Nr. 72 Ministerrat, Wien, 9. Mai 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Meyer; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 9. 5.), Mensdorff 10. 5., Esterházy 11. 5., Franck, Larisch 11. 5., Komers 11. 5., Wüllerstorf; abw.abwesend Mailáth.
MRZ. 72 – KZ. 1494 –
Protokoll des zu Wien am 9. Mai 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
[I.] Erlaß einer Verordnung oder eines Gesetzes wegen reziproker freier Schiffahrt eigener und feindlicher Handelsschiffe
Erlaß einer Verordnung oder eines Gesetzes wegen reziproker freier Schifffahrt der Handelsschiffe.
Der Handelsminister Freiherr v. Wüllerstorf machte auf die Notwendigkeit aufmerksam, mit möglichster Beschleunigung eine Verordnung oder ein Gesetz zu erlassen, durch welches bei gleicher reziproker Behandlung den Handelsschiffen des Feindes die freie Schiffahrt zugesichert wird und womit man gleichzeitig den feindlichen Handelsschiffen, welche zur Zeit der Kriegserklärung in hiesigen Häfen sich befinden, ebenfalls gegen Reziprozität den freien Austritt gestattet. Der Erlaß dieser Verordnung sei um so dringlicher, als in Triest wegen bevorstehenden Kriegsausbruches über das Schicksal der Triester Handelsmarine große Beängstigung herrsche. Da durch den italienischen Merkantilmarinekodex vom Jahre 1865 in den §§ 211 und 243 obige Grundsätze als Gesetz für die unter piemontesischer Herrschaft stehenden Länder promulgiert worden seien, so stehe der Ausführung der Sache kein Hindernis im Wege und dürfte damit die freie Bewegung unserer ganzen Handelsmarine gesichert sein. Se. Majestät geruhten Ihre volle Zustimmung zu einer solchen Maßregel zu erteilen, fügten jedoch die Bemerkung bei, daß diese Verordnung, um nicht dem Vorwurfe einer neuerlichen Kriegsdrohung sich auszusetzen, nicht bloß für Italien berechnet sein solle, sondern daß ihr ein allgemeiner Charakter gegeben werde; ebenso wäre das Recht der Visitierung der Handelsschiffe zu wahren, weil es leicht geschehen könnte, daß mit solchen der Transport von Freischaren versucht werde.
Sämtliche Anwesende erklärten über von Sr. Majestät an sie gerichtete Anfrage ihre Zustimmung zu dieser Maßregel1.
[II.] Überwachung der Südbahn
Überwachung der Südbahn.
Der Staatsminister Graf Belcredi empfahl dem Handelsminister eine sorgfältige Überwachung der Südbahn und namentlich der dort angestellten Preußen und Franzosen. Er wies hiebei namentlich auf zwei preußische Angestellte hin, einen höheren Beamten namens Astvalla, der seine nachgesuchte Befreiung || S. 91 PDF || vom Militär damit begründete, daß er in seiner gegenwärtigen Stellung Preußen viel mehr nützen könne, als wenn er zur Armee einrücke, und einen untergeordneten Beamten namens Weimanb, aus dessen unbewachten Äußerungen man erfahren, daß die 200 Waggons der Südbahn, welche auf italienischem Gebiete stehen, nach einem Einverständnis der Südbahn und der italienischen Behörden dorthin gebracht worden sind. Dieses Faktum sei richtig, allein er müsse den Herrn Handelsminister ersuchen, bei allfälligem Vorgehen den Namen Weimans zu verschweigen, weil die Nennung seines Namens zur Entdeckung der polizeilichen Quelle führen würde, aus welcher man die Sache in Erfahrung gebracht habe.
In der Konferenz wurde allgemein die Ansicht geteilt, daß es unter den gegenwärtigen drohenden Verhältnissen und im Falle eines Kriegsausbruches durchaus nicht angehe, solche gefährliche Leute bei einer so wichtigen Bahnverwaltung zu dulden, und daß auf deren Entfernung zu dringen sei2.
Wien, am 9. Mai 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, am 19. Mai 1866. Franz Joseph.