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Nr. 55 Ministerrat, Wien, 19. März 1866 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Hueber; VS. Belcredi; BdE. und anw. (Belcredi 19. 3.), Mensdorff 22. 3., Esterházy 22. 3., Franck, Larisch 23. 3., Komers 23. 3., Wüllerstorf, Károlyi für II 24. 3.; außerdem anw. Schmid bei II, Maly bei II; abw. Mailáth.

MRZ. 55 – KZ. 1479 –

Protokoll des zu Wien am 19. März 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.

I. Maßnahmen gegen Übertretung der staatspolizeilichen Vorschriften

Der Staatsminister referierte, es habe sich bei dem Übergange der staatspolizeilichen Agenden von den gemäß der Ah. Entschließung vom 19. Jänner l. J.1 zur Auflösung bestimmten Polizeibehörden an die bezüglichen Länderstellen der Anstand ergeben, daß diese Polizeibehörden in ihrem ganzen Rayon in Handhabung der staatspolizeilichen Vorschriften, namentlich in Preß- und Theaterangelegenheiten, ein Ahndungsrecht in Übertretungen dieser Vorschriften ausübten, gegen deren Erkenntnisse der Rekurs an die Landesstelle zu richten kommt. Da jedoch durch den Übergang der staatspolizeilichen Tätigkeit der Polizeibehörden an die Länderstellen dieser Instanzenzug entfallen würde, was weder im Interesse des Dienstes noch der Parteien ersprießlich wäre, beabsichtigte Referent in seiner Eigenschaft als Leiter des Polizeiministeriums, Sr. Majestät den Entwurf einer kaiserlichen Verordnung zu unterbreiten, wodurch bestimmt würde, daß nach Auflösung der lf. Polizeibehörden in den betreffenden Städten die k. k. politischen Behörden erster Instanz, welche in diesen Städten ihren Sitz haben (Bezirksämter, in Zara die Prätur), im ganzen bisher bestandenen Polizeirayon über Übertretungen staatspolizeilicher Vorschriften, soferne diese nicht in das Gebiet gerichtlicher Amtshandlung fallen, unter Wahrung des Instanzenzuges an die Landesbehörde zu entscheiden haben werden. Nachdem Graf Belcredi noch bemerkt hatte, daß die Übertragung dieser Strafamtshandlungen in erster Instanz an die Magistrate wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes und wegen des unmittelbaren Zusammenhanges mit den staatspolizeilichen Funktionen, andererseits aber wegen des Umstandes nicht tunlich wäre, weil der Rayon der Polizeibehörden oft mehrere Bezirke umfaßte, erklärte sich der Ministerrat mit dem Vorhaben des Staatsministers und mit dem sohin abgelesenen Entwurfe der kaiserlichen Verordnung einhellig einverstanden. Der Justizminister knüpfte hieran die Bemerkung, daß bekannterweise früher alle Untersuchungen über Übertretungen zur Kompetenz der Bezirksgerichte gehört haben, daß dann in der Folge einige dieser Übertretungen den politischen Behörden bezüglich den Polizeidirektionen zur Amtshandlung überwiesen worden seien und daß es sich jetzt, nachdem diese Polizeibehörden aufgelöst werden, || S. 314 PDF || darum handle, eine Behörde zu bestimmen, welche hiefür bezüglich der betreffenden Übertretungen kompetent sein soll. Da sei es nun am einfachsten, dieselben wieder an die hiezu vormals schon kompetent gewesenen Bezirksgerichte zu verweisen, was er mittelst eines kurzen, Sr. Majestät zur Ah. Sanktion zu unterbreitenden Gesetzes zu bewerkstelligen beabsichtige2.

Die Konferenz fand hingegen nichts zu erinnern.

II. Gesuch der Österreichischen Staatseisenbahngesellschaft, betreffend den Bau einer Verbindungsbahn ihres Bahnnetzes

Einen weiteren Gegenstand der Beratung bildete die Verhandlung über das der Ah. Bezeichnung gewürdigte Gesuch der österreichischen Staatseisenbahngesellschaft um Entscheidung bezüglich des durch den Vertrag vom 1. Jänner 1855 erworbenen Rechtes zum Ausbaue einer Verbindungsbahn ihres Bahnnetzes3.

Der Ministerialrat Ritter v. Maly stellte in einem längeren Exposé die Wandlungen, welche das Bestreben der Staatsbahngesellschaft, ihre südöstlichen Bahnen mit ihrer nördlichen in Verbindung zu bringen, durch die Proteste der in ihrem Privilegiumsrechte vermeintlich angegriffenen Nordbahn erfahren hatte, unter Beifügung des Inhaltes der in dieser Angelegenheit bisher erflossenen Ah. Entschließungen, insbesondere jener vom 7. September 1863 4, dar und gelangte sohin zum eigentlichen Gegenstande der heutigen Entscheidung, nämlich zu dem Gesuch der Staatseisenbahngesellschaft um Verleihung der Konzession für eine Eisenbahn von Marchegg über Stadlau oder Großenzersdorf nach Wien und von Stadlau oder Großenzersdorf über Laa und Branowitz nach Adamsthal mit einer Zweigbahn von Laa nach Znaim. Er bemerkte, daß die Konzession für eine Eisenbahn von Marchegg nach Wien der Gesellschaft bereits in Gemäßheit der Ah. Entschließung vom 7. September 1863 in Aussicht gestellt worden sei und daß die nunmehr modifizierte Trasse für die Verbindungsbahn, wornach dieselbe nicht unmittelbar in Brünn, sondern in der nächsten Station Adamsthal in die nördliche Staatseisenbahn einmünden soll, als identisch mit der früheren sowohl von dem Handelsministerium, dem Staatsrate und dem Justizminister erkannt und daher auf die Ablehnung derselben angetragen worden sei. Im Laufe der Unterhandlungen habe sich die Staatseisenbahn herbeigelassen, eine mehr westliche Richtung mit Vermeidung des zweiten Überganges über die Nordbahn bei Branowitz und der unmittelbaren Einmündung in Brünn in der Art einzuschlagen, daß sie die Bahn von Stadlau über Mistelbach, Laa, Frischau, Kuprowitz, Kanitz zum Anschlusse an die Brünn—Rossitzer Bahn bei der Butscheiner Mühle sichern würde. Nach der Ansicht des Justizministers, welcher sich auch das Handelsministerium anschloß, enthält diese neue Trasse, welche noch immer in einer Entfernung von 1¾ Meilen von Brünn in die Rossitz—Brünner Bahn einmünden würde, keine direkte Verletzung des Privilegiums der Nordbahn, und zwar weder in Ansehung der Hauptbahn nach Bochnia noch in Ansehung der Brünner Seitenbahn, wie dieses in einer den Akten beiliegenden Note des Justizministers ausführlich dargestellt sei5. Das Handelsministerium sei || S. 315 PDF || der Ansicht, daß dem Nordbahnprivilegium nicht die Tragweite beigemessen werden könne, daß demselben gegenüber jede weitere Schienenverbindung zwischen Wien und Brünn unzulässig wäre, wenngleich durch die neue Linie ein ganz neues Verkehrsgebiet durchzogen wird. Tatsächlich bestehe auch bereits eine andere Schienenverbindung dieser zwei Städte durch die Bahnen Wien—Lundenburg—Olmütz—Böhmisch-Trübau und Brünn. Durch die mit der Ah. Entschließung vom 7. September 1863 genehmigte Fortsetzung der Brünn—Rossitzer Bahn von Tetschitz über Znaim nach Maissau zum Anschlusse an die Franz-Josef-Bahn komme eine neue Schienenverbindung zwischen Wien und Brünn zustande, wodurch nach den vom Justizminister vertretenen Rechtsgrundsätzen eine Verletzung des Nordbahnprivilegiums nicht eintritt. Der Handelsminister glaube daher, daß dieses Privilegium auch dann nicht verletzt werden würde, wenn die drei Strecken Brünn—Tetschitz, Tetschitz—Maissau und Maissau—Wien einer und derselben Unternehmung zufallen würden. Diese Linie durchziehe nämlich ein ganz neues Verkehrsgebiet, und von einer bedrohlichen Konkurrenz im Verkehre zwischen Wien und Brünn könne ernstlich nicht die Rede sein. Die Entfernung zwischen diesen beiden Städten beträgt auf der Linie Lundenburg 19 Meilen, über Maissau aber nahezu 26 Meilen, die Nordbahnlinie durchzieht ebenes Terrain, während die zu erbauende Bahn gebirgiges Terrain durchschneiden muß und daher der Betrieb derselben bedeutend kostspieliger werden wird.

Ähnliche Verhältnisse bestehen bezüglich der Fortsetzung der Brünn—Rossitzer Bahn von der Butscheiner Mühle über Laa—Stadlau zum Anschlusse an die Wien—Raaber Bahn mit der einzigen Ausnahme, daß auf dieser Route die Entfernung zwischen Wien und Brünn um einen Bruchteil einer Meile kürzer ist als auf der bestehenden Wien—Brünner Bahn. Wenn dies ein Hindernis bilden sollte, so könnte die Staatseisenbahngesellschaft veranlaßt werden, weiter westlich in die Brünn—Rossitzer Bahn einzumünden, wodurch auch der Vorteil erzielt würde, daß die in der Nähe von Eibenschitz befindlichen Kohlengruben in das Bereich der Bahn kämen.

Der Handelsminister äußerte sohin sein Vorhaben, den au. Antrag stellen zu wollen: Se. Majestät wolle dem Gesuche der Staatseisenbahngesellschaft um Verleihung der Konzession für eine Eisenbahn von Stadlau über Laa und Branowitz nach Brünn oder Adamsthal keine Folge zu geben, den Handelsminister dagegen Ag. zu ermächtigen geruhen, mit dieser Gesellschaft und mit der Aktiengesellschaft der Brünn—Rossitzer Eisenbahn wegen Fortsetzung der Rossitzer Bahn bis zum Anschlusse einerseits an die Franz-Josef-Bahn und andererseits an die Wien—Raaber Bahn in Unterhandlung treten zu dürfen. Der Handelsminister knüpfte an die Mitteilung seines beabsichtigten Antrages die Bemerkung, daß diese Streitfrage einmal gelöst werden müsse, weil sonst die Staatsbahn niemals zu einer Verbindung ihrer Linien gelangen würde, was doch im Interesse des Verkehres und Handels dringend gewünscht werden müsse. Durch diese Konkurrenz werden auch andere Vorteile in volkswirtschaftlicher Beziehung, insbesondere ein Sinken der Kohlenpreise erreicht werden. In jeder Beziehung unvorteilhaft, ja geradezu nachteilig müßte es erkannt werden, wenn die Verbindung || S. 316 PDF || zweier so großer Bahnkomplexe wie jene der Staatsbahn die Hauptstadt des Kaiserreiches, den Knotenpunkt des Verkehres und des geistigen Lebens sowie den Sitz der kaiserlichen Regierung beiseitelassen würde. Den juridischen Schwierigkeiten glaube er übrigens durch seinen eben dargestellten Antrag vollkommen aus dem Wege gegangen zu sein. Die Richtung der Nordbahn samt Flügelbahn sei das eigentliche Objekt ihres Privilegiums, unter Richtung müsse aber sowohl die geographische Lage der Bahn als auch die Vermittlung des Verkehres nach einer gewissen Gegend verstanden werden. Die Bahn nach seinem Antrage habe aber eine von der Seitenbahn der Nordbahn weit nach Westen abweichende geographische Lage, und diese Verbindungsbahn werde, wenn sie einmal hergestellt sein wird, nicht die Bestimmung haben, den Verkehr in derselben Richtung wie die Wien—Brünner Flügelbahn zu vermitteln, sondern die Richtung nach Norden gegen Wildenschwert zu berücksichtigen. Der Justizminister meinte, daß ein großes Bahnnetz nicht möglich wäre, ohne fremde Bahnen zu durchschneiden. Wenn jedoch eine solche Durchschneidung geschehe, ohne daß eine Station auf dem Kreuzungspunkte errichtet werde, könne von einer Vereinigung zweier Punkte derselben Bahn nimmermehr die Rede sein. So wie ein jeder Fluß ein gewisses Inundationsterrain habe, ebenso habe auch jede Eisenbahn ein gewisses Verkehrsgebiet. Wenn eine neue Bahn eine so nahe Richtung an einer bereits bestehenden verfolge, daß sie den Verkehr der letzteren abziehe, dann sei sie allerdings eine Parallelbahn. Dies sei jedoch bei der vom Handelsminister projektierten Bahn durchaus nicht der Fall.

Bei der sohin von dem vorsitzenden Staatsminister gehaltenen Umfrage erklärten sich sämtliche Konferenzmitglieder mit dem Antrage des Handelsministers einverstanden. Der ungarische Hofvizekanzler glaubte diesen Ministerratsbeschluß um so freudiger begrüßen zu müssen, weil Ungarn ein großes Interesse daran habe, daß die Verbindung der beiden großen Bahnen der Staatsbahn zustande komme, wodurch die Verteuerung der Produkte aus Ungarn nachlassen und bewirkt werden wird, daß die Staatsbahn der Nordbahn nicht weiter tributär bleiben wird.

Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 26. März 1866. Franz Joseph.