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Gemeinsamer Ministerrat, 5. 1. 1888

I. Besprechung der politischen Situation

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_IV/pdf/oe_hu_mrp_IV_z32.pdf.

 396 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888

 Stellung von Kohlenvorräten und Sicherung der nötigen Anzahl von Lokomoti¬
 ven hinzuweisen und sodann nach wiederholter Inaussichtnahme neuerlicher
 gemeinsamer Beratungen für die erste Hälfte des Monates Jänner die Sitzung
 zu schließen.

 Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen
 Wien, 19. Jänner 1888. Franz Joseph.

 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. Januar 1888

     RS. (und RK.)
     Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (14. 1.), der k. k. Ministerpräsident Graf
 Taaffe (10. 1.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (10. 1.), der
 k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (11. 1.), der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager
 Freiherr v. Orczy (15. 1.), der k. k. Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb (12. 1.),
 der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski (13. 1.), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister
 FML. Freiherr v. Fejerväry (o. D.).
     Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Khu.
     Gegenstand: Besprechung der politischen Situation.

   KZ. 3 - RMRZ. 348
   Protokoll des zu Wien am 5. Januar 1888 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen
Ministers des Äußern Grafen Kälnoky.

   Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er, anknüpfend an die in
den letzten Konferenzen gemachten Eröffnungen, den gegenwärtigen Stand der
politischen Situation darlegt. Nach den Ausführungen des Sprechers ist im
großen und ganzen an den Ursachen und Motiven, welche die Kriegsgefahr
bedrohlich erscheinen lassen, eine wesentliche Veränderung nicht eingetreten.
Durch das bekannte Organ des russischen Kriegsministers sind die Gründe
angegeben worden, die Rußland veranlaßt hätten, einen großartigen Disloka¬
tionsplan zu entwerfen, der zur Verschiebung eines beträchtlichen Teiles der
russischen Armee nach den westlichen Provinzen führen soll. Diese Verschie¬
bung wird mit der Notwendigkeit motiviert, die Vorteile möglichst auszuglei¬
chen, welche den Nachbarmächten aus ihrer leichteren Mobilisierungsfahigkeit
erwachsen. Die russische Regierung hat auch die Absicht, diesen Plan auszufüh-
r®n> noch heuer sollen ein--zwei Divisionen mehr nach den Westprovinzen
dirigiert und bis zum nächsten Jahre soll der ganze Plan zur Ausführung
gebracht werden. Diese Projekte zeigen am besten, daß russischerseits die Ab¬
sicht besteht, eine so große effektive Truppenmasse an den Grenzen der Nach¬
barstaaten aufzustellen, daß hiedurch jederzeit auf die letzteren ein Druck
ausgeübt werden könne. Es müsse also im wesentlichen Punkte die Situation als
nicht geändert bezeichnet werden. Anders stehe es mit der Sprache, die von der
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888  397

russischen Regierung geführt werde. Die vorzeitige Aufdeckung seiner Pläne ist
Rußland offenbar sehr ungelegen gekommen, und der Ernst, mit dem sein
Vorgehen hier und in Berlin aufgefaßt wurde, habe möglicherweise die Besorg¬
nis wachgerufen, die verbündeten Nachbarmächte könnten, um der bedrohli¬
chen Situation ein Ende zu machen, selbst den Krieg aufnehmen, für den
Rußland noch nicht vorbereitet ist. Daher rühre wohl die entschieden weichere
Sprache der russischen Vertreter und die Annäherungsversuche, welche von
ihnen, ohne eine Anregung unsererseits hiezu, unternommen wurden. So sei der
russische Botschafter im Auswärtigen Amte erschienen und habe unter Beru¬
fung auf die Autorisation seines Souveräns erklärt, daß Rußland keinerlei
Absicht habe, Krieg zu machen und noch weniger Österreich-Ungarn anzugrei¬
fen, daß die Truppendislokationen nicht im Widerspruche mit den friedlichen
Absichten des Kaisers stehen und daß niemand in Rußland den Krieg wünsche.1
Der Minister des Äußern hat hierauf erwidert, daß von uns ganz entschieden
dieselben Erklärungen über die ausschließlich friedliche Intention unserer Poli¬
tik abgegeben werden können. Lediglich weil Rußland uns durch seine Rüstun¬
gen dazu zwinge, hätten wir, für die Sicherheit unserer Grenze besorgt, die
notwendigen militärischen Vorkehrungen einleiten müssen,2 bei denen über
Befehl Sr. Majestät übrigens alles vermieden würde, dem ein aggressiver oder
provokativer Charakter hätte zugeschoben werden können. So sei auch bisher
kein größerer® neuer Truppenkörper nach Galizien disloziert worden und be¬
schränken wir uns vorläufig auf solche Maßregeln, welche die Sicherung Gali¬
ziens gegen ein offensives Vorgehen Rußlands zum Zwecke haben. Auf diese
Erklärungen sind noch weitere Auseinandersetzungen in gleichem Sinne gefolgt,
und soweit unsere Nachrichten reichen, sind auch wirklich in letzter Zeit neue
Dislokationen größerer russischer Truppenmassen aus dem Innern des Reiches
nach dem Westen nicht erfolgt. Es entspricht offenbar dem Wunsche der russi¬
schen Regierung, die Kriegsbefürchtungen dermalen herabzurücken. Eine Ver¬
handlung über konkrete politische Fragen hat sich an die obigen Auseinander¬
setzungen nicht geknüpft. Ob sich aus der gegenwärtigen Detente eine bleibende
Beruhigung herausbilden werde und ob man ein-zwei Jahre auf Frieden rechnen
könne, ist der Minister des Äußern dermalen nicht imstande sicher zu sagen.
Was die Haltung der maßgebenden Kreise in Berlin zu dieser Sachlage betrifft,
so wolle Fürst Bismarck entschieden die friedlichen Gesinnungen des Zars, die
sich jetzt manifestieren, für den Frieden verwerten, er wünscht keine Aktion,
von militärischer Seite sei man dagegen eher für eine Aktion,3 doch werde wohl

a Einfügung Kalnokys.

1 Die grosse Politik Bd. 6, 34-36. - Kälnoky ä Wolkenstein. Vienne, le 23 decembre 1887.
        Zitiert bei Aehrenthal, Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Rußland 1872-1894,
        HHStA., PA. I, Karton 469.

2 Protokoll der am 8. Dezember 1887 unter Ah. Vorsitze Sr. k. u. k. apost. Majestät in der
        Hofburg zu Wien stattgehabten kommissioneilen Beratung über die eventuell in Galizien zu
        ergreifenden Maßnahmen militärischer Natur, KA., MKSM. 20-1/10-2 ex 1887.

3 Kälnoky an Szichenyi v. 17.12.1887, HHStA., PA. I, Botschaftsarchiv Berlin, Karton 534.
<pb/>398 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888

Fürst Bismarcks Anschauung schließlich das Übergewicht behalten.4 Die friedli¬
che Auffassung herrsche übrigens bei allen Kabinetten vor, und von einem
Aufwerfen einer besonderen politischen Frage ist nur in der Presse zu hören.
Was uns betrifft, ist unser Standpunkt in der bulgarischen Frage vollkommen
klar und in den Erklärungen vor den Vertretungskörpern hinreichend präzi¬
siert; wir denken nicht von demselben abzuweichen und haben hiezu auch
keinen Grund. Wir betrachten die bulgarische Frage als eine europäische und
hoffen jede Komplikation mit Rußland am besten dadurch zu vermeiden, indem
wir der Frage diesen Charakter erhalten und jede isolierte Verhandlung mit
Rußland vermeiden. Im übrigen geht aus den Äußerungen des russischen Kabi-
nettes selbst hervor, daß dort der Gedanke an ein einseitiges kriegerisches
Eingreifen in Bulgarien ziemlich aufgegeben ist und eine Durchsetzung der
russischen Aspirationen auf friedlichem Wege ins Auge gefaßt wird.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza entnimmt zunächst
den obigen Ausführungen die jedenfalls befriedigende Tatsache, daß ein Winter¬
feldzug nunmehr ausgeschlossen ist. Im übrigen erscheint ihm doch, trotz seiner
entschiedenen Friedensliebe, die Situation nicht sehr günstig für uns. Rußland
werde mit seinen Maßnahmen solange fortfahren, bis es sich zum Kriege fertig
erachte, und dann in dem ihm am geeignetst erscheinenden Momente losschla¬
gen. Er könne daher nur sehr bedauern, daß in Berlin nicht die Ansicht, welche
noch vor einigen Wochen dort geherrscht zu haben scheine, zum Durchbruche
gekommen sei, nämlich die Intentionen Rußlands zu durchkreuzen und das
Präveniere zu spielen.

   Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky bemerkt,
daß obige Ansicht nur in militärischen Kreisen in Berlin geherrscht habe und
da sich wohl erhalten werde; übrigens halte man in beiden Generalstäbenb daran
fest, daß auch, wenn der Krieg zu Defensivzwecken notwendig sein sollte, die
verbündeten Mächte die Initiative ergreifen werden. Dermalen handle es sich
aber um die Frage, ob der Krieg, wenn er dermalen noch vermieden werden
könne, auch zu vermeiden sei. Über die Frage, wer durch Hinausschiebung des
Krieges gewinne, seien auch verschiedene Auffassungen möglich. In Berlin
bezweifle man, daß der Zeitgewinn nur Rußland zugute kommen werde,5 man
mache darauf aufmerksam, daß die neuen Bestimmungen bezüglich des Land¬
sturmes in Deutschland eben erst die gesetzliche Grundlage erhalten hätten, daß
wir uns in der Bewaffnungsfrage in einem Übergangsstadium befanden und
auch unsere Landsturmeinrichtungen noch im Beginne seien. In Rußland müsse
die innere Lage und die Geldfrage in Betracht gezogen werden, die beide mit
der Zeit Zustände schaffen könnten, die die Kraft Rußlands zu lähmen geeignet
wären. Möglich sei es allerdings auch, daß gerade letztere Umstände Rußland
in den Krieg treiben könnten, aber dagegen werde eingewendet, daß die russi-

       Korrektw Kälnokys aus Staaten.

4 De grosse Politik Bd. 6, 66-69, 69-70, 70-72.
5 Ebd. 69.
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888  399

sehe Heeresverwaltung nicht fertig sei und einen Angriffskrieg nicht führen
könne.

   Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski weist darauf
hin, daß auch die Frage zu erwägen sei, wer in wirtschaftlicher Beziehung unter
dem Andauem der jetzigen bedrohten Situation früher erschöpft werde, und in
dieser Hinsicht liege der Gedanke nahe, daß wir und Deutschland den größeren
Nachteil erleiden werden, weil bei kulturell höher entwickelten Staaten der
Schade tiefer in den Organismus greife. Es sei zu überlegen, ob, wenn die
Verhältnisse so andauern, wir nach vier-fünf Jahren vielleicht nicht weniger
widerstandsfähig sein werden als jetzt oder in einem Jahre. Voriges Jahr hatten
die Finanzen der Monarchie 32, heuer wieder 16 Millionen zu leisten, was die
Volkswirtschaft aber für Verluste erlitten, lasse sich schwer berechnen.

   Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe betont, daß es sich
nach seiner Ansicht vor allem darum handle, darüber klar zu werden, was in
nächster Zeit zu geschehen habe, bzw. ob die Vorkehrungsmaßregeln, die für
die nächsten sechs Monate getroffen wurden, angesichts der europäischen Lage
auch wirklich entsprechen und hinreichend seien zu unserer Sicherung.

   Der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt
kann diese Anfrage endgiltig dermalen nicht beantworten, es hänge alles von
den weiteren Fortschritten in den russischen Rüstungen ab. Sechs Monate seien
übrigens nur als Grundlage der Verpflegskosten für die Truppenvermehrungen
in Galizien angenommen worden, die bisher nicht stattgefunden haben. Was die
Bestellungen und Anschaffungen betrifft, welche bereits erfolgt sind, so werden
sie größtenteils für alle Fälle uns zu Nutze kommen. Wie die Sachen jetzt stehen,
wäre die Kriegsverwaltung allerdings nicht in der Lage, weitere Geldbeträge
anzusprechen, weil gewisse Vorkehrungen erst bei Eintritt der Gefahr getroffen
werden können. Das, was jetzt geschaffen worden sei, sei ein Rückhalt, der,
wenn eventuell noch die Standesvermehrungen in Galizien und Zutransferie¬
rung einiger Truppenteile hinzukommen, auch die Mobilisierung in viel kürze¬
rer Zeit ermöglichen werde. Eine weitere Beruhigung in finanzieller Hinsicht
kann der Reichskriegsminister nicht geben, weil alles von den Verhältnissen
abhänge, doch werde er möglichst haushälterisch und sparsam zu Werke gehen.
Insoweit als die Truppenverstärkung nicht stattfinde, kommen auch die hiefür
eingesetzten Kosten in Wegfall, die übrigen Summen seien aber bereits durch
getroffene Verfügungen gebunden.

   Derk. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky erwähnt, daß
nach sehr vertraulichen Mitteilungen Deutschland mit bedeutenden Forderun¬
gen - man spreche von 200 Millionen Mark - an die Reichsvertretung heran¬

kommen werde.
   Derk. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt

knüpft hieran den Hinweis, daß man in Deutschland durchaus noch nicht
vollständig ausgerüstet sei; es gehe dies aus Bestellungen, die in hierländischen
Fabriken gemacht werden, hervor. Auch bezüglich des neuen Mauserschen
Repetiergewehres sei in Deutschland nur für den Normalstand vorgesehen, jetzt
werde erst eiligst an der Herstellung des Reservevorrates gearbeitet. In einem
<pb/>400 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888

weit höheren Grade dürfte es wohl in Rußland an Kriegsvorbereitungen fehlen.
So stünden die Chancen des Abwartens für alle Teile ziemlich gleich.

   Derk. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski bringt zur Spra¬
che, daß einem Berichte des k. k. Börsenkommissärs zufolge der Bankier
Ephrussi an letzteren mit der Erklärung herangetreten sei, er wäre von dem
russischen Militärbevollmächtigten in Wien ausdrücklich ersucht und ermäch¬
tigt worden, den k. k. Finanzminister von den friedlichen Intentionen des Zars
in Kenntnis zu setzen. Diese auffälligen Friedensbeteuerungen seien geeignet,
ein gewisses Mißtrauen in die Aufrichtigkeit derselben einzuflößen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza resümiert seine Ansicht
dahin, daß jedenfalls der Weg nicht eingeschlagen werden könne, durch ein
einseitiges Vorgehen unsererseits Deutschland in den Krieg mit Rußland hinein¬
zureißen, das wäre zu gefährlich. Aber wenn in Deutschland der Wille zum
Durchbruche kommen sollte, die Sache zu einer Entscheidung zu treiben, so
wäre dies für uns das Vorteilhafteste, da es sonst darauf hinauslaufen dürfte,
daß Rußland sich den geeignetsten Moment zum Kriege wählt. Wenn in
Deutschland dieser Wille nicht herrscht, dann allerdings erübrige nichts, als
unter dauernder Wachsamkeit abzuwarten und in der Zwischenzeit möglichst
die Kräfte der Monarchie zu schonen. Jedenfalls aber dürfen nicht künstliche
diplomatische Mittel angewendet werden, um den Preis eines Abweichens von
unserem bisherigen Standpunkte zu erkaufen.

   Derk. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky weist darauf
hin, daß bei Beurteilung dieser Frage mit der Persönlichkeit des Fürsten Bis¬
marck und mit dem Tenor unseres Bündnisvertrages6 mit Deutschland gerech¬
net werden müsse. Der letztere sei bekanntlich rein defensiver Natur, d. h.
Deutschland hat die Verpflichtung, in dem Falle, als wir von Rußland angegrif¬
fen werden, mit ganzer Macht zur Niederwerfung der russischen Wehrkraft
mitzuhelfen, und wir stehen Deutschland, im Falle es von Rußland angegriffen
wird, in der gleichen Verpflichtung. An diesen Wortlaut kann sich Deutschland
halten; zudem ist nicht zu übersehen, daß, ob nun mit Recht oder Unrecht, an
demjenigen, auf welchem der Schein ruht, den Krieg herausgerufen zu haben,
eine gewisse Unpopularität haftet, und wir haben Grund, mit der öffentlichen
Meinung im Auslande, vor allem in England und Italien, zu rechnen. Es ist in
unserer jetzigen günstigen diplomatischen Situation sehr zu bedenken, in wel¬
cher Weise eventuell ein Krieg einzuleiten ist, um nicht der Vorteile dieser
Situation zum größten0 Teile verlustig zu werden.

   Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe pflichtet der Ansicht des
kgl. ung. Ministerpräsidenten, daß nicht ohne vorgängiges Einverständnis mit
Deutschland der Krieg begonnen werden könne, vollkommen bei; er anerkennt
auch die Gründe, welche den jetzigen Zustand dauernder Beunruhigung als
schwer ertragbar erscheinen lasse; wenn man aber die Herbeiführung einer

        Einfügung Kälnokys.

        Pribram, Die politischen Geheimverträge Österreich-Ungams 6-9;
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888  401

Entscheidung in naher Zeit, im kommenden Sommer etwa, für wünschenswert
erachte, dann müsse man eben auch an Deutschland herantreten, und wenn man
bei demselben die Bereitwilligkeit zur Durchführung dieser Idee finde, mit den
Rüstungen weiter gehen als bisher, da alles, was dermalen geschehe, doch immer
noch die Hoffnung auf die Erhaltung des Friedens voraussetze.

   Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky erwidert
hierauf, in Deutschland werde man gewiß alles so vorkehren, als ob der Krieg im
Sommer kommen würde, aber man werde doch dort keine diplomatische Gele¬
genheit Vorbeigehen lassen, um den Frieden zu erhalten. Wir würden aber nur
erhöhte Kriegsrüstungen vornehmen, wenn wir mit Deutschland bereits den
Entschluß zum Krieg gefaßt hätten, und zu einer solchen Resolution werde man
mit Deutschland jetzt nicht kommen. Dort werde fortwährend getrachtet, den
Krieg zu vermeiden, aber nicht durch Konzessionen an Rußland, sondern durch
Ausnützung des jetzigen günstigeren Entgegenkommens Rußlands.

   Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski bemerkt, daß
vielfach in Laienkreisen schon die Frage aufgeworfen werde, welchen Nutzen
wir aus dem Bündnis mit Deutschland hätten; ein Vorteil könnte für uns
jedenfalls daraus gezogen werden, daß es zur definitiven Austragung der Krise
komme. Es wäre doch wünschenswert, mit der deutschen Regierung in eine
Verhandlung darüber einzutreten, auf welchem Wege man zu einem dauernden
Frieden gelangen könne.

   Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky weist dar¬
auf hin, daß Pourparlers mit der deutschen Regierung über diesen Gegenstand
ja fortdauern. Er habe früher schon der verschiedenen Strömungen in Berlin
erwähnt; je nachdem die eine oder die andere vorherrsche, sei die Neigung zum
Kriege größer oder geringer. Man dürfe übrigens nicht übersehen, daß Deutsch¬
land besondere Verhältnisse, wie das hohe Alter des Kaisers,7 die schwere
Erkrankung des Kronprinzen,8 die Entscheidung erschweren und daß man sich
überhaupt nicht so leicht zu einem Kriege entschließe, der voraussichtlich eine
volle Transformation des europäischen Staatensystems zur Folge haben würde.
Die Situtation sei eine schlechte, weil die Grundursache des Übels nicht ver¬
schwunden sei, aber im Augenblicke sei nichts zu machen, als sie zu ertragen.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza bringt nun eine Fra¬
ge zur Diskussion, welche im Zusammenhänge mit den dermalen seitens der
beiderseitigen Finanzminister zu treffenden Vereinbarungen über die Geldbe¬
schaffung für den Kriegsfall stehe. Es sei für dieselben von Wichtigkeit zu
konstatieren, in welcher Weise man im Falle des Ausbruches eines Krieges an
die Delegationen mit den bezüglichen Geldanforderungen herantreten wolle. Es
böten sich hiefür zwei Modalitäten, entweder den Bedarf für drei Monate mit
einer bestimmten Summe zu begehren und für den Fall, als der Krieg länger
dauern sollte, die Wiedereinberufung der Delegationen zu neuen Bewilligungen

7 Kaiser Wilhelm I.
8 Kronprinz Friedrich.
<pb/>402 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888

in Aussicht zu stellen, oder aber eine bestimmte Summe für die ersten drei
Monate anzusprechen und gleichzeitig für den Fall der längeren Dauer des
Krieges eine Vollmacht für die Regierungen zur Flüssigmachung der weiter
nötigen Mittel zu begehren. Nach Ansicht des Sprechers sei die letztere Modali¬
tät entschieden vorzuziehen, da es sehr bedenklich werden könnte, wenn wäh¬
rend des Krieges, vielleicht sogar in einem weniger günstigen Momente dessel¬
ben, nicht nur die Delegationen, sondern, da dieselben nur zur Bewilligung der
Auslagen, die beiderseitigen Legislativen aber zur Votierung der Bedeckung
berufen sind, auch letztere einberufen werden müssen.

   Derk. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski gibt die Be¬
rechtigung dieser Erwägungen vollkommen zu, bemerkt, daß aber noch vom
politischen Standpunkte aus sowohl der moralische Effekt, den jede der beiden
Modalitäten in den Delegationen hervorrufen werde, als die Chancen zu erwä¬
gen seien, die man habe, eventuell eine solche allgemeine Vollmacht vom Parla¬
mente zu erlangen.

   Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky bemerkt,
daß nach dem ersten Eindrücke, den die aufgeworfene Frage aufihn mache, eine
Form gefunden werden müsse, um zunächst eine bestimmte Summe für eine
bestimmte Zeit zu verlangen, wegen des weiteren Vorgehens die Vertretungskör¬
per zwar darüber zu brühigen, daß man, wenn die Verhältnisse es erlauben, sie
einberufen werde, sich aber doch für den Fall, als dies untunlich wäre, die
Vollmacht zur Flüssigmachung der bei längerer Fortdauer des Krieges nötigen
Gelder erteilen zu lassen.

   Nachdem die verschiedenen Gesichtspunkte, die hier zur Geltung kommen,
eingehend besprochen werden, lenkt der k. u. k. gemeinsame Fi¬
nanzminister v. Källay die Aufmerksamkeit der Konferenz auf den
Umstand, daß ein Herantreten an die Delegationen im Momente des Beginnes
der Mobilisierung bzw. der Kriegserklärung zu spät wäre, da, um die Mobilisie¬
rung ins Werk setzen zu können, das nötige Geld nicht nur bewilligt, sondern
auch den betreffenden Kassen in der Monarchie zugewiesen sein müsse. Um
diesen Anforderungen gerecht werden zu können, erübrige nur so vorzugehen,
daß schon, wenn die Ereignisse sich so zuspitzen, daß ein Krieg voraussichtlich
kaum zu vermeiden ist, ein Eventualkredit analog wie der 60-Millionen-Kredit
im Jahre 1878 von den Delegationen in Anspruch genommen würde.9 Bei dem
wirklichen Kriegsausbrüche sei dann die nötige Summe zur Kriegsführung zu
begehren.

   Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza tritt dieser Auffas¬
sung vollkommen bei und formuliert darnach die zu treffenden Verfügungen
dahin,

   1. daß beide Regierungen Sorge dafür treffen, daß immer eine Delegation zur
Einberufung zur Disposition sei (Dem Aufsehen, welches die Anordnung der
Wahl zu ungewohnter Zeit verursachen würde, könne durch die Aufklärung

9 GMR. v. 24. 2. 1878, HHStA., PA. XL, Karton 290.
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888  403

begegnet werden, daß man die ordentlichen Delegationen zu einer früheren Zeit

zu berufen gedenke.),
   2. daß die Delegationen, sobald die Kriegsgefahr nahe ist, einberufen werden,

um einen Eventualkredit zu votieren,

   3. daß man im Prinzip annehmen könne, daß bei Ansprechung des Kredites
zur Kriegsführung die Regierung sich nicht strenge an die für drei Monate
nötige Summe binden lasse, sondern eine darüber hinausgehende Vollmacht
anstreben werde,

   4. daß das gemeinsame Ministerium den Text der Vorlagen vereinbare und
mitteile, welche eventuell an die Delegationen gemacht werden würden.

   Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski behält sich
noch vor, über den Punkt 3, da hier auch politische Fragen in Erwägung
kommen, an den k. k. Ministerrat zu berichten; er habe zu diesem Zwecke
bereits die Formel zu einer solchen allgemeinen Vollmacht formulieren lassen.

   Derk. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay bemerkt
zum Punkt 2, daß, wenn die Delegationen auch den Eventualkredit votieren,
doch noch die Besorgnis übrigbleibe, ob man das Geld in der Zeit bis zur
Mobilisierung wirklich werde beschaffen können, es sei daher angezeigt, schon
früher mit Geldkräften Verhandlungen einzuleiten und sich sicherzustellen.

   Derkgl. ung. Ministerpräsident v. Tis za erwidert, daß, da die
Kriegsgefahr nicht imminent sei, es genüge, wenn vorerst die Finanzminister
sich über ihr eventuelles Vorgehen einigen. Von der Verhandlung mit Geldkräf¬
ten wolle man vorläufig, um nicht Beunruhigung zu schaffen, absehen und sich
darauf beschränken, morgen sichd mit dem Bankgouverneur ins Einvernehmen

zu setzen. -
   Der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay betont,

daß eine Verständigung mit dem Bankgouverneur um so notwendiger sei, als
die Vorräte der Bank an Wertzeichen nicht in der Masse, die eventuell gebraucht
würde, vorhanden sind und längere Zeit zur Herstellung beanspruchen; es sei
auch notwendig, das gemeinsame Finanzministerium zu ermächtigen, seinen
Vorrat von kleinen Noten, besonders für Guldennoten, zum eventuellen Aus¬
tausch gegen die größeren Appoints der Bank zu vermehren.

   Der Vorsitzende bringt nunmehr die Frage der Kriegsleistungsverord¬
nung zur Sprache, indem er die endgiltige Erledigung dieser nun so lange
schwebenden Angelegenheit dringend empfiehlt.

   Derkgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr
v. Fejerväry gibt über den Stand der Sache die Aufklärung, daß bezüg¬
lich der zwei noch zwischen den beiderseitigen Regierungen bestehenden Diffe¬
renzen der kgl. ung. Ministerrat bezüglich der Textierung des § 1 den Antrag
des k. k. Ministerrates akzeptiert habe und somit diese Differenz nicht mehr in
Frage komme; dagegen ist der kgl. ung. Ministerrat bezüglich der Eliminierung
des § 21 und des mit diesem im Zusammenhänge stehenden § 20 nicht der

d Einfügung Kälnokys.
<pb/> 404 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 5. 1. 1888

 Auffassung des k. k. Ministerrates beigetreten und könne diese auf die Ersatzlei¬
 stung und Liquidierung der Schäden Bezug habenden Bestimmungen der Ver¬
 ordnung nicht ausfallen lassen, da es absolut nötig sei, bei Erlassung der
 jedenfalls schwere Lasten der Bevölkerung auflegenden Verordnung zugleich
 den hiedurch betroffenen Kreisen die Beruhigung zu bieten, daß die durch
 Erfüllung dieser Pflicht erwachsenden Verluste und Schäden ersetzt und vergü¬
 tet werden würden.10

    Der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt
 glaubt mit Rücksicht darauf, daß ja zunächst nur die Modalitäten der endlichen
 Liquidierung den Differenzpunkt bilden und § 20 gar nichts hierüber, § 21 aber
 auch bis Punkt 3 keine solchen Bestimmungen enthalte, den V#rmittlungsantrag
 stellen zu können, daß § 20 und jene Teile des § 21, die sich nicht auf die
 Liquidierung beziehen, in der Verordnung belassen werden sollten und statt des
 Restes des § 21 gesagt würde: ,,Endgiltig entscheidet über die Entschädigung der
 Landesverteidigungsminister nach mit dem Reichskriegsministerium getroffe¬
 nen Einvernehmen.&quot;

    Derk. k. Ministerpräsident Graf Taaffe bemerkt,-.daß es sich
ja dermalen nur um einen Entwurf zu der Verordnung handle. Derselbe sei
vorerst nicht zur Publizierung, sondern nur zur Hinausgabe an die Behörden
zum Studium und zwar zunächst der Obhegenheiten, die ihnen bei Ausbruch
des Krieges und während desselben zufallen, bestimmt. Diesen Zwecken wäre
ja auch vollkommen gedient, wenn die Behörden den Entwurf mit Auslassung
der zwei Paragraphen erhielten und ihnen weitere Verfügungen über den Ersatz
und die Liquidierung der Schäden in Aussicht gestellt würden.

   Der kg 1. ung. Ministerpräsident v. Tisza gibt seiner Bereitwil¬
ligkeit Ausdruck, dem kgl. ung. Ministerrate die Zustimmung zu der Auslas¬
sung der auf das Liquidierungsverfahren bezüglichen Bestimmungen des § 21
zu empfehlen, falls der § 20 und die übrigen Bestimmungen des § 21 beibehalten
würden. Einer Eliminierung dieser letzteren könnte er nie zustimmen.

   Derk. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski erklärt, auf
dem in dieser Frage bisher seitens des k. k. Ministerrates eingenommenen
prinzipiellen Standpunkte beharren zu müssen, daß, wenn schon eine gesetzliche
Regelung dieser Frage überhaupt beabsichtigt werde, dem Prinzip, daß über
gemeinsame Mittel nur eine gemeinsame Behörde zu entscheiden habe, nicht
derogiert werden könne. Dem Auswege, den der kgl. üng. Ministerpräsident
yorgeschlagen, könne er nicht zustimmen, da die in § 20 und dem Anfang des
§21 enthaltenen Ersatzzusicherungen nicht losgelöst von dem Liquidierungsver¬
fahren behandelt werden könnten. Trotz längerer Diskussion ist eine Einigung
über diesen Differenzpunkt nicht zu erzielen.

   Derk. k. Ministerpräsident Graf Taaffe stellt schließlich die

10 l/MT. Ung.MR. v. 2.1. 1888. 3. Verordnungsentwürfe bezüglich der Bestrafung derjenigen,
       die der Einberufungsorder nicht gehorchen, der Kriegsleistungen, der Einsetzung von Gespan¬
       nen und Fuhrmännern usw., OL., K. 27, Karton 43.
<pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 1. 1888  405

erneuerte Beratung der Sache in den nächsten Tagen in einem Ministerrate der
im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder in Aussicht.

   Der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt
macht noch darauf aufmerksam, daß die Kriegsleistungsverordnung nur einen
Teil der zu erlassenden analogen Verfügungen bilde. Das Kriegsministerium
habe letztere in einem Entwürfe zu einer weiteren Verordnung zusammengestellt
und werde dieselbe beiden Regierungen mit der Bitte, dieselbe zu studieren,
übermitteln. Eben sei ihm bekannt geworden, daß auch seitens der kgl. ung.
Regierung eine solche Verordnung entworfen worden sei, dieselbe sei aber
allgemeiner gehalten.

   Der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr
v. Fejerväry bespricht die Gesichtspunkte, welche die kgl. Regierung bei
Verfassung ihres Entwurfes geleitet haben, und ersucht, denselben seitens der
Kriegsverwaltung in Erwägung zu ziehen, wie auch der von dem Reichskriegs¬
ministerium ausgearbeitete Entwurf Gegenstand des Studiums seitens der ung.
Regierung bilden werde.

   Die Sitzung wird hierauf geschlossen.
                                                                                      Kälnoky

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 19. Jänner 1888. Franz Joseph.

Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. Januar 1888

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky (o. D.), der k. u. k. gemeinsame
Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (i.V. 21.1. Merkl), derk. u. k. gemeinsame Finanzmini¬
ster v. Källay (27. 1.).
    Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter v. Khu.
    Gegenstand: Beratung einiger in den letzten Ministerkonferenzen zur Sprache gebrachten Ange¬
legenheiten.

   KZ. 6 - RMRZ. 349
   Protokoll des zu Wien am 11. Jänner 1888 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

   Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen die Sitzung mit dem Hin¬
weis zu eröffnen, daß es sich darum handle, einige in den letzten Ministerkonfe¬
renzen bereits in Anregung gebrachte Punkte zu besprechen, eventuell definitiv
festzustellen. Zunächst wäre darüber schlüssig zu werden, ob die Delegationen
im Mai dieses Jahres tatsächlich zu ihrer ordentlichen diesjährigen Session
einzuberufen seien. Nachdem die beiderseitigen Ministerpräsidenten zu dieser
Modalität bereits bei der ersten Anregung der Sache zugestimmt haben und der
kgl. ung. Ministerpräsident auch noch dieselbe wärmstens befürwortet hat, liege
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