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Gemeinsamer Ministerrat, 11. 8. 1869

322 Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 8. 1869

        Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. August 1869

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (12. 8.), der kgl. ung. Ministerpräsi¬
dent Graf Andrässy (o. D.), der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (12. 8.), der Reichs¬
kriegsminister [FML.] Freiherr v. Kuhn (12. 8.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lönyay
(15.8.).
    Protokollführer: Sektionschef Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Militärgrenzfrage.

   KZ. 2581 - RMRZ. 58
   Protokoll des zu Wien am 11. August 1869 abgehaltenen Ministerrates
für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers
Grafen Beust.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Bekanntlich
habe die ungarische Delegation an den Kriegsminister eine Interpellation in
Angelegenheit der Militärgrenze gerichtet. Die dilatorische Antwort des
Freiherm v. Kuhn habe keineswegs befriedigt.1 Man wünsche unga-
rischerseits eine bestimmte Äußerung der Regierung hinsichtlich der künf¬
tigen staatsrechtlichen und administrativen Stellung der Grenze schon des¬
halb, um sich gegenüber der Opposition, die diese Frage für ihre Zwecke
ausbeute, zu decken. Man müsse sich also im Schoße der Regierung hier¬
über um so mehr klar werden, als Vortragender in einer bestimmten und
befriedigenden Antwort das einzige Mittel erblicke, um die zu Abstrichen
im Heeresbudget sehr stark hinneigende ungarische Delegation nachgiebi¬
ger zu machen. Seine Majestät der Kaiser habe deshalb vor Allerhöchst¬
seiner Abreise ins Brücker Lager zu befehlen geruht, daß bis zu der morgen
erfolgenden Rückkehr von den Räten der Krone ein Beschluß gefaßt werde.

       Die Militärgrenzfrage behandelten: GMR. v. 30. 6. 1868, RMRZ. 18; GMR. v.
       11. 7. 1868, RMRZ. 19; GMR. v. 3. 11. 1868, RMRZ. 23; GMR. v. 14. 11. 1868,
       RMRZ. 24. - Diese 1868er Ministerräte behandelten vor allem das Problem des Verkau¬
       fes der Militärgrenzwaldungen; die vom Jahre 1869, GMR. v. 27. 2. 1869, RMRZ. 37;
       GMR. v. 7. 5. 1869, RMRZ. 43; GMR. v. 26. 5. 1869, RMRZ. 49; GMR. v. 1. 7. 1869,
       RMRZ. 53 auch schon die staatsrechtliche Seite der Frage. Am 24. 7. 1869 hat die unga¬
       rische Delegation an den Kriegsminister die Anfrage gerichtet, welche Schritte er getan,
       um das Einkommen der Militägrenze aus seinem Budget auszuscheiden und es zur Verfü¬
       gung der Gesetzgeber der Länder der ungarischen Krone zu stellen. Kuhn nahm eine
       ablehnende Haltung ein: nach bestehenden Gesetzen gehöre die Militärgrenze als
       intergrierender Teil des Reichsheeres in den Bereich der Verwaltung des Reichs¬
       kriegsministers. Er muß an diesem Standpunkt festhalten, insolange nicht im gesetzli¬
       chen Wege über die Militärgrenze sowohl in legislatorischer als auch administrativer
       und gesetzlicher Hinsicht etwas anders verfugt wird. Wertheimer, Graf Julius Andrässy,
       Bd. 1 396-397.
<pb/>Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 8. 1869  323

Die Frage sei brennend, denn sie stehe mit einer Position des eben in der
Beratung befindlichen Kriegsbudgets im Zusammenhang. Werde das vom
Kriegsminister der Delegation des ungarischen Reichstages gegenüber aus¬
gesprochene Prinzip, daß das Militärgrenzinstitut ein integrierender Be¬
standteil des gemeinsamen Heerwesens sei, festgehalten, so stelle sich die
ungarische Delegation auf den Standpunkt, daß sodann auch die Bekösti¬
gung eine gemeinsame sei und die Grenzeinnahmen aus dem gemeinsamen
Budget ausgeschieden werden müssen. Ihr Verlangen, daß die Revenuen
Kroatien zustatten zu kommen hätten, und die gesamten Ausgaben aus ge¬
meinsamen Mitteln zu bestreiten seien - woraus sich in weiterer Folge al¬
lerdings eine Änderung des pragmatischen Quotenbeitrages Ungarns erge¬
ben werde -, sei daher vollkommen logisch.

   Diesem widerspreche aber das faktische Verhältnis, wonach die Grenz¬
verwaltungskosten aus den Grenzproventen bestritten und die gemeinsamen
Mittel nur zur Bestreitung des durch die eigenen Einnahmen nicht bedeck¬
ten Defizits herbeigezogen werden.

   Dieser Betrachtung stehe nun die andere Alternative gegenüber, nämlich
die, daß die Grenze nicht als gemeinschaftlicher Faktor im Heeressystem zu
betrachten sei, woraus sich sodann - vielleicht zur Zufriedenheit der dies¬
seitigen Delegierten - allerdings die Notwendigkeit der eigenen Bekösti¬
gung ergeben werde, aber die Konsequenzen dieser Annahme müßten un¬
ausbleiblich zur Auflassung der Grenze führen, und um diese drehe sich
endlich die ganze Sache.

   Nachdem nun die Grenzfrage bei den 1867er Deputationsverhandlungen
in suspenso gelassen worden sei und es in der Natur der Sache liege, daß
durch eine Änderung des heutigen Grenzverfassung nicht nur das Quoten¬
verhältnis, sondern auch die Höhe des beiderseitigen Rekrutenquantums in
einzelnen und in der Gesamtheit alteriert werde, so wolle Vortragender be¬
reitwillig zugeben, daß die angeregte Frage Hand in Hand mit der diessei¬
tigen Reichshälfte zur Austragung gebracht werde. Eine gleiche Ingerenz
könne er aber der diesseitigen Reichshälfte, beziehungsweise dem cislei-
thanischen Ministerium nicht auch bezüglich der staatsrechtlichen Seite der
Sache, nämlich der Grenzinkorporierung einräumen. Wohl habe er über¬
nommen, daß von einer Seite und zum Teil auch in der cisleithanischen
Presse die Territorialfrage ventiliert und namentlich bezüglich des ehemali¬
gen Warasdiner Generalates mit Hindeutung auf die im Jahre 1550 erfolgte
Unterstellung unter die Erzherzoge von Österreich, welche zur Grenzvertei¬
digung Zuschüsse leisteten, als strittig bezeichnet worden sei; daraus könne
aber ein ernstlicher Einwand gegen die Angehörigkeit der Grenze zum Ge¬
biete der Stephanskrone wohl nicht hergeleitet werden, denn ebenso hätte
umgekehrt auch Ungarn den jetzt sogenannten deutschen Provinzen oft
Kriegssubsidien geleistet und andererseits liege ihm zahlreiches histori¬
sches Material für den Nachweis vor, daß die erwähnte Unterstellung nur

eine militärische gewesen sei.
<pb/>324 Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 8. 1869

   Vortragender zitierte nun zur Begründung der Behauptung, daß die
Territorialfrage keinem Zweifel unterliegen könne, Gesetzartikel aus den
Jahren 1593, 1608 und 1622.2 Im Jahre 1635 seien sogar die Militär¬
würdenträger den Komitatsgerichten unterordnet worden. Desgleichen
habe ein Reskript Kaiser Leopold I. das Warasdiner Generalat ausdrücklich
aufgehoben und die Banal-Jurisdiktion wiederhergestellt, was auch durch
Wailand Ihre Majestät Kaiserin Maria Theresia im Jahre 1750 bestätigt
worden sei. Nicht minder sei im Jahre 1796 eine Differenz anläßlich des
Auffindens eines Schatzes in der Militärgrenze von Wailand Kaiser Franz
zugunsten des ungarischen Fiskus entschieden worden.

   Die Landeszugehörigkeit der Grenze zu Ungarn sei aber auch von Seiner
Majestät dem jetzt regierenden Kaiser in dem Grenzstatute vom Jahre 1850,
wo die Aufrechthaltung der Militärgrenze in Verbindung mit dem Stamm¬
lande Kroatien und Slavonien ausgesprochen wurde,3 und in der Antwort auf
die Adresse des kroatischen Landtages vom Jahre 1861, wo die Grenze als
integrierender Bestandteil des dreieinigen Königreiches bezeichnet wurde,
anerkannt worden,4 daß die Grenzadministration von der Verwaltung des
Stammlandes nur vorläufig noch getrennt bleiben müsse. Was aber am mei¬
sten ins Gewicht falle, sei der unzweifelhafte Gesetzeskraft besitzende un¬
garisch-kroatische Ausgleich. Dies alles erwogen, müsse er den Standpunkt
festhalten, daß die inneren Grenzfragen, speziell die Provinzialisierung der
Grenze, sich der Einflußnahme der cisleithanischen Regierung entziehen.

   Auf dem im Verlaufe dieses Vortrages vom Reichsfinanz¬
minister Freiherrn v. Becke gemachte Zwischenbemer¬
kung, daß bei der heute [zu] verhandelnden Frage auch ein weiterer Ge¬
sichtspunkt, nämlich die Stellung Dalmatiens, auf welche man diesseits
Gewicht lege, in Betracht komme, erwiderte Ministerpräsident
Graf Andrässy, daß die Grenze ein Teil Kroatiens sei, während
rücksichtlich Dalmatien nur ein aus alter Zeit stammendes Recht, das nur in
dem Titel seinen Ausdruck finde, hergeleitet werden könne, daß ferner Un¬
garn diesem Umstand gegenüber Kroatien zwar nicht ignorieren könne, die

       GA. 11/1593; XXI/1608; 11/1622; LXXV/1635.
       Kaiserliches Patent v. 7. 5. 1850, RGBl. Nr. 243/1850. Vgl. Bernatzik, Die österreichi¬
       schen Verfassungsgesetze 174-175.
       Das königliche Reskript v. 8. 11. 1861 erkannte an, daß die Militärgrenze zu Kroatien
       gehöre, stellte aber keine Integration in Aussicht. Das Reskript gedruckt bei PejakoviC,
       Aktenstücke zur Geschichte des kroatisch-slawonischen Landtages und der nationalen
       Bewegung vom Jahre 1848, Anhang Nr. 4. Siehe weiter Ministerräte v. 14. 10. 1861;
       29. 10. 1861 und 2. 11. 1861, MRZ. 949 in: ÖMR. V/2 473-480; MalfEr, Einleitung
       zum Band ÖMR. V/2 XXIV-XXV; Gross, Die Anfänge des modernen Kroatien 80.
<pb/>Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 8. 1869  325

diesfalligen Prätensionen aber &quot;bloß formeller Natur seien.&quot;5 Mit diesen hät¬
ten die Prätensionen auf die Grenze nichts gemein.

   Dies gab Reichskanzler Graf Beust zu der Andeutung
Anlaß, daß es gut wäre, dieses in beruhigender Weise auszusprechen.
bWorauf Graf Andrässy erwiderte, daß weder der ungarische
Reichstag, noch ein ungarischer Staatsmann dem formellen Rechte der Un¬
garischen Krone auf Dalmatien entsagen können, ohne sich von seiten
Kroatiens der Anklage auszusetzen, die auch von Seiner Majestät anerkann¬
ten virtualen Rechte dieses Landes aufgegeben zu haben, daß aber einem
konflikterregenden Dalmatien schon dadurch genügend vorgebeugt wurde,
daß der letzte ungarische Reichstag, an dem auch die Kroaten teilgenom¬
men, anerkannt hat, daß eine Reinkorporierung von Dalmatien nur nach
vorangegangenem Einverständnis aller Beteiligten, folglich auch des
Reichsrates geschehen könne.b

   Ministerpräsident Graf Taaffe: Es müsse doch klar
gestellt werden, in welcher Weise eine Änderung des Status quo in der
Grenze herbeigeführt werden könne und solle. Er sei noch nicht in der
Lage, sich hierüber näher auszusprechen, da die Frage im diesseitigen Mi¬
nisterrate noch nicht verhandelt worden sei, kenne aber die Ansichten sei¬
ner Kollegen und wisse, daß die staatsrechtliche Frage von diesen zum Teile
anders aufgefaßt werde als vom Grafen Andrässy. Dies sei übrigens indivi¬
duell. Jetzt darauf einzugehen, sei nicht opportun. Ein anderes Moment lie¬
ge näher und darüber sei man im cisleithanischen Ministerrate einig. Es sei
nämlich zur Zeit der Ausgleichsverhandlungen ausdrücklich gesagt wor¬
den, daß die Grenze darin nicht einbezogen sei, vorläufig in der Verwaltung
des Kriegsministers belassen werde und bei einer Änderung neuerliche De¬
putationsverhandlungen stattfinden sollen, daraus folge, daß einseitig an
der Grenze nicht gerüttelt werden und selbst eine Ah. Entscheidung, ohne
die diesseitige Reichshälfte beziehungsweise die Regierung zu hören, nicht
erfolgen könne. Es bestehe also die Meinung, daß das cisleithanische Mini¬
sterium nicht nur bei Herantreten der durch die Änderung bedingten
Quotenfrage, sondern schon bei den ersten einzuleitenden Schritten zur
Grenzauflösung gehört werden müsse.

   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Man
müsse denn doch unterscheiden. Es frage sich, ob die Einvernahme des
cisleithanischen Ministeriums auch dann geboten sei, wenn Seine Majestät
als oberster Kriegsherr die Auflösung der Grenze notwendig erachte.

a-a Korrektur Andrässys aus keineswegs aufrecht erhalte.
b~b Einfügung Andrässys

5 Über die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens siehe GMR. v. 4. 1. 1869, RMRZ. 29 und
       besonders Anm. 16.
<pb/>326 Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 8. 1869

    Ministerpräsident Graf Taaffe: Allerdings, denn
die Grenzauflösung habe Konsequenzen, die über die Tragweite einer rein
militärischen Maßregel hinausgehen. Finanzminister v. L6-
n y a y : Die diesseitige Reichshälfte sei bei der Grenzfrage nur wegen der
Quote und der Rekrutenstellung interessiert, alles übrige gehe Ungarn an.
Ministerpräsident Graf Andrässy: Auch er müsse es
bestreiten, daß dem cisleithanischen Ministerium aus der Tatsache der in
suspenso Belassung der Grenzfrage beim Ausgleich ein Anspruch auf die
Ingerenz in inneren Grenzfragen erwachsen sei.

   Reichskanzler Graf Beust: Es müsse jedenfalls auf die
Deputationsprotokolle rekurriert werden.6 Zeige es sich, daß beim in
Schwebe lassen der Grenzangelegenheit nur die Quotenfrage offen gehalten
wurde, so könne allerdings auch einseitig verfügt werden, im entgegenge¬
setzten Falle aber könne der diesseitigen Reichshälfte das Recht, über die
Auflösung selbst mitzureden, nicht vorenthalten werden. Eine Explikation
mit dem cisleithanischen Ministerium sei schon mit Rücksicht auf den
Lärm, den die Sache in der Presse machen werde und auf die unausbleibli¬
chen Interpellationen in der diesseitigen Legislative wünschenswert.

   Ministerpräsident Graf Taaffe: Es sei ihm nur dar¬
um zu tun, daß der cisleithanische Ministerrat nicht durch ein fait accompli
überrascht werde, worüber er nicht früher präveniert worden ist. Dies habe
seine sehr nachteiligen Folgen. Man solle also einen Beschluß des cisleitha¬
nischen Ministeriums provozieren, welcher dessen Ansicht feststelle, die
Entscheidung stehe dann bei Seiner Majestät dem Kaiser. In dieser Absicht
halte er es für zweckmäßig, daß er die Sache vor der Entscheidung dem
diesseitigen Ministerrate vortrage und ihn mit dem vom Graf Andrässy be¬
absichtigten Vorgänge bekannt mache.

   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Die prak¬
tische Situation sei die, daß die ungarische Delegation wenig geneigt sei, in
die Budgetbeträge des Kriegsministers einzugehen, und daß Graf Andrässy
der Ansicht sei, man könne sie mit Konzessionen in der Grenzfrage geneigt
machen. Es dürften sich also die Verhandlungen im cisleithanischen
Ministerrate nicht zu sehr in die Länge ziehen, um die Budgetberatung nicht
aufzuhalten.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Die Frage, ob das
cisleithanische Ministerium bei einer Verfügung des obersten Kriegsherrn
über die Grenze mitzureden habe, lasse er ganz beiseite; das verkenne er
nicht, daß das cisleithanische Ministerium gegen allfällige Interpellationen
gerüstet dastehen müsse, und habe daher gegen den Antrag des Grafen

6 Siehe GMRProt. v. 13. 8. 1869, RMRZ. 59, Einfiigung v. Becke: der Text des
       reichsrätlichen Deputationsberichts v. 5. 10. 1867.
<pb/>Nr. 58 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 11. 8. 1869        327

Taaffe auf vorläufige Anhörung des cisleithanischen Ministerrates nichts
einzuwenden, denn auf der Basis des gegenseitigen Einvernehmens beruhe
ja der ganze Dualismus. Graf Taaffe möge denselben also über den Stand
der Sache aufklären, und Vortragender sei bereit, die nötigen Aufklärungen
auch selbst zu geben. Nur möge dies wegen der von Seiner Majestät beton¬
ten baldigen Schlußfassung ohne Zögern geschehen.

   Seine Idee sei beiläufig die: Das Interesse der Monarchie erfordere es,
daß die Grenze tunlichst bald aufgelöst werde. Anderseits liege es aber
ebenfalls im Interesse der Monarchie, denn das Interesse Ungarns falle mit
jenem der Monarchie zusammen, daß die Auflösung nicht auf einmal, son¬
dern nur innerhalb eines bestimmten Termines erfolge. Dieser Termin solle
zur Beruhigung zwar sofort bestimmt, aber erst auf die Zeit anberaumt wer¬
den, wo neue Vereinbarungen über die nur für zehn Jahre geltende Quote
notwendig werden, also nach Ablauf von acht Jahren. Über die Modalität,
wie die Provinzialisierung der Grenze ins Leben zu treten hätte, solle eine
aus Vertretern des Kriegsministeriums und des ungarischen Ministeriums
zu bildende Kommission cdie geeigneten Vorschläge Seiner Majestät unter¬
breiten.0 Es muß noch bemerkt werden, daß im Laufe der Verhandlung auch
die bezüglich des Post- und Telegraphenwesens in der Grenze zwischen den
beiden Delegationen obwaltende Differenz und der Stand der finanziellen
Administration der Grenze zur Sprache kam, wobei Finanzmini¬
ster v. Lönyay die Notwendigkeit der Grenzauflösung auch aus fi¬
nanziellen Gründen und speziell in Hinsicht auf das indirekte Steuerwesen,
rücksichtlich dessen die jetzige Verwaltung zu lax vorgehe, nachzuweisen
suchte. Er zog einen Vergleich zwischen den bis zum Jahre 1860 und den
heute bestehenden Zuständen und gelangte zu dem Ergebnisse, daß die ge¬
genwärtige Manipulation auch bis zur Einführung der Zivilverwaltung be¬
seitigt und einer Reform unterzogen werden müsse. Namentlich trete bei
der Steuer von Bier und Branntwein eine unverantwortliche Verkürzung des
Staatsärars ein und werde der Schmuggel in so großartigem Maße betrie¬
ben, daß Manufakturen, Kaffee, Salz und Tabak in der Grenze ungestört
öffentlich feilgeboten werden. Die jetzige Finanzverwaltung sei weiterhin
unhaltbar, und speziell dem Schmuggel, bei welchem es sich nach der jetzi¬
gen Grenzbewachung ereignen könne, daß der Sohn schmuggelt, während
der Vater die Grenze bewacht, könne nur durch Errichtung einer abgeson¬
derten Finanzgrenzwache Einhalt getan werden. Der Schmuggel mit Tabak
nehme so große Dimensionen an, daß selbst Finanzminister Brestei die Sa¬
che gegenwärtig durch ausgesendete Beamte seines Ministeriums bei den
Zollämterd eine Untersuchung anordnete. Deshalb sei es notwendig, den
vom Ausschüsse der Delegation des Reichstages beschlossenen Abstrich an

       Korrektur Andrässys aus entscheiden.
d~d Korrektur Lönyays aus auf den Grund gehen ließ und.
<pb/>328 Nr. 59 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. 8. 1869

dem seitens des Kriegsministers eingestellten Erfordernis für eine Militär¬
grenzwache, wenn möglich zu korrigieren. Damit, daß die Zollämter dem
ungarischen Ministerium unterstellt wurden, sei noch nichts gewonnen, es
müsse dieses auch mit der Grenzbewachung der Fall sein.

   Der Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn ent-
gegnete auf diese Bemerkungen, daß er sich in der Grenzfrage immer ganz
objektiv gehalten, die Notwendigkeit, die Grenze der Auflösung zu¬
zuführen, stets anerkannt, aber nur einen allmählichen Übergang angeraten
habe. Was die Gegenwart betreffe, so stehe er lediglich auf dem Standpunkt
des faktischen Verwalters. Übrigens berühre der Antrag des Ministers
Lönyay Details, deren Lösung sich aus der prinzipiellen Entscheidung über
die Grenzfrage von selbst ergebe, worüber er allerdings der Meinung sei,
daß auch Cisleithanien dabei ein berechtigtes Interesse habe.

                                                                                         Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 12. August 1869. Franz Joseph.

         Nr. 59 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 13. August 1869

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf Beust (o. D.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf
Andrässy (o. D.), der k. k. Ministerpräsident Graf Taaffe (o. D.), der Reichskriegsminister
[FML.] Freiherr v. Kuhn (o. D.), der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke&quot; (o. D.), der kgl.
ung. Finanzminister Lönyay (23. 8.), der k. k. Minister des Innern Giskra (o. D.).
    Protokollführer: Sektionschef Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Militärgrenzfrage.

   KZ. 2583 - RMRZ. 59
   Protokoll des zu Wien am 13. August 1869 abgehaltenen Ministerrates
für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des
Kaisers.

   Über Ah. Aufforderung Seiner Majestät des Kaisers ergriff Mini¬
sterpräsident Graf Andrässy das Wort, um die Situati¬
on, in welcher man sich gegenüber der Grenzfrage heute befinde, darzule¬
gen.1 Den Anlaß dazu, daß diese Frage überhaupt ventiliert worden sei, bie-

        Bemerkung Beckes mit dem gefälligen Bemerken, daß ich mir die Freiheit genommen,
        den Text des reichsrätlichen Deputationsberichtes vom 5. Oktober 1867, dessen
        Zitierung mir von wesentlichem Belange schien, in meine Ausführung aufzunehmen.

        Ebenfalls darüber: GMR. v. 11. 8. 1869, RMRZ. 58.
<pb/>