Gemeinsamer Ministerrat, 24. 7. 1870
I. Bedeckung der notwendig gewordenen Militärauslagen
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26 Nr. 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. 7. 1870 Nr. 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. Juli 18701 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der kgl. ung. Ministerpräsident GrafAndrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (28. 7.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (30. 7.), der Reichsfinanzminister v. Lönyay (28. 7.), der k. k. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan (30. 7.), der kgl. ung. Finanzmi- nister v. Kerkäpoly (o. D.). Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Bedeckung der notwendig gewordenen Militärauslagen. KZ. 3512-RMRZ. 70 Protokoll des zu Wien am 24. Juli 1870 abgehaltenen Ministerrates für ge¬ meinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Reichskanzlers Grafen Beust. Reichskanzler Graf Beust eröffhete die Konferenz mit der Be¬ merkung: daß es vor allem notwendig sein werde, die derselben mm zugetretenen beiden I.andesfinanzminister an der Hand der Konferenzprotokolle vom 22. und 23. Juli über das Ergebnis der bisherigen Besprechungen in Kenntnis zu setzen,2 und brachte sofort jene Stelle der Protokolle zur Verlesung, welche sich auf die Argumentation des Reichsfinanzministers über das subsidiarische Eintreten der beiden Landesministerien anstelle der nicht versammelten Delegationen behufs Beischaffüng der sogleich erforderlichen Militärauslagen unter Anhoffüng der Indemnitätserteilung und auf den beiläufigen Geldbedarf beziehen. Es wurde auch heute daran festgehalten, daß die Anforderungen des Kriegsmi¬ nisters für Anschaffungen und Befestigungsarbeiten vorläufig mit 23 Millionen zu fixieren und daß hievon ein Teilbetrag von zwölf Millionen schon bis zum 12. September, wo die Delegationen zusammentreten sollen, flüssig zu machen sei, um dessen Bedeckung es sich heute handle. Ministerpräsident Graf Andrässy präzisierte sohin die Aufgabe der heutigen Konferenz dahin, daß - nachdem der gemeinsame Finanz¬ minister eine durch das laufende Budget nicht bedeckte Summe von zwölf Mil¬ lionen noch vor dem Zusammentritt der Delegationen benötige, damit der Kriegs¬ minister den durch unsere Neutralitätspolitik bedingten Verteidigungszustand herstellen könne; der gemeinsame Finanzminister aber in dieser Richtung nicht allein vergehen könne - protokollarisch die Zustimmung der beiden Landesfi¬ nanzminister zu dieser Geldverausgabung sowie zur Indemnitätseinholung von den Delegationen zu konstatieren sei, indem die beiden letzteren zugleich die Verpflichtung übernehmen, für den eingeschlagenen Modus zunächst die betref- i Die Ministerratsdebatte analysiert Diöszegi, Österreich-Ungarn und der französisch-preußi¬ sche Krieg 1870-1871 68-69. 2 GMR. v. 22. 7. 1870, RMRZ. 68; GMR. v. 23. 7. 1870, RMRZ. 69. <pb/>Nr 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. 7. 1870 27 fanden Landesministerien zu gewinnen und sodann mit diesen vereint in den Le¬ gislativen einzutreten. Reichsfinanzminister v. Lönyay wiederholte sodann sein schon in der gestrigen Sitzung gebilligtes Expose über die Notwendigkeit, bei dem Mangel von Geldmitteln zur quotenmäßigen Vorschußleistung auf die ge¬ meinsamen Aktiven zu greifen, und über die Art und Weise, wie durch Beleh¬ nung: a) von vorhandenen Obligationen in der Reichszentralkasse; b) von Eisen¬ bahnaktien, mittels welchen die Gesellschaften die ihnen vom Staate geleisteten Bauvorschüsse zu refundieren haben und c) von Effekten des Militärstellvertre- terfondes ein Betrag von circa 22 Millionen verfügbar gemacht werden könnte. Die beiden Landesfinanzminister mögen nun erwägen, ob mit Rücksicht auf die möglichen Eventualitäten der Fall als vorhanden zu betrachten sei, wo eine Geldverausgabung auch ohne Votierung der Delegationen erfolgen müßte und, wenn ja, der Flüssigmachung der erwähnten zwölf Millionen und dem beantrag¬ ten Bedeckungsmodus zustimmen aund auch die Zustimmung des Landesmini¬ steriums für der gemeinsamen Ministerien erwirken, diese Zustimmung möchte schriftlich ehemöglichst erfolgen3 [sic!]. Die drei bMinisterienbmüßten sich eben in die Verantwortung teilen; so wie er auf die Ermächtigung der Delegationen verzichte und sich mit der Zustimmung der beiden Finanzminister begnüge, so müßten auch diese es übernehmen, für die Verausgabung weiterhin einzustehen. Finanzminister Freiherr v. Holzgethan: Im Augen¬ blicke halte er sich zu einer bestimmten Erklärung nicht für ermächtigt, weil ein bindender Beschluß nach dem Wortlaute des Gesetzes nur von den beiden Lan¬ desministerien ausgehen könne, doch dürfe man in kritischen Momenten nicht zu ängstlich sein, und so glaube er bei seiner Erklärung sich der nachträglichen Ge¬ nehmigung des cisleithanischen Ministerrates versichert halten zu dürfen. Auch er sei der Meinung, daß für den in Rede stehenden Zweck aus den kurrenten Bud¬ getmitteln nichts beigesteuert werden könne, schon deshalb nicht, weil der Fi¬ nanzminister die einzelnen Positionen des Finanzgesetzes bei eigener Verantwor¬ tung einzuhalten verpflichtet sei und darüber nicht hinweggehen dürfe. Er frage sich nun, ob der § 14 des Staatsgrundgesetzes3 ihm eine Handhabe biete, um einer Maßregel zuzustimmen, für welche unter andern Umständen die verfassungsmä¬ ßige Behandlung vorgeschrieben wäre. In dieser Beziehung sei zwar zu beden- 8-3 Einfiigung Lönyays. b~b Korrektur Lönyays aus Finanzminister. 3 Gesetz vom 21. 12. 1867, RGBl. Nr. 141 § 14: Wenn sich die dringende Notwendigkeit sol¬ cher Anordnungen, zu welchen verfassungsmäßig die Zustimmung des Reichsrates erforder¬ lich ist, zu einer Zeit herausstellt, wo dieser nicht versammelt ist, so können dieselben unter Verantwortung des Gesamtministeriums durch kaiserliche Verordnungen erlassen werden, insofeme solche keine Abänderung des Staatsgrundgesetzes bezwecken, keine dauernde Be¬ lastung des Staatsschatzes und keine Veräußerung von Staatsgut betreffen. In: Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze 399. <pb/>28 Nr. 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. 7. 1870 ken, daß von jenen Anordnungen, welche in dringenden Fällen, wo der Reichsrat nicht versammelt ist, durch kaiserliche Verordnung unter Verantwortung des Ge¬ samtministeriums erlassen werden können, neben der Abänderung des Staats¬ grundgesetzes auch die dauernde Belastung des Staatsschatzes und die Veräuße¬ rung von Staatsgut ausgenommen sei; aber im Grunde genommen falle die beabsichtigte Belehnung der gemeinsamen Aktiven, über welche nebstbei die kompetenten Vertretungskörper eine Disposition noch gar nicht getroffen hätten, unter keinen der beiden letzteren Begriffe, und so nehme er bei der nachgewiese¬ nen Dringlichkeit der Ausgabe keinen Anstand, sowohl der Verausgabung jener zwölf Millionen als auch dem Bedeckungsmodus zuzustimmen. Finanzminister v. Kerkäpoly: Die ungarische Regierung sei noch schlimmer daran als die cisleithanische, denn ihr stehe nicht einmal eine dem § 14 des Staatsgrundgesetzes ähnliche Bestimmung zu Gebote, auf welche sie sich stützen könne, und so bleibe ihr nichts übrig als die Hoffnung auf die reichstägliche Erteilung der Indemnität. Er nehme es aber auf sich, diese Indem¬ nität zu erwirken, denn er erblicke in der drohenden Lage hinlänglichen Anhalt, um einen solchen Anspruch bei der ungarischen Legislative stellen und begrün¬ den zu können. Wenn er nun aber der Verausgabung jener zwölf Millionen zu¬ stimme, so müsse er auch der vorgeschlagenen Beischaffung der Geldmittel bei dem Mangel sonstiger Ressourcen zustimmen, und da finde er nichts dagegen, zu erinnern, daß im Hinblick auf die Unzulänglichkeit der eigentlichen gemeinsa¬ men Aktiven auch auf den unter gemeinsamer Verwaltung stehenden Militärstell¬ vertreterfond gegriffen werde. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er müsse ge¬ gen die Anlastung des Militärstellvertreterfondes entschieden Verwahrung einle- gen. Er wisse recht gut aus der Erfahrung, daß solche Fonds, wenn einmal ver¬ braucht, nicht wiederhergestellt werden, und in diesem Sinne müsse er der Behauptung des Freiherm v. Holzgethan, daß die Belehnung dieses Fondes keine Belastung des Staatsschatzes involviere, widersprechen. Man möge bedenken, daß die Hälfte des Fondes den Stellvertretern gehöre, welche man seinerzeit be¬ friedigen müsse. Über die Erklärung des Reichsfinanzministers v. L 6 n y a y, daß an die Auflösung des Stellvertreterfondes niemand denke und daß ja die Delegationen mit der nachträglichen Vötierung der nötigen Armeeaus¬ lagen implicite auch die Mittel zur Refundierung an den Stellvertreterfond votie¬ ren, und über die weitere Versicherung des kgl. ung. Finanzmini¬ sters v. Kerkäpoly, daß, wenn ganz gegen die Absicht der Regierung die Refundierung an den Stellvertreterfond zur Unmöglichkeit werden sollte, die Lasten des Fondes selbstverständlich auf das gemeinsame Budget übergehen würden, übrigens die Frage der Sicherheit der Monarchie in erster Reihe stehe, weil eine Gefährdung ihres Bestandes den Stellvertreterfond eo ipso mitberühre, beschlossen jedoch die übrigen Konferenzmitglieder, über die Verwahrung des Reichskriegsministers hinwegzugehen, und wurde sonach der Reichsfinanzmini- ster zur Verausgabung der bewußten zwölfMillionen nach Belehnung der sub a), b) und c) benannten Effekten mit der weiteren Verabredung ermächtigt, daß ihm <pb/>Nr. 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. 7. 1870 29 vorerst noch die heute nur von den beiden Landesfinanzministem gegebene Zu¬ stimmung auch von den zwei Landesministerien mittels so bald als möglich zu erlassender Noten bestätigt werden solle.4 Bei der Verhandlung über die hiemit erledigte Hauptfrage kam ex incidenti auch die gestern erörterte Befestigung gewisser Punkte der Monarchie zur Spra¬ che, und es drehte sich die Diskussion zumeist um jene bei Jaroslau. Ministerpräsident Graf Potocki veranlaßte dieselbe durch die Erwähnung, wie ihm Lord Bloomfield5 in nicht zu verkennender Absicht von dem Winke seines Petersburger Kollegen erzählt habe, uns die Einhaltung der Neutralität schon aus Rücksicht für das uns mißtrauisch beobachtende Rußland recht warm ans Herz zu legen. Dies in Verbindung mit den Äußerungen des Für¬ sten Gortschakow6 in cWildbadc und den heutigen Zeitungstelegrammen aus Pe¬ tersburg über die Neutralitätsbedingungen Rußlands mache uns die größte Vor¬ sicht zur Pflicht. Es könne unmöglich in unserem Interesse liegen, durch wenn auch nur scheinbare Provokation die öffentliche Meinung in Rußland zu erhitzen, was aber nicht ausbleiben werde, wenn wir in Jaroslau Befestigungen mit einem Kostenaufwande von vier Millionen Gulden errichten. Bei der Ennslinie sei der Zweck der Befestigung deutungsfahig, er könne ebensogut gegen Frankreich wie gegen Preußen gerichtet sein, bei Jaroslau dagegen sei der Zweck evident. Selbst der strategische Zweck scheine ihm problematisch, nicht nur weil man in Galizi¬ en ohnehin keine entscheidende Schlacht fuhren könne, sondern auch weil eine bei Krakau einbrechende russische Kolonne leicht die Eisenbahnverbindung mit Jaroslau unterbrechen und dadurch das ganze materiel roulant in ihre Gewalt be¬ kommen könne. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Es hänge von [den] Umständen ab, ob man sich schon in Galizien schlagen werde oder nicht; komme es aber dazu, so brauche man einen Stützpunkt, und den finde man nur in Jaroslau. Mit Halbheiten komme man überall zu spät. Was die Eisenbahnen be¬ treffe, so habe er es an Bemühungen nicht fehlen lassen, daß die ungarischen galizischen Verbindungsbahnen rechtzeitig hergestellt werden,7 jetzt müsse man c_<: Korrektur aus Paris. 4 Der ungarische Ministerrat bewilligt den für Verteidigungszwecke notwendigen außeror¬ dentlichen Kredit. Ung. MR. v. 29. 7. 1870, MOL. Sektion K-27, Nr. 55/1870 [KZ. XXXV], 5 Bloomfield, John Lord, Botschafter Großbritanniens in Wien. 6 Fürst Gortschakow, siehe GMR. v. 18. 7. 1870, RMRZ. 67. Anm. 6. 1 Über die ungarisch-galizische Verbindungsbahn siehe GMR. v. 25. 11. 1868, RMRZ. 27. In: Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monar¬ chie 1/1 147-148; GMR. v. 4. 1.1869, RMRZ. 29. Ebd. 165-167; GMR. v. 12.1.1869, RMRZ. 30. Ebd. 173-175; GMR. v. 9. 2. 1869, RMRZ. 34. Ebd. 200-201; GMR. v. 15. 7. 1870, RMRZ. 66. Ebd. 382-383. Siehe weiter Ung. MR. v. 25. 2. 1870, Nr. 13/1870. MOL. Sektion K-27, [KZ. XI]; Ung. MR. v. 27. 2. 1870, Nr. 14/1870. Ebd. [KZ. XII]; Ung. MR. v. 18. 3. 1870, Nr. 17/1870. Ebd. [KZ. XV]; Ung. MR. v . 23. 8. 1870, Nr 61/1870. Ebd. [KZ. xLrv]. <pb/>30 Nr. 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. 7. 1870 die Konsequenzen des Versäumnisses über sich ergehen lassen. Übrigens könne man ja nötigenfalls das Eisenbahnmaterial gerade in Jaroslau zusammenschie¬ ben. Es sei ein Irrtum zu glauben, daß sich Rußland einschläfem lasse, denn schließlich rüsten wirja doch durch Pferdeankaufusw., was nicht verborgen blei¬ ben könne. Wozu also das Versteckenspielen? Ministerpräsident Graf Andrässy: Alle Welt rüste, warum sollten wir es nicht? So wie wir uns auf der einen Seite die Armierung der schle¬ sischen Festungen gefallen lassen müssen, so müsse man auch uns gestatten, die Sicherstellung der Monarchie gegen jeden Angriff zu unserem Programm zu ma¬ chen. Zumal Rußland gegenüber, welches uns mit seinen Eisenbahnen schon seit Jahren vorbedacht umspinne und dem gegenüber wir ohne gleichen Vorteil daste¬ hen, solle man eine mänliche [sic!] Sprache sichern, denn daß wir von dieser Seite noch nicht angegriffen wurden, habe nicht aus Rußlands Wohlwollen, son¬ dern nur in der Unfertigkeit seiner Armee den Grund. Seine Neutralitätserklärun¬ gen seien viel zu vag, um Glauben zu verdienen, das ,,graeca fides nulla fides" gelte auch von seiner Politik. Wollten wir also das Reich gegen äußere Angriffe sichern, so sollen wir zwar jeden Schein einer Provokation vermeiden, aber uns in den Defensivmaßregeln nicht beirren lassen. Als Provokation könne aber die Befestigung in Jaroslau nicht angesehen werden, denn sie werde im Zusammen¬ hänge mit den Befestigungen auf der Ennslinie und in Böhmen vorgenommen und vervollständige unser Defensionssystem; da nun nach Andeutung des Knegs- ministers Jaroslau ein Stützpunkt für die Armee und möglicherweise auch zur Bergung des Eisenbahnmateriales geeignet sei, so müsse er sich für die Befesti¬ gung aussprechen. Ung. Finanzminister v. Kerkäpoly: Es sei doch zu beden¬ ken, ob man statt Jaroslau nicht lieber Eperies befestigen solle. Man könne auch, wenn man sich in Galizien schlage, in Eperies einen Stützpunkt haben. Jaroslau sei zu sehr exponiert, und man müsse furchten, daß bei einer verlorenen Schlacht alles, was man dort aufspeichert, dem Feinde zugute kommt. Selbst von Krakau könne man auf der Eisenbahn rechtzeitig noch alles wegschieben; von Jaroslau, wenn es falle, nicht. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Selbst wenn unsere Truppen nach Ungarn retirieren, so dürfe man Jaroslau nicht aufgeben. Es könne, gehörig befestigt, noch acht Wochen gehalten und der Feind von dort aus im Rücken beunruhigt werden. Diese Position sei ungemein wichtig und müsse unter allen Umständen befestigt werden, es könne sich also nur um das Wann handeln. Verbiete eine überlegene diplomatische Rücksicht die sofortige Inan¬ griffnahme der Befestigung von Jaroslau, so könne er daraufnur unter der Bedin¬ gung verzichten, daß gleichwohl die Utensilien jetzt schon angeschafft und die Tracierungsarbeiten derart vorgenommen werden, daß die Befestigungen in acht Wochen fertig sein können, dann unter der Bedingung, daß ihm die dafür veran¬ schlagten vier Millionen vorläufig zur Befestigung von Eperies und Dukla, zum Ausbau von Komom und zur Herstellung eines Brückenkopfes bei Gran bewil- <pb/>Nr. 4 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 24. 7. 1870 31 ligt werden. Dies seien ihm gleichfalls wichtige Punkte, um einen im Lande be¬ findlichen Feind aufzuhalten, auf deren Befestigung er rechtzeitig Bedacht neh¬ men müsse, weil im Bedarfsfälle schon wegen Mangel an leitenden Genieoffizieren nicht alles mit einem Schlage hervorgezaubert werden könne. Ministerpräsident Graf Andrässy: Auf die Bevölkerung, namentlich auf die slawische und ruthenische, werde es nachteilig einwirken, wenn Punkte im Innern befestigt werden; es habe dann den Anschein, als ob wir vorhinein verzagt wären und uns auf einen Verzweiflungskampf vorbereiten. Un¬ sere Stellung nach außen und nach innen sei eine vorteilhaftere, wenn wir uns an der Grenze rüsten. Indem wir Stärke zeigen, hätten wir die Ruthenen im vorhin¬ ein in der Tasche. Man solle also im Innern vorläufig noch nichts vornehmen, was jedoch nicht hindere, auch hier das Nötige für einen Unglücksfall vorzubereiten. Ministerpräsident Graf Potocki: Wie er die Verhältnisse kenne, gebe es eine Partei in Galizien, die absolut für einen Krieg gegen Rußland sei. Sähen nun diese Leute, daß Befestigungsarbeiten an der Grenze vorgenom¬ men werden, so werde sich die Kriegslust zugleich mächtig regen, die Regierung werde mit Bitten um Aufstellung von Legionen bestürmt und durch all dies eine Gährung im Lande erzeugt werden, die im Zusammenhänge mit der Gährung in Posen bei der ersten Landung der Franzosen den Vorwand bieten würde, die rus¬ sischen Interessen für gefährdet zu erklären und aus der Neutralität hervorzutre¬ ten. Ministerpräsident Graf Andrässy: Darüber sei doch nie¬ mand im Zweifel, daß wenn Preußen Frankreich schlage, Rußland auch Farbe bekennen werde, und zwar im feindlichen Sinne, trotz Neutralitätsaustausch, an den sich Rußland nicht halten und das uns nur unnötig die Hände binden würde. Wozu solle man also mit unseren Vorbereitungen warten, da die angedeutete Eventualität möglich und zwar bald möglich sei. Der Reichskanzler möge sich äußern, ob die Befestigung von Jaroslau als Provokation gedeutet werden kön¬ ne? Reichskanzler Graf Beust: Er habe sich schon gestern der An¬ sicht akkomodiert, daß wenn Defensivbefestigungen nötig befunden würden, man darin keine Beschränkung eintreten lassen solle. Gegen eine Verbesserung unserer Defensivlinie habe wohl niemand das Recht, Einsprache zu erheben. Gleichwohl sei es schwer, über das vorliegende Befestigungsprojekt prinzipiell auszusprechen, ob es nach diplomatischen Begriffen als Provokation angesehen werden könne. Es komme aber darauf an, wie der andere Teil es aufhehme. Sei¬ nerzeit sei Paris und Antwerpen mit nicht zu verkennender Absicht befestigt wor¬ den, ohne daß sich die Betroffenen dagegen gerührt hätten. Mit Jaroslau stehe die Sache wohl etwas anders, aber dennoch stimme er dem Grafen Andrässy darin bei, daß^Rußlands schönen Worten nicht zu trauen sei und daß, wenn was ge¬ macht werden soll, am rechten Fleck und zur rechten Zeit geschehe. Ministerpräsident Graf Potocki: Er müsse dann aber im voraus darauf aufmerksam machen, daß beim ersten Spatenstich eine Note Ruß- <pb/>32 Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. 7. 1870 lands zu erwarten sei, deren Ton sich nach den mittlerweile eingetretenen Ereig¬ nissen richten werde, man möge sich über die Antwort jetzt schon klar werden. Ministerpräsident Graf A n d r ä s s y : Für uns sei es gar nicht unerwünscht, wenn Rußland einmal ein Zeichen von sich gebe. Beust [Ah. E.] Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 5. September 1870. Franz Joseph. Nr. 5 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 30. Juli 1870 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Potocki (3. 8.), der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsflnanzminister v. Lönyay (3. 8.), der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics (o. D.), der k. k. Finanzminister Frei¬ herr v. Holzgethan (5. 8.). Protokollführer: Sektionsrat Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: Geldbedarf des Kriegsministers. KZ. 2864-RMRZ. 71 Protokoll des zu Wien am 30. Juli 1870 abgehaltenen Ministerrates für ge¬ meinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. Seine Majestät der Kaiser geruhte die Beratung mit der An¬ deutung zu eröffnen, wie notwendig es sei, den finanziellen Teil der zur Siche¬ rung der Monarchie gegen Gefahren von außen beschlossenen Maßregeln noch¬ mals durchzusprechen, um auch in dieser Beziehung volle Klarheit in die Aktion der Regierung zu bringen. Das Ergebnis der bisherigen Verabredungen sei eine Krediteröffnung an den Kriegsminister im Betrage von zwölf Millionen Gulden. Es frage sich nun, was seither geschehen sei, um diese Verabredung praktisch zu verwirklichen, und was für Mittel zu Gebote stehen, um eventuellen weiteren fi¬ nanziellen Anforderungen des Kriegsministers entsprechen zu können. Reichsfinanzminister v. Lönyay: Er müsse vor allem er¬ wähnen, daß erhaltenen Nachrichten zufolge der ungarische Ministerrat das durch die Zustimmung des ungarischen Finanzministers v. Kerkäpolyi in der gemeinsa¬ men Ministerratssitzung vom 24. Juli zustande gekommene Arrangement auch seinerseits akzeptiert habe,1 dann daß Vortragender dem Reichskriegsminister aus den vorhandenen Kassenbeständen vorläufig zwei und halb bis drei Millio¬ nen flüssig gemacht habe. Ung. MR. v. 29. 7. 1870, Nr 55/1870. [KZ. XXXV] MOL. Sektion K-27. <pb/>