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Gemeinsamer Ministerrat, 26. 3. 1869

I. Einberufung der diesjährigen Delegationen

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z39.pdf.

Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll II     221

spräche aber auch noch eine nicht minder schwerwiegende Betrachtung zu¬
gunsten der Vindizierung der Staatsschuldengebahrung für das Reichs¬
finanzministerium, die, wenn er sie auch in seiner Note aus Rücksicht auf
die eventuelle Mitteilung an das ungarische Ministerium nicht erwähnt
habe, doch wenigstens protokollarisch zum Ausdruck gebracht werden
möge. Es sei dies der Umstand, daß das Reichsfinanzministerium doch im¬
mer die Einheit der Monarchie, folglich die Übertragung der Gebahrung
und Kontrolle der Staatsschuld an dasselbe, das für den Staatskredit hoch¬
wichtige Moment der Einheit der Schuldverpflichtung repräsentiere, dann
der nicht zu leugnende Vorteil der leichteren Geschäftsabwickelung im Fal¬
le als rasch hereinbrechende Ereignisse die Aufnahme neuer Anlehen
erheischen sollten. Dies würde bei Konzentrierung des Schuldenwesens in
der Hand des gemeinsamen Finanzministers viel eher möglich sein, als
wenn stets vorerst mit beiden Landesfinanzministern verhandelt werden
müßte. Da der vorgelesene Konzeptentwurf ein Ausfluß dieser Ideen sei, so
erkläre er sich damit einverstanden.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn macht
die Andeutung, daß er den einschlägigen Verhandlungen bisher zwar ferne
gestanden sei, gleichwohl aber keinen Anstand nehme, dem au. Vortrage
des Reichskanzlers sowohl bezüglich des Geistes als des Wortlautes auch
seinerseits zuzustimmen.

   Womit die Sitzung geschlossen wurde.

                                                                                         Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Gödöllö, 1. April 1869. Franz Joseph.

        Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. März 1869 -
                                        Protokoll II

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (29. 3.), der Reichskriegs¬
minister FML. Freiherr v. Kuhn (o. D.), der k. k. Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe,
der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics.
    Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Einberufung der diesjährigen Delegationen.

       Angelegenheiten zu äußern. Die Wahlen brachten den Vormarsch der Unabhängigkeits¬
       opposition, die regierende Deäk-Partei verlor etwa 60 Mandate, obwohl sie auch so
       noch über eine bedeutende Mehrheit verfügte. Nach Berechnungen von Daniel Szabö
       ging der Anteil der Deäk-Partei von 67 % auf 59 % zurück. Szabö, Egy välasztäs
       Erddlyben 450. Vgl. Töth, Parteien und Reichsratswahlen in Ungarn 1848-1893; Gerö,
        Az elsöprö kisebbsdg 18-19.
<pb/>222 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll II

   KZ. 739 - RMRZ. 39
   Protokoll des zu Wien am 26. März 1869 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Gra¬
fen v. Beust.

   Reichskanzler Graf Beust: Bekanntlich habe der unga¬
rische Ministerpräsident Graf Andrässy in der Sitzung des gemeinsamen
Ministerrates vom 31. Jänner d. J., in welcher der 15. September d. J. als
Einberufungstermin für die diesjährigen Delegationen in Aussicht genom¬
men wurde, seine Schlußäußerung über die Annahme dieses Termines von
der Zustimmung des königlichen ungarischen Ministerrates abhängig ge¬
macht.1 Die versprochene Äußerung sei nun unterm 7. März erfolgt.2 Graf
Andrässy bezeichne es darin als notwendig, daß die Delegationen ihre dies¬
jährige Tätigkeit bald nach Eröffnung des ungarischen Reichstages, und
zwar längstens bis 1. August beginnen, und bringe gleichzeitig aufgrund
eines Beschlusses des ungarischen Ministerrates in Vorschlag, daß im
Zwecke einer normalmäßigen Behandlung des jährlichen Staatsbudgets
vom kommenden Jahre angefangen die Delegationen gleich am Anfänge
des Jahres, also im Monate Jänner, einberufen werden mögen, damit es der
Gesetzgebung beider Teile ermöglicht werde, das Budget des kommenden
Jahres noch in erster Hälfte der Jahressession, etwa im Monate Februar oder
längstens März, zu votieren, was vom ungarischen Regierungsstandpunkte
auch vorzüglich aus dem Grunde höchst wünschenswert erscheine, weil im
Sinne des Gesetzartikels IV § 6 vom Jahre 1848 der Reichstag vor Votie-
rung des nächsten Budgets nicht aufgelöst werden könne, und falls diese
Votierung in der ersten Hälfte des Jahres nicht stattfinden könne, bei einer
etwaigen Auflösung des Reichstages und infolge der zeitraubenden Vor¬
arbeiten für die Neuwahlen dem noch im selben Jahre einzuberufenden
Landtage und den zu wählenden Delegationen nicht immer die nötige Zeit
gelassen wäre, das einschlägige Budget in meritorische Behandlung zu neh¬
men. Was den letzteren Teil dieses Antrages betreffe, so sei es heute noch
nicht geboten, darüber unbedingt schlüssig zu werden. Die Zweckmäßig¬
keit eines solchen Vorganges, welcher bereits bei früheren Anlässen ange¬
regt worden sei, lasse sich nicht verkennen, doch müsse ebenso auch zuge¬
geben werden, daß die Zusammenstellung eines verläßlichen Jahresbudgets
zu Anfang des Vorjahres nicht ohne Schwierigkeiten sei. Weit wichtiger
und dringender erscheine die Beschlußfassung über den diesjährigen Ein¬
berufungstermin der Delegation. Vortragender habe seine Meinung hierüber
bereits früher geäußert.3 Als Minister des Äußern habe er gegen einen zu

 1 GMR. v. 31. 1. 1869, RMRZ. 33.
 2 Andrässy an Beust v. 7. 3. 1869. Siehe GMRProt. v. 31. 1. 1869, RMRZ. 33. Ännt. 19.
 3 Vgl. GMR. v. 25. 1. 1869, RMRZ. 32; GMR. v. 31. 1. 1869, RMRZ. 33.
<pb/>Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll II  223

frühen Termin bloß aus Rücksicht für die Zusammenstellung des Rotbuches
einige Bedenken, welche nicht ganz umgangen werden können, bei zu ra¬
schen Aufeinanderfolgen der Delegationssitzungen aber große Schwierig¬
keiten bieten. Übrigens werde er sich im Notfälle den überwiegenden
staatspolitischen Gründen des ungarischen Ministeriums fügen. Es komme
zumeist auf die Vereinbarkeit des ersten August mit dem Einberufungs¬
termine für die cisleithanischen Landtage an, worüber sich der anwesende
Ministerpräsidentenstellvertreter äußern wolle.

   Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe
erwidert hierauf, daß er anläßlich einer gleichlautenden Note, die auch ihm
vom Grafen Andrässy zugekommen, die Sache im cisleithanischen Mi¬
nisterrate ebenfalls zur Sprache gebracht habe. Dieser habe sich für den
ersten Oktober als Einberufungstermin ausgesprochen und sei hiebei von
der Erwägung ausgegangen, daß von der ursprünglich beabsichtigten Ein¬
berufung der cisleithanischen Landtage im Monate Mai jedenfalls abgegan¬
gen werden müsse, nachdem die physischen und geistigen Kräfte der Abge¬
ordneten durch die lange Sessionsdauer so ermüdet seien, daß weitere An¬
sprüche zu parlamentarischer Tätigkeit nicht stattfinden können. Desglei¬
chen müsse es als eine Tortur angesehen werden, wenn man die Delegatio¬
nen in der Hitze des Monates August tagen lassen wolle, und wäre mit
Grund vorauszusetzen, daß viele Delegierte zu dieser Zeit gar nicht kom¬
men und lieber das Mandat niederlegen würden. Da es bei dem geringen
Vorräte von Arbeitsmaterial nicht notwendig erscheine, die Landtage mehr
als drei Wochen beisammen zu lassen, in den Delegationen aber die Tätig¬
keit meist auf das Kriegsbudget beschränkt bleiben werde, nachdem das
Budget des Ministeriums des Äußern bereits festgestellt worden sei, so be¬
absichtige der cisleithanische Ministerrat, die Landtagseinberufung für den
ersten September zu veranlassen, wonach sodann für die Delegationen, die
diesmal in Wien tagen werden und ihre Beratungen gleichzeitig mit jenen
des Reichsrates pflegen können, noch ein genügender Zeitraum von vier
Wochen erübrige, nach welchem die Budgets der beiden Reichshälften im¬
merhin noch rechtzeitig in Behandlung genommen werden können. Dieser
Antrag scheine nicht nur mit der Rücksicht auf die Schonung der parlamen¬
tarischen Kräfte, sondern auch damit begründet, daß zur Abkühlung der
Gemüter im allgemeinen eine längere parlamentarische Ruhe vom Ende
April, wo die Vertagung des Reichsrates in Aussicht genommen wurde, bis
Ende September notwendig erscheine. Der Monat August scheine speziell
auch mit Rücksicht auf die Mitglieder des Herrenhauses, die um diese Zeit
durch ihre eigenen Interessen als Grundbesitzer in Anspruch genommen
seien, ungünstig gewählt.

   Was den zweiten Teil des ungarischerseits gestellten Antrages betreffe,
so habe derselbe seine nicht zu verkennenden Vorteile, nur möge der neue
Modus gradatim in der Weise angebahnt werden, daß die Delegationen im
nächsten Jahre im Monate März und erst 1871 im Monate Jänner zusam-
<pb/>224 Nr. 39 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 26. 3. 1869 - Protokoll II

mentreten, damit darnach der parlamentarische Mechanismus eingerichtet
werden könne.

   Reichskanzler Graf Beust macht die Andeutung, daß
dem ungarischen Ministerium in letzterer Beziehung nur im allgemeinen
erwidert werden könne, wienach man hierorts der jenseitigen Anschauung
nicht abgeneigt sei.

   Minister Graf Festetics: Der ungarische Ministerrat
habe alles reiflich erwogen und ihm sein Verhalten in dieser Frage bestimmt
vorgezeichnet. Er bedauere deshalb, sich nicht willfährig zeigen zu können,
sondern auf dem ersten August beharren zu müssen. Das ungarische Mini¬
sterium werde hiebei von hochwichtigen staatspolitischen Rücksichten ge¬
leitet, den einmal sei es im allgemeinen schwer, einen späteren Termin mit
der Mandatsdauer der Abgeordneten in Einklang zu bringen, dann aber
habe das ungarische Ministerium gewichtige Gründe, die Wahl der Dele¬
gierten bald nach Eröffnung des ungarischen Reichstages vornehmen zu
lassen, welcher über die heißen Monate ebenfalls vertagt werden würde und
bei seinem aus legislativen Gründen gebotenen Wiederzusammentritt im
Monate September die fertigen Delegationsarbeiten vorfinden müsse. Über¬
gehend auf die Rücksichten für die Person der Delegierten, glaube er im
Gegenteil behaupten zu können, daß sich gerade der Monat August für die
Delegationssitzung mehr empfehle als der September, nachdem im Monate
August die Ernte- und Badesaison bereits vorüber sei, und auch die Fabri¬
ken mehr feiern als im September, wo von den Industriellen bereits Vor¬
arbeiten für die Winterkampagne getroffen werden und jene Delegierte,
welche den Jagdsport treiben, sich bereits dem Landaufenthalte zuwenden.

   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Es
müßten in erster Reihe die politischen Rücksichten ins Auge gefaßt werden,
nebensächliche Bedenken kämen nicht in Betracht. In dieser Beziehung be¬
greife er nun vollkommen die Taktik des ungarischen Ministeriums, da das
letzte Wahlergebnis in Ungarn zu harten Kämpfen im Landtage, wo sich die
Rechte mit der Linken messen würde, Anlaß geben könne4 und es der dorti¬
gen Regierung daher daran liegen müsse, die Wahl der Delegierten mög¬
lichst bald vornehmen zu lassen.5

   Die frühzeitige Zusammenstellung des gemeinsamen Budgets habe, da
dasselbe nach Titeln geordnet und nicht ein Pauschalbudget sei, namentlich
bei dem Armeebudget, für welches die Emteberichte die unerläßliche Basis
bieten, allerdings große, aber nicht unübersteigliche Schwierigkeiten, die
eben durch Nachtragskredite saniert werden können.

    R e i c h s k r i e g s m i n i s t e r FML. Freiherr v. Kuhn:
Man müsse in diesem Falle eventuell zu Nachtragskrediten die Zuflucht

        Das letzte Wahlergebnis in Ungarn: GMRProt. v. 26. 3. 1869, RMRZ. 38. Anm. 7.
        Der neue Reichstag wählt jeweils eine neue Delegation, und das Mandat der
        Delegierten giltfür ein Jahr. Somogyi, A delegäciö 481.
<pb/>Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. 4. 1869                     225

nehmen. Von seinem Standpunkte komme es ihm nun vor allem darauf an,
daß die beiden Vertretungskörper das heurige Rekrutenkontingent noch vor
ihrer Vertagung votieren, nachdem die Rekruteneinberufung im Herbste er¬
folgen müsse und in Ungarn vor der Rekrutenbewilligung keine Vorarbeiten
zur Aushebung getroffen werden.

   Minister Graf Festetics: Für die Wünsche des ungari¬
schen Ministeriums spreche die politische Notwendigkeit, für jene des
cisleithanischen würden meist nur Zweckmäßigkeitsgründe geltend ge¬
macht. Er glaube, erstere müßten den Ausschlag geben, und empfehle daher
nochmals die Annahme des jenseitigen Antrages.

   Ministerpräsidentenste11vertre t e r Graf Taaffe:
Die Verfassung gebe wohl die Mittel für den Fall an die Hand, daß das
diesseitige Ministerium auf seinem Anträge beharren sollte. Gleichwohl
wolle er, nachdem heute unter den Konferenzmitgliedem die Geneigtheit
zum Eingehen in den ungarischerseits gestellten Antrag vorzuliegen schei¬
ne, demselben für seine Person nicht entgegen sein, müsse aber jedenfalls
vor bindender Stimmabgabe mit den Ministem für die im Reichsrate vertre¬
tenen Länder nochmals Rücksprache pflegen, was bei den im Mitte liegen¬
den Osterfeiertagen erst am 30. d. M. tunlich sei, bis wohin er um Frist
bittet.6

   Womit die Sitzung geschlossen wurde.
                                                                                         Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Gödöllö, 1. April 1869. Franz Joseph.

          Nr. 40 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 3. April 1869

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (20. 4.), der Reichskriegs¬
minister [FML.] Freiherr v. Kuhn (20. 4.), Hofsekretär in der Präsidialsektion des Ministe¬
riums des Äußern v. Krauss.
    Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Ah. Handschreiben vom 25. Februar, betreffend das bei ungarischen Staats¬
akten anzuwendende Siegel.

6 Über den wünschenswerten Einberufungstermin der Delegation Taaffe an Beust v.
       2. 4. 1869 HHStA., PA. I, Karton 559, Nr. 278 und desselben weitere Korrespondenz zu
       diesem Gegenstand. Ähnlich auch bei den Akten der Delegationen, ebd. Karton 563.
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