Nr. 329 Ministerrat, Wien, 11. März 1863 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Schurda; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 11. 3.), Nádasdy (15. 3.), Schmerling, Forgách (16. 3.), Esterházy; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 23. 3. Teildruck: REDLICH, Staats- und Reichsproblem 2, 311–315
MRZ. 1133 – KZ. 924 –
Protokoll der zu Wien am 11. März 1863 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k.k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Programm zur Ausgleichung der ungarischen Frage
Gegenstand der Beratung war das vom ungarischen Hofkanzler vorgelegte, hier beiliegendea Projekt zur Ausgleichung der ungarischen Frage1. Nachdem der Inhalt desselben den Konferenzmitgliedern bekannt war, wurde zunächst das Prinzip diskutiert.
Der Minister Graf Nádasdy bemerkte vor allem, er habe die in der Ministerkonferenz vom 13. Februar l. J. von Sr. Majestät entschieden ausgesprochene Willensmeinung derart aufgefaßt, daß es sich fortan nur um die konsequente Durchführung der Verfassung rücksichtlich um die Auffindung der Mittel, wie diese Durchführung zu bewirken wäre, handeln kann, nicht aber, daß die Verfassung selbst in Frage gestellt werden soll, wie es in der Tat mit dem vorliegenden Projekte gemeint ist. Kommt dieses Programm zur Beratung, dann sei auch in thesi angenommen, daß man von den bisherigen Grundsätzen abgehen wolle, daß man eine Integrität Ungarns mit Einschluß von Siebenbürgen noch für möglich halte usw., wodann Graf Nádasdy sofort alles, was er bisher in Siebenbürgen getan hatte, annullieren und alle bisher von ihm getroffenen Maßregeln zurücknehmen müßte. Er habe bisher an der Verfassung des 26. Februar unbedingt festgehalten und sei darnach in dem ihm Ag. anvertrauten Amte unablässig vorgegangen. Sich der gegenwärtig ungarischerseits vorgeschlagenen Maßregel anzuschließen, könne ihm nicht zugemutet werden, und er müsse daher in seiner Stellung heute nur darauf dringen, daß sich Se. Majestät in dieser Frage bald entscheiden, indem hievon sein weiteres Verbleiben im Amte abhängig sei.
Der ungarische Hofkanzler äußerte: Nicht in der Absicht, das Vorhandene gar nicht zur Durchführung bringen zu wollen, sondern lediglich um aus den vorhandenen Schwierigkeiten herauszukommen, sei – und zwar über Ah. Auftrag Sr. Majestät selbst – mit Männern aus Ungarn eine Beratung gepflogen worden, als deren Ergebnis nun das vorliegende Akkommodement erscheine. Es handle sich also nur darum, auf welche Art und Weise sich Ungarn an der Verfassungsfrage moralisch beteiligen könne, welche Wege einzuschlagen wären, um hierin zu einer gedeihlichen Lösung zu gelangen, kurz, das Möglichste zu finden, was in dieser Beziehung geschehen kann. In dem Projekte sei daher auch das Hauptaugenmerk darauf || S. 288 PDF || gerichtet worden, daß Mitglieder aus den beiderseitigen repräsentativen Körperschaften zusammenkommen und über den Modus der gemeinsamen Verhandlungen eine Vereinbarung finden können. Allerdings lassen sich die Schwierigkeiten, welche von beiden Seiten diesem Projekte entgegenstehen, nicht verkennen, aber gewiß wäre es ein enormer Vorteil, wenn auf dieser ruhigen Anbahnung ein günstiges Resultat erzielt würde. Die Idee der gemeinsamen Behandlung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten sei schon ein wichtiger Fortschritt im Interesse der Monarchie. Wenn nur die Leute einmal zusammenkommen und sich besprechen, dann könne bei der gegenwärtigen Stimmung immer gehofft werden, daß es nur zum Guten führen werde. Sein Bestreben als Hofkanzler sei stets darauf gerichtet, Mittel zu finden, wie die Februarverfassung in Ungarn durchzuführen wäre, und da er die volle Überzeugung habe, daß im ungarischen Landtage die Majorität für diese Verfassung nie sein werde, so bliebe ihm wohl kein anderer Weg als der vorgeschlagene.
Der Minister Graf Nádasdy bezweifelte die Lebensfähigkeit dieses Projektes, aber selbst wenn es zuwege gebracht würde, daß die beiderseitigen Vertretungskörper auf diesen Versuch eingehen wollten, hätte er das Bedenken, daß Se. Majestät gegenwärtig die Verfassung aus eigener Machtvollkommenheit gegeben haben und nun sich dem aussetzen sollten, daß durch die konstituierende Versammlung eine neue Verfassung vorgeschlagen werde, welche voraussichtlich viel mehr den 1848er Gesetzen gleich sein würde als der jetzigen Konstitution. Graf Nádasdy habe die feste Überzeugung, daß, wenn man den 26. Februar durchsetzen will, man es auch imstande ist, nur müßte freilich, wenn dieses durch den ungarischen Landtag geschehen soll, vor allem dahin gewirkt werden, daß andere Elemente als die gegenwärtigen hineingebracht werden. Sein Vorgehen basiere darauf, daß er den siebenbürgischen Landtag in der Art zusammenzusetzen trachtet, daß die Majorität für die Regierung sei und daß derselbe aus seiner Mitte Abgeordnete nach Wien schicke. Sollte ihm aber wider Erwarten dennoch die Majorität entschlüpfen, dann nehme er keinen Anstand, zu den direkten Wahlen zu greifen, wobei er sicher ist, Reichsratsabgeordnete zu erhalten. Wenn aber das gegenwärtige Programm angenommen werden sollte, dann war sein bisheriges Wirken ganz umsonst, denn wenn die Siebenbürger erfahren, daß die Verfassungsfrage bei Sr. Majestät selbst noch schwebend ist, dann sei alles bisher Gewonnene auf einmal zerstört. Seines Erachtens könne daher nur das eine oder das andere bestehen, und er müsse also bei seiner Bitte verbleiben, daß Se. Majestät in dieser Beziehung Sich Ag. zu entscheiden geruhen.
Der Staatsminister wies vor allem nach, daß Se. Majestät bei allen Gelegenheiten, so im Einführungspatente, in der Thronrede, bei der Beratung über die Rede beim Schlusse der Reichsratssession, endlich bei der Konferenz am 13. Februar l. J. jedesmal ganz entschieden Ah. ausgesprochen haben, daß an der Verfassung streng gehalten werde und eine Verbesserung oder Modifikation derselben nur im verfassungsmäßigen Wege zugegeben werden kann. Gegenüber diesen festen Ah. Aussprüchen könne nur die Frage gelten, was gibt es für Mittel, die Verfassung in Ungarn durchzuführen? Das vorgelegte Projekt scheine ihm aber ein solches zu sein, welches allenfalls im Oktober 1860 am Platze gewesen wäre, gegenwärtig stehe aber demselben das Februarpatent im Wege, und es könne also heute dieses Programm || S. 289 PDF || umso weniger angenommen werden, als mit demselben die Verfassung in Frage gestellt wird. In eine nähere Prüfung dieses Elaborates einzugehen, finde Votant überflüssig, da er sich gegenüber der erwähnten bestimmten Willensmeinung Sr. Majestät dieser Maßregel niemals anschließen könnte.
Der Minister Graf Esterházy meinte, daß sich angesichts der von den beiden Vorstimmen abgegebenen Äußerungen heute wohl kein Resultat erwarten lasse, denn es handle sich um ein Kompromiß, welches jedoch bei dem vom Grafen Nádasdy eingenommenen Standpunkte nie möglich sei, und er stimme deshalb dem letztern darin vollkommen bei, daß bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nur das eine oder das andere bestehen könne und hierin vor allem Se. Majestät sich entscheiden müsse. Graf Esterházy ging in eine Kritik der bisherigen Haltung des Ministeriums in der Verfassungssache cUngarn gegenüberb ein und beklagte es, daß man nicht schon längst darangegangen ist, den ungarischen dtatsächlichen Verhältnissenc billige Rechnung zu tragen und zu untersuchen, wie weit die Grundsätze des 20. Oktober und des 26. Februar mit der Selbständigkeit Ungarns vereinbar seien. Er bekannte sich weiter unverhohlen zu der Ansicht, daß Se. Majestät wohl das Recht hatten, den deutsch-slawischen Ländern aus eigener Machtvollkommenheit eine Verfassung zu geben, diese aber auf die Länder der ungarischen Krone ohne Zustimmung der Stände nicht ausdehnen konnten. Auf den Standpunkt der Verwirkungstheorie habe er sich nie stellen können.
Der Staatsminister erinnerte, schon wenige Wochen nach dem 20. Oktober 1860 seien ungarische Anschauungen geltend gemacht und verhandelt worden und es hätten damals Vay und Szécsen nicht gefunden, daß selbe durch das Februarpatent alteriert werden, so wie es damals unbestritten war, daß die Reichsverfassung Ungarn umfasse und daß der Reichsrat von dort beschickt werden müsse. Wenn hinterher in Ungarn der 20. Oktober und 26. Februar verleugnet wurde, so könne es nicht wundernehmen, da selbst jene Männer, welche den 20. Oktober hervorgerufen haben, nicht das mindeste zur Anerkennung desselben taten, sondern vielmehr sich zu entschuldigen suchten. Auch die ganze offizielle Presse habe sich gehütet, etwas von der Februarverfassung zu erwähnen. Aus allem dem könne aber nicht gefolgert werden, daß das ganze Land gegen den 26. Februar remonstriere, sondern daß diese Renitenz nur von einer gewissen Partei ausgehe. Ritter v. Schmerling habe auch Stimmen aus Ungarn vernommen und erfahren, daß es dort auch Leute gibt, welche die Verfassung nicht so arg finden, und es würden daher diese für die Verfassungssache in Anspruch zu nehmen gewesen sein, statt sich immer an die seit 20 Jahren schon bekannten Namen zu halten. Am bedauerlichsten sei es aber, wenn man Regierungsmänner hat wie einen Grafen Apponyi, der Judex Curiae ist, aber von der Ah. gegebenen Verfassung nichts wissen will. Votant müßte also der Behauptung, daß die Reichsverfassung in Ungarn von vornehinein unausführbar war, entschieden entgegentreten. Durch einen unzweideutig ausgesprochenen Ah. Willen und durch konsequente Verfolgung des angezeigten Weges lasse sich in dieser Sache schon das gewünschte Ziel erreichen.
|| S. 290 PDF || Graf Esterházy machte bemerklich, daß die anderen Kronländer einen ganz anderen Rechtsstandpunkt als Ungarn haben, welche Meinung auch von Sr. Majestät Allerhöchtsselbst geteilt werde. Schließlich bemerkte noch Graf Forgách , daß nach seiner Überzeugung die Ergreifung von violenten Mitteln hier nicht angezeigt sei, während ein ruhiger Ausweg geeignet sein dürfte, die ungarische Differenz glücklich zu beheben2.
Wien, am 11. März 1863. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 23. März 1863. Empfangen 23. März 1863. Erzherzog Rainer.