Nr. 326 Ministerrat, Wien, 25. Februar 1863 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 27. 2.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Hein; abw.abwesend Schmerling, Burger; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 5. 3.
MRZ. 1130 – KZ. 719 –
Protokoll des zu Wien am 25. Februar 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Vertagung des galizischen Landtags bis 15. März
Infolge Ah. Aufforderung referierte Minister Ritter v. Lasser über die Frage der abermaligen Vertagung des galizischen Landtages und las den an das Staatsministerium gelangten Bericht des Statthalters Grafen Mensdorff, welcher, im Fall der Landtag anfangs März wieder zusammenträte, die Besprechung des polnischen Aufstands in demselben als unvermeidlich erachtet1. Ein großer Teil der Deputierten betrachtet es nämlich als „heilige Pflicht“, ihre Sympathien für die Aufständischen laut auszusprechen, und weder der Landmarschall noch der Statthalter vermöchten diese Kundgebungen zu unterdrücken noch selbe auch nur innerhalb gewisser Grenzen zu erhalten. Der Rückschlag davon in allen ehemals polnischen Ländern würde ein bedeutender sein, und andererseits würde dadurch auch ein gefährliches Präzedens für die Verhandlung politischer Gegenstände im Landtage geschaffen. Graf Mensdorff stimmt daher für eine weitere Vertagung allenfalls bis 15. März. Referent hat die Anwesenheit des Fürsten Leo Sapieha in Wien benützt, um mit ihm diese Angelegenheit eingehend zu besprechen. Derselbe sieht mit aller Gewißheit voraus, daß der Aufstand im Königreiche den ersten Gegenstand der Erörterungen im Landtag bilden und daraus – wenn nicht eine Adresse an Se. Majestät – doch eine motivierte Tagesordnung hervorgehen wird, worin die unliebsamsten Erklärungen über die von Österreich diesfalls anzunehmende Stellung mit Rückblicken auf die Teilung Polens und andere Odiosa vorkommen werden. Von Seite der ruthenischen Abgeordneten selbst sei kein Einspruch gegen derlei Landtagsbeschlüsse zu erwarten, und der Landmarschall wäre „ein ruinierter Mann“, wenn er es versuchen wollte, diesen Verhandlungen entgegenzutreten. Fürst Sapieha, awenn er auch nach gewohnter Vorsicht keinen bestimmten Vorschlag aussprach, ließ doch in allen seinen Äußerungen durchblicken, daß eine weitere Vertagung rätlich seia, welche auch von allen Freunden der Regierung und der Ordnung im Landtage sehr gewünscht wird, um nicht in eine oppositionelle Stellung büberhaupt und in eine der „polnischen Sache“ selbst schadenbringende Richtung oder in einen Konfliktb gegen ihre eigenen „polnischen Gefühle“ gedrängt zu werden. Unter diesen Verhältnissen sei es wohl || S. 272 PDF || nicht rätlich, den galizischen Landtag jetzt wieder zusammentreten zu lassen, obgleich es vom rein administrativen und legislativen Standpunkt aus sehr wünschenswert wäre, denselben bis Ende März tagen zu lassen cund obwohl es den Eindruck, welchen die bisherige, das Sicherheitsgefühl Österreichs in Galizien ebenso manifestierende als Humanität mit internationaler Gerechtigkeit verbindende Haltung der österreichischen Regierung in ganz Europa hervorrief, wesentlich erhöhen würde, wenn man es darauf ankommen lassen könnte, neben dem insurgierten Kongreßpolen in Lemberg einen galizischen Landtag beraten zu lassenc . Die Lage der Dinge in Russisch-Polen ist von der Art, daß man nicht hoffen kann, binnen der nächsten Wochen die Ruhe hergestellt zu sehen, so daß man jetzt schon füglich zur Auflösung des galizischen Landtages schreiten könnte. Allein, da diese Maßregel großes Aufsehen erregen und den Demonstrationen, die man dadurch verhindern will, eine zu große Wichtigkeit beilegen würde, glaubt Minister Ritter v. Lasser, daß sich jetzt auf die Vertagung bis 15. kommenden Monats zu beschränken wäre. Graf Mensdorff hat die Einleitungen getroffen, daß die Deputierten noch rechtzeitig in ihren Wohnorten davon verständigt werden können, wenn ihm darüber noch heute der Ah. Beschluß auf telegrafischem Wege zukommt.
Gegen diesen Antrag wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben, und Se. Majestät geruhten, denselben sofort Ah. zu genehmigen2.
II. Aufhebung des Sensenausfuhrverbots nach Rußland
Der Finanzminister referierte, daß mehrere Sensenfabrikanten sich an ihn mit der dringenden Bitte gewendet haben, die Aufhebung des Verbots der Ausfuhr ihrer Erzeugnisse nach Rußland zu erwirken3. Wenn es ihnen verwehrt bliebe, die diesfälligen Bestellungen zu effektuieren, würde nicht nur der diesjährige Absatz zum empfindlichsten Nachteile der Eisenindustrie um mehr als eine Million Gulden vermindert, sondern auch der Absatz nach Podolien etc. in den künftigen Jahren beeinträchtigt, weil ihre dortigen Abnehmer sich anderen Märkten zuwenden würden. Der Minister würde daher glauben, daß, wenn nicht wichtige politische Rücksichten entgegenstehen, die Ausfuhr der Sensen über Brody, wo bereits große Quantitäten lagern, und über die russische Grenze südlich von Brody zu gestatten wäre.
Der Minister des Äußern bemerkte, dieser Gegenstand sei bereits im letzten Ministerrate zur Sprache gekommen, und er habe sich bereit erklärt, darüber mit dem kaiserlich russischen Gesandten in Verhandlung zu treten, sobald er die nötigen Daten vom Handelsminister erhalten haben wird. Herr v. Balabine dürfte sich im Interesse der russischen Landwirtschaft geneigt finden, bei den russischen Behörden die Einfuhrsbewilligung gewisser Quantitäten – allenfalls aufgrund von Lizenzen – zu bevorworten. Dies sei eine Hauptsache, denn die bloße Ausfuhrsbewilligung von Seite Österreichs genüge noch nicht, um den Sensen Eingang zu verschaffen. Der Handelsminister erwiderte, er habe bereits die Industriellen zur Mitteilung der || S. 273 PDF || Daten aufgefordert und werde dieselben nach deren Empfang ohne Verzug dem Minister des Äußern übersenden. Für die mindestens teilweise Aufhebung des Sensenausfuhrverbots bei uns spreche auch wesentlich der Umstand, daß Preußen kein solches Verbot erlassen hat.
Se. Majestät geruhten die Ah. Geneigtheit auszusprechen, seinerzeit eine partielle Aufhebung des Verbots zu gestatten4.
III. Instruktion der galizischen Behörden für den Fall des massenhaften Übertritts von Insurgenten
Se. k. k. apost. Majestät geruhten Ah. zu befehlen, daß den galizischen Behörden dermal Instruktionen zu erteilen sind, wie sie sich im Falle eines immer wahrscheinlicher werdenden massenhaften Übertrittes von polnischen Insurgenten zu benehmen haben5.
Im Lauf der hierüber gepflogenen Besprechung äußerte der Polizeiminister , daß in solchen Fällen die Übergetretenen sofort zerniert, entwaffnet und durch die politischen Behörden nach ihrer Heimat gesichtet werden müßten. Die russischen Untertanen wären sofort zu internieren, andere Ausländer, dinsofern sie nicht in die Kategorie der Werber gehörend, auf dem kürzesten Wege mit gebundener Marschroute eoder sonst auf sichere Weisee in ihre Heimat zu senden, österreichische Untertanen aber (mit Ausnahme der an die Militärgerichte abzuliefernden Werber) wären in ihre Heimatorte zurückzuschicken. Minister Ritter v. Lasser teilt ebenfalls die Meinung, daß bei massenhaften Übertritten nichts anderes erübrige, als in dieser Weise vorzugehen, sonst bekomme man Monsterprozesse. Minister Dr. Hein brachte den Stand der zu Krakau im Kastell, im Spital und im Untersuchungsgefängnisse befindlichen Insurgenten zur Ah. Kenntnis und berührte die im letzten Ministerrate beschlossene Delegation der galizischen Kreisgerichte für Untersuchungen wegen Teilnahme am Aufstand. Der Kriegsminister erinnerte, daß nach der ersten polnischen Revolution ein Teil der Flüchtlinge nach Amerika gesendet worden sei6.
Wien, 27. Februar 1863. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 5. März 1863. Empfangen 5. März 1863. Erzherzog Rainer.