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Gemeinsamer Ministerrat, 4. 8. 1870

I. Armeebefehl wegen Pferdeankauf und teilweiser Mannschaftseinberufung

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I2/pdf/oe_hu_mrp_I2_z7.pdf.

Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870                        43

Österreich und Ungarn eine gegenseitige Kontrolle der Zollgebarung eintreten zu
lassen.

   Finanzminister Freiherr v. Holzgethan: Es sei schwer,
den gewaltsamen Pferdeschmuggel, wenn diese auf der Eisenbahn bis an die
Grenze gebracht werden, zu hindern, denn es sei schon öfters vorgekommen, daß
die Händler ganze Rudel Pferde über die Grenze jagten, wo es dann unseren nicht
berittenen Grenzwächtem unmöglich sei, die Schmuggler zu verfolgen. Um dies
zu verhindern, sei nun verordnet worden, daß auf Eisenbahnen Pferdetransporte
ohne Zertifikate nicht weiter als bis zehn Meilen diesseits der Grenze befördert
werden dürfen.

   Er müsse bei diesem Anlasse darauf aufmerksam machen, wie schädlich für
den Grenzdienst die Einberufung der militärpflichtigen Finanzwächter im Mobi¬
lisierungsfalle wäre, und die Erfahrung, die er im Jahre 1859 in Italien gemacht,
nötige ihn zu der Bitte, bei einer Militäreinberufung die Finanzwächter davon
auszunehmen. Widrigenfalls werde die Grenze bloßgelegt und der Schaden für
das Ärar sei dann viel größer als der Nutzen für die Armee.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte zu bemerken, daß jetzt von
einer Einberufung der Finanzwächter unter die Waffen keine Rede sei. Komme es
aber zur Mobilisierung, so müßten auch sie einberufen werden, schon aus Rück¬
sicht auf das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht.

   Nachdem noch Ministerpräsident Graf Potocki hervorge¬
hoben hatte, wie zur Verhinderung des vom k. k. Finanzminister angedeuteten
Pferdeschmuggels auch die Gendarmerie mit Erfolg verwendet werden könnte,
wurde die Sitzung geschlossen.

                                                                                                  Beust

[Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 20. August 1870. Franz Joseph.

         Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. August 18701

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (9. 8.), der Reichskriegsminister Freiherr
v. Kuhn (10. 8.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (11. 8.).
    Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Armeebefehl wegen Pferdeankauf und teilweiser Mannschaftseinberufimg. II.
Militärgrenzffage. III. Munkäcs-Stryer Eisenbahn.

Den Ministerrat analysieren Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußische
Krieg 1870-1871 71-74, 77-78, 93-95; Lutz, Österreich-Ungarn und die Gründung des
Deutschen Reiches 229.
<pb/>44 Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870

   KZ. 2872 - RMRZ. 73
   Protokoll des zu Wien am 4. August 1870 abgehaltenen Ministerrates für ge¬
meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

   I. Über Ah. Aufforderung produzierte Reichskriegsminister
Freiherr v. Kuhn den Entwurfdes Befehles, welchen er behufs Ausfüh¬
rung der nach den bisherigen Vereinbarungen im gemeinsamen Ministerrate not¬
wendigen Komplettierung des Armeestandes hinauszugeben beabsichtige. Einst¬
weilen werde nur die Sicherstellung des Pferdebedarfes für die Kavallerie,
Artillerie und das Fuhrwesen erster Linie und hiemit im Zusammenhang die Ein¬
berufung der Kavalleriemannschaft und der Fahrkanoniere, dann der erforderli¬
chen Unteroffiziere bei der Artillerie (je 15 Mann pro Regiment) und der durch
den erhöhten Pferdestand bedungenen Schmiede angeordnet.2 Glaube er nun auch
die erwähnte Komplettierung im Prinzip als beschlossen betrachten zu können,
so müsse er doch Wert darauf legen, sich der Ah. Zustimmung auch zu der Form
der beabsichtigten Einleitung zu versichern, und in diesem Anbetrachte könne er
nicht unterlassen, die betreffende Verordnung vor der Publizierung der Konfe¬
renz zur Kenntnis zu bringen, mit besonderer Hinweisung auf den die Motivie¬
rung der Maßregel enthaltenden Passus.

    Bei der darauffolgenden kurzen Diskussion wurden gegen diese Maßregel des
Kriegsministers von keiner Seite Einwendungen erhoben, vielmehr erblickten
alle Konferenzmitglieder darin nur eine selbstverständliche Folge unserer schon
in der Zirkulardepesche des Grafen Beust niedergelegten Politik angesichts der
Lage Europas, welche auch andere Staaten zu Rüstungen veranlasse.3

    Zwar verkannte man nicht die alarmierende Wirkung, wenn die Maßregel in
die Öffentlichkeit gelange, und wurde von verschiedenen Seiten auf die Vermei¬
dung der nicht unbedingt nötigen Verlautbarungen, auf den nur sukzessiven Pfer¬
deeinkauf und auf die Beschränkung der Mannschaftseinberufung innerhalb des
Erfordernisses der Abrichtung hingedeutet, aber bei näherer Betrachtung stellte
sich eine solche Zurückhaltung mit Rücksicht auf die Händler und Lieferanten,
die ihre Einleitungen rechtzeitig treffen müssen, und in Hinblick auf die gebotene
Pferdewartung und Einübung, wozu ein erhöhter Mannschaftsstand benötigt
wird, als untunlich heraus.

    Ministerpräsident Graf Andrässy machte noch insbeson¬
dere darauf aufinerksam, daß man den Alarmartikeln in den Journalen mit beru¬
higenden Erklärungen unserer Rüstungen durch die bisherige Sparsamkeit in der
Armeegebarung und durch die Notwendigkeit uns mit den rüstenden Nachbar-

         Über das Pferdeausfuhrverbot verhandelte GMR. v. 18. 7. 1870, RMRZ. 67. Siehe Anm. 12 zu
         diesem Protokoll. Siehe weiter: au. Vortrag des RKM. v. 8. 9. 1870, Gesetzentwurf wegen
         Deckung des Bedarfes an Pferden bei Mobilisierung mit der au. Bitte unterbreitet wird, den¬
         selben den betreffenden beiderseitigen Landesministerien zur weiteren verfassungsmäßigen
         Behandlung übergeben zu dürfen. KA. MKSM. 75-1/3.
         Zirkulardepesche von Beust v. 20. 7. 1870. Siehe GMR. v. 18. 7. 1870, RMCZ. 67. Anm. 10.
<pb/>Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870  45

Staaten auf gleichen Fuß zu setzen, entgegentreten solle, worauf Seine
Majestät der Kaiser die Gnade hatte, die Erlassung des erwähnten
Armeebefehles zu genehmigen mit ausdrücklicher Aufnahme des Passus ,,daß
um die, durch den gegenwärtigen aus Sparsamkeitsrücksichten gebotenen gerin¬
gen Friedensstand geschwächte Schlagfertigkeit des Heeres zu erhöhen etc.&quot;

   II. Seine Majestät der Kaiser geruhte sofort als Hauptgegen¬
stand der heutigen Besprechung die Frage der Militärgrenze zu bezeichnen,4 wel¬
che in einem au. Vortrage des Reichskriegsministers anläßlich eines Berichtes des
FML. Mollinary neuerlich in den Vordergrund gestellt worden sei und bei der heik¬
len Natur der hiebei in Frage kommenden Interessen angesichts der politischen
Verhältnisse im allgemeinen und einer möglichen Mobilisierung insbesondere eine
doppelt achtsame Behandlung erheische.5 Seine Majestät geruhte sofort die er¬
wähnten beiden Aktenstücke mit dem Bemerken zur Verlesung bringen zu lassen,
daß der Bericht des FML. Mollinary immerhin geeignet sei, zu der Erwägung zu
drängen, wie gegebenen Falles der Ausmarsch der Grenzer einzuleiten sei?

   Dieser Bericht, unter dem frischen Eindrücke einer eben beendeten Landesbe¬
reisung geschrieben, konstatierte das Vorhandensein von unter der tiefen Abnei¬
gung gegen Ungaren [sic!] und die kroatische Zivilregierung gedeihenden Agita¬
tionen unter den Grenzern, um ihren Ausmarsch zu verhindern, und namentlich
im Oguliner Regiment die Gefahr offenen Ausbruches von Unruhen; sowie über¬
haupt in der Grenze eine allgemeine, auch in Eingaben an FML. Mollinary zum
Ausdruck gelangte Unzufriedenheit der Bevölkerung über das Nichtzustande¬
kommen eines Grenzlandtages, den Nichtempfang der nach Wien entsendeten
Deputation, die Waffenabnahme im Peterwardeiner Regimentsbezirke, die Vor¬
gänge bei der Jellachichfeier [sic!], die Übergehung Strossmayers6 bei der

Über die Entmilitarisierung der Militärgrenze siehe: GMR. v. 30. 6. 1868, RMRZ. 18; GMR.
v. 3.11. 1868, RMRZ. 23; GMR. v. 14. 11. 1868, RMRZ. 24; GMR. v. 17.11. 1868, RMRZ. 25;
GMR. v. 9. 2. 1869, RMRZ. 34; GMR. v. 18. 2. 1869, RMRZ. 36; GMR. v. 27. 2. 1869, RMRZ.
37; GMR. v. 7. 5. 1869, RMRZ. 43; GMR. v. 26. 5. 1869, RMRZ. 44; GMR. v. 1. 7. 1869,
RMRZ. 53; GMR. v. 11. 8. 1869, RMRZ. 58; GMR. v. 13. 8. 1869, RMRZ. 59; GMR. v. 12. 10.
1869, RMRZ. 61; GMR. v. 14. 10. 1869, RMRZ. 62. Publiziert in Die Protokolle des gemein¬
samen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie 1/1 und die Einleitung zu
diesem Band XLII-XLVI.
Au. Vortrag des Reichskriegsministers v. 2. 8. 1870 über die gegenwärtigen Verhältnisse der
Militärgrenze KA. MKSM. 49-1/5. Im Bericht des FML. Mollinary v. 22. 7. 1870 heißt es,
daß eine gewisse Partei kein Mittel scheuen würde, um die etwaige Mobilmachung der
Grenztruppen und deren Abmarsch aus Regimentsbezirken zu verhindern. Ebd. Vgl. weiter
Mollinary an Kuhn v. 30. 7. 1870. KA. KM. Präs. 15-20/6. Mollinary v. Monte Pastello,
Anton Freiherr von, FML. Literatur: Rothenberg, The Struggle over the Dissolution of the
Croatian Military Border 1850-1871. 63-78; Ders., The Military Border in Croatia 1740-
1881, 175-179; Vanicek, Spezialgeschichte der Militärgrenze Bd. 4 309-387.
Strossmayer, JosipJuraj (1815-1905).
<pb/>46 Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870

Agramer Erzbischofsemennung usw. Der au. Vortrag des Kriegsministers gipfel¬
te in dem Anträge, man möge es versuchen, die aufgeregten Grenzer zu beruhi¬
gen, was nur durch baldige Einführung der schon lange angebahnten Verbesse¬
rungen zu erreichen wäre.

   Nach der Verlesung erklärte sich Reichskriegsminister Frei¬
herr v. Kuhn für die Sistierung der bisher noch nicht vollzogenen Provin-
zialisierung der Grenze und ergänzte seine schriftliche Ausführung mit der Mit¬
teilung über Nachrichten aus Agram, welche den baldigen Ausbruch von
Feindseligkeiten zwischen Montenegro und der Türkei erwarten und das Weiter¬
greifen der Bewegung unter den Südslawen befürchten lassen, was dem Mini¬
sterpräsident Grafen Potocki zu der Bemerkung Anlaß gab, daß
anderen Nachrichten zufolge Rußland die strengsten Befehle nach Montenegro
gegeben habe, sich ruhig zu verhalten.

   Hierauf erbat sich Ministerpräsident Graf Andrässy das
Wort, um zunächst bezüglich der Eventualität einer südslawischen Bewegung
seiner Überzeugung Ausdruck zu geben, daß der Friede an unserer Südgrenze nur
temporärer Natur und lediglich von der Haltung der Monarchie in der großen
politischen Tagesffage abhängig sei. Sowie Österreich-Ungarn aktiv eintrete,
werde Rußland das Zeichen zum Losschlagen geben. Um dieser Bewegung die
Spitze abzubrechen, erübrige nichts, als Serbien zu neutralisieren, denn Montene¬
gro allein werde die Bewegung nicht fortzupflanzen imstande sein. Übergehend
auf die Grenzffage, so sei es ein bewährter Regierungsgrundsatz - und er huldige
demselben unbedingt -, daß man wohl im Frieden Konzessionen machen könne,
nie aber zu einer Zeit, wo das Nachgeben den Schein der Schwäche an sich trage:
deshalb möge man sich durch einseitige Darstellungen nicht beirren lassen und
auf der eingeschlagenen Bahn entschieden vorwärts schreiten.

    Hier stünden sich nun zwei Standpunkte gegenüber. Das Programm der Agita¬
tion in der Grenze sei: Revision des ungarisch-kroatischen Ausgleiches und Zu¬
sammentritt eines Grenzlandtages, der gesetzliche Boden dagegen, auf welchem
die Regierung stehe, weise die über Ah. Befehl vollzogene und von Seiner Maje¬
stät sanktionierte Tatsache des Ausgleiches zwischen Ungarn und Kroatien auf.7
Zu dessen Konsequenzen nun aber auch die Provinzialisierung der Militärgrenze
gehöre, deren teilweisen Vollzug Seine Majestät voriges Jahr anbefohlen habe.8
Leider sei derselbe von der früheren Regelung der Quotenfrage abhängig ge-

         Im kroatisch-ungarischen Ausgleich von 1868 übernahm Ungarn die deklarierte Verpflich¬
         tung, die legislative und administrative Vereinigung der Militärgrenze mit Kroatien zu betrei¬
         ben. GA. XXX/1868.
         Kaiser Franz Joseph ordnete mit Handschreiben v. 19. 8. 1869 als ersten Schritt die Auflö¬
         sung der beiden Warasdiner Regimenter sowie die Übergabe ihrer Bezirke und der Kommu¬
         nitäten Zengg, Ivanic, Bellovar und der Landgemeinde Sissek an die Zivilverwaltung an.
         Wagner, Geschichte des k. k. Kriegsministeriums II: 1866-1888 111.
<pb/>Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870  47

macht worden.9 Die Schuld daran, daß diese Regelung noch nicht erfolgte, treffe
nicht Ungarn, denn die dortige Regierung habe den Forderungen des Ministeri¬
ums Hasner10 in allen Punkten entsprochen und auch die verfassungsmäßige Be¬
handlung des Ergebnisses der Vereinbarung rechtzeitig eingeleitet, sondern sie
liege in den Verhältnissen diesseits der Leitha.

   Sei dem wie immer, so stehe die Provinzialisierung der bewußten Regiments¬
bezirke in Verbindung mit der gleichzeitigen Einführung von Reformen in der
Grenze prinzipiell fest, und es wäre also ein Beweis von Schwäche, wenn man,
um die Grenzbevölkerung angesichts der Kriegsgefahr zu beruhigen, nur die auf
die Waldservituten und sonstige materielle Fragen Bezug habenden Reformen
einführen wollte, ohne auch den zweiten Teil des vorjährigen Beschlusses, näm¬
lich die Provinzialisierung, in Angriff zu nehmen. Gegen einen solchen einseiti¬
gen Vorgang müsse er entschieden Verwahrung einlegen. Das Kriegsministerium
solle nicht als ausschließender Spender von Wohltaten in der Grenze hingestellt
und dadurch im vorhinein ein Odium auf die nachfolgende Zivilverwaltung ge¬
wälzt werden, vielmehr solle man auch nach außen die Harmonie zwischen bei¬
den Verwaltungen manifestieren. Der Mangel des Glaubens an diese Harmonie
sei zum großen Teil Schuld an den zu Tage tretenden Schwierigkeiten. Wolle man
nun aber absolut etwas zur Beruhigung der Grenzer tun, und er wolle die Nütz¬
lichkeit einer solchen Beruhigung nicht in Abrede stellen, so möge man ohne
weiters mit den beruhigenden Reformen, als da sind: die Ausscheidung der Wal¬
dungen, Ausnützung des bewußten Holzgeschäftes, Regelung des Kommunitäts¬
wesens und der Freizügigkeit etc. vergehen, gleichzeitig aber auch die Provinzia¬
lisierung vollziehen. Es müsse aber sogleich und noch vor Anbruch einer
bestimmten Kriegsgefahr geschehen. Dadurch verliere die Reform den Schein
aeiner durch die momentane Gefahr ausgelösten Konzession&quot; und stelle sich als
fixes Einhalten der voqährigen Beschlüsse dar. Jeder andere Weg kompromittiere
die Regierung, zerreiße den Ausgleich mit Kroatien und verletze die immer kräf¬
tiger werdende kroatische Unionspartei.11 Der Ungamhaß sei nicht so groß, wie
die Berichte ihn darstellen, es kämen auch gegenteilige Manifestationen vor, und
was nachgerade den Fortbestand des Grenzverbandes betreffe, so gebe es selbst

Korrektur aus der Konzession.

Es wurde im Ministerrat v. 18. 8. 1869, RMRZ. 59 beschlossen, die Deputationen des Reichs¬
rates bzw. Reichstages sollen nichtjedesmal neu über die Änderung des Quotenverhältnisses
feilschen, wenn wieder ein Regiment unter die Oberhoheit Ungarns bzw. Kroatiens gelangt,
sondern die Regierungen der beiden Staaten einigen sich aufkurzem Wege im Laufe der acht
Jahre, in denen die vollständige Entmilitarisierung vor sich geht. Bis dahin laufe die 1867
aufzehn Jahre geschlossene Quotenvereinbarung aus und eine neue müsse geschlossen wer¬
den.
Hasner von Artha, Leopold, im Jahre 1870 k. k. Ministerpräsident.
Die Unionisten: die Partei des kroatischen Landtages, die der Anhänger und Unterstützer
des Dualismus ist.
<pb/>48 Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870

in der Grenze niemanden, der ihn auf die Dauer aufrecht zu erhalten wünsche.
Die Hauptsache sei, daß in der Grenze nicht absichtlich Unfrieden gestiftet werde
um eigener Interessen willen und daß man den Wühlereien, wie sie in Zatocnik12
offen betrieben werden, von oben aus ein Ende mache. Die Befürchtung der Ver¬
weigerung des Ausmarsches der Grenztruppen vermöge Vortragender nicht zu
teilen, vielmehr sei er fest überzeugt, daß die Regimenter dahin marschieren wer¬
den, wohin Seine Majestät befiehlt.

   Die Meinung des Vortragenden gehe also dahin, daß man die Quotenfrage, die
in Ungarn schon gelöst sei und hier, wenn es die Regierung forciere, in kürzester
Frist durchgesetzt werden könnte, im Reichsrat gleich nach dem Zusammentritt
einbringen solle, wofeme nicht die Regierung, was wohl das erwünschteste wäre,
sich entschließen wolle, in Anhoflfimg einer Indemnität die Zustimmung der dies¬
seitigen Reichshälfte nach § 14 des Staatsgrundgesetzes auszusprechen.13 Nach
Regelung der Quotenfrage solle sofort die Provinzialisierung in Angriff genom¬
men und dem kroatischen Landtage, dessen hundertjähriger Wunsch damit in
Erfüllung gehe, die entsprechende Vorlage gemacht werden.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er vermöge
den Zusammenhang der Reformen mit der Provinzialisierung, so daß erstere ohne
letztere nicht durchführbar sei, nicht einzusehen, und es sei auch von anderer
Seite zugegeben worden, daß die Grenzauflösung bei der patriarchalischen Natur
der dortigen Verhältnisse nur nach und nach erfolgen und durch angemessene
Reformen angebahnt werden solle. Ob letztere vom Kriegsministerium oder von
der ungarischen Regierung eingeleitet werden, scheine ihm sachlich ziemlich auf
eins hinauszulaufen. Der Fortbestand der Grenze werde auch von der Grenzbe¬
völkerung als imhaltbar anerkannt, dagegen fühle sie recht wohl, daß die plötzli¬
che Auflösung für sie von Schaden wäre. In der Holzfrage allein liege das beruhi¬
gende Moment keineswegs ausschließlich. Was die politische Seite der
Auflösungsfrage betrifft, so habe er den Grenzbehörden stets die Weisung gege¬
ben, diese beiseite zu lassen und sich nur auf die rein administrativen Agenden zu
beschränken.

    Ministerpräsident Graf Potocki: Nach den Ausführungen
des Grafen Andrässy scheine ihm die Quotenfrage der Schlüssel zur Lösung der
weiteren Frage über die Grenzauflösung zu sein, und so wolle er auch nur erstere
ins Auge fassen. Die Stipulierung der Quote nach § 14 des Staatsgrundgesetzes
gehe nicht an, denn man möge nicht vergessen, daß die Grenzauflösung in dieser
Reichshälfte nie populär war, daher sich bei der Verhandlung im Reichsrate zu¬
verläßlich Schwierigkeiten ergeben würden, angesichts welcher die Regierung
auf die Indemnitätserteilung nicht sicher rechnen könne. Gleichwohl halte er sich
für verpflichtet, die Vorlage, wenn es verlangt wird, im Reichsrate ein- und auch
durchzubringen. Über den Moment der Einbringung könne er aber noch keine

12 ,, Zatocnik &quot; ist der Name der Lokalzeitung.
13 Gesetz v. 21. 12. 1867, RGBl. Nr. 141. § 14. Siehe GMR. v. 24. 7. 1870, RMRZ. 70. Änm. 3.
<pb/>Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870  49

bestimmten Zusicherungen abgeben und er müsse dieselbe von den Verhältnissen
und der Stimmung des Hauses abhängig machen.

   Reichskanzler Graf Beust: Die Sache werde hier im Reichsra¬
te nicht so glatt ablaufen, als man sich es vorstelle. Man möge sich erinnern,
welche Schwierigkeiten Minister Giskra, der bei diesem Anlasse etwas für die
diesseitige Reichshälfte erhandeln wollte, voriges Jahr erhoben, und wie sich das
Ministerium Hasner schließlich den Wünschen Ungarns nur aus dem Grunde
konformiert habe, um eine günstige Stimmung für sich hervorzurufen.14

   Es habe auch nachher ein eigenes Fatum über der Sache gewaltet, und endlich
sei der Austritt der Polen aus dem Reichsrate störend in die Zeit gefallen, wo auch
die Quotenfrage hätte verhandelt werden können. So stehe in der diesseitigen
Reichshälfte noch alles beim alten, und wenn auch die Regierung mit Hilfe der
neu eintretenden slawischen Deputierten die Vorlage durchbringen dürfte, so
könne doch darauf gerechnet werden, daß dieselben Herren, die im Ministerrate
voriges Jahr ihre Opposition nur aus politischen Gründen aufgaben, dieselbe im
Reichsrate erneuern würden. Es lasse sich also die Durchbringung der Vorlage
nicht forcieren.

    Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade, sich auch dahin
auszusprechen, daß die Grenzfrage im Reichsrate zur Befriedigung der Redelust
ausgebeutet werden dürfte, denn im vorigen Jahre habe man hier die gefaßten
Beschlüsse nur mit Widerwillen entgegengenommen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Man möge wenigstens
hier im Ministerrate keine Schwierigkeiten erheben und bedenken, daß in Ungarn
der Verband mit Österreich noch nie so akzentuiert wurde als in dem gegenwärti¬
gen Moment. Diese günstige Stimmung solle man nicht durch Zurückgehen in
der Grenzfrage trüben. Wenn Graf Potocki sich es angelegen sein lasse, so könne
die Quotenfrage noch vor dem Zusammentritt der Delegationen ausgetragen wer¬

den.
    Seine Majestät der Kaiser: Das sei klar, daß die diesseitige

Regierung in diesem Augenblicke nicht imstande sei, ein bindendes Versprechen
über den Zeitpunkt der Vorlage im Reichsrate abzugeben, es entstehe daher die
Frage, ob und was auch bis dahin über Mollinarys Bericht eingeleitet werden
solle. In keinem Falle lasse sich die Provinzialisierung zur Kriegszeit durchfuh¬
ren, zumal dieselbe zugleich die Einführung des neuen Wehrgesetzes vorausset¬
ze. Die Agitation sei unleugbar und gehe schon daraus hervor, daß sich nach dem
Berichte des Kommandierenden in Agram die im Westen der Militärgrenze be-

Über die Quote, welche Ungarn von den Auslagenfür gemeinsame Angelegenheiten zu über¬
nehmen hat, siehe MR. v. 31. 7. 1867, MRZ. 168. In: Dm Protokolle des gemeinsamen Mini¬
sterrates der österreichisch-ungarischen Monarchie 1/1 401-413. Giskra, Karl, Innenmi¬
nister, Hasner von Artha, Leopold, Ministerpräsident. Vgl. Maschauer, Die Auflösung der
k. k. Militärgrenze 46 ff.
<pb/>50 Nr. 7 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 8. 1870

findlichen Grenzer um die ihren Interessen femliegenden Vorgänge im bPeterwar-
deiner Regimenteb und um die Agramer Erzbischofswahl bekümmern.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay: Die Grenzffage sei eine
reine Interessenffage, und nur durch Befriedigung der Interessen könne man die
Provinzialisierung auch dort populär machen. Dazu gehöre die Erleichterung des
Ankaufes von Grundkomplexen zur Schaffung einer Klasse von Grundbesitzern,
die heute nicht existiert, die Zusicherung an die Grenzoffiziere über ihre Aufnah¬
me in den Zivildienst etc. Dies sei jedoch ein Prozeß, der sich nicht im Moment
vollziehe, und so müsse er sich in Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse
und bei der schwierigen Natur des Gegenstandes gegen jede Maßregel ausspre¬
chen, die irgendwie Staub aufwirbeln könnte. Er würde also Sistierung der Refor¬
men und, wenn eine Kriegsgefahr wirklich bevorstehe, auch der Provinzialisie¬
rung empfehlen.

   Reichskanzler Graf Beust: Wenn, wie Graf Andrässy glaube,
die Einbringung der Quotenffage im Reichsrate drüben einen für die ungarische
Regierung günstigen Effekt hervorbringe, so erblicke er keinen Grund, warum
man auf dieses Effektmittel verzichten und die Vorlage nicht sogleich, wie der
Reichsrat Zusammentritt, einbringen solle.

   Reichsfinanzminister von Lönyay: Die Vorlage müsse in
die Kommissionen geleitet werden, und bei der ihm noch aus der Zeit seiner Ver¬
handlungen über die Richtigstellung der Quote anläßlich der Grenzauflösung be¬
kannten minutiösen Genauigkeit auf cisleithanischer Seite lasse sich, wenn die
Annahme nicht en bloc erfolgen sollte, einer monatelangen Verschleppung entge¬
gensehen. Man könne also die Vorlage einbringen, aber forcieren solle man die
Sache nach keiner Seite.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er stimme
dem Reichsfinanzminister darin bei, daß man vorläufig nichts forcieren solle.
Wenn die Reformen einzeln nicht vorgenommen werden dürften, so solle man
auch die Provinzialisierungspläne ruhen lassen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Er traue sich, die Ver¬
antwortung für beides zu übernehmen, wenn die Vorfrage über die Quote noch
rechtzeitig auszutragen möglich sei. Sei dies aber nicht zu erreichen, so müsse
freilich die Provinzialisierung sistiert, dann aber auch über alles andere hinausge¬
gangen werden, bis zur friedlichen Wiedergestaltung der Dinge, wo man dann
freiwillig Konzessionen an die Grenzer machen könne.

    Seine Majestät der Kaiser: Die Hauptsache bleibe, daß solche
Maßregeln getroffen werden, welche eine Garantie bieten, daß die Grenzer im
Mobilisierungsfalle der Marschordre bereitwillig Folge leisten. Der Zatocnik, ge¬
gen den man bisher zu nachsichtig war, solle daher in Schranken gehalten wer¬
den. Ein Mittel die Provinzialisierung populär zu machen, liege übrigens in der

b-b Korrektur bzw. Einfügung.
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Verbesserung der kroatischen Zivilverwaltung, die gegenüber der geregelten
Grenzverwaltung für die Grenzer heute allerdings nichts verlockendes habe.

   III. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn bat
schließlich um die Erlaubnis, auf die im gestrigen Ministerrate besprochene Ei¬
senbahn von Munkäcs nach Stry und Lemberg nochmals zurückkommen zu dür¬
fen.15 Man sei gestern zu leicht darüber weggegangen. Wenn auch nach den Auf¬
klärungen des Leiters des k. k. Handelsministeriums die Herstellung nicht binnen
acht Wochen möglich wäre, so solle man doch den Ausbau energisch in Angriff
nehmen und die Zeit möglichst ausnützen. Tue man nichts dazu, so werde man
nie vorwärts kommen, und doch sei gerade diese Bahn eine der wichtigsten der
Monarchie.

   Reichsfinanzminister v. Lönyay sprach sich im selben Sin¬
ne aus. Die Unternehmer hätten sich ja selbst angetragen, den Bau gegen gewisse
Zugeständnisse zu beschleunigen. Es wäre schade, wieder ein Jahr zu verlieren.
Die diesseitige Regierung, auf deren Gebiet 20 Meilen der Eisenbahn gegen zehn
Meilen aufungarischem Territorium fallen, sei in erster Reihe zur Initiative beru¬
fen.

   Reichskanzler Graf Beust: Auch die politische Erwägung, daß
der Eisenbahnbau vielen Leuten Beschäftigung und Gewinn bringe, spreche für
die Inangriffnahme des Eisenbahnbaues. Bei den zahlreichen Erwerbsstockungen
im Gefolge des ausgebrochenen Krieges sei dies ein nicht zu unterschätzendes
Motiv.

   Ministerpräsident Graf Potocki: Wenigstens den Tunnel
zwischen Munkäcs und Stry solle man in Angriff nehmen, und er werde dieser-
wegen mit Minister Gorove noch Rücksprache pflegen.16 Überdies müsse auf die
Anglobank wegen Beistellung der Geldmittel eingewirkt werden.

   Seine Majestät der Kaiser geruhte sonach zu genehmigen, daß
die entsprechenden Einleitungen getroffen werden, und betonte nochmals, wie
nötig es sei, dem ungarischen Kommunikationsminister fort und fort den Impuls
zur Beschleunigung des gestern verhandelten Baues von Szerencs nach Munkäcs
durch Entsendung eines Lokalkommissars zu geben.

   Womit die Sitzung geschlossen wurde.
                                                                                                  Beust

[Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 12. August 1870. Franz Joseph.

15 GMR. v. 3. 8. 1870, RMRZ. 72,
16 Gorove Istvän, kgl ung. Kommunikationsminister.
<pb/>