Gemeinsamer Ministerrat, 18. 12. 1887
I. Militärische Maßnahmen
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Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 381 Summe von 11 463 500 fl. ins Budget eingestellt werden; - wenn man aber sich für einen besonderen Bedeckungsmodus entscheiden werde, der eine besondere Vorlage an die Delegationen beanspruche, so werde auch die ganze Summe in dieser Vorlage berücksichtigt werden müssen. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza glaubt bei diesem Anlasse neuerdings auf die große Erleichterung hinweisen zu sollen, welche den Finanzen der Monarchie durch Heranziehung der in einem Kriegsfälle ohnehin nur schwer oder doch mit großem Kursverlust verwertbaren Zentralaktiven zur Bedeckung der Kosten der Repetiergewehre erwachsen würde. ^ u k' .Finanzminister Ritter v. Dunajewski bemerkt, daß die Heranziehung der Zentralaktiven schon in diesem Winter gelegentlich der Beratung über Herstellung der Rüstungsvorräte angeregt und von ihm auch damals, zum großen Teil mit Rücksicht auf die ungeklärten Verhältnisse bezüg¬ lich des Anrechtes beider Teile der Monarchie an diesen Fonds und auf die Schwierigkeit der parlamentarischen Vertretung dieser Maßregel, abgelehnt worden sei. - Da aber seitens der ungarischen Finanzverwaltung bei diesem Anlaß auf die Sache zurückgekommen worden sei, sei er gerne bereit, in eine neuerliche Prüfung der maßgebenden Punkte einzugehen und seine Auffassung dem kgl. ung. Ministerpräsidenten demnächst mitzuteilen. Se. k. u. k. apost. Majestät geruhen sodann noch der in der ge¬ strigen Sitzung erteilten Zusicherung des kgl. ung. Ministerpräsidenten betref¬ fend die baldige Erteilung seiner Zustimmung zum bosnischen Budget zu erwäh¬ nen und zu genehmigen, daß die Einberufung der Delegationen für den 27. und der Empfang derselben bei Sr. Majestät am 29. Oktober 1. J. erfolge. Se. Majestät geruhten hierauf, die Sitzung zu schließen. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 20. Oktober 1887. Franz Joseph. Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. Dezember 1887 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza (3. 1.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (25. 12.), der k. u. k. gemeinsame Kriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt (28 12 ) der k. u. k. gemeinsame Finanzminister v. Källay (27. 12.), der kgl. ung. Minister am Ah.'Hoflager Freiherr v. Orczy (4. 1.), der k. k. Landesverteidigungsminister FML. Graf Welsersheimb (26. 12.) ^ ^nanznun^s^er ^tter v* Dunajewski (26. 12.), der kgl. ung. Landesverteidigungsminister FML. Freiherr v. Fejervary. Protokollführer: Hof- und Ministerialrat Ritter y, Khu. Gegenstand: Militärische Maßnahmen. KZ. 85 - RMRZ. 346 Protokoll des zu Wien am 18. Dezember 1887 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Kälnoky. <pb/>382 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung, indem er darauf hinweist, daß der Zweck der heutigen Konferenz ein sehr wichtiger sei, da es sich darum handle, mit Rücksicht auf die von Rußland in den Grenzprovinzen teils bereits getroffenen, teils begonnenen militärischen Maßnahmen unsere Haltung festzu¬ stellen und daraus die Konsequenzen zu ziehen, bzw. über die Durchführung der Gegenmaßregeln, wie sie von unseren militärischen Autoritäten vorgeschla¬ gen werden,1 sowie über die Flüssigmachung der hiezu nötigen Mittel schlüssig zu werden. Der Anlaß zu der jetzigen Situation sei nicht die Transferierung der russischen 13. Kavalleriedivision aus dem Moskauer in den Warschauer Militär¬ bezirk. Diese Maßregel für sich allein betrachtet, wäre keine bedeutende Ver¬ stärkung der mihtärischen Kräfte in Rußland, wenn auch allerdings der Um¬ stand, daß sie mitten im Winter und ohne sichtbaren Grund erfolge, immerhin eine gewisse Beachtung verdiene. Dasjenige, was unsere Besorgnis wachruft, ist die Tatsache, daß, nachdem Rußland bereits die letzten Jahre fortdauernd daran gearbeitet hat, seine ganze militärische Stellung in Kongreßpolen zu einer formidablen zu gestalten, nun auch noch ein vom russischen Generalstab ausge¬ arbeiteter und vom Zar genehmigter Dislokationsplan in Ausführung kommen soll, der dahin geht, durch die Organisierung einer vollständig kriegsbereiten Armee in Polen der schnelleren Mobilisierungsmöglichkeit der Armeen der Nachbarstaaten das Gleichgewicht zu halten. Rußland wolle darnach beiläufig drei Viertel seines stehenden Heeres nach den westlichen Grenzprovinzen verle¬ gen, eine Streitmacht, die ebenbürtig wäre den Heeren der Nachbarn nach vollzogener Mobilisierung. Dadurch aber würde die Bedrohung der Nachbar¬ staaten so groß und der ausgeübte Druck so intolerabel, daß man notwendiger¬ weise gezwungen wäre, hiezu früher oder später Stellung zu nehmen. Aus diesem Grunde haben wir die Dislozierung der 13. Kavalleriedivision zum Anlasse genommen, um die ganze Situation aufzudecken, zu zeigen, daß wir von dem, was im Plane ist, wissen und daß wir entschlossen sind, eventuell unsere Gegen¬ maßregeln zu nehmen. Die Berichte, die uns seither zugekommen sind, haben nur unsere Informatio¬ nen über die militärischen Projekte Rußlands bestätigt und konstatieren, daß die letzteren nicht erst injüngster Zeit entstanden sind, sondern aus früherer Zeit herrühren und zunächst auf die Absicht zurückzuführen sind, die durch die Organisationen der letzten Jahre in Deutschland und Österreich ermöglichte erhöhte Anspannung der Kräfte zu militärischen Zwecken zu equilibrieren.2 Es ist wohl gar kein Grund zur Annahme vorhanden, daß es gelingen könnte, den Kaiser Alexander ganz von diesen Plänen abzubringen; was etwa erhofft werden kann, ist, daß die Ausführung der letzteren aufgehalten oder verlangsamt werden könnte, u. zw. entweder dadurch, daß zu den umfassenden Maßnahmen das Geld mangeln oder daß man doch in Rußland die Gefahr des ganzen Vorgehens erkennen würde und daß im letzteren Falle die Elemente, die daselbst Vortrag des Chefs des Generalstabes v. 3. 12. 1887, KA., MKSM. 20-1/10-2 ex 1887. Wolkenstein an Kälnoky v. 16.12.1887. Zitiert bei Aehrenthal, Beziehungen zwischen Öster¬ reich-Ungarn und Rußland 1872-1894, HHStA., PA. I, Karton 469. <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 383 den Frieden wollen, und zu diesen soll der Zar gehören, in der Ausführung der Projekte vorerst einen Stillstand eintreten lassen, allerdings ohne dieselben aufzugeben. Der vielfach in preußischen und hiesigen militärischen Kreisen favorisierte Plan, Rußland durch einen Krieg sofort zuvorzukommen,3 ist nach Erachten des Sprechers nicht in Betracht zu ziehen, da ein sofortiger* Krieg dermalen weder politisch noch militärisch vorbereitet ist. Was jetzt das notwen¬ digste ist, wäre, solche Gegenmaßregeln zu treffen, welche die möglichste Siche¬ rung Galiziens und unseres Aufmarsches daselbst verbürgen, die aber doch nicht so geartet sind, daß sie als direkte Provokation Rußlands ausgelegt werden oder dasselbe veranlassen könnten, jeden Zug nut einem Gegenzug zu beant¬ worten bzw. seine Pläne mit doppelter Schnelligkeit durchzuführen und so den Stein ins Rollen zu bringen, was wir nicht wünschen können. In diesem Rahmen bewegen sich auch jene Vorschläge des Generalstabes,4 auf Grund deren der Kriegsminister gewisse Maßnahmen zur Ausführung vorschlagen wird. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza bemerkt, daß er sich noch eine spezielle Erklärung konstitutioneller Natur für später Vorbehalte und jetzt sich über die allgemeine Lage aussprechen wolle. Er beabsichtige in keiner Weise, einem Angriffskriege auf alle Fälle das Wort zu reden, sei aber der Ansicht, daß wir auch den Krieg nicht dadurch zu vermeiden trachten sollten, daß wir aus übertriebener Friedensliebe an unserer bisherigen Pohtik den russi¬ schen Wünschen zuliebe etwas ändern. Wir würden dadurch nur unsere Stellung auf der Balkanhalbinsel herabsetzen und das Prestige Rußlands erhöhen, ohne doch der Notwendigkeit zu entgehen, kurze Zeit später den Krieg in nachteilige¬ rer Position aufnehmen zu müssen. Außerdem sei zu beachten, daß jede militäri¬ sche Maßregel von uns in Galizien Gegenmaßregeln Rußlands und in der Fortsetzung dieses Vorganges endlich den Krieg herbeiführen könne; aber auch für den Fall, als Rußland vorläufig mit seinen Maßnahmen nicht weiters gehen sollte, sind die Kosten und sonstigen Mißstände nicht zu übersehen, die für uns dadurch entstehen würden, daß wir doch die jetzt von uns zu treffenden Ma߬ nahmen nicht sofort rückgängig machen könnten, sondern längere Zeit weiter belassen müßten. Weiter wäre doch wohl auch zu erwägen, daß man heute noch dafür eintreten könne, daß jede der verschiedenen Nationalitäten, aus denen die Monarchie bestehe, voll und ganz ihre Pflicht tun werde, ob aber die fortdauern¬ den russischen Machinationen diese Situation in einigen Jahren nicht ändern werden, sei jedenfalls fraglich. Wenn es somit nach der ganzen pohtischen Situation erforderhch und man Deutschlands sicher sei, ist kein Grund vorhan¬ den, den Krieg durch künstliche Mittel zu vermeiden, man müsse mit Mäßigung und Ruhe vergehen, aber streng an der bisher vertretenen Politik festhalten. Einfügung Kälnokys. Die Entwicklung der Wehrkraft Rußlands seit 1878 unter besonderer Berücksichtigung seiner Rüstungen im laufenden Jahre 1887. Memorandum des Grafen Moltke. Vom deutschen Botschafter mitgeteilt v. 12. 12. 1887, HHSxA., PA. I, Karton 464. - Canis, Bismarck und Waldersee 218. 4 Siehe Anm. 1. <pb/>384 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 Derk. k. Ministerpräsident Graf Taaffe kann seinerseits inso- 'weit den Ausführungen des Vorredners nur zustimmen, als auch er die Nachteile des längeren Andauems eines bewaffneten Zustandes ins Auge faßte. Vor allem sei es ihm aber jetzt wünschenswert, eine Aufklärung über unser Verhältnis zu Deutschland und unsere politische Position zu Rußland zu erhalten, da in den von der Regierung des letzteren ausgehenden Enunziationen immer darauf hingewiesen werde, daß kein Streitfall mit unserer Monarchie vorliege. Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky erwidert, daß die Bemerkungen des kgl. ung. Ministerpräsidenten bezüglich der unmittel¬ baren Folgen von Maßnahmen unsererseits in Galizien, daß nämlich dann Rußland sofort mit weiteren Schritten antworten werde, schon in den militäri¬ schen Beratungen in Betracht gezogen worden seien5 und unter dieser Impres¬ sion auch vorerst von allen Maßregeln, die hiezu Anlaß bieten könnten, wie die Dislozierung neuer Truppenabteilungen nach Galizien, Abstand genommen worden sei. Was unser Bündnis mit Deutschland betrifft, so ist dasselbe rein defensiver Natur und lautet der Casus foederis zunächst nur auf den Fall des Angriffes, aber hiefür so bestimmt, daß kein Zweifel bestehen kann, daß wenn der Casus foederis eintritt, Deutschland gegen uns seine Pflicht erfüllen wird; klar sei wohl, daß Deutschland bei der dauernden Bedrohung seiner Westgrenze nicht mit der ganzen Stärke seiner Armee gegen Rußland gehen könne. Hier¬ über jedoch, sowie über eine genaue Präzisierung des Casus foederis für be¬ stimmte Eventuahtäten, seien eben Besprechungen im Zuge.6 Wenn von einem Angriffskriege gesprochen werde, so müsse nicht außer acht gelassen werden, daß unsere ganze bisherige Politik, somit auch unsere Beziehungen zu den uns näherstehenden Staaten Europas, immer auf der Erhaltung des Friedens und dem Ausschluß der Aggression basiert war. Weiter müsse bei einem Angriffs¬ kriege auch der Eindruck auf die Bevölkerung berücksichtigt werden. Bei der allgemeinen Wehrpflicht ist es eine wichtige Sache, ob man in der Bevölkerung das Gefühl wachrufe, daß es sich darum handle, Haus und Herd gegen einen auswärtigen Angriff zu verteidigen, oder ob die Impression bestehe, daß man zu einem Angriffe schreite. Auf unser Verhältnis zu Deutschland zurückkom¬ mend, betont der Minister des Äußern neuerlich, daß wir nicht den geringsten Grund zu zweifeln haben, daß man in Deutschland den eventuellen Krieg mit Rußland als einen solidarischen betrachte und daß kein Anlaß vorhanden sei zu besorgen, daß Deutschland uns im Stiche lassen könnte; es sei übrigens ja auch der Nutzen nicht ersichtlich, den Deutschland davon hätte, wenn wir geschlagen würden. Die frühere oder spätere Abrechnung zwischen Deutsch¬ land und Slawentum sei wohl zweifellos, und eine Niederlage Österreich- Ungams wäre eine solche Stärkung des gesamten slawischen Elementes, daß die Protokoll der am 8. Dezember 1887 unter Ah. Vorsitze Sr. k. u. k. apost, Majestät in der Hofburg zu Wien stattgehabten kommissionellen Beratung über die eventuell in Galizien zu ergreifenden Maßnahmen militärischer Natur, KA., MKSM. 20-1/10-2 ex 1887. Beck an Kälnoky v. 21.12.1887, HHSxA., PA. I, Karton 464. - Kälnoky an Szechenyi v. 17. 12. 1887, HHStA., PA., Botschaftsarchiv Berlin, Karton 534. <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 385 Deutschen, die doch auch von Frankreich bedroht seien, nicht hoffen könnten, dagegen aufzukommen. Nach allem ist Deutschland entschlossen, mit uns zu gehen, wir müssen aber auch als Alliierte nicht außer acht lassen, daß wir den Krieg nicht ohne vorhergegangenes vollständiges Einverständnis mit unserem Bundesgenossen beginnen. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza bemerkt, daß er durchaus nicht für einen Angriffskrieg eintreten, sondern nur betonen wollte, daß ein Krieg nicht unter allen Umständen vermieden werden solle, und auch zur Verteidigung eventuell die Form des Angriffes gewählt werden müsse. Jedenfalls sei die Hauptsache, im Einverständnisse mit Deutschland vorzuge¬ hen. Derk. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski weist darauf hin, daß nach Ansicht vieler militärischer Autoritäten Galizien nur durch einen Angriff verteidigt werden könne. Wie werde nun zur Konstatierung des Casus foederis festgestellt werden, ob der Angriff zu Offensiv- oder Defensivzwecken geführt werde? Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky erwidert, daß dieses Argument bereits viel besprochen worden sei. Der preußische Gene¬ ralstab neige der Ansicht zu, und in hiesigen militärischen Kreisen stimme man hiemit vielfach überin, daß der Krieg von uns begonnen werden müsse. Es witd eben in den oben erwähnten Verhandlungen auch erörtert und fixiert werden, welcher Angriff als defensiver anzusehen ist.7 Diese Frage wird so klar gestellt werden, daß darüber auch kein formeller Zweifel werde auftauchen können. Der Vorsitzende fordert nun den k. k. Reichskriegsminister auf, die Besprechung der zu ergreifenden Maßnahmen einleiten zu wollen. Der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt- Rheidt hebt vor allem hervor, daß bei den vorzuschlagenden Maßregeln alle solchen ausgeschlossen wurden, die aggressiver Natur sind oder auch nur geeignet sein könnten, zu Gegenmaßregeln seitens Rußlands zu provozieren. Der Redner gibt hierauf zur Erklärung unserer militärischen Situation an der Hand der Karte ein eingehendes Bild der beiderseitigen Truppenstellungen, indem er die betreffenden Ziffern sowohl mit Rücksicht auf das in Be¬ tracht kommende russische Terrain als mit Bezug auf die der Ausdehnung Galiziens aliquoten Teile anführt. Obwohl darnach der dermahge Stand der russischen Streitkräfte zu einem Offensivkriege nicht genügend sein möge, so sei es doch wahrscheinlich, daß man in Rußland den Plan habe, mit Rücksicht auf das vorhandene kolossale Menschenmaterial, die in der nächsten Zone an unserer Grenze stehenden Truppen zu opfern und wenigstens mit dem Erfölge eventuell nach Galizien zu werfen, um uns den strategischen Aufmarsch daselbst unmöglich zu machen. - Dies könne durch Erhöhung des Standes der daselbst gamisonierenden Truppen und durch Hereinziehung der aus Galizien rekrutier¬ ten Regimenter, die jetzt außerhalb Galiziens garnisonieren, nämlich vier Ka- 7 Siehe Anm. 6. <pb/>386 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 vallerieregimenter und fünf Infanterieregimenter, verhindert werden. Wiewohl letztere Maßregel eine durchaus normale und in unserer Territorialeinteilung vollkommen begründet wäre, so werde sie doch vorerst unterlassen werden, um jeden Schein einer Provokation zu vermeiden. Man müsse aber für den Fall, als sie notwendig werden sollte, schon jetzt für Erbauung von Unterkunftsräumen sorgen, da im Lande jedenfalls nicht auf die nötige Anzahl von Ubikationen gerechnet werden könne. Im Zusammenhänge hiemit stehen Vorsorgen für Magazinsräumlichkeiten. Weiter müssen die Festungen in Krakau und Prze- mysl in Verteidigungszustand gesetzt werden, weiter Lemberg durch gewisse Vorkehrungen, wenn auch nicht eigentlich fortifikatorischer Natur, gegen einen Überfall zu sichern. Außerdem handle es sich um eine Reihe von Maßnahmen, deren Ausführung schon bei Ansprechung des 52 1/2-Millionen-Kredites in Aussicht genommen, damals aber mit Rücksicht auf die günstigere Situation sistiert wurden,8 nun aber ernstlich ins Auge gefaßt werden müßten, da es sonst zur Ausführung derselben zu spät werden könnte. Von allen diesen Maßregeln repräsentieren die einen Bestellungen, deren Kosten für alle Fälle festgestellt werden könne, die anderen wären zur Verpflegung der Truppen bestimmt und wären variabel, je nach der Zeit, für die sie benötigt würden. Bei Verfassung des Kostenüberschlages sei bei den letzteren Maßnahmen der Berechnung eine Zeitdauer von sechs Monaten zugrunde gelegt worden. Die Gesamtsumme, die angesprochen werden müßte, wären 16 Millionen, von denen ein großer Teil sofort in den nächsten zwei Monaten, ein anderer aber nach Bedarfflüssigzuma¬ chen wäre. Bezüglich der Bedeckung des Betrages würde der Reichskriegsminister Vor¬ schlägen, daß ihm die Quoten des Ordinariums des Heereserfordernisses für November und Dezember antizipando schon jetzt flüssiggemacht würden und die Rechtfertigung der Überschreitung bei den ja jedenfalls noch im Oktober zusammentretenden Delegationen erfolgen würde. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza ersucht vorerst um eine Detaillierung der einzelnen Ausgabeposten unter Angabe der Summen, die schon in den nächsten zwei Monaten flüssiggemacht werden müßten. Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski stellt die Anfrage, ob nicht die für Krakau und Przemysl jetzt beantragten Fortifikationsmaßre- geln die gleichen seien, die bereits anläßlich der Bewilligung des außerordentli¬ chen Kredites im Frühjahr in Aussicht genommen wurden. Reichskriegsminister Graf Bylandt-Rheidt beantwortet letz¬ tere Anfrage durch eine Darlegung der Verhältnisse, die bezüglich der Verset¬ zung in Verteidigungszustand der Festungen maßgebend sind, und geht hierauf in eine postenweise Aufzählung und Erläuterung der einzelnen beantragten Maßnahmen ein, indem er bei Angabe der Kosten gesondert jene Beträge angibt, welche ein für allemal angesprochen werden, und jene, welche unter der g GMR. v. 19. 4. 1887, RMRZ. 340. - GMR. v. 20. 4. 1887, RMRZ. 341. <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 387 Voraussetzung der sechsmonatlichen Dauer der bezüglichen Maßnahmen be¬ rechnet wurden. Die ersteren würden sich darnach auf 13 307 000 letztere auf 2 693 000 zusammen beide auf 16 000 000 belaufen. Auf eine bezügliche Anfrage des kgl. ung. Ministerpräsidenten v. Tisza bemerkt der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt, daß allerdings die für einmalige Ausgaben präliminier- te Summe sich mit jener decke, die schon in den ersten zwei Monaten des kommenden Jahres flüssiggemacht werden müßte. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza betont, daß abgese¬ hen davon, daß er wünschen müsse, daß überhaupt die Höhe der Summe herabgemindert werde, er es für möglich erachte, gewisse Auslagen auf längere Termine zu verteilen und so die schwierige Geldbeschaffung zu erleichtern. Sprecher führt diesfalls zum Beispiel den Posten für ,,Warme Wäsche" an, bei dem der Reichskriegsminister selbst hervorgehoben habe, daß die nötige Anzahl von Sorten nicht vor acht Wochen ausgeführt werden könnte. Bei den Erörterungen, die sich an diese Post knüpfen, erwähnen die beidersei¬ tigen Landes Verteidigungsminister die Notwendigkeit, eventuell auch für die Landwehr in gleicher Weise wie für das Heer für ,,Warme Wäsche" Vorsorgen zu müssen. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza hebt hierauf die Tatsa¬ che hervor, daß der Reichskriegsminister, obwohl kriegerische Ereignisse nicht unmittelbar bevorgestanden hätten, doch eine Reihe von Anschaffungen einge¬ leitet hätte, ohne ein Einvernehmen mit dem Ministerrate abzuwarten.9 Gegen ein solches Vorgehen müsse sich der Sprecher wegen des Präjudizes für die Zukunft verwahren. Der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt bemerkt, daß er bisher noch kein Geld flüssiggemacht habe. Derk. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski stellt die An¬ frage, wie hoch sich die bezüglichen Engagements der Kriegsverwaltung schon belaufen. Der k. k. Reichskriegsminister FZM. Graf Bylandt-Rheidt erwidert, daß er dies nicht bestimmt angeben könne, da er an seine Organe allgemeine Ermächtigung erteilt habe und nicht wisse, wieweit sie im einzelnen bereits vorgegangen seien. Der kgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza bringt nun die in den Delegationen erfolgte Einstellung des außerordentlichen Kredites zur Sprache, um festzustellen, daß nicht, wie oft irrtümlich behauptet werde, er diese Einstel¬ lung angeregt habe. Im Gegenteil habe er dem betreffenden Antragsteller den 9 Vgl. Anm. 5. <pb/>388 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 Antrag als nicht opportun bezeichnet; nachdem aber der Antrag, gegen den vom konstitutionellen Standpunkte nichts einzuwenden war, einmal einge¬ bracht war, habe er ihm nicht mehr entgegentreten können. Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky pflichtet die¬ ser Darstellung bei; der Fehler, der geschehen sei, habe darin bestanden, daß man vorher übersehen habe, sich über eine Stellungnahme bei Auftreten eines solchen Antrages zu einigen. Bei Wiederaufnahme der Diskussion über die Anforderungen der Kriegsver¬ waltung ergreift der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski das Wort, um seinen Standpunkt zu präzisieren. Er habe selbst im vorigen Jahre eine ähnliche Modalität angeregt, wie sie jetzt der Reichskriegsminister propo- niere, nämlich die Antizipation der Raten des Kriegsbudgets für November und Dezember; damals aber seien die Dinge ganz anders gestanden; zu jener Zeit habe er darauf reflektieren können, diese Summe auf so lange Zeit hinaus ohne Gefährdung des laufenden Dienstes den Kassabeständen zu entnehmen. Heute sei dies nicht der Fall, die Lage habe sich bedeutend verschlimmert, da kein Staat es ohne Schädigung vertragen könne, wenn alljährlich so bedeutende unvorhergesehene Mehrausgaben auftauchen. Er müsse es geradezu ausspre¬ chen, daß wenn dies noch einige Jahre fortdauere, wir uns vor einer Katastrophe befinden. Durch die Alarmierung der letzten Zeit leiden schon die Eingänge des Staates, es sind Anzeichen von Erschütterungen des Kredites vorhanden, und wenn der Zustand andauere, so werde der Finanzminister mit viel geringeren Einnahmen, als präliminiert seien, rechnen müssen. Unter diesen Umständen könne nicht daran gedacht werden, ohne Gefährdung des laufenden Dienstes eine so bedeutende Summe, wie sie heute angefordert werde, auf eine so lange Zeit bis November den Kassabeständen zu entnehmendes müsse daher dieser Betrag durch ein Anlehen aufgebracht werden. Ein Anlehen aufzunehmen, sei aber gesetzlich unmöglich ohne Zustimmung des Reichsrates. Letzterer aber könne staatsrechtlich eine Bedeckung nicht votieren, wenn nicht die betreffende Ausgabe von den Delegationen vorher bewilligt worden wäre; wenn daher seitens der Kriegsverwaltung auf eine so hohe Summe reflektiert werde, so müsse auch die Einberufung der Delegationen für eine nähere Zeit in Aussicht genommen werden. Eine kleine Summe könnte man eventuell vorstrecken, aber die ganze angeforderte Summe, wenn erst im Oktober die Votierung derselben durch die Delegationen erfolgen solle, sei nicht möglich aus den laufenden Geldern aufzubringen, und ein Anlehen sei ohne der legislativen Ermächtigung, wie bemerkt, zu machen unmöglich.^ Derk. u. k. Minister des Äußern Graf Kälnoky glaubt war¬ nen zu müssen, demnächst zur Berufung der Delegationen zu schreiten, da die Perturbation, die durch die Verhandlungen derselben entstehe, selbst wenn sie Randbemerkung Dunajewskis: Der k. k. Finanzminister hat sich bereit erklärt, fünf Millionen zur Verfügung des Herrn Reichskriegsministers zu stellen ohne vorherige legislative Bewilli¬ gung. <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 389 so maßvoll geführt würden wie cbei der letzten außerordentlichen Session0 in Budapest, sehr groß sei. Die Erörterung der finanziellen Situation im Minister¬ rate, wie sie der k. k. Finanzminister angeregt habe, könne dem Minister des Äußern nur sehr erwünscht sein, da ihm vor allem daran liegen müsse, volle Klarheit über den Einfluß der betreffenden finanziellend Momente auf die auswärtige Politik zu erlangen. Er verkenne durchaus die finanziellen Schwierig¬ keiten nicht, aber es wäre zu optimistisch zu sagen, der Krieg drohe nicht, er droht tatsächlich. Wir wollen keinen Krieg, aber wir haben die Überzeugung, daß Rußland alles für einen solchen vorbereitet. Wir stehen also vor der Alter¬ native, entweder aus Mangel an Geld den Frieden auf alle Fälle zu halten, oder wir wollen an unserem bisherigen Standpunkte festhalten, dann müssen wir uns eben vorbereiten, und dies ist ohne Kosten nicht möglich. Den Krieg zu machen ohne absolute Notwendigkeit, nur um aus der jetzigen Situation herauszukom¬ men, wäre nicht zu verantworten. Zurückkommend auf die anfangs der Sitzung gestellte Anfrage des k. k. Ministerpräsidenten über die Situation zu Rußland und den eventuellen Streitfall mit demselben, bemerkt der Minister des Äußern, daß es vor allem sehr fraglich sei, ob man wirklich eines vernünftigen Grundes bedürfe, wenn man einen Krieg durchaus herbeiführen wolle; der letzte deutsch¬ französische Krieg gebe ein Beispiel des Gegenteils. Es ist bekannt, daß die Differenz zwischen Rußland und uns zunächst in der Orientfrage ruhe. Rußland verlange einen prädominierenden Einfluß auf der Balkanhalbinsel; wir haben bisher daran festgehalten, daß die Verträge ihm einen solchen nicht einräumen und es daher auch kein Recht habe, sich denselben mit Gewalt zu verschaffen. Aber die bulgarische Frage ist es nicht, die die jetzige Situation geschaffen, ja man könne direkt sagen, daß, auch wenn es gelänge, diese Frage auf irgendeine Weise beizulegen, noch immer das übrigbliebe, was eben die jetzige Situation kennzeichne, nämlich die Bedrohung, welche Rußland durch Massierung von Truppen an seiner Westgrenze erzeuge. Derkgl. ung. Ministerpräsident v. Tisza spricht sich auch ge¬ gen die Berufung der Delegationen aus, indem er gleichfalls auf die Verstim¬ mung hinweist, welche die doch entschieden freundlichen Äußerungen des Ministers des Äußern in Rußland hervorgerufen. Er seinerseits müsse für eine Herabminderung der Summe und Verteilung der Zahlungstermine auf längere Zeit dringen, aber die einmal festgestellte Summe, glaube er, könne auf Verant¬ wortung der Regierungen ohne Berufung der Delegationen erfolgt werden. Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski betont, daß es eben lediglich finanzielle bzw. gesetzliche Momente sind, welche ihn zwängen, auf einen früheren Zusammentritt der Delegationen zu dringen. Wenn er in der Lage wäre, aus den Kassabeständen die Summe, die verlangt werde, vorzuschie¬ ßen, so würde auch für ihn die Notwendigkeit entfallen, diese Forderung zu stellen, da er aber zu einer Anleihe schreiten müsse, so müsse er sich die °`c Korrektur Kälnokys aus die letzten. d Einfügung Kälnokys. <pb/>390 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 18. 12. 1887 gesetzliche Grundlage hiezu in einer Zeit schaffen, wo noch Kreditoperationen möglich seien, das ist vor dem Hochsommer. Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe bemerkt, daß wegen der Anforderungen der Landwehr ja jedenfalls an den Reichsrat gegangen werden und hiebei der analogen Auslagen für das gemeinsame Heer werde Erwähnung geschehen müssen. Der k. k. Landesverteidigungsminister FML. Graf Wel- sersheimb bestätigt, daß Anforderungen für die Landwehr über 1/2 Mil¬ lion in Aussicht genommen seien. Der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe glaubt, daß den An¬ forderungen des k. k. Finanzministers vielleicht genügen würde, wenn ihm die Zusage erteilt würde, daß jedenfalls Anfang des Monates Mai k. J. die Delega¬ tionen einberufen werden, und zwar wäre, wenn möglich, gleich die ordentliche Delegationssession für diese Zeit in Aussicht zu nehmen. Der k. k. Finanzminister Ritter v. Dunajewski erklärt sich hiemit einverstanden und bereit, unter dieser - eaber nur unter dieser6 - Voraus¬ setzung dem Reichskriegsminister eventuell Vorschüsse auf die Raten pro No¬ vember und Dezember des Ordinariums des Heeres zu leisten. Die Konferenz vereinbart sohin, daß für den Anfang des Monates Mai die Zusammenberufung der Delegationen in Aussicht zu nehmen ist, und zwar, wenn möglich sofort zu der ordentlichen Session, wenn dies nicht tunlich wäre aber jedenfalls zu einer außerordentlichen Session. Über die Höhe der der Kriegsverwaltung zur Verfügung zu stellenden Summe wird kein Beschluß gefaßt, da der kgl. ung. Ministerpräsident sich vorbehält, noch in der morgen unter Ah. Vorsitze stattfindenden Konferenz erneuert die Argumente für Herabminderung der Summe vorzubringen. Die für die Landwehr eventuell erforderhchen Auslagen werden zur Be¬ schlußfassung in den Ministerräten der beiden Reichshälften überlassen.10 Endlich wird noch die Frage der Publizierung eines Kommuniques über die dermalige Ministerberatung in Erwägung gezogen und beschlossen, über die heutige Sitzung keine konkrete Mitteilung an die Journale gelangen zu lassen, sondern dieselben lediglich als vertrauliche Besprechungen zur Orientierung zu bezeichnen, die erst morgen ihren Abschluß finden werden. Morgen wäre aber nach der Sitzung unter Ah. Vorsitze eine Mitteilung auszugeben, lautend: ,,Die gestern und heute abgehaltenen Besprechungen haben das Resultat ergeben, daß keine solchen Maßnahmen zu treffen sind, welche die Einberufung der Delegationen in nächster Zeit als notwendig erscheinen lassen würde." Die Sitzung wird hierauf geschlossen. Kälnoky Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 8. Jänner 1888. Franz Joseph. e-e Einfügung Dunajewskis. 10 2/MT. Ung.MR v. 12. 1. 1888. 4. Über Anschaffung von nötigen Kleidern anläßlich einer Mobilisierung der Landwehr, OL., K. 27, Karton 43. <pb/>