Gemeinsamer Ministerrat, 22. 10. 1893
I. Handelsvertragsverhandlung mit Rußland und mit Rumänien
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_z66.pdf.
II. Futterausfuhrverbot
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_z66.pdf#page=10.
III. Tiroler Getreideaufschlag
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_z66.pdf#page=11.
608 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 Es entspinnt sich über diesen Gegenstand in der Konferenz ein längerer Gedankenaustausch, ohne daß jedoch eine Einigung erzielt würde. Die Sitzung wird hierauf geschlossen. Kälnoky Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 8. Mai 1893. Franz Joseph. Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. Oktober 1893 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (29. 10.), der kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle (8. 11.), der k. k. Handelsminister Marquis Bacquehem (29. 10.), der kgl. ung. Handelsmi¬ nister v. Lukäcs (4. 11.), der k. k. Finanzminister Steinbach (30. 10.), in Vertretung des k. k. Ackerbauministers Minister v. Zaleski (24. 10.), der kgl. ung. Ackerbauminister Graf Bethlen (8. 11.), der k. k. Sektionschef im Ministerium des Innern Freiherr v. Erb, der k. u. k. Sektionschef im k. u. k. Ministerium des Äußern Freiherr v. Glanz. Protokollführer: Generalkonsul v. Kuczynski. Gegenstand: I. Handelsvertragsverhandlung mit Rußland und mit Rumänien. II. Futterausfuhr- verbot. III. Tiroler Getreideaufschlag. KZ. 61 - RMRZ. 382 Protokoll des zu Wien am 22. Oktober 1893 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Kälnoky. [I.] Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit der Besprechung der rus¬ sischen Handelsvertragsverhandlungen, indem er die Dringlichkeit der Beant¬ wortung der seit dem 5. September vorliegenden Note der russischen Regierung hervorhebt. Er weist auf die inzwischen erfolgte Anknüpfung der Verhandlung zwischen Deutschland und Rußland hin sowie darauf, daß es für uns nicht vorteilhaft wäre, dieselbe fortschreiten zu lassen, ohne auch unsererseits die mit letzterem Staate schwebenden Negotiationen zu Ende zu bringen. Die russische Regierung halte zwar ihren Standpunkt bezüglich der Interpretation der Meist¬ begünstigung aufrecht, erkläre sich aber, wenn man sich österreichisch-ungari- scherseits diesem Standpunkte absolut nicht anschließen könnte, zru einer Ver¬ ständigung auf der Basis bereit, daß beide Teile sich nur ihre gegenwärtigen Konventionaltarife gegenseitig zugestehen und daß künftige Zollermäßigungen auf dieselben erst auf Grund einer neuerlichen Vereinbarung gegen äquivalente Zugeständnisse Anwendung fänden. In Petersburg selbst scheine man zu fühlen, daß dieser Vorschlag für uns nicht annehmbar wäre. Es sei für diesen Fall vertraulich angedeutet worden, daß, wenn man russischerseits auf die Ausdeh¬ nung der serbischen Zollbegünstigungen verzichten solle, man, um zu einer Verständigung auf Grund unserer Integration der Meistbegünstigung zu gelan¬ gen, folgende Punkte ins Auge fassen würde: <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 609 1. Bindung unserer Getreidezölle von 1 fl. 50 kr. 2. Die Abgabe einer Erklärung, daß die Serbien im Grenzverkehre gewährten Begünstigungen keinem anderen Staate eingeräumt werden, bzw. daß, wenn dies doch geschähe, sie auch ipso facto Rußland zugute kommen würden. 3. Bindung, resp. Ermäßigung gewisser nicht näher bezeichneter Positionen unseres Tarifes. Der Minister des Äußern rekapituliert die Stellung, welche beide Regierungen zu diesen Punkten bisher eingenommen haben und wonach Österreich die Bindung der Zölle akzeptieren würde, Ungarn jedoch sowohl aus meritorischen als auch aus formalen Gründen dieselben ablehne; bezüglich des zweiten Punk¬ tes sei Österreich zu der Erklärung bereit, für den Fall der Ausdehnung der Serbien gewährten ermäßigten Zölle in analoger Weise auf die Einfuhr eines anderen Nachbarstaates die gleichen Zölle auch auf die russische Einfuhr zur Anwendung gelangen zu lassen, Ungarn jedoch habe sich bisher dahin ausge¬ sprochen, daß es auf eine über den Begriff der Meistbegünstigung hinausgehen¬ de Verpflichtung nicht eingehen könne; endlich seien bezüglich des dritten Punktes beide Teile darüber einig, diese Forderung abzulehnen. Es sei nunmehr an der Zeit, sich darüber klar zu werden, was Rußland zu bieten möglich wäre, um nicht durch eine ablehnende Haltung die Basis für weitere Verhandlungen zu verlieren; darüber, daß der Abschluß des Vertrages wünschenswert sei, seien ja beide Regierungen einig. Der kgl. ung. Handelsminister wünscht zunächst einige Bemer¬ kungen zu machen, um den Standpunkt der ungarischen Regierung näher zu begründen. Wenn man die statistischen Daten zu Rate ziehe, so zeige es sich, daß im Jahre 1891 Rußland nach Österreich-Ungarn für 27 Millionen fl. Waren eingeführt habe, während Österreich-Ungarns Ausfuhr dahin nur 17 Millionen betragen habe. Die Mehreinfuhr Rußlands nach der Monarchie repräsentiere daher einen Wert von 10 Millionen. Ein ähnliches Verhältnis ergebe sich auch aus der Statistik für 1892. Es liege demnach das größere Interesse für den Abschluß des Vertrages auf seiten Rußlands. Wenn man aber speziell den Verkehr Ungarns mit Rußland in Betracht ziehe, so stelle sich derselbe als minimal dar. Die russische Ausfuhr nach Ungarn betrage 4 1/2 Millionen, die ungarische nach Rußland hingegen nur eine halbe Million. Eines solchen Ver¬ trages halber könne Ungarn keine großen oder überhaupt keine Opfer bringen. Aus einer Prüfung der österreichischen Proposition ergebe sich, daß die Kom¬ pensationen, welche Rußland für das Zustandekommen eines Vertrages ge¬ währt werden sollen, zunächst die Interessen Ungarns tangieren würden. Dies sei die Bindung der Getreidezölle und die Angelegenheit der Serbien gewährten Begünstigungen, bezüglich welcher wir uns die Hände für die Zukunft binden sollen. Was insbesonders die Bindung der Getreidezölle anlangt, so sei es überhaupt nicht ganz klar, wie dieser Gedanke gemeint sei, da in dem Gespräche, in welchem Vizedirektor Timirjaseff diesen Punkt vorbrachte, nur die Rede von dem Zollsätze von T fl. 50 kr. gewesen sei, welcher sich aber nur auf einige <pb/>610 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 Gattungen von Zerealien beziehe. In bezug auf das Meritum der Frage aber sei die ungarische Regierung nach neuerlicher Erwägung derselben1 zu der Über¬ zeugung gekommen, daß es ihr unmöglich wäre, auf die Bindung der Getreide¬ zölle einzugehen. Man könne nicht ein wesentliches Kompensationsobjekt, das man gegenüber den Balkanstaaten besitze, aus der Hand geben. Er halte die russische Forderung nicht für begründet, da der Vertrag, wenn man die exorbi¬ tanten russischen Zölle mit der Zollfreiheit, respektive den niedrigen Zöllen vergleicht, welche die meisten russischen Exportartikel bei uns genießen, mehr Vorteile für Rußland als für uns enthalte. Unter solchen Verhältnissen die Getreidezölle gegen Rußland zu binden, vermöchte die Regierung vor dem Reichstage nicht zu vertreten. Was die auf die serbischen Zollbegünstigungen bezügliche Erklärung anlangt, so ergebe sich das Bedenken, ob die Abgabe einer solchen Erklärung das Zustandekommen eines regelrechten Vertrages mit Ru¬ mänien nicht unmöglich machen würde. Da aber auch die ungarische Regierung auf die Verständigung mit Rußland Wert lege, so sei sie bereit, auf eine solche Erklärung einzugehen, müsse aber bei dieser Gelegenheit die Eisenbahntarif- Begünstigungen zur Sprache bringen, welche dem russischen Getreide in der Durchfuhr nach der Schweiz, Lindau etc. zugestanden wurden. Der Umstand, daß Österreich den Provenienzen eines fremden Landes bei der Durchfuhr günstigere Bedingungen gewähre als den Provenienzen des anderen Staatsgebie¬ tes, habe in Ungarn einen ungünstigen Eindruck gemacht. "Diesem Vorgänge gegenüber wolle er sich nicht auf das Zoll- und Handelsbündnis berufen;" glaube aber, daß es, um den Vertrag bfür die ungarische Regierungb möglich zu machen, notwendig sei, daß österreichischerseits diese Maßnahmen, welche in einer gewissen Beziehung die Verteidigung des gemeinsamen Zollgebietes er¬ schweren, sobald als möglich außer Kraft gesetzt werden sollten. Er lege hierauf aus politischen Rücksichten Gewicht, da, wenn der Vertrag vors Parlament komme, diese Frage jedenfalls aufgeworfen werden würde. Wenn daher die ungarische Regierung der Abgabe der fraglichen Erklärung hinsichtlich der serbischen Zollbegünstigungen zustimme, so geschehe dies in der Erwartung und mit dem Ersuchen, daß sie von der österreichischen Regierung eine Zusiche¬ rung darüber erhalte, daß die in jüngster Zeit dem russischen Getreide in der Durchfuhr gewährten außerordentüchen Tarifermäßigungen nach dem Ins- lebentreten des Handelsvertrages mit Rußland außer Kraft gesetzt werden würden. Es könnten immerhin einige Monate verstreichen, aber eine Zusiche¬ rung in dieser Richtung erscheine ihm aus den angeführten Gründen unerlä߬ lich. Korrektur von Lukäcs aus Er wolle sich nicht auf die Basis des Zoll- und Handelsbündnisses stellen. b"b Einfügung von Lukäcs. 1 Vgl. 281MT. Ung. MR. v. 22. 7. 1893. 1. Über die Handelsbeziehungen mit Rußland, OL., K. 27, Karton 53 und 31/MT Ung. MR. v. 13. 9.1893. 5. Über die Verhandlungen bezüglich des russischen Handelsvertrags, ebd. <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 611 Der k. k. Handelsminister ist auch der Ansicht, daß der russische Vorschlag wegen gegenseitiger Beschränkung der Meistbegünstigung auf die gegenwärtigen Konventionaltarife schon aus dem Grunde nicht akzeptabel sei, weil Rußland am Beginne, wir aber am Ende der handelspolitischen Verhand¬ lungen stehen. Es sei richtig, daß wir Rußland durch den Vertrag den Mitgenuß eines umfassenden Konventionaltarifes gewähren, während uns nur der russi¬ sche Minimaltarifmit den Frankreich gewährten Konzessionen zugute kommen werde. Allein Rußland stelle sich auf den Standpunkt, daß es nur Getreide und Vieh interessiere. Für Vieh erreiche es nichts. Die anderen für seinen Export wichtigen Artikel kämen allerdings zollfrei herein, doch sei diese Zollfreiheit von uns schon in anderen Verträgen gebunden worden, weil unsere eigene Industrie Interesse daran habe. Bei der Frage der Bindung der Getreidezölle möchte er sich nicht auf den Standpunkt stellen, ob dieselbe ein Opfer für das eine oder andere Staatsgebiet bedeute. Auch auf österreichischer Seite träten die agrari¬ schen Interessen sehr in den Vordergrund. Gleichwohl sei man österreichischer- seits bereit, diese Konzession an Rußland zu machen, um sich die Vorteile zu sichern, die der russische Vertrag biete. Ohne Zweifel seien die Getreidezölle grundlegende Zölle für den Zolltarif. Aber auch die Zölle auf Eisen, Wolle etc. seien solche gewesen, ohne daß es dieser Umstand verhindert hätte, dieselben zu ermäßigen oder zu binden. Die österreichische Regierung denke nicht an die Möglichkeit einer Erhöhung der Getreidezölle, insbesondere während der Dauer des deutschen Handelsvertrages. Praktisch müsse man damit rechnen, daß die Getreidezölle in absehbarer Zeit auf dem Niveau bleiben werden, auf dem sie heute sind. Die Bindung der Getreidezölle könne man nur gegenüber Rußland und Rumänien verwerten. Die Statistik zeige, daß im Durchschnitt der Jahre 1886 bis 1892 (ein Jahr ausgenommen) der Import aus Rußland zu uns (23, 25, 16, 23, 24, 27, 24 Millionen) keine sehr merklichen Unterschiede aufweise, während unser Export nach Rußland (20,16,17,20,22,17,16 Millionen), offenbar infolge der autono¬ men Zollerhöhungen größeren Schwankungen unterworfen gewesen sei. Käme es zu einer differentiellen Behandlung, welche uns in ungünstigere Konkurrenz¬ bedingungen gegenüber dem Handel von ganz Europa setzen würde, so laufe unser Export, welcher sich auf eine große Zahl von Artikeln verteilt, die durch Zollzuschläge getroffen würden, Gefahr, ganz lahmgelegt zu werden. Wir dage¬ gen hätten in einem solchen Zollkriege schlechtere Waffen zur Hand, da sich der russische Import nach Österreich-Ungarn in der Hauptsache auf einige große Artikel erstrecke, wie Getreide, Rohtabak, Felle, Häute, Haare, Borsten, Flachs, Rohpetroleum etc. (22 Milhonen vom Gesamtimporte von 27 Millio¬ nen) und darunter sich solche Artikel befinden, durch deren Verteuerung wir nur unsere eigene Industrie schädigen würden. Inwieweit die hieher fallenden Finanzartikel eventuell mit Zollzuschlägen belegt werden könnten, gebe er der Erwägung der Finanzminister anheim. Wenn wir auch bezüglich der etwaigen Konzessionen Rußlands an Deutsch¬ land heute nur einen Hoffnungskauf machen, so ist der k. k. Handelsminister der Ansicht, daß für unseren Export jetzt schon der Unterschied zwischen dem <pb/>612 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 russischen Minimaltarif und den Frankreich gewährten Zollermäßigungen mehr Wert habe als für Rußland die Differenz zwischen unserem allgemeinen und Konventionaltarife. Rußland habe keine Aussicht auf Vorteile aus neuen Verträgen Öster¬ reich-Ungarns, daher wolle es sich wenigstens für denjenigen Artikel, für wel¬ chen es sich hauptsächlich interessiert, die Bürgschaft verschaffen, in Zukunft nicht schlechter behandelt zu werden als jetzt. Hierin liege das Motiv des von dem Vizedirektor Timirjaseff gemachten Anwurfes. Bezüglich der Serbien zugestandenen Begünstigungen nehme er keinen An¬ stand zu erklären, daß wir dieselben keinem anderen Staate mehr in derselben Form wie Serbien geben könnten. Zuviel sei von uns in Beziehung auf die Meistbegünstigung gesündigt worden. Er verweise nur auf die Schwierigkeiten wegen der italienischen Weinzollklausel. Es sei geradezu ein Gebot der interna¬ tionalen Wohlanständigkeit, auf diesem Wege nicht weiter fortzuschreiten. Er begrüße dankbar die freundliche Haltung der ung. Regierung für den Fall, als der Zeitpunkt für einen umfassenden Tarifvertrag mit Rumänien einmal kom¬ men werde. Heute habe uns Rumänien isoliert, indem es, abgesehen von Deutschland, mit allen anderen Staaten Meistbegünstigungsverträge abge¬ schlossen habe, welche auf seinem autonomen Tarife beruhen. Würden sich späterhin die Aussichten so gestalten, daß wir zu einem Tarifverträge mit Rumänien kommen, so könnten wir eine Konzession bei Getreide doch nur durch eine allgemeine Ermäßigung oder durch eine wirkliche loyale Grenzver¬ kehrsbegünstigung (für den Grenzdistrikt und mit limitiertem Quantum) ma¬ chen. Eine solche Erklärung werde daher für uns von keinem Nachteile sein. Rußland habe offenbar die statistischen Zahlen vor Augen gehabt, welche dartun, wie sehr gegenüber dem wachsenden serbischen Getreideimporte die russische Einfuhr zu uns zurückgegangen sei. Was die Bemerkungen des kgl. ung. Handelsministers bezüglich der Eisen¬ bahntarife anlange, so sei die von der Nordbahn gewährte Refaktie nichts neues, sondern nur eine Republizierung einer bereits bestehenden Refaktie. Wegen der Refaktien auf den Staatsbahnen fänden alljährig Konferenzen statt. Hiezu seien auch diesmal die ungarischen Staatsbahnen eingeladen worden, aber nicht gekommen. Russischerseits sei eine große Zahl weitgehender Wünsche vorge¬ bracht worden, die jedoch fast alle abgelehnt wurden. Nur für den Transit nach dem Westen seien Ermäßigungen gewährt worden, welche aber angesichts der von den russischen Getreidetransporten zurückzulegenden Distanzen nicht so sehr in Betracht kommen und wobei auch zu erwägen käme, daß dieser Transit sonst den Seeweg einschlagen würde. Er sei übrigens bereit, wie dies auch in der letzten Note an das ungarische Handelsministerium zum Ausdruck gelange, die Rückwirkung dieser Maßnahmen nochmals in Erwägung zu ziehen und darüber Erhebungen einzuleiten, glaube aber, daß eine eventuelle Änderung während der Vertragsverhandlungen keinen günstigen Eindruck in Rußland machen würde. Der kgl. ung. Ministerpräsident schließt sich den Ausführungen des kgl. ung. Handelsministers an. Wenn auch Ungarn wegen der dem russi- <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 613 sehen Getreide gewährten Tarifermäßigungen keine Beschwerde vom Stand¬ punkte des Zoll- und Handelsbündnisses erhebe, erscheine es ihm doch unter dem Gesichtspunkte der Gesamtinteressen der Monarchie nicht zulässig, daß fremdes Getreide besser behandelt werde wie das eigene. Man hoffe daher unganscherseits darauf rechnen zu können, daß das k. k. Handelsministerium die besprochenen Tarifmaßnahmen nochmals in Erwägung ziehen werde. Er sei ganz damit einverstanden, daß die Serbien gewährten Begünstigungen in dieser Form kemern anderen Staate eingeräumt werden könnten, und bestehe über die Abgabe einer solchen Erklärung in der in der Zoll- und Handelskonferenz besprochenen Fassung volles Einverständnis. Was den zweiten Punkt anlange so glaube auch er, daß Ungarn durch den Vertrag keinen erheblicheren Export nach Rußland werde erlangen können. Ebenso sei er der Ansicht, daß die Getreidezolle nicht werden erhöht werden. Wenn jedoch Ungarn sich diesfalls binden solle, ohne entsprechende Äquivalente zu erhalten, so halte er einen solchen Vertrag politisch für kaum vertretbar. Übrigens sei noch eine andere Modalität in Anregung gebracht worden, nämlich die Einräumung des Kündi- gungsrechtes an Rußland für den Fall, als die Getreidezölle erhöht würden. Dann müßten wir uns aber wenigstens die gegenseitige Kündigung Vorbehalten. Der k. u. k. Minister des Äußern meint, daß man eine geeignete Formel für die Kündigung finden müßte. Mit Rumänien werde seiner Ansicht nach in absehbarer Zeit kein Tarifvertrag zustande gebracht werden können Er sehe nicht ein, warum wir uns, bei der Unwahrscheinlichkeit eines solchen Vertrages mit Rumänien, nicht in einer Sache aussprechen sollten, die an und für sich unbedenklich wäre, da wirja ohnedies nicht daran denken, die Getreide¬ zölle zu erhöhen, was ja auch im Parlamente gesagt werden könnte. Der kgl. ung. Ackerbauminister will die vorliegende Frage nicht vom rein ungarischen, sondern vom allgemeinen Standpunkte der agrarischen Interessen der Monarchie beurteilen und weist darauf hin, daß es Mißtrauen erwecke, wenn Rußland, dessen Hauptinteresse nach der Statistik bei Hafer, Kukuruz und Gerste sowie in der Förderung des Transits durch Österreich-Un¬ garn liege, die Bindung unseres Weizen- und Roggenzolles in den Vordergrund stelle. Die Vermutung liege nahe, daß es bei einer weiteren Entwicklung des Verkehrswesens auf die Steigerung seines direkten Exportes zu uns bei letzteren Artikeln rechne. Darin liege die Gefahr. Auch ohne die Bindung der Getreide¬ zölle würde der Vertrag unserer Landwirtschaft schon eine große Konkurrenz aufbürden. Die Erklärung hinsichtlich der Serbien gewährten Begünstigungen wolle er akzeptieren, mache aber darauf aufmerksam, daß dies nicht ohne Bedenken für künftige Verhandlungen mit Rumänien in der Richtung ist, daß wir dann vielleicht zu einer liberalen Viehkonvention gedrängt werden würden. Der kgl. ung. Handelsminister betrachtet die Frage einer Erklä¬ rung in betreffder Serbien gewährten Begünstigung in der Hoffnung als erledigt, daß die Eisenbahn-Tarifmaßnahmen nach Abschluß des Vertrages zur Aufhe¬ bung gelangen. Durch die Abgabe der projektierten Erklärung an Rußland werde es möglich sein, den Hauptdifferenzpunkt mit Rußland, wie er sich aus dem offiziellen Stande der Verhandlungen ergibt, zu beseitigen, namentlich <pb/>614 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 wenn zugleich auch der russischen Regierung gegenüber an der Hand der faktischen Handelsverhältnisse ausgeführt würde, daß das Interesse Rußlands an dem Vertrage ein größeres sei als das unsere. In der offiziellen russischen Note sei von der Bindung der Getreidezölle keine Rede. Dieser Gedanke sei nur gesprächsweise von dem Vizedirektor Timirjaseff angeregt worden, und halte er ein darauf bezügliches Anbot von unserer Seite nach dem gegenwärtigen Stande der Verhandlungen für überflüssig. Der k. u. k. Minister des Äußern erwidert, daß von einem Ange¬ bot an Rußland nicht die Rede sei. Es handle sich nur darum, die Instruktionen für die Verhandlungen festzustellen, um zu wissen, wie wir uns stellen sollen, wenn Rußland mit einem solchen Begehren an uns herantrete. Der kgl. ung. Handelsminister bemerkt weiters, daß der Effekt der dem russischen Getreide in der Durchfuhr gewährten Tarifbegünstigungen nicht so bedeutungslos sei, wie dies österreichischerseits aufgefaßt wird. Er berufe sich diesfalls auf einen Bericht des Konsulates in Zürich. Umso mehr müsse er auf eine beruhigende Erklärung seitens der österreichischen Regierung in der angedeuteten Richtung Wert legen. Der k. k. Handelsminister macht gegenüber den vom kgl. ung. Ak- kerbauminister geäußerten Bedenken geltend, daß die landwirtschaftlichen Ar¬ tikel, die von Rußland hieher importiert werden, schon heute größtenteils zollfrei sind, so daß eine Erhöhung der Konkurrenz durch den Abschluß des Vertrages nicht zu befürchten sei. Bezüglich der tarifarischen Zugeständnisse für russisches Getreide komme, wie schon vorher angedeutet, die Konkurrenz des Seeweges in Betracht. Es sei übrigens von Interesse zu konstatieren, daß Ru߬ land von diesen Tarifzugeständnissen bisher noch keinen Gebrauch gemacht habe. Er fasse die formelle Lage der Verhandlungen so auf, daß Rußland für den Fall, als wir seinen Vorschlag nicht annehmen können, offiziös bereits angekündigt hat, daß es dann mit den Forderungen wegen Bindung des Getrei¬ dezolles und Abgabe einer Erklärung betreffend die serbischen Begünstigungen an uns herantreten werde. Es sei daher seiner Ansicht nach nicht verfrüht, unsere Haltung zu diesen beiden Forderungen jetzt festzustellen. Was die Frage der Kündbarkeit betrifft, so wäre es bedauerlich, wenn es bloß zu einem Vertra¬ ge mit einjähriger Kündbarkeit käme, da wir Interesse daran haben, die gleiche Dauer wie jene des künftigen deutsch-russischen Vertrages zu erreichen. Er sei der Überzeugung, daß wenn es zum Zollkrieg mit Rußland käme, dies für uns geradezu ein Fiasko der vor zwei Jahren von uns inaugurierten Vertragspolitik wäre. Anstatt der erhofften differentiell günstigeren Behandlung in Deutschland würden wir durch die Opfer, durch welche wir die Herabsetzung der deutschen Getreidezölle erkaufen mußten, selbst der deutschen Regierung die Waffe in die Hand gedrückt haben, um zu einem Vertrag mit Rußland, den sie sonst schwer erreicht haben würde und der uns die russische Konkurrenz auf dem deutschen Markte schafft, zu kommen, während wir gleichzeitig in einen Zollkonflikt mit Rußland geraten und unserer Industrie den Absatz dahin verlegen würden. Der Minister des Äußern weist auf die Genesis der Verhandlung <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 615 hin. Rußland habe die Mächte eingeladen, in Verhandlungen einzutreten, widri¬ genfalls es gezwungen wäre, auf sie den Maximaltarif anzuwenden. Wir dürfen nicht viel Zeit verlieren, zumal wir heute schon in Rußland differentiell behandelt werden und dieser Umstand jeden Augenblick in den Parlamenten zur Sprache kommen könnte. Es sei daher notwendig, dem Unter- händler das nötige Material in die Hand zu geben, um das Vertragswerk zu fördern, wozu er vor allem wissen müsse, ob er die Forderung auf Bindung der Getreidezölle, wenn sie von Rußland gestellt wird, ablehnen oder ad referendum nehmen solle. Der ung. Handelsminister hält es politisch für unmöglich, auf Grund eines einfachen Meistbegünstigungsvertrages in die Bindung der Getrei¬ dezölle einzuwilligen, obwohl er zugebe, daß die Sache praktisch nicht von Wert sei. Auf die Bemerkung des Ministers des Äußern, daß es erwünscht wäre, sich in Beziehung auf die Getreidezölle über eine Erklärung zu einigen, die geeignet wäre, Rußland zu beruhigen, sprechen sich die Herren Minister dahin aus, daß der russischen Regierung in der Verhandlung erklärt werden könnte, daß eine Bindung der Getreidezölle zwar aus parlamentarischen Rück¬ sichten nicht möglich sei, daß aber nicht die Absicht bestehe, dieselben zu erhöhen. Was die Dauer des Vertrages betrifft, sei es wünschenswert, womöglich die gleiche Dauer wie jene des projektierten deutsch-russischen Vertrages zu erreichen. Der Minister des Äußern bringt hierauf die Frage der Vertragsver¬ handlung mit Rumänien zur Sprache und rekapituliert den Stand derselben bei der im Juli erfolgten Vertagung.2 Man hatte sich damals über einen einjährig kündbaren Meistbegünstigungsvertrag mit Additionalartikel und unserer Zusa¬ ge wegen Fleisch und tierischen Rohprodukten verständigt; doch hing das Zustandekommen des Vertrages noch daran, daß Rumänien eine gewisse Zusi¬ cherung hinsichtlich der Handhabung unserer veterinärpolizeilichen Vorschrif¬ ten bei der Einfuhr lebender Schafe und Schweine verlangte. Wir erklärten damals, dieses Anliegen in Erwägung nehmen und unsere Antwort später mittei- len zu wollen. Österreichischerseits zeige man sich zu einer Erklärung bereit, wonach die allgemeinen Bestimmungen der Handelskonvention, wie dies auch ein allseitig anerkannter Grundsatz des gemeinen internationalen Rechtes sei, auf veterinärpolizeiliche Fragen sich nicht beziehen, man aber keinen Anstand nehme zu erklären, daß die rumänischen Schweine und Schafe während der Dauer der Handelskonvention keiner anderen Behandlung unterliegen werden, als wie sich aus einer gerechten und normalen Anwendung unserer Veterinär¬ vorschriften unter Bedachtnahme auf die jeweils in Rumänien herrschenden Gesundheitsverhältnisse ergibt. Indem man österreichischerseits zugleich zur Bindung der Getreidezölle auch Rumänien gegenüber bereit sei, beanspruche man für diese die Erfüllung der beiden rumänischen Hauptwünsche enthalten- 2 Bindreiter, Die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen 267. <pb/>616 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 den Zugeständnisse eine zehnjährige Vertragsdauer. Ungarischerseits sei man der Ansicht, daß es sich empfehle, an das letzte Stadium der Verhandlungen im Juli anzuknüpfen, die Bindung der Getreidezölle werde abgelehnt, dagegen sei die veterinärpolizeiliche Erklärung ungarischerseits ad referendum genommen worden. Der kgl. ung. Handelsminister hat zwar keine große Hoffnung, daß wir, wenn wir gegenwärtig die Verhandlungen wieder aufnehmen, zu einem günstigen Resultate kommen, da, wenn wir auch auf alle Wünsche der rumäni¬ schen Regierung eingehen, sie möglicherweise mit neuen Forderungen hervor¬ treten wird. Er lege jedoch auf das Zustandekommen eines rumänischen Vertra¬ ges großes Gewicht und habe nichts dagegen, daß wenn der Zeitpunkt geeignet ist, Rumänien die noch schuldige Antwort gegeben werde. Die Frage der Getreidezölle betrachte er als erledigt im negativen Sinne. Der Differenzpunkt mit Rumänien liege in der Veterinärfrage. Diesfalls proponiere er für die Erklä¬ rung, welche der rumänischen Regierung gegeben werden kann, eine im Wesen mit dem österreichischen Anträge übereinstimmende Formulierung, welche dahin lauten würde, daß ,,die ung. Regierung mit Festhaltung des Prinzips, daß die im Vertrage stipulierte Meistbegünstigung sich auf die Veterinärfragen, welche nur im Wege einer besonderen Konvention geregelt werden können, nicht bezieht, die Einfuhr der Schweine und Schafe aus Rumänien für die Dauer der Konvention ohne triftigen Grund nicht behindern wird". Der Minister des Äußern macht darauf aufmerksam, daß der Aus¬ druck ,,triftiger Grund" ein zu vager ist, als daß man rumänischerseits darauf eingehen würde; eine Erklärung desselben würde daher jedenfalls notwendig sein. Der kgl. ung. Ministerpräsident und der kgl. ung. Acker¬ bauminister bemerken, daß darunter der Fall gemeint sei, daß Deutsch¬ land die Einfuhr der Schweine von uns verbiete oder damit drohe. Letzterer weist zugleich auf die große Wichtigkeit hin, welche eine Erklärung über die Zulassung des lebenden Kleinviehes für Rumänien habe; es handle sich darum zu vermeiden, daß eine solche Erklärung nicht etwa einen günstigeren Zustand für Rumänien herstelle als derjenige, welcher für Serbien auf Grund der Veteri¬ närkonvention besteht. Der im österreichischen Anträge enthaltene Hinweis auf eine gerechte und normale Handhabung könnte auch die Deutung zulassen, als ob wir zugestehen, daß die Anwendung unserer Veterinärvorschriften bisher keine solche gewesen sei. Nach der Ansicht desk. k. Handelsministers muß getrachtet wer- . den, mit Rumänien möglichst bald abzuschließen, wenn uns auch vorläufig nach den Erklärungen der rumänischen Regierung eine differentielle Behandlung nicht drohe. Unser Import nach Rumänien habe sich von 1890 auf 1891 von 52 auf 71 Millionen gehoben. Auch höre er, daß die Unterzeichnung des deutsch-rumänischen Vertrages unmittelbar bevorstehe.3 Um die Verständigung Der deutsch-russische Handelsvertrag wurde am 9. Februar 1894 unterschrieben. Haselmayr, Diplomatische Geschichte des Zweiten Kaiserreiches 4. Buch, 143-146. <pb/>Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 617 mit Rumänien perfekt zu machen, müsse man sich zu einem veterinärpolizeili¬ chen Zugeständnisse herbeilassen. Das österreichische Schweineeinfuhrverbot müsse aufgehoben werden. Was die Formulierung unserer Erklärung anbelangt, so sei er mit jeder Fassung einverstanden, vorausgesetzt, daß sie rumänischer- seits akzeptiert werde. Der von Ungarn vorgeschlagene Ausdruck erscheine übrigens auch ihm zu vage. Der kgl. ung. Handelsminister würde schon darin, daß man österreichischerseits Rumänien die Aufhebung des Schweineausfuhrverbotes in Aussicht stelle, eine bedeutende Konzession an Rumänien erblicken. Sektionschef Freiherr v. Erb weist auf die Schwierigkeiten für die Formulierung einer derartigen Erklärung hin. Rumänien habe von Anfang an keine Konvention verlangt, aber im Laufe der Verhandlungen getrachtet, auch ohne solche die möglichsten Vorteile in veterinärpolizeilicher Hinsicht sich zu sichern. In der letzten Phase habe sich Rumänien so hingestellt, als ob es in Österreich-Ungarn in Beziehung auf die Vieheinfuhr außerhalb des Gesetzes stünde. Wenn nun der rumänischen Regierung eine solche Erklärung gegeben werden soll, so müsse man im Auge behalten, daß sie nicht in einer zu präzisen Form erfolge, da, wie er des näheren ausführt, die einfache Anwendung unserer Veterinärgesetze Rumänien in mancher Beziehung günstiger stellen würde als andere Staaten, mit welchen wir besondere Veterinärkonventionen abgeschlos¬ sen haben. Dieser Rücksicht trage die österreichische Formulierung entspre¬ chend Rechnung, dies sei auch bei der ungarischen Formulierung der Fall, allein sie scheine ihm zu vag, um den Ausgangspunkt für Verständigung mit Rumä¬ nien zu bilden. Der kgl. ung. Handelsminister meint, daß ein Mittelweg in der Weise eingeschlagen werden könnte, daß in die Erklärung an die rumänische Regierung der erste Teil aus der ungarischen, der zweite Teil aus der österreichi¬ schen Formulierung genommen würde. Doch wäre nach seiner Ansicht diese Erklärung der rumänischen Regierung nur dann zu geben, wenn wirklich Aus¬ sicht vorhanden wäre, daß dieselbe die Brücke zu einer vollen Verständigung bilden würde. Diesem Anträge schließt sich der k. k. Handelsminister an, und fin¬ det derselbe die Billigung auch der anderen Herren Minister. [II.] Der k. u. k. Minister des Äußern berührt hierauf die Frage des Futterausfuhrverbotes und möchte eine Information darüber erhalten, wie wir uns zu den vielfachen Anwürfen, welche vom Auslande, wie von der Schweiz und kürzlich erst von Bayern an uns herantraten, stellen. Der kgl. ung. Ministerpräsident weist daraufhin, daß das Resul¬ tat des heurigen Jahres von dem früherer Jahre kaum differiert (4-5%). Die ungarische Regierung glaube daher, daß kein Grund mehr vorhanden sei, das Verbot weiter aufrechtzuerhalten, und werde sich diesfalls an die österreichische Regierung wenden. Der kgl. ung. Ackerbau minister spricht sich in gleichem Sinne aus. Die Preise seien zwar im allgemeinen höher als im vorigen Jahre. In <pb/>618 Nr. 66 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. 10. 1893 einzelnen Gegenden Ungarns aber seien Überschüsse vorhanden, welche expor¬ tiert werden könnten; es wäre demnach nicht mehr nötig, das Verbot aufrecht¬ zuerhalten, und frage es sich nur, in welcher Weise es zweckmäßig wäre vorzuge¬ hen, ob nicht zunächst Ausnahmen für die Landwirte, welche Überschüsse haben, erfolgen sollten und dann noch im Laufe des Monates November zu der allgemeinen Aufhebung der Sperre geschritten werden sollte. Minister v. Zaleski bemerkt, daß soweit ihm die Intentionen des k. k. Ackerbauministers bekannt seien, derselbe eher der vollständigen Aufhe¬ bung des Verbotes als der Gewährung von Ausnahmen zustimmen würde. Auch der kgl. ung. Handelsminister neigt der Ansicht zu, daß von der Gewährung von Ausnahmen lieber abzusehen und das Verbot auf einmal außer Kraft zu setzen wäre. Er bemerkt übrigens, daß auch noch zu erwägen wäre, ob derartige Einzelbegünstigungen nicht im Widerspruche mit den Verträgen ständen. [III.] Der kgl. ung. Ministerpräsident bringt noch eine Frage vor, die seit Jahren der Austragung harre und auch schon wiederholt den Gegen¬ stand von Interpellationen im Reichstag gebildet habe, nämlich den Tiroler Getreideaufschlag. Der k. k. Ministerpräsident bemerkt, daß das letzte Mal bei den Verhandlungen diese Frage nicht erwähnt worden sei; österreichischerseits habe man umso weniger Interesse gehabt, der Sache näherzutreten, als dieselbe aus dem Grunde schwierig erscheint, da fast alle Auslagen des Landes Tirol aus den Erträgnissen dieser Abgabe bestritten werden. Der kgl. ung. Handelsminister erwidert, daß wenn damals nicht vorgesorgt worden sei, der Grund darin hege, daß seinerzeit die österreichische Regierung gewiß Erklärungen in Absicht auf das Jahr 1896 gegeben habe. Nach der vom Sektionschef Freiherrn v. Erb gegebenen Darle¬ gung macht man in Tirol zugunsten der Getreideauflage geltend, daß dieselbe aus alter Zeit noch vor dem Ausgleich herrühre und nicht etwa nur auf das ungarische, sondern auf jedes in das Land eingebrachte Getreide Anwendung finde. Tatsächlich seien die finanziellen Verhältnisse des Landes seit jeher auf den Getreideaufschlag basiert und wird aus dieser Einnahme der weitaus größte Teil der Zahlungen für die Grundentlastung und die Hilfsaktionen gedeckt, welche Tirol bei den verschiedenen schweren Wetterkalamitäten, von denen es getroffen wurde, auf sich nehmen mußte. Würde der Aufschlag insbesonders vor dem Jahre 1896, wo die Tilgung der Grundentlastung zu Ende geht, in Wegfall kommen, so wäre für das Land die Möglichkeit, seinen Verpflichtungen gerecht zu werden, in Frage gestellt. Im Lande selbst sei zwar eine gewisse Agitation gegen den dauernden Fortbestand dieser Taxe vorhanden; die Majorität aber sei für die Aufrechterhaltung, da andere genügende Mittel zur Deckung der Auslagen nicht vorhanden seien. Der kgl. ung. Handelsminister glaubt, daß man sich auf den Um¬ stand, daß die Auflage aus der Zeit vor dem Ausgleiche datiere, nicht berufen <pb/>Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. 3. 1894 619 könne, da nach dem Zoll- und Handelsbündnisse derartige Abgaben ausge¬ schlossen seien. Der k. k. Ministerpräsident spricht sich dahin aus, daß, wenn nachgewiesen wird, daß dieser Aufschlag mit dem Zoll- und Handelsbündnis im Widerspruche steht, eine Form gefunden werden müßte, einen Übergang zu schaffen. Jedenfalls aber wäre dies vor 1896 sehr schwierig. Man hätte das letzte Mal direkt begehren müssen, daß diese Zwischenzollinie aufhöre. Der kgl. ung. Ministerpräsident möchte sich einer billigen Rück¬ sichtnahme auf die Verhältnisse in Tirol nicht widersetzen. Die vorgebrachten Argumente könne er aber nicht anerkennen. Wenn auch von dem tirolischen Getreide die gleiche Abgabe eingehoben würde, wäre gegen die Sache nichts zu sagen. Er müsse wenigstens auf einer Zusicherung bestehen, daß Verhandlungen eingeleitet werden und daß es zur Aufhebung der Abgabe nächstens kommen werde. Der k. k. Handelsminister, welcher auf verschiedene Verhältnisse aufmerksam macht, durch welche Tirol sich in einer schwierigen Lage befinde (beispielsweise die Weinzollklausel) glaubt, daß der ungarischen Regierung in nicht ferner Zeit eine Antwort wird gegeben werden können. Der k. k. Finanzminister weist auf die historische Grundlage dieser Abgabe hin, welche in Tirol als zu dem Wesen des Landes gehörig betrachtet wird. Auch er sei der Ansicht, daß man die Sache in Ordnung bringen müsse, und sei der ungarischen Regierung dafür dänkbar, daß sie die Billigkeitsrück¬ sichten anerkennen wolle. Es werde zweckmäßig sein, für die Regelung dieser Angelegenheit einen Plan sich zu machen, um die ungarische Regierung darüber zu beruhigen, daß die Beseitigung dieser Irregularität in absehbarer Zeit erfolge. Der kgl. ung. Handelsminister glaubt aus den Erklärungen die beruhigende Versicherung entnehmen zu können, daß die österreichische Regie¬ rung Ungarn die Aussicht eröffne, in nicht zu langer Zeit diese Frage aus der Welt zu schaffen. Die Sitzung wurde hierauf geschlossen. Kälnoky Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 12. November 1893. Franz Joseph. Nr. 67 Gemeinsamer Ministerrat, Budapest, 4. März 1894 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Fürst zu Windisch-Grätz (o. D.), der k. k. Ackerbau¬ minister Graf Falkenhayn (o. D.), der k. k. Handelsminister Graf Wurmbrand-Stuppach (o. D.), der k. k. Finanzminister Edler v. Plener (o. D.), der mit der Leitung des Finanzministeriums betraute kgl. ung. Ministerpräsident Wekerle (o. D.), der kgl. ung. Handelsminister v. Lukäcs (o. D.), der kgl. ung. Ackerbauminister Graf Bethlen (o. D.). Protokollführer: Sektionsrat im kgl. ung. Finanzministerium v. Märffy. <pb/>