Maße steigern würde, daß eine Rückwirkung auf
die gemeinsamen wirtschaftlichen Fragen und selbst auf die ganze interne
politische Lage unausbleiblich und in ihren Folgen unberechenbar wäre. Es
müßte daher, nach seiner Ansicht, von der Herabsetzung des Roggenzolles
gänzlich abgesehen und dahin eine Einigung geschehen, daß bloß die Bindung
der Getreidezölle zugestanden werde. Es würde die Feststellung auch dieser
Maßnahme, mit Rücksicht auf die wegen Erhöhung der Getreidezölle in Frank¬
reich geplanten Maßnahmen, mit Schwierigkeiten verbunden sein, aber soweit
könnte vielleicht dennoch im Interesse der Sache gegangen werden.

   Ackerbauminister Graf Falkenhayn macht darauf aufmerksam,
daß wenn es uns jetzt nicht gelingt, einen Vertrag abzuschließen, die Verhältnis¬
se später noch schwieriger sein werden. Noch vor einem Jahre hätte sich Ru߬
land wahrscheinlich mit der Bindung der Getreidezölle begnügt, nach Verlauf
von zwei-drei Jahren würde Rußland bei Verhandlungen zweifelsohne auch
Forderungen bezüglich der Viehfrage stellen.

   Handelsminister v. Lukäcs meint, daß unsere geringe Ausfuhr
nach Deutschland nach Abschluß des neuen Vertrages kein Argument sein kann
für die Herabsetzung unseres Roggenzolles. Auch die Bindung der Getreidezölle
ist mit Schwierigkeiten verbunden, besonders wenn man in Betracht zieht, daß
Frankreich und Italien daran gehen, ihre diesbezüglichen Zölle zu erhöhen, und
die deutschen Zölle an und für sich hoch sind. Unser Export wird stätig sieh
vermindern, und andererseits werden wir einer Invasion ausgesetzt sein. Die
Bindung der Getreidezölle ist die einzige Waffe, die wir bei der Regelung der
handelspolitischen Beziehungen mit den Staaten des Orientes noch haben; auch
ist nicht außer acht zu lassen, daß wir auch bei der Revision der wirtschaftlichen
Ausgleichsgesetze dann in dieser Rücksicht gebunden sein würden. Das Konze¬
dieren der Forderung ist daher höchst schwierig, in Ansehung der politischen
Motive ist aber auch er geneigt, Entgegenkommen zu zeigen, unter der Bedin-
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894  625

gung jedoch, daß 1. dies unser endgiltiger Standpunkt sei und auf die bezüglich
der Herabsetzung des Roggenzolles gestellte Forderung überhaupt nicht mehr
zurückgekommen werde; 2. daß wenigstens der Formalität halber auch irgend¬
welche russische Zölle uns gegenüber gebunden werden; z. B. Gemüse, Wein¬
trauben, landwirtschaftliche Maschinen, Lederartikel, Holz etc.

   Finanzminister v. Plener hat persönlich die Hoffnung, daß Ru߬
land sich mit der Bindung der Getreidezölle zufriedengeben wird, glaubt aber
nicht, daß es geneigt sein wird, hiefür irgendwelche Kompensationen zu bieten.
Es muß in Betracht gezogen werden, daß durch Abschluß eines Vertrages wir
gewinnen und nicht Rußland. Außerdem ist der Zoll für Gemüse und Hopfen
schon durch den deutschen Vertrag herabgesetzt.

   Ministerpräsident Alfred Fürst zu Windisch-Grätz hält
mit Rücksicht auf die politische Situation eine günstige Lösung auch für uner¬
läßlich. Er will die Monarchie jedenfalls vor den verderblichen Folgen eines
Zollkrieges bewahren und ist demnach der Ansicht, daß alles getan werden muß,
um das Ziel zu erreichen.

   Ministerpräsident Wekerle macht aufmerksam, daß trotzdem wir
für Getreide ein Exportland, Deutschland aber ein Importland ist, die deutschen
Getreidezölle dennoch höhere sind, somit die Forderung wegen Herabsetzung
des Roggenzolles nicht einmal motiviert erscheint.

   Handelsminister Graf Wurmbrand-Stuppach meint, daß nun
auch einmal etwas für unsere Industrie geschehen muß, nachdem wir derselben
zur Wahrung der Agrarinteressen schon verschiedene Absatzgebiete zu ver¬
schließen gezwungen waren. Österreich wird erfreut sein, wenn der Roggenzoll
nicht herabgesetzt werden wird müssen. Die Bindung der Getreidezölle hinge¬
gen erscheint ihm als kein großes Opfer. Er akzeptiert übrigens mit Dank den
ungarischen Vorschlag, gibt aber der Ansicht Ausdruck, daß die Bedingung, es
solle auf die Herabsetzung des Roggenzolles nicht mehr zurückgekommen
werden können, nicht annehmbar ist. Mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der
endgiltigen Lösung bringt er in Vorschlag, die beiderseitigen Regierungen sollen
von den respektiven Legislativen die Ermächtigung zur provisorischen Rege¬
lung der handelspolitischen Beziehungen mit Rußland bis Ende des Jahres 1894
einholen.

   Minister des Äußern Graf Kälnoky anerkennt die Berechti¬
gung der geäußerten spezialen Gesichtspunkte, doch muß bei Abschluß von
Handelsverträgen - abgesehen von der politischen Seite der Frage - das mate¬
rielle Resultat berücksichtigt werden. In Österreich wünscht man das Zustande¬
kommen des Vertrages sehr, er gibt zu, daß dies in Ungarn nicht der Fall ist,
doch müssen die gegenseitigen Interessen abgewogen und ausgeglichen werden.
An die Gewährung der Bindung der Getreidezölle Bedingungen zu knüpfen,
hält auch er für nicht zweckentsprechend, umso mehr, als wir vor endgiltigen
russischen Forderungen stehen.

   Finanzminister v. Plener ist für seine Person der Ansicht, daß von
einem Zurückkommen auf die Herabsetzung des Roggenzolles abgesehen wer¬
den wird können, und ratet an, es möge von der Stellung von Bedingungen
<pb/>626 Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894

abgesehen werden und Rußland gegenüber einfach erklärt werden, daß die
Forderung bezüglich der Herabsetzung des Roggenzolles abgelehnt, hingegen
die Bindung der Getreidezölle zugestanden wird. Ackerbauminister
Graf Bethlen erklärt, diesem Vorschläge zuzustimmen. Handelsmini¬
ster v. Lukäcs knüpft an seine Zustimmung zwei Wünsche. In einer am
2. Oktober vorigen Jahres abgehaltenen gemeinsamen Ministerkonferenz2 hat
die frühere österreichische Regierung die Zusage getan, die für russisches Ge¬
treide auf den Bahnen in Galizien errichteten tarifalischen Begünstigungen zu
kündigen. Er hofft, daß die jetzige Regierung diese Zusage bei dieser Gelegen¬
heit erneuern wird.

   Minister des Äußern Graf Kälnoky bestätigt die damals von
der k. k. Regierung gemachte Zusage, erinnert aber zugleich daran, daß man
übereingekommen war, es solle während der Verhandlungen mit Rußland die
Kündigung nicht stattfinden, sondern das Resultat abgewartet werden, um
dann nach Abschluß des Handelsvertrags damit vorzugehen. Doch habe er den
k. u. k. Botschafter in Petersburg angewiesen, unterdessen vertraulich die russi¬
sche Regierung von der zu gewärtigenden Kündigung der in Frage stehenden
Begünstigung zu verständigen.

   Handelsminister v. Lukäcs gibt weiters der Hoffnung Raum, daß
die österreichische Regierung unseren Export nach Rußland durch eisenbahnta-
rifalische Maßnahmen keine Hindernisse in den Weg legen wird. Er erklärt, daß
er seinerseits bestrebt ist, bei tarifalischen Maßnahmen jederzeit den österreichi¬
schen Interessen Rechnung zu tragen.

   In der Anhoffnung, daß die österreichische Regierung in den gekennzeichne¬
ten zwei Fragen Entgegenkommen zeigen wird, stimmt auch er dem Anträge im
Sinne des Herrn Finanzministers Dr. von Plener zu.

   Ministerpräsident Fürst zu Windisch-Grätz erklärt, über die
eben gehörten beiden Angelegenheiten nicht informiert und demgemäß auch
nicht in der Lage zu sein, sich äußern zu können. Doch ist er bereit, den
Wünschen möglichst entgegenzukommen.

   Handelsminister Graf Wurmbrand ist über die beiden Fragen,
da er auf dieselben nicht vorbereitet war, auch nicht genügend informiert, ist
aber der Ansicht, daß das ungarische Interesse nichts gewinnen wird, wenn dem
russischen Getreide die Transportbegünstigungen entzogen werden. Der Effekt
würde nur sein, daß die galizischen Bahnen den Transport dieses Getreides
verlieren und das Getreide den Weg über Odessa nehmen würde. Er wird aber
die Angelegenheit untersuchen und bestrebt sein, dieselbe tunlichst entgegen¬
kommend auszutragen. Er erklärt bei dieser Gelegenheit, stets gerne bereit zu
sein, in allen diesen Fragen das möglichste Entgegenkommen an den Tag zu
legen.

   Handelsminister v. Lukäcs bemerkt, daß es sich hier um eine
prinzipielle Frage handelt, da die russischen Provenienzen günstiger behandelt

2 Die erwähnte Ministerkonferenz wurde am 22. Oktober 1893 abgehalten. RMRZ. 382.
<pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894  627

werden als die ungarischen. Und darum legt er Gewicht auf die Durchführung
dessen, was die frühere österreichische Regierung seinerzeit zugesichert hat.

   Minister des Äußern Graf Kälnoky, zurückkehrend auf den
eigentlichen Gegenstand der Beratung, glaubt als Beschluß aussprechen zu
können, daß der russischen Regierung mitzuteilen sein wird, daß die Forderung
bezüglich der Herabsetzung des Roggenzolles abgelehnt, hingegen die Bindung
der autonomen Getreidezölle (die Zollsätze 50 kr., 75 kr. und 1 fl. 50 kr. der
Tarifnummern 23, 23b und 24) -- unter Annahme der von Rußland angebotenen
Bindungen - zugestanden wird.

   Ferner wird beschlossen, den beiderseitigen Legislativen ehebaldigst Geset¬
zentwürfe vorzulegen, welche die Ermächtigung für die Regierungen enthalten
sollen, die handelspolitischen Beziehungen mit Rußland provisorisch längstens
bis Ende 1894 zu regeln.

   Endlich ist nach Ansicht des Ministers des Äußern auch die Frage ins Auge
zu fassen, was zu geschehen hat, wenn Rußland sich mit dem Gebotenen nicht
begnügt.

   Ministerpräsident Wekerle bemerkt, daß von einer Ausdehnung
des schon Zugestandenen keine Rede sein kann, u. zw. umso mehr, da ja auch
schon auf die Bindung der Getreidezölle trotz wiederholt gefaßter ablehnender
Ministerratsbeschlüsse3 eingegangen wurde.

   Ministerpräsident Fürst zu Windisch-Grätz asteht auch ei¬
nem Ministerratsbeschluß gegenüber und erklärt, bezüglich der Frage, ob auf
die Herabsetzung des Roggenzolles noch zurückgekommen werden solle oder
nicht, keine Zusage machen zu können.3

   Finanzminister v. PIener gibt neuerdings der Hoffnung Ausdruck,
daß sich Rußland mit dem Gebotenen zufrieden geben wird.

   Minister des Äußern Graf Kälnoky erklärt nun, daß er die
Verantwortung nicht auf sich nehmen könnte, die jetzt an Rußland zu erteilende
Antwort als ein Ultimatum anzusehen. Die Konsequenzen eines Abbruches der
Verhandlungen müßten zum Zollkriege führen, und wie bereits früher ausge¬
führt, könnte hieraus eine so ungünstige politische Lage hervorgehen, daß es
denn doch zu bedenken wäre, ob diese nicht schwerer ins Gewicht falle als der
herabgesetzte Roggenzoll. Es wird daher beschlossen, daß der Botschafter Graf
Wolkenstein angewiesen werden wird, entsprechend zu betonen, daß die Herab¬
setzung des Roggenzolles als ausgeschlossen zu betrachten ist, daß er aber die
allfalligen Gegenpropositionen der russischen Regierung ad referendum zu

nehmen habe.

Korrektur von Windisch-Grätz aus steht zwar auch einem Ministerratsbeschluß gegenüber,
glaubt aber doch der Meinung Ausdruck geben zu können, daß auf die. Frage der Herabset¬
zung des Roggenzolles zurückzukommen nicht beabsichtigt wird.

Vgl. 28/MT. Ung. MR. v. 22. 7. 1893. 1. Über die Handelsbeziehungen mit Rußland, OL.,
K. 27, Karton 53 und 31!MT. Ung. MR. v. 13. 9.1893. 5. Über die Verhandlungen bezüglich
des russischen Handelsvertrags, ebd.
<pb/>628 Nr. 68 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. 3. 1894

   Hiemit war die Beratung beendet und Minister des Äußern Graf Kälnoky
schloß die Sitzung.

                                                                                               Kälnoky

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 3. April 1894. Franz Joseph.

Nr. 68 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 28. März 1894

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Fürst zu Windisch-Grätz (o. D.), der kgl. ung. Mini¬
sterpräsident Wekerle (o. D.), der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (31. 3.), der k. u. k.
gemeinsame Kriegsminister GdK. Edler v. Krieghammer (o. D.), der kgl. ung. Minister am Ah.
Hoflager Graf Tisza (ö. D.), der k. k. Finanzminister Edler v. Plener (10. 4.), der k. u. k. Marine¬
kommandant Admiral Freiherr v. Stemeck (7. 4.).
    Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Khu.
    Gegenstand: Der Voranschlag über die gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen der österrei-
chisch-ungarischen Monarchie pro 1895.

   KZ. 45 - RMRZ. 384
   Protokoll des zu Wien am 28. März 1894 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen
Ministers des Äußern Grafen Kälnoky.

   Der Vorsitzende eröffnet die Beratung, indem er zunächst den Voran¬
schlag des gemeinsamen Kriegsministeriums zur Sprache bringt.

   Der k. u. k. Reichskriegsminister GdK. v. Krieghammer
weist darauf hin, daß die Zusamitignsfeflüng des VorariScffläges mit genauer
Berücksichtigung der unter Ah. Vorsitze am 28. März v. J. getroffenen Vereinba¬
rung1 über die sukzessive Erhöhung des Budgets des Heeres für die Jahre 1894
bis inklusive 1899 erfolgt sei. Eine Überschreitung der darnach für das k. u. k.
Heer entfallenden Quote von 3 500 000 fl. bilde nur die im Extraordinarium
erscheinende Anforderung für Herstellung der Detailbaupläne der in Ungarn
zu errichtenden Militärakademie per 40 000 fl. Dieselbe sei jedoch lediglich
durch eine hierauf bezügliche Resolution der ungarischen Delegation hervorge¬
rufen, sonst aber durch die Notwendigkeit nicht zu motivieren, und wäre daher
eventuell der k. u. k. Reichskriegsminister bereit, dieselbe fallenzulassen. Alle
anderen Erhöhungen in den einzelnen Posten sind unter sorgfältiger Beachtung
des den vorigjährigen Beratungen zugrunde gelegten Prinzips verteilt und die¬
nen zum weiteren Ausbau und der Entwicklung der bestehenden Institutionen.
Speziell müsse hervorgehoben werden, daß außerdem in dem Rahmen des dem
Kriegsministerium zur Verfügung pro 1895 stehenden Mehrbetrages auch für

1 Vgl. GMR. V. 28. 3. 1893, RMRZ. 379.
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