Gemeinsamer Ministerrat, 11. 12. 1870
I. Antrag der deutschen Delegation über Zusammenstellung einer Enquêtekommission zur Feststellung eines Normalfriedensbudgets
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z29.pdf.
II. Antrag des Reichsministers v. Lónyay bezüglich einer Regierungsvorlage betreffend die Deckung des Bedarfs für zwei Monate bis zur Votierung des Budgets
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Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 195 Reichsfinanzminister v. Lönyay wird dementsprechend eingeladen, die Inter¬ pellationsbeantwortung, welche Dienstag erfolgen könnte, im Sinne der Ergebnis¬ se der Verhandlung zu entwerfen, worauf die Sitzung geschlossen wird.8 Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Ofen, 16. Dezember 1870. Franz Joseph. Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. Dezember 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn, der Reichsfinanzminister v. Lönyay (9. 1. 1871). Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg. Gegenstand: I. Antrag der deutschen Delegation über Zusammenstellung einer Enquetekommis¬ sion zur Feststellung eines Normalfriedensbudgets. II. Antrag des Reichsfinanzministers v. Lönyay bezüglich einer Regierungsvorlage betreffend die Deckung des Bedarfs für zwei Monate bis zur Votierung des Budgets. KZ. 4714-RMRZ. 95 Protokoll des zu Ofen am 11. Dezember 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. [I.] Seine Majestät der Kaiser geruhte die Sitzung zu eröff¬ nen, indem Er dem Reichskriegsminister das Wort zur Verlesung des Antrages über Einberufung einer Enquetekommission zur Feststellung eines Normalffie- densbudgets erteilte.1 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn teilt nach Verle¬ sung des Antrages mit, er habe sich im Schoße der Kommission vorläufig dahin geäußert, daß die eigentliche Entscheidung offenbar bei Seiner Majestät als dem obersten Kriegsherrn stehe. Er habe aber sofort Verwahrung dagegen eingelegt, Aufdie Interpellation antwortet im Namen des gemeinsamen Kriegsministers FML. Alexan¬ der Benedek am 13. Dezember Ebd. 16-19. Er verspricht, die Delegationskommission mit den entsprechenden Informationen zu versehen. Das stete Anwachsen des Kriegsbudgets veranlasste die österreichische Delegation, eine Resolution zu beschließen, in welcher über Vorschlag Giskras die Regierung am 14. 1. 1871 aufgefordert wurde, eine Kommission ausje sechs Mitgliedern beider Delegationen einzuset¬ zen, um mit derselben das Heeresbudget genau zu prüfen und endlich ein Normalbudgetfür die Landarmee aufzustellen. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich Bd. 2 109. <pb/>196 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 daß die Aufgabe der betreffenden Kommission etwa mit einem Eingreifen in die Organisation identifiziert würde. Beschlüsse der Kommission in dieser Richtung seien zweifellos unstatthaft. Im übrigen habe er sich im gewissen Sinne entge¬ genkommend geäußert. Jede Form müsse ihm willkommen sein, durch welche es sich herausstelle, daß bei der prinzipiellen Voraussetzung der gegenwärtigen Or¬ ganisation auch das gegenwärtig aufgestellte Budget im wesentlichen das ökono¬ mischste sei. Reichskanzler Graf Beust stellt die Anfrage, wie sich die deut¬ sche Delegation zu dem ungarischen Anträge wegen Vornahme einer Interpella¬ tion der Heeresvorräte während der Ferien stelle,2 welche Anfrage vom Reichskriegsminister Freiherrn v. Kuhn dahin beantwor¬ tet wird, daß nach seiner Fühlung mit den Persönlichkeiten sich vielfach eine geringe Neigung kundgebe, den Antrag der ungarischen Delegation zu adoptie¬ ren. Seine Majestät der Kaiser bemerkt, daß dieser Umstand die ungarische Delegation wohl nicht hindern könne, die in Rede stehende Visitation vorzunehmen. Reichsfinanzminister v. Lönyay bestätigt im allgemeinen die Erfahrungen des Reichskriegsministers bezüglich der geringen Neigung ein¬ zelner Persönlichkeiten in der deutschen Delegation, dem ungarischen Anfrage beizutreten. Die Form, in welcher dieser gefaßt werden würde, hindere auch kei¬ neswegs ein isoliertes Vorgehen der ungarischen Delegation. Es würden die Mit¬ glieder gewählt werden und der Antrag einen Protokollpunkt der Delegation bil¬ den, welcher der anderen Delegation lediglich zur Wissenschaft dienen würde. Ministerpräsident Graf Andrässy: Es könnten zwei Stand¬ punkte vorwalten, ein sachlicher und ein außerhalb der Sache liegender und nicht im Interesse der Sache behaupteter. Es wäre bei einer gewissen Partei der reichs- rätlichen Delegation allerdings das Motiv denkbar, daß sie nur deshalb scheine sich Gewißheit über den Stand der Heeresvorräte Überzeugung zu verschaffen [sic!], weil die günstigen Verhältnisse, denen sie da begegnen würden, allerdings die Politik der ungeheueren Demütigung Österreichs, die Politik der Entsagung und Selbstdemütigung wenig rechtfertigen würden. In dieser Partei wolle man nicht zur Erkenntnis einer günstigeren Lage kommen. Daher ziehe man eine Kommission vor, die ein Jahr lang arbeiten müsse, ohne daß über die Resultate etwas bekannt würde. Es sei zu wünschen, daß der Standpunkt der ungarischen Delegation auch von der reichsrätlichen geteilt würde und es entstehe die Frage, ob dies nicht durch die Einleitung gegenseitiger mündlicher und privater Bespre¬ chungen erzielt werden könnte. Reichsfinanzminister v. Lönyay hält die Möglichkeit der Erreichung eines derartigen Beschlusses aufrecht. In der reichsrätlichen Delega- 2 Über den Wunsch der ungarischen Delegation, eine Inspektion der Militärvorräte vorzuneh¬ men, siehe GMR. v. 6. 12. 1870, RMRZ. 93; GMR. v. 10. 12. 1870, RMRZ. 94. <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 197 tion seien immerhin viele Mitglieder, z. B. auch der Präsident v. Hopfen,3 mit dem Antrag auf Einsetzung einer Kommission zur Aufstellung des Normalbud¬ gets nicht einverstanden. Der Charakter dieser Kommission sei zweifelhaft. Ent¬ weder sei es eine Enquetekommission, dann müsse dem Reichskriegsminister die Ernennung der Mitglieder zufallen, oder eine ständige Kommission der Delega¬ tionen. Letztere widerspreche dem rechtlichen Charakter der Delegationen, da deren Wirksamkeit mit dem Abschluß der Delegation ihr Ende finde. Ministerpräsident Graf Andrässy findet den Antrag prinzi¬ piell bedenklich. Das Recht der Delegationen beschränkt sich darauf, Abstriche vorzunehmen, organisatorische Rechte stünden ihnen nicht zu. § 11 der Aus¬ gleichsgesetze sei da von entscheidender Kraft. Die Entsendung einer Kommis¬ sion wäre ein offenbarer Eingriff in die Organisierung, welche aber dieser § 11 ausdrücklich und ausschließlich als ein Majestätsrecht bezeichne.4 Es liege hier einer der Widersprüche vor, wie sie das konstitutionelle Prinzip in allen Staaten zuweilen mit sich bringe. Es sei denkbar, daß die Kommission durch Abstriche eine bestimmte Organisation unmöglich mache, das sei ihr Recht, wolle sie aber ihrerseits eine Organisation aufstellen, so überschreite sie eben ihr Recht, der Abstrich sei die Grenze des Delegationsrechtes. Seine Majestät der Kaiser geruht zu bemerken, daß die Auf¬ stellung des Normalbudgets keineswegs vor Abstrichen sichere, und das umso¬ weniger, als der rechtliche Charakter der Delegationen die nachfolgende Delega¬ tion nicht an die Beschlüsse der früheren binde. Ministerpräsident Graf Andrässy verweist auf die in man¬ chen Fällen eintretende Unmöglichkeit, die Delegation nach Schluß derselben neu einzuberufen, worauf Seine Majestät der Kaiser hervorhebt, daß dieselbe Delegation auch ohne Neuwahl eine neue Session zu Ende führen könne, wie ja praktisch der Fall, daß dieselbe Delegation zwei Budgets votiert habe, bereits eingetreten sei. Sollte Beispielsweise sich im Monat Februar eine Kriegsgefahr und die Notwendigkeit ergeben, die Delegationen zu versammeln, so habe die abermalige Berufung der gegenwärtigen Delegationen gesetzlich kei¬ nen Anstand. Ministerpräsident Graf Andrässy betont die Möglichkeit der Auflösung des einen Vertretungskörpers in einer Reichshälfte, wodurch die Mandate der Delegierten erlöschen; hier sei eine offenbare Lücke im Gesetz, die rechtlich auszufüllen sei. Staatsrechtlich liege die Sache so: die letzte Delegation Siehe GMR. v. 14. 11. 1870, RMRZ. 91. Anm. 5. GA. XII/1867 § 11: Infolge der verfassungsmäßigen Herrscherrechte Sr. Majestät in Betreff des Kriegswesens wird all das, was auf die einheitliche Führung, Befehligung und innere Organisation der gesamten Armee, und somit auch des ungarischen Heeres als eines ergän¬ zenden Teiles der Gesamtarmee, Bezug hat, als der Verfügung Sr. Majestät zustehend aner¬ kannt. <pb/> 198 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 habe das letzte Budget votiert, daher arbeite die nachkommende Kommission an etwas Neuem.3 Seine Majestät der Kaiser legt gleichfalls Gewicht darauf, daß man sich die Arbeit der Kommission, welche Vorstellung man immer in der reichsrätlichen Delegation von ihren Aufgaben haben möge, nicht leicht ohne Eingriff in die Organisation denken könne. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erörtert die praktischen Konsequenzen der Annahme des Antrages. Arbeite die Kommission ein Elaborat mit geringeren Ansätzen als die gegenwärtigen aus, so müsse man dasselbe entweder annehmen oder zurückweisen. Mit der Zurückweisung werde die Stellung des Kriegsministers den Delegationen gegenüber naturgemäß im ho¬ hen Grade erschwert. Dennoch sei ein praktischer Vorteil von der Sache insofern zu erwarten, als sie möglicherweise Erleichterungen in bezug auf die Frage der Abstriche gewähren werde. Es komme aber alles auf die Wahl der Kommissions¬ mitglieder an. Erhalten gemäßigte Elemente in der Kommission das Übergewicht, so liege wenig Gefahr in dem Vorgang. Die Unantastbarkeit der Organisation vorausgesetzt, werde man sich bald von der Klarheit und Einfachheit des aufge¬ stellten Budgets überzeugen. Sollen die Infanteriekompagnien auf 70 Mann ge¬ stellt, 800 000 Mann wie das Gesetz verlangt, einexerziert werden usf., so laufe eben alles aufein einfaches Rechenexempel hinaus. Gewichtige Bedenken begin¬ nen allerdings, wenn an diese Grundsätze getastet würde, und das sei gesetzlich geradezu unmöglich. Seine Majestät der Kaiser wiederholt, daß ein Eingreifen in die Organisation auch bei den besten Fällen stattfinden werde. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn weist auf die Vorteile hin, welche der Sache auch durch die Verhandlungen der von ihm beru¬ fenen Enquetekommission bezüglich der Anschaffung von Heeresvorräten im Falle bevorstehender Mobilisierung erwachsen seien, worauf Seine Maje¬ stät der Kaiser hervorhebt, daß die rechtlichen Bedenken da eben durch die Ernennung der Mitglieder der Kommission von Seite des Kriegsministers ausgeschlossen gewesen seien, während es sich im gegenwärtigen Falle um ge¬ wählte Organe der Delegationen handle. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn macht geltend, daß die betreffenden Verhandlungen der in Rede stehenden Enquetekommission ihm ein Plus von 1 700 000 fl. verschafft hätten. In den Kreisen der Vertretungs¬ körper habe man mit Rücksicht auf diesen Umstand sogar von einer gewissen Gefahr derartiger Enqueten gesprochen. Reichskanzler Graf Beust: Staatsrechtlich stehe der Satz fest, daß keine Delegation an die Beschlüsse der ihr vorangegangenen gebunden sei. Man müsse sich nur den Begriff eines Normalbudgets vor Augen halten. Nach gebräuchlicher konstitutioneller Auffassung sei ein Normalbudget ein solches, Streichung doch sie greife in das Gebiet der Organisation. <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 199 welches in seinen Grundsätzen ein für alle Mal genehmigt sei und nur dann vor¬ gelegt werde, wenn es Erhöhungen enthalte. Zur bleibenden Feststellung eines derartigen Budgets mangle den Delegationen sogar das gesetzliche Recht. Man habe ohne Zweifel ein möglichst reduziertes Budget vor Augen, um die alljähr¬ lich wiederkehrenden Diskussionen über dieselben Punkte zu vermeiden. Ein sol¬ ches Budget sei aber weder von zwingender Bedeutung für die kommende Dele¬ gation, noch sichere es vor weiteren Abstrichen. Dazu wäre eine gesetzliche Bestimmung nötig, und nur in diesem Falle könnte die Diskussion auf die even¬ tuelle Erhöhung der Ansätze eingeschränkt werden. Seine Majestät der Kaiser betont, daß das Kriegsministerium Jahr für Jahr dasselbe Budget vorlege. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn weist auf die Pauschalabstriche hin, die gewissermaßen immer in die Organisation eingreifen. Der Rahmen müsse einmal festgestellt sein, der eben auf die Organisation basiert sei. Erreichen die Pauschalabstriche einmal eine gewisse Höhe, so müßte dies die Herabsetzung der Kompanien auf etwa 40 Mann oder dergleichen zur Folge ha¬ ben. Seine Majestät der Kaiser schließt daran die Bemerkung, daß der Abstrich allerdings ein Recht der Delegationen sei. Eine neue Organisation sei aber höchst bedenklich. Die Armee könne nicht ohne Gefahr fortwährenden Schwankungen und Veränderungen unterworfen werden. Reichskanzler Graf Beust glaubt, daß die Vorteile, welche sich der Reichskriegsminister verspricht, durch die Aufstellung des Normalbudgets nicht zu erreichen seien. Die nächste Delegation werde sich nicht als gebunden erachten. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn entgegnet, daß dies theoretisch allerdings nicht der Fall sein werde, vielleicht aber praktisch da¬ durch, daß dieselben Delegierten abermals gewählt werden und die Frage zu be¬ handeln haben. Ministerpräsident Graf Andrässy: Das streife stets an die politische Seite der Frage. Wolle man ein öffentliches Interesse nicht anerkennen, dann werde man den Abstrich vielleicht noch auf weitere 39 Mann pr. Kompanie ausdehnen und nur eine übriglassen. Allein sonst könne eine Kommission nichts lösen, was nicht die ganze Delegation lösen könne. Wenn der Kriegsminister die Überzeugung gewonnen habe, daß ein weiterer Abstrich unmöglich sei, dann müsse man dabei stehen bleiben. Die Delegationen hätten seit vier Jahren die Möglichkeit gehabt, sich ein Urteil über die einzelnen Posten zu verschaffen, von diesem Standpunkte seien Pauschalabstriche gewiß verwerflich. Seine Majestät der Kaiser legt gleichfalls den Ton auf das Fa¬ tale der Pauschalabstriche. Die Organisation werde jetzt durch künstliche Mittel aufrechterhalten, durch Nichtbesetzung der Stellen, Nichteinberufung der Reser¬ visten u. dgl. Das Reservistenexerzieren, wie es stattfinde, weiche schon von den <pb/>200 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 Grundsätzen der Organisation ab. Bald würden die künstlichen Mittel zum Schut¬ ze der letzteren auch nicht mehr ausreichen. Reichskanzler Graf Beust: Der Antrag sei nicht schroff abzu¬ lehnen, aber doch hervorzuheben, daß er für beide Teile nicht den erwarteten Nutzen umschließe. Seine Majestät der Kaiser verweist auf den doppelten Weg, der zur Beseitigung des Antrages offen stehe. Entweder könne die Abweisung desselben unmittelbar durch den Kriegsminister erfolgen, oder die ungarische Delegation gehe auf denselben nicht ein, und dann entfalle derselbe von selbst. Nach den staatsrechtlichen Anschauungen der ungarischen Delegation über den Charakter der Delegationen könne die Ablehnung kaum als zweifelhaft erschei¬ nen. Ministerpräsident Graf Andrässy erwidert aufeine Bemer¬ kung des Reichskriegsministers über den eventuellen praktischen Nutzen des An¬ trages, daß derselbe kaum in der Absicht gestellt worden sei, das Budget zu erhö¬ hen, sondern eher das Gegenteil erwartet werden könne. Man müsse sich die Frage stellen, welche Folgerungen aus der Annahme desselben gezogen werden würden. Es handle sich entweder um eine Frage bezüglich der Organisation oder bezüglich der einzelnen Positionen. Der Eingriff in die Organisation sei jeden¬ falls abzulehnen, die Frage der Positionen führe entweder zu einer Erhöhung oder zu einer Verminderung der Abstriche. Trete letztere ein, so werde sich die kom¬ mende Delegation nicht gebunden erachten; würden die Abstriche erweitert, so läge der Nachteil auf der Hand. Im besten Falle könne der Vorteil nur ein minima¬ ler sein. Die Delegationen sollten das jetzige Budget studieren und an den Einzel¬ positionen allenfalls ihr Recht üben, die Pauschalabstriche aber müßten entschie¬ den aufhören. Die ungarische Delegation werde eben auch schwerlich dem Anträge aus der reichsrätlichen Delegation beistimmen. Reichsfinanzminister v. Lönyay konstatiert, daß die Mit¬ glieder der ungarischen Delegation und viele der deutschen gegen den Antrag seien. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn ist der Mei¬ nung, daß der Antrag im Ausschuß angenommen werden würde, hält aber die Annahme im Plenum der Delegation für zweifelhaft. Ministerpräsident Graf Andrässy glaubt, daß es vorzuzie¬ hen sei, den Antrag in der deutschen Delegation zum Falle zu bringen, da es sich nicht empfehle, einer Differenz zwischen den beiden Delegationen zum Ausdruck zu verhelfen. Seine Majestät der Kaiser resümiert, daß die Organisation der Armee endlich als eine feste und definitive angesehen werden müsse. Es sei vom hohen Werte, daß in dieser Beziehung Beruhigung geschaffen werde. Schon die bloße Existenz der Kommission würde Beunruhigung hervorrufen. Punkt 2 des Antrages taste überdies direkt an die Rechte der Krone. Es werde dort der Satz ausgesprochen, daß die Kommission das betreffende Budget vorlege, damit wür- <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 11. 12. 1870 201 de ein Majestätsrecht usurpiert. Der Antrag sei daher entschieden zum Falle zu bringen, und es bleibe nur die Frage, ob unmittelbar durch den Kriegsminister oder im Plenum der reichsrätlichen Delegation. Reichsfinanzminister v. Lönyay hält die letztere Modalität für durchführbar. Auf eine weitere Bemerkung des Reichskriegsministers Frei¬ herrn v. Kuhn, daß das Normalbudget im wesentlichen die Ausführung der Organisation sei, charakterisierte Seine Majestät der Kaiser und Reichskanzler Graf Beust das Budget, welches dem Gedan¬ ken des Antrages entspreche, dahin, daß dasselbe bindend für den Kriegsminister, aber nicht bindend für die Delegation wäre. Seine Majestät der Kaiser bezeichnet die Kommission als eine projektierte Konstituente für die Armee. Namentlich sei dies der Form nach durch Punkt 2 des Antrages konstatiert. Über die Ablehnung könne daher kein Zweifel sein. Dagegen sei es wünschenswert, daß der Antrag der ungarischen Delegation wegen der Inspektion der Heeresvorräte auch in der reichsrätlichen Delegation akzeptiert werde. Nachdem Reichsfinanzminister v. Lönyay auf die Beantwortung der Interpellation hingewiesen und sich günstige Rück¬ wirkungen derselben auch auf die deutsche Delegation versprochen, geruhte Seine Majestät der Kaiser den Ah. Entschluß dahin zu fassen, daß der Antrag im Sinne der Ergebnisse der Beratung zu beseitigen sei. II. Reichsfinanzminister v. Lönyay referiert über die Not¬ wendigkeit, für die zwei Monate Jänner und Februar bis zur Votierung des Bud¬ gets provisorische Vorsorge zu treffen. Die ungarische Delegation werde keinen Anstand nehmen, ein Sechsteil des vorjährigen Budgets als Vorschuß zu bewilli¬ gen. Die deutsche Delegation wolle diese Summe nicht zugestehen, da sie ihr als präjudizierlich für die Bewilligung des Gesamtbudgets erscheine. Auf die Anfrage Seiner Majestät des Kaisers, in welcher Form die Ordnung der Angelegenheit herbeizuführen sei, erklärt R e i c h s f i - nanzminister v. Lönyay, daß die Form einer Regierungsvorlage zu wählen sei, welche die Summe als einen in die eventuell bewilligten Summen einzurechnenden Vorschuß in Anspruch nehme. Die ungarische Delegation wer¬ de übrigens jedenfalls den Ausdruck eines Termins verlangen. Seine Majestät der Kaiser geruhte darauf aufmerksam zu ma¬ chen, daß die Ziffer der anzusprechenden Summe jedenfalls dem Bedürfnisse genügen müsse und die Forderung eines weiteren Nachtragskredites zu vermei¬ den sei. Das sei wichtig, weil die Rücksicht auf den erhöhten Stand der Kavallerie und Artillerie die einfache Adoptierung der vorjährigen Ansätze für diese beiden Monate nicht gestatte. Allerhöchstderselbe geruht sodann den Vorschlag des Reichsfinanzministers bezüglich einer Regierungsvorlage mit ausdrücklicher An¬ führung der anzusprechenden Summe zu genehmigen. <pb/>202 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 12. 1870 Nachdem Seine Majestät der Kaiser noch darauf aufmerksam gemacht, daß in der ungarischen Delegation dafür vorzusorgen sei, daß nicht allzufrüh eine Nach¬ giebigkeit der deutschen Delegation gegenüber eintrete und nicht jetzt schon gemeinsame Besprechungen eingeleitet würden, und Ministerpräsident Graf Andrässy und Reichsfinanzminister ihre pflichtmäßige Bereitwilligkeit aus¬ gesprochen, im Sinne des Ah. Befehles zu wirken, wird die Sitzung geschlos¬ sen. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Innsbruck, 5. Jänner 1871. Franz Joseph. Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. Dezember 18701 RS. (undRK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (25. 12.), Vizeadmiral v. Tegetthoff (20. 12.). Protokollführer: Sektionsrat v. Teschenberg. Gegenstand: I. Instruktion für den k. u. k. Botschafter in London bezüglich der Haltung Öster¬ reich-Ungarns auf der bevorstehenden Konferenz zur Regelung der Pontusffage. II. Bemerkungen des Reichskriegsministers aus Anlaß der Nachrichten über die bevorstehende Rekrutierung in Ru߬ land. KZ. 4715-RMRZ. 96 Protokoll des zu Ofen am 17. Dezember 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. I. Seine Majestät der Kaiser geruhte die Sitzung zu eröffiien und zunächst dem Reichskanzler Grafen Beust das Wort zu erteilen. Reichskanzler Graf Beust: Es handle sich darum, der bevor¬ stehenden Konferenz gegenüber den k. u. k. Botschafter in England2 mit den nö¬ tigen Instruktionen zu versehen und ihn in die Lage zu versetzen, nicht nur gleich bei Beginn der Verhandlungen über das österreichisch-ungarische Programm vollständig orientiert zu sein, sondern auch dies Programm im Verlaufe der Kon¬ ferenz durch eventuelle Anträge usf. festzuhalten. Die erste Frage, die sich dabei Ober den Ministerrat ausführlich Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußi¬ sche Krieg 1870--1871 192--196; Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches 380--381; Palotäs, A nemzetközi Duna-hajözäs a Habsburg-Monarchia diplomä- ciäjäban 1856-1883 46-47. 2 Siehe GMR. v. 22. 8. 1870, RMRZ. 78. Anm. 12. <pb/>