MRP-2-0-01-2-18701106-P-0024.xml

|

Gemeinsamer Ministerrat, 6. 11. 1870

I. Politische Mitteilung des Reichskanzlers

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z24.pdf.

166 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 11. 1870

diese[r] Anweisungen durchb Staatsnoten gedeckt werden mögen, die anstelle der
infolge der Emission der Salinenscheine und Einschränkung der Notenemission
der Nationalbank eingehenden Noten treten würden.16

   Finanzminister Freiherr v. Holzgethan bekämpfte die¬
sen Antrag, weil dem Geldmärkte dadurch 70 Millionen entzogen werden würden,
was einem völligen Ruine gleichkomme. Nachdem schließlich auch Mini¬
ster Graf Festetics die sukzessive Wiederemission der Salinenschei-
ne empfohlen hatte, geruhte Seine Majestät die Sitzung zu schließen.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Ofen, 26. November 1870. Franz Joseph.

       Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. November 1870

    RS. (und RK.)
     Gegenwärtige: der Reichskanzler GrafBeust (o. D.), der k. k. Ministerpräsident GrafPotocki (o.
D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (20.11.),
der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics (o. D.), der k. k. Finanzminister Freiherr v.
Holzgethan (17. 11.), der kgl. ung. Finanzminister v. Kerkäpoly (o. D.).
     Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
     Gegenstand: Politische Mitteilung des Reichskanzlers.

    KZ. 4345 - RMRZ. 90
    Protokoll des zu Wien am 6. November 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.1

    Reichskanzler Graf Beust erbat sich das Wort zu einem Vortra¬
ge über zwei nach der gestrigen Konferenz an ihn gelangte Berichte politischer
Natur, welche es vielleicht erheischen werden, den auf die militärischen Fragen
bezüglichen Teil der gestrigen Besprechung wieder aufzunehmen.

    Der eine rühre vom Konsul in Jassy her und enthalte die auf vertrauliche Mit¬
teilungen basierte Meldung von Rüstungen Rußlands gegen die Türkei,2 der an¬
dere sei auf telegrafischem Wege von dem Konsul in Odessa eingelangt3 und si-

 16 GMR. v. 10. 9. 1870, RMRZ. 83.

 1 Über den Ministerrat siehe Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Rei¬
         ches 351-352.

 2 Bericht von dem Konsul in Jassy (Rumänien): Konsul Montlong an Beust v. 2. 11. 1870, Nr.
         22. HHStA., PA. XXXVIII, Karton 189.

 3 Telegramm von dem Konsul in Odessa (Rußland): Generalkonsul v. Cischini an Beust v. 5.
          11. 1870. Ebd.
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 11. 1870  167

gnalisiere die vor vier Tagen hinausgegebene geheime Ordre zur Komplettierung
des Friedensstandes, wodurch der Truppenstand im Gouvernement Odessa um
40 000 Mann und jener in Polen um 90 000 Mann vermehrt und der ganze Ar¬
meestand auf 900 000 Mann gebracht werden würde. Vortragender brachte sofort
beide Berichte zur Verlesung und schloß mit dem Bemerken, daß er auf den Be¬
richt des Konsuls in Jassy - der schon öfters blinden Lärm geschlagen habe - we¬
niger Gewicht legen würde, wenn er diesmal nicht in dem Berichte des ruhiger
beobachtenden Konsuls in Odessa einen Schein von Bestätigung finde. Insofern
also nicht etwa Freiherr v. Kuhn die Bedeutung der obigen Ziffern militärisch
entkräften könne, verdiene die Sache, wenn sie sich auch von anderer Seite bestä¬
tigen sollte, in der Tat reifliche Erwägung, zumal wegen der Rückwirkung, die
eine Aktion Rußlands vis ä vis den Donaufürstentümem auch auf unsere Politik
üben müsse.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte anzudeuten, daß der Trup¬
penstand von 900 000 Mann für ganz Rußland noch nicht abnorm sei. Es werde
damit eben nur der Stand unter Kaiser Nikolaus wiederhergestellt.4

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bemerkte, daß
die Meldung aus Odessa in der Tat auf feindselige Absichten Rußlands gegen die
Türkei schließen lasse. Er sei überzeugt, daß zwischen Preußen und Rußland
weitgehende Abmachungen bestehen, und wenn ersteres mit Frankreich nur erst
fertig sein werde, so werde sicherlich die Frage des Pariser Vertrages von Ru߬
land wieder angeregt und speziell die Frage des Schwarzen Meeres in den Vor¬
dergrund gestellt werden.5

   Reichskanzler Graf Beust: Die Revision des Pariser Vertrages
sei von Rußland schon öfters schüchtern und auch hier in Wien zur Sprache ge¬
bracht worden, aber eine große praktische Bedeutung sei ihr nicht beizumessen,
denn aeine Zustimmung3 zu einem zweiten Krimkriege werde wohl nicht mehr
kommen. Wichtiger für uns sei die Frage der Donaufürstentümer.

   Kurz vor Beginn des Krieges habe sich Fürst Karl in bedrängten Umständen
befunden. Ein Aufstand unter Bratianu, hinter welchem Frankreich steckte und
welcher auf die Verdrängung des Fürsten zielte, sei vorbereitet gewesen und nur
über unsere bei Frankreich gemachten Vorstellungen nicht zum Ausbruch ge¬
bracht worden.6 Tatsache sei es, daß Fürst Karls Thron auch heute noch auf
schwachen Füßen stehe und daß Preußens Wunsch dahin gehe, für ihn mit Hilfe

a_a Einßigung Beusts.

4 Nikolaus I. (1796-1855), Zar von Rußland.
5 Siehe den Friedensvertrag vom 30. 3. 1856. Spezialkonventionen. Declaration zur Regelung

        mehrerer Punkte des Seerechtes. § 13-15. In: Aktenstücke zur orientalischen Frage Bd. 2
        347-354.
6 Ion C. Brätianu (1821-1891), 1868für kurze Zeit (Juli-September) Ministerpräsident, füh¬
        rende Persönlichkeit der Radikalliberalen. Vgl. Binder-Iijima, Die Institutionalisierung der
        rumänischen Monarchie unter Carol I. 1866-1881 223 ff.
<pb/>168 Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 11. 1870

Rußlands Ordnung zu machen. Daraus ergebe sich aber die Frage der Einrückung
Rußlands in die Fürstentümer und in weiterer Folge die Frage, wie wir uns gegen¬
über einem solchen Auftreten Rußlands verhalten sollen, da wir denn unmöglich
passiv verbleiben können. Es sei dann zweierlei möglich, entweder, daß wir
selbst, und zwar bgleichzeitig mitb Rußland, in die Fürstentümer einrücken, oder
daß wir aus Rußlands Einrücken einen casus belli machen.

   In jedem Falle müßten wir über eine angemessene Truppenmacht verfugen
können. Sollten sich die eingelangten Nachrichten also bestätigen - und in weni¬
gen Tagen müsse man Gewisses erfahren -, so verdiene es wohl nochmalige Er¬
wägung, ob mit den gestern beschlossenen Reduktionen der Artillerie, des Fuhr¬
wesens etc. nicht einzuhalten wäre.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Wenn sich die
russischen Rüstungsnachrichten bestätigen, so sei es wohl besser, die Reduktion
ganz bleiben zu lassen. Er habe die Reduktionsfrage ausdrücklich von der Gestat¬
tung unserer Politik abhängig gemacht und daraufhingewiesen, daß bei der Wie¬
deraufstellung im Frühjahr die neuen Kosten sich höher belaufen würden als die
Ersparung durch die Reduktion.

   Reichskanzler Graf Beust: Die Vorbereitungen Rußlands
könnten wohl auch nur für das Frühjahr gemeint sein.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Es könne auch
schon auf eine Winterkampagne abgesehen sein. Der Winter sei in den Fürstentü¬
mern wegen der Beschaffenheit des Terrains für eine Aktion viel günstiger als
Frühjahr und Herbst und selbst als der Sommer, wo die Truppen den dortigen
Krankheiten mehr ausgesetzt sind als im Winter.

    Seine Majestät der Kaiser geruhte als Zweck der heutigen Be¬
sprechung anzudeuten, daß man sich nur darüber klar werden solle, ob die ge¬
stern beschlossenen Standesreduktionen für kurze Zeit zu suspendieren wären,
und wenn ja, ob die Suspendierung auch bei der Entlassung der Infanterieurlau¬
ber Platz greifen solle.

    In letzterer Beziehung stellte Reichskriegsminister Freiherr
v. Kuhn vor, daß die Urlauber leicht jederzeit wieder einberufen werden
könnten, und geruhte daher Seine Majestät der Kaiser zu geneh¬
migen, daß die Urlauberentlassung bei der Infanterie aufrechtzubleiben habe, be¬
züglich der Artillerie und des Fuhrwesens jedoch geruhte Seine Majestät den Ah.
Beschluß dahin zu fassen, daß von der beschlossenen Standesreduktion bis auf
weiteren Ah. Befehl Umgang zu nehmen sei.

    Reichsfinanzminister v. Lönyay betonte sofort die Not¬
wendigkeit, daß die keinen weiteren Aufschub duldende Drucklegung des außer¬
gewöhnlichen Ordinariums im Hinblick auf den nahe bevorstehenden Zusam¬
mentritt der Delegationen sofort in Angriffgenommen werde. Es könne also nicht
mehr gewartet werden, bis die einlangenden Nachrichten gestatten, einen neuen
Beschluß im Budget ersichtlich zu machen.

 b_b Korrektur aus zeitiger als.
<pb/>Nr. 24 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 6. 11. 1870  169

   Nach seiner Meinung bleibe daher nichts übrig, als das Budget ohne Rücksicht
auf die durch eventuelle Reduktion der Artillerie und des Fuhrwesens sich erge¬
bende Ersparung von 3 500 000 fl. ab[zu] schließen und das Erfordernis für diese
Waffengattung in dem bisherigen vollen Betrage einzustellen und eventuell auch
über den letzten Dezember d. J. in Anspruch zu nehmen. Dies hindere nicht, daß
die Regierung, wenn nach den einlangenden Informationen der beschlossenen
Reduktion ihr Lauf gelassen werde, das effektive Erfordernis in den Delegatio¬
nen mit Hinweis auf die inzwischen geänderte Lage geringer stelle. Der äußere
Rahmen des Budgets bleibe immer derselbe, und es ändern sich nur in der Votie-
rung die Ziffern.

   Vortragender erwähnte bei diesem Anlasse der Geneigtheit der ungarischen
Delegierten, das für die Erhöhung der Wehrkraft Nötige mit einem Male selbst
dann zu votieren, wenn die Ziffer sich auch noch höher als die jetzige Regie-
rungsanforderung belaufen sollte, jedoch unter der Voraussetzung, daß man nicht
nur halbe Maßregeln bezwecke. Er glaube daher, daß sie auf Verlangen auch die
ursprünglich einzustellen beabsichtigten, dann aber in einem späteren Ministerra¬
te wieder gestrichenen 10 000 000 fl. zur Durchführung der Divisionseinteilung
votieren würden.7 Es wäre daher jetzt ein günstiger Moment, um sich die dazu
benötigten Mittel von den Delegationen zu erwirken.

    Seine Majestät der Kaiser hatte sonach die Gnade, die Druck¬
legung des Extraordinariums in der vom Reichsfinanzminister beantragten Weise
zu gestatten. Seine Majestät geruhte noch ferner anzudeuten, daß es bei Bestäti¬
gung der Nachrichten aus Rußland sich empfindlich rächen werde, daß bei dem
Ausbau der ungarisch-galizischen Verbindungsbahnen nicht mehr Energie ent¬

wickelt wurde.
   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn berief sich auf

sein wiederholtes Drängen in dieser Beziehung und bezeichnete es als wün¬
schenswert, daß nunmehr wenigstens die Hauptstraßenzüge über Munkäcs, Bart¬
feld und Ungvär, die sich nach Aussage von Generalstabsoffizieren in höchst ver¬
nachlässigtem Stande befinden sollen, hergestellt werden. Desgleichen sei in
Siebenbürgen eine Traversalstraße von der walachischen Grenze gegen Klausen¬
burg nebst den bestehenden in der Richtung der Landesgrenze laufenden Straßen

nötig.8
   Minister Graf Festetics erklärte, den Gegenstand im ungari¬

schen Ministerrate zur Sprache bringen zu wollen,9 und Finanzminister

Zur Durchführung der Divisionseinteilung wurden am GMR. v. 10. 9. 1870, RMRZ. 83 zehn
Millionenfl. beantragt, aber dieser Titel wurde im GMR. v. 11. 9. 1870, RMRZ. 84 aufBitte
des k. k. Ministerpräsidenten GrafPotocki gestrichen.
Über den rascheren Ausbau einiger Eisenbahnen siehe GMR. v. 3. 8.1870, RMRZ. 72; GMR.
v. 4. 8. 1870, RMRZ. 73. Gegenstand: III; GMR. v. 13. 8. 1870, RMRZ. 76. Gegenstand: II;
GMR. v. 15. 8. 1870, RMRZ. 77. Gegenstand: III.
Der ungarische Ministerrat behandelte in denfolgenden Wochen die Angelegenheit des Bau¬
es der Nordost-Eisenbahn nicht.
<pb/>170 Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. 11. 1870

v. Kerkäpoly fugte die Bemerkung bei, daß für nächstes Jahr an Straßen¬
baukosten um einen Million mehr ins ungarische Budget eingestellt wurde, wo¬
mit Seine Majestät die Sitzung zu schließen geruhte.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Ofen, 26. November 1870. Franz Joseph.

      Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 14. November 1870

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident GrafPotocki (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr
v. Kuhn (21. 11.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (27. 11.), der k. k. Minister des Innern Graf
Taaffe (21. 11.), der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics (o. D.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Zusammentritt der Delegationen. II. Rußlands neueste Zirkulamote.

   KZ. 4354-RMRZ. 91
   Protokoll des zu Wien am 14. November 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.1

    I. Seine Majestät der Kaiser geruhte die Besprechung mit
dem Bedeuten einzuleiten, daß es bei den im Reichsrat eingetretenen Verzöge¬
rungen nötig sei, sich darüber klar zu werden, ob der für den 21. November d. J.
bestimmte Zusammentritt der Delegationen werde eingehalten werden.2

    Ministerpräsident Graf Potocki: Die Frage der Terminein¬
haltung sei im Adreßausschusse des Abgeordnetenhauses aufgeworfen worden,
wobei sich die Führer der Verfassungspartei mit Hinweis auf die bis dahin noch
nicht beendigte Adreßdebatte gegen die Einhaltung ausgesprochen hätten. Vortra¬
gender habe hierauf den Antrag gestellt, die Delegation des Reichsrates möge

         Die Verhandlung des Ministerrates in ihren vielseitigen Zusammenhängen analysieren Diö-
         szegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußische Krieg 1870-1871 179-194; Lutz,
         Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches 353-364.
         Zwar wird am 15. September die 6. Reichsratssession eröffnet, aber die Arbeit kann nicht
         beginnen, weil der böhmische Landtag keine Abgeordneten in den Reichsrat entsendet. Am 8.
         November erscheinen bei der Notwahl (d. h., man verordnete eine direkte Reichsratswahl)
         die deutschen Abgeordneten Böhmens im Reichsrat. Über den ganzen Prozess siehe k. k.
         Ministerpräsident an Beust v. 5. 10. 1870 [1368/MP.] HHStA., PA. I, Karton 564. Delegati¬
         onsakten 1870-1871; und au. Vortrag von Beust v. 10. 10. 1870 Nr. 779 wegen Einberufung
         der Delegationenpro 1870 nach Pest zur Beratung des gemeinsamen Budgetspro 1871. Ebd.
         Ah. E. 11. 10. 1870.
<pb/>