Gemeinsamer Ministerrat, 4. 1. 1869
I. Einführung der Militärstrafprozeßordnung
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z29.pdf.
II. Stand der Verhandlung über den Bau der ungarisch-galizischen Eisenbahn
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z29.pdf#page=6.
III. Beantwortung der im Abgeordnetenhause eingebrachten Interpellation über die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z29.pdf#page=9.
Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 159 öffentlichen Blättern befinden - wenn man auch mit dieser Vorschrift den verfassungsmäßigen Weg einschlagen sollte nicht sobald ermöglicht wer¬ den dürfte. Ich erlaube mir demnach aus diesen Gründen rücksichtlich der in Frage stehenden Interpellation mein Gutachten in tiefster Ehrfurcht dahin zusam¬ menzufassen, daß die Militärstrafprozeßordnung im Grunde der Gesetze vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 146 § 1 lit. b und § 5, Alinea 2, dann des § 14 des ungarischen Ausgleichsgesetzes Artikel XII; ferner vom 21. Dezember 1867 RGBl. Nr. 141 § 11 lit. k, vor die Reichsvertretungskörper nicht gehöre, und die ganz gehorsamste Bitte zu stellen: Euer Majestät geruhen, dieses Gutachten zur Ah. Kenntnis zu nehmen. Schließlich erlaube ich mir noch Euer Majestät ehrfurchtsvoll zur Kennt¬ nis zu bringen, daß ich zur Erzielung des Ah. anbefohlenen möglichst erwo¬ genen Gutachtens mich auch bestimmt gesehen, den Gegenstand der allso- gleichen Beratung der betreffs der Strafprozeßordnung eben tagenden Kommission zu unterziehen. Geruhen Euer Majestät aus dem anruhenden Protokoll die diesfalls sich ergebenen Anschauungen und insbesondere das Ergebnis der Abstimmung Ag. zu entnehmen, wonach sich die Majorität der Kommission für die unbedingte Ah. Berechtigung zur Emanierung dieser Prozeßordnung im Verordnungswege ausgesprochen hat. Wien, am 14. Dezember 1868. Kuhn Dient Mir zur Kenntnis. Wien, am 5. Jänner 1869. Franz Joseph. Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. Jänner 1869 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf v. Beust, der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (8. 1.), der Reichskriegsminister FML. Freiherr v. Kuhn (8. 1.), der k. k. Ministerpräsidenten¬ stellvertreter Graf Taaffe, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy. Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim. Gegenstand: I. Einführung der Militärstrafprozeßordnung. II. Stand der Verhandlung über den Bau der ungarisch-galizischen Eisenbahn. III. Beantwortung der im Abgeordnetenhause eingebrachten Interpellation über die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens. KZ. 67 - RMRZ. 29 Protokoll des zu Wien am 4. Jänner 1869 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kai¬ sers. <pb/>160 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 I. Seine Majestät der Kaiser geruhten die Beratung mit der Bemerkung zu eröffnen, die in der Sitzung des gemeinsamen Ministerrates vom 3. Jänner 1869 verhandelte Änderung der für das Straf¬ verfahren bei den Militärgerichten bestehenden Gesetze sei von solcher Wichtigkeit, daß Allerhöchstdieselben die Rekapitulation dieser Angele¬ genheit für nötig erachten.1 Es stünden sich diesfalls zwei Ansichten gegen¬ über. Die eine betrachte die Regelung des Strafrechtes und Strafprozesses bei der stehenden Armee als einen Ausfluß der Rechte des obersten Kriegs¬ herrn, welcher hierüber selbständig verordnen könne, und wolle der Legis¬ lative nur bezüglich der bürgerlichen Rechtsverhältnisse des Militärs eine Ingerenz einräumen, während die andere auch die strafrechtlichen Bestim¬ mungen sowohl in materieller als formeller Beziehung der Mitwirkung der verfassungsmäßigen Vertretungskörper Vorbehalten wissen wolle. Erstere werde in dem, anläßlich der Interpellation des Abgeordneten Skene und Genossen vom 10. Dezember 1868 erstatteten au. Vortrage des Kriegsmi¬ nisters vom 14. Dezember 1868 zum Ausdrucke gebracht,2 während letztere in dem diesbezüglichen Gutachten des Justizministers Herbst eifrige Ver¬ tretung finde.3 Zum besseren Verständnisse geruhten Seine Majestät beide Aktenstücke zur Verlesung bringen zu lassen und sonach mit der Bemerkung fortzufah¬ ren, daß es immerhin sonderbar und ein Beweis dafür, wie wenig kasu¬ istisch beim Zustandekommen der Ausgleichsgesetze vorgegangen wurde, sei, daß in einer so tief eingreifenden Frage zwei so entgegengesetzte An¬ sichten sich bilden konnten, welche sich beide auf die Staatsgrundgesetze stützen. Allerhöchstdieselben könnten der Auffassung des Justizministers Herbst nicht folgen, denn fürs erste sei der Unterschied, der zwischen ei¬ gentlichen Militär- und gemeinen Verbrechen gemacht werde, kein haltba¬ rer. Beide bilden gleichmäßig einen Gegenstand der militärischen Diszi¬ plin; die Aufrechthaltung der letzteren sei aber im Begriffe der Leitung und Führung mitenthalten und könne, wenn die Leitung eine einheitliche sei, auch wieder nur einheitlich gedacht werden. Wie sei dies aber möglich, wenn in der Armee je nach den beiden Reichshälften ein verschiedenes Strafverfahren und eventuell auch verschiedenes Strafrecht, sohin im Gan¬ zen vier diverse Normen Geltung hätten? Aber auch die weiters ausgesprochene Ansicht, daß die Übereinstim¬ mung im militärischen Strafverfahren keine staatsgrundgesetzliche Not¬ wendigkeit sei, könne Seine Majestät nicht teilen, denn ganz abgesehen von der Wahrung der Rechte des k. u. k. obersten Kriegsherrn, auf welche Aller¬ höchstdieselben von Ihrem Standpunkte Gewicht legen müßten, liege es auf GMR. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Siehe Beilage Nr. 28a zum GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Siehe Beilage Nr. 28b zum GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 161 der Hand, daß die Armee aufhöre, eine einheitliche zu sein, sobald jener Unterschied mit den daran geknüpften Konsequenzen festgehalten werde. Wohl sei beim Zustandekommen der Ausgleichsgesetze in Beziehung auf das Wehrgesetz ein verschiedenes Recht gestattet worden, aber auch hier habe das Bedürfnis der praktischen Notwendigkeit zu einheitlichen Bestim¬ mungen geführt, obschon es sich dabei noch nicht um die Armee als solche, sondern vorläufig nur um die Art und Weise der Beistellung des Materials zu derselben handle. Um wieviel mehr sei dies im vorliegenden Falle gebo¬ ten (wo es sich übrigens selbstverständlich immer nur um die aktive Armee und nicht auch um die Landwehr handle). Aber auch angenommen, daß man dem Militär je nach der Landesan¬ gehörigkeit eine verschiedene prozessualische Behandlung gewähren wol¬ le, so bestehe heute noch kein geeignetes Substrat für eine solche Norm, da noch keine der beiden Reichshälften eine endgiltige Zivilstrafprozeßord¬ nung und Ungarn noch nicht einmal ein kodifiziertes Strafrecht habe. Was endlich den vom Dr. Herbst angedeuteten analogen Fall bezüglich der Gerichtsbarkeit der Militärgerichte betreffe, so könne Seine Majestät diese Analogie nur etwa rücksichtlich der eventuellen legislatorischen Be¬ handlung und nicht rücksichtlich des Gesetzes selbst gelten lassen; Aller- höchstdieselben seien übrigens im Falle legislativer Behandlung des Ge¬ genstandes mit dem Justizminister darin einverstanden, daß derselbe weder vor die Deputationen noch vor die Delegationen, sondern nur vor den Reichsrat und Reichstag gehöre. Ministerpräsident Graf Andrässy: Aus dem Wort¬ laute der Ausgleichsgesetze lasse sich allerdings eine strenge Folgerung auf den in Frage befindlichen Gegenstand nicht ableiten, auch sei es für ihn - unvorbereitet wie er sei - schwer, ohne Einvernehmen mit Justizminister Horvät, in dessen Ressort gegenwärtige Beratung einschlage, eine die un¬ garische Regierung bindende Erklärung abzugeben,4 gleichwohl aber sei er nicht im mindesten darüber im Zweifel, daß die Erlassung von Verordnun¬ gen kriegsrechtlicher Natur, welche oft durch Zeit und Umstände bedingt werden, ausschließliches Recht des Kriegsherrn sei, daß ferner, wenn schon ein Unterschied zwischen Militär- und gemeinen Vergehen gemacht und bei Regelung des Verfahrens über die letzteren der Legislative eine Mitwirkung Vorbehalten werden wolle, nur die beiden Vertretungskörper hiezu berufen sein könnten. In diesem Falle würde dann allerdings nichts anderes erübrigen, als einen Gesetzesentwurf unter den beiden Ministerien zu vereinbaren und sodann über Befehl Seiner Majestät den Legislativen vorzulegen. Nur müßte er in diesem Falle entschieden davor warnen, daß dem Ganzen der Charakter ei- Siehe GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Anm. 4. <pb/>162 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 ner Kodifikation, die in Ungarn auf große Schwierigkeiten stoßen würde, gegeben werde, und empfehle vielmehr die novellarische Form.5 Man solle lieber einige Latitude lassen, die Ministerien würden sich leichter vergleichen als parlamentarische Körperschaften, rücksichtlich welcher über die Haltung des ungarischen Landtages jetzt, angesichts der Neuwahlen, noch gar nichts gesagt werden könne.6 Dies alles sage er aber nur in der Voraussetzung, daß die Meinung über die Notwendigkeit der legislativen Mitwirkung zum Durchbruch gelangen könnte; Vortragender hege diese Meinung nicht, sondern glaube vielmehr, daß sich, ohne die Theresiana förmlich zu beseitigen, durch Abänderungen und Ergänzungen ein Provisorium im Verordnungswege schaffen lasse.7 Ministerpräsidentenste11vertreter Graf Taaffe: Es müsse vor allem präzisiert werden, ob der oberste Kriegsherr als solcher das Recht zur Erlassung einer Militärstrafprozeßordnung habe oder nicht. Sei man einmal hierüber schlüssig, so sei das Übrige leicht. Würde der Le¬ gislative das Recht der Mitwirkung Vorbehalten, so müsse ihre Zustimmung auch zu einem Provisorium, wie das vom Vorredner angedeutete, verlangt werden, denn nach dem heutigen Stande der Gesetzgebung habe das ,,Provi¬ sorische" nicht mehr die Bedeutung des ,,Vorläufigen bis zum Zustande¬ kommen von etwas Besserem", sondern die Rechtsfolge, daß von der Legis¬ lative bei ihrem Wiederzusammentritte das provisorisch Verfügte geneh¬ migt werden müsse. Seine Majestät der Kaiser geruhten hierauf die Andeu¬ tung zu machen, ob es wohl notwendig sei, dem Ganzen die Bedeutung ei¬ nes förmlichen Gesetzes beizumessen? Justizminister Horvät habe Aller- höchstdemselben seinerzeit die Erklärung gegeben, daß sich die Bestim¬ mungen des infolge der ungünstigen Stimmung im ungarischen Landtage zurückgezogenen Gesetzes über die Militärgerichtsbarkeit im Verordnungs¬ wege würden einfuhren lassen; könnte ein solcher Vorgang nicht auch hier Platz greifen? Reichskanzler Graf Beust erklärt gegenüber der Äuße¬ rung des Grafen Andrässy, daß er dann doch auf den Unterschied aufmerk¬ sam machen müsse, welcher zwischen der militärischen Disziplin und der prozessualischen Aburteilung über begangene Vergehen, mögen diese nun Gesetze, die einzelne Teile eines größeren Gesetzes modifizieren, werden Novelle ge¬ nannt. Die Kodifikation dagegen ist die Vereinigung der Gesetze zu einem einheitlichen Gesetzbuch, die Gesetzesregelung sämtlicher Teile des Rechtes zu einer organischen Einheit. Es handelt sich offensichtlich darum, die Theresiana zu modifizieren, und nicht darum, ein völlig neues Gesetz zu schaffen. Die 1869er Wahlen in Ungarn fanden zwischen dem 9. und 13. März statt. Dies war die erste Wahl nach dem Ausgleich, und es war zu befürchten, daß die Kraft der Opposition erheblich anwächst. Theresiana: siehe GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Anm. 8. <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 163 welcher Natur immer sein, bestehe. Letztere dürfe nicht übereilt werden, und der Soldat habe ein durch den Eintritt in die Armee nicht verlorenes Recht, nach verfassungsmäßigen Gesetzen gerichtet zu werden; wohl schwebe über ihm ein schärferes Gesetz, aber in der Behandlung nach die¬ sem Gesetze solle er nicht ungünstiger gestellt werden als das Zivile." Die¬ ses Prinzip müsse respektiert werden, und könne das Kriegsministerium ebensowenig mit Änderungen Vorgehen, die demselben widersprechen, als es angehe, die Mitwirkung der Vertretungen zu umgehen. Für die Behauptung des Vortragenden, daß auch Militärgesetze der ver¬ fassungsmäßigen Behandlung bedürfen, spreche das Beispiel des König¬ reiches Sachsen, wo man in ähnlichem Falle und zwar noch vor dem Jahre 1848 - also zu einer Zeit, in welcher man rücksichtlich konstitutioneller Bedenken weit weniger rigoros war als jetzt - doch keinen Augenblick An¬ stand genommen habe, das materielle Gesetz und die Prozeßordnung den Kammern vorzulegen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Schon das Wehr¬ gesetz entfalte einige disziplinarische Bestimmungen, z. B. über die Be¬ handlung quittierter Offiziere, die Prügelstrafe und sonstige innere Armee¬ fragen, woraus sich das Recht des Kriegsherrn zur selbständigen Erlassung der Disziplinarverordnungen ableiten lasse. Nach dieser Seite hin sei daher ein Zweifel nicht wohl möglich. Werde aber bezüglich des Verfahrens bei Aburteilung über begangene Vergehen ein eigenes Gesetz unter Herbeizie- hung der Legislativen für notwendig erachtet, so folge es aus dem Wesen der Armee als eines nach gemeinsamen Prinzipien entstandenen und ge¬ meinsam zu regierenden Körpers, daß dieses Gesetz, obwohl formell durch die beiden Legislativen abgesondert zustande gebracht, doch was den Inhalt betrifft, nur eines sein könne, worauf Seine Majestät der Kaiser zu bemerken geruhten, daß es eben fraglich sei, welches Gesetz dieses eine sein solle. Der vom Kriegsministerium verfaßte Entwurf schlie¬ ße sich dem österreichischen Strafprozesse an, und man könne bei dem un¬ garischen Reichstage nicht sicher darauf rechnen, daß er ein auf solcher Basis zustande gekommenes Gesetz bereitwillig akzeptiere. Reichskanzler Graf Beust: Es scheine ihm darauf an¬ zukommen, daß man unter Anerkennung des verfassungsmäßigen Prinzips die praktische Notwendigkeit der freien Hand des obersten Kriegsherrn zur Geltung bringe. In dieser Beziehung sei in der gestrigen Sitzung auf die Möglichkeit der Ermächtigung der Legislativen zu einem unter Kontra¬ signatur des Reichskriegsministers zu erlassenden Gesetze hingedeutet worden, während ein anderer Weg darin bestehe, daß ein solches Gesetz vom obersten Kriegsherrn sofort erlassen und den Legislativen nachträglich Randbemerkung von Beust ist nicht so gesagt worden, auch die Behandlung muß stren¬ ger und energischer sein als beim Zivil, eben darum aber liegt der Anspruch auf verfas¬ sungsmäßige Normierung. <pb/>164 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 vorgelegt werde. Was die erstere Alternative betreffe, so seien Vortragen¬ dem von einer Seite, auf welcher sich genaue Kenntnis der Ansichten und Strömungen im Abgeordnetenhause voraussetzen läßt, die Andeutung zu¬ gekommen, daß die Erteilung der fraglichen Ermächtigung daselbst nicht als inkonstitutionell und durch faktische Gründe gerechtfertigt betrachtet werden würde. Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke aner¬ kennt ebenfalls die Notwendigkeit, die Rücksicht auf das verfassungsmäßi¬ ge Prinzip mit jenen auf die Stellung des obersten Kriegsherrn zu vereinen. In diesem Anbetrachte glaube er sich dafür aussprechen zu sollen, daß jede Legislative für sich ein Gesetz bringen solle, in welchem aber dieselben Prinzipien enthalten sein müssen, und daß sofort der oberste Kriegsherr auf dieser Grundlage die weitere Ausführung des Gesetzes in der Form von in¬ ternen Armeeverordnungen erlasse. Seine Majestät der Kaiser geruhten zu erwidern, daß die Notwendigkeit zur Verschärfung der gegenwärtig nicht mehr ausrei¬ chenden Disziplinarvorschriften in der Armee ohnehin bald herantreten würde. Gegenwärtig handle es sich um den beim Kriegsministerium bereits fertig erliegenden Entwurf der Militärstrafprozeßordnung, d. h. die Form der Kriegsgerichte, das Maß der Öffentlichkeit, die Bestimmungen über Ankläger und Verteidiger, die Anzahl der Instanzen usw. Dies alles müßte in den Legislativen durchgebracht werden. Ministerpräsidentenste11vertreter Graf Taaffe: Nach den Äußerungen, die Justizminister Herbst in der gestrigen Sitzung abgegeben, glaube er, daß der Entwurf des Kriegsministers akzeptiert wer¬ den würde; der einzuschlagende Modus sei aber der, daß sich der Kriegs¬ minister zuerst mit den Vertretern der beiderseitigen Justizministerien und dann die beiden Ministerien untereinander einigen und die Vertretung ge¬ genüber den Legislativen übernehmen. Letztere würden sich aus Gründen praktischer Notwendigkeit ebenfalls einigen, obschon man sich nicht verhehlen dürfe, daß die Beurteilung des Gesetzes von seiten der Bevölke¬ rung im Hinblick auf die allgemeine Wehrpflicht und das damit verbundene regere Interesse der Leute an den internen Armeeangelegenheiten eine strengere sein werde. Komme eine Einigung wider Vermuten nicht zustande, so bliebe es beim Alten und habe die Bevölkerung den Entgang der Wohltaten des Kriegsministerialentwurfes sich selbst, rücksichtlich ihren Vertretern zuzu¬ schreiben. Um aber dem Entwurf auch nur den Schein einer beabsichtigten Kodifikation zu benehmen, solle derselbe gekürzt, nur auf die Fixierung der Hauptprinzipien beschränkt und lediglich als Novelle eingebracht werden. Ministerpräsident Graf Andrässy: Eine Ermäch¬ tigung der Legislative, wie sie der Reichskanzler angedeutet, würde im In¬ teresse der Sache selbst zwar wünschenswert sein, dieser Vorgang sei aber untunlich, weil der Reichskriegsminister nicht dem Reichsrate und Reichs- <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 165 tage, sondern nur den Delegationen gegenüberstehe und von ersteren eine Ermächtigung nicht annehmen könne. Ebenso sei das Antizipieren der Ge¬ nehmigung der Legislativen unkonstitutionell, und so müsse er sich für den Antrag des Grafen Taaffe aussprechen. Man brauche nicht in den Vorder¬ grund zu stellen, daß dem Entwürfe das österreichische Strafverfahren zur Grundlage diene, sondern solle ihn als etwas für die Armee geschaffenes Neues geben. Auch er stimme für möglichste Kürze und Vermeiden jeden Anhaltes zu weitgehenden Diskussionen und erkenne die Notwendigkeit der en bloc Annahme, auf welche man trotz möglicher Klagen über eine neuerliche Zwangslage wohl rechnen könne. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erklärt sich mit diesem Modus in Voraussicht der en bloc Annahme ebenfalls ein¬ verstanden. Ministerpräsidente n s te 11vertreter Graf Taaffe erwähnt noch schließlich, daß er die Beantwortung der Interpellation von Skene und Genossen deshalb für wichtig halte, weil sie eine prinzipielle Frage involviere, worauf Seine Majestät der Kaiser die Ah. Willensmeinung dafür auszusprechen die Gnade hatten, daß dieselbe vorläufig zu Papier gebracht und Ihm vorgelegt werde.8 II. Als weiteren Gegenstand der Besprechung geruhten Seine Majestät der Kaiser noch den Bau der aus Ungarn nach Galizien zu führenden Eisen¬ bahn vorzubringen und dabei die große Wichtigkeit zu betonen, welche die¬ se Bahn, welche die ungarische Theißbahn mit der galizischen Karl Ludwigs-Bahn verbinden solle, nicht nur vom volkswirtschaftlichen Stand¬ punkte - indem sie dem ungarischen Alföld einen Schienenweg nach Nor¬ den öffne -, sondern - und dies falle heute nicht minder schwer ins Gewicht - auch aus strategischen Rücksichten habe.9 AufSkenes Interpellation antwortet am 15. Januar 1869 Justizminister Herbst: Die Re¬ gierung sei angesichts der vielen legislatorischen Arbeiten in dieser Session nicht in der Lage, diesem Wunsche (nämlich eine Militärstrafprozeßordnung zu verabschieden) zu entsprechen, bereite aber Änderungen an dem bestehenden Militärstrafverfahren vor. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 1 338. Vgl. au. Vortrag des k. k. Justizministers Herbst v. 15. 3. 1869 über den Wirkungskreis der Militärgerichte. HHStA., Kab.Kanzlei, KZ. 987/1869. Au. Vortrag des k. k. Justizministers Herbst v. 5. 4. 1869, worin mit Zustimmung des Ministerrates um die Ah. Ermächtigung gebeten wird, den vorliegenden Gesetzentwurf über den Wirkungskreis der Militärgerichte im Abgeordnetenhaus des Reichsrates einzubringen. Ah. Entschließung v. 11. 4.1869 ebd. KZ. 1203/1869. Au. Vortrag des k. k. Justizministers v. 15. 5. 1869, womit der von bei¬ den Häusern des Reichsrates beschlossene Gesetzentwurf betreffend den Wirkungskreis der Militärgerichte zur Ah. Sanktion unterbreitet wird ebd. KZ. 1739/1869. Ah. Entschließung v. 20. 5. 1869. Über den Plan der Eisenbahnverbindung Ungarn-Galizien: GMR. v. 25. 11. 1868, RMRZ. 27. Die bezüglichen Akten: KA., KM., Präs. 17-18/1/1868. <pb/>166 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Be¬ kanntlich stünden sich hier zwei Pläne gegenüber, der eine von dem Grafen Potocki protegierte mit der Linie Homona-Lupkow-Lisko-Chyrow nach Przemysl und der andere, für welchen sich Fürst Sapieha interessiere, mit der Linie Eperies-Dukla-Przemysl und der Abzweigung von Dukla nach Tamow.10 Er habe erst kürzlich vom Handelsminister Plener eine Note er¬ halten, worin die Sache wieder angeregt und das Kriegsministerium um die endliche Entscheidung für eine dieser beiden Linien angegangen wurde.11 Der Generalstab, von welchem er diesfalls ein Gutachten verlangte, habe sich entgegen seinen früheren Äußerungen, worin die Linie über Homona befürwortet wurde, nun plötzlich für die Linie über Dukla ausgesprochen, worüber er mit dem Generalstabschef noch Rücksprache pflegen müsse.12 Er für seine Person sei - wenn er wählen müsse -, mehr für die Linie über Homona eingenommen, halte aber im Zwecke eines strategischen Auf¬ marsches beide Linien für unerläßlich, zumal nach den Nachrichten, welche er unlängst aus Rußland erhalten habe, denen zufolge Rußland die größten Anstrengungen mache, um sich mit seinen Eisenbahnbauten der österreichi¬ schen Grenze ebenfalls auf mehreren Punkten zu nähern. Ministerpräsident Graf Andrässy: In Ungarn be¬ finde sich diese Frage noch in dem Stadium der Projekte, in einen hierauf bezüglichen Gesetzentwurf sei der ungarische Reichstag nicht eingegan¬ gen, und er selbst habe in der Sache nichts tun können, weil seine Familie in der durch die projektierte Bahn berührten Gegend Besitzungen habe.13 Ge¬ genwärtig stehe die Sache so, daß das ungarische Kommunikationsmi¬ nisterium über landtäglichen Beschluß einen neuen Entwurf ausgearbeitet habe, welcher dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte vorge¬ legt werden solle. Es komme viel darauf an, daß man in der diesseitigen Reichshälfte bald schlüssig werde, was auch in Ungarn beschleunigend wirken werde. Es sei eine irrige Ansicht des Ministers Plener, daß nicht zwei Linien gleichzeitig konzessioniert werden sollten, da abgesehen von der strategischen Wichtig¬ keit der Frachtenverkehr auf der Route aus Ungarn nach Galizien ein so bedeutender sei, daß sich beide Linien rentieren würden. Die Legislative Ungarns würde, wenn nur erst hier beide Bahnen akzeptiert würden, dage- 10 Adam Graf Potocki (1822-1872); Leon Fürst Sapieha (1802-1878), 1861-1875 Land¬ marschall von Galizien und Präsident des galizischen Landesausschusses, ab 1861 Her¬ renhausmitglied. 11 Die Note von Plener an den Reichskriegsminister Kuhn war nicht auffindbar. Vgl. aber au. Vortrag des k. k. Handelsministers v. 24. 2. 1869: Sicherstellung der ersten unga- risch-galizischen Eisenbahnverbindung, HHSrA., Kab.Kanzlei, KZ. 721/1869. 12 K. k. Generalstab, Gutachten zu dem Einsichtsstücke [o. D.] KA., KM., Präs. 17-18/1/ 1868. 13 Aladär Andrässy, Obergespan im Komitat Zemplen, ist persönlich an der Eisenbahnan¬ gelegenheit interessiert. <pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 167 gen gewiß keine Schwierigkeiten erheben und selbst vor der Subvention nicht zurückschrecken, da die Bahn eine produktive sei. Nachdem noch Graf Taaffe auf die durch die finanzielle Lage des Reiches erklärlichen Bedenken der Finanzverwaltung gegen die Subventionierung von beinahe parallelen Bahnen aufmerksam gemacht und Baron Becke mit Beziehung auf das Beispiel der Kaiserin Elisa¬ beth-Bahn auf die temporäre Natur solcher Subventionen hingewiesen, ge¬ ruhten Seine Majestät der Kaiser zu bemerken, der Ge¬ genstand scheine ihm so wichtig, daß Graf Taaffe darüber nächstens wieder eine cisleithanische Ministerberatung unter Ah. Vorsitze und mit Zuziehung des Reichskriegsministers einleiten möge.14 III. Schließlich geruhten Seine Majestät der Kaiser noch der in der Sit¬ zung des Abgeordnetenhauses vom 16. Dezember 1868 vom Abgeordneten Sturm und Genossen eingebrachten Interpellation über die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens Erwähnung zu machen und zu bemerken, daß der gan¬ ze Anlaß zur Beunruhigung der Abgeordneten in dem im kroatischen-unga- rischen Ausgleichsgesetze gebrauchten Titel liege, welcher indessen nur ein historischer sei, und daß aus letzterem ebensowenig ein Anspruch auf Inkorporierung Dalmatiens zu Ungarn abgeleitet werden könne, wie dies bezüglich Galiziens zulässig sei, welches gleichfalls einmal mit Ungarn vereint gewesen sei.15 Vgl. GMR. v. 12. 1. 1869, RMRZ. 30. Dies ist in Wahrheit (d. h. hinsichtlich seiner Zusammensetzung) ein cisleithanischer Ministerrat, zu dem auch die gemeinsamen Mi¬ nister eingeladen werden. Sturms Frage, die er am 16. Dezember an das Gesamtministerium richtete, lautete: ob [es] vor Erlassung des kroatisch-ungarischen Ausgleichsgesetzes von dessen Inhalt, insofeme es sich auf Dalmatien bezieht, Kenntnis erhalten und welche Schritte es zur Wahrung der verfassungsmäßig anerkannten Zusammengehörigkeit dieses Landes mit den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern getan habe oder zu tun ent¬ schlossen sei. Siehe Staatsrechtliche Stellung Dalmatiens: HHStA., PA. I, Karton 558.II/6. Gutachten des Reichskanzlers Grafen v. Beust v. 12. 1. 1869 betreffend die Interpellation in bezug auf die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens. {Dies hatte Beust geplant und übersendet es mit verschiedenen Beilagen an Ministerpräsidentenstellver¬ treter Taaffe. Ebd.) Taaffe antwortet am 15. 1. 1869 im Geiste des Beustschen Gutach¬ tens vom 12. Januar aufSturms Interpellation: Die Stipulation des § 66 anerkennt, daß zum territorialen Umfang der Königreiche Dalmatien, Kroatien, Slawonien auch das ge¬ genwärtige Königreich Dalmatien gehört. Dieser Passus bezwecke nur, Kroatien die Zusicherung zu geben, daß Ungarn sich für die Geltendmachung seiner Ansprüche ver¬ wenden werde und daß im Falle einer Durchsetzung der Ansprüche Kroatiens auf Dalmatien dem Königreiche Dalmatien eine bestimmte Stellung Kroatien gegenüber eingeräumt werden soll. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, kann diesem Teile des Ausgleichsvertrages noch keine bindende Kraft beigelegt werden. Das Ministerium für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder hat vor dem Abschlüsse des Aus¬ gleichsvertrages mit Ungarn keine offizielle Kenntnis von demselben erlangt und hatte <pb/>168 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869 Der Reichskanzler ist des Erachtens, daß man sich vor allem darüber einigen müsse, ob die Interpellation meritorisch beantwortet wer¬ den solle oder nicht, worauf sich Graf Andrässy im negativen Sinne ausspricht mit dem Beifügen, wie wenig angezeigt es sei, eine Frage heraufzubeschwören, die faktisch nicht existiere. Aus dem in dem Aus¬ gleichsgesetze vorkommenden Passus ergeben sich noch gar keine Rechts¬ folgen.16 Graf Taaffe: Er sei schon zur Zeit des ungarisch-kroatischen Ausgleiches von Abgeordneten deshalb befragt worden, und es scheine ihm nur darauf anzukommen, dieselben darüber zu beruhigen, daß, was bisher in Ansprachen erwähnt wurde, keine Präjudiz in sich schließe. Seine Majestät der Kaiser hatten die Gnade zu erwi¬ dern, daß sich diese Beruhigung am ehesten aus Allerhöchstseiner Schlußtronrede vom 10. Dezember v. J. herleiten lasse, worin die Integrität Ungarns als hergestellt bezeichnet wurde. Womit Seine Majestät die Sit¬ zung zu schließen geruhten. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 13. Januar 1869. Franz Joseph. demnach bisher keinen Anlaß, die fragliche Angelegenheit zum Gegenstände irgendei¬ ner Verhandlung zu machen. Für den Fall, daß von anderer Seite angestrebt werden soll¬ te, die gedachten Wünsche und Ansprüche ihrer Verwirklichung näher zu bringen, möge die Versicherung genügen, daß das Ministerium die Inkorporierung Dalmatiens nicht als eine Angelegenheit ansehe, welche zu ihrer endgültigen Regelung nur noch der Feststel¬ lung der seitens Dalmatiens zu stellenden Bedingungen bedürfe, daß vielmehr das ge¬ genwärtige Ministerium auch in der ferneren Behandlung dieser Angelegenheit den Bo¬ den der Grundgesetze für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder sowie die Landesordnung Dalmatiens nicht verlassen wird. Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 1 356-357. Die Lösung der staatsrechtlichen Frage Dalmatiens wurde 1867 verschoben. Im unga¬ risch-kroatischen ,,Ausgleich", d. h. GA. XXX/1868, §§ 65-66, wurde Dalmatien als ein Teil Kroatien und damit ,,das Recht der heiligen ungarischen Krone" aufdieses Land anerkannt. In der Tat ist in diesem Sinn in der Einleitung sowie in einer ganzen Reihe von Paragraphen von Kroatien, Slawonien und Dalmatien als einer Einheit die Rede, und der Landtag, die Landesregierung, die Landesgerichte heißen offiziell ,,kroatisch- slawonisch-dalmatinisch". Andererseits ist Dalmatien in der österreichischen Verfas¬ sung als ein Teil und Land Österreichs anerkannt und ist im diesseitigen Reichsrat ver¬ treten. So gestaltete es sich 1867 und auch danach, daß Dalmatien de facto zu Öster¬ reich und de jure zu Ungarn gehört hat. Vgl. Bernatzik, Die österreichischen Verfassurigsgesetze 733-735. <pb/>