Gemeinsamer Ministerrat, 31. 3. 1871
I. Zusammentritt der Delegationen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z41.pdf.
II. Rumänische Angelegenheiten
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z41.pdf#page=3.
Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 277 ge wegen Aufhebung des noch bestehenden Waffenausfuhrverbotes10 anzuregen und auf die Bemerkung des Grafen Andrässy, daß von seiner Seite kein Einwand bestehe und er eine diesbezügliche Note des Grafen Hohenwart soeben zustim¬ mend beantwortet habe, die Sitzung aufzuheben. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 28. März 1871. Franz Joseph. Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. März 1871 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Hohenwart (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (15. 4.).1 Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Zusammentritt der Delegationen. II. Rumänische Angelegenheiten. und Personennamen falsch schreiben und der Einberufungsbefehl deshalb die Betreffenden nicht erreicht. Siehe weiter Protokoll über die am 26. April 1871, mehrere Gesetzvorlagen betreffend, unter Ah. Vorsitze abgehaltene Konferenz. KA. MKSM. 65-2/2/1871. Weiter: Ung. MR. v. 27. 11. 1871. Gegenstand: 4, 5: Honvedgesetzvorschläge, Gesetzvor¬ schläge bezüglich der Mißbräuche im Zusammenhang mit der Rekrutenstellung; Ung. MR. 26. 12. 1871. Gegenstand: 17, 18: Feststellung der Dienstzeit der Reservisten, Gesetzvor¬ schläge bezüglich der Mißbräuche im Zusammenhang mit der Rekrutenstellung; MOL. Sek¬ tion K-27. Über ein Ausfuhr- und Durchfuhrverbot von Waffen siehe GMR. v. 18. 7. 1870, RMRZ. 67. Anm. 12, 13. Erlaß des k. k. Finanzministeriums vom 15. März 1871, betreffend die Aufhe¬ bung des Verbotes der Aus- und Durchfuhr von Waffen, Waffenbestandteilen, Munition und Mimitionsgegenständen aller Art. RGBl. 19/1871. Beachtenswert ist, daß außer den gemeinsamen Ministern nur der k. k. Ministerpräsident an der Beratung teilnimmt und Lönyay später davon spricht, das Budget müsse dann zuerst im gemeinsamen Ministerrat behandelt und danach der ungarische Ministerpräsident eingela¬ denwerden. Diese Formulierung läßt die Vermutung zu, daß der k. k. Ministerpräsident Ho¬ henwart auch im eigentlichen, dem engeren gemeinsamen Ministerrat anwesend sein wird, wie auch schon an dieser Beratung am 31. März. Natürlich war es wichtig, Hohenwart zur gemeinsamen Konferenz einzuladen, weil seine Stellung in seinem eigenen Abgeordnetengre¬ mium außerordentlich unsicher war, es war nicht gewiß, daß er erreichen könne, daß der Reichsrat Delegationsmitglieder wählen würde. Möglich ist aber auch, daß es sich um einen bloßen Zufall handelt, Andrässy eventuell keine Zeit hatte, nach Wien zu reisen und nur sein Geist anwesend war, wie die Diskussion über den II. Gegenstand zeigt. <pb/>278 Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 KZ. 1049-RMRZ. 107 Protokoll des zu Wien am 31. März 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬ meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers Grafen Beust. I. Reichskanzler Graf Beust eröffnet die Sitzung, indem er anknüpfend an die in der Ministerkonferenz unter Ah. Vorsitze vom 14. März abgegebene Erklärung des Grafen Hohenwart,2 daß er in der Hauptsache gegen die Einberufung der Delegationen für Ende Mai d. J. keinen Einwand habe, den¬ selben um einen Ausspruch darüber ersuchte, ob es nun möglich sei, Seiner Ma¬ jestät in diesem Sinne au. Vortrag zu erstatten und um die Gestattung der nötigen Einleitungen zu bitten. Ministerpräsident Graf Hohenwart gab die Erklärung ab, daß von seiner Seite auch heute gegen den Delegationszusammentritt am 20. Mai und daher gegen die sofortige au. Vörtragserstattung und Verlautbarung kein An¬ stand obwalte. Es sei zwar möglich, daß der Reichsrat bis dahin mit seinen Arbei¬ ten nicht fertig werde, aber es lasse sich ja so veranstalten, daß beide Vertretungs¬ körper gleichzeitig tagen. Reichskanzler Graf Beust stellte die Frage, ob man bis dahin zuverläßlich darauf rechnen könne, mit allen Vorlagen fertig zu werden? Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bejahte die Frage, worauf Reichsfinanzminister v. Lönyay statt des 20. Mai, der auf einen Sonnabend falle, den 21. Mai für die Einberufung proponierte und es als wünschenswert erklärte, wenn die Summarien schon binnen 14 Tagen, bis wohin Seine Majestät schon wieder in Wien sein dürfte, zusammengestellt wer¬ den, um nach der bisherigen, in den Ausgleichsgesetzen begründeten Übung zu¬ erst im gemeinsamen Ministerrat vereinbart, dann unter Zuziehung der ungari¬ schen Minister schließlich unter Ah. Vorsitze definitiv festgesetzt und sodann noch rechtzeitig der circa sechs Wochen erfordernden Übersetzung zugeführt werden zu können. Es empfehle sich umsomehr, die Budgetkonferenzen für Mit¬ te April vorzubereiten, als Graf Andrässy um diese Zeit ohnehin nach Wien zu kommen gedenke. Reichskanzler Graf Beust bemerkte, zurückgreifend auf den Ausgangspunkt der Diskussion, daß die Delegiertenwahl bei der in Mitte liegen¬ den Vertagung der Parlamente wohl nur nach Ostern stattfinden könne, daher die bezügliche Vortragserstattung nicht früher zu erfolgen hätte. Reichsfinanzminister v. Lönyay betonte, daß zwischen der Einberufung und dem Zusammentritt der Delegationen doch ein vierwöchentli¬ cher Zwischenraum fallen müsse. Ministerpräsident Graf Hohenwart erwiderte, die Verta¬ gung des Reichsrates werde sich nicht über eine Woche nach Ostern erstrecken. 2 GMR. v. 14. 3. 1871, RMRZ. 106. <pb/>Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 279 Reichsfinanzminister v. Lönyay brachte hierauf noch zwei weitere Gegenstände zur Sprache, die der Besprechung in einer kombinierten Ministerberatung harren und bei den für Mitte April empfohlenen Ministerkonfe¬ renzen gleichfalls zu erledigen wären. Der eine, besonders dringende Gegenstand sei die Bestreitung der Nachtragskosten für die ostasiatische Expedition,3 der an¬ dere die unlängst mit Italien abgeschlossene Konvention als Ergebnis gewisser noch aus dem 1866er Friedensvertrage herrührender finanzieller Auseinanderset- zungen.4 In ersterer Beziehung bemerkte Vortragender, die Frage der ostasiatischen Ex¬ pedition gehöre zwar nicht vor die Delegationen, sondern vor die Legislativen, welche auch die ursprünglich präliminierten Kosten votierten, aber sie berühre doch beide Reichsteile und erheische schon deshalb eine baldige gemeinsame Schlußfassung, weil Ungarn gegen die Präliminarüberschreitung und weitere Beitragsleistung protestiere, während das Reichsfinanzministerium keine Mittel habe, um der Anglo-Austrian-Bank die noch rückständige Deckung für die letz¬ ten Wechsel der Expedition zu leisten. Reichskanzler Graf Beust schaltete ein, daß man vorerst die Schlußrechnungen des Freiherm v. Petz abwarten wolle,5 worauf R e i c h s f i - nanzminister v. Lönyay auf eine ihm zugekommene Denkschrift des Ministeriums des Äußern zur Rechtfertigung der Nachtragsforderung mit dem Bemerken hindeutete, daß hiernach die Präliminarüberschreitung vollkom¬ men begründet erscheine.6 Vortragender gab sofort einige Aufklärungen über die Konvention mit Italien, die aus zwei getrennten Abmachungen bestehe, deren erstere die noch unbefrie¬ digten Ansprüche einiger Mitglieder des Ah. Hauses, letztere dagegen die mit dem Monte Veneto zusammenhängende Regelung staatlicher Finanzfragen in Ausführung der Artikel 5 und 6 des Friedensvertrages betreffe.7 Es frage sich Den Nachtragskreditflir die ostasiatische Expedition behandelte der gemeinsame Minister¬ ratschon im Herbst 1869. Siehe Dm Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der öster- reichisch-ungarischen Monarchie 1/1 363-364. Und danach wieder: GMR. v. 26. 4. 1871, RMRZ. 110. Am 3. 1. 1871 schließt Lönyay mit der italienischen Regierung einen Vertrag ab bezüglich des Privatvermögens der depossedierten österreichischen Fürsten. Vgl. au. Vortrag von Beustv. 30. 1.1871. HHSTA.,Kab.Kanzlei315/1871:über das Resultat dervon dem Reichs- finanzminister und dem k. k. Gesandten in Florenz mit der kgl. italienischen Regierung ge¬ führten Verhandlungen in Betreff der in Gemäßheit der Art. VI und VII, dann XXII des österreichisch-italienischen Friedenstraktates v. 3. Oktober 1866 noch auszutragen gewese¬ nen Angelegenheiten. Petz, Anton Freiherr von (1819-1888), Vizeadmiral, 1869 wurde er mit der Leitung der Ex¬ pedition der Kriegsmarine nach Ostasien und Südamerika betraut. Denkschrift zur Rechtfertigung der Nachtragsforderungen für ostasiatische Expedition. Bei¬ lage zum GMR. v. 26. 4. 1871, RMRZ. 110. HHStA., PA. XL. Karton 286. Siehe Anm. 4. <pb/>280 Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 nun, ob letzterer Vertrag als Staatsvertrag der verfassungsmäßigen Behandlung bedürfe? Vortragender halte die Vorlage an die Legislativen nicht für nötig, weil der Vertrag keine Belastung des Staatsschatzes involviere, vielmehr aus den für die Ausgleichung mit Italien im Reichsfinanzministerium bereitgehaltenen ge¬ meinsamen Aktiven noch ein Plus resultiere, allein es sei doch nötig, daß die beiden Ministerien darüber schlüssig werden, zu welchem Behufe er ihnen bis Mitte April ein Expose über den Sachverhalt mitteilen werde. Beiläufig erwähnte der Reichsfinanzminister noch des in der Abwicklung des Übereinkommens mit Italien eingetretenen Inzidenzfalles, daß die Staatsschul¬ denkontrollkommission die Umschreibung der beim Reichsfinanzministerium erliegenden Monte Veneto-Obligationen verweigere, doch hoffe er, daß die Auf¬ klärungen, welche er dem Grafen Wickenburg gab,8 die Zweifel der Kontroll¬ kommission beheben werden. Reichskanzler Graf Beust hielt die Verständigung der beiden Ministerien auch über die Vorlage oder Nichtvorlage des Londoner Vertrages9 nötig und sprach seine persönliche Meinung dahin aus, daß ihm dies kein Gegen¬ stand der Legislativen zu sein scheine, ebensowenig wie andere Staaten, z. B. England und Italien, den Vertrag dem Parlamente zur Annahme vorlegen. Ministerpräsident Graf Hohenwart stimmte dieser Auffas¬ sung bei. II. Als weiteren Gegenstand der Beratung brachte Reichskanzler Graf Beust die letzten Bukarester Exzesse, welche in ihren Konsequenzen die Frage der Donaufürstentümer wieder in den Vordergrund zu ziehen geeignet seien, zur Sprache und gab eine Darstellung unserer Politik gegenüber den dorti¬ gen Verhältnissen.10 Von unserer Seite habe man stets den Standpunkt zur Geltung gebracht, jede Intervention in der Moldau und Walachei hintanzuhalten und den daselbst ange¬ häuften Gärstoff sich in sich selbst vergähren zu lassen - eine Politik, die auch die Zustimmung der übrigen Mächte, namentlich die Billigung Englands fand. Nun aber fordere die täglich unhaltbarer werdende Stellung des Fürsten Karl11 doch zum Nachdenken heraus über die Stellung, die wir einzunehmen hätten, wenn etwa die Dinge über Nacht eine andere Wendung nehmen sollten. Der Fürst habe Wickenburg, Konstantin Matthias Graf(1797-1880), k. k. Handelsminister in der Regierung Schmerling, übt später verschiedene Wirtschaftsfunktionen aus. Der Londoner Vertrag vom 13. 3. 1871 gedruckt in: Die grosse Politik der europäischen Kabinette 1871-1914 Bd. 2 23 ff. Die Stellung der rumänischen Frage in der österreichischen Diplomatie und diesen Minister¬ rat analysiert Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches 435 f. Eine neue Bearbeitung der Frage: Binder-Iijima, Die Institutionalisierung der rumänischen Mon¬ archie unter Carol I. 1866-1881. Mit der rumänischen Frage befasste sich GMR. v. 6. 11. 1870, RMRZ. 90. Karl I. (1839-1914), Fürst von Rumänien. <pb/>Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 281 schon einmal die Absicht gehabt, die Fürstentümer zu verlassen, u. zw. mit Zu¬ stimmung Preußens, welches eine Ehrensache darin erblickte, einen Träger des Namens Hohenzollem vor der gezwungenen Abdankung zu bewahren. Allein wir hätten ihm von einem solchen Entschluß abgeraten, denn sowenig Sympathie wir der Napoleonischen Idee der Vereinigung der Fürstentümer entge¬ genbringen konnten, so hätten wir die Vereinigung nach ihrem Zustandekommen doch anerkannt und wir hätten nun ein umso größeres Interesse an der Erhaltung des Status quo und somit an dem Fürsten Karl selbst, als darüber kein Zweifel bestehe, daß in der Moldau russischer Einfluß und russische Interessen dominie¬ ren und folglich die Möglichkeit der Inkorporierung der Moldau zu Rußland im Falle einer Trennung der Fürstentümer bestehe. In dieser Richtung werde daher unsererseits gewirkt, und es sei jetzt gelungen, hierüber auch mit Berlin ein Ein¬ verständnis herzustellen. Leider aber bestätigen die neuesten Nachrichten abermals die Unhaltbarkeit des Fürsten Karls, und die Lage werde verschärft durch die neueste Bukarester Affäre gelegentlich der deutschen Siegesfeier, wobei der norddeutsche Vertreter tätlich insultiert wurde.12 Preußen werde nun, wenn es die Satisfaktion von der rumänischen Regierung nicht erlange, dieselbe von der Pforte als suzerainer Macht verlangen, und die Pforte sei nach den vorliegenden Informationen in der Tat bereit, in die Sache einzugehen; eine diesfällige Anfrage Preußens sei von uns mit dem Hinweis auf die Bestimmungen des Pariser Traktates beantwortet wor¬ den. Von der Türkei liege eine Kundgebung nicht vor, doch werde man derselben Eröflhungen in dem Sinne machen, daß sie nach den Verträgen einseitig nicht Vorgehen, sondern sich mit den Mächten vorerst ins Einvernehmen setzen möge. In der Tat könnte auch der Türkei unter Umständen der Einmarsch in die Moldau und Walachei gestattet werden, aber es ergebe sich das Bedenken, daß dann auch Rußland einmarschiere, und hiemit trete die Frage des Einmarsches auch für uns heran. Vortragender habe hierüber bereits Pourparlers mit dem Grafen Andrässy ge¬ habt, welcher in Erinnerung an die verfehlte Okkupation im Jahre 1854 sich ent¬ schieden dagegen ausgesprochen habe und es viel lieber aufeinen Krieg mit Ru߬ land, welchem der Einmarsch unter keinen Umständen gestattet werden dürfe, ankommen lassen wolle. Dies sei nun aber selbstverständlich mit großen Gefah¬ ren für das Reich verbunden, und es frage sich daher, ob man die Sache auf die Spitze treiben oder ihr den Lauf lassen wolle, wobei man freilich Gefahr laufe, eventuell nur das Nachsehen zu haben. Rußlands Einmarsch dürften wir aller- In der Nacht vom 10./22. zum 11.723. März kam es zu Unruhen aufden Straßen, ausgelöst durch die Feier der deutschen Gemeinde zu Ehren des Geburtstags des deutschen Kaisers. Binder-Iijima, Die Institutionalisierung der rumänischen Monarchie unter Carol 1.1866-1881 119 ff. Über die Bukarester Geschehnisse siehe den Bericht von Generalkonsul Nikolaus Freiherr v. Pottenburg an Beust v. 24. 3. 1871: Man mißhandelt den Konsul des Norddeut¬ schen Bundes v. Radowitz aufder Straße, gegen die Menge muß das Heer eingesetzt werden. HHStA., PA. XXXVin, Karton 192. <pb/>282 Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 dings nicht zulassen. Von Seite Preußens und Englands wurden auch Anstrengun¬ gen gemacht, daß es nicht geschehe; über unsere Stellung aber für den Fall, wenn es doch geschehe, müsse man jetzt schon im klaren sein, denn die Frage der Für¬ stentümer sei, wie Vortragender schon bei früheren Gelegenheiten betonte, für uns wichtiger als die Pontusffage.13 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bezeichnetedie Überschreitung der Donau seitens der Türken als Anlaß zu unabsehbaren Kom¬ plikationen, indem dieselbe den Einmarsch Rußlands in die Fürstentümer zur unausbleiblichen Folge haben und letzterer das Signal zur Aufflackem der Revo¬ lution in Serbien und zum Losbrechen der südslawischen Bewegung geben wer¬ de. Es wäre also das Beste, die Rumänen nach wie vor sich selbst zu überlassen und zu verhindern, daß überhauptjemand interveniere, bis nicht die Rumänen vor eigener Erschöpfung die Hilfe der Mächte, welche sich hierüber sodann friedlich einigen könnten, anrufen. Rußlands Einmarsch involviere allerdings auch für uns einen Casus belli. Es sei in dieser Beziehung den preußischen Kundgebungen nicht zu trauen, vielmehr fürchte er, daß Preußen und Rußland zusammen noch weitergehende Ziele verfolgen und daß die Haltung des ersteren in der Pontusfra- ge nur eine sehr geringe Abschlagszahlung für den Preußen im Kriege gegen Frankreich geleisteten Dienst sei. Vortragender erörterte hierauf die strategischen Momente für den Fall, daß wir aus dem russischen Einmarsch einen Kriegsfall machen wollen, und riet davon ab, Rußland unsererseits durch einen gleichen Einmarsch in den Donaufürstentümem entgegenzutreten, sondern bezeichnete es als strategisch vorteilhafter, wenn die Russen auch in die Walachei ohne weiteres einmarschierend ihre Truppen ausbreiten, während wir im Inlande eine konzen¬ trierte Stellung einnehmen und uns dadurch die Möglichkeit bewahren, im gege¬ benen Falle selbstverständlich in gemeinsamer Aktion mit den türkischen Trup¬ pen im Rücken der Russen zu operieren. Reichsfinanzminister v. Lönyay schloß sich dem Kriegs¬ minister in dem Satze an, daß eine Intervention von welcher Seite immer mög¬ lichst hintanzuhalten sei, weil es in unserem Interesse liege, zu verhindern, daß die südslawische Frage in Fluß komme, er widersprach jedoch dem Ausspruche des Reichskanzlers bezüglich unseres Interesses an der Aufrechthaltung der Zu¬ sammengehörigkeit der Moldau und Walachei, indem er ausführte, wie in der Moldau infolge des Vorhandenseins eines reichen grundbesitzenden Adels mehr konservatives Element als in der Walachei sich befinde, daher es uns gelingen könne, eine für uns jedenfalls vorteilhaftere Teilung der Politik beider Fürstentü¬ mer herbeizuführen. Es liege in unserem Interesse, an unserer Südostgrenze mög¬ lichst kleine Nachbarstaaten zu haben; die Wiederablösung der Moldau von der Walachei werde sich aber umso rascher vollziehen, je mehr man Rumänien sich selbst überlasse, und dies sei ein Grund mehr für die Hintanhaltung jeder Inter¬ vention. Übrigens sei von den Walachen, welche wie überhaupt die romanische 13 Siehe GMR. v. 17. 1. 1870, RMRZ. 100. Gegenstand: I. <pb/>Nr. 41 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 3. 1871 283 Rasse nicht in Wachstum begrifFen ist, weniger zu befurchten, und unser Augen¬ merk müsse mehr den lebenskräftigeren, zukunftsreicheren Südslawen zugewen¬ det werden. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn widersprach der Behauptung über den Verfall der romanischen Rasse mit Flinweis auf die ge¬ schichtlich nachweisbaren Schwankungen im Befinden der Völker und auf die Wahrnehmung der Gegenwart, daß die romanische Rasse wie z. B. in Tirol und Siebenbürgen, da wo sie mit anderen Elementen in Berührung kommt, diese zu¬ rückdrängt. Reichskanzler Graf Beust warf die Frage auf, wo allenfalls der Einmarsch unsererseits stattzufinden hätte. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn hielt dies wo immer [für] möglich, nachdem die Rumänen selbst uns einen Widerstand wohl nicht entgegensetzen könnten. Zugleich wiederholte er die Gründe, aus welchen es sich nicht empfehle, den Russen mit der Okkupation zuvorkommen, vielmehr vorteilhafter sei, sie in dem Einmarsch, wenn sie ihn versuchen, nicht zu stören. Wir sollten schon deshalb nicht intervenieren, weil wir dadurch den casus belli selbst hervorrufen, während wir uns im anderen Falle die Freiheit behalten, den durch andere geschaffenen casus belli aufzugreifen. Reichsfinanzminister v. Lönyay wies auf die Gefahren hin, die uns im Kriegsfälle von den Serben drohen, wenn Rußland mit ihnen Kontakt gewinnt. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erwidert, die Gefahr lasse sich paralysieren und sei übrigens weniger bedenklich, als wenn wir unsere Truppen in den Fürstentümern ausbreiten müssen. Für den Augenblick gebe es, wie gesagt, für uns nur eine Politik, nämlich die des Zuwartens und der Zeitbenützung zur möglichsten Kräftigung im Innern, in jeder Beziehung, um bei eintretender Konflagration nach allen Seiten fest dazustehen. Reichskanzler Graf Beust gab hierauf zu bedenken, daß die Konflagration über Nacht eintreten könne, wenn die Pforte in Anwandlung eines durch einige Erfolge im Innern wachgerufenen Machtgefühles sich verleiten las¬ se, ungeachtet unserer Abmachung dem Wunsche Preußens nach Intervention nachzukommen. Vortragender verlas sofort eine telegrafische Depesche des Frei- herm von Pottenburg aus Bukarest,14 welcher den Fürsten Karl ohne äußere Hilfe für unhaltbar erachtet. Reichsfinanzminister v. Lönyay setzte auseinander, wie der Fürst Karl nicht selbständig, sondern nur am Gängelbande des Fürsten Bismarck sich bewege und daß es also für uns kein Schaden sei, wenn er vom Schauplatz abtrete. Reichskanzler Graf Beust konstatierte demgegenüber, daß GrafAndrässy anderer Meinung sei. 14 Pottenburg schickt im März seine Meldungen und Telegramme über die unsichere Lage des Fürstenfast täglich. HHStA., PA. XXXVIII, Karton 192. <pb/>284 Nr. 42 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19. 4. 1871 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn besprach hier¬ auf für den Fall des Ausbruches einer Bewegung in der Walachei mit Rücksicht auf ihre mögliche Rückwirkung auf die Siebenbürger Walachen die Notwendig¬ keit der Aufstellung eines Observationskorps in Siebenbürgen, wozu jedoch 10 000 Mann genügen dürften. Ministerpräsident Graf Hohen¬ wart deutete an, daß er die Rückwirkung auf die Walachen [für] weniger ge¬ fährlich halte als jene auf die Slawen, wenn Rußland aktiv auftreten sollte. Reichskanzler Graf Beust bemerkte, daß zur Observierung an der siebenbürgischen Grenze die Honveds verwendet werden können. Reichs- finanzminister v. Lönyay riet hievon ab, um bei den Walachen nicht die mißliebigen 1848er Erinnerungen wachzurufen. Reichskriegs¬ minister Freiherr v. Kuhn stimmte dem bei, mit dem Bemerken, daß er Linientruppen gemeint habe. Hiemit wurde die Sitzung geschlossen. Beust [Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 17. April 1871. Franz Joseph. Nr. 42 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 19. April 1871 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (23. 4.). Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Vorbesprechung über die Delegationsvorlagen. KZ. 1057-RMRZ. 108 Protokoll des zu Wien am 19. April 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬ meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers Grafen Beust. Reichskanzler Graf Beust eröffhete die Sitzung mit dem Be¬ merken, daß demnächst die Budgetbesprechungen unter Ah. Vorsitze stattfinden dürften, daher es sich empfehle, daß sich vorläufig das gemeinsame Ministerium unter sich über den in den Summarien schon fertigen gemeinsamen Staatsvoran¬ schlag für das Jahr 1872 verständige. Reichsfinanzminister v. Lönyay nahm hierauf das Wort, um an der Hand dieser Summarien zunächst das Heeresbudget einigen kritischen Bemerkungen zu unterziehen: Der Voranschlag für das Jahr 1872 belaufe sich im Ordinarium auf 89 662 000 fl.. <pb/>