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Gemeinsamer Ministerrat, 12. 1. 1869

II. Bau der ungarisch-galizischen Verbindungsbahn

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z30.pdf#page=5.

III. Vorgang bezüglich der Erlassung von Militärjustizgesetzen

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z30.pdf#page=7.

IV. Einbringung des Gesetzes über das nächste Rekrutenkontingent

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z30.pdf#page=9.

V. Vorsorge für ausgediente Unteroffiziere

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z30.pdf#page=9.

Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869                   169

Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. Jänner 1869

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf v. Beust, der Reichsfinanzminister Freiherr v.
Becke1, der Reichskriegsminister FML. Freiherr v. Kuhn (16. 1.), der k. k. Minister¬
präsidentenstellvertreter Graf Taaffe, der k. k. Handelsminister v. Plener, der k. k. Unterrichts¬
minister Ritter v. Hasner, der k. k. Ackerbauminister Graf v. Potocki, der k. k. Minister des
Innern Giskra, der k. k. Justizminister Herbst, der k. k. Finanzminister Brestei, der k. k. Mini¬
ster Berger.2
    Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Verbot der Waffendurchfuhr. II. Bau der ungarisch-galizischen
Verbindungsbahn. III. Vorgang bezüglich der Erlassung von Militärjustizgesetzen. IV.
Einbringung des Gesetzes über das nächste Rekrutenkontingent. V. Vorsorge für ausgediente
Unteroffiziere.

   KZ. 71-RMRZ. 30
   Protokoll des zu Wien am 12. Jänner 1869 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kai¬
sers.

   I. Reichskanzler Graf v. Beust ergreift das Wort, in¬
dem er auf die beträchtlichen Sendungen von Waffen und Waffen¬
bestandteilen hinweist, welche in letzterer Zeit zumeist über Salzburg den
Weg durch Österreich genommen hätten.3 Bisher habe man diese Sen¬
dungen zur Vermeidung von unliebsamen Reklamationen ohne Anstand
passieren lassen, nun sei aber der bekannte Fall vorgekommen, daß an der
österreichischen Reichsgrenze eine namhafte Ladung von Kanonenbe¬
standteilen aus Preußen säsiert worden sei, welche teils unter falscher
Deklaration des Gegenstandes, teils auf einer anderen als der im Geleit¬
scheine angegebenen, via Salzburg lautenden Route durch Österreich trans¬
portiert werden wollte. Abgesehen davon, daß Rumänien auf diese Weise
bereits über das Bedürfnis mit Waffen versehen worden sei, so hätten diese
Sendungen auch schon Anlaß zu einer Polemik gegen Österreich gegeben,
welches man beschuldigt habe, durch Erleichterung des Waffenbezuges
im Orient den Ausbruch eines Konfliktes zu fördern. Um nun einerseits
mögliche Differenzen, welche sich aus ähnlichen Waffensäsierungen in
der Folge ergeben könnten, zu vermeiden, andererseits jeden Anlaß zu
Verdächtigungen der politischen Haltung Österreichs angesichts des grie¬
chisch-türkischen Konfliktes vorzubeugen, scheine Vortragendem der
Zeitpunkt zur Erlassung eines Waffendurchfuhrverbotes gekommen zu

Das Datum der Unterzeichnung von Becke ist unlesbar
Minister ohne Portefeuille.
Über die Waffendurchfuhr siehe GMRProt. v. 25. 11. 1868, RMRZ. 27.
<pb/>170 i Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869

sein.4 Wohl sei ihm mitgeteilt worden, daß der Ministerrat für die im
Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder einer solchen Maßregel
abhold und mehr zur Beanständung der Waffentransporte von Fall zu Fall
geneigt sei; er müsse aber demgegenüber auf die erwähnte Gefahr diploma¬
tischer Konflikte aufmerksam machen, in bezug auf welche die Erlassung
eines Durchfuhrverbotes den großen Vorteil biete, daß sie den Charakter
einer allgemeinen Maßregel habe und nicht als speziell gegen Preußen ge¬
richtet, gegnerischerseits ausgebeutet werden könne.

   Seine Majestät der Kaiser geruhten anzudeuten, es sei
auch das in Betracht zu ziehen, ob das Durchfuhrverbot nach allen Richtun¬
gen oder nur nach Rumänien Geltung haben solle.

   Handelsminister v. Plener: Bei Erörterung der ange¬
regten Frage seien die Verträge mit den Nachbarstaaten im Auge zu halten;
der Artikel III des deutsch-österreichischen Zollvertrages gestatte die
Waffendurchfuhr und enthalte nur die Klausel, daß dieselbe bei außeror¬
dentlichen Umständen eingestellt werden könne.5 Könnten nun solche au¬
ßerordentliche Umstände, wie sie in der Klausel gemeint sind, als beste¬
hend nachgewiesen werden, worüber in erster Linie der Reichskanzler als
Minister des Äußern zu urteilen berufen sei, dann müßten alle sonstige Be¬
denken in Hintergrund treten.

   Bei dem Votum des cisleithanischen Ministerrates seien neben der Erwä¬
gung, daß ein Durchfuhrverbot den Waffentransport nach Rumänien nicht
hindern, sondern höchstens nur auf Umwege lenken würde, vor allem
volkswirtschaftliche Rücksichten maßgebend gewesen, denn ein Durch¬
fuhrverbot bedinge notwendig auch ein Ausfuhrverbot, und letzteres würde
zur natürlichen Folge haben, daß die zahlreichen Bestellungen bei unseren
Produzenten, welche dieselben sodann nicht effektuieren könnten, an belgi¬
sche oder sonstige Fabrikanten übergehen. Er müsse also, wie gesagt, seine
Zustimmung an die Bedingung des Vorhandenseins der angedeuteten außer¬
ordentlichen Umstände knüpfen, schon deshalb, weil es nötig sei, einen
stichhaltigen Grund aufzuweisen, wenn - was nicht ausbleiben werde -
Preußen wegen Verletzung des Zollvertrages reklamieren sollte.

 4 Über den griechisch-türkischen Konflikt: Auswärtige Angelegenheiten. Correspon-
        denzen des k. k. Ministeriums des Äußern Nr. 3 vom November 1868 bis Juli 1869
         13-18. Vgl. weiter. Lheretier, Histoire diplomatique de la Grece de 1821 ä nos jours,
        Bd. 3 261-288; Anderson, The Eastem Question 160-162. Im Oktober-Dezember 1868
        verschärfen sich im Zusammenhang mit dem Aufstand auf Kreta die Gegensätze zwi¬
        schen Griechenland und der Türkei, die beiden Balkanstaaten brechen die diplomati¬
        schen Beziehungen zueinander ab. Die Großmächte bemühen sich zu verhindern, daß

        zwischen ihnen ein Krieg ausbricht.
 5 Siehe: Handelsvertrag zwischen der Monarchie und dem Deutschen Zollverein vom

         9. 3. 1868, RGBl. Nr. 52/1868; siehe weiter Matlekovits, Die Zollpolitik der österrei¬
         chisch-ungarischen Monarchie und des Deutschen Reiches seit 1868 und deren nächste

         Zukunft 3-4; Lang, Hundert Jahre Zollpolitik 211-214.
<pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869  171

   Finanzminister Brestei schließt sich den Ausführungen
des Vorredners mit dem Beifügen an, daß das Durchfuhrverbot identisch
sein würde mit der Anerkennung des Vorhandenseins der vom Handels¬
minister angedeuteten vertragsmäßigen Bedingung, was aber bei der leich¬
ten Alarmierung der Börse von den nachteiligsten Folgen für den Geld¬
markt sein würde. Es frage sich also, ob der Schaden aus einer solchen
Maßregel mit dem Gewinne im Verhältnisse stehe. Wenn - was er nicht
wisse - binnen sechs Wochen, das ist [sic!] dem Zeiträume, welche derarti¬
ge Sendungen für ihren Umweg benötigen würden, der Ausbruch einer
Kriegsgefahr für Österreich bevorstehe, so möge das Verbot immerhin ohne
Rücksicht auf seine Folgen für die Börse ausgesprochen werden. Sei dies
aber nicht der Fall, so verspreche das Verbot nur Schaden und keinen Ge¬
winn, weil die Waffen auch auf Umwegen noch rechtzeitig an ihren Bestim¬
mungsort gelangen, und der Vorwurf, daß Österreich Europa alarmiere, ei¬
nen positiven Anhalt gewinnen würde. Eine Reklamation Preußens, wenn
Waffensendungen aufgehalten werden, halte er nicht für wahrscheinlich.

   Reichsfinanzminister Baron Becke: Er müsse
auf die Umstände, wie sie faktisch sind, aufmerksam machen, die Maßregel
sei gegen Rumänien gerichtet, wolle man sie also überhaupt ergreifen, so
sei jetzt der geeignete Moment dazu, denn später, wo die Flußschiffahrt
wieder möglich ist, sei es leicht, die Waffen auf dem Seeweg und dann
Donauaufwärts transportieren zu lassen.

   Reichskanzler Graf Beust: Es müsse über den Gegen¬
stand jedenfalls auch die ungarische Regierung gehört werden, weil Ungarn
durch seinen nahen und häufigen Kontakt mit Rumänien hiebei wesentlich
mitinteressiert sei. Sein Antrag sei hier insoweit unrichtig aufgefaßt wor¬
den, als ihm die Meinung vorzuwalten scheine, daß seine Absicht auf Er¬
schwerung des Waffenbezuges gerichtet sei. Ihm schwebe mehr als Rumä¬
nien die griechisch-türkische Frage vor Augen, und es scheine ihm haupt¬
sächlich in dieser Beziehung für die politische Stellung Österreichs von
Wichtigkeit, daß seiner Haltung nicht der Schein der Parteilichkeit beige¬
messen werden könne, nachdem Rußland im diplomatischen Verkehr dem
österreichischen Kabinett bereits vorgehalten habe, daß es die Waffen¬
durchfuhr nach dem Orient begünstige. Über den Zeitpunkt der drohenden
Kriegsgefahr lasse sich etwas Bestimmtes nicht sagen. Im Augenblicke sei
eine solche allerdings vorhanden, wenn sich die Hoffnungen auf ein friedli¬
ches Resultat der Pariser Konferenz nicht erfüllen sollten.6

Am 2. Januar 1869, in den letzten Tagen des Aufstandes aufKreta, lud Napoleon III. auf
Vorschlag Bismarcks die Großmächte zu einer Konferenz nach Paris ein. Am 20. Januar
verabschiedete die Konferenz eine allgemeine Entschließung mit dem Ziel der
Wiederherstellung des Friedens. (Man verbietet Griechenland, Freiwillige mit dem
Zweck zu werben, sie aufKreta einzusetzen, und auch der Türkei alle Aktivitätenfür den
Aufstand aufKreta.) Im übrigen war1 der Aufstand aufKreta schon am Zerfallen, und im
Februar akzeptierte die neue griechische Regierung die Pariser Deklaration.
<pb/>172 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. I. 1869

   Justizminister Herbst: Der cisleithanische Ministerrat
habe das Aushülfsmittel der Verweigerung der erforderlichen Geleitscheine
im gegebenen Falle deshalb vorgezogen, weil das Ausfuhrverbot einen Zu¬
stand schaffe, der nicht so leicht wieder beseitigt werden kann. Auch er
könne sich ein Durchfuhrverbot ohne gleichzeitiges Ausfuhrverbot nicht
vorstellen, und an das Verbot der Ausfuhr von Waffen müßte sich konse¬
quent auch jenes von Munition und Monturstücken anreihen. Hierdurch
würde aber unser durch die Waffenverbote der Vorperioden ohnehin schon
beeinträchtigter Verkehr noch mehr geschädigt werden. Erst jüngst seien,
wie die Zeitungen melden, namhafte Bestellungen, unter anderen auch bei
Brünner Fabrikanten, gemacht worden, die - wenn sie ihnen entzogen wer¬
den - für unsere Industrie von großem Nachteil sein würden. Ob viele Waf¬
fen nach Serbien durchgeführt wurden, müsse sich aus den Geleitscheinaus¬
stellungen eruieren lassen; daß solche nach der Türkei ausgestellt worden
seien, bezweifle er; praktisch handle es sich also nur um Rumänien, hier
seien aber die Rüstungen so gut wie beendet, ein Verbot also zwecklos.
Werde daher eine Beschränkung in dieser Richtung beschlossen, so könne
er sich nur für die Verweigerung der Geleitscheine aussprechen, da für ein
Verbot der Durchfuhr keine prägnanten Gründe vorliegen.

   R e i c h s k r i e g s m i n i s t e r FML. Freiherr v. Kuhn:
Was die Bewaffnung anbelange, so müßten die Rüstungen in der Walachei
nach den ihm zugekommenen Nachrichten in der Tat schon als vollendet
betrachtet werden. Ein anderer, namentlich vom Standpunkte der Kriegs¬
führung wichtiger Faktor seien die Pferde, rücksichtlich welcher ihm der
kommandierende Baron Ramming mitgeteilt habe, daß sie in Siebenbürgen
für Rechnung der Walachei massenhaft aufgekauft werden.7 Im Bedarfs¬
fälle werde die Aufbringung für unsere Armee schwer werden.

   Reichskanzler Graf Beust erklärt, daß ihm, wenn man
nur die Verhinderung der Waffendurchfuhr im Auge habe, wohl auch die
Modalität des Verweigems von Geleitscheinen akzeptierbar erscheine, nur
sei es schwer, hiefür immer einen geeigneten Rechtstitel zu finden.

   Handelsminister v. Plener: Wenn man eine Berechti¬
gung zur Sistierung von Waffentransporten in einer bestimmten Richtung
anerkenne, so gelte dieselbe im gleichen Maße auch von dem Verbot. Erste-
re Maßregel sei in der Form weniger eclat machend, laufe aber im Wesen
mit dem Verbote auf eines und dasselbe hinaus, und werde ohne Zweifel
gegebenen Falle zu Rekriminationen fuhren. Im Falle eines Verbotes stehe
man auf legalem Boden und sei wenigstens dem Vorwurf absichtiger
Schikanierung nicht ausgesetzt.

   Seine Majestät der Kaiser hatten die Gnade, darauf
hinzuweisen, wie der Reichskanzler die fragliche Maßregel mehr nur als
politische Demonstration beantragt habe. Ohne die Wichtigkeit des diplo-

7 FML. Wilhelm Freiherr Ramming v. Riedkirchen (1815-1876).
<pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869  173

matischen Momentes zu verkennen, sei es in Wirklichkeit doch schwer, der
Waffendurchfuhr entgegenzutreten, obschon man sich im Falle des Aus¬
bruches einer Konflagration auf tadelnde Stimmen über die Unterlassung
des Verbotes gefaßt machen müsse. Letzteres sei immerhin ein bedeutsamer
Schritt, gegen welchen Allerhöchstdieselben grundsätzlich eingenommen
seien, und welcher faktisch wenig nütze. Vielleicht ließe sich die Maßregel
bis nach der tagenden Pariser Konferenz verschieben, wo man in der Lage
sein werde, zu beurteilen, ob sich die Situation klären werde.8 Übrigens sei
hier auch die Meinung des ungarischen Ministeriums vom Gewicht.

   Ministerpräsidentenstellvertreter Graf Taaffe
gibt hierauf eine Darstellung des zum Teil schon aus den Zeitungen bekann¬
ten Herganges der Sache, welcher die Beanstandung des letzten preußi¬
schen Kanonentransportes zur Folge hatte. Die Absendung hätte in Spandau
Verzögerungen erlitten; um nun trotzdem die Lieferzeit einzuhalten, hätten
die Fabrikanten für den Transport den kürzeren Weg über Czemowitz, an¬
statt des längeren, über Salzburg gewählt, und durch die Notwendigkeit der
Umschreibung der Geleitscheine sei der Anlaß zur amtlichen Verhandlung
geboten worden, in deren Verlaufe der Reichskanzler in die Weiterbeförde¬
rung der schon in Czemowitz befindlichen Sendung eingewilligt habe.
Nebstbei müsse Vortragender bemerken, daß er an die Statthalter eine Ver¬
ordnung wegen Verhinderung des Waffenschmuggels erlassen habe. Was
nun die Vorschrift der Geleitscheinerwirkung betreffe, so biete dieselbe im¬
merhin ein Palliativmittel und sei mit Rücksicht auf die früher nötigen Um¬
fragen geeignet, die Waffenbeförderung auf einige Zeit zu hindern, aber in
die Länge könne man damit nicht ausreichen und werde mit der Verweige-
rung des Geleitscheines den beabsichtigten Zweck nicht erreichen.

    Nachdem noch schließlich Finanzminister Brestei die
Verschiebung des Verbotes bis nach beendeter Konferenz befürwortet und
der Reichskanzler seine Bereitwilligkeit dazu ausgesprochen
hatte, geruhten Seine Majestät der Kaiser Ag. zu geneh¬
migen, daß dieser Gegenstand vorläufig auf sich beruhend belassen werde.

    II. Als weiteren Gegenstand der Besprechung geruhten Seine Majestät
der Kaiser der ungarisch-galizischen Verbindungsbahn mit dem Beifügen
zu erwähnen, daß der Bau dieser Bahn einmal infolge der langwierigen Vor¬
verhandlungen, dann infolge der ablehnenden Haltung, welche der ungari¬
 sche Landtag gegenüber dem diesfalls eingebrachten Gesetzentwürfe ein¬
 genommen habe, bisher in bedauerlicher Weise verzögert worden sei;
 nunmehr aber die rasche Herstellung einer Verbindung Ungarns mit
 Galizien gegenüber der Emsigkeit, mit welcher Rußland seine Bahnen
 baue, sich zu einer strategischen Notwendigkeit gestalte.9

       Siehe Anm. 6.
9 Vgl. GMR. v. 4. 1. 1869, RMRZ. 29.
<pb/>174 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869

   Handelsminister v. Plener: Nach den einschlägigen
Berichten unserer Gesandtschaft in Petersburg lasse sich diese Notwendig¬
keit allerdings nicht in Abrede stellen.10 Die Schuld an den bisherigen Ver¬
zögerungen treffe nur den ungarischen Landtag, welcher entgegen dem die
Linie über Homona befürwortenden Gesetzentwürfe die Linie Eperies-
Dukla mit in Kombination zog. Von der Notwendigkeit geleitet, daß die
Angelegenheit wieder in Fluß gebracht werden müsse, und daß hiebei mit
Rücksicht auf die vorzugsweise strategische Wichtigkeit der Bahn die Mei¬
nung des Kriegsministers zumeist berücksichtigt werde, habe Vortragender
aus eigenem Antriebe eine Note an den Kriegsminister gerichtet, in welcher
er ihn unter Hervorhebung des Gebotes, von Reichs wegen und ohne Rück¬
sicht auf das Konsortium der Unternehmer in der Sache vorzugehen, um
seine bestimmte Meinungsäußerung bat, ob er aus strategischen Rück¬
sichten auf der Linie über Homona beharre.11 Die Antwort sei schon deshalb
bejahend erfolgt, weil die Vorarbeiten für diese Linie sich schon in sehr
vorgerücktem Stadium befinden. Ebenso habe die ungarische Regierung
über dahin gerichtete amtliche Anfrage sich für die Linie über Homona aus¬
gesprochen. Außeramtlich habe er allerdings vernommen, daß der Finanz¬
minister Lönyay diese Linie für schwierig halte und die Trasse Eperies-
Dukla befürworte,12 und daß Graf Andrässy aus persönlichen Gründen für
erstere Linie nicht eintreten könne.13 Gleichwohl sei er bereit und in der
Lage, im Reichsrat demnächst einen auf die Linie Homona-Przemysl lau¬
tenden Gesetzentwurf einzubringen,14 und glaube, daß es sich empfehlen
würde, vom Abgeordnetenhause lediglich zu verlangen, daß es ohne Rück¬
sicht auf das sich bildende Konsortium der Regierung die Ermächtigung
erteilen möge, den Bau einer Eisenbahn in der bezeichneten Richtung, unter
den daselbst näher zu bezeichnenden finanziellen Bedingungen, zu kon¬
zedieren.

   Reichskriegsminister FML. Freiherr v. Kuhn
deutet darauf hin, daß Eperies wegen seiner Verbindung mit dem Binnen¬
lande hauptsächlich für die Defensive von Wichtigkeit sei; bei der Offensi¬
ve käme dieser Punkt weniger in Betracht, und handle es sich zumeist dar¬
um, daß nur überhaupt durch diese Gegend eine Bahn gebaut werde, welche
den Truppentransport nach Galizien ermöglicht. Er habe sich für die Linie

10 Vgl. Ritter von Vetsera v. 30. 12./18. 12. 1868 an Beust über die russischen Eisenbahn¬
       bauten HHStA., PA. X, Karton 59, Nr. 46.

11 Siehe GMRProt. v. 4. 1. 1869, RMRZ. 29. Anm. 11.
12 Menyhert Lönyay (1822-1884), 20. 2. 1867 - 21. 5. 1870 kgl. ung. Finanzminister.
13 Die Familienbesitzungen Andrässys liegen an der geplanten Eisenbahnlinie Homona-

       Lupkow. Siehe GMRProt. v. 4. 1. 1869, RMRZ. 29.
14 Vortrag des k. k. Handelsministers v. Plener v. 24. 2. 1869 mit einem Gesetzentwürfe

       wegen Sicherstellung der ersten ungarisch-galizischen Eisenbahnverbindung. HHStA.,
       Kab.Kanzlei, KZ. 721/1869.
<pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869  175

über Homona, abgesehen&quot; von der zustimmenden Äußerung des FM. Frei-
herm v. Hess15 auch deshalb ausgesprochen, weil hier nur eine, dagegen auf
der Linie Eperies-Dukla vier Wasserscheiden zu passieren seien.

   Finanzminister Brestei: Vor Erteilung der wirklichen Kon¬
zession müsse man sich jedenfalls - schon wegen den finanziellen Zuge¬
ständnissen - mit Ungarn in Übereinstimmung befinden; da nur letzteres
bezüglich der Linie Schwierigkeiten erheben könnte, so sei es gefährlich,
hierüber jetzt schon etwas zu fixieren, und deshalb glaube er, daß man im
Abgeordnetenhause - selbst ohne Angabe einer bestimmten Route - bloß
die Ermächtigung zur Konzessionierung einer Verbindungsbahn von Un¬
garn nach Galizien im allgemeinen unter gewissen finanziellen Bedingun¬
gen beanspruchen solle.

   Ackerbauminister Graf Potocki hält der Bemerkung
des Vorredners die Aufgabe der Regierung entgegen, daß die fragliche
Verbindungsbahn sobald als möglich gebaut werde. Diesen Zweck werde
man in Ungarn leichter erreichen, wenn man dem ungarischen Ministerium
durch die Existenz eines in der diesseitigen Reichshälfte bereits akzeptier¬
ten Gesetzes den Anhalt gebe, um etwaiger Opposition entgegenzutreten
und den Bau von einem abermaligen Scheitern an der Interessen¬
zersplitterung zu retten. Er stimme daher für die Angabe einer bestimmten
Linie im Abgeordnetenhause. Dieser Ausführung schließt sich auch der
Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke an, in¬
dem er auf die große Genauigkeit des Abgeordnetenhauses in bezug auf
Meilenanzahl und Kostenverhältnis der Bahnen hinweist. Da man von dem¬
selben ein so unbedingtes Votum, wie es Dr. Brestei vor Augen habe, nicht
erwarten könne, so müsse man eine bestimmte Position nehmen. Nachdem
noch Handelsminister v. Plener an der Hand der fertigen
Detailpläne und Berechnungen für die Linie über Homona mehrere ziffern¬
mäßige Daten über den Bau, die Meilenanzahl, das Kostenverhältnis und
die zu leistende Zinsengarantie für dieselbe geliefert, geruhten Seine
Majestät der Kaiser den Beschluß dahin zu fassen, daß nach
dem vom Minister Plener entwickelten Anträge vorgegangen werden solle,
da die Schaffung eines fait accompli auch in Ungarn der sicherste Weg zur
Beseitigung persönlicher Hindernisse sei.

    III. Seine Majestät der Kaiser geruhten noch ferner zu erwähnen, daß es
sich nunmehr auch um die Beantwortung der bekannten Interpellation des

       Randbemerkung Kuhns von der entgegengesetzten Ansicht des FM. Freiherr v. Hess,
       deswegen für die Linie Homona-Przemysl ausgesprochen, weil nach dem gegenwärti¬
       gen Stande der Vorarbeiten von den Terrainhindernissen, die zu überwältigen sind,
       schnellere Erbauung dieser Linie alle Aussicht hat und dies bei den gegenwärtigen poli¬
       tischen Verhältnissen hauptsächlich zu berücksichtigen ist.

15 FM. Heinrich Freiherr v. Hess (1788-1870).
<pb/>176 Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869

Abgeordneten Skene und Genossen bezüglich der Militärstrafproze߬
ordnung handle.16 Bevor Allerhöchstdieselben die Autorisation zu der vom
cisleithanischen Ministerrate beschlossenen Beantwortung erteile, wün¬
sche Er die Ansicht des Ministerrates darüber kennenzulemen, ob derselbe
die Handhabung der Disziplinargewalt in der Armee und die Straf¬
gesetzgebung für ein Recht des obersten Kriegsherren halte, oder ob auch
hiezu die Mitwirkung der Legislative für nötig erachtet werde. Bezüglich
der Militärstrafprozeßordnung sei die Frage schon beantwortet; was Aller¬
höchstdieselben hier vor Augen hätten, sei erstens die eigentliche Militär¬
disziplin, zweitens die sogenannten Kriegsartikel, drittens das Strafgesetz
über gemeine Verbrecher.

   Justizminister Herbst: Er verkenne keineswegs, wie
wünschenswert es vom militärischen Standpunkte wäre, daß die Militär¬
gesetzgebung in den Händen des obersten Kriegsherren konzentriert wer¬
de,17 diesem Wunsche stehe aber das durch den Ausgleich mit Ungarn ge¬
schaffene positive Recht entgegen; denn aus den im Ausgleichsgesetze vor¬
kommenden Passus über die Leitung, Führung und innere Organisation lie¬
ße sich neben der Disziplinargewalt höchstens nur noch der Zusammenhang
der militärischen Delikte mit den Kriegsartikeln herleiten. Bezüglich der
Strafgesetzgebung über gemeine Verbrechen von Militärpersonen jedoch
müsse wohl derselbe Vorgang wie bezüglich der Militärstrafprozeßordnung
eingehalten werden, und dies sei praktisch für die Befugnisse des obersten
Kriegsherren wenig bedeutsam und für die innere Organisation der Armee
von keinem Gewicht. Übrigens bestehe bezüglich des materiellen Gesetzes
kein Bedürfnis der Änderung; das Militärstrafgesetzbuch sei erst vor drei
Jahren eingeführt worden. Würde aber die Erlassung eines neuen Straf¬
gesetzes für das Militär notwendig, so müsse dasselbe vor beide Legislative
gebracht werden.

   Seine Majestät der Kaiser: Die Erlassung neuer
Disziplinarvorschriften für die Armee werde sich bald als nötig darstellen,
da die jetzigen nicht ausreichen. Die parlamentarische Behandlung in bei¬
den Reichshälften bvon für die Armee bestimmten Gesetzen wird großen
Schwierigkeiten unterliegen.b cEsc werde sich eine Einigung schwer erzie¬
len lassen, wenn der Regierungsvorlage nicht im vorhinein die en bloc An¬
nahme gesichert sei. Auch sei noch nicht klargestellt, wie dann auf Grund
von zwei abgesonderten zustande gekommenen Gesetzen vorgegangen wer¬
den solle?

b&#39;b Einfügung Sr. Majestät.
c-c Einfügung Sr. Majestät.

16 GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Anm. 3.
17 Vgl. Gutachten von Herbst über Strafverfahren bei Militärgerichten: Beilage Nr. 28a

       zum GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28.
<pb/>Nr. 30 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 12. 1. 1869  177

   Justizminister Herbst: Es würde sich die Form von Armee¬
befehlen empfehlen.

   Minister Berger: Es sei schwer, das verfassungsmäßige Prin¬
zip mit der notwendigen Einheit der Norm in Einklang zu bringen, zumal
hier die Gesichtspunkte entfallen, von welchen man sich bei Zustande¬
kommen des Wehrgesetzes leiten ließ. Schwer sei es auch, die Grenze zwi¬
schen den Befugnissen des obersten Kriegsherren und dem Wirkungskreise
der Vertretungskörper zu ziehen. Einen Ausweg erblicke er nur in einer
kombinierten Beratung mit Vertretern des ungarischen Ministeriums über
alle hiebei sich ergebenden Fragen, namentlich darüber, was Militär¬
verbrechen sei und wie weit die Disziplin reiche. Diese Beratung sei zwar
zeitraubend, biete aber die einzige Grundlage für den Vorgang der beiden
Regierungen, und es sei nur auf diese Weise möglich, die von Seiner Maje¬
stät betonte Einheit mit den theoretischen Bedenken in Einklang zu bringen.

   Ministerpräsidentenste11vertreter Graf Taaffe:
Aufgabe der vom Vorredner angedeuteten Kommission werde es sein, den
Modus ausfindig zu machen, damit die Militärdisziplin und die Normen
über die Militärverbrechen in den Händen des obersten Kriegsherren ver¬
bleiben. Jetzt handle es sich zunächst um die Militärstrafprozeßordnung, in
bezug auf welche Vortragender den einzuschlagenden Vorgang im Sinne der
früheren Konferenzbeschlüsse hierüber erläutert.18

    IV. Seine Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, daß
es, obschon noch mannigfache Vorarbeiten erforderlich seien, doch an der
Zeit wäre, jetzt an die Inanspruchnahme des nächsten Rekrutenkontingents
zu denken und den Zeitpunkt der Einbringung des einschlägigen Gesetz¬
entwurfes festzusetzen. Im ungarischen Landtage, welcher derst im April zu¬
sammentreten dürfte,d würde das diesjährige Kontingent nur später votiert
werden können, dagegen möge die Einbringung des entsprechenden Ent¬
wurfes im Abgeordnetenhause nicht über drei Monate verzögert werden.

    Finanzminister Brestei: Das Gesetz solle wohl rechtzei¬
tig, aber nicht unnötig früh und namentlich nicht vor Beendigung der
 Budgetverhandlungen eingebracht werden.

    Nach kurzer Diskussion, an welcher sich Graf Taaffe und Dr. Herbst be¬
 teiligten, wurde für die fragliche Gesetzeinbringung der Monat März in

 Aussicht genommen.

    V. Schließlich geruhten Seine Majestät auf die Notwendigkeit
 hinzuweisen, daß für die Sicherung der Zukunft gedienter Unteroffiziere
 evorgedacht werde. Die dermalige kurze Dienst- und Präsenzzeit bedinge

d-d Einfügung Sr. Majestät aus bald nach dem Zusammentritte wieder vertagt werden dürfte.
       Einfügung Sr. Majestät.

18 Siehe GMR. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28.
<pb/>178 Nr. 31 Gemeinsamer Ministermt, Wien, 22. 1. 1869

notwendig gute Unteroffiziere,6 diese könnten sich aber nur bei längerem
Dienen in der Armee heranbilden, zu letzterem aber würden sie sich nur
dann entschließen, wenn ihnen neben den vom Kriegsministerium erfolgten
Reengagierungsgebühren auch noch die sichere Hoffnung auf ein, ihnen
auch bei späterem Armeeaustritt immer noch offenstehendes dienstliches
Unterkommen geboten werde.

    Minister des Innern Giskra bemerkt, daß in dieser
Richtung bereits ein positiver Schritt geschehen wäre, indem der Entwurf
eines hierauf bezüglichen Gesetzes bereits fertig und die kommissioneile
Beratung darüber angebahnt sei.19 Womit die Sitzung beschlossen wurde.

                                                                                                   Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 20. Jänner 1869. Franz Joseph.

        Nr. 31 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 22. Jänner 1869

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (25. 1.), der Reichskriegs¬
minister FML. Freiherr v. Kuhn (26. 1.), der k. k. Ministerpräsidentenstellvertreter Graf
Taaffe, der Minister des Innern Giskra, Hofrat im Ministerium des Äußern v. Hammer als
Referenten.
    Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: Feststellung des mittleren und großen Titels Seiner Majestät des Kaisers mit
Rücksicht auf die neuerlich geordneten Verfassungsverhältnisse.

       Der ungarische Ministerrat behandelt am 17. 12. 1869 die Angelegenheit des zu erstel¬
       lenden Gesetzesvorschlags der Zivilverwendung ausgedienter Unteroffiziere: OL., Sek¬
       tion K-27, Nr. 71/1869. Vortrag des Reichskriegsministers, womit um die Ag. Ein¬
       flußnahme auf das baldige Zustandekommen des Gesetzes über die Verleihung von An¬
       stellungen an ausgediente Unteroffiziere gebeten wird v. 28. 8. 1869 KA., MKSM. 72-4/
       16/1869: Der Kriegsminister führte eine längere Verhandlung mit den Mitgliedern der
       k. k. Regierung. Innen- und Ackerbauminister unterstützten die Ansprüche des Kriegs¬
       ministers, aufseiten des Justizministers bestandjedoch die Besorgnis, der Entwurfdes
       Kriegsministers stehe im Gegensatz zu jenem Artikel des Staatsgrundgesetzes, wonach
       die öffentlichen Ämter allen Staatsangehörigen ohne Unterschied zugänglich sein sol¬
       len. Am 29. August richtet Franz Joseph ein Reskript an Taaffe, in dem er die Wichtigkeit
       der Regelung der Angelegenheit ausgedienter Unteroffiziere betont. Ebd. Des weiteren:
       Vortrag des k. k. Landesverteidigungsministers v. 27. 3. 1870 um die Ah. Genehmigung,
       den Gesetzentwurf betreffend die Amtsstellung ausgedienter Unteroffiziere im öffentli¬
       chen Dienst der verfassungsmäßigen Behandlung Zufuhren zu dürfen. KA., MKSM. 72-
       4/3/1870. Vortrag des kgl. ung. Landesverteidigungsministers v. 1. 4. 1870 in obiger
       Angelegenheit. Ebd.
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