Gemeinsamer Ministerrat, 22. 8. 1870
I. Österreich-Ungarns fernere Politik
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z12.pdf.
II. Entsendung von Ärzten auf den Kriegsschauplatz
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z12.pdf#page=10.
III. Ausfuhrbewilligung für eine Ladung Torpedos nach England
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z12.pdf#page=11.
IV. Lloyd- und Napló-Artikel gegen den Kriegsminister
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z12.pdf#page=11.
Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 75 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (o. D.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (4. 9.)- Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Österreich-Ungams fernere Politik. II. Entsendung von Ärzten auf den Kriegs¬ schauplatz. III. Ausfuhrbewilligung für eine Ladung Torpedos nach England. IV. Lloyd- und Naplö- Artikel gegen den Kriegsminister. KZ. 3112-RMRZ. 78 Protokoll des zu Wien am 22. August 1870 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.1 I. Auf Ah. Befehl nahm Reichskanzler Graf Beust das Wort, um der Konferenz die heutige politische Lage und die angesichts dieser Lage mögliche diplomatische Aktion, die selbstverständlich dermalen nur auf eine Ver¬ ständigung der neutralen Mächte gerichtet sein könne, vorzutragen. Er wolle sich nicht darauf beschränken, bloß an die jüngsten Ministerbesprechungen, aus wel¬ chen unsere Neutralitätserklärung vom 20. Juli d. J. hervorging, anzuknüpfen,2 sondern glaube den Absichten Seiner Majestät besser zu genügen, wenn er, in die weitere Vergangenheit zurückgreifend, durch einen Rückblick auf die Entwick¬ lung unserer diplomatischen Beziehungen während der letzten Jahre die von ihm befolgte Politik in ihren Motiven und Zielen veranschauliche, zugleich in der Absicht, um sich der jede weitere Aktion von seiner Seite bedingenden Zustim¬ mung der Räte der Krone zu versichern. Nach dem Jahre 1866 habe sich die Monarchie auch in diplomatischer Bezie¬ hung in einer ungünstigen Lage befunden und sei isoliert dagestanden. Preußen habe auch nach dem Friedensschlüsse nicht aufgehört, uns entgegenzuwirken, in Italien habe eine uns abgeneigte Stimmung geherrscht, Rußland sei uns geradezu feindselig gestimmt gewesen und Frankreich habe die Rolle des passiven Zu¬ schauers gespielt. Die nächste Aufgabe des Ministers des Äußern sei es daher gewesen, eine Politik einzuschlagen, die geeignet war, bessere Beziehungen zu den Mächten herzustellen und, wenn möglich, zu Allianzen zu führen. Vor allem habe man sich, absehend von den verwerflichen Mitteln, die es im Jahre 1866 gegen uns gebraucht, bei Preußen um die Anbahnung eines besseren Die dem Ministerrat vorausgehenden internationalen Entwicklungen sowie die Beratungen des Ministerrates selbst analysieren Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preu¬ ßische Krieg 1870-1871 131-146; Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des Deut¬ schen Reiches 241 ff. Siehe GMR. v. 18. 7. 1870, RMRZ. 67. Anm. 10. <pb/>76 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 Verhältnisses bemüht und sei auch nach der Wiederverleihung der Regimentsin¬ haberstellen an die preußischen Prinzen, nach unserer Haltung gegenüber der von Preußen hinterrücks abgeschlossenen Verträge mit den deutschen Südstaaten und nach unserer auch preußischerseits anerkannten Vermittlung in der Luxemburger Affäre3 zur Erwartung eines solchen Verhältnisses berechtigt gewesen; allein trotz unseres Entgegenkommens habe Preußen nicht nur nicht aufgehört, in Flo¬ renz und Petersburg gegen uns zu intrigieren, sondern auch nach wie vor gegen uns feindselige Gesinnungen gehegt, die in dem bekannten Berichte des Baron Weither über die ungarische Königskrönung beredten Ausdruck fanden4 und zur Überzeugung führten, daß unsere und Preußens Wege weit auseinanderführen. Zu einem besseren Verhältnis mit Rußland würde wohl die Verständigung über einige Punkte der orientalischen Frage die Handhabe geboten haben, aber auch hier sei ein aufrichtiges Eingehen auf unser Entgegenkommen nicht zu finden gewesen. Unter diesen Umständen habe nur die Annäherung an Frankreich erübrigt, zu¬ mal uns daran liegen mußte, ein Bündnis dieses Reiches mit Preußen zu verhin¬ dern - eine Gefahr, die nach Inhalt der neuesten Enthüllungen des preußischen und französischen Kabinetts auch wirklich bestand. In der Tat hätten sich auch imsere Verhältnisse zu Frankreich seit dem Jahre 1867 stets freundlicher gestaltet und schließlich zu Verhandlungen über den Abschluß einer Allianz zwischen Österreich, Frankreich und Italien geführt, welche im Spätsommer 1869 an der Weigerung Frankreichs, die Wünsche Italiens in bezug auf die römische Frage zu erfüllen, zwar scheiterten, aber uns wenigstens das Zugeständnis Frankreichs ein¬ brachten, bei einem Angriff auf uns sofort kriegerisch eintreten und mit keiner anderen Regierung ohne vorausgegangenes einverständliches Einvernehmen mit uns in Verhandlung sich einlassen zu wollen, welches letztere Engagement unse¬ rerseits in gleicher Weise übernommen wurde. Nach dieser Sicherstellung kam es darauf an, auch mit Preußen und Rußland erträgliche Beziehungen herzustellen, wozu des Vortragenden voijährige Reise nach Baden-Baden und Ouchy die erfolgreiche Einleitung bildete, während spä¬ terhin die Reise Seiner Majestät nach dem Orient und des Vortragenden Besuch in Luxemburger Affäre: Nachdem Bismarck während des deutschen Krieges Kaiser Napoleon III. auf Kompensationsmöglichkeiten verwiesen hatte, verhandelte dieser über einen Kauf des mit den Niederlanden in Personalunion verbundenen Großherzogtums Luxemburg. Bis¬ marck wollte zunächst den Handel. Als der Plan vorzeitig bekannt wurde und der holländi¬ sche König Wilhelm III. den Vollzug an diepreußische Zustimmung band, riet er vom Verkauf ab und entsprach wie auch Napoleon III. dem englischen Vorschlag einer Londoner Konfe¬ renz. Dort wurde Luxemburg als unabhängig und neutral unter der Kollektivgarantie der Großmächte erklärt. Preußen zog seine Besatzung zurück, doch blieb das Land im Deutschen Zollverein. Trotz dieses Ausgleichs waren die preußisch-französischen Beziehungen von ge¬ genseitigem Mißtrauen belastet. Die auswärtige Politik Preussens 1858-1871, Bd. 9 109-110. Werther, Karl Freiherr von, preußischer Gesandter in Wien. <pb/>Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 77 Florenz auch dort wie in Konstantinopel gute und vertrauensvolle Beziehungen sicherten. So seien wir denn nach allen Seiten in günstigster Lage gewesen, als mit einem Male die Hohenzollemsche Thronkandidatur in den Vordergrund trat. Die Art und Weise, wie diese Frage in Frankreich behandelt wurde, sei im vorhinein eine verfehlte, die französische Politik in das Unrecht stellende und Preußen in die Hände arbeitende gewesen. Solange noch eine Tätigkeit der Di¬ plomatie möglich war, sei Österreich sowohl in Madrid als in Berlin zugunsten der französischen Auffassung eingetreten, als aber Prinz Leopold entsagte und die spanische Regierung die Entsagung notifizierte,5 habe es Frankreich Mäßi¬ gung angeraten mit Hinweisung auf unsere eigene Unfertigkeit, die uns die recht¬ zeitige Mithilfe nicht gestatte, ferner auf die Schwierigkeiten, die uns Frankreich durch die ungeschickte Aufreizung des deutschen Nationalgefiihls bereitet, und endlich auf die Bestimmung des allerdings formell nicht abgeschlossenen Über¬ einkommens, wonach die ,,action diplomatique commune" Bedingung jeder ge¬ meinsamen Aktion sein sollte. Aber alles Abraten sei fruchtlos gewesen, das fran¬ zösische Kabinett habe sich fortreißen lassen und habe also keinen Grund, sich über unser Femhalten von diesem Krieg zu beklagen. Man vergesse in Frankreich, daß die Art, wie daselbst der Streit mit Preußen eingeleitet und diese ursprünglich spanische Frage durch Frankreichs Auftreten zu einer deutschen hinaufgeschraubt wurde, uns schon aus Rücksicht für unsere eigene deutsche Bevölkerung den Eintritt in die Aktion unmöglich machte. Über¬ dies sei Preußen in einem solchen Falle Rußlands Eintreten sicher gewesen, und wenn wir Truppen aufgestellt hätten, würde es zuerst über uns hergefallen sein, wobei das Ergebnis bei der numerischen Überlegenheit Preußens für uns mehr als zweifelhaft gewesen wäre. Wenn nun aber, wie dies schon bei der Besprechung vom 19. Juli6 anerkannt wurde, Österreich nichts tun konnte, um den eingetretenen Erfolg der preußi¬ schen Waffen zu verhindern, so trete doch die Frage heran, ob und was man tun könne, um diesen Erfolg von uns abzuwenden? Von einer militärischen Aktion könne für den Augenblick keine Rede sein, höchstens von einer diplomatischen Mediation mit der Frage, ob dieselbe durch Entwicklung einer angemessenen Wehrkraft zu unterstützen wäre? ln dieser Be¬ ziehung liege eine Neutralitätsanregung Italiens, Englands und Rußlands vor, zu deren Annahme auch Österreich durch England eingeladen worden sei und wel¬ che dahin gehe, durch einen einfachen Notenaustausch das Prinzip auszuspre¬ chen, daß keine der beteiligten Mächte aus ihrer Neutralität heraustreten solle, ohne es vorher den übrigen Mächten anzuzeigen. Leopold, Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen (1835-1905) heiratete 1861 die Infantin Antonia von Portugal. Nach der Vertreibung der spanischen Königin Isabella schien Leopold durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Häusern Bonaparte und Braganzafür eine Thronkandidatur in Spanien geeignet. Die daraus entstandenen diplomatischen Ver¬ wicklungenführten - trotz Absage Leopolds - zum Krieg. Schreibfehler. Der erwähnte gemeinsame Ministerratfand am 18. Juli statt. <pb/>78 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 Der Antrag habe bei der vagen Natur eines solchen nicht in Vertragsform und nicht einmal als Protokoll abgefaßten Übereinkommens nicht viel zu bedeuten, und es sei, selbst wenn man demselben eine größere Tragweite beimessen wollte, für uns um so weniger Anlaß vorhanden, den Beitritt zu verweigern, als der Nicht¬ beitritt geeignet wäre, Mißtrauen gegen unsere Absichten wachzurufen. Indem er sich aber für die Annahme ausspreche, könne er es nur unter der ausdrücklichen Voraussetzung tun, daß keine der beteiligten Mächte sich in eine einseitige Me¬ diation einlassen dürfe. Diese Vorsicht sei namentlich gegenüber England gebo¬ ten, von welchem man sich bei der Richtung seiner Politik eines solchen Vorgan¬ ges am ehesten versehen könne. Im Zusammenhang mit der schwebenden Frage stehe Rußlands neueste Hal¬ tung Österreich gegenüber. Der russische Kaiser habe in wiederholten Unterre¬ dungen mit unseren Gesandten seine friedfertigen Gesinnungen betont und den Wunsch ausgesprochen, daß Österreich sich in den preußisch-französischen Krieg nicht mische, damit Rußland nicht gleichfalls genötigt werde, aus seiner Zurückhaltung herauszutreten.7 Unsere Antwort sei anfangs ausweichend gewe¬ sen, als aber in neuester Zeit das Entgegenkommen des Petersburger Kabinetts noch schärfere Umrisse angenommen habe, sei Graf Chotek8 nach Wien gekom¬ men, um über die eingetretene Wandlung persönlich zu berichten. Nach seinen Relationen liege ein positiver Antrag Rußlands zu einer Übereinkunft zwar noch nicht vor, aber die Avancen, die uns von dieser Seite gemacht werden, seien doch derart, daß wir sie nicht zurückweisen sollen, zumal auf Preußen nur das vereinte Auftreten der Mächte von Wirkung sein werde und wir uns unter keinen Umstän¬ den wieder isolieren lassen sollen. Auch Fürst Gortschakow9 habe friedliebende Erklärungen abgegeben, in der offenbaren Absicht, über die Politik Rußlands im Orient und die ihm zugeschrie¬ benen panslawistischen Umtriebe zu beruhigen. Dagegen habe der Zar die polni¬ sche Frage aufgeworfen und unsererseits Beruhigungen gewünscht. Letztere sei eine innere Frage, über welche Österreich niemandem Rede zu stehen habe, doch könne die gewünschte Beruhigung immerhin insoweit erteilt werden, daß wir keineswegs eine Insurrektion Polens beabsichtigen. Was dage¬ gen Rußlands panslawistische Umtriebe betreffe, so könne es für uns in Hinblick auf die starrköpfige, auf Rußland gestützte Haltung der Tschechen nur von Nut¬ zen sein, wenn Rußland seine Gemeinschaft mit den tschechischen Bestrebungen desavouiere, und Vortragender glaube, daß zur Erprobung der freundlichen Ge¬ sinnungen der Petersburger Regierung von ihr eine öffentliche Emanation in die¬ ser Richtung verlangt werden müßte. Conversation du Comte Chotek avec S. M. de toutes les Russies ä Peterhof, le 14 aoüt 1870. HHStA. PA. X, Rußland, Fase. 62. Chotek, Bohuslaw Grafvon (1829-1896), Botschafter in St. Petersburg 14. 10. 1869 -11. 9. 1871. 9 Siehe GMR. v. 24. 7. 1870, RMRZ. 70. Anm. 6. <pb/>Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 79 Bei diesem Stande der Sache empfehle er für Österreichs nächste Politik nach¬ stehende Momente: Austausch der erwähnten Neutralitätserklärung mit England. 2. Erwiderung des russischen Entgegenkommens und Handbieten zu der von dort aus gemeinsamen Mediation zur Wahrung der Integrität Frankreichs. 3. Vorläufi¬ ges Bewendenlassen bei den bisherigen militärischen Vorkehrungen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Nach des Reichskanz¬ lers heutiger Darstellung liegen zwei Fragen zur Entscheidung vor. Zuerst der englische Neutralitätsantrag, dann Rußlands momentanes Einlenken in versöhn¬ liche Bahnen, denn an eine radikale Änderung der russischen Politik gegenüber unserer Monarchie vermöge er bei der Verschiedenartigkeit der beiderseitigen Interessen in bezug auf die slawischen Völker nicht zu glauben. Dem Antrag sub 1 liege einerseits das Streben Italiens, sich gegenüber dem Drängen Frankreichs zur Hilfeleistung an England einen Rückhalt zu sichern, zugrunde, anderseits er¬ scheine er als ein Ausfluß der Tätigkeit der Manchester-Schule. Praktischen Wert habe er insoweit keinen, als die beteiligten Staaten je ohnehin bereits eine neutra¬ le Haltung eingenommen hätten und dadurch also an der Gruppierung der Mäch¬ te nichts geändert werde. Gleichwohl erblicke er in der Annahme des Antrages kein Übel, während ein Refus für uns unter Umständen nachteilig werden könne, und wäre derselbe nach seiner Meinung umsoweniger zurückzuweisen, als er von England komme, und gerade dieses bei der gemeinsamen Friedensmediation mit Nutzen vorgeschoben werden könne. Auch mit dem vom Reichskanzler angedeu¬ teten Zusatze über die Hintanhaltung einseitiger Friedensvermittlung erkläre er sich in der Voraussetzung einverstanden, daß dieselbe bloß als Wunsch hinge¬ stellt und nicht zur Bedingung des Neutralitätsübereinkommens zugespitzt wer¬ de, denn gerade, wenn England Preußen favorisiere, sei zu befürchten, daß es eine solche Klausel verwerfe. Es müsse also die geeignete Form gefunden wer¬ den, um England die gemeinsame FriedensVermittlung der Mächte als Konse¬ quenz dieses Übereinkommens nahezulegen. Von Italien und Rußland sei eine einseitige Friedensvermittlung nicht zu be¬ fürchten. Was den Antrag Rußlands betreffe, so erblicke er darin, wie gesagt, keine Frontveränderung, sondern nur eine Politik ad hoc, und müsse man densel¬ ben mit aller Vorsicht erwägen. Vortragender wolle immerhin an die Friedenslie¬ be des russischen Kaisers und auch jene des Fürsten Gortschakow glauben, aber diesen gegenüber stehe die Miljutinische Partei10, von welcher Österreich nichts Gutes zu erwarten habe. Wenn diese Partei heute ebenfalls der Annäherung Ru߬ lands an Österreich das Wort rede, so geschehe es gewiß nur mit dem Hinterge¬ danken, daß Rußland zum Eintritt in die Aktion noch nicht fertig sei und klug tue, die Aggression auf Österreich bis zum Ausbau seiner Eisenbaimen und Vervoll¬ ständigung seiner Wehrkraft zu verschieben. Es sei auch möglich, daß Rußland uns nur vorschieben wolle, um Preußen zu bedrohen oder um durch uns die Ka¬ stanien aus dem Feuer holen zu lassen. 10 Miljutin, Dimitrij (1816-1912), russischer Kriegsminister. <pb/>80 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 Dies dürfe nicht sein. Wolle Rußland Preußen bedrohen, so geschehe es mit seinen eigenen und nicht mit unseren Bajonetten. Österreich solle sich hüten, denselben Fehler zu begehen wie zur Zeit der Expedition nach Schleswig-Hol¬ stein im Jahre 1864. Dennoch sei er weit davon entfernt, die uns von Rußland dargebotene Hand zurückstoßen zu wollen, vielmehr erkenne er gerade in dem jetzigen Moment die unbestreitbaren Vorteile einer Annäherung auch von unserer Seite. Nur möge dieselbe ohne jetzt schon zu einer fixen Kombination die Hand zu bieten und unter den folgenden unerläßlichen Bedingungen angebahnt wer¬ den, 1. daß schon aus Rücksicht auf die beiden Parlamente, welche die Entente mit Rußland gewiß mit Mißtrauen aufhehmen werden, konstatiert werde, daß die Initiative nicht von Österreich ausging, welches nur eine ihm dargebotene Hand aus Opportunitätsgründen annahm. 2. daß auch weiterhin nicht weniger armiert werde, als wenn dieses Verhältnis zu Rußland nicht bestünde. Kein Staat von ei¬ niger Bedeutung sei in der Lage, daß er nicht Feinde habe, am wenigsten Öster¬ reich bei seiner geographischen Lage und seinen Verhältnissen im Innern. Dieses Motiv werde auch Rußland würdigen müssen, welchem man übrigens den Um¬ fang unserer militärischen Vorkehrungen ohne weiteres offen bekennen möge. Man solle ja nur nicht glauben, daß Österreich, weil es mit Rußland auf besse¬ rem Fuße stehe, sofort desarmieren könne. Das gegenwärtige bessere Verhältnis sei nicht von langer Dauer. Österreichs Aufgabe bleibe nach wie vor ein Bollwerk gegen Rußland zu bilden, und nur solange es diese Aufgabe erfülle, sei sein Be¬ stand eine europäische Notwendigkeit. 3. daß keine unserer internen Maßregeln von Rußland zum Anlaß genommen werden dürfe, uns des Abweichens von der Linie unseres Übereinkommens zu beschuldigen; mögen nun diese Maßregeln sich auf die polnische, tschechische oder südslawische Frage oder auf unsere Ei¬ senbahnbauten, welche gleich der Armierung mit ungeschwächtem Eifer zu be¬ treiben wären, beziehen. Dagegen müsse Vortragender vor dem vom Grafen Beust angedeuteten Ansinnen an Rußland in bezug auf eine Manifestation gegen die Tschechen entschieden warnen. Eine solche Anrufung einer fremden Macht in einer rein internen Frage könne die verderblichsten Konsequenzen haben. Seine Majestät der Kaiser geruhte zu konstatieren, daß die tschechische Frage eine rein innere Angelegenheit sei, mit welcher Rußland nichts gemein habe. Mit der polnischen Frage verhalte es sich wenigstens schein¬ bar anders, insoweit nämlich Rußland verlangen könne, daß von Galizien aus nach Russisch-Polen nicht agitiert werde. Reichskanzler Graf Beust: Er habe nur gemeint, durch Graf Chotek ein Desavou in den Zeitungen erwirken zu sollen, worin Rußland auch öffentlich von Agitationen sich lossage, deren Bestand es im mündlichen Verkehr der beiderseitigen Vertreter ohnehin stets in Abrede stellte. Ministerpräsident Graf Andrässy: Was man in einer Rich¬ tung konzediere, werde leicht auch in einer andern in Anspruch genommen, dar¬ um müsse er gegen die Anrufung Rußlands in einer internen Frage, selbst wenn man sich in dem einen Falle davon Vorteil verspreche, nochmals sich ausspre- <pb/>Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 81 eben. Was die übrigen slawischen Völker der Monarchie betreffe, so bestehe der beste Weg, auch die zu kalmieren, in der Beruhigung der orientalischen Völker. Der russische Kaiser habe in dieser Beziehung Äußerungen gegen Graf Chotek fallen lassen, welche man in der angedeuteten Richtung ausbeuten solle. Vortragender verbreitete sich noch über die Agitationen Rajewskis" und Of¬ fenbergs mit dem Bemerken, daß es bei den gebesserten Verhältnissen zu Ru߬ land nunmehr vielleicht mit Aussicht auf Erfolg versucht werden könnte, dem Treiben dieser Leute Einhalt zu tun. Ministerpräsident Graf Potocki: Auch er sei der Meinung, daß Österreich in den englischen Antrag unbedenklich eingehen könne, und zwar aus dem Grunde, weil das Zurückweisen uns in der Folge nachteilig werden könne. Übergehend auf die Avancen Rußlands, so betrachte er die Frage nicht als eine polnische aoder orientalische3, sondern als eine europäische, deren Tragweite sich bei den nicht mehr lange ausbleibenden Friedensverhandlungen zeigen werde. Österreich müsse dann sein Wort mit in die Waagschale legen, und zwar nicht im österreichischen, sondern im europäischen Interesse, und zu diesem Behufe kön¬ ne es nur von Nutzen sein, wenn Österreich mit Rußland Hand in Hand gehe. In diesem, aber auch nur in diesem Falle fielen die beiderseitigen Interessen zusam¬ men und würden selbst eine bewaffnete Allianz gerechtfertigt haben, von welcher allein Vortragender sich einen ausgiebigen Erfolg versprochen hätte. Wenn er nun auch den Antrag Rußlands auf ein Gefühl der Unsicherheit, ähn¬ lich jenem, welches Frankreich nach den preußischen Siegen vom Jahre 1866 empfunden haben mochte, zurückführen müsse, so ändere dies doch nichts an der Gemeinsamkeit unserer Interessen angesichts der preußischen Waffenerfolge, und er nehme daher keinen Anstand, einem Übereinkommen ad hoc zuzustim¬ men. Was nun die Rückwirkung dieses Übereinkommens auf unsere internen Fra¬ gen betreffe, so sehe Vortragender von der polnischen Frage ganz ab, weil er sie nie zugegeben habe. Aber auch in bezug auf die Tschechen rate er von jeder Er¬ örterung mit Rußland ab, denn erstens sei es gefährlich, bei der dortigen Regie¬ rung in der tschechischen Frage ein Soutien zu suchen, zweitens werde sie sich von dem Vorwurfe der Agitationen stets rein zu waschen wissen, wie sich denn auch in der Tat ein Zusammenhang der russischen Regierung mit den Prager Agi¬ tationen aktenmäßig nicht konstatieren lasse. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er schließe sich im allgemeinen den Argumenten des Grafen Potocki an und glaube, daß Rußlands Annäherung vielleicht geeignet sei, für kurze Zeit zwischen den beiden Einfiigung. Rajewski, Michael (Micha!) (geh. 1811), Priester an der russischen Botschaft in Wien. Offen¬ berg, nicht identifiziert. <pb/>82 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 Staaten einen modus vivendi herzustellen, aber gewiß keine weiteren praktischen Erfolge für die gegenseitigen Beziehungen haben werde. Die Niederwerfung Frankreichs, welche durch uns zu verhindern gewesen wäre, wenn wir gleich vom Anfang in die Aktion eingetreten wären, oder welche wenigstens nicht so rapid erfolgt wäre, wenn wir es nach dem Jahre 1866 verstan¬ den hätten, die deutschen Südstaaten Preußen abwendig zu machen, sei für Öster¬ reich injeder Richtung verderblich. Insoweit nur eine gemeinsame Mediation mit Rußland dazu dienen könne, die Konsequenzen der französischen Niederlagen für Österreich teilweise mildem, müsse uns der mssische Antrag willkommen sein. Man möge aber sich durch dieses neue Verhältnis ja nicht in Sicherheit wiegen lassen, sondern die uns gegönnte Zeit aufs beste benützen, um einerseits die mi¬ litärische Wehrkraft zu stärken und weiterzuentwickeln, anderseits mit den unse¬ re Aktion lähmenden inneren Fragen endlich einmal ins Reine zu kommen. In der tschechischen Frage hätte man schon längst energisch auftreten sollen, und auch jetzt noch lasse sich nach seiner Meinung mit entsprechender Energie etwas aus- richten. Reichsfinanzminister v. Lönyay: Angesichts der sich ab¬ spielenden Ereignisse sei vor allem dahin zu trachten, daß Österreich seinen Platz im europäischen Konzerte behaupte, um von dem Ergebnisse der Friedensver¬ handlungen nicht in höchst unangenehmer Weise überrascht zu werden. Habe es diesen Platz einmal eingenommen, so könne es die weitere Entwicklung abwar- ten und beeinflussen. Der Antrag Englands biete uns zum Eintritt in das europä¬ ische Konzert eine Chance, die man nicht außer acht lassen solle, und der Antrag Rußlands setze uns in die Lage, unserem Worte bei den Friedensverhandlungen weiteren Nachdruck zu geben. Die Hauptsache bleibe aber, wie schon der Kriegs¬ minister bemerkte, daß wir die Zeit des Friedens zur Konsolidierung und Kräfti¬ gung im Innern benützen. Sei Österreich stark, so werde es ihm auch an Alliierten nicht fehlen. Seine Majestät der Kaiser: Auf den heute besprochenen We¬ gen möge also vorgegangen werden, obschon Seine Majestät den Argwohn nicht unterdrücken könne, daß sowohl Englands als Rußlands Antrag durch preußi¬ schen Einfluß hervorgerufen wurde. Eine weitere Frage sei nun die Integrität Frankreichs. Es sei klar, daß wir die¬ selbe bei den Friedensverhandlungen befürworten müssen, aber fraglich, ob dies mit besonderer Wärme geschehen solle und ob es nicht vielmehr in unserem In¬ teresse liegt, wenn Preußen seinem Staatskörper einen Bestandteil einfüge, des¬ sen Besitz gewiß kein ruhiger und unverbitterter sein würde. Ministerpräsident Graf Andrässy: Schon der Anstand ge¬ biete uns, für Frankreichs Integrität einzutreten, soweit dies mit diplomatischen Mitteln möglich sei. Gehe Preußen über unsere Einsprache hinweg, so könne es uns auch recht sein, denn der Elsaß und Lothringen würden Preußen für lange <pb/>Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 83 Zeit zu tun geben, sowohl im Innern als auch gegen die unausbleiblichen Wieder¬ eroberungsgelüste Frankreichs. Die pessimistische Anschauung des Kriegsministers über den Erfolg des preu¬ ßischen Sieges vermöge er nicht zu teilen. Preußen selbst biete uns das Beispiel dessen, was eine zielbewußte Politik in kurzer Zeit vermöge. Es komme auch bei uns nur darauf an, das Richtige mit den richtigen Mitteln anzustreben. Reichskanzler Graf Beust: Nach dem Ergebnisse der heutigen Besprechung glaube er zunächst die volle Übereinstimmung über die von ihm beantragte Annahme des englischen Neutralitätsantrages konstatieren zu können. Bei diesem glaube er nicht an eine preußische Inspiration, vielmehr lägen sowohl in der preußischen Presse als in einer Depesche des Grafen Apponyi12 aus London Anhaltspunkte zu der Meinung vor, daß man die ,,Neutralitätsliga" in Preußen mit Widerwillen und als dahingerichtet betrachte, Preußen um die Früchte der erfochtenen Siege zu bringen. Was Rußlands Anträge betreffe, so glaube er zwar, daß man in Berlin davon Mitteilung habe, aber die Inspiration gehe auch in diesem Falle gewiß nicht von dort aus. Die Wahrung der Integrität Frankreichs sei für uns nicht nur ein Gebot des Anstandes, sondern auch des dem Fürsten Latour13 bei seinem Abgänge von Wien gegebenen Versprechens, daß unsere Diplomatie gegebenenfalls für die Dynastie und die Integrität Frankreichs eintreten werde. Frankreichs Wünsche wegen Ein¬ tritt in die Aktion habe Österreich nicht erfüllen können, und Frankreich habe den Motiven, welche uns davon abhielten, gerechte Würdigung angedeihen lassen. Wie in der Tat Fürst Latour in einer der letzten Kammersitzungen Österreich ge¬ gen die erhobenen Angriffe höchst loyal verteidigt hätte, nun sei es an uns, in gleich loyaler Weise wenigstens das obige Versprechen einzulösen. Wohl hätte die Lostrennung des Elsaß und Lothringens von Frankreich für uns neben dem von Seiner Majestät angedeuteten noch den weiteren Vorteil, daß diese Provinzen ein geeignetes Vergütungsobjekt für die Heeresfolge Bayerns bieten und seine Blicke von andern Landesteilen, die uns näher stehen, ablenken würde, aber den¬ noch müsse Österreich im Hinblick auf spätere Verhältnisse, unter welchen uns Frankreichs Freundschaft wertvoll werden könnte, für Frankreichs Integrität ein¬ treten. Um auf Rußlands Anträge zurückzukommen, so werde unsere Annäherung an dieses Reich auch von Frankreich gewünscht. Dieses werde sich wieder heben und dann seine Blicke auf Rußland richten, also sei es schon deshalb von Wert, daß auch Österreich Fühlung mit Rußland behalte. Von einer förmlichen Konven¬ tion sei noch nicht die Rede, und komme es dazu, so möge sie immerhin nur ad Apponyi, Rudolf Graf (1812-1876), Botschafter der Monarchie in Großbritannien 7. 3. 1856-8. 11. 1871. 13 La Tour d'Auvergne-Lauragnais, Henri Prince de (1823-1871), französischer Außenmini¬ ster, dann Botschafter in Wien und ab 9. 8. 1870 wieder Außenminister. <pb/>84 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 hoc abgeschlossen werden, damit Österreich in der großen politischen Tagesfrage nicht isoliert dastehe. Diese Erwägung lasse es ratsam erscheinen, die Annähe¬ rung Rußlands in keinem Falle zurückzuweisen. Vortragender fügte schließlich mit Bezug auf einige im Laufe der Besprechung gefallenen Bemerkungen noch bei, Graf Choteks Instruktionen bezögen sich nur auf die militärischen Vorsichtsmaßregeln von unserer Seite, über welche er Ru߬ land Aufklärung zu geben habe, keineswegs aber auf die internen Fragen welch immer Natur, deren Diskutierung Graf Chotek taktvoll auszuweichen verstanden habe. Dem Grafen Potocki stimme er darin vollkommen bei, daß nur eine bewaffne¬ te Allianz mit Rußland Österreich praktischen Nutzen gebracht haben würde, aber davon könne heute aus Rücksicht auf die Lage des Reiches keine Rede sein. Was endlich die vom Kriegsminister angedeutete Einflußnahme auf die Süd¬ staaten betreffe, so würde dieselbe bloß den Erfolg gehabt haben, daß wir in neue Differenzen mit Preußen verwickelt worden wären, oder die süddeutschen Regie¬ rungen schließlich doch dem preußisch und national liberalen Drucke gewichen und uns kompromittiert hätten. Ministerpräsident Graf Andrässy: Man solle Rußland nicht zurückstoßen, aber jede bestimmte Kombination stehe nach seiner Ansicht noch im weiten Felde. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Bei den Ver¬ handlungen über die gemeinsame Mediation mit Rußland möge vorsichtig ver¬ mieden werden, daß dieselben nicht vorzeitig in die Öffentlichkeit treten. Sie würden hier Mißtrauen erwecken und eine Verstimmung hervorrufen, die zu¬ nächst in der Haltung der Polen bei den Delegationsverhandlungen zum Aus¬ druck gelangen werde. II. Seine Majestät der Kaiser hatte noch ferner die Gnade, der Konferenz Mitteilung zu machen von einer Eingabe des internationalen Sanitäts¬ komitees wegen Entsendung von Ärzten auf den Kriegsschauplatz, und wünschte die Meinung der Konferenz zu hören, in welchem Sinne dieselbe zu erledigen wäre. Ministerpräsident Graf Andrässy, welchem auch die übri¬ gen Konferenzmitglieder zustimmten, sprach sich für die willfährige Erledigung mit dem Beisatze aus, daß man durch die Entsendung der Ärzte nicht nur eine Konsequenz der Genfer Konvention14 erfülle, sondern den Ärzten auch die in unserem eigenen Interesse liegende Gelegenheit zur praktischen Ausbildung gebe. 14 Genfer Konvention: 1864 schlossen auf Einladung der Schweiz 16 Staaten eine Überein¬ kunft, nach der im Krieg alle verwundeten und kranken Militärpersonen ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit in gleicher Weise versorgt werden sollten. <pb/>Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 85 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er warte mit der Entsendung von Militärärzten nur auf das Ergebnis der im Wege des Ministe¬ riums des Äußern und unserer Gesandtschaften eingeleiteten Rückfrage bei den kriegsführenden Teilen, ob die Entsendung gewünscht werde. III. Über Vortrag des Ministerpräsidenten Graf Andrässy geruhte Seine Majestät ferner zu genehmigen, daß die Anfrage der englischen Regierung, ob eine in Fiume erliegende Ladung von noch lange vor dem Kriegsausbruch englischerseits bei dem Erfinder in Österreich bestellten Torpedos durch ein englisches Kriegsschiff abgeholt werden könne, in der Erwä¬ gung beantwortet werde, daß das Neutralitätsprinzip nur die Waffenerfolgung an die Belligeranten verbiete. Über Motion des Grafen Andrässy kam auch die Ausfuhrbewilligung für eine Quantität nach Serbien bestellter Gewehre und von 1600 für Rechnung der Tür¬ kei bestellten Pferden zur Sprache. Seine Majestät der Kaiser geruhte jedoch zu bemerken, daß durch allzu häufige Konzedierung solcher Ausnahmen das Ausfuhrverbot illuso¬ risch werde. Übrigens sei bei dem schlechten Fortgang des Pferdeeinkaufes für die Armee unser eigener Bedarf noch nicht gedeckt. IV. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erwähnte schließlich der jüngst auf ihn gerichteten Angriffe in ungarischen Tagesblättem. Im Honved15 sei er angegriffen worden, weil er die Herausgabe eines Mitrailleuse- musters für die ungarische Landwehr verweigert habe, im Lloyd und Naplö16 werde er beschuldigt und sogar seine Versetzung in den Anklagestand beantragt, angeblich weil er die ihm von den Delegationen votierten Gelder nicht zu budget¬ mäßigen Ausgaben verwendet habe, wovon die Notwendigkeit außerordentlicher Kredite für die letzten Armeestandskomplettierungen herrühre. Seine Majestät der Kaiser geruhte zu bemerken, wie unange¬ nehm für die Regierung und noch dazu vom Anfang bis zu Ende unwahr der be¬ wußte Lloyd-Artikel sei. Man solle achtgeben, daß dergleichen Artikel in die Spalten der Journale nicht Eingang finden. Es bleibe davon in der öffentlichen Meinung stets etwas hängen; diese üben dann auch auf die Delegierten ihren Einfluß, und daher komme es, daß man in den Delegation [sic!] stets vorgefaßten Meinungen gegenüberstehe. Honved, ein ungarisches militärisches Wochenblatt, greift häufig Kriegsminister Kuhn an, weil er die Versorgung der ungarischen Landwehr mit Artillerie verhindert, und das Blatt bezweifelt, daß der gemeinsame Kriegsminister das Recht habe, sich in die Angelegenheiten der ungarischen Landwehr einzumischen. So auch 18. 8. 1870, 1. 9. 1870. Über die Artikel in der ungarischen Presse gegen Kuhn Generalkommando zu Ofen, FML. Baron Gablern an Reichskriegsminister v. 20. 8. 1870. KA. KM. Präs. 59-24/2/1870. Es handelt sich um die Ausgabe des Pesti Naplö vom 20. August. Für den Artikel bittet Andrässy Kuhn um Verzeihung. 23. 8. 1870. KA. KM. Präs. 59-24/2/1870. <pb/>86 Nr. 12 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. August 1870 Reichsfinanzminister v. Lönyay: Das korrekte Gebaren des Kriegsministers lasse sich von Position zu Position nachweisen. Man könne in dieser Beziehung das eigene Urteil der Delegationen ruhig abwarten. Vorläufig werde als Entgegnung auf die erwähnten Artikel ein offizielles Dementi genü¬ gen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Er habe keine Idee, wo¬ her die Angriffe auf den Kriegsminister herkommen können. Vage Vermutungen wolle er nicht aussprechen und habe daher Nachfragen nach der Provenienz ein¬ geleitet. Soviel glaube er aber behaupten zu können, daß diese Artikel, die er selbst aufs lebhafteste bedauere, nicht aus Zivilkreisen herstammen. Über die Erfolgung der Mitrailleusen an die ungarischen Honveds entspann sich nun eine längere Diskussion zwischen dem Reichskriegsminister und dem ungarischen Ministerpräsidenten. Freiherr v. Kuhn hielt dies Verlan¬ gen im Wehrgesetz nicht begründet, in welchem der ungarischen Landwehr aus¬ drücklich nur Infanterie und Kavallerie mit Ausschluß der Artillerie zugestanden werde und an welches er sich bis auf weiteren höheren Befehl halten müsse. Graf Andrässy dagegen erklärte zurückgreifend auf die Verhandlung über das Wehrgesetz, damals der Verweigerung der Artillerie nur aus ökonomi¬ schen Rücksichten zugestimmt zu haben. Nun aber sei die Situation so, daß man möglicherweise schnell die Wehrkraft hersteilen müsse und unter Umständen die ungarische Landwehr auch für sich operieren werde. Im Falle der Verwendung der Landwehr an der siebenbürgischen Grenze oder bei Niederwerfung eines Aufstandes werde sich die Mitrailleuse mit Erfolg verwenden lassen, und deshalb halte er die Akquisition dieser leicht zu handhabenden Waffe für die Landwehr geboten. Das Argument, daß der Besitz von Mitrailleusen durch das Wehrgesetz ausgeschlossen sei, könne er schon deshalb nicht gelten lassen, weil dieselbe keine eigentliche Artilleriewaffe sei, am wenigsten aber könne er es hinnehmen, wenn der Weigerung des Kriegsministers ein Mißtrauen in die Treue der ungari¬ schen Landwehr zugrunde liegen sollte, welches Ungarn nach seiner letzten Hal¬ tung gewiß nicht verdiene. Er müsse also auf der Bestellung beharren. Womit die Sitzung geschlossen wurde. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 3. September 1870. Franz Joseph. <pb/>