Nr. 119 Ministerrat, Wien, 23. Dezember 1866 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Hueber; VS.Vorsitz Belcredi; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 23. 12.), Beust, Mailáth, Larisch 29. 12., Komers 29. 12., Wüllerstorf, John 31. 12.
MRZ. 119 – KZ. 3915 –
Protokoll des zu Wien am 23. Dezember 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.
I. Politische Aktion zur Förderung des Abschlusses der Verhandlungen über die Verfassungsfrage
Der vorsitzende Staatsminister stellte mit Rücksicht auf den Gang der Verhandlungen im ungarischen Landtage die unbedingte Notwendigkeit dar, in die politische Aktion von Seite der Regierung wirksamer einzutreten. Die Lage sei danach, daß man, es möge ein günstiger Schritt zur Lösung der Wirren bezüglich der Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten des Reiches von Seite des ungarischen Landtages geschehen oder nicht, schon jetzt vordenken müsse, eine Versammlung der Vertreter der diesseitigen Länder alsbald einzuberufen. Die Dringlichkeit dieser Maßregel lasse sich um so weniger in Zweifel ziehen, weil man darauf gefaßt sein müsse, der ungarische Landtag werde nach ein paar Monaten die Resolution fassen, das Operat der 67er Kommission1 in das Archiv des Landtages zu legen und dasselbe in pleno des Landtages nicht eher in Verhandlung zu nehmen, bevor die 1848er Gesetze ausnahmslos reaktiviert worden sein werden. Für den Fall, als ein Ausgleich mit Ungarn dennoch zustande kommen sollte, werde es jedenfalls von Vorteil sein, das moralische Gewicht der Vertretung der hiesigen Länder mit in die Waagschale legen zu können, und die Regierung wird dann auch die Verantwortung nicht allein zu tragen haben. Das Tagen einer Versammlung der hiesigen Vertreter wird auch bewirken, daß die Ungarn nicht in gewohnter Weise nach der Hand Widerstand erheben, wozu ihnen keine Zeit gelassen werden darf. Die Einberufung der hiesigen Vertretung stellt sich aber dann um so dringender dar, wenn der Ausgleich mit Ungarn nicht zustande kommen sollte, und die Stimmung in der Bevölkerung und in den Vertretungen der diesseitigen Länder würde jedenfalls verschlechtert werden, wenn die Regierung erst unter dem Drucke dieses Ereignisses darangehen würde, eine Vertretung der diesseitigen Länder zur Lösung des Verfassungskonfliktes einzuberufen. Es ergebe sich dabei vor allem die Frage, in welcher Modalität die Versammlung der hiesigen Vertreter einberufen werden soll. Die Zerfahrenheit in den Verfassungsverhältnissen sei eine solche, daß ein legaler Standpunkt unbestritten nicht besteht.
Das Februarpatent 1861 sei sistiert, den engeren Reichsrat könnte man nicht berufen, weil demselben eine Vorlage über allgemeine Reichsangelegenheiten verfassungsmäßig nicht gemacht werden könnte, ebensowenig aber auch den weiteren Reichsrat, weil man dann auch die Vertreter aus Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen einberufen und dieselben, wenn sie nicht kämen, was wahrscheinlich, || S. 370 PDF || ja gewiß wäre, kontumazieren müßte. Zu sagen, es werde der Reichsrat vom Jahre 1861 einberufen, welches Auskunftsmittel im steiermärkischen Landtage angedeutet wurde, ginge aber deshalb nicht an, weil, wenn auch die Vertreter aus Ungarn und Kroatien damals einberufen waren, doch Siebenbürgen damals ausgeschlossen war, wo ein Landtag damals nicht bestand. Es stelle sich demnach als das Zweckmäßigste heraus, diese verschiedenen Gesichtspunkte möglichst zu vereinigen, die mehrjährige Tätigkeit der Vertretung nach dem 1861er Februarpatente zu beachten, sich aber auch auf das 1860er Oktoberdiplom zu stützen, nach welchem die Landtage das Recht haben, ihre Vertreter zur Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten zu entsenden. Da ein Reichsrat in gleicher Form wie nach dem 1861er Februarpatente rechtlich nicht möglich wäre, müsse man zu dem Auskunftsmittel schreiten, einen außerordentlichen Reichsrat einzuberufen, wobei auch das Herrenhaus sich zu versammeln hätte. Für die Regierung bestünde keine Notwendigkeit sich hineinzumischen, ob die Landtage die Vertreter für diesen außerordentlichen Reichsrat im Sinne des Februarpatentes oder aus dem ganzen Körper wählen, von einer Instruktionserteilung müßte abgesehen, und wenn einzelne Landtage Anstand erheben sollten, Vertreter für den außerordentlichen Reichsrat zu wählen, müßte von Seite der Regierung daran festgehalten werden, daß mit den Vertretern, die kommen, verhandelt wird. Eine Beschlußunfähigkeit des außerordentlichen Reichsrates könne nicht eintreten, weil die Majorität der Versammlung zu beschließen haben wird und das Erfordernis der Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Vertretern zur Beschlußfähigkeit, wie die Zahl 100 nach der Geschäftsordnung für das Abgeordnetenhaus, nicht bestehen wird. Graf Belcredi erwähnte, daß er in diesem Sinne den Entwurf eines kaiserlichen Patentes verfaßt habe, welches er der Ah. Sanktion Sr. Majestät zu unterbreiten beabsichtige2. Im Eingange desselben würde Se. Majestät motiviert die Notwendigkeit, die Verhandlungen über die Verfassungsfrage zu ihrem Abschlusse zu bringen, betonen und die Ah. Erkenntnis des Erfordernisses aussprechen, daß die verschiedenen Rechtsanschauungen und Ansprüche der diesseitigen Länder unter dem stets leitenden Gesichtspunkte der Festigung des Bestandes der Monarchie in einer gemeinsamen Versammlung ihre Versöhnung und ihren Austrag finden. Sodann würde Se. Majestät aussprechen, Sich bewogen zu fühlen, die Vertreter der diesseitigen Länder zu einer außerordentlichen Reichsratsversammlung zu berufen und die Berufung auch auf das Herrenhaus auszudehnen, weiters es als den Ah. Willen erklären, daß die Zahl der zu entsendenden Mitglieder in jedem Lande derjenigen entspreche, welche das Gesetz über die Reichsvertretung festsetzt, dann daß wegen des nahen Ablaufes der sechsjährigen Wahlperiode für die Landtage eine Neuwahl von Landtagsmitgliedern einzutreten habe.
Se. Majestät würden sohin verordnen: 1. daß die Landtage in den diesseitigen Ländern aufgelöst sind, 2. daß unverzüglich zu Neuwahlen für diese Landtage || S. 371 PDF || zu schreiten sei, 3. daß die auf Grund der Neuwahlen zusammentretenden Landtage auf den 11. Februar in ihre gesetzlichen Versammlungsorte einberufen sind, 4. daß die Mitteilung dieses Patentes und die Aufforderung zur Wahl für die außerordentliche Reichsratsversammlung die alleinigen Gegenstände der Vorlage und [sic!] beziehungsweise der Wirksamkeit der einberufenen Landtage zu bilden haben, 5. daß der außerordentliche Reichsrat auf den 25. Februar nach Wien einzuberufen sei und 6. daß die Beratung der Verfassungsfrage den alleinigen Gegenstand der Tätigkeit dieser außerordentlichen Reichsratsversammlung zu bilden habe.
Graf Belcredi fügte noch bei, daß dem außerordentlichen Reichsrate mit einer Vorlage werde entgegengetreten werden müssen, in welcher die Zielpunkte, wieweit die Regierung mit Ungarn zu gehen bereit ist, inklusive dessen, was hierüber in dem königlichen Reskripte an den ungarischen Landtag gesagt wurde, zusammenzufassen sein wird. Gehe der außerordentliche Reichsrat auf diese Grundlagen nicht ein, so werde er andere Propositionen hierüber machen, über welche mit ihm zu verhandeln sein wird, gehe er aber, wenn auch vielleicht mit Modifikationen, denen von Seite der Regierung beigestimmt werden könnte, auf die Intentionen der Regierung ein, dann werde der ungarische Landtag aufzufordern sein, die Propositionen in Erwägung zu ziehen und zur Vereinbarung vielleicht eine Deputation an den außerordentlichen Reichsrat abzusenden. Bei der ersten Exposition im außerordentlichen Reichsrate werde auch zu sagen sein, daß sich die Regierung vorbehalte, dem Reichsrate auch eine Vorlage über die Konstituierung der hiesigen Länder zu machen. Den Entwurf dieser Vorlage habe er bereits verfaßt und werde ihn seinerzeit der Beratung im Ministerrate unterziehen. Es dürfte übrigens geraten sein, mit dieser Vorlage zu zögern, bis die erste Frage wegen der Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten gegenüber von Ungarn ihre Lösung gefunden haben wird, weil sonst die ganze Aufmerksamkeit des außerordentlichen Reichsrates zunächst auf die Vorlage wegen Konstituierung der hiesigen Länder gelenkt werden würde.
Der Justizminister bemerkte, es sei dem kaiserlichen Patente vom 20. September 1865 3 der Gedanke zugrunde gelegen, 1. daß die Februarverfassung, weil Ungarn dieselbe nicht akzeptieren wollte, dem ungarischen Landtage als Proposition vorgelegt werden solle, 2. daß diese Verfassung nicht in den diesseitigen Ländern als Gesetz gelten könne, während sie in Ungarn erst als Proposition vorliegt, daß sie daher auch in den deutsch-slawischen Ländern sistiert werden müsse, 3. daß die über die Februarverfassung vom ungarischen Landtage gestellten Anträge den legalen Vertretern der anderen Länder vorgelegt werden sollen. Votant habe sich zwar, als das kaiserliche Patent vom 20. September 1865 beraten wurde, erlaubt zu äußern, daß es zu dem obigen Zwecke genügen würde, aus dem Februarpatente bloß die §§ 10 und 11 zu sistieren, weil sich nur diese Paragraphen auf das Verhältnis Ungarns zur Monarchie beziehen, während die anderen Bestimmungen Ungarn gar nicht berühren, und weil es für die Regierung jedenfalls vorteilhaft wäre, gegenüber den überspannten Forderungen Ungarns || S. 372 PDF || an dem für den Einheitsstaat einstehenden Reichsrat einen Halt zu gewinnen. Da nun aber einmal das kaiserliche Patent vom 20. September 1865 erlassen sei, würde es nach des Votanten Dafürhalten wohl konsequenter sein, die Reichsvertretung erst dann einzuberufen, wenn man ihr Anträge des ungarischen Landtages vorlegen könnte. Denn liegen solche Anträge nicht vor, so werde die Regierung wohl genötigt sein, selbst mit einem Programme über die staatsrechtliche Frage vorzutreten. Wird nun dieses Programm von dem Reichsrate angenommen, aber – was höchst wahrscheinlich – von dem ungarischen Landtage verworfen, dann befinde sich die Regierung auf demselben Standpunkte, auf welchem das frühere Ministerium gegenüber von Ungarn mit der Februarverfassung stand; wird aber das Regierungsprogramm auch vom Reichsrate verworfen, dann stünde die Regierung in Opposition zu beiden Vertretungskörpern und wäre in ihrer Aktion ganz gelähmt. Wenn daher die politische Lage die Einberufung des Reichsrates notwendig macht, so sollte die Regierung demselben in erster Linie nicht ein eigenes Programm über die Gestaltung der Monarchie vorlegen, sondern sich darauf beschränken, die Forderungen und Wünsche, welche der ungarische Landtag in der letzten Adresse ausgesprochen, dem Reichsrate vorzulegen. Gehe – was allerdings nicht der Fall sein wird – der Reichsrat auf diese Forderungen des ungarischen Landtages ein, dann sei der Ausgleich vorhanden; verwerfe aber der Reichsrat diese Forderungen, dann trete erst für die Regierung die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit ein, mit einem neuen Programme in die Aktion zu treten.
Die übrigen Konferenzmitglieder stimmten mit dem Staatsminister in der Ansicht überein, daß die Einberufung des Reichsrates nach der politischen Lage zur unvermeidlichen Notwendigkeit geworden, daß mit einem längeren Zuwarten auf die Anträge des ungarischen Landtages in der staatsrechtlichen Frage voraussichtlich nur kostbare Zeit verlorenginge und daß die Position für die Regierung jedenfalls eine viel ungünstigere wäre, wenn sie erst nach der Resolution des ungarischen Landtages, auf die Anträge der 67er Kommission vorläufig gar keine Beratung folgen zu lassen, bis nicht die 1848er Gesetze wieder in Kraft gesetzt worden sein werden, zu dem Notanker der Einberufung des Reichsrates greifen würde.
Bezüglich des Inhaltes der kaiserlichen Verordnung ergab sich nur eine Bemerkung zu der Stelle, wo es heißt: Se. Majestät behalten sich vor, die Präsidenten und Vizepräsidenten des außerordentlichen Reichsrates zu ernennen. Der Minister des Äußern erblickte nämlich keinen Vorteil für die Regierung, wenn Se. Majestät die Präsidenten der zweiten Kammer ernennt. Diese Ernennung involviere vielmehr eine Verlegenheit für die Regierung, sie gebe den Vertretern einen Fingerzeig zur Gruppierung von Parteien. In anderen Staaten schlage die zweite Kammer bloß drei Kandidaten für die Präsidentenstelle vor, aus denen der Monarch einen wählt.
Baron Beust meinte daher, daß die bezügliche Stelle in der kaiserlichen Verordnung zu eliminieren und seinerzeit zu sagen wäre, Se. Majestät haben den N. N. zum Präsidenten des Herrenhauses ernannt und sehen dem Vorschlage von drei Kandidaten für die Präsidentenstelle der zweiten Kammer entgegen. || S. 373 PDF || Graf Belcredi erwiderte, daß hiemit ein Recht Sr. Majestät, das auch in der Februarverfassung gewahrt werde, durch eine neue förmliche Oktroyierung aufgegeben würde, an dem man wegen der möglichen Konsequenzen in den Landtagen um so mehr halten sollte, als es mitunter gefährlich sein könnte, bei der Ernennung des Landeshauptmannes an einen Ternavorschlag sich binden zu müssen. Übrigens könne, wenn auch die bezügliche Stelle im Patente bliebe, es nach Umständen der zweiten Kammer mit Ah. Genehmigung ausnahmsweise gestattet werden, für die Besetzung der Präsidentenstelle einen Ternavorschlag zu erstatten. Baron Beust erklärte seine Einwendung hiemit für behoben. Der Finanzminister brachte noch zur Sprache, ob man im Patente etwas davon zu erwähnen hätte, daß die Reichsratsmitglieder die gesetzlichen Diäten erhalten. Der Staatsminister meinte, daß eine solche Bestimmung im Patente als eine ordinäre Lockspeise aufgefaßt werden würde, die um so mehr wegbleiben könne, als es sich wohl von selbst versteht, daß die Abgeordneten die Diäten erhalten und daß man das Immunitätsgesetz auch auf sie anwenden werde. Der Minister des Äußern glaubte, daß man die Statthaltereien hienach anweisen sollte, damit sie vorkommende Anfragen in diesem Sinne beantworten können.
Wien, am 23. Dezember 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, 12. Jänner 1867. Franz Joseph.