MRP-1-6-02-0-18670206-P-0126.xml

|

Nr. 126 Ministerrat, Wien, 6. Februar 1867 - Retrodigitalisat (PDF)

  • Abschrift für J. Redlich im AVA., Ministerratsprotokolle, Karton 33 (Abschriften Prof. Redlich) (das Original dürfte sich bei den Protokollen des österreichischen Ministerrates befunden haben und 1927 verbrannt sein) ; P. Meyer; VS. Kaiser; anw. Beust, Mailáth, Komers, Wüllerstorf, John.

MRZ. 126 – KZ. 321 –

I. Promemoria des Grafen Gołuchowski wegen einer künftigen Sonderstellung Galiziens

Baron v. Beust legt ein vom Grafen Gołuchowski ihm eingereichtes Promemoria vor, worin nach vorausgeschickter Beleuchtung der bisherigen staatsrechtlichen Stellung Galiziens zur Monarchie darauf hingedeutet wird, daß gegenwärtig der geeignete Moment gekommen sein dürfte, den Wünschen des Landes Rechnung zu tragen. Dieses könne in doppelter Richtung geschehen, einmal durch Erweiterung der Attributionen des Landtages und dann durch Gewährung einer Sonderstellung in Beziehung auf die Verwaltung dieser Provinz. In ersterer Beziehung dürfte es nach der in dem Promemoria vom Grafen Gołuchowski entwickelten Ansicht genügen, wenn nebst den in § 18 der Landesordnung unter Ziffer I und III aufgezählten Gegenständen auch die in diesem Paragraphen zu der Ziffer II erwähnten, als: Gemeindeangelegenheiten, Kirchen- und Schulangelegenheiten, die letzteren in betreff der Volks-, Haupt- und Mittelschulen, dann der Universitäten und technischen Akademien, schließlich Angelegenheiten der Vorspannsleistung, der Verpflegung und Einquartierung des Heeres, als Landesangelegenheiten erklärt werden, bezüglich welcher der Landtag, unabhängig von allgemeinen Gesetzen, Beschlüsse zu fassen berechtigt wäre. In Beziehung auf die gewünschte Sonderstellung Galiziens beantragt Graf Gołuchowski folgendes: 1. Die Einsetzung einer Zentralstelle, in deren Ressort a) sämtliche Angelegenheiten der politischen Administration, b) die Angelegenheiten des Kultusunterrichtes und der Schulen (Volks-, Haupt- und Mittelschulen, Universitäten und technische Akademie), c) die Angelegenheiten der Justizverwaltung in demselben Maße, wie dies bezüglich Ungarns bei dem ungarischen Hofkanzler der Fall ist, mit Ausnahme der Entscheidung in legislativen Sachen, welche dem Justizministerium vorbehalten wären, d) die Angelegenheiten der Finanzadministration in der Provinz zu fallen hätten. Die Verwaltungszentralstelle für Galizien (galizische Hofkanzlei, Landesministerium) wäre in den ad a, b, c, d benannten Beziehungen den bezüglichen Ministerien für die cisleithanischen Länder gleichgestellt und koordiniert. 2. Die Einsetzung eines obersten Gerichtshofes als dritte Instanz für die oberste Judikatur in Zivil- und Strafrechtsfällen, welche gegenwärtig in das Ressort des Obersten Gerichtshofes in Wien fällt.

Se. Majestät forderte nunmehr die anwesenden Herren Minister auf, sich über den Inhalt dieses Promemorias auszusprechen.

Baron v. Beust glaubte, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo es sehr wichtig sei, die Polen zum Eintritt in den engeren Reichsrat zu bringen, nicht unangezeigt sein dürfte, mittelst einiger Konzessionen sie dazu zu veranlassen. || S. 410 PDF || Was die Stellung des Landes zum Reiche betreffe, so seien zwei Fälle möglich: entweder komme es wieder einmal zu einer insurrektioneilen Erhebung zum Zwecke der Wiederherstellung des Königreiches Polen, und dann werde auch Galizien dahin gravitieren; oder es bleibe bei dem gegenwärtigen Zustande und käme zu keiner Erhebung, dann werde Galizien ruhig bei Österreich verbleiben. Bei dem Einflusse, den gegenwärtig Graf Gołuchowski auf seine Landsleute ausübe, wäre es nicht angezeigt, seine Propositionen ganz abzulehnen, man könne sich mit ihm in Unterhandlungen einlassen, in welcher Weise auf die Idee einer Erweiterung der Attribute des Landtages ohneweiters eingegangen werden könnte. Eine solche Erweiterung lasse auch für andere Landtage, namentlich den böhmischen, sich in Aussicht stellen. Der Justizminister Ritter v. Komers glaubte entschieden gegen das Verlangen der Einsetzung einer galizischen Hofkanzlei mit den verlangten Attributen sich aussprechen zu sollen. Der gegenwärtige Umschwung der öffentlichen Meinung in Galizien habe seinen bedenklichen Hintergrund. Das eine polnische Element des Landes sei nach Zeugnis der Geschichte dasjenige, aus welchem alle Revolutionen hervorgegangen seien, während die Ruthenen sich immerdar als ein der Ah. Dynastie treuergebenes Volk erwiesen haben. Konzessionen, wie die vom Grafen Gołuchowski verlangten, würden im Lande selbst die Oberherrschaft des polnischen Regimentes begründen und die Gefahr herbeiziehen, die sonst so treue ruthenische Bevölkerung dem Zentrum des Reiches zu entfremden und sie in fremde, in russische Arme zu treiben, während andererseits der Verband dieses Königreiches mit der Monarchie ein so lockerer würde, daß beim ersten revolutionären Stoße dessen Abfall vorauszusehen wäre. Graf Gołuchowski nenne die von ihm verlangte Hofkanzlei selbst ein galizisches Landesministerium, welches den Ministerien der übrigen Länder koordiniert sein soll. Er frage, ob, wenn man eine solche unabhängige Regierung den Polen gewähre, [man] eine gleiche den Böhmen versagen könne und ob dieses nicht eine Zerstücklung des Reiches genannt werden könne. Graf Gołuchowski gehe sogar so weit, für Galizien einen eigenen obersten Gerichtshof zu verlangen und für die Hofkanzlei die ganze Justizverwaltung mit Ausnahme der Entscheidung in legislativen Sachen. Was man unter diesem Residuum – die Entscheidung in legislativen Sachen – verstehe, wisse er nicht, trage aber die Überzeugung, daß die Existenz eines Justizministeriums für Galizien zu einer der unnötigsten Sachen der Welt werden würde. Die Existenz aber von zwei obersten Gerichtshöfen, bei der gleichen Gesetzgebung, gleichen Justizverwaltung, könnte zu nichts anderem als einer Konfusion in der Rechtspraxis führen, welche die unmittelbare Folge von divergierenden Entscheidungen zweier oberster Gerichtshöfe in einer und derselben Sache sein müßte. Wenn man eine Vermehrung der Kompetenz der Landtage für angezeigt erachte, so könne er sich damit nur einverstanden erklären, nur komme es darauf an, daß auch hier sorgfältig gewisse Grenzen innegehalten werden. Er begreife diesfalls das Zeitgemäße von Konzessionen zur Erweiterung der Landesautonomie, insbesondere auch in Galizien, obwohl namentlich dieses Land am wenigsten in der letzten Zeit sich beklagen konnte, daß dort die kaiserliche Verwaltung von fremden, nicht eingeborenen Elementen geführt werde. Freiherr v. Wüllerstorf || S. 411 PDF || und Freiherr v. John unterstützten diese Ansichten den Justizministers. Namentlich bemerkte Freiherr v. Wüllerstorf , daß die Einheit und Macht des Gesamtreiches auch bei Einführung des Dualismus sich noch erhalten lasse, daß er aber nicht einzusehen vermöge, wie dieses bei einem Föderalismus nach dem Plane des Grafen Gołuchowski noch möglich sein werde. Er mache nur darauf aufmerksam, daß selbst vom Grafen Gołuchowski eine solche Sonderstellung nicht als ein Recht beansprucht werde, während für Böhmen dieses bereits schon jetzt der Fall sei. Wie wolle man aber Böhmen verweigern, was man Galizien gewährt habe. Freiherr v. Wüllerstorf warf sodann noch die Frage auf, ob man nicht, um doch etwas zu tun, zu dem Auswege seine Zuflucht nehmen könnte, einen galizischen Hofkanzler, aber ohne die vom Grafen Gołuchowski beantragten Kompetenzen, somit in Unterordnung unter das diesseitige Ministerium, zu bestellen. Freiherr v. John drückte sich kurz dahin aus, ein solches Vorgehen, wie es Graf Gołuchowski verlange, könnte er nur als den Anfang vom Ende ansehen. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth beschränkte sich darauf, die Bemerkung zu machen, daß ohne Eintritt der Polen ein Zustandekommen des engeren Reichsrates wohl schwerlich möglich sei und daß man ohne bestimmte Zusicherungen den Grafen Gołuchowski kaum vermögen werde, seinen Einfluß auf seine Landsleute dahin geltend zu machen, daß er sie zum Eintritt in den Reichsrat bewege.

Se. Majestät geruhten Sich am Schluß der Beratung Ah. dahin auszusprechen: Auf den Antrag der Bestellung einer eigenen galizischen Hofkanzlei könne nicht eingegangen werden. Würde man eine Hofkanzlei aufstellen mit den vom Grafen Gołuchowski beantragten Kompetenzen, so wäre nicht abzusehen, wie dieses ohne Eintrag für die Einheit der Monarchie durchgeführt werden könnte. Wollte man aber nur einen nominellen Hofkanzler bestellen, so würde dieses nach keiner Seite befriedigen und könnte nur als eine neue Belastung der Finanzen angesehen werden. Was dagegen die gewünschte Vermehrung der Attributionen des Landtages betreffe, so dürfte gegen eine solche Vermehrung, mit Ausnahme jedoch der Angelegenheiten der Universitäten und höheren technischen Bildungsanstalten, kein Anstand obwalten. Hiebei sei vorauszusetzen, daß, anbelangend das Verlangen der Übertragung der Kirchenangelegenheiten an den Landtag, dieses sich nur auf die Kirchenkonkurrenzangelegenheiten beziehen könne.

Am Schlusse der Sitzung fand noch eine vertrauliche Konversation statt über die Wahl von Persönlichkeiten für die Ministerien des Inneren, des Kultus und Unterrichtes und der Polizei. Was die Bestellung eines eigenen Polizeiministers betrifft, so bemerkte der ungarische Hofkanzler , daß eine solche Bestellung in Ungarn große Mißstimmung erzeugen würde. Man habe deswegen auch bei den Ausgleichsverhandlungen es sorgfältig vermieden, in das Elaborat diesfalls in irgendwelcher Richtung eine Andeutung aufzunehmen. Gegen die künftige Bestellung eines Polizeichefs in Unterordnung unter das Reichsministerium werde dagegen kein Anstand obwalten.