Gemeinsamer Ministerrat, 17. 11. 1868
I. Bedeckung des Defizits im Kriegsministerium
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z25.pdf.
Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 11. 1868 129 Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. November 1868 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Freiherr v. Beust, der Reichskriegsminister FML. Frei¬ herr v. Kuhn (21. 11.), der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke (22. 11.), der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy (o. D.), der kgl. ung. Finanzminister v. Lönyay (o. D.).1 Protokollführer: Sektionschef v. Hofmann. Gegenstand: Bedeckung des Defizits im Kriegsministerium. KZ. 4040 - RMRZ. 25 Protokoll des zu Ofen am 17. November 1868 abgehaltenen Minister- rates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. Seine Majestät der Kaiser geruhten die Frage der Bedeckung des Defizits im Budget des Kriegsministeriums zur Sprache zu bringen2 und zu bemerken, daß es sich dabei hauptsächlich um ein Einver¬ ständnis hinsichtlich der Stilisierung der betreffenden Vorlage handle. Reichskriegsminister Freiherr v. Kuhn: Außer einem Expose, welches die Tätigkeit des Kriegsministeriums und die sei¬ tens desselben erzielten Ersparungen beleuchte, sei auch eine besondere Vorlage über das Defizit und dessen Bedeckung vorbereitet worden, wel¬ ches er sich heute vorzutragen veranlaßt sehen werde. Ungarischer Finanzminister v. Lönyay: Da sich erst beim Schlüsse des Jahres durch die Rechnung herausstellen könne, ob überhaupt ein Defizit und eventuell in welchem Betrage ein solches vorhan¬ den sei, so wären zur Beurteilung vorliegender Frage eigentlich erst die für das Jahr 1869 zu berufenden Delegationen kompetent. Nachdem aber der Umstand, daß im Budget des Kriegsministeriums für das laufende Jahr ein Defizit vorhanden sei, bereits transpiriert hätte, so sei Vortragender aus¬ nahmsweise nicht dagegen, daß die Angelegenheit jetzt schon in Verhand¬ lung genommen werde. Reichs finanzminister Freiherr v. Becke entgeg- nete, daß er die Auffassung des Ministers v. Lonyay in dem vorliegenden Falle, wo es sich um Matrikularumlagen handle, nicht für zutreffend erach¬ ten könne. Vortragender wäre dafür, in dem betreffenden Expose ganz be¬ sonders hervorzuheben, daß das System der Pauschalabstriche, mit wel¬ chem kein Kriegsminister auf die Dauer wirtschaften könne, sich in keiner Das ist der erste Ministerrat, bei dem auch die anwesenden beiden ungarischen Minister den Einsichtsbogen unterschreiben. 2 Darüber siehe auch GMR. v. 21. 10. 1868, RMRZ. 21; GMR. v. 3. 11. 1868, RMRZ. 23, GMR. v. 14. 11. 1868, RMRZ. 24. <pb/>130 Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 11. 1868 Weise bewährt hätte, wofür der Beweis eben in dem Erfordernis eines Nachtragskredites zu finden sei. Seine Majestät der Kaiser geruhten hierauf die Dis¬ kussion von dem Felde theoretischer Erörterung wieder auf den Ausgangs¬ punkt zurückzuführen. Finanzminister v. Lönyay sprach sich dahin aus, daß die Vorlage in einer möglichst wenig Anstoß erregenden Weise abgefaßt und auf positive Vorschläge basiert sein solle. Sehr viel hänge von dem Kleide ab, in welches man die Anträge hülle. Man solle nach Möglichkeit auf die vorjährigen Positionen zurückgreifen und sich des großen Vorteiles gehörig bedienen, welchen die Differenz in den Lebensmittelpreisen dar¬ biete. Von geschickter Gruppierung der Ziffern hänge alles ab. Nachdem von seiten seiner Exzellenz des Kriegsministers hierauf zur Vorlesung der betreffenden Vorlage geschritten worden war, ge¬ ruhten Seine Majestät der Kaiser zur Post ad I. - worin bemerkt wird, daß die Pauschalabstriche auch auf die ohnehin zu gering bezifferte Position Pensionen hätten ausgedehnt werden müssen - Ag. her¬ vorzuheben, daß das bezügliche Argument mit Recht als ein total unrichti¬ ges erkannt werden würde und daß nichts leichter sei, als den Beweis zu führen, wie der Kriegsminister durch Benützung des ihm zugestandenen Virements hätte Abhilfe schaffen sollen. Kriegsminister Freiherr v. Kuhn: Trotz dieses ihm zugestandenen Virements habe er bei aller Sparsamkeit das Auslangen nicht zu finden vermocht. Vortragender sei nicht nur für Einhaltung des Budgets, sondern auch für die Aufrechthaltung des guten Standes der Ar¬ mee verantwortlich und könne nun und nimmer in eine weitere Herab¬ minderung der Kadres einwilligen, was als das einzige Auskunftsmittel für noch weitere Ersparungen erschienen sein würde. Ministerpräsident Graf Andrässy: Es sei notwen¬ dig, das beabsichtigte Expose in zwei Teile zu teilen; ganz richtig sei es, darin der Preissteigerungen, welche die hauptsächlichste Ursache des Defi¬ zits seien, Erwähnung zu tun; nicht für zweckmäßig könne es Vortragender dagegen erachten, den Standpunkt des vorjährigen Budgets zu verteidi¬ gen, wie dies der Kriegsminister zu beabsichtigen scheine. FML. v. Kuhn habe bei seinem Eintritte ein fertiges Budget vorgefunden, ein Pauschal¬ budget, und habe sogleich die Befürchtung ausgesprochen, damit, seines redlichsten Willens ungeachtet, nicht das Auslangen finden zu können. Mannigfache Ersparnisse seien durchgeführt worden, aber die Preise der Lebensmittel seien in die Höhe gegangen, die Pensionen unrichtig be¬ ziffert gewesen und so sei nun ein Defizit herausgekommen, welches be¬ deckt werden müsse. In erster Linie sei Kredit von den Delegationen in Anspruch zu nehmen, falls dieser Modus auf Schwierigkeiten stoßen sollte, möge man andeuten, daß man sich an den Stellvertreterfond zu halten ge- <pb/>Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 11. 1868 131 denke.3 Wegen der Rückzahlungsmodalitäten möge man sich spätere Äuße¬ rungen Vorbehalten. Reichskriegs minister Freiherr v. Kuhn: Es lie¬ ge nicht in der Befugnis der Delegation zu sagen, daß keine Budget¬ überschreitungen verkommen dürfen. Nachtragskredite müßten immer möglich sein. Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke: Es habe seine Nachteile, wenn ein neuer Kriegsminister behaupte, nicht an die Ver¬ pflichtungen gebunden zu sein, welche sein Vorgänger übernommen habe.4 Vortragender findet den Entwurf des Expose gut, mit Ausnahme des Punk¬ tes der Pensionen, er sei indessen nicht dagegen, daß die persönliche Stel¬ lung des jetzigen Kriegsministers besser markiert werde, und man könne diesfalls eine leichtere Modifikation anbringen. Nachdem Seine Majestät der Kaiser zu bemerken ge¬ ruht hatten, daß namentlich die Sitzungen präziser zu nehmen seien, welche das vorige Jahr in bezug auf die Feststellung des Budgets stattgefunden hät¬ ten, erklärt Reichskanzler Freiherr v. Beust, er habe einen von den Ansichten der Vorredner abweichenden Gang im Auge. Man möge sich ja hüten, etwas zu begehren, von dem man in voraus wisse, daß man es nicht bekomme. Einen Nachtragskredit erhalte man entschieden nicht. Was gebe es nun für andere Mittel? Entweder Benützung des Stellvertreterfondes oder eine spezielle Nachforderung. Man gehe tatsäch¬ lich vor und begegne nur durch eine besondere Vorlage dem Einwande, daß man Dinge verschwiegen habe, die man hätte mitteilen sollen. Insbesondere der Preissteigerungen sei zu gedenken, der Pensionen nicht zu erwähnen. Hinsichtlich der Rückzahlungen sei auf spätere Ersparungen zu verweisen. Auf diese Art kämen die Delegationen nicht in die Lage, an dem Ordinarium zu mäkeln, wohl aber würden sie dieses tun, wenn ein Antrag zur Deckung des Defizits an sie gelange. Vortragender nehme daher gar keine andere Vorlage in Aussicht als eine solche, welche den Charakter ei¬ ner aufklärenden Darstellung des Sachverhaltes an sich trage. Finanzminister v. Lönyay: Er müsse sich für eine ganz andere Form als jene aussprechen, welche für das Expose gewählt worden sei. Man möge sich darauf beschränken, dasjenige, was zur Erreichung des Zweckes notwendig sei, prägnant zu sagen; Vortragender müsse darauf zu¬ rückkommen, daß von einem Defizit erst nach Abschluß der Rechnungen gesprochen werden könne. Man solle ja nicht unnötigerweise Zahlen geben, Über den Stellvertreterfond siehe GMRProt. v. 30. 6. 1868, RMRZ. 18. Anm. 5. FML. Franz Kuhn Freiherr v. Kuhnenfeld ernennt der Herrscher am 18. 1. 1868 zum Reichskriegsminister, statt des enthobenen FML, Franz Freiherrn v. John. Siehe GMRProt. v. 11. 1. 1868, RMRZ. 3. Anm. 5. Das Budgetfür das Jahr 1868 hat also noch John erstellt. <pb/>132 Nr. 25 Gemeinsamer Ministerrat, Ofen, 17. 11. 1868 nicht von 5 400 000 fl. sprechen, wo für den Augenblick nur 3 700 000 notwendig seien; Licht und Schatten in der Darstellung gehörig verteilen. Seine Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, daß die Ziffer von 5 400 000 in der Tat den Charakter einer gewissen Rechthaberei an sich trage. Als eine solche könnte es nämlich aufgefaßt werden, wollte man zur Deutung Anlaß geben, als machte man den Delega¬ tionen gewissermaßen einen Vorwurf daraus, daß sie Summen gestrichen hätten, die doch unumgänglich nötig gewesen wären. Reichskanzler Freiherr v. Beust gab die Andeu¬ tung, ob es nicht als tunlich erscheine, einfach hervorzuheben, daß der Kriegsminister aus der Gebahrung des laufenden Jahres eine Last in das neue hinübernehme, welche ihn sehr drücke, die er aber hoffe, durch weite¬ re Ersparungen von sich abzuwälzen. Ministerpräsident Graf Andrässy: Der Hauptsa¬ che nach frage es sich immer, solle man einen Kredit verlangen oder nicht? Vielleicht sei es das Beste, den Delegationen zu sagen, man sei berechtigt, einen solchen zu begehren, tue es aber nicht und ziehe vor, den Stell¬ vertreterfond in Anspruch zu nehmen, wobei man für spätere Rückzahlun¬ gen Sorge tragen werde. Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke sprach sich dahin aus, daß ihm alle Meinungen in den wesentlichen Punkten über¬ einzustimmen schienen, worauf Seine Majestät der Kai¬ ser den Beschluß dahin zu ziehen geruhten, daß die Minister Freiherr v. Becke, v. Lönyay und v. Kuhn in ein Komitee zusammentreten sollten, um die fragliche Vorlage nach den in der heutigen Ministerratssitzung gegebe¬ nen Andeutungen umzuarbeiten. Seine Majestät der Kaiser geruhten sodann auf die hohe Wichtigkeit hinzuweisen, daß an dem Ordinarium des Kriegs¬ budgets von den Delegationen nichts geändert werde. F i n a n z m i n i - ster v. Lönyay bemerkte, daß die meiste Gefahr von der deutschen Delegation drohe, worauf Freiherr v. Becke hervorhob, daß es vor allem wichtig sei, die Unterstützung des Ministers Brestei zu gewinnen, welcher in dieser Beziehung den meisten Einfluß habe. Hiemit wurde die Sitzung geschlossen. Beust Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Ofen, 25. November 1868. Franz Joseph. <pb/>