Gemeinsamer Ministerrat, 17. 12. 1870
I. Instruktion für den k. u. k. Botschafter in London bezüglich der Haltung Österreich-Ungarns auf der bevorstehenden Konferenz zur Regelung der Pontusfrage
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z30.pdf.
II. Bemerkungen des Reichskriegsministers aus Anlaß der Nachrichten über die bevorstehende Rekrutierung in Rußland
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z30.pdf#page=9.
202 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 Nachdem Seine Majestät der Kaiser noch darauf aufmerksam gemacht, daß in der ungarischen Delegation dafür vorzusorgen sei, daß nicht allzufrüh eine Nach¬ giebigkeit der deutschen Delegation gegenüber eintrete und nicht jetzt schon gemeinsame Besprechungen eingeleitet würden, und Ministerpräsident Graf Andrässy und Reichsfinanzminister ihre pflichtmäßige Bereitwilligkeit aus¬ gesprochen, im Sinne des Ah. Befehles zu wirken, wird die Sitzung geschlos¬ sen. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Innsbruck, 5. Jänner 1871. Franz Joseph. Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. Dezember 18701 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (25. 12.), Vizeadmiral v. Tegetthoff (20. 12.). Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg. Gegenstand: I. Instruktion für den k. u. k. Botschafter in London bezüglich der Haltung Öster¬ reich-Ungarns auf der bevorstehenden Konferenz zur Regelung der Pontusfrage. II. Bemerkungen des Reichskriegsministers aus Anlaß der Nachrichten über die bevorstehende Rekrutierung in Ru߬ land. KZ. 4715-RMRZ. 96 Protokoll des zu Ofen am 17. Dezember 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. I. Seine Majestät der Kaiser geruhte die Sitzung zu eröffnen und zunächst dem Reichskanzler Grafen Beust das Wort zu erteilen. Reichskanzler Graf Beust: Es handle sich darum, der bevor¬ stehenden Konferenz gegenüber den k. u. k. Botschafter in England2 mit den nö¬ tigen Instruktionen zu versehen und ihn in die Lage zu versetzen, nicht nur gleich bei Beginn der Verhandlungen über das österreichisch-ungarische Programm vollständig orientiert zu sein, sondern auch dies Programm im Verlaufe der Kon¬ ferenz durch eventuelle Anträge usf. festzuhalten. Die erste Frage, die sich dabei Über den Ministerrat ausßhrlich Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußi¬ sche Krieg 1870-1871 192--196; Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches 380-381; Palotäs, A nemzetközi Duna-hajözäs a Habsburg-Monarchia diplomä- ciäjäban 1856-1883 46-47. 2 Siehe GMR. v. 22. 8. 1870, RMRZ. 78. Anm. 12. <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 203 aufwerfe, sei eine formelle, nichtsdestoweniger aber eine sehr entscheidende und wichtige. Bekanntlich habe Rußland durch ein Zirkular vom 19./31. Oktober d. J. seine Lossagung von gewissen Bestimmungen des Pariser Vertrages den übrigen Mäch¬ ten notifiziert.3 Infolge der lebhaften Einsprache der anderen Mächte sei der Kon¬ ferenzgedanke aufgegriffen worden, u. zw. in dem Sinne, daß die Präjudizlosig- keit der Konferenz zur Voraussetzung ihres Zustandekommens gemacht wurde. An diesem Standpunkte sei festzuhalten und ein Zustand auf der Konferenz selbst zu schaffen, durch welchen der russische Gesandte zur ausdrücklichen oder still¬ schweigenden Unterwerfung unter denselben genötigt werde. Die Berichte aus Rußland melden übereinstimmend, [daß] die erste Aufregung zur Zeit des Zirkulars ruhigeren und nüchternem Erwägungen Platz gemacht habe. Österreich dürfte auf die Unterstützung Englands und Italiens bauen - der Anschluß der Türkei sei ebenfalls unzweifelhaft. Was Frankreich anbelangt, so sei dessen Teilnahme an der Konferenz noch nicht gewiß, wahrscheinlich werde es indes durch England vertreten sein. Preußen sei allerdings als geheimer Advo¬ kat Rußlands anzusehen, allein schwerlich werde es seine Stimme offen gegen die der übrigen Mächte erheben. Die Chancen seien also günstig, um den Satz entschieden und unzweideutig auszusprechen, daß die Konferenz nicht anders verhandle als auf Basis des Art. 14 des Pariser Friedens, dergestalt, daß die Be¬ stimmungen desselben nur durch die Übereinstimmung der Signatarmächte abge¬ ändert werden können, woraus dann von selbst folge, daß letzteren im Falle der Resultatlosigkeit der Konferenz die volle Aufrechterhaltung und ihre frühere Geltung gesichert sei.4 Seine Majestät der Kaiser geruht, die Diskussion zunächst über diesen Punkt zu eröffnen. Ministerpräsident Graf Andrässy greift gleichfalls den Ge¬ danken auf, daß im Falle der Resultatlosigkeit der Konferenz den Bestimmungen des Pariser Vertrages ihre Rechtsbeständigkeit gesichert sein müsse. Er sei ganz der Meinung, daß nur auf Basis dieses Vertrages, der in allen Punkten als gültig vorauszusetzen sei, verhandelt werden könne. Es würden kaum große Hindernis¬ se obwalten, dieser Voraussetzung prägnanten Ausdruck zu geben. Auch Preußen werde dafür vielleicht zu gewinnen sein. Seine Majestät der Kaiser bemerkt, daß Rußland wenigstens bei Beginn der Konferenz nicht geneigt sein werde, eine ausdrückliche Erklärung hinzunehmen, daß im Falle der Resultatlosigkeit der Konferenz die früheren Be¬ stimmungen einfach als rechtsgültig anzusehen seien. Es werde sich daher emp¬ fehlen, diesen Satz eben nicht ausdrücklich zu betonen, sondern mehr als etwas Selbstverständliches aus der Natur der Sache sich Ergebendes hinzustellen. Über die Zirkularnote Rußlands siehe GMR. v. 14. 11. 1870, RMRZ. 91. Gegenstand: II. Art. 14 des Pariser Vertrages siehe GMR. v. 14. 11. 1870, RMRZ. 91. Anm. 7. <pb/>204 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 Reichskanzler Graf Beust: Praktisch werde sich unschwer eine Form linden lassen. Der russische Gesandte werde schweigen, das Protokoll unterzeichnen und keinen Protest erheben. Ministerpräsident Graf Andrässy glaubt, daß von russi¬ scher Seite sich um so weniger wesentliche Schwierigkeiten heraussteilen wer¬ den als Rußland ja sogar gegen einen ,,bläme" der Mächte keine Einwendung erhoben habe. Seine Majestät der Kaiser betont, daß immerhin das Gegenteil im Falle ausdrücklicher Akzentuierung des Satzes eintreten könne: Die Mächte würden dann auf ihrem Standpunkt beharren, Rußland auf dem seinigen. Der Ausdruck und die Sache ,,bläme" umschließe weniger als die schroffe Betonung des in Rede stehenden Standpunktes. Ministerpräsident Graf Andrässy weist darauf hin, daß Rußland selbst zugegeben habe, daß es wesentliche Einwendungen nicht erheben werde. Aus den russischen Erklärungen lasse sich überdies eine indirekte Aner¬ kennung des Satzes deduzieren. Seine Majestät der Kaiser hebt hervor, daß damit etwas ge¬ schaffen werde, was man eigentlich als ein wertvolles Ergebnis der Konferenz selbst betrachten müsse. Jedenfalls wäre damit ein großes Resultat gewonnen von hohem moralischem Gewicht gegenüber der Bevölkerung des Orients. Reichskanzler Graf Beust führt aus, daß man, um die Empfind¬ lichkeit Rußlands zu schonen, sehr versöhnlich in der Form sein müsse; in der Sache aber könne man sehr weit gehen. Ministerpräsident Graf Andrässy drückt seine volle Über- einstimmung mit der Bemerkung des Reichskanzlers aus. Reichskanzler Graf Beust macht daraufaufmerksam, daß durch dies Ergebnis etwas auf der Konferenz erreicht werde, was man vor der Konfe¬ renz durch einen Kollektivschritt zu erreichen die Absicht hatte, worauf Mini¬ sterpräsident Graf Andrässy noch geltend macht, daß Rußland nur der einen Forderung, seine Zirkulardepesche zurückzuziehen, Widerstand entgegensetzen dürfte. Seine Majestät der Kaiser geruht hierauf, bezüglich dieses Punktes dem Anträge des Reichskanzlers die Ah. Genehmigung zu erteilen. Reichskanzler Graf Beust geht sodann in das Meritorium der Sache ein. Es entstehe die Frage, welche Bestimmung festgestellt werden solle, wenn eben die alten Normen aufgehoben würden, welche Garantien man den früheren substituieren müsse, um eventuelle Gefahren abzuwehren. Die Haltung der Türkei sei eine schwache und beschränke sich auf die Aufstellung zweier Bedingungen, die erste sei, daß die Öffnung der Dardanellen und des Bosporus wieder in das freie Ermessen der Pforte gestellt werde, die zweite, die mehr einen Wunsch als eine Forderung ausdrücke, sei, daß sämtliche Mächte dem zwischen Österreich, England, Frankreich und der Pforte abgeschlossenen Separatvertrag <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 205 vom 15. April 1856 beitreten.5 Diese beiden Vorschläge könnten nicht als genü¬ gend betrachtet werden. Der zweite Antrag sei nicht ganz von der Hand zu weisen, obwohl der ganze Antrag etwas obsolet undjetzt durch die Lage Frankreichs auch unnütz geworden sei. Große Engagements seien durch einen Beitritt zum Vertrage nicht zu besor¬ gen, der frühere Separatvertrag sei viel bedenklicher gewesen, da nicht alle Mächte demselben beigetreten waren, er also die Konsequenzen einer Verschie¬ denheit der Auffassung viel leichter zuließ. Finde der Antrag jetzt die Zustim¬ mung aller Mächte, so enthalte diese Tatsache einen großen moralischen Vorzug, weil damit die Integrität des Osmanischen Reiches neuerdings formell anerkannt und die Hinneigung der christlichen Bevölkerung der Türkei zu Rußland abge¬ schwächt werden würde. Dieser Bedingung der Türkei entgegenzutreten, emp¬ fehle sich also nicht. Andererseits werde die Öffnung des Schwarzen Meeres als Gegengarantie ge¬ gen die russische Forderung der Aufhebung der Neutralität desselben angespro¬ chen. Das erscheine nach zwei Richtungen hin ungenügend. Es genüge nicht, daß die Pforte das Recht habe, das Schwarze Meer zu öffnen, sondern es müsse der Entwicklung der russischen Flotte gegenüber auch die Bestimmung über eine normale Präsenz der Schiffe anderer Mächte aufgenommen werden. Es sei eine Bürgschaft gegen die Lässigkeit der Pforte zu gewinnen, und da entstehe die Fra¬ ge, ob nicht auch für einen Stationshafen im Schwarzen Meere vorzusorgen sei. Der zweite Punkt betreffe den Umstand, daß es nicht genügend sei, dafür vorzu¬ sorgen, daß fremde Schiffe durch die Dardanellen ins Schwarze Meer gelangen können, sondern daß auch das Auslaufen russischer Schiffe aus dem Schwarzen Meer in Betracht komme. Auch gegen letzteres seien eventuell Garantien zu ge¬ winnen, u. zw. entweder durch den allgemeinen oder einen allenfalls auch gehei¬ men Separatvertrag mit der Pforte. Ministerpräsident Graf Andrässy schließt sich der Mei¬ nung des Reichskanzlers an, daß die Bedingungen der Pforte matt und ungenü¬ gend seien. Das der Pforte zugestandene Fakultativrecht, die Dardanellen und den Bosporus zu eröffnen, habe jedoch unleugbar einen gewissen Wert. Russi- scherseits werde man vielleicht die Zugestehung dieses Rechtes in Frage stellen, aber schwerlich zu verhindern vermögen. Denn es sei der Ton darauf zu legen, daß Rußland selbst auf der Pariser Konferenz vom Jahre 1856 mit ähnlichen Vor¬ schlägen hervorgetreten und mithin gewissermaßen gebunden sei. Jedenfalls aber sei das nicht ausreichend. Es entstehe die Frage, ob die Sperre der Dardanellen und des Bosporus das Durchlaufen gepanzerter Schiffe hindern könne. Vizeadmiral v. Tegetthoff beantwortet diese Zwischenfrage dahin, daß sich die Sperre zweifellos als unzureichend herausstellen werde. Vertrag zwischen England, Frankreich und Österreich v. 15. 4. 1856. Aktenstücke zur ori¬ entalischen Frage Bd. 2 470. <pb/>206 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 Seine Majestät der Kaiser bemerkt, daß dieser Umstand ein Grund mehr sei, den Türken zu beweisen, daß sie zu wenig begehren und noch materieller Hilfe bedürfen. Ministerpräsident Graf Andrässy betont das moralische Gewicht dieser Forderung, die also trotz ihres bloß theoretischen Wertes zu sou- tenieren wäre. Aber eben weil sie für sich nicht ausreichend sei, müsse eine ande¬ re Garantie hinzutreten. Es sei daher eine Verfügung in der Richtung notwendig, daß europäische Schiffe in beliebiger Anzahl im Schwarzen Meere existieren können. Dies Problem habe bereits die Pariser Konferenz beschäftigt, und damals sei österreichischerseits der Antrag gestellt worden, daß jede Macht berechtigt werde, ein Schiff zu bauen, wenn Rußland zwei Schiffe bauen würde, um ein gewisses Gleichgewicht herzustellen. Es sei nicht nötig, formell auf diesen da¬ mals abgelehnten Antrag zurückzukommen, aber allerdings müsse die Neutralität des Schwarzen Meeres durch eine Präsenz der übrigen Mächte ersetzt werden. Ein zweiter Punkt betreffe die Freiheit der Donaumündung. Das bisherige Recht der Mächte, zwei leichte Schiffe zum Schutze der europäischen Interessen dort zu halten, müsse dem Anwachsen der russischen Flotte entsprechend erwei¬ tert werden. Es sei augenblicklich noch nicht erforderlich, eine bestimmte Zahl auszusprechen. Man könne diese übrigens entweder limitieren oder allgemein von einer größeren Anzahl sprechen. Die Hafenfrage und die Frage der Vermeh¬ rung der Donaustationsschiffe böten aber allerdings materielle Garantien. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn und Vize¬ admiral v. Tegetthoff erklären bezüglich der Hafenfrage, daß ein¬ zelne Punkte am Schwarzen Meere zwar Fiebern unterworfen, Sinope aber und Trapezunt sowie andere Häfen gesund und fieberfrei sind. Letzterer macht darauf aufmerksam, daß alle türkischen Häfen der Benützung durch fremde Mächte zu¬ gänglich seien, da die Pforte Beschränkungen in dieser Beziehung nicht einge- führt habe. Seine Majestät der Kaiser hebt hervor, daß die Zahl der im Schwarzen Meere befindlichen fremden Schiffe entweder ausdrücklich festge¬ stellt oder durch eine Verhältniszahl gegenüber der russischen Flotte ausgedrückt werden müsse. Reichskanzler Graf Beust hält die Bezeichnung eines bestimm¬ ten Hafens nicht für ganz überflüssig, da es wesentlich sei, daß dieser mit dem Charakter einer europäischen Flottenstation ausgestattet erscheine. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn glaubt, daß in diesem Falle die Notwendigkeit einer Flottenvermehrung sich heraussteilen wer¬ de, da die im Schwarzen Meere liegenden Schiffe als eine gebundene Kraft zu betrachten sein würden. Reichskanzler Graf Beust macht dem¬ gegenüber geltend, daß im Falle des Bedarfes nichts entgegenstehe, die Schiffe aus dem Schwarzen Meere herauszuziehen. Vizeadmiral v. Tegetthoff will gleichfalls auf das strategische Moment kein allzugroßes Gewicht legen. Wichtig sei das moralische Moment, <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 207 daß Schiffe fremder Mächte sich im Schwarzen Meere zeigten usw. Der Aus¬ druck einer Verhältniszahl werde übrigens Schwierigkeiten unterworfen sein. Ministerpräsident Graf Andrässy schaltet ein, daß es sich nicht sowohl um die Verpflichtung zur Stationierung einer Flotte als vielmehr um ein Recht dazu handle, und geht sodann auf den zweiten Punkt der türkischen Forderungen, auf die Ausdehnung des Separatvertrages vom 15. April 1856 auf alle Mächte über. Es sei zweifelhaft, wie die Sache mit Rücksicht auf die Stellung Ignatievs6 aufzufassen sei. Rußland spreche in einem ganz eigenen Jargon mit der Pforte. Unwahrscheinlich aber sei es, daß Rußland den Vertrag mitunterzeichnen werde. In diesem Falle sei es auch für Österreich nicht rätlich, auf der türkischen Forderung zu bestehen. Würde Rußland mitunterzeichnen, so wäre das ein Ge¬ winn mit Rücksicht auf die orientalische Bevölkerung, welcher gegenüber die Integrität der Türkei ein neues Relief erhielte. Unterzeichne es nicht, so sei auch eine verwehrte Unterzeichnung durch die übrigen Mächte wenig angezeigt. Es würde den Anschein haben, als sammle man Unterschriften mit Rücksicht auf die Lage Frankreichs. Reichskanzler Graf Beust: Es sei notwendig, den öster¬ reichisch-ungarischen Standpunkt von vornherein dahin zu präzisieren, daß man dem Wunsche unter der Voraussetzung der Unterzeichnung von Seite aller übri¬ gen Mächte nicht entgegentreten werde. Vizeadmiral v. Tegetthoff hält eine allgemeine Bestimmung in der Hafenfrage für ausreichend. Die spezielle Bezeichnung eines bestimmten Ha¬ fens werde sich wohl nicht als notwendig heraussteilen. Auf eine Anfrage des Ministerpräsidenten Grafen Andrässy fügt er hinzu, daß Konsule fremder Mächte sowohl in Sinope als in Trapezunt residieren. Seine Majestät der Kaiser stellt die Frage, wie die Türkei dar¬ an gehindert werden könne, eventuell den russischen Schiffen die Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen zu gewähren. Vizeadmiral v. Tegetthoff weist auf ältere Vertragsbestimmun¬ gen hin, nach welchen den Russen nur gestattet war, eine mäßige Anzahl leichter Schiffe im Mittelmeere zu halten. Ministerpräsident Graf Andrässy sieht keine besondere Gefahr einer solchen Eventualität. Allerdings aber sei ihm durch einen geheimen Vertrag nicht wohl abzuhelfen, denn das Geheimnis würde fallen, sobald die Sa¬ che praktisch werden und die Türkei genötigt sein würde, den Vertrag einzugeste- hen. Eine weit ausreichendere Bürgschaft liege in dem Schwergewichte der tür¬ kischen Interessen, die sich einer Annäherung an Rußland wohl stets verschließen würden. Vizeadmiral v. Tegetthoff beurteilt die türkischen Interessen in gleicher Weise, ist aber der Ansicht, daß vom theoretischen Standpunkte gegen 6 Siehe GMR. v. 14. 11. 1870, RMRZ. 91. Anm. 11. <pb/>208 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 die volle Freiheit der Pforte in dieser Richtung Kautelen notwendig sein wür¬ den. Seine Majestät der Kaiser betont die Notwendigkeit, daß der Pforte die Verpflichtung aufgelegt werde, einer bestimmten Anzahl von Schiffen fremder Mächte den Einlaß im Schwarzen Meer zu gestatten. Diese hätten gewis¬ sermaßen die Polizei zu repräsentieren. Daneben sei die Vermehrung der Schiffe zur Überwachung der Freiheit der Donaumündung erforderlich. Bis jetzt be¬ schränke sich das Recht der fremden Mächte auf die Stationierung zweier Schif¬ fe; es entstehe die Frage, welche Ausdehnung dem Recht gegeben werden solle. Ministerpräsident Graf Andrässy: Die Anzahl müsse ent¬ weder in das Belieben der Mächte gestellt oder eine Verhältniszahl gegenüber Rußland fixiert werden. Es empfiehlt sich aber, bezüglich dieser Details erst auf der Konferenz schlüssig zu werden. Reichskanzler Graf Beust reiht hieran ein weiteres Moment, welches gewissermaßen den Schlußstein der durch die Konferenz zu erzielenden Haltung der Mächte bilde. Es sei ganz nützlich, theoretisch den Standpunkt fest¬ zustellen, daß im Falle einer Resultatlosigkeit der Konferenz die älteren Bestim¬ mungen aufleben. Man müsse sich aber die praktischen Folgen vor Augen halten, und diese würden sein, daß beide streitenden Teile auf ihrem Standpunkt verharr¬ ten. Rußland würde somit anfangen zu bauen. Demgegenüber könne aber auch nur ein tatsächliches Vorgehen politisches Gewicht behaupten. An England, Italien, die Türkei und Österreich trete die Notwendigkeit heran, sich durch einen Vertrag in diesem Sinne zu einigen, durch welchen die nötige Gegenwirkung erzielt werde. Das tatsächliche Vorgehen Rußlands müsse sofort durch die äußere Tatsache eines Erscheinens der Kriegsschiffe und durch die De¬ monstration der Ansammlung in einem Hafen beantwortet werden. Das sei der einzuschlagende Weg, wenn man nicht Krieg anfangen wolle, und deshalb sei vielleicht die Bezeichnung eines Hafens wünschenswert. Ministerpräsident Graf Andrässy meint, es ließen sich manche Vorteile dafür anführen, diese Einzelbezeichnung zu vermeiden, allein bei einer Gleichstellung aller Häfen würde vielleicht gar keiner von einer der Mächte beschickt werden. Werde aber "nebst dem allgemein ausgesprochenen Prinzip, daß die im Schwarzen Meere stationierenden Kriegsschiffe der europäi¬ schen Mächte in allen Häfen frei einlaufen können, noch ein einzelner Hafen als spezielle Station bezeichnet," so werde das Recht von den Mächten gewisserma¬ ßen als Gamisonspflicht betrachtet werden und das sei besonders für den Anfang nötig, um ein Gegengewicht gegen Rußland in die Waagschale zu werfen. Seine Majestät der Kaiser hebt gleichfalls hervor, daß ein sol¬ cher Hafen als Sammelplatz betrachtet werden würde. Es sei notwendig, augen¬ blicklich via facti vorzugehen. a-a Korrektur Andrässys aus bloß ein einziger hergerichtet. <pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 209 Reichskanzler Graf Beust bezeichnet es als nützlich, das even¬ tuelle Abkommen gar nicht sehr geheimzuhalten. Es verschlage nichts und werde von Vorteil sein, wenn Rußland darum wisse. Ministerpräsident Graf Andrässy lenkt die Aufmerksam¬ keit auf einen weiteren Punkt. Durch Art. XV des Pariser Vertrages von 1856 sei die Donau frei erklärt worden.7 Eine Ausnahme wurde gewissermaßen nur für Sulina statuiert, wo die Einnahme einer Peage für die Arbeiten der europäischen Donaukommission gestattet wurde. Die Fortdauer der letzteren sei nun in Frage gestellt, die ganze Angelegenheit werde zur Besprechung kommen. Rußland und die Türkei seien gegen die Fortdauer. Es empfehle sich für Österreich-Ungarn, das Anerbieten zu stellen, daß es die Hindernisse im Eisernen Tore beseitigen werde, falls ihm als Gegenleistung gestattet würde, eine Peage beim Eisernen Tore einzuheben, gleich für all Pavillons und mit dem Grundsätze der Amortisie- rung der Auslagen, so daß nach Deckung der Anlage die Donau wieder völlig frei werden würde. Vom Standpunkte der österreichisch-ungarischen Handelsinteres¬ sen sei es überflüssig, dem Anträge eine weitere Motivierung hinzuzufügen. Reichskanzler Graf Beust bemerkt, daß eine Fortsetzung der europäischen Kommission doch noch möglich sei. Russischerseits beabsichtige man, die Angelegenheit auf die Konferenz zu bringen. Ministerpräsident Graf Andrässy meint, daß in diesem Falle die Zuziehung von Vertretern der Donauuferstaaten kaum zu umgehen sein werde. Österreichischerseits sei nicht allzuviel Gewicht auf die Erhaltung der Kommission zu legen, wenn die Peage im Eisernen Tore zu erreichen wäre. Blei¬ be die Kommission, dann falle ihr die Beseitigung der Hemmungen der Schiff¬ fahrt zu, dann aber sei es nötig festzustellen, inwieweit sie die Flußpolizei und im allgemeinen die Flußjurisdiktion auszuüben berechtigt sein solle. Es mache sich die Ansicht geltend, daß sich diese bis zu dem Punkte erstrecken solle, wo die Donau nicht mehr auf beiden Seiten vom österreichischen Terrain umgeben sei. Es werde aber wohl zweckmäßig sein, im allgemeinen die österreichische Grenze als Endpunkt jener Jurisdiktion zu bezeichnen. Die Kommission könne nun fort- bestehen oder nicht, die Donau werde jedenfalls frei sein, wenn sich die Kosten für die Anlagen zur Beseitigung der Hindernisse ausgezahlt hätten. Art. 15 des Pariser Vertrages: ...Die Schiffahrt auf der Donau kann keiner Beschränkung oder Aufgabe unterworfen werden, die nicht ausdrücklich in den folgenden Artikeln enthal¬ tenen Stipulationen vorgesehen sind. In Folge dessen wird keine Abgabe erhoben werden können, die sich einzig und allein auf die Thatsache der Beschifiung des Flusses stützt, noch irgend ein Zoll aufdie an Bord der Schiffe befindlichen Waren. Die Polizei- und Quarantaine- Reglements zur Sicherheit der Staaten, die dieser Fluß trennt oder durchstömt, werden der Art abgefaßt sein, daß sie die Cirkulation der Schiffe so viel als thunlich begünstigen. Außer diesen Reglements wird kein anderes Hindemiß, welcher Art es auch sein mag, der freien Schiffahrt entgegengesetzt. In\ Aktenstücke zur orientalischen Frage Bd. 2 347. <pb/>210 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 Reichskanzler Graf Beust resümiert sodann die Verhandlung zur Aufstellung eines politischen Programms für die Haltung Österreich-Ungams auf der bevorstehenden Konferenz in nachstehender Weise: Im Falle eine Revision des Pariser Vertrages durch die Übereinstimmung der Mächte zu erzielen wäre, sei der Pforte das fakultative Recht der Eröffnung der Dardanellen und des Bospoms zuzugestehen und die freie Zulassung einer ge¬ wissen Anzahl von Schiffen fremder Mächte zu stipulieren. Es sei im allgemei¬ nen Vertrag oder durch eine spezielle Abmachung mit der Pforte festzustellen, daß letztere einen Hafen als Stationsplatz für Schiffe fremder Mächte einzuräu¬ men habe, deren Zahl dem Anwachsen der mssischen Seemacht im Schwarzen Meere entsprechend erhalten werden müsse. Was das Auslaufen der mssischen Flotte aus dem Schwarzen Meere anbelan¬ ge, so sei im wesentlichen der Zustand vor dem Jahre 1856 herbeizuführen. Die Zahl der an der Donaumündung stationierten Schiffe der Signatarmächte sei ent¬ sprechend zu erhöhen. Gegenüber der Frage der Fortdauer der europäischen Donaukommission wer¬ de sich Österreich zunächst zustimmend verhalten, eventuell mit dem Anfrage hervorfreten, selbst die Hindernisse der Schiffahrt am Eisernen Tore zu beseitigen gegen das Zugeständnis der Einhebung einer Peage in gleicher Höhe für alle Flaggen und mit dem Prinzip einer Vergütung und Amortisierung bis zur Dek- kung der Anlagekosten. Dem Wunsche der Pforte, dem Spezialverfrag vom 15. April 1856 neuerdings zuzustimmen, sei nur in der Voraussetzung und in der Weise zu entsprechen, daß sich sämtliche Signatarmächte diesem Vertrage anschließen, und habe der betref¬ fende Vorschlag daher nicht von Österreich-Üngam auszugehen. Für den Fall, als eine Verständigung über die Revision nicht zustande komme, sei als Prinzip die Gültigkeit des Vertrages von 1856 in allen seinen Teilen anzu¬ erkennen. Ziehe aber Rußland sein Zirkular vom 19./31. Oktober nicht zurück, so sei eine Abmachung der übrigen Mächte zu dem Ende zu erzielen, eine von Rußland her- beigefuhrte Tatsache sofort mit der Demonstration der Absendung von Schiffen und ihre Stationierung in einem Hafen des Schwarzen Meeres zu beantworten. Seine Majestät der Kaiser geruht, sämtlichen Anträgen dieses Programms die Ah. Genehmigung zu erteilen. II. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn verliest ein Telegramm des österreichisch-ungarischen Militärbevollmächtigten in St. Peters¬ burg Freiherm v. Bechtolsheim8 über die Vornahme der Rekrutenaushebung im Reiche und Königreiche Polen. Trotz der nicht ganz klaren Fassung dieses Tele¬ gramms sei aus demselben mit Bestimmtheit zu entnehmen, daß die Rekrutierung in sehr großem Umfange vorgenommen und im Monate März k. J. beendet sein werde. Namentlich der letztere Umstand veranlasse ihn, neuerdings auf seinen Über Major Anton Baron Bechtolsheim siehe GMR. v. 11. 9. 1870, RMRZ. 84. Anm. 4. <pb/>Nr. 31 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. 1. 1871 211 Antrag zurückzukommen, die Rekrutierung für die im Reichsrate vertretenen Kö¬ nigreiche und Länder im Februar und März anzuordnen und zu Ende zu fuhren und die Wichtigkeit dieses Antrages mit Beziehung auf die allgemeine Lage und das Vorgehen Rußlands warm zu motivieren. Seine Majestät der Kaiser geruhte zu bemerken, daß nach Mit¬ teilung des Ministerpräsidenten Grafen Potocki die Vorarbeiten zur Rekrutierung dem Aaitrage des Reichskriegsministers entsprechend bsogleich eingeleitet wer¬ den15, womit die Sitzung geschlossen wurde. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Innsbruck, 2. Jänner 1871. Franz Joseph. Nr. 31 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. Jänner 1871 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (17. 1.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (16. 1.), der k. k. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan (20. 1.), der kgl. ung. Finanzmi- nister v. Kerkäpoly. Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Durchführung der Divisionseinteilung. II. Bau der Eisenbahnlinie Villach-Fran¬ zensfeste. III. Meinungsdifferenz der beiden Landesfinanzminister über den Fälligkeitstermin der ungarischen Beitragsquoten zu den Zinsen der konsolidierten Staatsschuld. KZ. 71 -RMRZ. 97 Protokoll des zu Wien am 9. Jänner 1871 abgehaltenen Ministerrates für ge¬ meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers Grafen Beust. [L] Reichskanzler Graf Beust eröffnet die Sitzung mit der Bekanntgabe, daß Seine Majestät der Kaiser über zwei Vorlagen des Kriegsmini¬ sters die Beratung in einer Ministerkonferenz anzuordnen geruht habe, und bezeichnete als ersten Gegenstand der heutigen Tagesordnung die Nachtragsfor¬ derung des Kriegsministers wegen Geldbewilligung zur Durchführung der Divi¬ sionseinteilung, indem er zugleich betonte, daß dies ein Gegenstand sei, welcher von Seite Ungarns eifrig befürwortet werde.1 b_b Korrektur des Kaisers aus bereits eingeleitet seien. 1 Aufdie Einberufung des Ministerrates drängt in Sachen der ersten beiden Tagesordnungspunk¬ te der Reichskriegsminister: Kuhn an Beust v. 5. 1. 1871, HHStA., PA, I. Karton 560. Überdie Durchßihrung der Divisionseinteilung siehe GMR. v. 6. 11. 1870, RMRZ. 90. Anm. 6. <pb/>