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Nr. 73 Ministerrat, Wien, 10. Mai 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Hueber; VS. Belcredi; BdE. und anw. (Belcredi 10. 5.), Mensdorff 13. 5., Franck, Larisch 14. 5., Komers 14. 5., Wüllerstorf 15. 5., Haller für I 16. 5., Kussevich für I 16. 5., Károlyi für I 16. 5.; außerdem anw. Früh bei I; abw. Esterházy, Mailáth.

MRZ. 73 – KZ. 1495 –

Protokoll des zu Wien am 10. Mai 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.

I. Ausfuhrverbote nach Italien und Preußen

Der vorsitzende Staatsminister eröffnete der Konferenz, daß der Statthalter des lombardisch-venezianischen Königreiches im Einvernehmen mit dem dortigen Armeekommando mit Telegramm vom 9. 1. M. die schleunigste Erlassung des Verbotes der Ausfuhr von Schlacht- und Stechvieh, von Getreide und Mehl über die Zollgrenze gegen Fremditalien, dann zur See im Interesse der Sicherstellung der Verpflegung der Armee im lombardisch-venezianischen Königreiche beantragt habe und daß der Finanzminister im Vernehmen mit dem Staats- und dem Kriegsminister bereits im telegrafischen Wege das Ausfuhrverbot für die genannten Verpflegsmittel gegen Fremditalien und zur See an die Finanzlandesbehörden in Agram, Triest, Venedig, Innsbruck und Zara erlassen habe1. Über erhaltene Anzeige, daß große Massen von Gewehrschäften aus Galizien nach Preußen ausgeführt werden wollen, habe der Staatsminister im Einverständnisse mit dem Kriegsministerium sich auch an den Finanzminister wegen Erlassung eines Verbotes der Ausfuhr von Waffen, Waffenbestandteilen und Munitionsgegenständen über die Zollgrenzen gegen den Zollverein und gegen Fremditalien unterm gestrigen Tage gewendet2. Aus Salzburg liege jetzt die Anzeige vor, daß von dort aus größere Quantitäten von Schlachtvieh über Lindau nach Fremditalien ausgeführt werden sollen. Endlich waren nach Bericht des Statthalters in Galizien am 4. 1. M. im Bahnhofe von Krakau große Getreidevorräte, namentlich Hafer, für preußische Rechnung aufgelagert, welche noch am selben Tage nach Preußen abgehen sollten. Mit Rücksicht auf die Deckung des Verpflegsbedarfes für die Nord-Armee trete nunmehr die Frage heran, ob nicht ein allgemeines Verbot der Ausfuhr von Getreide, dann von Schlacht- und Stechvieh gegen die Zollgrenzen des Zollvereines, der Schweiz und Rußlands erlassen werden müsse.

A) Die Ausfuhr von Getreide betreffend.

Der Generalverpflegskommissär Früh fand die Erlassung des Ausfuhrverbotes für Getreide, namentlich für Hafer und Korn, bereits für dringend notwendig. An Weizen seien noch kolossale Quantitäten vorhanden, und der stärkste || S. 93 PDF || Nachschub aus den reichen Emporien in Ungarn und im Banate werde keinem Anstande unterliegen. Bezüglich der Deckung des Haferbedarfes für die Armee werde man aber den größten Schwierigkeiten in Bälde begegnen, wenn die Ausfuhr nicht sofort verboten werde. In Sziszek und Pest habe zwar noch kein Aufschlag auf Hafer stattgefunden, dagegen sei der Preis desselben in Böhmen schon bedeutend gestiegen. Gegenüber dem enormen Bedarfsquantum an Hafer für die Armee könne auch nicht unerwogen bleiben, daß für Hafer aus dem Vorjahre auch bereits die letzten zwei Konsumtionsmonate vor uns stehen, da diesjähriger Hafer, wenn auch eine reiche Ernte gehofft werden kann, erst getrocknet werden muß und vor September nicht zur Konsumtion gelangen kann.

Der Kriegsminister , dem Ausfuhrverbote mit Entschiedenheit als einer unumgänglichen Maßregel das Wort führend, fügte den Darstellungen des Generalverpflegskommissärs noch bei, daß, wenn nicht ein gewisses Quantum im Lande selbst aufgebracht werden kann, man bei dem starken Umfange, in welchem die Eisenbahnen mit Truppentransporten in Anspruch genommen, gar nicht mehr imstande sein werde, rechtzeitig den Armeebedarf an Ort und Stelle zu bringen und dadurch den ärgsten Bedrängnissen ausgesetzt wäre. Der Staatsminister fand diese Besorgnis mit Rücksicht auf die schlechten Eisenbahnverbindungen in Böhmen wohl begründet und meinte, daß das Ausfuhrverbot von dem zweifachen Gesichtspunkte nunmehr gerechtfertigt erscheine, nämlich um dem Feinde die Verpflegung seiner Truppen und Pferde zu erschweren und anderseits um der eigenen Armee die Verpflegung nicht selbst unmöglich zu machen. Der Handelsminister bemerkte, daß bezüglich des Ausfuhrverbotes gegen Fremditalien als einer bereits in der Durchführung begriffenen Maßregel ihm nur die Erinnerung erübrige, daß dadurch auch wegen des gleichzeitigen Verbotes der Ausfuhr zur See auch die Kornausfuhr nach England ganz gelähmt sei und daß darunter auch ganz Südungarn, Kroatien und Slawonien empfindlich leiden und die Steuern nicht mehr werden aufbringen können. Vom Utilitätsstandpunkte aus müsse er bezüglich der genannten Länder, welche sich einer ansehnlichen Überproduktion an Zerealien erfreuen, nur wünschen, daß das Ausfuhrverbot so bald als nur immer möglich wieder aufgehoben werde, als welcher Zeitpunkt jener angenommen werden dürfte, wenn das Kriegsministerium den voraussichtlichen Verpflegsbedarf für die Armee beigestellt haben wird. Den Gegenstand der heutigen Frage betreffend, meinte der Handelsminister, daß, wenn auch die militärischen Rücksichten als so vorwaltend angesehen werden müssen, daß derzeit keine andere Wahl bleibt, als das Ausfuhrverbot von Getreide über unsere nördlichen Grenzen zu erlassen, dasselbe doch nur auf die Zollgrenzen gegen den Zollverein und die Schweiz beschränkt und nicht auch auf Rußland ausgedehnt werden sollte, einerseits weil bei dem Mangel an Kommunikationsmitteln in Rußland der Export von Getreide aus Galizien nach Rußland und von da nach Preußen wegen der riesigen Transportkosten sich nicht lohnen würde, anderseits aber weil dann Rußland durch Erschwerungen der Ausfuhr von Getreide an seinen Ostgrenzen nach Österreich uns in noch höherem Grade schaden könnte. Wenn man aber schon das Ausfuhrverbot gegen Norden für || S. 94 PDF || unerläßlich halte und den trüben Eindruck, den dasselbe hervorrufen werde, nicht dadurch beseitigen zu können vermeine, daß, wenn das Ärar sein eigenes Getreide vorerst auf den Eisenbahnen verfrachtet, anderes Getreide de facto gar nicht zur Ausfuhr gelangen könne, müsse er es auch für wünschenswert erkennen, daß auch hier das Verbot der Ausfuhr nur für die äußerste Grenze der Notwendigkeit aufrechterhalten werde und daß das Kriegsministerium das in Sziszek für englische Rechnung aufgelagerte Getreide, welches jetzt nicht mehr ausgeführt werden könne, für die Armee in Kauf übernehmen möge, damit die dortigen Lieferanten vor riesigen Verlusten bewahrt werden.

Die Bedenken des Barons Wüllerstorf fanden in der Konferenz, welche die Notwendigkeit der sofortigen Erlassung des Getreideausfuhrverbotes gegen unsere nördlichen Grenzen anerkannte, allseitige Würdigung, und es ergab sich sohin der einhellige Beschluß: a) daß das Ausfuhrverbot bezüglich des Getreides nur für die Zollgrenzen gegen den Zollverein und die Schweiz – nicht aber auch gegen Rußland – zu erlassen sei, und b) daß das Ausfuhrverbot sogleich wieder aufzuheben sei, wenn das Kriegsministerium den Armeebedarf sichergestellt haben wird, worüber von Seite des Kriegsministers einer Anzeige entgegenzusehen sei3.

B) Die Ausfuhr von Schlacht- und Stechvieh betreffend.

Der Generalkriegskommissär Früh bemerkte, daß an solchem Vieh so große Vorräte in Böhmen, Galizien und in den Hinterländern vorhanden seien und daß im Kriegsministerium so viele Offerte für derartige Lieferungen in großen, in Zahlen angeführten Quantitäten vorliegen, daß ein Mangel für den Armeebedarf selbst bei fernerer Gestattung der Ausfuhr derzeit nicht im entferntesten zu besorgen sei.

Über diese Aufklärung einigte sich die Konferenz in der Ansicht, daß ein Ausfuhrverbot von Schlacht- und Stechvieh gegen Preußen derzeit nicht notwendig und im Interesse der Steuerträger dermalen noch nicht zu erlassen sei4.

II. Anfragen wegen zeitweiliger Auflösung der Bezirksvertretungen in Böhmen

Graf Belcredi brachte zur Kenntnis der Konferenz, es seien ihm von Obmännern mehrerer Bezirksvertretungen in Böhmen Anfragen zugekommen, ob nicht mit Hinblick auf die möglichen Kriegseventualitäten diese Bezirksvertretungen, die eventuell bei einer Okkupation vom Feinde als Maschinerien zu Requisitionen benützt werden könnten, noch beizeiten vorübergehend aufzulösen wären. Graf Belcredi glaubte zwar dieser Maßregel nicht das Wort führen zu können, einerseits weil die Regierung hiedurch eine Unsicherheit kundgeben würde, die nur geeignet wäre, in der Bevölkerung Beunruhigung hervorzurufen, anderseits aber weil diese Auflösung doch nichts nutzen würde, indem der Feind ohne Zweifel die Mitglieder dieser Bezirksvertretungen erfahren und wenn notwendig mit Gewalt dazu zwingen wird, ihm bezüglich solcher Requisitionsausschreibungen zu Willen zu sein. Solche Anfragen könnten aber auch nur privatim damit beantwortet werden, die Obmänner mögen eintretendenfalls die || S. 95 PDF || Bezirksvertretungen selbst auflösen und ihrer schriftlichen Behelfe sich durch deren geheime Verwahrung in sicheren Händen sich zu entäußern trachten. Graf Belcredi könne jedoch für sich selbst eine Verantwortung für die Unterlassung der angedeuteten Maßregel nicht übernehmen und müsse daher hierüber einen Ministerratsbeschluß wünschen.

Die Konferenz stimmte aus obigen Gründen einhellig dafür, daß mit der Auflösung der Bezirksvertretungen in Böhmen nicht vorzugehen sei.

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.