Gemeinsamer Ministerrat, 31. 12. 1867
I. Militärbudget
Siehe PDF-Daten https://hw.oeaw.ac.at/ministerrat/serie-2/oe_hu_mrp_I1/pdf/oe_hu_mrp_I1_z1.pdf.
DOKUMENTE <pb/>I I <pb/> PROTOKOLLE UND BEILAGEN Nr. 1 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. Dezember 1867 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskanzler Baron Beust, der Reichskriegsminister Freiherr v. John, der Reichsfinanzminister Freiherr v. Becke. Protokollführer: Sektionschef v. Hofmann. Gegenstand: Militärbudget. KZ. 868 - RMRZ. 1 1. Sitzung des Reichsministeriums vom 31. Dezember 1867 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers. Seine Majestät der Kaiser geruhten die Sitzung mit der Hinweisung auf die Notwendigkeit zu eröffnen, zu einem Beschlüsse darüber zu kommen, wie es mit dem Kriegsbudget den Delegationen ge¬ genüber gehalten werden solle. Nachdem das Wehrgesetz im Reichsrate und ungarischen Reichstage nicht durchgebracht worden sei, erscheine es als geradezu unmöglich, den Delegationen feststehende Aufschlüsse zu geben.1 Es werde daher nichts anderes übrig bleiben, als zu trachten, das Armee¬ budget für dieses Mal per Bausch und Bogen durchzubringen und die Dele¬ gationen auf die kommende Armeeorganisation zu vertrösten; für später sei die Erzielung eines Normalbudgets unerläßlich. Kriegsminister Freiherr v. John äußerte, es hand¬ le sich darum, einen Friedensstand zu bestimmen, damit eine feststehende Ziffer votiert werde. Mehrjähriger Durchschnitt müsse eine Zifferquote ge¬ ben, welche einem Normalbudget zur Grundlage zu dienen habe. Im gegen¬ teiligen Falle käme eine fortwährende Unruhe in die Armeeorganisation. Bei Preisschwankungen müßten dann Nachtragskredite in Anspruch ge¬ nommen werden. So seien in diesem Jahre, welches als ein sehr gutes gelte, die Preise um 50 % gestiegen. Betrachte man die Höhe des Kriegsbudgets genauer, so zeige sich, daß 80 Millionen für dasselbe ausgeworfen worden seien. Diese Höhe sei aber nur eine fiktive. 11 Millionen Pensionen und 7 Millionen eigene Einnahmen müßten in Abzug gebracht werden, wes¬ halb eigentlich nur 62 Millionen, freilich unter Gestattung des Virements Über das Wehrgesetz siehe GMR. v. 26. 1. 1868, RMRZ. 8; GMR. v. 9. 2. 1868, RMRZ. 12; GMR. v. 5. 3. 1868, RMRZ. 15; GMR. v. 8. 3. 1868, RMRZ. 16. <pb/>4 Nr. 1 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 12. 1867 erübrigten die Mannschaftskosten in Österreich weniger als irgendwo an¬ ders. Hier käme der Mann auf 110-115 f., in Preußen auf 250 Taler zu stehen. Allerdings erheische die Lage der Dinge in Österreich dringend die mög¬ lichsten Ersparungen. Man dürfe aber nicht vergessen, daß das Kriegs¬ budget im Jahre 1861 noch 160 Millionen betragen habe, während es jetzt mit 80, also der Hälfte beziffert werde. Und dabei sei der Stand jetzt größer als damals, was durch den Verlust der Lombardei eine Notwendigkeit ge¬ worden wäre.2 Nach und nach könnten Reduktionen eintreten, aber dieses Jahr umso weniger, als man noch an den Folgen des vorigen Krieges leide, wo man alles habe vernachlässigen müssen. Könnte man auf drei-vier Friedensjahre mit Zuversicht rechnen, so würden sich die Dinge vielleicht anders auffassen lassen, aber eine solche Zusicherung vermöge niemand zu erteilen. Einmal müsse in diesen fortwährenden Ersparungen ein Abschluß gemacht werden. Die Volksvertreter sollten sich die Sache selbst des Nähe¬ ren besehen und dann ihr Urteil fällen. Experten sollten prüfen. Was wolle man eigentlich von ungarischer Seite? Über diesen wichtigen Punkt sei Vortragender gänzlich im dunkeln. Die ungarische Journalistik nörgele an dem Bestehenden, aber Positives sei nicht zu erfahren. Seine Majestät möge daher die Ah. Gnade haben, den ungarischen Ministem zu bedeuten, mit ihrer Anschauung hervorzutreten. Das Programm des kaiser¬ lichen Kriegsministeriums gleiche dem anderer Staaten, habe Beurteilung daher nicht zu scheuen. Zunächst müsse man demnach die ungarische Vor¬ lage kennen. Hieran habe sich sodann eine Kommission von militärischen Autoritäten unter Zuziehung der beiderseitigen Minister für die Landes¬ verteidigung zu weisen. Nach von dieser Kommission erfolgtem Gutachten möge dann die Beurteilung der Repräsentativkörper folgen. Seine Majestät geruhten zu bemerken, daß ohne die Rich¬ tigkeit der von dem Herrn Kriegsminister vorgetragenen Ansichten im min¬ desten in Zweifel zu ziehen, doch vor allem im Auge behalten werden müs¬ se, wie sehr die Zeit drängte. Die Delegationen könnten möglicherweise in 14 Tagen zusammentreten, bis dahin vermöge die Organisation der Armee nicht festgestellt werden, es ermangele also für jetzt an jeder Basis. Das Wehrgesetz sei die notwendige Grundlage der Militärorganisation. Über die Teile dieser letzteren berieten aber verschiedene verfassungs¬ mäßige Körperschaften, was ein nicht zu verkennender Nachteil sei. Es werde wohl nichts anderes erübrigen, als den Versuch zu machen, mit An¬ spannung aller Kräfte und des gesamten, den beiderseitigen Ministerien zu Gebote stehenden Einflusses, das Wehrgesetz durch die bezüglichen Vertretungskörper zu forcieren. 2 Verlust Lombardei: Im Sinne des Züricher Friedens v. 10. 11. 1859 verzichtete Öster¬ reich aufdie Lombardei und übergab die Provinz an Frankreich. <pb/>Nr 1 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 12. 1867 5 Die Unklarheit müsse sich steigern und der Erfolg mehr und mehr ge¬ fährdet erscheinen, wenn sich die Delegationen, welche voraussichtlich zu gleicher Zeit mit dem Reichsrate und dem ungarischen Reichstage ver¬ sammelt sein würden, des Gegenstandes bemächtigen sollten, der unga¬ rische Teil vielleicht Bedingungen an seine Bewilligung zu knüpfen ver¬ suchen würde. Ein Endresultat sei dann gar nicht mehr abzusehen, jeden¬ falls ein solches zu befürchten, das weder im Interesse der Armee, noch in jenem des Landes liege. Das Allerdringendste sei aber gegenwärtig das als¬ baldige Zusammentreten einer Kommission von Sachverständigen zur Ausarbeitung eines Gutachtens über den Entwurf des Wehrgesetzes: Die Äußerungen solcher anerkannter Autoritäten könnte auf die Vertre¬ tungskörper einen mächtigen Eindruck auszuüben in keiner Weise ver¬ fehlen und müßte demnach den beiderseitigen Regierungen ihre gewiß schwierige Aufgabe wesentlich erleichtern. Kriegsminister Freiherr v. John sprach sich dahin aus, daß eine Basis der Beratung für die Delegationen durch die bisherige Grundlage jedenfalls vorhanden sei. Hieran müsse vor der Hand fest¬ gehalten, den Delegationen gegenüber aber die Bereitwilligkeit betätigt werden, eine andere Norm zu fixieren. Der Wahrheit gemäß könnte man sagen, ,,hätten die Vertretungskörper das vorige Jahr die bezügliche Vorlage votiert, so wäre eine andere Grundlage schon vorhanden". Seine Majestät der Kaiser sprechen demgegenüber wiederholt die Befürchtung aus, daß sich die Delegationen auf die Frage werfen und den Termin für das Wehrgesetz völlig verderben würden. Reichskanzler Freiherr v. Beust: Die Delega¬ tionen würden voraussichtlich mit Anträgen der Verweisung an einen Aus¬ schuß antworten. Die von Seiner Majestät befürchtete Rückwirkung der Delegationsberatung auf das Wehrgesetz sei nach Möglichkeit zu vermei¬ den. Die Delegationen würden auch wahrscheinlich die Taktik einhalten, vorzuschützen, es sei im gegenwärtigen Stadium der Angelegenheit und bei der herrschenden Unklarheit eine definitive Bewilligung gar nicht möglich. Somit werde eine nur provisorische Bewilligung als einstweiliges Auskunftsmittel beliebt und die Wiederzusammenberufung im Laufe des Sommers gefordert werden, durch letztere Eventualität würde wenigstens dem Übelstande vorgebeugt, daß sich die Delegationen nicht durch ein vor¬ zeitiges Urteil für später selbst das Wort abschneiden. Finanzminister Freiherr v. Becke: Der von Sei¬ ner Exzellenz dem Herrn Reichskanzler als wahrscheinlich bezeichnete Modus habe das Bedenken gegen sich, daß dann für die Bedeckung nicht gehörig Sorge getragen werden könne. Hierdurch ergeben sich große Schwierigkeiten für den cisleithanischen Finanzminister. Gegen Seine Ex¬ zellenz den Herrn Kriegsminister müsse er bemerken, daß bei der Ziffer von 80 Millionen für das Kriegsbudget die eigenen Einnahmen nicht mit¬ gerechnet seien. Somit blieben 68 Millionen. Die Opposition werde trach- <pb/>6 Nr. 1 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 31. 12. 1867 ten, diese Summe zu reduzieren. Auch er aber sei der Ansicht, daß die gegenwärtige Organisation, bevor das Wehrgesetz votiert sei, die natürliche Basis abgebe. Man müsse also versuchen, die 80 Millionen und zwar - wo möglich - auf mehr als einige Monate bewilligt zu erhalten, bezüglich der Ersparnisse wäre auf eine nahe Zukunft zu verweisen. Seine Majestät der Kaiser geruhten darauf hinzu¬ weisen, daß die Feststellung der Ziffer für den Mannschaftsstand nicht Sa¬ che des Gesetzes, sondern der Regierung sei. Das Normalbudget müsse das Nötige hierüber für die Zukunft enthalten. Finanzminister Freiherr v. Becke: Minister L6- nyay habe ihn eingeladen, nach Pest zu kommen und mit den ungarischen Herren zu reden.3 Er werde das Äußerste tun, um Vernunft zu predigen. In den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern habe das gegen¬ wärtige Ministerium auf die Volksvertretung sehr viel Einfluß. Dieser müs¬ se benützt und die Gefahr, welche aus einer Honvedarmee erwüchse, den Mitgliedern der hiesigen Delegation grell vor Augen gestellt werden. Es kam nunmehr der von den Delegationen zu begehrende außer¬ ordentliche Kredit für Zwecke der Militärverwaltung zur Sprache. Finanz¬ minister Freiherr v. Becke äußerte, daß die betreffende Vorlage bereits aus¬ gearbeitet werde. Die Delegationen würden sich darüber ausgesprochen ha¬ ben, ob zur Ergänzung der erlittenen Verluste und zur Herstellung der durch die Gegenwart geforderten Bewaffnung eine Anleihe notwendig sei. Die beiderseitigen Reichsvertretungen hätten sich dann darüber zu äußern, ob sie eine solche Anleihe zugeben. Der Invalidenfond besitze noch ein Ver¬ mögen, das eventuell verwertet werden könne. Seine Majestät der Kaiser: Jeder Vernünftige müsse einsehen, daß die politische Organisation des Reiches fertig sein müsse, bevor an die Organisation der Armee gedacht werden könne. Dies sei ein schlagender Grund. Mit der Expertenkommission sei nicht zu zögern. Selbst wenn es sich - was nicht der Fall - nur um eine Komödie handeln würde, wäre eine solche notwendig. Mit Recht könne man darauf hinwei- sen, ,,bedeutende Männer seien versammelt, wartet ab, bis sie ihr Urteil ge¬ fällt haben". Finanzminister Freiherr v. Becke betonte die Notwendigkeit, Minister Giskra diesen Beratungen beizuziehen.4 Er besitze großen Einfluß und sei der Armee nicht feindlich. Unleugbar seien in man¬ chen Dingen beträchtliche Reduktionen zulässig, auch könnten z. B. in der Militärgrenze durch bessere Wirtschaft die Einnahmen um ein Be¬ trächtliches erhöht werden. 3 Die Verhandlungen von Becke und Lönyay über das Militärbudget: Becke an Lönyay v. 22. 12. 1867, MTAK. Ms. 5304/109. Karl Giskra (1820-1879), k. k. Innenminister 1867-1870. <pb/>Nr. 2 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. 1. 1868 7 Reichskanzler Freiherr v. Beust: Aus der Diskus¬ sion ergebe sich das Resultat, daß ein Versuch zu machen sei, an den Patrio¬ tismus der Delegationen zu appellieren, um für jetzt die 80 Millionen bewil¬ ligt zu erhalten. Zugleich könnten Studien zum Zweck künftiger Ersparung angestellt werden. Seine Majestät der Kaiser heben hervor, daß das un¬ garische Ministerium gewonnen werden müsse. Sei dieses gut, sei es auch die Delegation. Minister Graf Festetics sei so oft als tunlich den Beratungen des Reichsministeriums beizuziehen.5 Finanzminister Baron Becke: Das Militärbudget sei dem hiesigen wie dem ungarischen Ministerium mitzuteilen, damit eine vollständige Einigung stattfinde. Sonst möchten lieber einige Millionen ge¬ opfert werden. Es sei über diesen Gegenstand eine Gesamtkonferenz zu hal¬ ten. Nachtragskredite seien bei jetziger verfassungsmäßiger Organisation nicht mehr möglich. Nur mit dem Interkalare könne man sich hie und da helfen. Nachdem noch die Zweckmäßigkeit, pensionierte Offiziere ausgiebiger als bisher in passenden Zivilanstellungen zu verwenden, und die Wich¬ tigkeit einer entsprechenden Zustimmung der Tagespresse in der Frage des Militärbudget eingehend erörtert worden waren, geruhten Seine Ma¬ jestät der Kaiser den Beschluß dahin zu fassen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß die 80 Millionen für das Militärbudget dieses Jahr von den Delegationen votiert werden. Beust, Becke, John Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 8. Januar 1868. Franz Joseph. Nr. 2 Gemeinsamer Ministerrat, Wien, 10. Jänner 1868 RS. (und RK.) Gegenwärtige: der Reichskriegsminister Freiherr v. John, der Reichsfinanzminister Frei¬ herr v. Becke, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Andrässy, der kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager Graf Festetics. Protokollführer: Sektionschef v. Hofmann. Gegenstand: [I.] Militärbudget. [II.] Bezüglich des Zeremoniells bei Eröffnung der Bera¬ tungen der Delegation. 5 GrafGyörgy Festetics (1815-1883), 20. 2. 1867 - 19. 5. 1871 kgl. ung. Minister am Ah. Hoflager. <pb/>