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Gemeinsamer Ministerrat, 13. 8. 1870

Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870                    61

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Der ungarischen Regie¬
rung sei es nur darum zu tun, bei vorkommenden Interpellationen sich mit der
Wiedereinführung des Placetum ausweisen zu können, weiter gedenke sie nichts
zu tun. Der Fall einer Widersetzlichkeit bder Bischöfeb werde übrigens in Ungarn
gar nicht Vorkommen.

   Reichskanzler Graf Beust: Wenn in Ungarn in dem immerhin
möglichen Fall der Nichtfolgeleistung gegen die Bischöfe nicht eingeschritten
werde, so werde der Eindruck in der anderen Reichshälfte der sein, daß das Place¬
tum nicht viel Wert habe und man sich daher umso leichter über dessen Nichtein¬
führung trösten werde, so daß ihm der für Ungarn eingeschlagene Weg ganz nütz¬
lich erscheine. Jedenfalls müsse er um eine offizielle Bekanntgabe des Zirkulares
an die ungarischen Bischöfe bitten, um von unseren Schritten der Kurie in Rom
in angemessener Weise Mitteilung machen zu können.5

   Seine Majestät der Kaiser geruhte diesem Wunsch durch dem-
gemäße Beauftragung des Grafen Andrässy Folge zu geben, womit die Sitzung
geschlossen wurde.

                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 20. August 1870. Franz Joseph.

        Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. August 1870

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident
Graf Potocki (20. 8.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (20. 8.), der Reichsfinanzminister
v. Lönyay (22. 8.), der k. k. Minister des Innern Graf Taaffe (22. 8.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Presseangelegenheiten. II. Ungarische Nordostbahn.

b_b Einfiigung.

5 Siehe Andrässy an Beust v. 10. 8. 1870. HHStA., PA. XL, Karton 130. Ah. E. v. 9. 8. 1870
        setzte das Placetum Regium in Kraft, darüber informierte ich sämtliche katholischen Diöze-
        san-Erzbischöfe und Bischöfe der Ungarischen Krone und zugleich auch Sie. Ministerpräsi¬
        dent Gyula Andrässy macht die Bischofskonferenz aufdie Ah. E. v. 9. 8. 1870 aufmerksam,
        darauf, daß das Jus placeti regii die Besetzung kirchlicher Pfründen und die Verkündung
        päpstlicher Bullen an die königliche Genehmigung knüpft. Siehe Adriäni, Ungarn und das I.
        Vaticanum 304 ff.
<pb/>62 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870

   KZ. 3098-RMRZ. 76
   Protokoll des zu Wien, am 13. August 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanz¬
lers Grafen Beust.

   [I.] Reichskanzler Graf Beust leitete die Besprechung mit der
Hindeutung auf das auch an ihn gelangte Ah. Handschreiben vom 8. 1. M. ein,
betreffend die Veröffentlichung militärischer Vorkehrungen durch die Tagesblät¬
ter.1

   Er habe bereits in einem au. Vortrag darauf hingewiesen, wie sein Ressort,
dessen Beamten die veröffentlichten Maßregeln ihrer Natur nach gar nicht be¬
kannt sein konnten, an den begangenen Indiskretionen keine Schuld trage; im
übrigen aber Seiner Majestät die Erwägung der Sache im Ministerrat und die
Berichterstattung über den Erfolg in Aussicht gestellt.2 Die Hintanhaltung dieser
bedauerlichen Publikationen durch die Zeitungen müsse von zwei Seiten ange¬
strebt werden: 1. durch die Sicherung des Amtsgeheimnisses in allen Sphären des
Dienstes und 2. durch Maßregeln, damit die Presse die ihr bisher gegönnte Frei¬
heit nicht mißbrauche.

   In ersterer Beziehung werde es nebst achtsamem Verschluß aller an die Mini¬
ster gelangenden Befehle hauptsächlich auf eine vorsichtige Auswahl der Perso¬
nen, welchen gewisse Ausarbeitungen obliegen, ankommen. Wichtiger sei die
andere Frage, denn noch sei der Moment zum direkten Verbote von Publikationen
der erwähnten Kategorie nicht eingetreten, und doch sei es anderseits nicht un¬
denkbar, daß wir bald in eine Lage kommen können, wo wir genötigt sind, weite¬
re militärische Vorkehrungen zu treffen, deren Bekanntwerden in weiteren Krei¬
sen jedoch vermieden werden müsse. Man möge sich also darüber klar werden,
ob nicht die Anwendung von Maßregeln möglich wäre, die, ohne gerade eine
Suspension des Preßgesetzes zu involvieren, doch geeignet sind, die Presse eini¬
germaßen zu beschränken. Vorsitzender machte noch insbesondere auf die von
der Grazer Tagespost gebrachten Nachrichten aufmerksam, welche den Verdacht
erregen, daß dieses Blatt von irgendeiner maßgebenden Seite mit Nachrichten
versehen werde.

    Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Soweit es an
ihm liege, habe er das Möglichste zur Geheimhaltung militärischer Weisungen
getan. Er habe in dieser Beziehung vor zwei Tagen nicht nur die strengsten Be¬
fehle an die Generalkommanden erlassen, sondern auch den Parteienverkehr im
Kriegsministerium derart einrichten lassen, daß das Eindringen Unberufener in
die Bureaux nicht mehr gestattet ist. Aber es gebe gewisse Befehle, zum Beispiel

         Ah. Handschreiben vom 8. August 1870. HHSxA., Kab.Kanzlei KZ. B 60/c/1870.
2 Au. Vortrag von Beust vom 9. August 1870 in Betreff der Vorkehrungen zur Wahrung des

         Dienstgeheimnisses bezüglich der durch die gegenwärtigen Kriegsereignisse nötig geworde¬
         nen militärischen Maßregeln. Kab.Kanzlei KZ. 3130/1870.
<pb/>Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870  63

alle jene, die sich auf Ausrüstungen beziehen, deren EfFektuierung ihrer Natur
nach nicht geheim gehalten werden könne.

   Minister Graf Taaffe: Der Artikel IX des Gesetzes vom 17. De¬
zember 1862 erkläre die durch Druckschriften veröffentlichte Mitteilung aller¬
dings für ein strafbares Vergehen, wenn aus deren Beschaffenheit oder aus den
obwaltenden Umständen erkennbar war, daß dadurch die Interessen des Staates
gefährdet werden könnten, allein diese Bestimmung sei so lax, daß der Staatsan¬
walt gegenüber den bis noch vorliegenden Zeitungsmitteilungen aufgrund dieses
Artikels nichts ausrichten könne.3 Den Indiskretionen der Zeitungen könne man
also wirksam nur durch ein direktes Verbot entgegentreten, dazu liege aber in den
heutigen Verhältnissen noch kein genügender Anhalt vor, sondern nur bei unmit¬
telbar drohender Kriegsgefahr.

   Ministerpräsident Graf Potocki: Ein Verbot sei durch die
Lage noch nicht gerechtfertigt. Nicht einmal zu Ausnahmemaßregeln, wie sie im
Jahre 1868 in Böhmen zur Anwendung gelangten, könne er raten.4 Ein so drasti¬
sches Mittel sei jetzt angesichts der Versammlung des Reichsrates keineswegs
opportun.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Bei eintretender Mobi¬
lisierung scheine ihm das Verbot der Veröffentlichung von militärischen Vorkeh¬
rungen unerläßlich. Aber auch bis dahin gebe es einen Mittelweg, nämlich die
direkte Aufforderung an die Journale, allenfalls mittels Zirkular, daß sie nur offi¬
zielle Notizen aufhehmen, solche Mitteilungen aber vermeiden mögen, welche,
nicht aus authentischer Quelle kommend, nur dazu dienen, durch Entstellung der
Tatsachen oder Verbreitung absoluter Unwahrheiten unsere Neutralität zu kom¬
promittieren. Er halte dies nicht nur für einen möglichen, sondern auch für einen
wenigstens teilweisen Erfolg versprechenden Schritt, denn der gegenwärtige
Eifer, pikante Neuigkeiten zu bringen, rühre zumeist aus der Ambition der Jour¬
nale, hinter anderen Blättern nicht zurückzubleiben oder ihnen es, wenn möglich,
zuvorzutun, und werde sich legen, wenn der Gegenstand der Ambition hinweg¬
falle.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er verspreche
sich hievon keinen Erfolg. Die Wehrzeitung stehe bekanntlich in französischem,
andere Journale in preußischem Sold. Könne man diesen Einflüssen nicht durch
Barzahlungen ein Gegengewicht bieten, so könne man nicht weiter.

Preßgesetzv. 17. 12. 1862 RGBl. Nr. IV/1863. Das Gesetz modifiziert das kaiserliche Patent
vom 27. Mai 1852. Dritter Abschnitt: Bestimmungen über die strafbaren Handlungen, wel¬
che durch den Inhalt von Druckschriften begangen werden. Die Nr. IX im Protokoll ist offen¬
sichtlich eine Verschreibung.
Die Zurückweisung der sog. Tschechischen Deklaration (die die staatsrechtliche Eigenstän¬
digkeit der böhmischen Länder betonte) verursachte in den tschechischen Teilen Böhmens
eine Volksbewegung. Am 10. Oktober 1868 wurde der Ausnahmezustand verhängt, der erst
am 28. April 1869 aufgehoben wurde. Siehe Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848 bis
1918 329 ff.
<pb/>64 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870

   Reichskanzler Graf Beust: Wozu sollte man etwas versuchen,
was keinen Erfolg verspreche. Ein großer Teil der Schuld an der Haltung der
Journale falle auf das Ausland zurück, welches ein Interesse daran habe, daß das
Publikum durch solche Notizen beunruhigt und die Armee beirrt werde. Man
solle vielmehr auf Maßregeln sinnen, welche ohne einen Ausnahmezustand zu
begründen, angewendet werden könnten, wenn gewisse Eventualitäten, die je¬
doch noch nicht die Mobilisierung bedeuten, eintreten.

   Ministerpräsident Graf Potocki: Eine Veränderung der
Lage sei allerdings möglich, aber heute stünden wir doch noch auf dem Stand¬
punkte neutraler Zuschauer, und selbst der Eintritt einer veränderten Situation sei
vor dem Zusammentritt des Reichsrates nicht zu gewärtigen. Unter solchen Um¬
ständen könne er nicht raten, daß man, ohne auf den Reichsrat zu warten, etwa
nach § 14 des Staatsgrundgesetzes irgendeine die Bestimmungen des Preßgeset-
zes einschränkende Verordnung erlasse.5

   Minister Graf Taaffe: Das erste Mittel sei die strenge Überwa¬
chung der Bureaux, namentlich der Präsidien, und strenges Vorgehen bei vor¬
kommenden Unverläßlichkeiten. Von einem Appell an die Journale verspreche er
sich keinen Erfolg. Die respektableren Redaktionen würden dem an sie gestellten
Ansinnen vielleicht einige Zeit entsprechen, aber der größere Teil der Journale
(die kleineren Blätter) seien für dergleichen Zumutungen unzulänglich. Ohne
Geld richte man da nichts aus.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Sein Vorschlag habe
immerhin das für sich, daß er als Basis für weitere Maßregeln aufgrund des § 14
des Staatesgrundgesetzes dienen könne. Habe die Regierung den gütlichen Weg
erschöpft, so könne sie dann leichter, selbst ohne dekretierten Ausnahmezustand,
zu energischen Maßregeln greifen.

   Reichskanzler Graf Beust: Das Zirkular an die Journale wäre
eine große politische Maßregel, die ausgebeutet und das Mißtrauen des Auslan¬
des erst recht wachrufen könne.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay: Eine solche Aufforde-
rung an die Journale sei in Form offiziöser Kommuniques schon zweimal in der
Wiener Abendpost erschienen, habe aber keinen Erfolg gehabt.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Dann bleibe nichts üb¬
rig, als in gewissen regelmäßigen Zwischenräumen die mittlerweile veröffent¬
lichten Joumalmitteilungen im allgemeinen zu dementieren.

   Minister Graf Taaffe: Dies habe auch seine Bedenken, denn
manchmal sei an erscheinenden Zeitungsnotizen doch auch einiges wahr.

    Ministerpräsident Graf Potocki: Er könne nur wiederho¬
len, daß man, solange keine Ausnahmemaßregeln ergriffen werden - und dazu sei
noch nicht die Zeit -, den Journalen nicht beikommen könne.

5 Siehe GMR. v. 24. 7. 1870, RMRZ. 70. Anm. 3.
<pb/>Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870  65

   Ministerpräsident Graf Andrässy und Minister
Graf Taaffe machten übereinstimmend auf die schädliche Wirkung auf¬
merksam, welche die Suspension der Bestimmungen des Pressegesetzes heute
haben würde. Sie werde nach innen und außen Lärm machen und als ein Zeichen
der ernstlichen Inangriffnahme der Rüstungen gedeutet werden. Im ähnlichen
Sinne sprachen sich auch die übrigen Konferenzmitglieder noch weiter aus und
wurde allseitig anerkannt, daß vorläufig nichts erübrige, als durch Einschärfung
der strengsten Verschwiegenheit nach unten zu verhindern, daß den Journalen
Nachrichten der bezeichneten Art überhaupt zukommen.

   Reichskanzler Graf Beust hob schließlich noch hervor, wie
jede Maßregel insoweit illusorisch werde, als auch bei Erlassung eines Verbotes
für die inländischen Zeitungen die verpönten Nachrichten sofort durch die aus¬
ländischen Blätter den Weg in unsere Journale nehmen könnten, was allerdings
nicht den Effekt mache wie eine Originalmeldung aus dem Inlande.

   II. Reichsfinanzminister v. Lönyay machte sofort, an¬
knüpfend an die unter dem Ah. Vorsitze Seiner Majestät des Kaisers gefaßten
Beschlüsse über die Beschleunigung des Ausbaues der ungarischen Nordost¬
bahn,6 der Konferenz Mitteilung von einer ihm im Wege des königlich ungari¬
schen Kommunikationsministers zugekommenen Äußerung des Verwaltungsra¬
tes über die Möglichkeit und Bedingungen der beschleunigten Herstellung.7

   Hiernach habe sich der Verwaltungsrat unter der Voraussetzung, daß der Un¬
ternehmer in seinen Kraftanstrengungen durch die Mitwirkung der Jurisdiktio¬
nen, bzw. der Regierung unterstützt und die durch die forcierte Bauherstellung
erwachsenden Mehrkosten nicht der Kassa der Gesellschaft aufgebürdet werden,
anheischig gemacht, die sechs Meilen lange Strecke Szerencs-Üjhely binnen vier
Wochen, die circa 9 1/2 Meilen lange Strecke Üjhely-Csap-Munkäcs in acht
Wochen und die noch unfertige Strecke Szatmär-Kirälyhäza auf der Linie Deb-
reczin-Kirälyhäza binnen sechs Wochen mit Anwendung von Provisorien zur
Beförderung von Transporten fahrbar zu machen.

   Unter der Unterstützung der Regierung verstehe der Verwaltungsrat, daß die
Regierung wegen der raschen Schienenherbeischaffung sich bei den übrigen Ei¬
senbahnen verwende, daß die Exekutivorgane der Gesellschaft mit Vollmachten
zu den nötigen Einleitungen versehen und die Jurisdiktionen angewiesen werden,
denselben zur Beischaffiing von Fuhren und Arbeitern behilflich zu sein, daß
ferner dem Bevollmächtigten der Gesellschaft vom Staate ein Eisenbahningeni¬
eur und ein Organ des agemeinsamena Finanzministeriums als Beirat beigegeben

        Korrektur aus ung.

        GMR. v. 3. 8. 1870, RMRZ. 72; GMR. v. 4. 8. 1870, RMRZ. 73.
7 Vgl. der kgl. ung. Kommunikationsminister an kgl. ung. Ministerpräsidenten v. 25. 8. 1870,

        der kgl. ung. Ministerpräsident an k. k. Ministerpräsidenten und an gemeinsamen Finanzmi¬
        nister v. 28. 8. 1870 über die Möglichkeit der Beschleunigung des Ausbaues der ungarischen
        Nordostbahn. MOL. Sektion K-26, 1502/1870.
<pb/>66 Nr. 10 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1870

werde. Für die Forcierung der Arbeiten strebe der Verwaltungsrat keinen Gewinn
an, sondern verlange nur den Ersatz der durch die Forcierung des Baues beding¬
ten Mehrkosten für die Herstellung provisorischer Bauten, dann für die höheren
Fuhr- und Arbeitslöhne und sonstige Transportkosten, ferner die Vergütung der
Abnützung des Oberbaues und der Fahrbetriebsmittel, endlich für jene Provisori¬
en, welche sich für die Erreichung des Zweckes der Regierung ergeben, hingegen
für jene Provisorien nicht, welche, wie zum Beispiel Wasserstationen, dazu die¬
nen, daß die bereits fahrbar gemachten Strecken dem Verkehr auch vor Fertigstel¬
lung sämtlicher definitiver Bauten übergeben werden können.

   Was den Stand der Baukasse betrifft, so habe der Verwaltungsrat bei der Ang-
lo-Bank ein Depot von 5 209 009 fl., welche unter normalen Verhältnissen für
drei bis vier Monate hingereicht hätten. Die forcierte Bauherstellung erfordere
nun zur Erlangung weiterer Geldmittel eine Finanzoperation behufs Lombardie¬
rung der der Gesellschaft gehörigen, aber wegen der schlechten Kursverhältnisse
nicht verkaufbaren 18 Millionen in Prioritätsobligationen, wozu der Staat durch
Übernahme der Zinsen samt Provisionsdifferenz behilflich sein solle. Dies seien,
bemerkte der Reichsfinanzminister, die Bedingungen, welche der Staat zu erfül¬
len hätte, und es wäre gut, sich hiernach heute schon über die beiläufigen Kosten
und das Maß der übernommenen Verantwortung klar zu werden.

    Ministerpräsident Graf Andrässy ergänzte diese Ausfüh¬
rung durch die Bemerkung, daß die auflaufenden Kosten als durch gemeinsame
Wehrvorsichtsmaßregeln hervorgerufen den gemeinsamen Finanzen zur Last zu
fallen hätten. Was die Bedingungen des Verwaltungsrates betreffe, so habe er
gegen die ex offo-Beistellung wenn auch bezahlter Fuhren und Arbeiter das Be¬
denken, daß dadurch dem Ganzen der Stempel öffentlicher Arbeiten aufgedrückt
werde, was gleichfalls Lärm machen könnte.

    Die Frage der Kostenbestreitung für die Forcierung der erwähnten Eisenbahn¬
bauten gab nun zu einer kurzen Diskussion Anlaß, welche zu einem dilatorischen
Beschluß führte. Während nämlich Reichsfinanzminister v.
L 6 n y a y auf das reziproke Verhältnis hinwies, daß die aus gleichem Anlasse
zu formierenden Eisenbahnbauten in der diesseitigen Reichshälfte ebenfalls als
Wehrvorbereitung aus den gemeinsamen Geldern zu bestreiten kommen, ver¬
hehlte Ministerpräsident Graf Potocki nicht den üblen Ein¬
druck, den es in der diesseitigen Reich[shälfte] machen werde, wenn mit Hilfe
von Reichsgeldem so bedeutende Strecken ungarischer Bahnen hergestellt wer¬
den, und erklärte sich außerstande, vor der Beratung im cisleithanischen Mini-
sterrat eine bindende Erklärung abzugeben.8

    Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn hinwieder be¬
merkte, daß in der diesseitigen Reichshälfte viel kürzere Strecken mit Anwen-

         lm darauffolgenden gemeinsamen Ministerrat GMR. v. 15. 8. 1870, RMRZ. 77 äußert sich
         Potocki ähnlich. Gemäß dem Kab.Kanzlei Index KZ. 3098-3099/1870 behandelte der cislei-
         thanische Ministerrat die Angelegenheit, das Protokoll istjedoch nicht erhalten.
<pb/>Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. 8. 1870                    67

düng gemeinsamer Mittel zu forcieren kommen als drüben. Das Verhältnis sei
also ein ungleiches. Auch gehöre die Bewilligung der fraglichen Auslagen vor die
Delegationen, welche der gemeinsamen Regierung eventuell die Indemnität zu
erteilen hätten und welche, wenn die Gefahr nicht als dringend nachgewiesen
werde, gewiß große Schwierigkeiten erheben würden. Man müsse also vorsichtig
vergehen und sich wenigstens eine beiläufige Berechnung der dem Staate er¬
wachsenden Beisteuer für die forcierten Bahnherstellungen geben lassen, damit
man wenigstens die Ziffern kennenleme, mit denen man zu tun haben wird.

   Es möge also der Verwaltungsrat der ungarischen Nordostbahn zur Vorlage
solch einer beiläufigen Berechnung aufgefordert und über diese zugleich mit dem
Erfordemisausweise der diesseitigen Reichshälfte, welchen Sektionschef v. Pre-
tis9 beizustellen hätte, im gemeinsamen Ministerrate nochmals verhandelt wer¬
den.10 Die Konferenz erklärte sich hiemit einverstanden.

   Schließlich machte noch Reichsfinanzminister v. Lönyay
auf die Notwendigkeit einer baldigen Besprechung über die nächsten Delegati¬
onsvorlagen im allgemeinen aufmerksam, worauf die Sitzung geschlossen
wurde.

                                                                                                  Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 24. August 1870. Franz Joseph.

        Nr. 11 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 15. August 1870

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: Seine k. k. Hoheit Erzherzog Albrecht (o. D.), der Reichskanzler Graf Beust
(o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf
Potocki (20. 8.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (20. 8.), der Reichsfinanzminister v.
Lönyay (22. 8.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Dalmatinische Angelegenheiten. II. Delegationsvorlagen. III. Ungarische Nord¬
ostbahn.

   KZ. 3099 - RMRZ. 77
   Protokoll des zu Wien am 15. August 1870 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

9 Am 13. April 1870 wurde SektionschefSisino Freiherr von Pretis mit der Leitung des k. k.
        Handelsministeriums betraut.

10 GMR. v. 15. 8. 1870, RMRZ. 77.
<pb/>