Nr. 117 Ministerrat, Wien, 19. Dezember 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Meyer; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi), Beust, Mailáth, Larisch 29. 12. [unsichere Lesung; könnte 24. 12. heißen], Komers 28. 12., Wüllerstorf 28. 12., John 29. 12., Haller 29. 12., Kussevich 29. 12.
MRZ. 116 – KZ. 3912 –
Protokoll des zu Wien am 19. Dezember 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitz Sr. Majestät des Kaisers.
I. Heeresergänzungsgesetz
Neues Heeresergänzungsgesetz1.
Se. Majestät geruhte, die Sitzung zu eröffnen mit der Bemerkung, daß bei der demnächst bevorstehenden Rekrutierung der letzte Moment gekommen sei, wo über die Frage ein Entscheid gefaßt werden müsse, ob das neue, vom Kriegsministerium entworfene, inzwischen von einer Kommission beratene und teilweise abgeänderte Gesetz2 im Oktroyierungswege erlassen werden solle oder ob vorhandene politische Bedenken es nicht ratsam erscheinen lassen, mit dem Erlasse zu zögern und inzwischen im Verordnungswege und anlehnend an die bestehende Gesetzgebung solche Bestimmungen zu treffen, welche dem militärischen Interesse entsprechen. Se. Majestät forderte die Versammlung auf, sich darüber auszusprechen.
Der Kriegsminister Freiherr v. John ergriff hierauf das Wort und äußerte sich dahin: er könne nur auf das entschiedenste gegen jeden weiteren Aufschub der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes sich aussprechen. Die allgemeine Weltlage sei der Art, daß eine Anspannung aller Kräfte des Reiches als ein Gebot der Selbsterhaltung betrachtet werden müsse. Nun bilde das Gesetz ein Ganzes, und namentlich sei die allgemeine Wehrpflicht ein integrierender Teil desselben, indem namentlich das allgemeine Wehraufgebot das Mittel an die Hand gebe, im Falle des Bedürfnisses das stehende, operierende Heer nicht nur zu ergänzen, sondern auch auf einen höheren, zum Schutze des Reiches ausreichenden Bestand zu bringen. Der sofortige Erlaß sei ein so dringender, als selbst die Durchführung des Gesetzes für das zur Operation bestimmte Heer längere Zeit erfordern werde und als die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht eine noch größere Zeit in Anspruch nehme, indem diese Durchführung je nach der Eigentümlichkeit der verschiedenen Länder Modifikationen erleiden müsse, die nur im Einvernehmen mit den Landesvertretungen ein- und durchführbar sein werden. Die Bevölkerung habe sich mit dem Gedanken befreundet, daß in der Heeresorganisation etwas Durchgreifendes geschehen müsse, und wenn auch das neue Gesetz derselben große Lasten auflege, so sei ein übler Humor doch || S. 358 PDF || nicht zu befürchten. Er könne also nur nochmals dringend den sofortigen Erlaß befürworten. Der Staatsminister Graf Belcredi sprach sich aus politischen Gründen gegen den sofortigen Erlaß des ganzen Gesetzes im Oktroyierungswege aus. Solange Aussicht auf einen Ausgleich mit Ungarn vorhanden, sei es höchste Pflicht der Regierung, ihrerseits keine Maßregel zu treffen, welche ihrer Natur nach diesen Ausgleich verunmöglichen würde. Im ungarischen Landtage beginnen nun die Verhandlungen der 67er Kommission, bei welchen die Frage über die Heeresergänzung eine wesentliche Rolle spielen werde. Man könne als ziemlich sicher annehmen, daß, wenn ein Gesetz von dieser Tragweite mit einer Wehrverpflichtung der Bevölkerung bis zum 45. Jahre in diesem Momente erlassen würde, dieses nicht nur den übelsten Eindruck machen, den Übelwollenden Waffen in die Hände liefern, sondern auch höchstwahrscheinlich zum Abbruch der Unterhandlungen führen würde. Die Vorteile, welche das neue Gesetz für das stehende Heer biete, lassen sich erreichen, ohne daß man dieser großen politischen Gefahr sich aussetze. Es können nämlich mit Ausnahme der allgemeinen Wehrpflicht alle anderen Bestimmungen des Gesetzes mittelst eines kaiserlichen Patentes sofort eingeführt werden. Dieses müsse man gegenwärtig als die Hauptsache ansehen, weil in diesen Bestimmungen – der Festsetzung der Dienstzeit auf zwölf Jahre, sechs für das stehende Heer und sechs für die beiden Reserven – das Mittel zu der so notwendigen Verstärkung des Armeestandes liege, ohne daß die Finanzkraft in erhöhtem Maße dadurch in Anspruch genommen. Diese Bestimmungen seien auch zur Zeit das allein Praktische, indem der Nutzen einer allgemeinen Wehrverpflichtung nur einer ferneren Zukunft anheimgestellt werden könne. Wenn man sich nun die Frage stelle, ob die durch den sofortigen Erlaß des ganzen Gesetzes zu erreichenden amilitärischena Vorteile den unbestreitbaren politischen Nachteilen das Gleichgewicht halten, so müsse man dieses entschieden verneinen, während eine kaiserliche Verordnung im angedeuteten Sinne sowohl durch ihre innere Zweckmäßigkeit als auch den Drang der Umstände sich rechtfertigen lasse und, formell genommen, bloß als eine durch die Zeitlage geforderte Ergänzung der bestehenden Rekrutierungsvorschriften angesehen werden müsse. Es walte kein Anstand und sei sogar sehr wünschbar, daß schon jetzt von der Regierung die Absicht ausgesprochen werde, die allgemeine Wehrverpflichtung einzuführen, jedoch über eine so wichtige gesetzliche Bestimmung sich mit der künftigen Reichsvertretung ins Einvernehmen zu setzen; er sei vielmehr überzeugt, daß diese Hinweisung auf die Behandlung des Gegenstandes in einer künftigen Reichsvertretung bei der Bevölkerung die beste Aufnahme finden würde und daß darin die beste Garantie der allgemeinen Durchführbarkeit der Maßregel liege. Man gebe ja selbst zu, daß die Durchführung der allgemeinen Wehrverpflichtung ohne Einvernehmen mit den Landesvertretungen nicht zu erreichen sein werde; es könne somit nicht einmal von einem Zeitverluste die Rede sein, da die Landtage nächstens geschlossen werden und bis zu ihrem Wiederzusammentritt die Möglichkeit gegeben sei, den Gegenstand bei einer Reichsvertretung anhängig zu machen.|| S. 359 PDF || Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth sprach sich im gleichen Sinne wie der Staatsminister aus. Bekanntlich sei das Recht der Rekrutenbewilligung eines der Kardinalrechte des ungarischen Landtages gewesen. Wenn nun in dem Momente, wo darüber Unterhandlungen gepflogen werden, mit der Oktroyierung eines Gesetzes vorgegangen würde, das kurzweg den Stab über die Sache bricht, so dürfe man als sicher annehmen, daß das große Ziel einer Verständigung mit Ungarn entrückt wäre und die Unterhandlungen als abgebrochen angesehen werden müßten. Um keinen Preis dürfe aber die Regierung den Vorwurf auf sich laden, daß die Schuld dieses Abbruches auf ihr laste; ein solches Vorgehen würde auch niemandem willkommen sein als den Übelgesinnten in Ungarn selbst. Er sei dagegen einverstanden mit der beantragten kaiserlichen Verordnung, weil darin nur eine Ergänzung des Bestehenden liege und diese durch den Drang der Umstände sich vollkommen rechtfertigen lasse. Der Kriegsminister Freiherr v. John fand sich hierüber zu folgender Erwiderung veranlaßt: Die Organisation des Heeres sei und bleibe eine Reichsangelegenheit; wenn auch der ungarische Landtag sie für eine solche ansehe, so werde er an dem Erlasse des neuen Gesetzes keinen Anstoß nehmen; wäre aber dieses nicht der Fall, dann müßte denn doch ein Verschub des Erlasses im Hinblicke auf die bevorstehenden Landtagsverhandlungen als ein reiner Zeitverlust angesehen werden. Das Gesetz lasse sich nicht in zwei Teile trennen, es bilde ein Ganzes. Bei der Herabsetzung der Dienstzeit auf sechs Jahre müsse ein Mittel gegeben werden, nicht nur die Verkürzung, welche das stehende Heer durch diese Herabsetzung erleide, auszugleichen, sondern auch noch dessen Bestand und Kraft zu vermehren. Dieses Mittel liege in der allgemeinen Wehrpflicht. Wenn auch deren vollständige Durchführung Zeit erfordere, so sei es nichtsdestoweniger notwendig, sie jetzt schon auszusprechen, weil nur in diesem Falle das Kriegsministerium in der Lage sei, die notwendigen organisatorischen Durchführungsmaßregeln bschon jetztb in Aussicht zu nehmen. Ein Zeitverlust in dieser Beziehung bleibe ein solcher, sowie anderseits eine Verstümmelung des Gesetzes der Reputation des Kriegsministeriums nur nachträglich sein und bleiben würde. Er gebe zu, daß das Gesetz in Ungarn keiner besonders guten Aufnahme sich zu erfreuen haben werde; in den übrigen Provinzen aber fühle man die Dringlichkeit und Notwendigkeit eines entschiedenen Schrittes, und da sei Hoffnung auf eine rasche Durchführung vorhanden. Wenn man aber so große Rücksicht auf Ungarn nehmen wolle, so könne er die Frage nicht unterdrücken, ob denn nach den neuesten Vorgängen noch irgendwelche Aussicht für eine Verständigung vorhanden sei. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth erwiderte hierauf, daß allerdings die Hoffnung auf eine Verständigung gegenwärtig geringer sei, daß dieselbe aber doch nicht aufgegeben werden solle. Aufgabe der Regierung sei es, mit der größten Langmut, mit aller Umsicht und Klugheit zu handeln und ja jede Blöße zu vermeiden, welche den Gegnern das Mittel in die Hand geben würde, die Schuld [an] der Resultatlosigkeit des begonnenen Verständigungswerkes ihr zuzuschieben. Der Finanzminister Graf Larisch unterstützte die von dem || S. 360 PDF || Staatsminister und dem ungarischen Hofkanzler entwickelten Ansichten und warnte namentlich davor, der ungarischen Opposition eine Waffe in die Hand zu geben, wie sie in der Anordnung einer allgemeinen Wehrpflicht mittelst eines oktroyierten Gesetzes liegen würde. Durch das Ah. Reskript an den ungarischen Landtag habe die Regierung sich die Anerkennung von Europa und eine solche günstige Stellung gewonnen, daß sie mit der größten Sorgfalt darauf Bedacht nehmen müsse, diese fortan zu erhalten und jeden Schritt zu vermeiden, der sie in eine ungünstigere bringen könnte. Auch der kroatische Hofkanzler Freiherr v. Kussevich sah den Erlaß des ganzen Gesetzes unter den gegenwärtigen Verhältnissen als bedenklich an. Die Durchführung allgemeiner Wehrpflicht ruhe namentlich auf dem guten Willen der Bevölkerung, was noch insbesondere in Ungarn und in Kroatien gelte. Man werde aber kaum auf diesen zählen können, wenn mit Übergehung der jetzt versammelten Vertretungen eine solche Last im Oktroyierungswege den Bevölkerungen aufgebürdet werden wolle. Eine wirksame Unterstützung der operierenden Armee aus einem allgemeinen Wehraufgebote werde auch erst dann zu erzielen sein, wenn eine große Zahl früherer Reservisten in diesem sich vorfinden, bis wohin immer eine geraume Zeit verstreichen werde. Dagegen ließe sich für den Dienst im Innern des Reiches eine wesentliche Unterstützung in der Reaktivierung und neuen Aufstellung von Bürgerkorps in allen größeren Orten schaffen, deren praktischen Wert man aus früherer Zeit wisse und in Böhmen und Mähren auch in neuerer Zeit kennengelernt habe. Der Handelsminister Freiherr v. Wüllerstorf neigte sich mehr den Ansichten des Kriegsministers zu und meinte, es sollte die Wehrkraft, die aus einem allgemeinen Wehraufgebot gezogen werden könne, nicht so leicht unterschätzt werden. Derselbe sprach die Ansicht aus, daß bei der Schwierigkeit der Durchführung desselben in Ungarn es nicht unangezeigt sein dürfte, vorderhand die Ein- und Durchführung auf die diesseitigen Provinzen zu beschränken, wogegen Sich jedoch Se. Majestät aussprach, weil man darin nur zu bereitwillig von gewisser Seite die Einführung eines Militärdualismus erblicken könnte und würde. Der Minister des kaiserlichen Hauses und des Äußern Freiherr v. Beust ließ den Motiven des Kriegsministers, so schnell als möglich die Heereskraft des Reiches zu vermehren, volle Gerechtigkeit widerfahren; es liege darin die wirksamste Unterstützung der Präventivpolitik, die zu verfolgen er sich zur Aufgabe gestellt habe. Andererseits aber lasse sich auch nicht verkennen, daß die ungarische Frage gegenwärtig in den Augen Europas die Hauptfrage sei, welche die innere Politik Österreichs zu lösen habe. Eben deswegen müßte er auch von seinem Standpunkte jedes Vorgehen der Regierung mißraten, welches die Schuld des Scheiterns der Unterhandlung in den Augen der Welt auf die Regierung wälzen könnte. Er erlaube sich zu einer teilweisen Begleichung der widerstreitenden Ansichten folgenden Vorschlag über den modus procedendi bei Erlaß des neuen Gesetzes: Der Kriegsminister unterbreite mittelst au. Vortrages den ganzen Gesetzentwurf zur Ah. Genehmigung; Se. Majestät geruhe hierauf, denselben im wesentlichen gutzuheißen, jedoch mit Rücksicht auf den Umstand, daß eine so wichtige Angelegenheit wie diejenige der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht ein || S. 361 PDF || Gegenstand der Beratung cim verfassungsmäßigen Wegec sei, andererseits aber unter Hinweisung auf den Drang der Umstände, welche eine Änderung der bestehenden Heeresergänzung notwendig erheischen, nach dem Antrage des Staatsministers auf die Einführung aller beantragten Bestimmungen mit Ausnahme der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht mittelst einer kaiserlichen Verordnung Allerhöchstsich zu beschränken.
Die Versammlung pflichtete diesem Antrage bei und Se. Majestät geruhten hierauf folgendes anzuordnen: „Es habe der Kriegsminister den unveränderten Gesetzentwurf mittelst au. Vortrages zur Ah. Sanktion zu unterbreiten, gleichzeitig aber unter ausdrücklicher Beziehung auf das Resultat der Beratung in dem Ministerrate, der sich dafür ausgesprochen, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht der verfassungsmäßigen Behandlung durch die künftige Reichsvertretung vorzubehalten, den Entwurf einer kaiserlichen Verordnung nach dem Antrage des Staatsministers vorzulegen. Dem au. Vortrage sei sodann einfach der Entwurf eines Ah. Handbillets anzuschließen, worin die Gutheißung der Bestimmungen des Gesetzes im allgemeinen ausgesprochen, jedoch unter Würdigung der Gründe des Ministerrates die Einführung allgemeiner Wehrpflicht der verfassungsmäßigen Behandlungd vorbehalten, der Erlaß der übrigen Bestimmungen des Gesetzes unter Hinweisung auf den zwingenden Drang der Umstände unter Genehmigung des vorgelegten Verordnungsentwurfes angeordnet wird.“
Wien, 12. Jänner 1867. Franz Joseph.