Gemeinsamer Ministerrat, 11. 3. 1871
I. Zusammentritt der Delegationen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z39.pdf.
266 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 3. 1871 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. März 1871 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (15. 3.), Sektionschef v. Hofmarm. Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Zusammentritt der Delegationen. KZ. 574 - RMRZ. 105 Protokoll des zu Wien am 11. März 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬ meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers Grafen Beust. Reichskanzler Graf Beust leitete die Besprechung mit der Mit¬ teilung ein, Seine Majestät der Kaiser habe vor einigen Tagen den Zusammentritt der Delegationen mit der Frage zu berühren geruht, ob die Einberufung dieser Körperschaften für die nächste Zeit möglich sei. Soviel Vortragendem bekannt sei, bestehe allerdings in Ungarn der Wunsch, daß sich die nächste Delegation im Monate Mai versammeln möge, und dies wäre gewiß auch dem Reichsministeri¬ um eine willkommene Zeit, ln diesem Falle werde die Sitzung eine kurze sein, nachdem die Politik wahrscheinlich keine neuen Gegenstände der Diskussion bieten dürfte und auch die Behandlung des Kriegsbudgets weniger umfangreich sein werde. Es frage sich nur, ob das gemeinsame Budget für das Jahre 1872 fest¬ gesetzt werden könne, ehe die Bedeckung für das Jahr 1871 votiert ist, was allem Anscheine nach wenigstens in der diesseitigen Reichshälfte noch nicht der Fall sein werde. Reichsfinanzminister v. Lonyay sprach sich ebenfalls für den baldigen Zusammentritt der Delegationen aus. Schon im allgemeinen sei es wünschenswert, daß der parlamentarische Apparat in einen Gang gebracht werde, welcher die Einberufung der Delegationen alljährlich im Monate Mai ermöglicht, aber heuer spreche dafür noch der besondere Grund der Geschäftsvereinfachung durch das Nichtvorhandensein neuer Konstellationen und der Umstand, daß so¬ dann ein großer Teil der letzten Delegationsmitglieder wieder gewählt erscheinen werde, was die Beratung des Kriegsbudgets nur erleichtern könne. Auch formell bestehe nach seiner Ansicht keine Schwierigkeit, denn die Ein¬ berufung der Delegationen sei nach den 1867er Gesetzen ein unbestreitbares Recht der Krone,1 und ebensowenig erblicke er einen Grund, warum nicht an die Beratung des gemeinsamen Budgets pro 1872 auch vor dem Zusammenkommen des heurigen Finanzgesetzes in der diesseitigen Reichshälfte gegangen werden könnte. Da die Reihe des Versammlungsortes wieder an Wien ist, so könne Siehe GA. XII/1867. § 32; bzw. Gesetz v. 21. 12. 1867 RGBl. 146. § 11: Die Delegationen werden alljährlich vom Kaiser einberufen. <pb/>Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 3. 1871 267 Reichsrat und Delegation leicht zusammen tagen, so wie es in Pest mit dem un¬ garischen Reichstag schon zweimal der Fall war. In diesem Anbetrachte rate er, die Einleitungen möglichst bald zu treffen, und verstehe darunter einesteils die au. Bitte an Seine Majestät um Anordnung der Delegationswahl, andemteils die sofortige Fertigmachung der einzelnen Ressort¬ budgets. Das Budget des Ministeriums des Äußern und des Reichsfinanzministe¬ riums wären, sofern im ersteren nicht etwa bezüglich des Dispositionfondes ein neuer Ansatz gemacht würde, unverändert beizubehalten, was die Diskussion we¬ sentlich abkürzen werde. Auch im Kriegsbudget rate er, neue Positionen tunlichst zu vermeiden, umsomehr, nachdem ja das heurige Budget mit Ausnahme etwa der Post für ,,Kommanden und Stäbe" derart sei, daß der Kriegsminister damit auskommen könne. Reichskanzler Graf Beust erwiderte, die vom Vorredner ange¬ deutete Manipulation sei allerdings denkbar, aber über die Möglichkeit einer Kol¬ lision mit den 1871er Budgetverhandlungen könne man doch nicht so leicht hin¬ weggehen. Es könne immerhin von anderer Seite der Gesichtspunkt geltend gemacht worden, daß es untunlich sei, über die nächstjährige gemeinsame Bud¬ getvorlage zu urteilen, solange man über die Bedeckung des heurigen Erforder¬ nisses noch nicht im Reinen ist. Dazu komme noch das politische Moment: ob der Reichsrat in die Delegation werde wählen können und wollen? Da infolge der sich hier abwickelnden Ereignisse leicht Dinge in den Weg treten können, die beides in Frage stellen. Sektionschef v. Hofmann nahm hierauf das Wort, um die in Reichsratskreisen herrschende Stimmung zu schildern. Nach seinen Wahrneh¬ mungen sei der jetzige Reichsrat mit circa 20 Stimmen Majorität dem Grafen Hohenwart2 feindlich gesinnt und werde alles tun, um seine Politik zu vereiteln. Diese Majorität befurchte die Auflösung des Reichsrates nach erfolgter Budget- votierung; es liege also in ihrem Interesse, die Budgetverhandlung tunlichst zu verzögern, und dies sei der Kernpunkt der von ihr beobachteten Taktik. Sie werde in der Einberufung der Delegationen sicherlich einen gegen sie gerichteten Streich erblicken, und da sei es fraglich, ob man bei ihr nicht auf Diffikultäten stoßen werde. So wenig daher auch der vom Reichsfinanzminister in den Vordergrund gestellte Rechtspunkt zweifelhaft sei, so könne doch dieser allein hier nicht Platz greifen, sondern es komme nach des Vortragenden Ansicht darauf an, ob dem Grafen Hohenwart die Delegationseinberufung im Monat Mai in sein Programm passe? Ob er darin ein erwünschtes Ereignis oder einen Strich durch seine Politik erblicke? Jedenfalls sei es nötig, daß eventuell Reichsrat und Delegation mitein¬ ander tagen. 2 Hohenwart, Karl Sigmund Graf (1824-1899), 1868-1871 Statthalter von Oberösterreich, Führer der konservativen Rechtspartei im Reichsrat, 6. 2. 1871 -27. 10. 1871 k. k. Minister¬ präsident. <pb/>268 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 3. 1871 Der Schwerpunkt der Entscheidung liege wie gesagt (da man die ungarischen Intentionen kenne) bei dem Grafen Hohenwart, welcher vorerst umsomehr zu befragen wäre, als das Gesetz in Sachen der Delegationen ohnehin ein Hand-in- Hand-Gehen mit den beiderseitigen Ministerien vorschreibt. Es obwalte übrigens selbstverständlich kein Anstand, daß sofort die Delegati¬ onsvorlagen vorbereitet werden, und das Ministerium des Äußern werde damit für seinen Teil in kürzester Zeit fertig sein. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bemerkte, daß die Vorlagen des Kriegsministeriums bis Ende März bereit sein werden, und daß von ihm aus die Delegationen am 25. April zusammentreten könnten. Je früher dies geschehe, desto lieber sei es ihm. Reichskanzler Graf Beust resümierte das Ergebnis der Bespre¬ chung dahin, daß der Monat Mai dem gemeinsamen Ministerium als Termin für den Delegationszusammentritt erwünscht wäre, daß bis dahin auch die Vorlagen leicht fertig gemacht werden könnten, daß aber die gemeinsame Regierung keine Ah. Verfügung provozieren wolle, die den beiden Landesministerien nicht er¬ wünscht sei, daher dann vorerst das verfassungsmäßige Einvernehmen zu pflegen wäre. Auf die fernere Bemerkung des Reichskanzlers, daß Seine Majestät die Ah. Absicht zu erkennen gegeben habe, aufgrund der heutigen Besprechung eine kombinierte Sitzung unter Ah. Vorsitze anzuberaumen,3 die im Augenblicke nur wegen der Nichtanwesenheit eines Vertreters des ungarischen Ministeriums statt des erkrankten Grafen Festetics4 nicht stattfinden könnte, regte Sektions¬ chef v. Hofmann die Abhaltung einer solchen Sitzung in Pest, wohin sich Seine Majestät zu begeben gedenke, unter Zustimmung des Reichsfinanzmi¬ nisters an und begegnete dem Einwande des Kriegsministers, daß er sich aus eigenen Dienstesrücksichten in einer nicht momentan dringlichen Ange¬ legenheit, die auch nach der Rückkehr Seiner Majestät noch rechtzeitig entschie¬ den werden könne, jetzt nur schwer von Wien entfernen würde, mit der Erwide¬ rung, daß nach der heutigen prinzipiellen Zustimmung des Kriegsministers zur frühzeitigen Delegationseinberufimg seine Anwesenheit bei Besprechung der weiteren, die diesseitige Reichshälfte betreffenden Opportunitätsfragen im Not¬ fälle entbehrt werden könne. Womit die Sitzung geschlossen wurde. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Ofen, 17. März 1871. Franz Joseph. Es ist beachtenswert, daß Beustjenen Ministerrat, an dem die Ministerpräsidenten der bei¬ den Staaten teilnehmen, ,,kombinierte Sitzung" nennt. Zu diesem Ministerrat kommt es am 14. März. RMRZ. 106. Festetics, György Graf (1815-1883), 20. 2. 1867 - 19. 5. 1871 kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager. <pb/>