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Gemeinsamer Ministerrat, 4. 1. 1869

I. Einführung der Militärstrafprozeßordnung

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z29.pdf.

II. Stand der Verhandlung über den Bau der ungarisch-galizischen Eisenbahn

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z29.pdf#page=6.

III. Beantwortung der im Abgeordnetenhause eingebrachten Interpellation über die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens

Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z29.pdf#page=9.

Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869  159

öffentlichen Blättern befinden - wenn man auch mit dieser Vorschrift den
verfassungsmäßigen Weg einschlagen sollte nicht sobald ermöglicht wer¬
den dürfte.

   Ich erlaube mir demnach aus diesen Gründen rücksichtlich der in Frage
stehenden Interpellation mein Gutachten in tiefster Ehrfurcht dahin zusam¬
menzufassen, daß die Militärstrafprozeßordnung im Grunde der Gesetze
vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 146 § 1 lit. b und § 5, Alinea 2, dann
des § 14 des ungarischen Ausgleichsgesetzes Artikel XII; ferner vom 21.
Dezember 1867 RGBl. Nr. 141 § 11 lit. k, vor die Reichsvertretungskörper
nicht gehöre, und die ganz gehorsamste Bitte zu stellen: Euer Majestät
geruhen, dieses Gutachten zur Ah. Kenntnis zu nehmen.

   Schließlich erlaube ich mir noch Euer Majestät ehrfurchtsvoll zur Kennt¬
nis zu bringen, daß ich zur Erzielung des Ah. anbefohlenen möglichst erwo¬
genen Gutachtens mich auch bestimmt gesehen, den Gegenstand der allso-
gleichen Beratung der betreffs der Strafprozeßordnung eben tagenden
Kommission zu unterziehen. Geruhen Euer Majestät aus dem anruhenden
Protokoll die diesfalls sich ergebenen Anschauungen und insbesondere das
Ergebnis der Abstimmung Ag. zu entnehmen, wonach sich die Majorität der
Kommission für die unbedingte Ah. Berechtigung zur Emanierung dieser
Prozeßordnung im Verordnungswege ausgesprochen hat.

   Wien, am 14. Dezember 1868.
                                                                                         Kuhn

Dient Mir zur Kenntnis.
Wien, am 5. Jänner 1869. Franz Joseph.

         Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. Jänner 1869

    RS. (und RK.)
    Gegenwärtige: der Reichskanzler Graf v. Beust, der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke
(8. 1.), der Reichskriegsminister FML. Freiherr v. Kuhn (8. 1.), der k. k. Ministerpräsidenten¬
stellvertreter Graf Taaffe, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy.
    Protokollführer: Hofsekretär Freiherr v. Konradsheim.
    Gegenstand: I. Einführung der Militärstrafprozeßordnung. II. Stand der Verhandlung über
den Bau der ungarisch-galizischen Eisenbahn. III. Beantwortung der im Abgeordnetenhause
eingebrachten Interpellation über die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens.

   KZ. 67 - RMRZ. 29
   Protokoll des zu Wien am 4. Jänner 1869 abgehaltenen Ministerrates für
gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kai¬
sers.
<pb/>160 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869

   I. Seine Majestät der Kaiser geruhten die Beratung
mit der Bemerkung zu eröffnen, die in der Sitzung des gemeinsamen
Ministerrates vom 3. Jänner 1869 verhandelte Änderung der für das Straf¬
verfahren bei den Militärgerichten bestehenden Gesetze sei von solcher
Wichtigkeit, daß Allerhöchstdieselben die Rekapitulation dieser Angele¬
genheit für nötig erachten.1 Es stünden sich diesfalls zwei Ansichten gegen¬
über. Die eine betrachte die Regelung des Strafrechtes und Strafprozesses
bei der stehenden Armee als einen Ausfluß der Rechte des obersten Kriegs¬
herrn, welcher hierüber selbständig verordnen könne, und wolle der Legis¬
lative nur bezüglich der bürgerlichen Rechtsverhältnisse des Militärs eine
Ingerenz einräumen, während die andere auch die strafrechtlichen Bestim¬
mungen sowohl in materieller als formeller Beziehung der Mitwirkung der
verfassungsmäßigen Vertretungskörper Vorbehalten wissen wolle. Erstere
werde in dem, anläßlich der Interpellation des Abgeordneten Skene und
Genossen vom 10. Dezember 1868 erstatteten au. Vortrage des Kriegsmi¬
nisters vom 14. Dezember 1868 zum Ausdrucke gebracht,2 während letztere
in dem diesbezüglichen Gutachten des Justizministers Herbst eifrige Ver¬
tretung finde.3

   Zum besseren Verständnisse geruhten Seine Majestät beide Aktenstücke
zur Verlesung bringen zu lassen und sonach mit der Bemerkung fortzufah¬
ren, daß es immerhin sonderbar und ein Beweis dafür, wie wenig kasu¬
istisch beim Zustandekommen der Ausgleichsgesetze vorgegangen wurde,
sei, daß in einer so tief eingreifenden Frage zwei so entgegengesetzte An¬
sichten sich bilden konnten, welche sich beide auf die Staatsgrundgesetze
stützen. Allerhöchstdieselben könnten der Auffassung des Justizministers
Herbst nicht folgen, denn fürs erste sei der Unterschied, der zwischen ei¬
gentlichen Militär- und gemeinen Verbrechen gemacht werde, kein haltba¬
rer. Beide bilden gleichmäßig einen Gegenstand der militärischen Diszi¬
plin; die Aufrechthaltung der letzteren sei aber im Begriffe der Leitung und
Führung mitenthalten und könne, wenn die Leitung eine einheitliche sei,
auch wieder nur einheitlich gedacht werden. Wie sei dies aber möglich,
wenn in der Armee je nach den beiden Reichshälften ein verschiedenes
Strafverfahren und eventuell auch verschiedenes Strafrecht, sohin im Gan¬
zen vier diverse Normen Geltung hätten?

   Aber auch die weiters ausgesprochene Ansicht, daß die Übereinstim¬
mung im militärischen Strafverfahren keine staatsgrundgesetzliche Not¬
wendigkeit sei, könne Seine Majestät nicht teilen, denn ganz abgesehen von
der Wahrung der Rechte des k. u. k. obersten Kriegsherrn, auf welche Aller¬
höchstdieselben von Ihrem Standpunkte Gewicht legen müßten, liege es auf

        GMR. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28.
        Siehe Beilage Nr. 28a zum GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28.
        Siehe Beilage Nr. 28b zum GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28.
<pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869  161

der Hand, daß die Armee aufhöre, eine einheitliche zu sein, sobald jener
Unterschied mit den daran geknüpften Konsequenzen festgehalten werde.

   Wohl sei beim Zustandekommen der Ausgleichsgesetze in Beziehung auf
das Wehrgesetz ein verschiedenes Recht gestattet worden, aber auch hier
habe das Bedürfnis der praktischen Notwendigkeit zu einheitlichen Bestim¬
mungen geführt, obschon es sich dabei noch nicht um die Armee als solche,
sondern vorläufig nur um die Art und Weise der Beistellung des Materials
zu derselben handle. Um wieviel mehr sei dies im vorliegenden Falle gebo¬
ten (wo es sich übrigens selbstverständlich immer nur um die aktive Armee
und nicht auch um die Landwehr handle).

   Aber auch angenommen, daß man dem Militär je nach der Landesan¬

gehörigkeit eine verschiedene prozessualische Behandlung gewähren wol¬
le, so bestehe heute noch kein geeignetes Substrat für eine solche Norm, da
noch keine der beiden Reichshälften eine endgiltige Zivilstrafprozeßord¬
nung und Ungarn noch nicht einmal ein kodifiziertes Strafrecht habe.

   Was endlich den vom Dr. Herbst angedeuteten analogen Fall bezüglich
der Gerichtsbarkeit der Militärgerichte betreffe, so könne Seine Majestät
diese Analogie nur etwa rücksichtlich der eventuellen legislatorischen Be¬
handlung und nicht rücksichtlich des Gesetzes selbst gelten lassen; Aller-
höchstdieselben seien übrigens im Falle legislativer Behandlung des Ge¬
genstandes mit dem Justizminister darin einverstanden, daß derselbe weder

vor die Deputationen noch vor die Delegationen, sondern nur vor den
Reichsrat und Reichstag gehöre.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Aus dem Wort¬
laute der Ausgleichsgesetze lasse sich allerdings eine strenge Folgerung auf
den in Frage befindlichen Gegenstand nicht ableiten, auch sei es für ihn -
unvorbereitet wie er sei - schwer, ohne Einvernehmen mit Justizminister
Horvät, in dessen Ressort gegenwärtige Beratung einschlage, eine die un¬
garische Regierung bindende Erklärung abzugeben,4 gleichwohl aber sei er
nicht im mindesten darüber im Zweifel, daß die Erlassung von Verordnun¬
gen kriegsrechtlicher Natur, welche oft durch Zeit und Umstände bedingt
werden, ausschließliches Recht des Kriegsherrn sei, daß ferner, wenn schon
ein Unterschied zwischen Militär- und gemeinen Vergehen gemacht und bei
Regelung des Verfahrens über die letzteren der Legislative eine Mitwirkung
Vorbehalten werden wolle, nur die beiden Vertretungskörper hiezu berufen

sein könnten.
    In diesem Falle würde dann allerdings nichts anderes erübrigen, als einen

Gesetzesentwurf unter den beiden Ministerien zu vereinbaren und sodann
über Befehl Seiner Majestät den Legislativen vorzulegen. Nur müßte er in
diesem Falle entschieden davor warnen, daß dem Ganzen der Charakter ei-

Siehe GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Anm. 4.
<pb/>162 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869

ner Kodifikation, die in Ungarn auf große Schwierigkeiten stoßen würde,
gegeben werde, und empfehle vielmehr die novellarische Form.5

   Man solle lieber einige Latitude lassen, die Ministerien würden sich
leichter vergleichen als parlamentarische Körperschaften, rücksichtlich
welcher über die Haltung des ungarischen Landtages jetzt, angesichts der
Neuwahlen, noch gar nichts gesagt werden könne.6

   Dies alles sage er aber nur in der Voraussetzung, daß die Meinung über
die Notwendigkeit der legislativen Mitwirkung zum Durchbruch gelangen
könnte; Vortragender hege diese Meinung nicht, sondern glaube vielmehr,
daß sich, ohne die Theresiana förmlich zu beseitigen, durch Abänderungen
und Ergänzungen ein Provisorium im Verordnungswege schaffen lasse.7

   Ministerpräsidentenste11vertreter Graf Taaffe:
Es müsse vor allem präzisiert werden, ob der oberste Kriegsherr als solcher
das Recht zur Erlassung einer Militärstrafprozeßordnung habe oder nicht.
Sei man einmal hierüber schlüssig, so sei das Übrige leicht. Würde der Le¬
gislative das Recht der Mitwirkung Vorbehalten, so müsse ihre Zustimmung
auch zu einem Provisorium, wie das vom Vorredner angedeutete, verlangt
werden, denn nach dem heutigen Stande der Gesetzgebung habe das ,,Provi¬
sorische&quot; nicht mehr die Bedeutung des ,,Vorläufigen bis zum Zustande¬
kommen von etwas Besserem&quot;, sondern die Rechtsfolge, daß von der Legis¬
lative bei ihrem Wiederzusammentritte das provisorisch Verfügte geneh¬
migt werden müsse.

   Seine Majestät der Kaiser geruhten hierauf die Andeu¬
tung zu machen, ob es wohl notwendig sei, dem Ganzen die Bedeutung ei¬
nes förmlichen Gesetzes beizumessen? Justizminister Horvät habe Aller-
höchstdemselben seinerzeit die Erklärung gegeben, daß sich die Bestim¬
mungen des infolge der ungünstigen Stimmung im ungarischen Landtage
zurückgezogenen Gesetzes über die Militärgerichtsbarkeit im Verordnungs¬
wege würden einfuhren lassen; könnte ein solcher Vorgang nicht auch hier
Platz greifen?

   Reichskanzler Graf Beust erklärt gegenüber der Äuße¬
rung des Grafen Andrässy, daß er dann doch auf den Unterschied aufmerk¬
sam machen müsse, welcher zwischen der militärischen Disziplin und der
prozessualischen Aburteilung über begangene Vergehen, mögen diese nun

        Gesetze, die einzelne Teile eines größeren Gesetzes modifizieren, werden Novelle ge¬
       nannt. Die Kodifikation dagegen ist die Vereinigung der Gesetze zu einem einheitlichen
        Gesetzbuch, die Gesetzesregelung sämtlicher Teile des Rechtes zu einer organischen
       Einheit. Es handelt sich offensichtlich darum, die Theresiana zu modifizieren, und nicht
       darum, ein völlig neues Gesetz zu schaffen.
       Die 1869er Wahlen in Ungarn fanden zwischen dem 9. und 13. März statt. Dies war die
       erste Wahl nach dem Ausgleich, und es war zu befürchten, daß die Kraft der Opposition
       erheblich anwächst.
        Theresiana: siehe GMRProt. v. 3. 1. 1869, RMRZ. 28. Anm. 8.
<pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869  163

welcher Natur immer sein, bestehe. Letztere dürfe nicht übereilt werden,
und der Soldat habe ein durch den Eintritt in die Armee nicht verlorenes
Recht, nach verfassungsmäßigen Gesetzen gerichtet zu werden; wohl
schwebe über ihm ein schärferes Gesetz, aber in der Behandlung nach die¬
sem Gesetze solle er nicht ungünstiger gestellt werden als das Zivile.&quot; Die¬
ses Prinzip müsse respektiert werden, und könne das Kriegsministerium
ebensowenig mit Änderungen Vorgehen, die demselben widersprechen, als
es angehe, die Mitwirkung der Vertretungen zu umgehen.

   Für die Behauptung des Vortragenden, daß auch Militärgesetze der ver¬
fassungsmäßigen Behandlung bedürfen, spreche das Beispiel des König¬
reiches Sachsen, wo man in ähnlichem Falle und zwar noch vor dem Jahre
1848 - also zu einer Zeit, in welcher man rücksichtlich konstitutioneller
Bedenken weit weniger rigoros war als jetzt - doch keinen Augenblick An¬
stand genommen habe, das materielle Gesetz und die Prozeßordnung den
Kammern vorzulegen.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: Schon das Wehr¬
gesetz entfalte einige disziplinarische Bestimmungen, z. B. über die Be¬
handlung quittierter Offiziere, die Prügelstrafe und sonstige innere Armee¬
fragen, woraus sich das Recht des Kriegsherrn zur selbständigen Erlassung
der Disziplinarverordnungen ableiten lasse. Nach dieser Seite hin sei daher
ein Zweifel nicht wohl möglich. Werde aber bezüglich des Verfahrens bei
Aburteilung über begangene Vergehen ein eigenes Gesetz unter Herbeizie-
hung der Legislativen für notwendig erachtet, so folge es aus dem Wesen
der Armee als eines nach gemeinsamen Prinzipien entstandenen und ge¬
meinsam zu regierenden Körpers, daß dieses Gesetz, obwohl formell durch
die beiden Legislativen abgesondert zustande gebracht, doch was den Inhalt
betrifft, nur eines sein könne, worauf Seine Majestät der
Kaiser zu bemerken geruhten, daß es eben fraglich sei, welches Gesetz
dieses eine sein solle. Der vom Kriegsministerium verfaßte Entwurf schlie¬

ße sich dem österreichischen Strafprozesse an, und man könne bei dem un¬
garischen Reichstage nicht sicher darauf rechnen, daß er ein auf solcher
Basis zustande gekommenes Gesetz bereitwillig akzeptiere.

   Reichskanzler Graf Beust: Es scheine ihm darauf an¬
zukommen, daß man unter Anerkennung des verfassungsmäßigen Prinzips
die praktische Notwendigkeit der freien Hand des obersten Kriegsherrn zur
Geltung bringe. In dieser Beziehung sei in der gestrigen Sitzung auf die
Möglichkeit der Ermächtigung der Legislativen zu einem unter Kontra¬
signatur des Reichskriegsministers zu erlassenden Gesetze hingedeutet
worden, während ein anderer Weg darin bestehe, daß ein solches Gesetz
vom obersten Kriegsherrn sofort erlassen und den Legislativen nachträglich

Randbemerkung von Beust ist nicht so gesagt worden, auch die Behandlung muß stren¬
ger und energischer sein als beim Zivil, eben darum aber liegt der Anspruch auf verfas¬
sungsmäßige Normierung.
<pb/>164 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869

vorgelegt werde. Was die erstere Alternative betreffe, so seien Vortragen¬
dem von einer Seite, auf welcher sich genaue Kenntnis der Ansichten und
Strömungen im Abgeordnetenhause voraussetzen läßt, die Andeutung zu¬
gekommen, daß die Erteilung der fraglichen Ermächtigung daselbst nicht
als inkonstitutionell und durch faktische Gründe gerechtfertigt betrachtet
werden würde.

   Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke aner¬
kennt ebenfalls die Notwendigkeit, die Rücksicht auf das verfassungsmäßi¬
ge Prinzip mit jenen auf die Stellung des obersten Kriegsherrn zu vereinen.
In diesem Anbetrachte glaube er sich dafür aussprechen zu sollen, daß jede
Legislative für sich ein Gesetz bringen solle, in welchem aber dieselben
Prinzipien enthalten sein müssen, und daß sofort der oberste Kriegsherr auf
dieser Grundlage die weitere Ausführung des Gesetzes in der Form von in¬
ternen Armeeverordnungen erlasse.

   Seine Majestät der Kaiser geruhten zu erwidern, daß
die Notwendigkeit zur Verschärfung der gegenwärtig nicht mehr ausrei¬
chenden Disziplinarvorschriften in der Armee ohnehin bald herantreten
würde. Gegenwärtig handle es sich um den beim Kriegsministerium bereits
fertig erliegenden Entwurf der Militärstrafprozeßordnung, d. h. die Form
der Kriegsgerichte, das Maß der Öffentlichkeit, die Bestimmungen über
Ankläger und Verteidiger, die Anzahl der Instanzen usw. Dies alles müßte
in den Legislativen durchgebracht werden.

   Ministerpräsidentenste11vertreter Graf Taaffe:
Nach den Äußerungen, die Justizminister Herbst in der gestrigen Sitzung
abgegeben, glaube er, daß der Entwurf des Kriegsministers akzeptiert wer¬
den würde; der einzuschlagende Modus sei aber der, daß sich der Kriegs¬
minister zuerst mit den Vertretern der beiderseitigen Justizministerien und
dann die beiden Ministerien untereinander einigen und die Vertretung ge¬
genüber den Legislativen übernehmen. Letztere würden sich aus Gründen
praktischer Notwendigkeit ebenfalls einigen, obschon man sich nicht
verhehlen dürfe, daß die Beurteilung des Gesetzes von seiten der Bevölke¬
rung im Hinblick auf die allgemeine Wehrpflicht und das damit verbundene
regere Interesse der Leute an den internen Armeeangelegenheiten eine
strengere sein werde.

   Komme eine Einigung wider Vermuten nicht zustande, so bliebe es beim
Alten und habe die Bevölkerung den Entgang der Wohltaten des
Kriegsministerialentwurfes sich selbst, rücksichtlich ihren Vertretern zuzu¬
schreiben. Um aber dem Entwurf auch nur den Schein einer beabsichtigten
Kodifikation zu benehmen, solle derselbe gekürzt, nur auf die Fixierung der
Hauptprinzipien beschränkt und lediglich als Novelle eingebracht werden.

    Ministerpräsident Graf Andrässy: Eine Ermäch¬
tigung der Legislative, wie sie der Reichskanzler angedeutet, würde im In¬
teresse der Sache selbst zwar wünschenswert sein, dieser Vorgang sei aber
untunlich, weil der Reichskriegsminister nicht dem Reichsrate und Reichs-
<pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869  165

tage, sondern nur den Delegationen gegenüberstehe und von ersteren eine
Ermächtigung nicht annehmen könne. Ebenso sei das Antizipieren der Ge¬
nehmigung der Legislativen unkonstitutionell, und so müsse er sich für den
Antrag des Grafen Taaffe aussprechen. Man brauche nicht in den Vorder¬
grund zu stellen, daß dem Entwürfe das österreichische Strafverfahren zur
Grundlage diene, sondern solle ihn als etwas für die Armee geschaffenes
Neues geben. Auch er stimme für möglichste Kürze und Vermeiden jeden
Anhaltes zu weitgehenden Diskussionen und erkenne die Notwendigkeit
der en bloc Annahme, auf welche man trotz möglicher Klagen über eine
neuerliche Zwangslage wohl rechnen könne.

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn erklärt
sich mit diesem Modus in Voraussicht der en bloc Annahme ebenfalls ein¬
verstanden.

   Ministerpräsidente n s te 11vertreter Graf Taaffe
erwähnt noch schließlich, daß er die Beantwortung der Interpellation von
Skene und Genossen deshalb für wichtig halte, weil sie eine prinzipielle
Frage involviere, worauf Seine Majestät der Kaiser die
Ah. Willensmeinung dafür auszusprechen die Gnade hatten, daß dieselbe
vorläufig zu Papier gebracht und Ihm vorgelegt werde.8

   II. Als weiteren Gegenstand der Besprechung geruhten Seine Majestät
der Kaiser noch den Bau der aus Ungarn nach Galizien zu führenden Eisen¬
bahn vorzubringen und dabei die große Wichtigkeit zu betonen, welche die¬
se Bahn, welche die ungarische Theißbahn mit der galizischen Karl
Ludwigs-Bahn verbinden solle, nicht nur vom volkswirtschaftlichen Stand¬
punkte - indem sie dem ungarischen Alföld einen Schienenweg nach Nor¬
den öffne -, sondern - und dies falle heute nicht minder schwer ins Gewicht
- auch aus strategischen Rücksichten habe.9

AufSkenes Interpellation antwortet am 15. Januar 1869 Justizminister Herbst: Die Re¬
gierung sei angesichts der vielen legislatorischen Arbeiten in dieser Session nicht in der
Lage, diesem Wunsche (nämlich eine Militärstrafprozeßordnung zu verabschieden) zu
entsprechen, bereite aber Änderungen an dem bestehenden Militärstrafverfahren vor.
Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 1 338. Vgl. au. Vortrag des
k. k. Justizministers Herbst v. 15. 3. 1869 über den Wirkungskreis der Militärgerichte.
HHStA., Kab.Kanzlei, KZ. 987/1869. Au. Vortrag des k. k. Justizministers Herbst v.
5. 4. 1869, worin mit Zustimmung des Ministerrates um die Ah. Ermächtigung gebeten
wird, den vorliegenden Gesetzentwurf über den Wirkungskreis der Militärgerichte im
Abgeordnetenhaus des Reichsrates einzubringen. Ah. Entschließung v. 11. 4.1869 ebd.
KZ. 1203/1869. Au. Vortrag des k. k. Justizministers v. 15. 5. 1869, womit der von bei¬
den Häusern des Reichsrates beschlossene Gesetzentwurf betreffend den Wirkungskreis
der Militärgerichte zur Ah. Sanktion unterbreitet wird ebd. KZ. 1739/1869.
Ah. Entschließung v. 20. 5. 1869.
Über den Plan der Eisenbahnverbindung Ungarn-Galizien: GMR. v. 25. 11. 1868,
RMRZ. 27. Die bezüglichen Akten: KA., KM., Präs. 17-18/1/1868.
<pb/>166 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869

   Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Be¬
kanntlich stünden sich hier zwei Pläne gegenüber, der eine von dem Grafen
Potocki protegierte mit der Linie Homona-Lupkow-Lisko-Chyrow nach
Przemysl und der andere, für welchen sich Fürst Sapieha interessiere, mit
der Linie Eperies-Dukla-Przemysl und der Abzweigung von Dukla nach
Tamow.10 Er habe erst kürzlich vom Handelsminister Plener eine Note er¬
halten, worin die Sache wieder angeregt und das Kriegsministerium um die
endliche Entscheidung für eine dieser beiden Linien angegangen wurde.11
Der Generalstab, von welchem er diesfalls ein Gutachten verlangte, habe
sich entgegen seinen früheren Äußerungen, worin die Linie über Homona
befürwortet wurde, nun plötzlich für die Linie über Dukla ausgesprochen,
worüber er mit dem Generalstabschef noch Rücksprache pflegen müsse.12
Er für seine Person sei - wenn er wählen müsse -, mehr für die Linie über
Homona eingenommen, halte aber im Zwecke eines strategischen Auf¬
marsches beide Linien für unerläßlich, zumal nach den Nachrichten, welche
er unlängst aus Rußland erhalten habe, denen zufolge Rußland die größten
Anstrengungen mache, um sich mit seinen Eisenbahnbauten der österreichi¬
schen Grenze ebenfalls auf mehreren Punkten zu nähern.

   Ministerpräsident Graf Andrässy: In Ungarn be¬
finde sich diese Frage noch in dem Stadium der Projekte, in einen hierauf
bezüglichen Gesetzentwurf sei der ungarische Reichstag nicht eingegan¬
gen, und er selbst habe in der Sache nichts tun können, weil seine Familie in
der durch die projektierte Bahn berührten Gegend Besitzungen habe.13 Ge¬
genwärtig stehe die Sache so, daß das ungarische Kommunikationsmi¬
nisterium über landtäglichen Beschluß einen neuen Entwurf ausgearbeitet
habe, welcher dem Reichstage bei seinem nächsten Zusammentritte vorge¬
legt werden solle.

   Es komme viel darauf an, daß man in der diesseitigen Reichshälfte bald
schlüssig werde, was auch in Ungarn beschleunigend wirken werde. Es sei
eine irrige Ansicht des Ministers Plener, daß nicht zwei Linien gleichzeitig
konzessioniert werden sollten, da abgesehen von der strategischen Wichtig¬
keit der Frachtenverkehr auf der Route aus Ungarn nach Galizien ein so
bedeutender sei, daß sich beide Linien rentieren würden. Die Legislative
Ungarns würde, wenn nur erst hier beide Bahnen akzeptiert würden, dage-

10 Adam Graf Potocki (1822-1872); Leon Fürst Sapieha (1802-1878), 1861-1875 Land¬
       marschall von Galizien und Präsident des galizischen Landesausschusses, ab 1861 Her¬
       renhausmitglied.

11 Die Note von Plener an den Reichskriegsminister Kuhn war nicht auffindbar. Vgl. aber
       au. Vortrag des k. k. Handelsministers v. 24. 2. 1869: Sicherstellung der ersten unga-
       risch-galizischen Eisenbahnverbindung, HHSrA., Kab.Kanzlei, KZ. 721/1869.

12 K. k. Generalstab, Gutachten zu dem Einsichtsstücke [o. D.] KA., KM., Präs. 17-18/1/
        1868.

13 Aladär Andrässy, Obergespan im Komitat Zemplen, ist persönlich an der Eisenbahnan¬
       gelegenheit interessiert.
<pb/>Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869  167

gen gewiß keine Schwierigkeiten erheben und selbst vor der Subvention
nicht zurückschrecken, da die Bahn eine produktive sei.

   Nachdem noch Graf Taaffe auf die durch die finanzielle Lage
des Reiches erklärlichen Bedenken der Finanzverwaltung gegen die
Subventionierung von beinahe parallelen Bahnen aufmerksam gemacht und
Baron Becke mit Beziehung auf das Beispiel der Kaiserin Elisa¬
beth-Bahn auf die temporäre Natur solcher Subventionen hingewiesen, ge¬
ruhten Seine Majestät der Kaiser zu bemerken, der Ge¬
genstand scheine ihm so wichtig, daß Graf Taaffe darüber nächstens wieder
eine cisleithanische Ministerberatung unter Ah. Vorsitze und mit Zuziehung
des Reichskriegsministers einleiten möge.14

   III. Schließlich geruhten Seine Majestät der Kaiser noch der in der Sit¬
zung des Abgeordnetenhauses vom 16. Dezember 1868 vom Abgeordneten
Sturm und Genossen eingebrachten Interpellation über die staatsrechtliche
Stellung Dalmatiens Erwähnung zu machen und zu bemerken, daß der gan¬
ze Anlaß zur Beunruhigung der Abgeordneten in dem im kroatischen-unga-
rischen Ausgleichsgesetze gebrauchten Titel liege, welcher indessen nur
ein historischer sei, und daß aus letzterem ebensowenig ein Anspruch auf
Inkorporierung Dalmatiens zu Ungarn abgeleitet werden könne, wie dies
bezüglich Galiziens zulässig sei, welches gleichfalls einmal mit Ungarn
vereint gewesen sei.15

Vgl. GMR. v. 12. 1. 1869, RMRZ. 30. Dies ist in Wahrheit (d. h. hinsichtlich seiner
Zusammensetzung) ein cisleithanischer Ministerrat, zu dem auch die gemeinsamen Mi¬
nister eingeladen werden.
Sturms Frage, die er am 16. Dezember an das Gesamtministerium richtete, lautete: ob
[es] vor Erlassung des kroatisch-ungarischen Ausgleichsgesetzes von dessen Inhalt,
insofeme es sich auf Dalmatien bezieht, Kenntnis erhalten und welche Schritte es zur
Wahrung der verfassungsmäßig anerkannten Zusammengehörigkeit dieses Landes mit
den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern getan habe oder zu tun ent¬
schlossen sei. Siehe Staatsrechtliche Stellung Dalmatiens: HHStA., PA. I, Karton
558.II/6. Gutachten des Reichskanzlers Grafen v. Beust v. 12. 1. 1869 betreffend die
Interpellation in bezug auf die staatsrechtliche Stellung Dalmatiens. {Dies hatte Beust
geplant und übersendet es mit verschiedenen Beilagen an Ministerpräsidentenstellver¬
treter Taaffe. Ebd.) Taaffe antwortet am 15. 1. 1869 im Geiste des Beustschen Gutach¬
tens vom 12. Januar aufSturms Interpellation: Die Stipulation des § 66 anerkennt, daß
zum territorialen Umfang der Königreiche Dalmatien, Kroatien, Slawonien auch das ge¬
genwärtige Königreich Dalmatien gehört. Dieser Passus bezwecke nur, Kroatien die
Zusicherung zu geben, daß Ungarn sich für die Geltendmachung seiner Ansprüche ver¬
wenden werde und daß im Falle einer Durchsetzung der Ansprüche Kroatiens auf
Dalmatien dem Königreiche Dalmatien eine bestimmte Stellung Kroatien gegenüber
eingeräumt werden soll. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, kann diesem Teile des
Ausgleichsvertrages noch keine bindende Kraft beigelegt werden. Das Ministerium für
die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder hat vor dem Abschlüsse des Aus¬
gleichsvertrages mit Ungarn keine offizielle Kenntnis von demselben erlangt und hatte
<pb/>168 Nr. 29 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 4. 1. 1869

   Der Reichskanzler ist des Erachtens, daß man sich vor allem
darüber einigen müsse, ob die Interpellation meritorisch beantwortet wer¬
den solle oder nicht, worauf sich Graf Andrässy im negativen
Sinne ausspricht mit dem Beifügen, wie wenig angezeigt es sei, eine Frage
heraufzubeschwören, die faktisch nicht existiere. Aus dem in dem Aus¬
gleichsgesetze vorkommenden Passus ergeben sich noch gar keine Rechts¬
folgen.16

   Graf Taaffe: Er sei schon zur Zeit des ungarisch-kroatischen
Ausgleiches von Abgeordneten deshalb befragt worden, und es scheine ihm
nur darauf anzukommen, dieselben darüber zu beruhigen, daß, was bisher in
Ansprachen erwähnt wurde, keine Präjudiz in sich schließe.

   Seine Majestät der Kaiser hatten die Gnade zu erwi¬
dern, daß sich diese Beruhigung am ehesten aus Allerhöchstseiner
Schlußtronrede vom 10. Dezember v. J. herleiten lasse, worin die Integrität
Ungarns als hergestellt bezeichnet wurde. Womit Seine Majestät die Sit¬
zung zu schließen geruhten.

                                                                                          Beust

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
Wien, 13. Januar 1869. Franz Joseph.

        demnach bisher keinen Anlaß, die fragliche Angelegenheit zum Gegenstände irgendei¬
        ner Verhandlung zu machen. Für den Fall, daß von anderer Seite angestrebt werden soll¬
        te, die gedachten Wünsche und Ansprüche ihrer Verwirklichung näher zu bringen, möge
        die Versicherung genügen, daß das Ministerium die Inkorporierung Dalmatiens nicht als
        eine Angelegenheit ansehe, welche zu ihrer endgültigen Regelung nur noch der Feststel¬
        lung der seitens Dalmatiens zu stellenden Bedingungen bedürfe, daß vielmehr das ge¬
        genwärtige Ministerium auch in der ferneren Behandlung dieser Angelegenheit den Bo¬
        den der Grundgesetze für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder sowie
        die Landesordnung Dalmatiens nicht verlassen wird. Kolmer, Parlament und Verfassung
        in Österreich, Bd. 1 356-357.
       Die Lösung der staatsrechtlichen Frage Dalmatiens wurde 1867 verschoben. Im unga¬
       risch-kroatischen ,,Ausgleich&quot;, d. h. GA. XXX/1868, §§ 65-66, wurde Dalmatien als
       ein Teil Kroatien und damit ,,das Recht der heiligen ungarischen Krone&quot; aufdieses Land
       anerkannt. In der Tat ist in diesem Sinn in der Einleitung sowie in einer ganzen Reihe
       von Paragraphen von Kroatien, Slawonien und Dalmatien als einer Einheit die Rede,
       und der Landtag, die Landesregierung, die Landesgerichte heißen offiziell ,,kroatisch-
       slawonisch-dalmatinisch&quot;. Andererseits ist Dalmatien in der österreichischen Verfas¬
       sung als ein Teil und Land Österreichs anerkannt und ist im diesseitigen Reichsrat ver¬
       treten. So gestaltete es sich 1867 und auch danach, daß Dalmatien de facto zu Öster¬
       reich und de jure zu Ungarn gehört hat. Vgl. Bernatzik, Die österreichischen
        Verfassurigsgesetze 733-735.
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