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Gemeinsamer Ministerrat, 13. 1. 1871

218 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. 1. 1871

        Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. Jänner 1871

    [RS. fehlt] RK.
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy,
Sektionschef Freiherr v. Orczy, Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagem."
    Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg.
    Gegenstand: Die Donauffage.

   [KZ. fehlt] - RMRZ. 98
   Protokoll der unter dem Vorsitze des Reichskanzlers in Ofen am 13. Jänner
1871 stattgefundenen Konferenz.1

   Reichskanzler Graf Beust eröffnet die Sitzung, indem er zu¬
nächst einen formalen Punkt hervorhebt. Es erscheine nämlich bei Beratung der
vorliegenden Frage wünschenswert, eine Vertretung der beiderseitigen Handels¬
ministerien sowie die Intervention des Ministerpräsidenten für die im Reichsrate
vertretenen Königreiche und Länder eintreten zu lassen. Dennoch empfehle sich
die gegenwärtige Vorbesprechung zur Feststellung der wichtigsten Gesichts¬
punkte.

   Ministerpräsident Graf Andrässy schließt sich dieser Auf¬
fassung an und stellt nur als zweifelhaft hin, ob nach der ungarischen Einteilung
der Geschäfte nicht vielmehr die Vertretung des Kommunikationsministeriums
einzuleiten sei. Jedenfalls könnten beide Minister anwesend sein, ohne indes
mehr als ein Votum zu repräsentieren.

    Sektionschef Freiherr v. Orczy meint, daß die Frage der
Natur der Sache nach in das Handelsressort falle, wogegen Ministerprä¬
sident Graf Andrässy bemerkt, daß die Eiserne Torffage dem Gebie¬
te des Kommunikationsministeriums angehöre. Jedenfalls dulde die Behandlung
der Angelegenheit keinen Aufschub wegen der Instruktion, die für die Konfe¬
renzbevollmächtigten notwendig sei.

    Reichskanzler Graf Beust teilt mit, daß die Londoner Konfe¬
renz erst am 17. d. M. zusammentreten werde.2 Zunächst liege die Frage vor
wegen der Fortdauer der europäischen Kommission und des Eintritts der Ufer¬
staatenkommission. Wenn nichts verfugt werde, so höre erstere ohne weiteres

         Reinschrift (und eben deshalb Einsichtsbogen) fehlt.

         Den Ministerrat zitiert Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches
         404. Die Donaufrage in ihren größeren Zusammenhängen, analysiert unter Berücksichti¬
         gung diplomatischer und handelspolitischer Gesichtspunkte: Palotäs, The Problems of In¬
         ternational Navigation on the Danube in Austro-Hungarian Politics during the Second Half
         of the Nineteenth Century 99-113.
2 Siehe GMR. v. 17. 12. 1870, RMRZ. 96.
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auf. Die englische Regierung habe eine Initiative in der Angelegenheit der Ver¬
längerung der europäischen Kommission abgelehnt.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern führt die
letzterwähnte Mitteilung dahin aus, daß Graf Apponyi ein Memoire eingesandt,
welches den englischen Standpunkt dahin präzisiere, daß Österreich-Ungarn,
falls es einen Wunsch in dieser Richtung habe, selbst die Initiative ergreifen
möge.3

   Ministerpräsident Graf Andrässy akzeptiert diesen Stand¬
punkt bereitwilligst und ist daher gegen das Projet d&#39;instruction, weil dieses den
österreichischen Bevollmächtigten erst zu einer Wirksamkeit in zweiter Linie er¬
mächtige.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern machte
geltend, daß diese Spezialinstruktion sich streng an die allgemeine Instruktion
angeschlossen habe.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Die erste Entscheidung
habe dem Punkte zu gelten, ob die Frage beider Donaukommissionen, also die
Donauffage im ganzen von Österreich vorzubringen sei. Hier sei allerdings die
Ansicht Lord Granvilles die richtige,4 daß man damit hervorzutreten habe, wenn
man ein Interesse an der Sache habe. An einem Interesse Österreichs an der Do¬
naufrage sei aber gar nicht zu zweifeln. Die Aufhebung der Neutralität des
Schwarzen Meeres stehe mit diesem Interesse in innigster Verbindung und habe
es in seiner ganzen Bedeutung angeregt. Die zweite Entscheidung habe dann an
die Frage anzuknüpfen, ob wir berufen seien, die Verlängerung der europäischen
Donaukommission zu beantragen, und diese Entscheidung könne unzweifelhaft
nur dann bejahend ausfallen, wenn die Bedingungen danach geartet seien, unter
welchen die übrigen Mächte in eine Verlängerung der Donaukommission einwil-
ligen. Nur das Urteil über die Bedingungen könne die Haltung der Monarchie
bestimmen.

   Jedenfalls müßte gegen eine Ausdehnung der Wirksamkeit der Kommission
stromaufwärts Verwahrung eingelegt werden. Eine solche Ausdehnung umschlös¬
se eine Beeinträchtigung der Souveränitätsrechte, eine Neutralisierung der Do¬
nau, und in eine solche könnte doch in einem Augenblicke nicht eingewilligt
werden, in welchem Rußland die Neutralisierung des Schwarzen Meeres als un¬
vereinbar mit seiner staatlichen Würde erkläre. Berechtigt sei daher im äußersten
Falle nur die Auffechterhaltung der Kommission auf ihrer bisherigen Basis, und
auch diese könnte nur durch die Rücksicht auf noch zu vollendende Arbeiten der
Kommission, insbesondere der Arbeiten im St. Georgs-Kanal motiviert werden.
Bestimme man im Falle einer Ausdehmmg der Kommission Braila als Endpunkt
derselben, so könne man mit demselben Rechte auf Belgrad greifen, und gewiß

3 Memoire von GrafApponyi an das k. u. k. Ministerium des Äußern v. 1.1.1871. HHStA., PA.

        VIII, Karton 74.
4 Granville, George Leveson-Gower, Earl of(1815-1891), britischer Außenminister.
<pb/>220 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. 1. 1871

sei es nicht unbedenklich, an unseren Grenzen, an der Save, in Serbien, Slawoni¬
en etc., den Keim einer fremden Einmischung gelegt zu sehen. Unser Interesse
sei an die Frage des Eisernen Tores geknüpft, das englische vorwiegend an die
Frage der Donaumündung, jeder Teil möge seinen Standpunkt und sein Bedürfnis
zu wahren wissen.

   Reichskanzler Graf Beust macht daraufaufinerksam, daß für
die praktische Frage der Instruktion die Auffindung irgendeines greifbaren Punk¬
tes wünschenswert sei, an welchem sich die von der österreichisch-ungarischen
Regierung einzuleitende Aktion anschließen könne.

   Ministerpräsident Graf Andrässy findet diesen Punkt im
Pariser Vertrag selbst geboten. Der Pariser Vertrag enthalte Bestimmungen über
die Neutralität des Schwarzen Meeres und über alles, was mit derselben immedi-
at in Verbindung stehe. Dahin gehöre die Donaufrage in ihrem ganzen Umfange.

   Reichskanzler Graf Beust: Es sei an sich schwer zu sagen, die
Aufhebung der Bestimmungen über die Neutralität des Schwarzen Meeres forde¬
re eine Modifikation der Bestimmungen über die Donau. Man laufe dabei Gefahr,
daß der Vertreter Rußlands sich anschicken werde, den Beweis anzutreten, daß
ein derartiger Zwang nicht vorliege. Es sei aber unschwer, den Standpunkt einzu¬
nehmen, daß man sich zu jener Konzession zugunsten Rußlands nur im Falle ei¬
ner Gegenkonzession bestimmt sehen werde. Die Sprache des österreichischen
Vertreters müsse allen theoretischen Einwendungen, die gegen die Annahme ei¬
nes inneren Zusammenhanges der Donaufrage mit der Frage der Neutralität des
Schwarzen Meeres erhoben werden könnten, vorweg begegnen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Jedenfalls werde der
österreichisch-ungarische Vertreter in der Betretung dieses Gebietes einen Rück¬
halt für den äußersten Fall finden können. Ergebe sich kein anderer Anknüp¬
fungspunkt, so müsse auch dieser ergriffen werden. Es sei übrigens sehr leicht
möglich, daß die Frage von anderer Seite vorgebracht würde. Trete dies ein, so
könne man auf eine Akzentuierung des ,,do ut des&quot; verzichten. Zur Sache selbst
bemerkt Ministerpräsident Graf Andrässy fortfahrend, Österreich-Ungarn habe
allerdings auch ein Interesse an der Fortdauer der europäischen Kommission.
Dies Interesse sei aber von den Bedingungen der Kommission abhängig und da¬
nach hätten wir unsere Wünsche auf der Konferenz zu formulieren. Keinesfalls
sei die beständige Fortdauer zu wünschen, sondern gewiß nur eine auf eine be¬
stimmte Zeit formulierte und mit dem Eintritt dieses Zeitpunktes von selbst erlö¬
schende. Ein hohes und greifbares Interesse aber habe Österreich-Ungarn daran,
seine Macht an der unteren Donau erhöht zu sehen. Erlösche die Wirksamkeit der
europäischen Kommission, so könne einer solchen Machterhöhung Vorschub ge¬
leistet werden. Denn der europäischen Kommission substituiere sich in diesem
Falle die Uferstaatenkommission, und die Voten Serbiens und Rumäniens wür¬
den stets das Votum der Pforte balancieren und daher Österreich die faktische
Entscheidung zufallen. In der europäischen Kommission, in welcher noch andere
Staaten mitstimmen, sei unsere Stellung eine prekärere. Sei England an dieser
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. 1. 1871  221

Kommission interessiert, so müßten uns Gegenkonzessionen geboten werden. In
weiterer Folge aber müßte in die Analyse der Uferstaatenkommission eingegan¬
gen werden. Dies sei auch der logische Ausgangspunkt, denn mit dem Wegfall
der europäischen Kommission trete rechtlich die Uferstaatenkommission an ihre
Stelle. Man habe sich aber klar zu machen, wie man sich die Uferstaatenkommis¬
sion für die Zukunft gedacht, denn im Sinne dieser Idee sei sie eben auch un¬
brauchbar für Österreich. Die Uferstaatenkommission, werde gesagt, habe die
Aufgaben ihrer Vorgängerin zu übernehmen, sie sei berufen, alle Schwierigkeiten
an der Donau gemeinsam hinwegzuräumen. Allein es frage sich, welches Interes¬
se Bayern und Württemberg an der unteren Donau haben und ob sie geneigt sein
würden, mit materiellen Mitteln für die Beseitigung der Schiffahrtshindemisse
dort einzutreten. Werde das Eiserne Tor wirklich geöffnet, so schwebe in Ungarn
bereits ein Regulierungsprojekt für die Donau zwischen Gönyü und Komom, das
einen Betrag von 30 Millionen in Anspruch nehmen werde. Es sei denkbar, daß
man in Wien so viel Interesse an der Begünstigung der Schiffahrt an der unteren
Donau finde, daß man sich zu einer Beitragsleistung bestimmt sehen werde, un¬
denkbar aber, daß Bayern und Württemberg sich dazu herbeilassen würden. Der
englische Vorschlag mache sich da die Sache ganz bequem und sei sehr korrekt
vom englischen Standpunkt; die europäische Kommission hätte einfach zu be¬
stimmen, die Uferstaaten hätten zu zahlen. Eine praktische europäische Kommis¬
sion für die ganze Donau sei gar nicht zu wünschen. Da empfehle sich noch weit
eher eine Dreiteilung, eine freie Entscheidung Bayerns und Württembergs über
die Donau bis Passau, Österreich-Ungams bis zur Grenze der Monarchie und der
europäischen Kommission bis zur Mündung ins Schwarze Meer.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern gibt ei¬
nige faktische Aufklärungen. Uns sei die europäische Kommission immer als das
nicht Wünschenswerte erschienen. Seiner persönlichen Überzeugung nach sei
aber auch die Basis der Uferstaatenkommission eine ungesunde und imhaltbare.
Auf derselben seien Bayern, Württemberg, die Pforte und Österreich-Ungarn mit
je einer Stimme vertreten gewesen, dann noch die drei Kommissarien der drei
Donaufürstentümer von damals ohne definierte Stimme ,,pour etablir l&#39;acte du
Danube&quot;. Die Donaufürstentümerkommissäre hätten an den Beratungen teilge¬
nommen und seien von Seite der Pforte mit vieler Rücksicht behandelt worden.
Als es aber zur Unterzeichnung der Akte kam, verweigerte die Pforte, ihnen ein
dezisiertes Votum zuzugestehen, und behauptet als souveräne Macht zur Unter¬
zeichnung allein berechtigt zu sein. In der Tat habe die Pforte die Akte vom
7. November 1857 allein unterzeichnet. Der staatsrechtliche Streit, der daraus
entstanden, sei bis heute nicht ausgeglichen. So habe die Sache bei der Pariser
Konferenz gestanden und sämtliche Mächte sich einmütig gegen unsere Auffas¬
sung in der Sache erklärt. Seit dieser Zeit habe die Uferstaatenkommission gar
nichts getan. Die Additionalartikel, die sie noch zur Akte entworfen, seien ein¬

fach ad acta gelegt worden.
<pb/>222 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. 1. 1871

   Ausgeführt sei die Donau-Akte überhaupt nicht, eben wegen der obenerwähn¬
ten staatsrechtlichen Schwierigkeiten. Die Pforte, bedrängt von der Opposition
aller übrigen Mächte auf der Konferenz habe 1858 erklärt, die Wirksamkeit der
Akte zu suspendieren. Nun gelte diese in Bayern, Württemberg und Österreich-
Ungarn, nicht anerkannt sei sie in den Donaufürstentümem, und von der Pforte
zwar anerkannt und als gültig betrachtet, aber in ihrer Wirksamkeit suspendiert.

   Ministerpräsident Graf Andrässy weist daraufhin, daß ge¬
rade diese Ausführung genügendes Material darbiete, um der Konferenz gegen¬
über die Kommission, wie sie vorhanden sei, ad absurdum zu führen. Die Stimme
Württembergs und Bayerns, ein olfenbar abnormales Verhältnis, böte weitere An¬
haltspunkte.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern knüpft
daran die Bemerkung, daß man sich hier überdies einem Novum gegenüber be¬
finde. Nach den neuen Verträgen Süddeutschlands mit dem norddeutschen Bunde
falle die Vertretung Bayern und Württemberg zu. Es entstehe die Frage, ob nicht
Preußen dann in der Kommission und zwar durch zwei Stimmen vertreten sein
werde.

   Ministerpräsident Graf Andrässy legt gegen eine Heranzie¬
hung Preußens entschieden Verwahrung ein. Der Keim einer europäischen Do-
naukonföderation sei damit gelegt, und gegen eine solche müsse vom Standpunkt
der Interessen und der Dignität Österreich-Ungams mindestens ebenso energisch
protestiert werden, als Rußland dies mit Rücksicht auf seine Dignität gegen die
Neutralisierung des Schwarzen Meeres getan. Er habe nie gebilligt, daß man die
letztere Rücksicht als berechtigt anerkannt habe. Sei dies aber geschehen, so
müsse man gleiches auch für Österreich gelten lassen. In der Donauffage handle
es sich übrigens um technische Fragen, die Uferstaaten seien durch Techniker
vertreten, das Repräsentationsrecht Preußens im Sinne der Verträge könne da der
inneren Natur der Sache nach nicht zur Anwendung kommen.

    Reichskanzler Graf Beust verweist gleichfalls darauf, daß hier
kein politisches oder diplomatisches, sondern ein rein technisches Verhältnis vor¬
walte. Es könne a priori nicht zugestanden werden, daß die deutsche Bundesge¬
walt eine Rechtssukzession in die Stellung Bayerns und Württembergs in der
Donauffage repräsentiere.

    Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern hält den¬
noch für zweifelhaft, ob nicht ein derartiger Anspruch mit Rücksicht auf die Ver¬
träge werde erhoben werden.

    Reichskanzler Graf Beust und Ministerpräsident
Graf Andrässy machen geltend, daß sich in diesem Falle die Sache von
selbst erledige. Eine derartige Konzession sei niemals zuzugestehen.

    Ministerpräsident Graf Andrässy macht nochmals auf die
vorteilhafte Stellung aufmerksam, welche Österreich-Ungarn bei der Zusammen¬
setzung einer Uferstaatenkommission, in welcher Bayern und Württemberg un-
vertreten wären, zufallen würde. Die Pforte müsse eben die Repräsentanten der
<pb/>Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. 1. 1871  223

Donaufürstentümer als vollberechtigt anerkennen und sich mit ihnen über den
Modus der Unterzeichnung abfinden. Jene hätten ein Recht auf eine dezisive,
nicht bloß eine beratende Stimme, weil sie ein materielles Interesse repräsentier¬
ten.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern: Man
habe drei formelle Anhaltspunkte, um sich gegen die Fortdauer der Uferkommis¬
sion, wie sie existiere, auszusprechen: die Änderung des Stimmverhältnisses, was
Bayern und Württemberg anbelange, die Änderung des Stimmverhältnisses der
drei Donaufürstentümer, wo durch die Vereinigung Rumäniens zwei Stimmen an
die Stelle von dreien getreten seien, endlich die Änderung der Verhältnisse im
ganzen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Man habe unumwun¬
den zu erklären, daß der bisherige Modus nicht zu brauchen sei, um die Verhält¬
nisse zu bezeichnen, unter welchen eine Wirksamkeit der Uferstaatenkommission
wünschenswert sei. Dann müsse Österreich-Ungarn auf der Basis dieser Verhält¬
nisse die Kommission als Präsidialmacht einberufen.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern erinnert
an die Vertragspflicht, respektive das Versprechen Österreich-Ungams, die Ufer¬
staatenkommission vor dem April d. J. einzubemfen und die revidierte Donauak¬
te vorzulegen.

   Reichskanzler Graf Beust und Ministerpräsident
Graf Andrässy meinen übereinstimmend, daß man über diesen formellen
Punkt nicht allzu schwer hinauskommen werde. Letzterer fügt hinzu, es sei die
gute Seite der Konferenz, daß man an nichts Positives gebunden sei.

   Reichskanzler Graf Beust gibt einige Andeutungen über den
Entwurf eines formellen Antrages des österreichisch-ungarischen Konferenzbe¬
vollmächtigten. Derselbe habe davon auszugehen, daß nachdem einmal durch
die mssische Anregung die Frage des Schwarzen Meeres und der Schiffahrt auf
demselben gestellt worden sei, die verwandte Frage der Donauschiffahrt und
Mündung nicht mehr umgangen werden könne. Österreich-Ungarn könnte in
jener nicht seine Zustimmung zu Veränderungen in Aussicht stellen, wenn man
sich nicht herbeilasse, dem Standpunkte der Monarchie nicht auch in dieser ge¬
recht zu werden. Wie die Verhältnisse lägen, sei die österreichisch-ungarische
Regierang der Fortdauer der europäischen Kommission unter gewissen Bedin¬
gungen nicht entgegen, ganz imzweifelhaft aber sei, daß die Durchführung der
vertragsmäßigen Bestimmungen über die Uferstaatenkommission ganz unmög¬
lich geworden sei, weil durchgreifende Änderungen in den Verhältnissen einge¬
treten seien.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Es sei hinzuzufügen,
daß es nicht unser Fehler sei, wenn die Durchführung jener Bestimmungen un¬
möglich geworden. Ein eventuelles Eintreten Preußens sei als schlechthin unzu¬
lässig zu bezeichnen. Dann werde Österreich seine eigene Kommission berufen.
<pb/>224 Nr. 32 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 13. 1. 1871

in welcher die nordwestlichen Uferstaaten nur unter der Voraussetzung von Bei¬
tragsleistungen vertreten sein könnten.

   Reichskanzler Graf Beust: Es handle sich bloß um die untere
Donau, und da haben bloß die dabei interessierten Staaten mitzusprechen.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern macht
auf die neutrale Stellung des Donaudeltas und der dortigen Etablissements auf¬
merksam, welche gleichfalls eine Abmachung für die Zukunft erfordern.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Auch dies könne als
Anknüpfungspunkt für die Einbringung der Frage benützt werden. Die Hauptsa¬
che sei, daß wir die Möglichkeit einer Modifikation des Art. XV des Pariser Ver¬
trages erlangen,5 welcher die Einhebung einer Schiffahrtsgebühr ausschließt.
Dies sei mit Rücksicht auf die Wiedererlangung unserer vollen Souveränität über
die Donau und die eventuell vorzunehmende Arbeit am Eisernen Tor notwendig.

   Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagern verweist
auf Art. 21 der Schiffahrtsakte, eines für Österreich gültigen Gesetzes, in wel¬
chem [das] Recht, Gebühren einzuheben, unter gewissen Voraussetzungen zuge¬
standen ist.6

    Ministerpräsident Graf Andrässy: Das würde vollständig
genügen, wenn man die Uferkommission der Akte noch vor Augen haben könnte.
Diese aber sei unpraktisch, weil Bayern und Württemberg eben keine Beiträge
leisten würden. So könne Art. 21 nur als Basis eines gewissen begründeten An¬
spruches dienen. Die Hauptsache sei, daß für den Fall, daß die Kommission nicht
zustande kommt, uns das Recht der Einhebung einer Gebühr am Eisernen Tor
nach Maßgabe der wirklichen Auslagen und unter der Bedingung gleicher Zah¬
lung der Schiffe aller Flaggen endlich mit dem Prinzip der Amortisation von
vomeher geboten werde. Einem Institute oder Staate muß dies Recht als Vorbe¬
dingung der Beseitigung der Schiffahrtshindemisse an der unteren Donau einge-
räumt werden, und es sei notwendig, daß es uns eingeräumt werde, weil es we¬
sentlich mit unserem Interesse Zusammenhänge. Das Eiserne Tor schließe unsere
Schiffahrt ab, und es erwachse die Aufgabe für Österreich-Ungarn, für sich selbst
zu sorgen. Eine Einflußnahme aller europäischen Staaten, die Anbahnung einer
Donaukonföderation sei schlechthin zurückzuweisen. Preußen habe Österreich
aus der deutschen Stellung verdrängt, weil nicht zwei große Staaten gleichzeitig
Stimmführer sein könnten, es sei ebenso unzulässig, Preußen eine gleichberech¬
tigte Stimme im unteren Donaubecken einzuräumen. Da sei die Wiedergewin¬
nung der vollen Souveränität bei weitem vorzuziehen, und diese werde eintreten,
wenn nichts anderes zustande komme. Aber es könne nicht oft genug wiederholt
werden, die Feststellung einer allgemeinen Entscheidung über unser Donauge¬
biet widerspreche der Würde Österreich-Ungams nicht minder als die Neutrali-

 5 Siehe GMR. v. 17. 12. 1870, RMRZ. 96. Anm. 7.
 6 Donauschijfahrts-Acte vom 7. November 1857: In: Aktenstücke zur orientalischen Frage

         Bd. 3 149-158.
<pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 15. 1. 1871  225

sierung des Schwarzen Meeres der Dignität Rußlands. Letzteres sei an sich nicht
anzuerkennen, habe man es aber einmal als Prinzip aufgestellt, so biete es von
selbst den Anknüpfungspunkt für die Haltung Österreichs. Hier liege der Kausal¬
nexus zwischen beiden Fragen, und dieser Nexus sei eben zu benützen und aus¬
zubeuten.

   Sektionschef Freiherr v. Orczy: Es sei keineswegs allzu
sehr zu bedauern, wenn nichts zustande komme, Österreich werde durch die Wie¬
dererlangung seiner Souveränität nur Vorteile erreichen. England habe ein unge¬
heures Interesse an der Fortdauer der europäischen Kommission und werde die¬
sem Interesse unzweifelhaft Ausdruck geben.

   Ministerpräsident Graf Andrässy pflichtet dieser Auffas¬
sung bei und fügt hinzu, daß sich England gerade mit Rücksicht auf sein Interes¬
se zu Gegenkonzessionen an Österreich-Ungarn veranlaßt sehen müsse.

   Nach einigen weiteren Bemerkungen, welche im wesentlichen den Inhalt der
Debatte rekapitulieren, wird Hof- und Ministerialrat Freiherr v. Gagem eingela¬
den, vorläufig den Entwurf einer formellen Instruktion für die österreichisch¬
ungarischen Bevollmächtigten auf der Londoner Konferenz im Sinne der
Verhandlung und als Beratungsbasis für die nächste Ministerkonferenz festzu¬
stellen.

   Womit die Sitzung geschlossen wird.
                                                                  [Unterschrift von Beust fehlt.]

[Ah. E. fehlt.]

        Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 15. Jänner 1871

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (17. 2.), der Reichskriegsminister Frei¬
herr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (4. 2.), der k. k. Finanzminister Freiherr v.
Holzgethan(ll. 2.), der kgl. ung. Kommunikationsminister v. Gorove (o. D.), der kgl. ung. Finanz¬
minister v. Kerkäpoly (o. D.), Oberst König.
    Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg.
    Gegenstand: I. Militärgrenze. II. Stellvertreterfond. III. Antrag der cisleithanischen Delegation
aufEinsetzung einer Enquetekommission behufs Aufstellung eines Normalbudgets.

   KZ. 84 - RMRZ. 99
   Protokoll des zu Ofen am 15. Jänner 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
<pb/>