Gemeinsamer Ministerrat, 31. 1. 1869
I. Besetzung der Präsidentenstelle des gemeinsamen obersten Rechnungshofes
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z33.pdf.
II. Einberufungen der Delegationen
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z33.pdf#page=8.
186 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 sich im Hinblicke auf das baldige Fälligwerden der Kontrolle und Rechnungsabschlüsse für das Jahr 1868 aus dienstlichen Gründen zu einer unaufschiebbaren gestalte, worauf der Reichskanzler mit der An¬ deutung erwidert, daß dies ein Gegenstand sei, worüber notwendig auch die Grafen Taaffe und Andrässy gehört werden müßten, und daß die nächstens erfolgende Wiederkehr des letzteren die Gelegenheit bieten werde, um über die angeregte Frage in einer neuerlichen Konferenz einen definitiven Be¬ schluß zu vereinbaren.4 Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 28. Jänner 1969. Franz Joseph. Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. Jänner 1869 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (3. 2.), der Reichskriegsminister FML. Freiherr v. Kuhn (3. 2.), der k. k. Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy. Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Besetzung der Präsidentenstelle des gemeinsamen obersten Rechnungs¬ hofes. II. Einberufung der Delegationen. KZ. 83 - RMRZ. 33 Protokoll des zu Wien am 31. Jänner 1869 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Gra¬ fen v. Beust. I. Reichskanzler Graf Beust: Er habe die Konferenz zur Besprechung über die Wahl des Nachfolgers1 für den verstorbenen Prä- ranghöchsten Hofrat der Behörde, JosefPreleuthner, zum Leiter der Behörde. Über den Charakter der Institution des obersten Rechnungshofes und die Aufgaben des Präsiden¬ ten Becke an Beust v. 18. 1. 1869 HHStA., PA. I, Karton 558, 429/RFM. Nach Becke handelt es sich um ein gemeinsames Amt, das sämtliche Ressorts der gemeinsamen An¬ gelegenheiten nahe berührt und doch eigentlich in kein einzelnes Ressort direkt einbezo¬ gen werden kann. Becke schlägt vor, daß die Postenbesetzung ein gemeinsamer Ministerrat berät, zu dem auch die beiden Ministerpräsidenten geladen werden. GMR. v. 31. 1. 1869, RMRZ. 33. Über dasselbe Thema: GMR. v. 25. 1. 1869, RMRZ. 32. <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 187 sidenten des gemeinsamen obersten Rechnungshofes Freiherrn v. Hock ein¬ geladen.2 Von verschiedenen Seiten seien bereits verschiedene Kandidaten namhaft gemacht worden. Nach seiner Meinung jedoch handle es sich vor der Personenfrage um die prinzipielle Entscheidung: ob man bei der Beset¬ zung der erledigten Stelle die Rücksicht auf fachmännische Befähigung in den Vordergrund stellend, sich im Status der Bürokratie umsehen, oder ob man die betreffende Persönlichkeit aus den Vertretungskörpern wählen sol¬ le, um einerseits diese selbst in guter Stimmung zu erhalten und anderseits in den Delegationen dem gemeinsamen Ministerium eine Vertretung zu si¬ chern. Im ersteren Falle komme vor allem Sektionschef von Kriegsau in Be¬ tracht,3 welcher sich um die erledigte Stelle eifrig bewerbe, der ungarischen Sprache mächtig sei und Ah. Orts auch Zusicherungen erhalten habe, die nicht unberücksichtigt gelassen werden können, während für die zweite Al¬ ternative auf den dermaligen Präsidenten des Abgeordnetenhauses v. Kaiserfeld hingewiesen worden sei, von welchem es übrigens noch dahin¬ gestellt bleibe, ob er für die Stelle geeignet erscheine und dieselbe anneh¬ me.4 Nebst den Vorbenannten könnten noch einesteils der Sektionschef v. Lackenbacher5 und der geheime Rat Freiherr v. Halbhuber,6 andernteils die Angeordneten Baron Tinti7 und Mende8 in Frage kommen. Carl Freiherr v. Hock, Philosoph und Nationalökonom. Siehe GMRProt. v. 25. 1. 1869, RMRZ. 32. Anm. 3. AdolfFreiherr v. Kriegsau [Kriegs-Au] (1819-1884). Er diente in den 1850er Jahren in Siebenbürgen, später in Ungarn, ist 1856 Hofrat bei der Statthalterei in Ofen, 1860-63 zur Disposition verlegt, seit 1865 Sektionschef im Staatsministerium (Leitung der Sek¬ tion für Kultus und Unterricht). Moritz v. Kaiserfeld (1811-1885). Organisierte in den 1860er Jahren als Reichsrats¬ abgeordneter die autonomistische Fraktion der deutschliberalen Partei und verfocht heftig den Gedanken des Dualismus. Mitglied des Ausschusses für die Abänderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung. 1868-1870 Präsident des Abgeordneten¬ hauses. Eduard Lackenbacher (1821-1869) Sektionschefim gemeinsamen Finanzministerium. Anton Freiherr v. Halbhuber von Festwill (1809-1886). Verwaltungsjurist, 1860-62 Leiter der niederösterreichischen Statthalterei, 1864/65 Zivilkommandant in Schleswig- Holstein, wo er bei der Bevölkerung sehr beliebt war. Er hat an der Reorganisation der politischen Behörden der Kronländer teilgenommen, wirkte auch einige Zeit im Staats¬ rat und trat nach dessen Auflösung 1868 in den Ruhestand. Carl Freiherr v. Tinti (1829-1885), Reichsratsabgeordneter, liberaler zentralistischer Politiker. Setzte sich für die Trennung von Kirche und Staat undfür die Aufhebung des Konkordates ein. 1867 gehört er zu jenen, die auf die Trennung der gemeinsamen von den cisleithanischen Ministerien drängen. Leopold Edler v. Mende (geh. 1816) deutschliberaler Reichsratsabgeordneter, wurde 1861 in Anerkennung seiner Leistungen am ungarischen obersten Gerichtshof in den 1850er Jahren in den Adelsstand erhoben. <pb/>188 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Wenn der neue Präsident den Vertretungskörpem entnommen werden wolle, so scheine es ihm angezeigt, auch Ungarn mit in Kombination zu ziehen; von entscheidendem Gewicht aber halte er es, daß der zu Wählende nicht gleichzeitig auch Mitglied der Delegation sei, denn als solches müsse er notwendig in eine Zwitterstellung zwischen Vertretung und Regierung ge¬ raten und könne, wenn er sich als Vertrauensmann der Vertretung gerieren wolle, gegenüber der gemeinsamen Ministerien, namentlich jenem des Äu¬ ßern und des Krieges, deren Budgets die gemeinsamen Auslagen am mei¬ sten berühren, einen im Wesen nichts nützenden, in der Gebahrung aber höchst unbequemen Druck üben. Dieser Behauptung stehe das Beispiel Bel¬ giens unterstützend zur Seite, wo die Rechenkammer ganz selbständig und weder mit der Legislative noch mit der Exekutive in Verbindung sei. Ganz anders gestalte sich die Sache, wenn der aus der Reihe der Vertre¬ tungen zu Wählende sich zur Niederlegung seines Mandates herbeilassen wolle, in diesem Falle wäre der große Nutzen, der sich aus der Heran¬ ziehung einer parlamentarischen Zelebrität ergeben würde, nicht zu verken¬ nen. Dann aber könne unter den diesseitigen Abgeordneten neben Kaiser¬ feld nur noch der gleichfalls genannte Vizepräsident des Abgeordneten¬ hauses Ziemialkowski in Frage kommen,9 dessen Ernennung sich als ein politischer Akt darstellen und den Vorwurf femehalten würde, daß man stets nur auf deutsche Abgeordnete greife. Den Abgeordneten Mende halte er nicht für den geeigneten Mann, und es sei von ihm nach der Haltung, die er dermalen in der Kontrollkommission einnehme, für die Regierung kein Gewinn zu erwarten.10 Vortragender müsse übrigens bemerken, daß seiner persönlichen An¬ schauung die Wahl eines Fachmannes mehr Zusage, und als solcher würde sich Sektionschef v. Lackenbacher vermöge seiner Geschäftsroutine, seines konsiliatorischen Wesens und seiner genauen Kenntnis des Ausgleiches, an welchem er mitgearbeitet, ganz besonders und mehr empfehlen als der auf diesem Gebiete weniger versierte Sektionschef Kriegsau. Seine Ernennung würde auch noch den speziellen Vorteil bieten, daß sodann durch Nicht- 9 Florian Ziemialkowski (1817-1900), galizischer polnischer Politiker, 1867 Vizepräsi¬ dent des Abgeordnetenhauses. Nach dem Ausgleich entstehen im galizischen Landtag drei politische Gruppierungen: 1. die von Goluchowski gefiihrte, welche vor allem die Stärkung der österreichischen Regierungsgewalt bezweckte, die Galizien fiir sich aus¬ nützen könne; 2. die unter Führung Ziemialkowskis, welche aufparlamentarischem Bo¬ den, auf dem Wege von Kompromissen und Konzessionen die Autonomie Galiziens er¬ kämpfen und seine staatsrechtliche Stellung ungefähr so gestalten wollte wie jene Kroatiens zu Ungarn; 3. die unter Führung Borkowskis wollte Selbständigkeit für Ga¬ lizien (wie Ungarn) mit einem eigenen Ministerium. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 1 352. 10 Es handelt sich um die Staatsschulden-Kontrollkommission. <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 189 besetzung seiner Stelle ein Betrag von 7000 Gulden in Ersparung gebracht und dadurch den Einwendungen, welche bei der letzten Delegationsver¬ handlung gegen die Notwendigkeit des Bestandes von zwei Sektionschefs im gemeinsamen Finanzministerium erhoben wurden, Rechnung getragen, zugleich aber auch Sektionschef Weninger, welcher gleichsam den ungari¬ schen Einfluß in dem von einem Cisleithaner geleiteten gemeinsamen Fi¬ nanzministerium zum Ausdruck zu bringen habe, in die richtige Position gebracht werden könne.11 Reichskanzler Graf Beust: Die Vereinigung der Stelle eines Delegierten mit jener des Präsidenten beim obersten Rechnungshof sei vom konstitutionellen Standpunkte allerdings anfechtbar, in der Praxis aber werde sein Verhältnis zu den gemeinsamen Ministerien zum großen Teil von seinen persönlichen Eigenschaften abhängen, welche auch bei dem Vorgänger auf diesem Posten den Ausschlag gegeben hätten. Ziemial- kowski sei ein ruhig und objektiv denkender Mensch und könne viel nützen. Auch sei es schwer, die Kandidatur Kriegsaus, dessen Ernennung im gegen¬ wärtigen Augenblicke die ruhige Geschäftsabwickelung in dem demselben nicht zugetanen und in seiner Ernennung nur den Durchgang zu einer höhe¬ ren Verwendung erblickenden Abgeordnetenhause beeinträchtigen könnte, anders als mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Heranziehung einer parlamentarischen Kapazität zu beseitigen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Er müsse be¬ kennen, daß er anfangs für die Idee, durch die Wahl eines Delegierten für den in Rede stehenden Posten der gemeinsamen Regierung eine Unterstüt¬ zung in der Delegation zu sichern, selbst eingenommen gewesen sei; reiflichere Erwägung hätte ihn aber zu der Erkenntnis geführt, daß der für die Präsidentenstelle des ungarischen obersten Rechnungshofes gesetzlich ausgesprochene Grundsatz der Inkompatibilität mit der Eigenschaft eines Mitgliedes der Legislative in erhöhtem Maße auch bei dem Präsidenten des gemeinsamen obersten Rechnungshofes Geltung haben und letzterer außer¬ halb der Parteien stehen müsse. Ein weiterer Gesichtspunkt, von welchem aus die Sache betrachtet werden müsse, ergebe sich, wenn die Natur der gemeinsamen Regierung, von welcher der gemeinsame oberste Rechnungs¬ hof ein Bestandteil sei, und die in Ungarn von mancher Seite an das Prinzip der Parität geknüpften Konsequenzen bezüglich der gemeinsamen obersten Geschäftsleiter in Erwägung gezogen würden. Er verweise in dieser Bezie¬ hung nur kurz auf die bei der ersten Delegationsverhandlung vorgebrach- Vince Weninger (1834-1879). Ministerialrat im ungarischen Finanzministerium und Experte für die Theorie der Nationalökonomie und Handelspolitik. Als Sektionschef im gemeinsamen Finanzministerium (1869) spielte er eine Vermittlerrolle zwischen Reichs¬ und Landesfinanzministerien. Siehe Somogyi, Der gemeinsame Ministerrat der österrei¬ chisch-ungarischen Monarchie 1867-1906 70-71. <pb/>190 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 ten, wiewohl von ihm bekämpften Anforderungen, wie nicht minder auf die Stimmen, welche sich in Ungarn gegen die Eigenschaft des Reichskanzlers als Abgeordneten von Reichenberg erhoben hätten. Wolle er nun auch die Berufung eines Ungarn auf den in Rede stehenden Posten ebensowenig prätendieren als er dafür einen geeigneten Kandidaten in der Reihe der un¬ garischen Deputierten wisse, so müsse er doch auf die möglichen Mißdeutungen aufmerksam machen, zu welchen die Berufung eines diesseitigen Abgeordneten drüben Anlaß geben könnte. Dies alles verge¬ genwärtigt, müsse er sich also mehr für einen Mann ad hoc aussprechen, und da habe er zunächst die beiden Sektionschefs v. Kriegsau und v. Lackenbacher vor Augen. Ersterem müsse er mit Rücksicht auf Ungarn, wo man seine Ernennung infolge der persönlichen Sympathien, die er sich wäh¬ rend seiner dortigen Dienstleistung zu erworben gewußt, ebenso wie wegen seiner dem Dualismus freundlichen Gesinnung nicht ungerne sehen würde, unbedingt den Vorzug geben, während gegen Lackenbacher, dessen Vorzü¬ ge zu bestreiten er weit entfernt sei, das Bedenken spreche, es könne die Wahl eines Finanzbeamten zur Übung der Kontrolle gegenüber dem ihm bisher Vorgesetzten Finanzminister im Publikum mißdeutet werden. Was Ziemialkowski betreffe, vorausgesetzt, daß er für den Posten und sofort für die Mandatsniederlegung zu gewinnen sei, so habe er gegen seine Person nichts einzuwenden und glaube, daß er namentlich bei den Polen eine persona grata sei, aber es frage sich, ob seine Ernennung bei seinem lebhaften Engagement in der galizischen Frage von parlamentarischem Ge¬ wicht sei? Der Abgeordnete Freiherr v. Tinti habe sich seinerzeit in der zentralistischen Richtung zu sehr exponiert, werde daher in Ungarn nicht freudig begrüßt werden, und sei aus den früher angedeuteten Gründen für die Präsidentenstelle bei einer gemeinsamen Stelle unmöglich. Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe: Strenggenommen sei das diesseitige Ministerium bei der Frage, ob der Prä¬ sident für die fragliche gemeinsame Behörde dem Beamtenstande oder den Vertretungskörpem entnommen werden solle, nicht unmittelbar beteiligt. Es gehe dies vielmehr zunächst den Reichskanzler an, und er glaube die Ansicht seiner Kollegen richtig zu interpretieren, wenn er die Meinung ab¬ gebe, daß das diesseitige Ministerium demselben hierin freie Hand zu las¬ sen geneigt sein werde. Er selbst habe ursprünglich nicht an die Ernennung eines Deputierten gedacht. Nachdem aber die Kandidatur Kriegsaus aufge¬ stellt worden sei, sehe er ein, daß dieselbe unter Voraussetzung der Man¬ datsniederlegung nur durch die Wahl einer parlamentarischen Größe um¬ gangen werden könne, denn gegen diesen Kandidaten müsse er sich aus Gründen politischer Natur im gegenwärtigen Momente entschieden aus¬ sprechen. Gegen ihn habe er für seine Person zwar nichts einzuwenden, vielmehr sei er gerne bereit, seine Befähigung und vielfach geleisteten Dienste anzuerkennen. Speziell müsse er auch anerkennen, daß er noch zur Bachischen Zeit freimütig für eine staatsrechtliche Umgestaltung eingetre- <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 191 ten und daß er später, wo er die Früchte dieses Verdienstes hätte ernten kön¬ nen, durch für ihn ungünstige Konstellationen beseitigt worden sei. Gleich¬ wohl überwiege bei Vortragendem das Bedenken, daß heute - wo dem Mi¬ nisterium ohnedies imputiert werde, daß es die bei seinem Amtsantritte ein¬ geschlagene Richtung nicht strenge einhalte - die Ernennung des Sektions¬ chefs Kriegsau - welcher in der diesseitigen öffentlichen Meinung in religi¬ öser Beziehung für illiberal und für einen Anhänger der Politik Belcredis gelte12 - dem Ministerium nur Verlegenheiten bereiten und das Mißtrauen gegen dasselbe vermehren könne. Es müsse also wohl erwogen werden, ob die von dem Reichskanzler angedeuteten Ah. Zusicherungen, die dem Sek¬ tionschef Kriegsau gemacht wurden, wirklich unübersteigbarer Natur seien. Anbelangend den Sektionschef Lackenbacher, so stimme er dem vom Gra¬ fen Andrässy erhobenen Bedenken bei. Ebensowenig könne er der Beru¬ fung des Präsidenten Kaiserfeld das Wort reden, denn abgesehen davon, daß dieser beim Mangel der wünschenswerten Fachkenntnisse nicht die zur Ver¬ tretung in der Delegation erforderliche Schlagfertigkeit besitze, so sei der¬ selbe im Abgeordnetenhause unentbehrlich, wo man nicht ohne Not eine Lücke schaffen solle, von der bei dem nunmehrigen Rechte zur Wahl des Präsidenten nicht abzusehen sei, ob sie wieder den Wünschen der Regie¬ rung entsprechend ausgefüllt werde. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Er werde mit dem Präsidenten des obersten Rechnungshofes bei der Bedeu¬ tung seines Budgets am meisten in Berührung kommen, sei also bei der Wahl desselben am meisten interessiert und müsse von seinem Standpunkte Gewicht darauf legen, daß die Wahl auf eine Person falle, die immerhin genau und gerecht sein möge, ihm aber nicht unnötig Schwierigkeiten be¬ reite. Kaiserfeld halte auch er nicht für den geeigneten Mann, Ziemialkowski gingen die erforderlichen Fachkenntnisse ab, überdies sei er als Führer der Polen im Abgeordnetenhause besser an seinem Platz, es ver¬ bleibe also nur Kriegsau, den er als fähig und kulant kenne. Ministerpräsident Graf Andrässy: Er halte es wohl für möglich, die Ernennung des Sektionschefs Kriegsau so zu toumieren, daß daran keine weiteren Konsequenzen geknüpft werden kön¬ nen. Man müsse dieselbe als eine Entschädigung für früher notwendig ge¬ wesenes Unberücksichtigtbleiben und als Belohnung für die stets vertrete- Das Ministerium Belcredi 29. 7. 1865 - 6. 2. 1867 betrieb nach dem Sturz der starr zentralistischen Politik Schmerlings den Ausgleich mit den Ungarn. Belcredi war aller¬ dings für einen Ausgleich auf konservativer Basis. Am 20. September 1865 sistierte er das Februarpatent und mit diesem auch den engeren Reichsrat, obwohl letzteres die Sache des Ausgleichs mit den Ungarn nicht erforderte. Dieser Schritt war ausgespro¬ chen gegen die deutschen Liberalen gerichtet. Vgl. Engel-Janosi, Einleitung zum Band ÖMR VI/1 IX-XVIII; Somogyi, Vom Zentralismus zum Dualismus 40-57. <pb/>192 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 nen dualistischen Tendenzen darstellen, welche zugleich den Zweck habe, durch eine in Ungarn beliebte Persönlichkeit den dortigen Anschauungen Rechnung zu tragen. Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe: Wenn man bei der Ernennung Kriegsaus verbleiben wolle, so möge man wenigstens noch zwei Monate damit warten, nach deren Verlauf vielleicht im Publikum eine veränderte Anschauung über die Haltung des Ministe¬ riums Platz gegriffen haben werde. Allerdings sei ihm bekannt, daß die Pensionsangelegenheit dieses Bewerbers spruchreif bei Seiner Majestät er¬ liege, nach seiner Meinung aber sei dies kein Grund gegen die von ihm beantragte Verschiebung, da ja Kriegsau auch nach seiner Pensionierung im Bedarfsfälle wieder in die aktive Verwendung auf dem in Rede stehenden Posten genommen werden könne. Was Ziemialkowski betreffe, so sei seine Ernennung für die Regierung ein offenbarer Verlust im Abgeordnetenhause, weil dann die Führerschaft der polnischen Fraktion wahrscheinlich an den weniger konziliatorischen Abgeordneten Zyblikiewicz13 oder Grocholski14 übergehen werde und über¬ dies die Verdächtigung naheliege, daß man durch seine Ernennung seine Gewinnung in Angelegenheit der galizischen Landtagsresolution bezwek- ke.15 Jedenfalls sei es notwendig, bevor man ihn wegen der Annahme son¬ diere, die Ah. Willensmeinung Seiner Majestät des Kaisers einzuholen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Die vom Vorred¬ ner angedeutete Verdächtigung bezüglich der Wahl Ziemialkowskis be¬ fürchte er nicht, weil ihm seine neue Stellung eine Gewalt gebe, durch wel¬ che auch die Polen ihrerseits agieren könnten. 13 Mikolaj Zyblikiewicz (1823-1887), einer der Verfasser der galizischen Landtags¬ resolution. Über die Resolution siehe Anm. 15. 14 Casimir (Kazimierz) Ritter v. Grocholski (1815-1888), ein politischer Gesinnungs¬ freund von Zyblikiewicz. 15 Der galizische Landtag nahm am 24. September 1868 eine Resolution an, welche die polnischen Nationalbestrebungen enthielt. Sie wies zwar nicht expressis verbis den Aus¬ gleich und die Dezemberverfassung von 1867 zurück, hielt diese aber für Gesetze, die zur Folge haben, daß eine längere Dauer dieses Zustandes, allgemeine Unzufriedenheit erzeugend, auf das Gedeihen unserer Provinz und das Wohl der ganzen Monarchie ver¬ derblich zurückwirken muß. Den Resolutionstext veröffentlicht Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 1 353-354. Die aus acht Punkten bestehende Resolution verlangt weitgehende Rechte für den Landtag und erklärt: Die galizische Landtags¬ delegation wird an den Beratungen des Reichsrates nur bezüglich der diesem Königrei¬ che mit den anderen im Reichsrate vertretenen Teilen der Monarchie gemeinsamen An¬ gelegenheiten teilnehmen. (Sie betrachtet folglich den ungarischen Ausgleich als Vor¬ bild.) Das Königreich wird eine dem Landtage verantwortliche Landesverwaltung in Sachen der inneren Verwaltung, der Justiz, des Unterrichtes, der öffentlichen Sicherheit und der Landeskultur, sowie einen Landesminister im Rate der Krone erhalten. <pb/>Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 193 Reichskanzler Graf Beust: Wenn er die heutige Ver¬ handlung resümiere, so scheine ihm die Ansicht eine allgemeine zu sein, daß die Stellung als Delegierter und Präsident der obersten Rechnungs¬ hofes inkompatibel sei. Ebenso werde rücksichtlich beider, nach Hinweg¬ fall der übrigen Kandidaten in Kombination verbliebenen Persönlichkeiten, Kriegsau und Ziemialkowski, allseits zugegeben, daß ihr Eintritt in dieses Amt dermalen in einer oder der anderen Richtung nachteilig sei. Es ergebe sich also die Frage, ob die Besetzung denn in der Tat so dringlich, oder ob sie nach den Andeutungen des Grafen Taaffe auf einige Monate verschieb¬ bar sei? Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Aus Rücksichten des Dienstes, welcher die Zusammenstellung der Schlu߬ rechnungen der Vorjahre und die Feststellung der leitenden Grundsätze für dieses Geschäft erheische, müsse er die baldige Besetzung wohl als wün¬ schenswert bezeichnen. Werde jedoch die Verschiebung für geboten erach¬ tet, und am Ende lasse sich ja alles verschieben, wolle er interimistisch den Sektionschef Weninger mit den erforderlichen Ausarbeitungen betrauen, woraus sich dann freilich die Notwendigkeit ergebe, daß der seinerzeit zu ernennende Präsident sich für diesmal mit den bei seinem Eintritte vorfindlichen Arbeitsresultaten nachträglich konformiere. II. Ministerpräsident Graf Andrässy: Die Dringlich¬ keit der Besetzung richte sich auch nach dem Zeitpunkte für die Einberu- fung der Delegationen.16 Es sei ihm mitgeteilt worden, daß man hierorts erst das letzte Viertel des Jahres dazu in Aussicht genommen habe. Gegen einen so späten Termin müsse er zunächst einwenden, daß man den Delegationen, welche diesmal ein Normalbudget beraten wollen, die nötige Zeit dazu las¬ sen müsse, was gegen Ende des Jahres nicht recht möglich sei. Dann aber komme noch in Betracht, daß die ungarische Regierung, um sich über den Sommer Zeit zur Ausarbeitung der zahlreich erforderlichen Gesetzesvorla¬ gen zu schaffen, den Plan habe, den im April zusammentretenden Landtag nach der Wahl der Delegationsmitglieder und Vötierung des Rekrutenkon¬ tingents zu vertagen und erst im Herbst wieder einzuberufen, wo sodann ein gleichzeitiges Tagen der Delegationen nicht angehe. Aus diesen Gründen wäre drüben die Delegationseinberufung für den Monat Mai in Aussicht genommen worden, und wenn er auf diesem Monate auch beharren wolle, so sei ihm doch ein früherer als der oben angedeutete Zeitpunkt erwünscht. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn beruft sich auf seine schon bei einem früheren Anlasse gemachten Ausführungen über die Unmöglichkeit, das Kriegsbudget vor dem Monat September fertig zu machen.17 16 Über die Einberufung der Delegation: GMR. v. 25. 1. 1869, RMRZ. 32. 17 Ebd. <pb/>194 Nr. 33 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 1. 1869 Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe macht die Andeutung, daß sechs Wochen für die Arbeiten der Delegationen immerhin genügen würden. Träten diese Mitte September zusammen, so könne sich der ungarische Reichstag ohne weiters im Monate November versammeln und habe dann noch hinlänglich Zeit, um das eigene Budget zu beraten. Reichskanzler Graf Beust bemerkt gegen Grafen Andrässy: Er sehe ein, daß den Delegationen diesmal mehr Zeit gelassen werden müsse als im Vorjahre, was jedoch den Zeitpunkt der Einberufung betreffe, so müssen die Einwendungen des Kriegsministers ebenfalls be- nicksichtigt werden. Aber auch vom Standpunkte des Ministeriums des Äußern halte er den Maitermin für verfrüht. Sei ihm auch speziell jetzt schon die Gelegenheit zu Explikationen nicht unangenehm, so würde doch die Zusammenstellung des Rotbuches bei so zeitigem Termine Verlegenhei¬ ten bereiten. Von der Vorlage desselben ganz abzusehen, gehe nicht wohl an; es gelte dies für eine konstitutionelle Errungenschaft von großem Werte, wogegen man selbst im letzten Federkriege zwischen der preußisch-öster¬ reichischen Presse gegnerischerseits keine prinzipiellen Einwendungen zu erheben gewagt habe.18 Falle dasselbe aber nur mager aus, so werde man im jenseitigen Lager sagen, die preußischen Drohungen anläßlich des letzten Rotbuches hätten gewirkt, und man hätte sich bei uns nicht mehr zu veröf¬ fentlichen getraut. Er glaube also, daß sich die Einberufung in der Mitte des Monates September mit der voraussichtlichen Sitzungsdauer von sechs¬ acht Wochen empfehlen werde. Ministerpräsident Graf Andrässy: Er könne sich dem Gewichte dieser Bemerkungen nicht verschließen und sei für seine Person geneigt, dem vom Reichskanzler angegebenen Einberufungstermin zuzustimmen, eine bindende Erklärung könne er jedoch ohne Rücksprache mit den ungarischen Ministern, namentlich mit dem Finanzminister L6- nyay, nicht abgeben.19 Er behalte sich diese daher noch vor, verspreche Zu dieser Frage Instruktion des Grafen Beust an Grafen Wimpffen in Berlin v. 2. 12. 1868; Circulaire du Comte de Beust aux Missions Imperiales et Royales le 6. 5. 1869. In: Auswärtige Angelegenheiten. Correspondenzen des kaiserlich-königli¬ chen gemeinsamen Ministeriums des Äußern. Nr. 3 vom November 1868 bis Juli 1869 8-13. Andrässy hält es mit Berufung auf den betreffenden ungarischen Ministerratsbeschluß für notwendig, daß die Delegation mit ihrer Tätigkeit spätestens Anfang August beginnt. Andrässy an Beust v. 7. 3. 1869 HHStA., PA. I, Karton 563, 406/RK. Bei dieser Gele¬ genheit nimmt Andrässy gleichsam bekenntnishaft für die Institution der Delegation Stellung: Da die Budgetdebatten unstreitig die wichtigsten Momente der legislativen Tätigkeit bilden, so glaubt das ungarische Ministerium ein besonderes Gewicht darauf <pb/>Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. 2. 1869 195 aber, seine definitive Äußerung nach der Rückkehr nach Ofen in kürzester Zeit zu erstatten. Womit die Sitzung geschlossen wurde. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 5. Februar 1869. Franz Joseph. Nr. 34 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 9. Februar 1869 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke', der Reichskriegsminister [FML.] Freiherr v. Kuhn (12. 2.). Protokollführer: [Hofsekretär] Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Bau der Dalmatinischen Eisenbahn in Verbindung mit dem Waldverkauf in der Militärgrenze. II. Bau der ungarisch-galizischen Verbindungsbahn. KZ. 470 - RMRZ. 34 Protokoll des zu Wien am 9. Februar 1869 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des Reichskanzlers Gra¬ fen v. Beust. I. Reichskanzler Graf Beust: Es sei ihm vom Reichs¬ finanzminister ein Memorandum mitgeteilt worden, welches einerseits die Verbindung Dalmatiens und der Militärgrenze mittels einer Eisenbahn,1 an¬ dererseits die eingeleitete Veräußerung von Waldungen in der Militärgrenze betreffe,2 und worin darauf hingewiesen werde, wie gegenseitig nutzbrin¬ gend die Verbindung beider Projekte sich gestalten könne, wenn dieselben von einem und demselben Unternehmer in die Hand genommen würden. legen zu sollen, daß dieselbe, indem sie alle Teilfragen der Gesamtadministration berüh¬ ren, sowohl im Reichsrat als auch in der Delegation in einer dem Zwecke entsprechen¬ den Weise stattfmden, und dies umso mehr, als die konstitutionelle Lebensfähigkeit der Institution der Delegation erst bei Festsetzung und genauer Beobachtung eines gewissen Systems an den Tag gelegt wird. Randbmerkung Beckes gesehen und glaube, daß mein Memoire dem Protokoll ange¬ schlossen werden sollte. Memoire des Reichsfinanzministers Freiherr v. Becke v. 6. 2. 1868 gedruckt als Beilage Nr. 34a. Ministerrat über den Waldverkaufin der Militärgrenze: GMR. v. 30. 6. 1868, RMRZ. 18. <pb/>